cover image

Gerhart Hauptmann

Atlantis

Roman

Gerhart Hauptmann

Atlantis

Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954188-72-7

null-papier.de/415

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Buch 1

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

Buch 2

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Zu­erst er­schie­nen: 1912

Buch 1

1

Der deut­sche Post- und Schnell­damp­fer »Ro­land« ver­ließ Bre­men am 23. Ja­nu­ar 1892. Er war ei­nes der äl­te­ren Schif­fe der Nord­deut­schen Schif­fahrts­ge­sell­schaft un­ter de­nen, die den Ver­kehr mit New York ver­mit­tel­ten.

Die Be­man­nung des Schif­fes be­stand aus dem Ka­pi­tän, vier Of­fi­zie­ren, sechs Ma­schi­nis­ten, ei­nem Pro­vi­ant- und ei­nem Zahl­meis­ter, ei­nem Pro­vi­ant- und ei­nem Zahl­meis­ter-As­sis­ten­ten, dem Obers­te­ward, dem zwei­ten Ste­ward, dem Ober­koch und dem zwei­ten Koch und schließ­lich dem Arzt. – Au­ßer die­sen Leu­ten, de­nen das Wohl des ge­wal­ti­gen schwim­men­den Hau­ses an­ver­traut war, wa­ren Ma­tro­sen, Ste­wards, Ste­war­des­sen, Kü­chen­ge­hil­fen, Koh­len­zie­her und an­de­re An­ge­stell­te an Bord, meh­re­re Schiffs­jun­gen und eine Kran­ken­pfle­ge­rin.

Das Schiff führ­te von Bre­men aus nicht mehr als hun­dert Ka­jüt­pas­sa­gie­re. Das Zwi­schen­deck war mit etwa vier­hun­dert Men­schen be­legt.

Auf die­sem Schiff wur­de für Fried­rich von Kam­ma­cher von Pa­ris aus te­le­gra­phisch ein Ka­jüt­platz be­legt. Eile tat not. Der jun­ge Mann muß­te, kaum an­dert­halb Stun­den, nach­dem ihm ein Platz ge­si­chert war, den Schnell­zug be­stei­gen, mit dem er dann ge­gen zwölf Uhr nachts in Le Ha­vre an­lang­te. Von hier aus trat er die Über­fahrt nach Southamp­ton an, die ohne Zwi­schen­fall vor sich ging und die er in der Koje ei­nes schreck­li­chen Schlaf­saa­l­es ver­schlief.

Bei Mor­gen­grau­en war er an Deck, als die Küs­ten Eng­lands sich, ei­ni­ger­ma­ßen ge­spens­tisch, mehr und mehr an­nä­her­ten, bis schließ­lich der Damp­fer in den Ha­fen Southamp­tons ein­lief, wo Fried­rich den »Ro­land« er­war­ten soll­te.

Im Schiffs­bü­ro sag­te man ihm, es lie­ge am Kai ein klei­ner Sa­lon­damp­fer zur Ab­fahrt be­reit, die dann er­fol­ge, so­bald der »Ro­land« drau­ßen ge­sich­tet wer­de. Man emp­fahl Herrn von Kam­ma­cher, sich ge­gen Abend mit Sack und Pack auf eben­die­sem Sa­lon­damp­fer­chen ein­zu­fin­den.

Er hat­te nun vie­le mü­ßi­ge Stun­den vor sich, in ei­ner frem­den und öden Stadt. Da­bei war es kalt, zehn Grad un­ter Null. Er ent­schloß sich, ein Gast­haus auf­zu­su­chen und, wenn ir­gend mög­lich, einen be­trächt­li­chen Teil der Zeit zu ver­schla­fen.

In ei­nem Schau­fens­ter sah er Zi­ga­ret­ten von Si­mon Arzt in Port Said aus­ge­legt. Er ging in den klei­nen La­den, den ge­ra­de eine Magd aus­kehr­te, und kauf­te meh­re­re hun­dert Stück da­von.

Dies war ei­gent­lich mehr ein Akt der Pie­tät, als daß er be­son­de­re Rau­cher­freu­den ge­sucht hät­te.

Fried­rich von Kam­ma­cher trug ein Por­te­feuil­le aus Kro­ko­dils­haut in der Brust­ta­sche. Die­ses Por­te­feuil­le ent­hielt, un­ter and­ren Pa­pie­ren, auch einen Brief, den Fried­rich vor kaum vier­und­zwan­zig Stun­den er­hal­ten hat­te. Er lau­te­te so:

Lie­ber Fried­rich!

Es hat nichts ge­hol­fen. Ich bin aus dem Sa­na­to­ri­um im Harz als ein ver­lo­re­ner Mann in das Haus mei­ner El­tern zu­rück­ge­kehrt. Die­ser ver­fluch­te Win­ter im Heu­scheu­er­ge­bir­ge! Ich hät­te nicht sol­len nach mei­ner Rück­kehr aus tro­pi­schen Ge­gen­den gleich ei­nem sol­chen Win­ter in die Klau­en ge­ra­ten. Das Schlimms­te war al­ler­dings der Pelz mei­nes Kol­le­gen, die­ses ver­fluch­te Mö­bel, das der Ober­teu­fel in der Höl­le be­son­ders ver­bren­nen soll und dem ich den gan­zen Hun­de­jam­mer ver­dan­ke. Leb­wohl! Ich habe mich na­tür­lich auch mit Tu­ber­ku­lin sprit­zen las­sen und dar­auf­hin be­trächt­lich Ba­zil­len ge­spuckt. En­fin: es sind noch ge­nug zu­rück­ge­blie­ben, um mir den bal­di­gen Exi­tus le­ta­lis zu ge­währ­leis­ten.

Nun aber das We­sent­li­che, mein gu­ter Freund. Ich muß mei­nen Nach­laß re­geln. Da fin­de ich nun, ich schul­de Dir drei­tau­send Mark. Du hast es mir sei­ner­zeit er­mög­licht, mein ärzt­li­ches Stu­di­um zu vollen­den, das mich nun al­ler­dings recht elend im Sti­che läßt. Doch da­für kannst Du na­tür­lich nichts, und es ist auch ku­ri­os ge­nug, daß jetzt, wo al­les ver­lo­ren ist, mich ge­ra­de die schlim­me Er­kennt­nis be­son­ders quält, Dir lei­der gar nichts ver­gel­ten zu kön­nen. – Sieh mal: mein Va­ter ist ein städ­ti­scher Haupt­leh­rer, der selt­sa­mer­wei­se et­was er­spart, aber da­für auch, ohne mich, fünf un­ver­sorg­te Kin­der hat. Er be­trach­te­te mich als sein Ka­pi­tal und wand­te an mich bei­na­he mehr, als zu­läs­sig war, in der Hoff­nung auf reich­li­che Zin­sen. Heu­te sieht er, als prak­ti­scher Mann, Ka­pi­tal und Zin­sen ver­lo­ren.

Kurz, er ängs­tet sich vor Ver­bind­lich­kei­ten, die lei­der nicht mit mir hin­über­ge­hen in die – pfui! pfui! pfui! (drei­mal aus­spu­cken!) – bes­se­re Welt. Was soll ich tun? Wür­dest Du auf die Rück­zah­lung mei­ner Schuld ver­zich­ten kön­nen?

Üb­ri­gens war ich schon ei­ni­ge Male fast hin­über, al­ter Freund. Und es blei­ben für Dich Auf­zeich­nun­gen über den Ver­lauf sol­cher Zu­stän­de, die viel­leicht wis­sen­schaft­lich nicht ohne In­ter­es­se sind. Soll­te es mir, nach dem großen Mo­ment, aus dem Jen­seits ir­gend mög­lich sein, mich be­merk­lich zu ma­chen, so hörst Du spä­ter noch mehr von mir.

Wo bist Du ei­gent­lich? Le­be­wohl! In den ful­mi­nan­ten Or­gi­en mei­ner nächt­li­chen Träu­me schau­kelst Du näm­lich im­mer auf ho­her See. Willst Du viel­leicht auch See­rei­sen ma­chen?

Es ist Ja­nu­ar. Liegt nicht we­nigs­tens ein ge­wis­ser Vor­teil dar­in, wenn man das April­wet­ter nicht mehr zu fürch­ten braucht? – Ich drück’ Dir die Hand, Fried­rich Kam­ma­cher!

Dein Ge­org Ras­mus­sen

Die­sen Brief hat­te der Emp­fän­ger von Pa­ris aus so­gleich te­le­gra­phisch be­ant­wor­tet, in ei­nem Sin­ne, der dem he­ro­isch ster­ben­den Sohn die Sor­ge um sei­nen ge­sun­den Va­ter vom Her­zen nahm.

Im Rea­ding-room von Hof­manns Ho­tel am Ha­fen schrieb Fried­rich die Ant­wort für den ster­ben­den Freund:

Lie­ber Al­ter!

Mei­ne Fin­ger sind klamm. Ich tau­che eine ge­bors­te­ne Fe­der un­er­müd­lich in schim­me­li­ge Tin­te. Wenn ich aber nun nicht schrei­be, so kannst Du frü­her als in drei Wo­chen von mir kei­ne Nach­richt er­hal­ten: denn ich gehe heut abend an Bord des »Ro­land« von der Nord­deut­schen Schif­fahrts­ge­sell­schaft.

Dei­ne Träu­me schei­nen mir wirk­lich nicht ohne zu sein, denn es ist ganz aus­ge­schlos­sen, daß Dir je­mand von mei­ner See­rei­se et­was ver­ra­ten ha­ben kann. Zwei Stun­den, be­vor Dein Brief mich er­reich­te, wußt’ ich ja selbst noch nichts da­von.

Über­mor­gen jährt sich der Tag, wo Du nach Dei­ner zwei­ten Welt­rei­se di­rekt von Bre­men zu uns in die Heu­scheu­er kamst, einen Sack voll Ge­schich­ten, Pho­to­gra­phien und die Zi­ga­ret­ten von Si­mon Arzt mit­brach­test. Ich hat­te kaum den Bo­den Eng­lands be­tre­ten, als ich un­se­re ge­lieb­te Mar­ke, zwan­zig Schritt weit vom Lan­dungs­platz, im Schau­fens­ter fand. Na­tür­lich kauf­t’ ich sie, und zwar so­gleich mas­sen­wei­se, und rau­che so­gar eben eine zur Erin­ne­rung. Lei­der wird der ent­setz­li­che Rea­ding-room, in dem ich schrei­be, nicht wär­mer da­von.

Vier­zehn Tage warst Du bei uns, da poch­te in ei­ner Win­ter­nacht an mei­ne Haus­tür das Schick­sal an. Gleich stürm­ten wir bei­de vor die Türe, und da ha­ben wir uns er­käl­tet, wie es scheint. Was mich be­trifft, so habe ich heut mein Haus ver­kauft, mei­ne Pra­xis auf­ge­ge­ben, mei­ne drei Kin­der in Pen­si­on ge­schafft; und was mei­ne Frau be­trifft, so wirst Du ja wis­sen, was über sie her­ein­ge­bro­chen ist.

Teu­fel noch­mal! es ist manch­mal hübsch gru­se­lig, zu­rück­zu­den­ken. Es war uns bei­den doch ei­gent­lich recht, als Du die Ver­tre­tung un­se­res kran­ken Kol­le­gen be­kamst. Ich sehe Dich noch in sei­nem Fuchs­pelz und Schlit­ten auf der Pra­xis her­um­gon­deln. Und als er starb, da hat­te ich ei­gent­lich nichts da­ge­gen, Dich als bie­de­ren Land­arzt in un­mit­tel­ba­rer Nähe an­säs­sig zu se­hen: ob­gleich wir uns über eine sol­che Land­arzt-Hun­ger­pra­xis von je­her ge­hö­rig lus­tig mach­ten.

Nun, al­les ist recht sehr an­ders ge­kom­men.

Weißt Du noch, mit wel­cher Mo­no­to­nie wir un­se­re Wit­ze über die Gold­am­mern mach­ten, die da­mals scha­ren­wei­se in die ver­schnei­te Heu­scheu­er ein­fie­len? Man nä­her­te sich ei­nem kah­len Strauch oder Baum, und plötz­lich war’s, als ob er sich schüt­tel­te und zahl­lo­se gol­de­ne Blät­ter um sich stäub­te und ab­wür­fe. Wir deu­te­ten das auf Ber­ge von Gold. – Des Abends speis­ten wir dann auch Gold­am­mern, weil sie von Sonn­tags­jä­gern in Men­ge an­ge­bo­ten und von mei­ner schnaps­fro­hen Kö­chin vor­züg­lich ge­bra­ten wur­den. Du schwu­rest da­mals, Du blie­best nicht Arzt, au­ßer der Staat stel­le Dir die Vor­rä­te ei­nes rie­si­gen Ma­ga­zins zur Ver­fü­gung, arme Kran­ke mit Mehl, Wein, Fleisch und al­lem Nö­ti­gen zu ver­sor­gen. Und nun hat Dir da­für der böse Dä­mon der Ärz­te­zunft was aus­ge­wischt. Aber Du mußt mir wie­der ge­sund wer­den!

Ich rei­se jetzt nach Ame­ri­ka. Wa­rum? das wirst Du er­fah­ren, wenn wir uns wie­der­se­hen. Ich kann mei­ner Frau, die bei Bins­wan­ger ist, also in aus­ge­zeich­ne­ter Pfle­ge, nichts mehr nüt­zen. Ich habe sie vor drei Wo­chen be­sucht. Sie hat mich nicht ein­mal wie­der­er­kannt. – Im üb­ri­gen habe ich mit dem Ärz­te­be­ruf, auch mit der bak­te­rio­lo­gi­schen For­schung, tat­säch­lich ab­ge­schlos­sen. Du weißt, es ist mir ein Un­glück pas­siert. Mein wis­sen­schaft­lich ge­ach­te­ter Name ist ein biß­chen schlimm zer­zaust wor­den. Es wird be­haup­tet, ich hät­te statt des Milz­brander­re­gers Fä­ser­chen im Farb­stoff un­ter­sucht und in mei­ner Ar­beit be­schrie­ben. Es kann ja sein, doch ich glau­be es nicht. Schließ­lich und end­lich ist es mir gleich­gül­tig.

Ich bin mit­un­ter recht an­ge­wi­dert von den Hans­wurs­tia­den die­ser Welt: da­durch füh­le ich mich dem eng­li­schen Spleen sehr na­he­ge­rückt. Bei­na­he die gan­ze Welt, je­den­falls aber Eu­ro­pa ist für mich eine ste­hen­ge­blie­be­ne kal­te Schüs­sel auf ei­nem Bahn­hofs­bü­fett, die mich nicht mehr reizt.

Dok­tor Fried­rich von Kam­ma­cher gab die­sem Brief einen herz­li­chen Ab­schluß, adres­sier­te und über­reich­te ihn ei­nem deut­schen Haus­knecht zur Be­för­de­rung. Hier­auf stieg er in sein Zim­mer hin­auf, des­sen Fens­ter ge­fro­ren wa­ren, und leg­te sich bei ei­si­ger Tem­pe­ra­tur in ein großes, fros­ti­ges Dop­pel­bett hin­ein.

Der Zu­stand ei­nes Rei­sen­den, der eine nächt­li­che Über­fahrt hin­ter sich hat und im Be­grif­fe steht, die Rei­se über den Ozean an­zu­tre­ten, ist an sich nicht be­nei­dens­wert. Al­lein die Ver­fas­sung, in der sich der jun­ge Arzt be­fand, ent­hielt ein Wirr­sal von schmerz­li­chen, zum Teil ein­an­der be­kämp­fen­den Erin­ne­run­gen. Sie tra­ten vor sein Be­wußt­sein, ein­an­der ver­drän­gend, in ei­ner un­abläs­si­gen Jagd. Er wäre gern ein­ge­schla­fen, um für die kom­men­den neu­en Din­ge ein we­nig ge­stärkt zu sein, aber er sah, mit of­fe­nen Au­gen oder die Li­der dar­über de­ckend, al­les in glei­cher Hel­lig­keit.

Sein Le­ben hat­te sich durch ein Jahr­zehnt, vom zwan­zigs­ten bis zum drei­ßigs­ten Jahr, auf bür­ger­li­che Wei­se ent­wi­ckelt. Ei­fer und große Be­fä­hi­gung in sei­ner be­son­de­ren Wis­sen­schaft tru­gen ihm die Pro­tek­ti­on großer Leh­rer ein. Er war As­sis­tent bei Koch ge­we­sen. Aber auch bei des­sen Geg­ner Pet­ten­ko­fer in Mün­chen hat­te er eine Rei­he von Se­mes­tern zu­ge­bracht.

So kam es, daß er, so­wohl in Mün­chen als in Ber­lin, auch sonst in Krei­sen der bak­te­rio­lo­gi­schen Wis­sen­schaft, als ei­ner der fä­higs­ten Köp­fe galt, des­sen Kar­rie­re ei­gent­lich nicht mehr in Zwei­fel stand. Höchs­tens trug ihm eine ge­wis­se Nei­gung zur Schön­geis­te­rei bei den tro­ckenen Her­ren Kol­le­gen hie und da lei­se-be­denk­li­ches Kopf­schüt­teln ein.

Heut, nach­dem die ver­un­glück­te Ar­beit Fried­rich von Kam­ma­chers er­schie­nen war und das große Fias­ko er­lit­ten hat­te, hieß es in Fach­krei­sen all­ge­mein: Zer­split­te­rung durch Ne­ben­in­ter­es­sen hät­te den jun­gen, hoff­nungs­vol­len Geist zur Selbst­ver­nich­tung ge­führt.

Fried­rich war ei­gent­lich nach Pa­ris ge­reist, um eine Lei­den­schaft los­zu­wer­den, aber ihr Ge­gen­stand, die sech­zehn­jäh­ri­ge Toch­ter ei­nes Man­nes aus der Ar­tis­ten­welt, hielt ihn fest. Sei­ne Lie­be war eine Krank­heit ge­wor­den, und die­se Krank­heit hat­te des­halb viel­leicht einen so ho­hen Grad er­reicht, weil der Be­fal­le­ne nach den trü­ben Vor­fäl­len jüngst ver­gan­ge­ner Zeit für das Gift der Lie­be be­son­ders emp­fäng­lich war.

Das ge­rin­ge Ge­päck Dok­tor von Kam­ma­chers deu­te­te nicht auf eine sorg­fäl­tig vor­be­rei­te­te See­rei­se. Der Ent­schluß dazu wur­de in ei­nem Verzweif­lungs­rau­sche ge­faßt oder ei­gent­lich mehr durch einen lei­den­schaft­li­chen Aus­bruch er­zwun­gen: als die Nach­richt kam, der Ar­tist und sei­ne Toch­ter hät­ten sich am drei­und­zwan­zigs­ten Ja­nu­ar in Bre­men auf dem Post- und Schnell­damp­fer »Ro­land«, mit dem Ziel New York, ein­ge­schifft.

2

Der Rei­sen­de hat­te nur etwa eine Stun­de be­klei­det im Bett ge­le­gen, als er auf­stand, sich, nach­dem er das Eis des Wasch­kru­ges ein­ge­schla­gen, ein we­nig wusch und in die un­te­ren Räu­me des klei­nen Ho­tels hin­un­ter­stieg. Im Rea­ding-room saß eine ju­gend­lich-hüb­sche Eng­län­de­rin. Ein we­ni­ger hüb­scher und we­ni­ger jun­ger is­rae­li­ti­scher Kauf­mann trat her­ein, der sich bald als Deut­scher ent­pupp­te. Die Öde der War­te­zeit be­wirk­te die An­nä­he­rung. Der Deut­sche war in Ame­ri­ka an­säs­sig und woll­te mit dem »Ro­land« über den großen Teich dort­hin zu­rück.

Die Luft war grau, das Zim­mer kalt, die jun­ge Dame schritt un­ru­hig auf und ab, an dem un­ge­heiz­ten Ka­min vor­über, und das Ge­spräch der neu­en Be­kann­ten ver­lor sich bald in Ein­sil­big­keit.

Die Zu­stän­de ei­nes un­glück­lich Lie­ben­den sind für sei­ne Um­ge­bung ent­we­der ver­bor­gen oder lä­cher­lich. Ein sol­cher Mensch wird ab­wech­selnd von lich­ten Il­lu­sio­nen ver­zückt oder von dunklen ge­fol­tert. Ru­he­los trieb es den jun­gen Nar­ren der Lie­be trotz Wind und Käl­te ins Freie hin­aus und durch die Stra­ßen und Gas­sen des Ha­fen­städt­chens. Er dach­te dar­an, wie ihn sein Lands­mann an­deu­tungs­wei­se nach dem Zweck sei­ner Rei­se aus­ge­forscht und wie er sel­ber, nicht ohne Ver­le­gen­heit, ei­ni­ges hat­te vor­brin­gen müs­sen, um nur mit sei­nem ge­hei­men Zweck nicht preis­ge­ge­ben zu sein. Von jetzt ab wür­de er sa­gen, be­schloß er bei sich, falls etwa wie­der­um Fra­ger sich zu­dräng­ten, er rei­se hin­über, um den Nia­ga­ra und den Yel­low­sto­ne-Park zu se­hen und da­bei einen Stu­di­en­freund zu be­su­chen.

Wäh­rend des schweig­sa­men Mit­ta­ges­sens im Ho­tel wur­de be­kannt, daß der »Ro­land« wahr­schein­lich be­reits ge­gen fünf bei den Need­les ein­tref­fen wer­de. Nach­dem Fried­rich mit sei­nem neu­en Be­kann­ten, der für sein ei­ge­nes Ge­schäft in der Kon­fek­ti­ons­bran­che reis­te, Kaf­fee ge­trun­ken und ei­ni­ge Zi­ga­ret­ten von Si­mon Arzt ge­raucht hat­te, be­ga­ben sich bei­de Her­ren, mit al­lem Ge­päck, auf den Sa­lon­damp­fer, der üb­ri­gens sei­nem pom­pö­sen Ti­tel durch­aus nicht ent­sprach.

Hier gab es nun einen stun­den­lan­gen, höchst un­ge­müt­li­chen Auf­ent­halt, wäh­rend der nied­ri­ge Schorn­stein schwar­zen Qualm in den schmut­zi­gen gel­ben Ne­bel, der al­les be­drück­te, auf­stei­gen ließ. Von Zeit zu Zeit klang die Schau­fel des Hei­zers aus dem Ma­schi­nen­raum. Nach und nach ka­men fünf oder sechs Pas­sa­gie­re, alle recht schweig­sam, mit ih­ren Ge­päck­trä­gern. Die Ka­jü­te des Ten­ders lag über Deck. Im In­nern, un­ter den Fens­tern – ei­gent­lich war der Raum ein Glas­kas­ten –, lief eine Bank mit ro­ten Plüsch­pols­tern.

Kei­ner der Rei­sen­den hat­te Ruhe ge­nug, sich ir­gend­wo dau­ernd nie­der­zu­las­sen. Die Un­ter­hal­tung ge­sch­ah in ei­nem bäng­li­chen Flüs­ter­ton. Drei jun­ge Da­men – die mit­tels­te war jene jun­ge Eng­län­de­rin aus dem Rea­ding-room – gin­gen un­er­müd­lich hin und her, der gan­zen Län­ge nach durch die Ka­jü­te, mit blei­chen Ge­sich­tern und fort­wäh­rend tu­schelnd.

»Ich ma­che die Rei­se hin und zu­rück schon zum acht­zehn­ten Mal«, er­klär­te jetzt plötz­lich un­ge­fragt der Kon­fek­ti­ons­kauf­mann.

Je­mand er­wi­der­te: »Lei­den Sie an der See­krank­heit?«

»Ich bin«, gab der Kon­fek­tio­när zu­rück, »und zwar je­des­mal, kaum daß ich das Schiff be­tre­ten habe, eine Lei­che.«

End­lich, nach lan­gem, ver­geb­li­chem War­ten, schi­en sich im In­nern des Ten­ders und an sei­nem Steu­er et­was vor­zu­be­rei­ten. Die drei Da­men um­arm­ten und küß­ten ein­an­der. Die mit­tels­te, hüb­sche­s­te, die aus dem Rea­ding-room, blieb auf dem Schif­fe zu­rück, die an­dern faß­ten Fuß auf der Kai­mau­er.

Aber das Ten­der­chen woll­te noch im­mer nicht in Be­we­gung ge­ra­ten. End­lich wur­den die Tros­sen von den ei­ser­nen Rin­gen der Kai­mau­er los­ge­macht. Es gell­te ein herz­zer­rei­ßen­der Pfiff, und die Schrau­be be­gann, wie zur Pro­be, lang­sam das schwar­ze Was­ser zu quir­len. In­zwi­schen war rings­um die Nacht, stock­fins­ter, zur Herr­schaft ge­langt.

Im letz­ten Au­gen­blick wur­den Fried­rich noch ei­ni­ge Te­le­gram­me über­bracht. Sei­ne El­tern wünsch­ten ihm glück­li­che Rei­se. Sein Bru­der hat­te ei­ni­ge herz­li­che Wor­te auf­ge­setzt. Zwei an­de­re De­pe­schen stamm­ten die eine von sei­nem Ban­kier, die an­de­re von sei­nem Rechts­an­walt.

Nun hat­te der jun­ge Dok­tor von Kam­ma­cher we­der einen Freund noch einen Ver­wand­ten, nicht ein­mal einen Be­kann­ten am Kai von Southamp­ton zu­rück­ge­las­sen, und doch ent­stand, so­bald er fühl­te, wie das Ten­der­chen in Be­we­gung kam, ein Sturm in ihm. Er hät­te nicht sa­gen kön­nen, ob es ein Sturm des Wehs, der Qual, viel­leicht der Verzweif­lung war oder ein Sturm der Hoff­nung un­end­li­chen Glücks.

Es scheint, daß der Le­bens­gang un­ge­wöhn­li­cher Män­ner von Jahr­zehnt zu Jahr­zehnt in eine ge­fähr­li­che Kri­se tritt. In ei­ner sol­chen Kri­se wer­den an­ge­sam­mel­te Krank­heits­s­tof­fe ent­we­der über­wun­den und aus­ge­schie­den, oder der Or­ga­nis­mus, der sie be­her­bergt, un­ter­liegt. Oft ist ein sol­ches Un­ter­lie­gen der leib­li­che Tod, zu­wei­len aber auch nur der geis­ti­ge. Und wie­der­um eine der wich­tigs­ten und für den Be­trach­ter be­wun­de­rungs­wür­digs­ten Kri­sen ist die an der Wen­de des drit­ten und vier­ten Jahr­zehnts. Schwer­lich wird die Kri­se vor dem drei­ßigs­ten Jah­re ein­set­zen, da­ge­gen wird es öf­ter vor­kom­men, daß sie sich bis zur Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re, ja dar­über hin­aus ver­zö­gert: denn es ist zu­gleich eine große Abrech­nung, eine fun­da­men­ta­le Bilanz des Le­bens, die man ger­ne so­lan­ge als ir­gend tun­lich lie­ber hin­aus­schie­ben als etwa zu früh in An­griff neh­men wird.

Es wür­de nicht aus­zu­drücken sein, in wel­chem Um­fang Fried­rich sein gan­zes bis­he­ri­ges Le­ben ins Be­wußt­sein trat, nach­dem er den Bo­den Eu­ro­pas ver­las­sen hat­te. Im Lich­te die­ses äu­ße­ren Ab­schieds stand gleich­sam ein gan­zer Welt­teil der ei­ge­nen See­le da: und zwar hieß es hier nicht auf Wie­der­se­hen, son­dern der Ver­lust war für im­mer be­sie­gelt. Was Wun­der, wenn in die­sen Au­gen­bli­cken Fried­richs gan­zes We­sen, fast bis zur Halt­lo­sig­keit, er­schüt­tert schi­en.

3

Rings um den klei­nen Damp­fer preß­te sich di­cke Fins­ter­nis. Die Ha­fen­lich­ter wa­ren ver­schwun­den. Die Nuß­scha­le mit dem glä­ser­nen Pa­vil­lon fing be­trächt­lich zu schau­keln an. Da­bei pfiff und heul­te der Wind durch die Fu­gen. Zu­wei­len zwang er den klei­nen Damp­fer stil­le­zu­ste­hen. Plötz­lich schrie die Dampf­pfei­fe meh­re­re­mal, und wie­der­um ging es mit ir­gend­ei­nem Kurs wei­ter ins schwar­ze Dun­kel vor­wärts.

Das Klap­pern der Fens­ter, das Be­ben des Schiffs­kör­pers, die gur­geln­de, un­ter­ir­di­sche Wühl­ar­beit des Pro­pel­lers, ver­bun­den mit den plär­ren­den, pfei­fen­den, heu­len­den Tö­nen des Win­des, der das Schiff auf die Sei­te leg­te: dies al­les zu­sam­men er­zeug­te in den Rei­sen­den einen Zu­stand äu­ßers­ter Un­be­hag­lich­keit. Im­mer wie­der, als wenn es nicht aus noch ein wüß­te, stopp­te das Dampf­boot, ließ den spit­zen und gel­len­den Laut der Pfei­fe er­tö­nen, den mit­un­ter die wil­de Be­we­gung des schwar­zen Luft­meers so völ­lig er­stick­te, daß er nur noch wie das hilflo­se Hau­chen ei­ner hei­se­ren Keh­le klang – und ging dann mit­un­ter rück­wärts, mit­un­ter vor­wärts, bis es wie­der­um rat­los lie­gen­blieb, vom Schwall der Wo­gen ge­dreht und em­por­ge­ho­ben, schein­bar ver­lo­ren und ver­sun­ken in ewi­ger Fins­ter­nis.

Mit ei­nem Male er­dröhn­te es dann, quirl­te das Was­ser, ließ ge­wal­tig zi­schen­de Dämp­fe aus, pfiff, schreck­lich und angst­voll, ein­mal, zwei­mal – Fried­rich von Kam­ma­cher zähl­te sie­ben­mal – und hat­te plötz­lich sei­ne höchs­te Ge­schwin­dig­keit, als ob es dem Sa­tan ent­lau­fen woll­te, – und jetzt, auf ein­mal, wand­te es sich und lag vor ei­ner ge­wal­ti­gen Vi­si­on, un­ter ei­ner Fül­le von Licht.

Der »Ro­land« war bei den Need­les an­ge­langt und hat­te sich vor den Wind ge­legt. Im Schut­ze sei­ner mäch­ti­gen Breit­sei­te schi­en das Damp­fer­chen wie in einen taghell be­leuch­te­ten Ha­fen ge­langt. Der Ein­druck, den die über­ra­schen­de Ge­gen­wart des ge­wal­ti­gen Ozean­über­win­ders in Fried­rich her­vor­brach­te, glich ei­nem For­tis­si­mo von höchs­ter Kraft.

Noch nie hat­te Fried­rich vor der Macht des mensch­li­chen In­ge­ni­ums, vor dem ech­ten Geis­te der Zeit, in der er stand, einen glei­chen Re­spekt ge­fühlt wie beim An­blick die­ser schwarz aus dem schwar­zen Was­ser stei­gen­den rie­si­gen Wand, die­ser un­ge­heu­ren Fassa­de, die aus end­lo­sen Rei­hen runder Lu­ken Licht­strö­me auf eine schäu­men­de Aue vor dem Win­de ge­schütz­ter Flu­ten warf.

Ma­tro­sen wa­ren da­mit be­schäf­tigt, an der Flan­ke des »Ro­land« die Fall­reep­trep­pe her­un­ter­zu­las­sen. Fried­rich konn­te be­mer­ken, wie oben an Deck, wo sie mün­de­te, zum Empfan­ge der neu­en Pas­sa­gie­re be­reit, eine zahl­rei­che Grup­pe uni­for­mier­ter Schiffs­be­diens­te­ter stand. Wäh­rend nun je­der im In­nern des klei­nen Sa­lon­damp­fers, von plötz­li­cher Hast er­grif­fen, sich sei­nes Ge­päcks ver­si­cher­te, be­herrsch­te den jun­gen Arzt das gan­ze Er­eig­nis mit der Kraft der Er­ha­ben­heit. Es war nicht mög­lich, an­ge­sichts die­ser gi­gan­ti­schen Aben­teu­er­lich­keit die Über­zeu­gung von der Nüch­tern­heit mo­der­ner Zi­vi­li­sa­ti­on auf­recht zu hal­ten. Hier wur­de je­dem eine ver­weg­ne Ro­man­tik auf­ge­drängt, mit der ver­gli­chen die Träu­me­rei­en der Dich­ter ver­blaß­ten.

Wäh­rend das Ten­der­chen sich, ko­kett auf dem schwel­len­den Gisch­te tan­zend, halb schwe­bend der Fall­reep­trep­pe nä­her­te, fing hoch oben an Deck des »Ro­land« die Mu­sik­ka­pel­le zu kon­zer­tie­ren an. Es war eine flot­te, ent­schlos­se­ne Mar­sch­wei­se, von je­ner krie­ge­ri­schen und zu­gleich re­si­gnie­ren­den Art, wie sie den Sol­da­ten in den Kampf, das heißt zum Sie­ge oder zum Tode führt. Ein sol­ches Or­che­s­ter von Blas­in­stru­men­ten, Be­cken, Trom­meln und Pau­ke hat­te nur noch ge­fehlt, um die Ner­ven des jun­gen Arz­tes gleich­sam in einen feu­ri­gen Re­gen auf­zu­lö­sen.

Es war nicht zu ver­ken­nen, daß die­se Mu­sik, die aus der Höhe in die Nacht und auf das ma­nö­vrie­ren­de Ten­der­chen her­un­ter­scholl, mit der Ab­sicht ver­an­stal­tet wur­de, die Ängs­te zag­haf­ter See­len zu be­täu­ben. Drau­ßen lag der un­end­li­che Ozean. – Man konn­te nicht an­ders in ei­nem sol­chen Au­gen­blick, als ihn nächt­lich und fins­ter vor­stel­len! – eine furcht­ba­re Macht, die dem Men­schen und dem Wer­ke des Men­schen feind­lich ist. Nun aber rang sich aus der Brust des »Ro­land«, von den Tie­fen des Bas­ses auf­stei­gend stär­ker und stär­ker ein un­ge­heu­rer Laut, ein Ruf, ein Ge­brüll, ein Don­ner her­vor, von ei­ner Furcht­bar­keit und Ge­walt, die das Blut im Her­zen sto­cken mach­te. Nun, lie­ber Ro­land, schoß es Fried­rich durch den Sinn, du bist ein Kerl, der es mit dem Ozean auf­neh­men wird. Da­mit stell­te er sei­nen Fuß auf die Reep­trep­pe. Er hat­te ver­ges­sen, was er bis­her ge­we­sen und wes­halb er hier­her­ge­kom­men war!

Als er un­ter den wil­den Rhyth­men der Ban­de die obers­te Spros­se der Trep­pe er­reicht hat­te und end­lich auf dem ge­räu­mi­gen Deck un­ter dem grel­len Licht ei­ner Bo­gen­lam­pe stand, war er er­staunt, wie vie­len ver­trau­en­er­we­cken­den Männer­ge­stal­ten er sich ge­gen­über­be­fand. Es war eine Samm­lung präch­ti­ger Men­schen, vom Of­fi­zier bis zum Ste­ward her­ab, al­les große und aus­er­le­se­ne Leu­te, dazu von ei­nem Ge­sichts­schnitt, der eben­so kühn als schlicht, eben­so klug als treu­her­zig an­mu­te­te. Fried­rich von Kam­ma­cher sag­te sich, daß es doch wohl noch et­was wie eine deut­sche Na­ti­on gebe, und fühl­te zu­gleich Stolz und ver­trau­en­de Si­cher­heit. Ja, eine der Stüt­zen die­ses Ge­fühls war die über­aus son­der­ba­re Mei­nung, die flüch­tig in sei­ner See­le auf­tauch­te, daß un­ser Herr­gott sich nie­mals ent­schlie­ßen wer­de, eine sol­che Aus­le­se ed­ler und pflicht­ge­treu­er Men­schen wie jun­ge Kat­zen im Meer zu er­trän­ken.

Er wur­de al­lein in ei­ner Ka­bi­ne zu zwei Bet­ten un­ter­ge­bracht, und bald dar­auf saß er, aufs bes­te be­dient, an dem einen Ende der huf­ei­sen­för­mi­gen Ta­fel im Spei­se­saal. Man aß und trank, aber es ging, da das ei­gent­li­che Di­ner schon vor­über war, nicht sehr leb­haft zu in dem nied­ri­gen, wei­ten, lee­ren Rau­me, un­ter der klei­nen Ge­sell­schaft der Nach­züg­ler, weil je­der er­mü­det und hin­rei­chend mit sich sel­ber be­schäf­tigt war.

Wäh­rend des Es­sens wur­de es Fried­rich schwer, sich vor­zu­stel­len, daß er nun wirk­lich auf der Fahrt nach Ame­ri­ka, ja über­haupt auf ei­ner Fahrt be­grif­fen war. Das kaum be­merk­li­che lei­se Er­be­ben des Ge­bäu­des, in dem er war, er­schi­en zu ge­ring, um als Begleiter­schei­nung ei­ner Fort­be­we­gung ge­deu­tet zu wer­den. Es kam ihn, als er sei­ner Ge­wohn­heit ge­mäß ei­ni­ge Glä­ser Wein zu sich ge­nom­men hat­te, eine Emp­fin­dung ru­he­vol­len Be­ha­gens an, ein woh­li­ger Zu­stand der Er­schöp­fung. Wie wun­der­lich, dach­te er, im si­che­ren Vor­ge­fühl ei­nes fes­ten Schlafs, daß ich seit Wo­chen, ja Mon­den zum ers­ten­mal ge­ra­de hier, auf die­sem rast­lo­sen Oze­an­durch­pflü­ger, Stun­den der Ruhe und der Ent­span­nung fin­den soll.

Er hat­te denn auch zehn Stun­den lang wie ein Kind in der Mut­ter Wie­ge ge­schla­fen, als er die Au­gen wie­der öff­ne­te und im­mer noch et­was wie einen se­li­gen Frie­den emp­fand. Sein ers­ter Ge­dan­ke war je­nes Mäd­chen, das nun auf vie­le Tage und Näch­te hin­aus durch die glei­che ge­räu­mi­ge schwim­men­de Her­ber­ge zu Leid und Freu­de mit ihm ver­bun­den blieb. Fried­rich strei­chel­te über die Wän­de, die gleich­sam ein lei­ten­des Me­di­um wur­den, durch das er mit der Ge­lieb­ten in Berüh­rung kam und aus dem der le­ben­di­ge Odem ih­res We­sens in ihn ein­ström­te.

Fried­rich be­fand sich im Spei­se­saal, wo ihm das reich­li­che Früh­stück ser­viert wur­de, das er mit herz­haf­tem Ap­pe­tit ge­noß. Ich habe ge­schla­fen, sag­te er sich, und wie in ei­ner be­lie­bi­gen Nacht im Zu­stan­de der Be­täu­bung ge­le­gen und bin da­bei an zwei­hun­dert Mei­len über den At­lan­ti­schen Ozean vor­ge­drun­gen. Wie ei­gen­tüm­lich, wie son­der­bar!

Fried­rich ver­lang­te die Pas­sa­gier­lis­te, und als er dar­auf zwei Na­men ent­deck­te, die zu fin­den er mit voll­kom­me­ner Si­cher­heit vor­aus­set­zen muß­te, schrak er zu­sam­men, ward bleich und be­kam Herz­klop­fen.

4

So­bald Fried­rich von Kam­ma­cher die Na­men Hahl­ström und Toch­ter ge­le­sen hat­te, fal­te­te er die Lis­te zu­sam­men und blick­te sich um. Es moch­ten fünf­zehn bis zwan­zig Per­so­nen, Da­men und Her­ren, im Saa­le ver­sam­melt sein, die alle mit Es­sen be­schäf­tigt wa­ren oder den Ste­wards ihre Früh­stücks­wün­sche kund­ga­ben. Aber Fried­rich kam es vor, als ob sie alle zu kei­nem an­de­ren Zwe­cke da wä­ren, als ihn zu be­lau­ern und zu be­ob­ach­ten.

Der Spei­se­saal nahm die gan­ze Brei­te des Schif­fes ein, und sei­ne Lu­ken ver­fins­ter­ten sich von Zeit zu Zeit durch Wo­gen, die sich da­ge­gen­war­fen. Fried­rich ge­gen­über saß ein Herr in Schiff­s­uni­form, der sich ihm als Schiffs­arzt vor­stell­te. Es ent­wi­ckel­te sich so­gleich ein Fach­ge­spräch sehr leb­haf­ter Art, trotz­dem Fried­rich nicht bei der Sa­che war. Er konn­te nicht schlüs­sig dar­über wer­den, wie er sich bei der ers­ten Be­geg­nung mit Hahl­ströms ver­hal­ten soll­te.

Er half sich durch einen Selbst­be­trug, in­dem er sich sag­te, daß er gar nicht der klei­nen Hahl­ström we­gen ge­kom­men wäre, son­dern daß er die Rei­se in die Neue Welt wirk­lich nur an­ge­tre­ten habe, um sei­nen be­son­ders lie­ben Freund Pe­ter Schmidt zu be­su­chen und New York, Chi­ka­go, Wa­shing­ton, Bo­ston, den Yel­low­sto­ne-Park und die Ka­ta­rak­te des Nia­ga­ra zu se­hen. Er woll­te das auch den Hahl­ströms mit­tei­len und üb­ri­gens ih­nen ge­gen­über den Zu­fall für die­se son­der­ba­re Be­geg­nung ver­ant­wort­lich ma­chen.

Er merk­te, wie er in­ner­lich mehr und mehr an Hal­tung ge­wann. Die Ido­la­trie der Lie­be nimmt im Zu­stand der Tren­nung von dem Idol zu­wei­len einen ver­häng­nis­vol­len Um­fang an. So hat­te Fried­rich wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes in Pa­ris in ei­nem Zu­stand be­stän­di­gen Fie­bers ge­lebt, und sei­ne Sehn­sucht war auf ein un­er­träg­li­ches Maß ge­stie­gen. Es hat­te sich um das Bild der klei­nen Hahl­ström ein Nim­bus ge­legt, der das in­ne­re Auge Fried­richs auf eine so zwin­gen­de Wei­se be­wun­dernd auf sich zog, daß er für al­les an­de­re buch­stäb­lich er­blin­de­te. Die­se Il­lu­si­on war plötz­lich ge­schwun­den. Er schäm­te sich, fand sich ge­ra­de­zu lä­cher­lich, und wie er auf­stand, um zum ers­ten Male hin­auf an Deck zu ge­hen, war es ihm gar nicht an­ders zu­mut, als ob er sich aus en­gen drücken­den Fes­seln be­freit hät­te.

Die­ses Ge­fühl der Frei­heit und der Ge­sun­dung stei­ger­te sich, als der sal­zi­ge Luft­zug oben ihm herz­er­fri­schend ins In­ne­re drang. Män­ner und Frau­en la­gen auf Klapp­stüh­len in ei­nem be­dau­erns­wür­di­gen Zu­stand aus­ge­streckt. Ihre Ge­sich­ter hat­ten den grü­nen Zug ei­ner tie­fen Gleich­gül­tig­keit, und erst an die­sen Er­schei­nun­gen merk­te der jun­ge Arzt, daß der »Ro­land« nicht mehr durch­aus ge­las­sen durch glat­tes Was­ser glitt, son­dern schon merk­lich roll­te und stampf­te. Zu sei­ner ei­ge­nen Ver­wun­de­rung spür­te Fried­rich sel­ber nicht das ge­rings­te von der ge­fürch­te­ten See­krank­heit.

Er ging um den Da­men­sa­lon her­um, am Ein­gang ei­ner Ex­tra­ka­bi­ne vor­über und gab sich un­ter­halb der Kom­man­do­brücke dem stäh­ler­nen, sal­zi­gen See­win­de preis. Un­ter ihm, bis ge­gen die Spit­ze des Schif­fes hin, hat­ten es sich die Pas­sa­gie­re des Zwi­schen­decks be­quem ge­macht. Der »Ro­land«, der, wie es schi­en, mit Voll­dampf lief, ge­lang­te trotz­dem wohl kaum zur Ent­fal­tung sei­ner vol­len Ge­schwin­dig­keit. Die lan­gen Wo­gen­zü­ge, die der Wind ihm ent­ge­gen­führ­te, hin­der­ten ihn. Es war eine zwei­te Kom­man­do­brücke, wahr­schein­lich für den Not­fall, über dem un­te­ren Deck er­rich­tet, und Fried­rich fühl­te an­ge­sichts des tan­zen­den Schif­fes plötz­lich die star­ke Ver­lo­ckung, oben auf die­ser lee­ren Brücke zu stehn.

Na­tür­lich er­reg­te er ei­ni­ges Auf­se­hen, als er un­ter die Zwi­schen­deck­ler hin­ab und dann auf ei­ser­nen Spros­sen em­por in die zu­gi­ge Höhe der ei­ser­nen Brücke kroch und sich dort oben im Luft­strom auf­stell­te: aber das küm­mer­te ihn fürs ers­te nicht. Es war ihm auf ein­mal so toll, so er­frischt, so er­neu­ert zu­mut, als ob er we­der je­mals Gril­len ge­fan­gen noch un­ter den Lau­nen ei­ner ner­ven­kran­ken Gat­tin ge­lebt noch im sto­cki­gen Win­kel ei­ner Pro­vinz prak­ti­ziert hät­te. Nie­mals hat­te er, wie es ihm vor­kam, Bak­te­rio­lo­gie stu­diert, noch we­ni­ger da­mit Fias­ko ge­macht. Er war nie­mals auf eine sol­che Wei­se ver­liebt ge­we­sen, wie es noch kurz vor­her den An­schein ge­habt hat­te.

Er lach­te, den Kopf vor dem star­ken und fri­schen Stro­me des Win­des zu­rück­ge­lehnt, sog gie­rig den sal­zi­gen Hauch und war ge­ne­sen.

In die­sem Au­gen­blick scholl ein all­ge­mei­nes wil­des Ge­läch­ter vom Zwi­schen­deck zu Fried­rich her­auf; gleich­zei­tig peitsch­te ihm et­was, das er weiß und ge­wal­tig vor dem Bug des Schiffs hat­te auf­bäu­men se­hen, ins Ge­sicht, so hef­tig, daß er bei­na­he er­blin­de­te, und er fühl­te, wie er, durch­näßt bis aufs Hemd, rie­selnd von Was­ser, im Luft­zug stand. Die ers­te Wel­le war über­ge­kom­men.

Eben noch war ihm ge­we­sen, als habe er das Wi­kin­ger­tum als den ech­ten Be­ruf sei­nes Le­bens aus­ge­fun­den, und schon kroch er, in­ner­lich frös­telnd und zit­ternd, un­ter all­ge­mei­nem Ge­läch­ter, die ei­ser­ne Lei­ter wie­der hin­ab. Er hat­te noch sei­nen grau­en run­den Hut, einen so­ge­nann­ten Pra­liné, auf dem Kopf. Sein Pa­le­tot war in­nen ge­steppt und mit At­las ge­füt­tert, er trug Glacés, ele­gan­te Stie­fel aus dün­nem Che­vreau­le­der, mit Knöp­fen dar­an. Al­les die­ses war jetzt mit kal­ter sal­zi­ger Lau­ge ge­tränkt wor­den. Die Pas­sa­gie­re des Zwi­schen­decks, durch die er, hin­ter sich eine feuch­te Spur las­send, einen nicht ge­ra­de rühm­li­chen Ab­zug nahm, krümm­ten sich. Mit­ten in sei­nem Är­ger aber re­de­te Fried­rich eine Stim­me an, die ihn so­gar mit Na­men nann­te. Er woll­te sei­nen Au­gen nicht trau­en, als er auf­bli­ckend einen Kerl aus der Heu­scheu­er zu er­ken­nen glaub­te, der we­gen Trunks und al­ler­lei Un­red­lich­kei­ten im übels­ten Rufe stand.

»Wil­ke, sind Sie’s?« – »Ja­wohl doch, Herr Dok­tor.«

Wil­ke hat­te einen Bru­der in den New Eng­land Sta­tes von Nord­ame­ri­ka, den er auf­su­chen woll­te. Er be­haup­te­te, die »Mensch­heit« in sei­ner Hei­mat sei nie­der­träch­tig und un­dank­bar. Zu Hau­se scheu und miß­trau­isch, so­gar dem Arzt ge­gen­über, der ihm sei­ne letz­te Stich­wun­de am Hals be­han­delt hat­te, ward er hier, mit an­dern auf den Wo­gen des großen Was­sers schwim­mend, of­fen und red­se­lig wie ein gut­ge­ar­te­tes Kind.

»Sie ha­ben auch kei­nen Dank ge­habt, Herr Dok­tor«, sag­te er schließ­lich in den brei­ten, vo­kal­rei­chen Lau­ten sei­ner Mund­art und zähl­te Fried­rich eine Men­ge die­sem un­be­kannt ge­blie­be­ne Fäl­le auf, wo ihm Gu­tes durch üble Nach­re­de ver­gol­ten wor­den war. Er mein­te, daß die von Plas­sen­berg und Um­ge­bung, wo Fried­rich ge­wohnt und prak­ti­ziert hat­te, sol­cher Leu­te, wie er und der Dok­tor sei­en, nicht wür­dig wä­ren. Für sol­che Leu­te sei der rech­te Platz im Lan­de der Frei­heit, Ame­ri­ka.

Zu­rück­ge­kehrt auf das Pro­me­na­den­deck, wur­de Fried­rich durch den blon­den Ka­pi­tän des »Ro­land«, Herrn von Kes­sel, in höchstei­ge­ner Per­son ge­stellt. Er sag­te ihm ei­ni­ge freund­li­che Wor­te.

Die Ka­bi­ne, in der sich Fried­rich um­zog, war, nun das Schiff sich stär­ker be­weg­te, ein pro­ble­ma­ti­scher Auf­ent­halt. Eine run­de, durch dickes Glas ver­schlos­se­ne Luke gab ihr das Licht. So­bald sich die Wand, in der sich die Luke be­fand, er­hob und wie ein schrä­ges Dach nach in­nen leg­te, fiel durch die Luke aus dem zer­ris­se­nen Him­mel Son­nen­licht auf das ge­gen­über­lie­gen­de, un­te­re Ma­ha­go­ni­bett; hier aber, auf des­sen Kan­te sit­zend, such­te sich Fried­rich fest­zu­hal­ten, den Kopf ge­beugt – sonst stieß er an das obe­re Bett – und krampf­haft be­müht, die wei­chen­de Rück­wärts­be­we­gung der Hin­ter­wand nicht mitz­u­ma­chen. Die Ka­bi­ne be­fand sich im Tur­nus je­ner Be­we­gung, die man das Rol­len nennt, und Fried­rich muß­te es manch­mal vor­kom­men, als wer­de die Lu­ken­wand zum Pla­fond und die­ser zur rech­ten Sei­ten­wand, dann wie­der, als wer­de die Bett­wand zum Pla­fond, hin­ge­gen die­ser zur Lu­ken­wand, wo­bei denn die wirk­li­che Lu­ken­wand sich, als woll­te sie ihn zum Auf­sprin­gen ein­la­den, fast waa­ge­recht vor sei­ne Füße schob: ein Au­gen­blick, in dem na­tür­lich die Luke ganz un­ter Was­ser und die Ka­bi­ne ver­fins­tert war.

Es ist nicht leicht, sich in ei­nem Zim­mer, das so in Be­we­gung ist, aus- und an­zu­zie­hen. Und dar­über, daß es, seit er es vor ei­ner Stun­de ver­las­sen hat­te, so in Be­we­gung ge­ra­ten konn­te, war Fried­rich ei­ni­ger­ma­ßen er­staunt. Stie­fel und Bein­klei­der aus dem Kof­fer neh­men oder über Füße und Bei­ne zie­hen, war hier eine tur­ne­ri­sche Tä­tig­keit, so daß er un­will­kür­lich dar­über ins La­chen ge­riet und Ver­glei­chun­gen an­stell­te, wor­an sich sein La­chen im­mer er­neu­er­te. Man kann nicht sa­gen, daß die­ses La­chen von Her­zen kam. Er sag­te, äch­zend und ar­bei­tend, sol­che und ähn­li­che Wor­te zu sich: Hier wird mei­ne gan­ze Per­sön­lich­keit durch­ge­schüt­telt. Ich irr­te mich, als ich an­nahm, daß es wäh­rend der letz­ten zwei Jah­re schon ge­sche­hen sei. Ich dach­te: dein Schick­sal schüt­telt dich. Nun wer­den mein Schick­sal und ich ge­schüt­telt. Ich glaub­te, ich hät­te Tra­gik in mir. Nun pol­te­re ich mit mei­ner gan­zen Tra­gö­die in die­sem knis­tern­den Kas­ten um­her und wer­de da­mit vor mir selbst ent­wür­digt. – Ich habe die Ge­wohn­heit, über al­les und je­des nach­zu­den­ken. Ich den­ke zum Bei­spiel über den Schiffs­schna­bel nach, der sich in jede neue Woge be­gräbt. Ich den­ke über das La­chen der Zwi­schen­deck­ler nach, die­ser ärms­ten Leu­te, de­nen es, glaub’ ich, nicht lo­cker sitzt und die es mir also als Wohl­tat ver­dan­ken! Ich den­ke über den Lump, den Wil­ke, nach, der zu Hau­se eine buck­li­ge Näh­te­rin ge­hei­ra­tet, um ihr Er­spar­tes ge­bracht und täg­lich miß­han­delt hat und den ich so­eben bei­na­he um­armt hät­te. Ich den­ke über den blon­den, teu­to­ni­schen, et­was weich­li­chen Ka­pi­tän von Kes­sel nach, die­sen nur et­was zu ge­drun­ge­nen schö­nen Mann, der über­dies hier un­ser ab­so­lu­ter Herr­scher und Kö­nig ist und dem man ver­traut auf den ers­ten Blick. Und schließ­lich den­ke ich über mein ei­ge­nes fort­wäh­ren­des La­chen nach und ge­ste­he mir, daß La­chen nur in den al­ler­sel­tens­ten Fäl­len geist­reich ist.

Auf sol­che und ähn­li­che Art und Wei­se setz­te Fried­rich sein in­ne­res Zwie­ge­spräch eine Wei­le fort, wo­bei auch jene Lei­den­schaft im Lich­te der bit­ters­ten Iro­nie er­schi­en, die ihn zu die­ser Rei­se ver­an­laßt hat­te. Er war nun wirk­lich voll­kom­men wil­len­los, und in die­sem Zu­stand, im en­gen Kä­fig, auf ho­hen Wo­gen des Ozeans, schi­en es ihm, als wer­de ihm in derbs­ter Form das Ver­fah­ren des Schick­sals und sei­ne ei­ge­ne Ohn­macht vor­ge­hal­ten.

Es war im­mer noch eine er­heb­li­che An­zahl Men­schen an Deck, als Fried­rich oben wie­der er­schi­en. Man hat­te die Lie­ge­stüh­le der Kran­ken oder Sie­sta­hal­ten­den an den Ka­jü­ten­wän­den fest­ge­macht. Die Ste­wards bo­ten Er­fri­schun­gen an. Es war nicht un­in­ter­essant zu se­hen, wie sie mit sechs, acht vol­len Li­mo­na­denglä­sern über das groß­ar­tig schwin­gen­de Deck ba­lan­cier­ten. Fried­rich sah sich ver­geb­lich nach Hahl­ström und Toch­ter um.

Nach­dem er ei­ni­ge Zeit mit al­ler ge­bo­te­nen Vor­sicht hin und her die gan­ze Län­ge des Decks aus­ge­mes­sen hat­te, be­merk­te er die hüb­sche Eng­län­de­rin, die er zu­erst im Rea­ding-room des Ho­tels zu Southamp­ton ge­se­hen hat­te. Sie hat­te es sich mit De­cken und Pelz­werk an ei­nem ge­gen den Wind ge­deck­ten Platz be­quem ge­macht, der durch den na­hen Schorn­stein er­wärmt wur­de. Ein sehr be­weg­li­cher jun­ger Mann saß ne­ben ihr und mach­te den Rit­ter. Er sprang plötz­lich auf und be­grüß­te Fried­rich. Nun hat­te die­ser zwar den Na­men des Jüng­lings, Hans Fül­len­berg, bis jetzt, wie er mein­te, noch nicht ge­hört, aber der flot­te jun­ge Mensch wuß­te glaub­haft zu ma­chen, daß er ge­mein­sam mit Fried­rich in ei­ner be­stimm­ten Abend­ge­sell­schaft ge­we­sen war. Er be­gab sich nach ir­gend­ei­nem Ei­sen­berg­werk-Distrikt in der Nähe von Pitts­burg in Penn­syl­va­ni­en.

5

»Wis­sen Sie denn, Herr von Kam­ma­cher«, sag­te er plötz­lich, »daß die klei­ne Hahl­ström eben­falls hier auf dem Schif­fe ist?«

»Was denn für eine Hahl­ström?«, frag­te Fried­rich.

Hans Fül­len­berg konn­te sich gar nicht ge­nug dar­über wun­dern, daß Fried­rich die klei­ne Hahl­ström ver­ges­sen habe. Er glaub­te sich doch ge­nau zu er­in­nern, Fried­rich ge­se­hen zu ha­ben, als die klei­ne Hahl­ström im Künst­ler­haus zu Ber­lin ih­ren Tanz ge­tanzt hat­te.

»Wenn Sie ihn nicht ge­se­hen ha­ben, Herr von Kam­ma­cher, so ha­ben Sie wirk­lich viel ver­säumt«, sag­te der jun­ge ber­li­ni­sche Gent­le­man; »ers­tens hat­te die klei­ne Hahl­ström, als sie er­schi­en, sehr we­nig an; dann aber war, was sie mach­te und vor­führ­te, wirk­lich be­wun­derns­wert. Es herrsch­te dar­über nur eine Mei­nung.

Man trug zu­erst eine große künst­li­che Blu­me her­ein. Die klei­ne Hahl­ström lief auf die Blu­me zu und roch dar­an. Sie tat das mit ge­schlos­se­nen Au­gen, nach­dem sie vi­brie­rend, wie mit den Flü­gel­chen ei­ner Bie­ne, und ge­schlos­se­nen Au­ges die Blu­me ge­sucht hat­te. Plötz­lich schlug sie die Au­gen auf und er­starr­te zu Stein. Auf der Blu­me saß eine rie­si­ge Kreuz­spin­ne. Nun floh sie in den ent­fern­tes­ten Win­kel des Raums zu­rück. Schi­en es an­fangs, als schwe­be sie ohne Schwe­re über die Erde hin, so war die Art, wie das kras­se Ent­set­zen sie nun durch den Raum ge­bla­sen hat­te, noch mehr dazu an­ge­tan, sie als un­wirk­lich er­schei­nen zu las­sen.«

Fried­rich von Kam­ma­cher hat­te das Mäd­chen, au­ßer bei je­ner Ma­ti­nee im Künst­ler­haus, acht­zehn­mal ih­ren furcht­ba­ren Tanz tan­zen se­hen. Wäh­rend der jun­ge Fül­len­berg ihn mit »fa­mos«, »groß­ar­tig«, »ko­los­sal« und ähn­li­chen Kraft­wor­ten her­aus­zu­strei­chen ver­such­te, er­leb­te er ihn bei sich wie­der­um. Er sah, wie sich der kind­li­che Kör­per, nach­dem er eine Wei­le ge­zit­tert hat­te, der Blu­me aufs neue an­nä­her­te, und zwar nach den Rhyth­men ei­ner Mu­sik, die durch Tamtam, Be­cken und Flö­te aus­ge­führt wur­de. Die­se zwei­te An­nä­he­rung ge­sch­ah durch Zwang, nicht durch Lüs­tern­heit. Die Tän­ze­rin hat­te das ers­te­mal fei­ne duf­ten­de Strö­mun­gen in der Luft als Spu­ren be­nutzt, die nach dem Quell des Aro­mas hin­lei­ten konn­ten. Ihr Mund war da­bei ge­öff­net ge­blie­ben. Die Flü­gel­chen ih­res Näs­chens hat­ten vi­briert. Das zwei­te­mal zog ein grau­si­ges Et­was sie an, das ihr ab­wech­selnd Furcht, Ent­set­zen und Neu­gier er­reg­te, wo­bei sie die Au­gen weit of­fen­hielt und nur manch­mal, um nichts zu se­hen, angst­voll mit bei­den Hän­den be­deck­te.

Alle Furcht aber schi­en sie mit ei­nem­mal ab­zu­strei­fen. Sie hat­te sich ohne Grund ge­ängs­tigt und nun er­kannt, eine un­be­weg­li­che di­cke Spin­ne sei im Grun­de für ein Ge­schöpf mit Flü­geln nicht ge­fahr­brin­gend. Und die­ser Teil ih­res Tan­zes war von großer An­mut und drol­lig über­quel­len­der Lus­tig­keit.

Nun be­gann eine neue Pha­se des Tan­zes, die sich nach­denk­lich ein­lei­te­te. Die jun­ge Tän­ze­rin woll­te sich, schein­bar in ei­nem Zu­stan­de ge­sät­tig­ter Tanz­lust, nach ge­nos­se­nem Blu­men­rausch mit Be­we­gun­gen woh­li­ger Mü­dig­keit zur Ruhe be­ge­ben, als sie hier und da an ih­rem Kör­per et­was wie Fä­den ei­nes Spinn­ge­we­bes ab­streif­te. Dies war zu­erst eine still­ver­son­ne­ne Tä­tig­keit, in die je­doch mehr und mehr eine son­der­ba­re Un­ru­he kam, die sich al­len Zuschau­en­den mit­teil­te. Das Kind hielt inne, dach­te nach und woll­te sich ei­ner ge­wis­sen Be­sorg­nis we­gen, die ihm auf­ge­stie­gen war, an­schei­nend selbst aus­la­chen. Im nächs­ten Au­gen­blick aber er­bleich­te es und tat dann einen er­schro­cke­nen und sehr kunst­vol­len Sprung, als ob es aus ei­ner Sch­lin­ge her­aus­woll­te. Der mä­na­disch ge­wor­fe­ne Schwall ih­res weiß­blon­den Haars ward hier­bei eine lo­dern­de Flut und das Gan­ze ein An­blick, der Rufe der Be­wun­de­rung aus­lös­te.

Die Flucht be­gann, und nun war das The­ma des Tan­zes – der üb­ri­gens un­ter dem Ti­tel »Mara oder das Op­fer der Spin­ne« ging – die Fik­ti­on, als ob Mara mehr und mehr in die Fä­den der Spin­ne ver­wi­ckelt und schließ­lich dar­in er­dros­selt wür­de.

Die klei­ne Hahl­ström be­frei­te den Fuß und fand ih­ren Hals von der Spin­ne um­schnürt. Sie griff nach den Fä­den an ih­rem Hal­se und fand ihre Hän­de ein­ge­schnürt. Sie riß, sie bog sich, sie ent­schlüpf­te. Sie schlug, sie ras­te und ver­wi­ckel­te sich nur im­mer mehr in die furcht­ba­ren Fä­den der Spin­ne hin­ein. End­lich lag sie zum Holz um­schnürt, und man fühl­te die Spin­ne ihr Le­ben aus­sau­gen.

6

Da sich Fried­rich von Kam­ma­cher nach der Mei­nung des jun­gen Fül­len­berg nicht hin­rei­chend für die klei­ne Tän­ze­rin Hahl­ström er­wärm­te, nann­te er ei­ni­ge an­de­re Ber­li­ner Berühmt­hei­ten der jüngs­ten Zeit, die eben­falls auf dem »Ro­land« die Rei­se nach den Ve­rei­nig­ten Staa­ten mach­ten. Da war der Ge­heim­rat Lars, ein in Kunst­krei­sen wohl­be­kann­ter Mann, der bei staat­li­chen An­käu­fen von Wer­ken der Ma­le­rei und der Plas­tik mit­zu­spre­chen hat­te. Er ging nach Ame­ri­ka, um dor­ti­ge Samm­lun­gen zu stu­die­ren. Fer­ner war Pro­fes­sor Tous­saint da, ein be­kann­ter Bild­hau­er, der in ei­ni­gen deut­schen Städ­ten sei­ne Denk­mä­ler auf­ge­stellt hat­te, Wer­ke von ei­nem übel ver­wäs­ser­ten ber­ni­ni­schen Geist. Tous­saint, er­zähl­te Fül­len­berg, brau­che Geld. Er brau­che ei­gent­lich je­nes Geld, das sei­ne Gat­tin ver­braucht habe.

»Wenn er den Fuß auf ame­ri­ka­ni­schen Bo­den setzt«, mein­te Hans Fül­len­berg, der mit dem ge­sell­schaft­li­chen Klatsch Ber­lins gleich­sam ge­la­den war, »so hat er nicht so viel im Be­sitz, um auch nur die Ho­tel­rech­nung der ers­ten drei Tage zu be­glei­chen.«

Fast im sel­ben Au­gen­blick, als Fried­rich den Bild­hau­er, der, in ei­nem Tri­um­ph­stuh­le lie­gend, die Be­we­gun­gen des »Ro­land« mit­mach­te, ins Auge faß­te, wur­de ein son­der­ba­rer Mann ohne Arme von ei­nem Bur­schen, der ihn am Rock­kra­gen hielt, über Deck ge­führt und sorg­fäl­tig durch eine na­he­ge­le­ge­ne klei­ne Tür in das Rauch­zim­mer hin­ein­bug­siert. »Es ist ein Ar­tist«, er­klär­te der jun­ge Ber­li­ner dem Arz­te, »er wird in dem New-Yor­ker Va­rieté von Webs­ter und Fors­ter auf­tre­ten.«

Ei­ni­ge Ste­wards ba­lan­cier­ten über das Deck, es wur­de in großen Tas­sen­köp­fen hei­ße Bouil­lon an die frös­teln­den Pas­sa­gie­re aus­ge­ge­ben. Nach­dem der jun­ge Ber­li­ner sei­ne Dame mit Brü­he ver­sorgt hat­te, ließ er sie sit­zen und be­gab sich mit Fried­rich ins Rauch­zim­mer. Hier herrsch­te na­tür­lich Lärm und Qualm, und auch die bei­den Her­ren zün­de­ten ihre Zi­gar­ren an. In ei­nem Win­kel des klei­nen Rau­mes wur­de Skat ge­dro­schen, an meh­re­ren Ti­schen in deut­scher und eng­li­scher Spra­che po­li­ti­siert. Dok­tor Wil­helm, der Schiffs­arzt, er­schi­en, den Fried­rich be­reits beim Früh­stück ken­nen­ge­lernt hat­te. Er kam von der Mor­gen­in­spek­ti­on des ge­sam­ten Zwi­schen­decks. Er nahm an Fried­richs Sei­te Platz. Zwei­hun­dert rus­si­sche Ju­den wa­ren im Zwi­schen­deck, die nach den Ve­rei­nig­ten Staa­ten oder nach Ka­na­da aus­wan­der­ten. Dazu ka­men drei­ßig pol­ni­sche und eben­so­vie­le deut­sche Fa­mi­li­en, die­se so­wohl aus dem Sü­den wie aus dem Nor­den und dem Os­ten des Rei­ches. Dok­tor Wil­helm lud den Kol­le­gen ein, am fol­gen­den Tage die In­spek­ti­ons­tour mitz­u­ma­chen.

Der Ton in dem klei­nen Rauch­zim­mer­chen war der des Früh­schop­pens, wie er in Bier­stu­ben üb­lich ist: das heißt, die Män­ner lie­ßen sich ge­hen, und die Un­ter­hal­tun­gen wur­den mit lau­ten Stim­men ge­führt. Auch ent­wi­ckel­te sich je­ner der­be Hu­mor und jene ge­räusch­vol­le Lus­tig­keit, bei der den Män­nern die Zeit ver­fliegt und die sehr vie­len eine Art Be­täu­bung und so­mit eine Art des Aus­ru­hens in der Het­ze des Da­seins ist. Fried­rich so­wohl als Dok­tor Wil­helm wa­ren die­sem Trei­ben nicht ab­ge­neigt, das ih­nen, aus ih­ren Stu­di­en­zei­ten ge­wohnt, Erin­ne­run­gen al­ler Art be­leb­te und na­he­brach­te.

Hans Fül­len­berg fand sich sehr bald durch die Ge­sell­schaft der bei­den Ärz­te ge­lang­weilt, die sei­ner auch üb­ri­gens fast ver­ges­sen hat­ten, und schlich sich zu sei­ner Dame zu­rück. Er sag­te zu ihr: »When Ger­mans meet, they must scream, drink till they get ti­psy and drink ›Bru­der­schaft‹ to each other.«

Dok­tor Wil­helm schi­en auf den Ton in die­sem Rauch­zim­mer stolz zu sein. »Un­ser Ka­pi­tän«, er­klär­te er, »hält streng dar­auf, daß un­se­re Her­ren hier un­ge­stört blei­ben und die Ge­müt­lich­keit kei­nen Ab­bruch er­fährt. Mit an­de­ren Wor­ten, er hat es sich in den Kopf ge­setzt, Da­men un­ter kei­ner Be­din­gung zu­zu­las­sen!« – Der Raum hat­te zwei me­tal­le­ne Tü­ren, die eine nach Back­bord, die an­de­re nach Steu­er­bord. Wenn eine da­von ge­öff­net wur­de, so muß­te der Ge­hen­de oder Kom­men­de mit der Be­we­gung des Schif­fes und dem Druck des herr­schen­den Win­des je­des­mal einen leb­haf­ten Kampf be­ste­hen. Ge­gen die elf­te Stun­de, wie täg­lich bei leid­li­chem Wet­ter um die­se Zeit, stieg, in großer Ruhe, die mas­si­ve Ge­stalt des Ka­pi­täns von Kes­sel her­ein. Nach­dem die üb­li­chen Fra­gen nach Wind und Wet­ter, gu­ten oder schlim­men Rei­se­aus­sich­ten ei­ni­ge freund­li­che, aber kar­ge Ant­wor­ten des Herrn Ka­pi­täns ge­zei­tigt hat­ten, nahm er am Ti­sche der Ärz­te Platz.

»An Ih­nen ist ja ein See­mann ver­lo­ren­ge­gan­gen!«, wand­te er sich an Fried­rich von Kam­ma­cher, und die­ser er­wi­der­te: er müs­se lei­der ver­mu­ten, der Ka­pi­tän irre sich, denn er, Fried­rich, habe von der einen See­was­ser­tau­fe voll­kom­men ge­nug und seh­ne sich nicht nach ei­ner zwei­ten. Ein Lot­sen­boot hat­te vor ei­ni­gen Stun­den, von der fran­zö­si­schen Küs­te her, die letz­ten Neu­ig­kei­ten ge­bracht. Ein Schiff der Ham­burg-Ame­ri­ka-Li­nie, der erst seit ei­nem Jah­re in Dienst ge­stell­te Dop­pel­schrau­ben­damp­fer »Nord­man­nia«, hat­te bei der Rück­fahrt nach Eu­ro­pa Ha­va­rie ge­habt und war, etwa sechs­hun­dert See­mei­len von New York, um­ge­kehrt und nun, ohne wei­te­ren Un­fall, wie­der­um in Ho­bo­ken an­ge­langt. Eine so­ge­nann­te Spring­flut oder Spring­wel­le hat­te sich aus dem ver­hält­nis­mä­ßig ru­hi­gen Meer plötz­lich ne­ben dem Schif­fe er­ho­ben, und die ge­wal­ti­ge Was­ser­mas­se, her­nie­der­stür­zend, hat­te den Da­men­sa­lon, die Die­le des Da­men­sa­lons und die des nächst­fol­gen­den Decks bis zur Tie­fe durch­ge­schla­gen, wo­bei das Kla­vier aus dem Da­men­sa­lon bis in den Schiffs­raum hin­un­ter­ge­schleu­dert wor­den war. Dies und an­de­res er­zähl­te in sei­ner ru­hi­gen Wei­se der Ka­pi­tän. Und wei­ter, daß Schwe­nin­ger in Fried­richs­ruh bei Bis­marck sei, des­sen Tod man jetzt stünd­lich be­fürch­ten müs­se.

7

Auf dem »Ro­land« war das in­ter­na­tio­na­le Gong noch nicht ein­ge­führt. Ein Trom­pe­ter schmet­ter­te ein hel­les Si­gnal durch die Ka­jü­ten­gän­ge und über Deck, zum Zei­chen, daß man sich in den Spei­se­saal zu Ti­sche be­ge­ben möge. Das ers­te die­ser Trom­pe­ten­si­gna­le er­scholl durch das Kla­gen des Win­des in die enge, lär­men­de, über­füll­te Rauch­ka­bi­ne hin­ein. Der Bur­sche des Man­nes ohne Arme er­schi­en, um sei­nen Herrn zu­rück­zu­ge­lei­ten. Fried­rich hat­te mit viel In­ter­es­se das Be­tra­gen des Herrn ohne Arme ver­folgt: er war von au­ßer­ge­wöhn­li­cher Fri­sche und geis­ti­ger Reg­sam­keit; er sprach Eng­lisch, Fran­zö­sisch und Deutsch mit der glei­chen Ge­läu­fig­keit und pa­rier­te, zur all­ge­mei­nen Freu­de, die schnod­de­ri­gen Re­dens­ar­ten ei­nes jun­gen und ge­cken­haf­ten Ame­ri­ka­ners, des­sen Re­spekt­lo­sig­keit so­gar vor der ge­hei­lig­ten Per­son des Ka­pi­täns nicht halt­ma­chen zu wol­len schi­en.

Die Ta­fel im Spei­se­saal war in Form ei­nes Drei­zacks auf­ge­stellt. Der ge­schlos­se­ne Teil der Ga­bel lag nach der Spit­ze des Schif­fes zu, die drei Zin­ken wa­ren nach rück­wärts ge­rich­tet. Hier, am Ende der mit­tels­ten Zin­ke, war, vor ei­ner Art Ka­min­ge­sims und ei­nem Wand­spie­gel, die blau­be­frack­te ele­gan­te Ge­stalt des Obers­te­wards Pfund­ner auf­ge­rich­tet. Herr Pfund­ner, zwi­schen vier­zig und fünf­zig alt, glich mit sei­nem wei­ßen, sorg­sam ge­brann­ten Haar, das ge­pu­dert schi­en, ei­nem Haus­hof­meis­ter aus Lud­wigs des Vier­zehn­ten Zeit. Wie er mit ge­ra­de ge­rich­te­tem Haupt den schwe­ben­den und be­weg­ten Saal über­blick­te, schi­en er zu­gleich der be­son­de­re Tra­bant des Ka­pi­täns von Kes­sel zu sein, hin­ter dem er stand und der, am Ende der mit­tels­ten Zin­ke sit­zend, zu­gleich der Wirt und vor­nehms­te Gast der Ta­fel war. In sei­ner Nähe sa­ßen der Arzt, Dok­tor Wil­helm, und der ers­te Schiff­s­of­fi­zier. Da der Herr Ka­pi­tän an Fried­rich Ge­fal­len ge­fun­den hat­te, ward ihm ein Platz ne­ben Dok­tor Wil­helm ein­ge­räumt.

Nach­dem etwa die Hälf­te der vor­han­de­nen Plät­ze be­setzt wa­ren, stol­per­ten die Kar­ten­spie­ler aus der Rauch­ka­bi­ne her­ein, und die Ste­wards be­gan­nen nun, auf Kom­man­do, den Dienst zu ver­se­hen. In der Ge­gend der Kar­ten­ge­sell­schaft knall­ten nach kur­z­er Zeit die Sekt­pfrop­fen. Als Fried­rich flüch­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­