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Die großen Western
– 179 –

Feindliche Brüder

Joe Juhnke

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-316-8

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Sie jagten mich noch immer.

Ich hörte nur den ewig singenden Wind, der über die Plains strich und alle fremden Geräusche verdeckte, aber ich spürte, sie waren in meiner Nähe.

Yankees und Yaquibanditen.

Sie suchten meine Fährte, die sie in der Nacht verloren hatten. Sie ließen sich nicht täuschen, obwohl sich alle Erfahrungen kriegerischer Apachen in mir vereinten, und ich mich ihrer Tricks bedient hatte, um sie abzuschütteln.

Ich kroch tiefer ins Wurzelgeflecht der Zapotesträucher, weil der heiße Atem des Tages dem kühlen Northern Blues weichen mußte, der kalte Winde aus dem Norden heranführte.

Meine Decken hatte ich verloren, so wie ich meinen Praint auf der Flucht verloren hatte. Ein Apachenpfeil hatte ihm den Weg ins Pferdeparadies gezeigt. Nur meine Winchester war mir geblieben – und natürlich mein Leben.

Aber darauf setzte ich keinen Cent.

Ich zog die Decke schützend über den Nacken, aber das dünne Leder war kalt und trocken wie die Nacht. Während ich die Augen schloß, suchten meine Gedanken einen Fluchtweg durch die White Sands, die irgendwo westlich von Los Cruces am Rio Grande endeten.

Der sanfte Wind peitschte auf und trieb Staub und Sand über die kahle Erosionsrinne. Ich preßte mich fest an die groben Wurzelstauden, um nicht weggeblasen zu werden, und dachte, wenn auch nur der Schatten einer Spur von mir geblieben war, der Sturm verwehte sie endgültig.

Mir blieb ein Hauch von Hoffnung, der nicht lange dauern sollte, weil ich Pat Longley kannte und die anderen, mit denen ich ein Jahr lang auf dem Wild Bunch durch New Mexico geritten war. Es war ein wildes Jahr, das mir eine Handvoll Dollar und zwei Kugeln in die Rippen eingebracht hatte, deren Narben ich bei jedem Wetterumschlag spürte. Wir hatten Rinder gestohlen und Pferde, die wir der Armee verkauften, um das Geld gleich in der Stadt in Brandy umzusetzen, oder zwischen die nackten Busen irgendwelcher Freudenmäd­chen zu stecken.

Was kümmerte es mich?

Ich war jung und steckte voller kühner Pläne. Ich hatte meine Jugend verloren, als sie mir die braunen Kittel der Konföderierten überstreiften. Ein verlorener Krieg formte mich zu einem Mann. Ich hatte vieles nachzuholen. Dieses ganze wilde Leben war für mich ein einziges Abenteuer, bis Longley sich mit abtrünnigen Apachen verbündete, die von einem grausamen Rudelführer geführt wurden.

Santana!

Er war Longleys böser Schatten, der ihn führte und leitete. Aus harmlosen Diebstählen wurden Raubüberfälle auf Lohnkutschen und Diggerclaims. Ich roch noch heute den Tod, der uns fortan begleitete, bis zu jenem Tage, als ich mich von ihnen löste.

Der Sturm peitschte heulend über mich hinweg, aber er verwehte nicht das Bild jenes grausamen Tages, als die Bande über eine abgelegene Ranch herfiel, Männer und Kinder töteten, Frauen vergewaltigte und alles niederbrannte. Hilflos stand ich dabei, wie sinnlos alles war.

Am Abend, als die Flammen noch lodernd in den Himmel stiegen und die Kerle betrunken auf ihren Lagern lagen, stellte ich Pat Longley zur Rede und teilte ihm meinen Entschluß mit, mich von der Bande zu lösen.

Aber er und seine Kumpane lachten mir nur ins Gesicht, und Longley sagte: »Wer von uns geht, Drain, geht für immer, und zwar sechs Fuß unter die Erde.«

Aber seine Drohung schreckte mich nicht mehr nach allem, was dort geschehen war.

Doch Longley nahm sein Wort ernst, und ich mußte um mein Leben kämpfen. Ich erschoß seinen Bruder Stone und verletzte seinen Vetter Cash. Ich tötete Santanas nächsten Verwandten und schaffte dies alles nur, weil sie betrunken waren. Ich floh ziellos nach Osten.

Das war vor einem Monat.

Seither saßen sie mir wie die Pestilenz auf den Fersen. Eine rüde abgefeimte Gesellschaft, die Vendetta geschworen hatte. Sie ließen mir kaum einen Atemzug Freiheit und hetzten mich wie einen Puma, der in eine Herde eingefallen war.

In der vergangenen Nacht hatten sie mich gestellt. Ich verschoß einen Gürtel Patronen, um ihren Ring zu durchbrechen, und verlor dabei mein Pferd. Nur die Dunkelheit schützte mich vor ihnen und der harte Fels, auf dem sich meine Spur verlor.

Aber am heutigen Nachmittag sah ich sie westlich in der Geröllwüste des einsamen Tales wieder. Dunkle staubige Fahnen, die am Himmel schwebten, zeigten mir ihren Weg. Nur Santana, dieser Teufel in menschlicher Gestalt, konnte das schaffen. Kein anderer war in der Lage, auf nackten Felsen Spuren zu lesen.

Ich lauschte dem Singen des Windes und tastete nach den leeren Schnallen meines Gurtes. Fünf Schuß steckten noch in meinem Karabiner, die Trommel meines Colts war leergeschossen.

Ich hatte plötzlich Angst, daß aus den peitschenden Wogen des Sturmes einer dieser Teufel springen könnte, um mir die Kehle durchzuschneiden.

Hoffnungslos, wie ich war, schwang ich mich auf die Beine und taumelte mitten in das Inferno.

Am Morgen erreichte ich ein breites Dünenfeld rieselnden Sandes, der je­den meiner Schritte erschwerte. Aber ich war klug und besonnen, daß ich mich rücklings vorwärtsbewegte, so daß meine Fußspur nach Westen deutete, während ich nach Osten wanderte. Ein alter, indianischer Trick, den ich von Comanchen gelernt hatte, mit denen einst meine Eltern in friedlicher Eintracht am Rio Bravos lebten. Es war ein beschwerlicher Weg, der mich doppelte Kraft kostete, und mir dennoch ein paar Stunden Hoffnung schenkte. Ich vergaß meine Umgebung und konzentrierte mich nach Westen, wo aus flimmernder Tagesluft meine Verfolger kommen mußten.

So schreckte ich zusammen, als unvermutet der Lauf einer Büchse meine Bemühungen stoppte.

Im dumpfen Brausen meines Blutes, das sich in meinem Schädel staute, hörte ich den trockenen Ruf eines Mannes.

»Du läufst wie ein Rothautbastard, der etwas zu verbergen hat, Hombre!« rief der Fremde in meinem Rücken. »Wen willst du auf die falsche Fährte setzen?«

Ich versuchte am Klang der Stimme den Sprecher zu identifizieren. Es war nicht Longleys Stimme. Nicht die von Lorne oder Cash. Schon gar nicht die unartikulierten Laute Santanas. Und dennoch war der Fremde mein Feind. Jeder, der mir hier draußen in der Wildnis begegnete, war automatisch mein Feind.

Meine Hand glitt sanft über den leeren Gurt, als der Flintenlauf mich bremste.

»Laß die Hände in Schulterhöhe, wenn du keinen Ärger haben möchtest«, warnte der Fremde. Zugleich spürte ich, wie meine Halftertasche leichter wurde. Eine Hand streifte meine Winchester von der Schulter. Der Druck in meinem Rücken ließ nach.

»Okay, mein Freund, nun kannst du dich umdrehen. Aber sanft, als wolltest du zur Kirche gehen.«

Zögernd wandte ich mich um.

Der Fremde war drei Schritte zurückgetreten. Lose lag die gestutzte Flinte in seiner Faust. Sein Daumen spannte die beiden Hämmer, und der Zeigefinger preßte den Abzugbügel.

Er war groß und knorrig wie eine Eiche, hatte tiefbraune, fast bronzefarbene Haut, die weit unter seinen vollen Haarschopf reichte. Ein dichtes buschiges Bartgeflecht umschloß sein Gesicht und verbarg sein Grinsen. Aber dieses Grinsen stand offen in seinen blauen Augen, verbunden mit einer gewissen Neugierde, mit der er mich musterte.

»Wen willst du so arglistig täuschen, daß du wie ein kranker Krebs rückwärts durch die Gegend wanderst?« fragte er, an meiner Kurzwaffe schnuppernd. Er stieß die Trommel aus und verzog verächtlich das Gesicht, ehe er mir das Eisen vor die Füße warf. »Deine Kanone ist taub wie eine hohle Nuß. Ich möchte wetten, du hast nicht nur Karnickel damit geschossen. Steck das Ding wieder in dein Leder.«

Ich atmete auf, als der Fremde die Harper entspannte und senkte. Ich beugte mich vor, nahm meinen Revolver und deutete mit der Mündung nach Westen, ehe ich antwortete. »Ein Dutzend Schakale sind hinter mir her, Mister.«

»Rote?« fragte der Fremde gelassen.

»Rote und Weiße. Einer gemeiner als der andere.«

»Kennst du ihre Namen?«

Ich zuckte die Achseln. »Wenn ein Name dir was bedeutet? Einer heißt Pat Longley. Zwei andere Lorne und Cash Longley.«

Der Fremde schüttelte gelassen den Kopf. »Eine große Familie.«

»Sie war noch größer«, erwiderte ich knapp, »doch der schlimmste Kerl ist Santana.«

Zum erstenmal sah ich den kalten Glanz, der aus seinen Augen kroch, als wäre es die Spitze eines Eisberges.

»Ich kenne diesen Teufel«, sagte der Fremde nachdenklich.

Sein Blick streifte meine zerrissene Kleidung.

»Dann weißt du auch, was mir blüht, wenn ich ihm zwischen die Finger falle«, erwiderte ich. Ich suchte sein Pferd, weil ich mir nicht denken konnte, daß er wie ich auf blanken Stiefelsohlen durch diese verlassene Gegend stolperte.

Er schien es zu bemerken, ging aber nicht darauf ein. »Was hat dir den Ärger mit diesen Kerlen gebracht?« wollte er wissen.

Ich zuckte wieder die Achseln. »Du sagtest doch, daß Pat Longley eine große Familie hat. Sie war noch größer.«

»Du hast einen von ihnen erschossen?« Der Fremde runzelte die Stirn. »Warum?«

Ich konnte ihm nicht meine Geschichte erzählen, ohne selbst in Konflikte zu kommen, deshalb sagte ich: »Sie wollten mich ausplündern. Dagegen hatte ich etwas.« Aber ich merkte, daß der Bursche mir nicht glaubte, deshalb fuhr ich heftig fort: »Ich habe noch zwei Leute erschossen, darunter Santanas jüngeren Bruder.«

»Han-on-sen?«

Ich riß verblüfft die Augen auf. »Du kennst diesen Bastard?«

Der Fremde nickte stumm und deutete mir an, ihm zu folgen. Er war groß und kräftig, wie mir seine breiten Schultern zeigten. Sein Gang war federnd. Bei jeder Bewegung schlug der tiefhängende Colt an seinen Schenkel.

Seltsam, daß ich mich plötzlich geborgen fühlte. Dieser Fremde strahlte Kraft und Kampfgeist aus. Und dennoch war er mir unheimlich.

Nach etwa hundert Yards endete die Sanddüne vor einer breiten Geröllmoräne.

Ich entdeckte in der Tiefe einige Husachesträucher, deren weite Laubdächer eine kleine Tinaja bedeckten. Im Grün der Büsche wieherte verhalten ein Pferd.

Der Fremde stieg mir voraus in die Tiefe. Ich rutschte auf blanken Sohlen hinterher. Am Brunnenrand lag einsam ein Sattel. Daneben ein Wassersack und eine Bettrolle. An einem Spieß briet ein Stück Fleisch.

Ich trank das kühle Wasser der Quelle und setzte mich schweigend zu dem Fremden ans Feuer. Er schnitt mit seinem Bowie ein kräftiges Fleischstück aus dem Braten und reichte es mir über das Feuer.

»Das Fleisch ist zäh«, sagte er kauend, »aber was kannst du besseres von einem Kojoten verlangen? Iß, damit du zu Kräften kommst. Dann wollen wir warten.«

*

Ich schluckte und verbiß den Ekel. Ich kaute auf dem Fleisch, als bestünde es aus rohen Eiern. Ich sah, wie er mich beobachtete.

Ich fragte: »Auf wen willst du warten, Mister?«

»Auf Santana«, kam es trocken aus seinem schmatzenden Mund. »Nenne mich Geometroles. Oder einfach Gee, wie meine Freunde zu mir sagen. Das soll nicht heißen, daß du mein Freund bist. Wenn du mich angelogen und mir irgendeine Mär erzählt hast, hänge ich dich längsseits über den Spieß, bis dir das Blut in den Adern kocht. Mit Gee Osborn treibt man keine Scherze.«

Er griff nach seiner Canteen, nahm einen tiefen Schluck, ehe er sie mir reichte. »Hast du auch einen Namen? Ich meine, ich möchte wissen, an wen ich meinen Whisky vergeude.«

»Roy Drain«, erwiderte ich und griff dankend nach der Feldflasche, »meine Freunde nennen mich Roy.«

»Okay«, Gee nickte und zog mir die Flasche von den Lippen, »dann nenne ich dich Drain, bis wir vielleicht Freunde werden.« Er rülpste zufrieden und deutete zur Quelle. »Wasch das Geschirr ab und verpacke es in meinem Mantelsack. Hm…« Er betrachtete mich, als wollte er für einen Sarg Maß nehmen. Doch dann grinste er in sein Bartgeflecht. »In meinen Satteltaschen findest du ein paar Munitionsschachteln. Stopfe deinen Kanonen die Mäuler. Sie werden es bald brauchen.«

Als ich mit dem Geschirr zurückkehrte, hatte Gee grünes Geäst in die Flammen geworfen, daß ein breiter dunkler Rauchfaden in den Himmel zog. Er grinste noch immer, als er mein erschrecktes Gesicht sah. »Rothäutige Bastarde riechen ein Feuer auf Meilen hin. Aber ich will es ihnen leichter machen, uns zu finden.«

Bisher hatte ich sein Gerede nicht sonderlich ernst genommen. Aber nun erkannte ich aus seinen Worten, daß er keine leeren Phrasen drosch. Ich dachte an Longleys Bande und die Indianerhorde und verlor einiges meiner gesunden Farbe.

»Es wird ein Dutzend sein, Gee«, versuchte ich den Hünen zu warnen. »Einer gemeiner als der andere.«

Aber er nahm nur den kurzgeschnittenen Schrotschießer und erwiderte: »Was glaubst du, wie gemein die hier sein kann?«

*

Ich lag an Gees Seite, verdeckt unter herabhängenden Sträuchern und starrte mit brennenden Augen auf die dunkle Staubwolke am Horizont. Ich wußte, daß Santana meine Fährte wiedergefunden hatte. Ihn konnten selbst meine kaschierten Fußspuren nicht täuschen. Dabei dachte ich, daß sie bald auf die Fährte Gees stoßen mußten, deren Abdrücke keine hundert Yards von ihrem gegenwärtigen Standort in den losen Sand gestampft waren. Sie würden dann wissen, daß zwei Gegner auf sie warteten. Das Feuer wies ihnen den Weg zu uns.

Ich blinzelte zu Gee hinüber, der unheimlich gelassen wirkte. Er hatte seinen Revolver, die Winchester und das Messer vor sich gelegt und hielt nur die Shotgun in den Fäusten.

Er schien meinen prüfenden Blick zu bemerken, denn er fragte ruhig: »Angst?«

Ich nickte. »Bis an den Schnittpunkt meines Rückgrates. Du kennst diese Kerle nicht.«

»Ich kenne Santana, Drain. Das genügt mir«, erwiderte er.

Zum erstenmal sah ich seine blitzenden Zähne in dem dichten Bartgestrüpp. Mir war, als würde Gee lautlos lachen.

»Woher kennst du ihn?« fragte ich verhalten.

Er schüttelte den Kopf. »Habe ich dich gefragt, ob deine Geschichte wahr ist? Halte die Augen auf. Sie sind bald da.«