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Ulla Schmid

Die List des Arminius

Roman – Band 2

Ulla Schmid

Die List des Arminius

Der überlebende Legionär Gaius Flaminius berichtet

Roman – Band 2

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Die Handlung dieses Romans sowie die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden; eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Begebenheiten und tatsächlich lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig.

© 2006 by edition fischer GmbH
Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main
Alle Rechte vorbehalten
Schriftart: Times 11°
Herstellung: SatzAtelier Cavlar / NL
Printed in Germany
ISBN-13: 978-3-89950-731-7 EPUB

Inhalt

Personen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Nachwort

»Dieses Buch ist meinen Eltern

Herta und Max Schmid

gewidmet.«

Personen:

Gaius Flaminius, seine Frau Thusnelda, deren Sohn Thumelicus aus ihrer ersten Ehe mit Arminius, der gemeinsame Sohn Cornelius

Lucius Asprenas, seine Frau Irmentrud und Lucia, die gemeinsame Tochter

Cornelius Livius, Freund und Schwager des Gaius, verheiratet mit der Schwester des Gaius, Antonia, deren Kinder, auch aus erster Ehe mit Valerius Gracchus

Petronius, Arzt in Rom

Kassandra, Haushälterin des Petronius

Tiberius, Kaiser von Rom

Livia, Mutter des Tiberius

Drusus, Sohn des Tiberius und nach dem Tod des Germanicus Thronfolger

Agrippina, Witwe des als Thronfolger vorgesehenen Germanicus

Livilla, Gemahlin des Drusus

Lucius Sejanus, Präfekt der Prätorianer, 1. Minister des Tiberius und Livillas Liebhaber

Antonia, Mutter des Germanicus und der Livilla

Orte der Handlung: Rom, Albaner Berge, Capri und Stapie, ein kleiner Ort südlich Neapels in der Nähe Pompejis

1. Kapitel

Gaius Flaminius lebte mit Thusnelda, deren Sohn Thumelicus aus der Ehe mit Arminius sowie ihrem gemeinsamen Sohn Cornelius schon ein Jahr in den Albaner Bergen, als sein Freund Lucius Asprenas mit seiner Frau Irmentrud und der gemeinsamen kleinen Tochter Lucia auftauchte. Nach dem Kauf und der Einrichtung des Hauses des Stiefvaters Gaius’ durch Asprenas entstand eine gute Nachbarschaft, die Kinder gediehen prächtig und das Getümmel, die Intrigen, Verleumdungen und das Denunziantentum Roms, besonders des Kaiserhauses, waren weit weg. Nur bei gelegentlichen Besuchen seiner Schwester Antonia, seines Schwagers Cornelius, den Kindern der beiden sowie seiner beiden Söhne, die als Soldaten auf dem Marsfeld lebten, bekamen Gaius Flaminius und Lucius Asprenas mit, was in Rom so vor sich ging. Antonia hatte mit Cornelius zwei Kinder, die inzwischen dreijährige Lavinia und den sechs Monate alten Fabius. Gaius’ Tochter Claudia lebte auf ihren eigenen Wunsch hin als Vestalin.

Eines schönen Morgens, wenige Wochen nach dem Einzug des Lucius mit seiner Familie in das Haus des Stiefvaters Gaius’, stand der Arzt Petronius, einer der wenigen Freunde, die Gaius noch hatte, mit gehetztem Gesichtsausdruck vor Gaius’ Haus.

Wenige Tage zuvor saß Valerius Genucius, ein kleiner, dicker Mann mit Glatze, hochrotem Gesicht und verkniffenem Mund im Bordell »Zum bunten Hund«; dieses Bordell war gleichzeitig eine Schenke und sein Stammlokal. Vier Soldaten betraten das Bordell.

»Ist hier ein Valerius Genucius?«, fragte der Anführer der Soldaten.

Valerius wurde es ungemütlich. Was wollten die Soldaten von ihm? Wieso kamen sie hierher? Sie wussten also nicht, wo er mit seiner Frau und seiner Tochter wohnte, das empfand er als vorteilhaft. Menschen wie er, die in solchen Armenvierteln wohnten, zogen normalerweise nicht das Interesse des Militärs und somit der Herrschenden auf sich. Die Leute, die in diesen Vierteln wohnten, lebten wie auf einem anderen Planeten und kamen mit den Reichen und Herrschenden nicht in Berührung. Er hatte weder Ahnung, was die Soldaten von ihm wollten, noch wer sie geschickt hatte.

Niemand gab zunächst eine Antwort und dem Anführer der Soldaten kam dieses Schweigen zu lang vor: »Wir wissen, dass sich Valerius Genucius zumeist hier aufhält«, kam es barsch und drohend.

»Ich bin Valerius Genucius«, gab Valerius endlich zu. »Was wollt ihr von mir?«

»Wir sollen dich in den Palast bringen«, gab der Anführer zur Antwort. Die Gedanken jagten in Valerius’ Kopf: »Was will man im Palast von mir? Geht es etwa um diese Geschichte mit der Vestalin, von der ich behauptete, sie sei meine Geliebte? Einen anderen Grund kann ich mir nicht vorstellen, warum ich in den Palast gebracht werden soll. Aber was kümmert das den Palast? Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und nach Verhaftung sieht das nicht aus! Da wird man nicht in den Palast gebracht, sondern in den Kerker.«

Die Freunde des Valerius wurden schweigsam und Valerius gab sich gezwungen leutselig: »Warum soll ich in den Palast gebracht werden? Wer im Palast will etwas von mir? Ich bin sicher bald wieder da«, lachte er.

»Das wirst du schon sehen, wer die Person ist, die etwas von dir will«, antwortete der Anführer kurz und nicht sehr freundlich.

Valerius und die vier Soldaten machten sich auf den Weg in den Palast. Er staunte, die Mehrzahl der Bevölkerung hatte keine Ahnung, wie es im Palast aussah, und durch mehrere Gänge wurde er in ein Gemach geführt. Eine hübsche, schlanke, dunkelbraunhaarige Frau erwartete ihn in dem Gemach. Ohne die harten, herrischen Gesichtszüge wäre die Frau noch hübscher gewesen. Valerius zog es vor, nichts zu sagen.

Die Frau lächelte: »Ich bin Livilla, Gemahlin des Drusus, Schwiegertochter des Tiberius und künftige Kaiserin Roms«, gab sie dem Valerius selbstbewusst zu verstehen. Dieser verstand immer weniger.

»Und was willst du von mir?«, fragte er forsch.

»Nun, mir ist zu Ohren gekommen, dass du ein Verhältnis mit einer Vestalin namens Claudia haben sollst«, gab Livilla zu verstehen.

Valerius wurde es ungemütlich. Was wollte diese Livilla nur von ihm? Seit wann kümmerte sich die Schwiegertochter des Kaisers und künftige Kaiserin um die Liebschaften ihrer Untertanen mit Vestalinnen? Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Livilla bemerkte seine Unsicherheit und lächelte erneut: »Ich will gar nicht wissen, ob du wirklich ein Verhältnis mit dieser Vestalin hast. Ich biete dir 200 Sesterzen, dass du diese Geschichte aufrechterhältst und weiterhin in der Öffentlichkeit erzählst, diese Vestalin sei deine Geliebte.«

Valerius verstand gar nichts mehr: »Warum das denn? Was hast du davon, wenn ich das erzähle, und dann zahlst du mir auch noch so viel Geld dafür?«

Livilla wurde etwas ungehalten, fing sich aber gleich wieder: »Über die Gründe meines Verhaltens brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Du sollst aber niemandem sagen, dass ich dir Geld gegeben habe. Du kennst mich nicht, du bist zwar im Palast, aber nicht bei mir gewesen und jetzt kannst du gehen.«

Der letzte Satz war ein Rausschmiss und sie rief noch einen der Soldaten, die Valerius zu ihr gebracht hatten. Der Soldat brachte Valerius vor den Palast und Valerius begab sich sofort wieder in das Bordell, um mit seinen Freunden zu feiern. Sie bestürmten ihn, ihnen zu erzählen, warum er im Palast und schon wieder hier war. Er lächelte nur süffisant und gab sich sehr großzügig, er hatte ja so viel Geld bekommen. Doch damit war sein Weg in den Untergang besiegelt.

»Als die Soldaten dich geholt haben, hattest du noch nicht so viel Geld bei dir und du wurdest in den Palast gebracht. Also musst du es von jemandem mit Einfluss oder gar von einem Mitglied der kaiserlichen Familie bekommen haben«, meinte einer seiner Freunde.

Valerius zuckte zusammen und meinte barsch: »Was geht das dich an? Ich halte euch frei und da braucht ihr nicht zu fragen, woher ich das Geld habe. Es ist alles ganz harmlos.«

Daraufhin hielten sie alle betreten den Mund.

»Aus dem Palast gibt niemand so viel Geld nur einfach so und weil es harmlos ist. Wer weiß, wer die Person war. Die Soldaten handelten sicher nach Anweisung, keinen Namen zu nennen, und wer weiß, wie viel er bekommen hat und was dahintersteckt. Womöglich folgt für Valerius großes Unglück«, dachte der, der ihn angesprochen hatte, nicht ganz unberechtigt; nicht nur er hatte das Zucken und die Unsicherheit des Valerius bemerkt. Und die Klügeren im Freundeskreis des Valerius ahnten, worum es sich bei dieser Geldzahlung handelte, und sie sollten bald ihre Ahnungen bestätigt bekommen.

Petronius war zu einem Patienten gerufen worden und befand sich auf dem Heimweg. Er sah Soldaten in sein Haus eindringen und konnte sich gerade noch in einem Hauseingang verstecken, bevor sie ihn entdeckt hatten. Er hatte sofort gewusst, dass er verhaftet werden sollte, wenn er auch keine Ahnung hatte, warum. Nach Hause konnte er nicht, so machte er auf dem Absatz kehrt, begab sich zum Forum Romanum und stürzte sich dort in die Menschenmenge. Er musste sehr vorsichtig sein, aber er wollte erfahren, was es mit seiner geplanten Verhaftung auf sich hatte. Er hielt sich an den Ständen auf, tat interessiert an den Waren und spitzte die Ohren. Er schnappte trotz Getuschel einiges auf und es hatte sich schnell herumgesprochen: Die Verwandten seiner Freunde Gaius und Cornelius waren verhaftet worden. Das Gesinde der Antonia und der Geschwister des Cornelius erschrak zu Tode, wurde aber nicht behelligt und erfuhr auch die Gründe der Verhaftungen nicht. Den Verhafteten selbst wurden erst auf dem Weg zum Kerker die Gründe genannt.

Hinter diesen Verhaftungen steckte Livilla. Sie hatte zum Rundumschlag gegen die Flaminius- und Livius-Familie sowie gegen den Arzt Petronius, der als enger Freund Gaius’ galt, ausgeholt und ihre Leute hatten gleichzeitig gegen sie und ihn losgeschlagen. Petronius hatte genügend Geld dabei und so besorgte er sich schnellstens einen Wagen, um zu Gaius zu fahren. Er hatte einen gewissen Zeitvorsprung, denn Livillas Leute wussten nichts von seiner Flucht. Sollten sie ruhig der Meinung sein, er sei bei einem Patienten. Sicher warteten sie in seinem Haus auf ihn und bis sie mitbekamen, dass er nicht mehr kommen würde, war er schon über alle Berge und sie wüssten nicht einmal, wo sie ihn suchen sollten. Hoffentlich ließen sie Kassandra, seine Haushälterin, in Ruhe.

Inzwischen wurde Kassandra vom Anführer der Soldaten barsch angegangen: »Wo ist Petronius?«

Kassandra, eine hübsche junge Frau, war wie Petronius aus Griechenland und kam als Sklavin zu ihm, aber Petronius gab ihr die Freiheit und er ahnte nichts von der Liebe, die sie zu ihm hegte.

»Bei einem Arztbesuch«, brachte sie hervor.

»Wie heißt der Patient und wo wohnt er?«, kam es wiederum barsch.

»Das hat er mir nicht gesagt«, gab sie zurück, obwohl sie es wusste.

»Ich warne dich!«, blaffte der Anführer der Soldaten. »Wir finden Mittel und Wege, dich zum Reden zu bringen.«

»Was wollt ihr von ihm?«, fragte sie stattdessen unruhig.

»Wir sollen ihn verhaften. Er wird beschuldigt, Spionage begangen und Verschwörungen und Attentatsversuche gegen die kaiserliche Familie geplant zu haben«, antwortete der Anführer der Soldaten spöttisch und packte sie hart am Arm. »Und du machst keinen Versuch, ihn zu warnen, wenn er zurückkommt.«

Der letzte Satz klang barsch und war eine Drohung.

Kassandra ließ sich nicht einschüchtern: »Das glaubst du ja wohl selbst nicht. Petronius hat nie und nimmer das geplant, wessen er beschuldigt wird. Er ist viel zu sehr beschäftigt, als dass er solches geplant haben sollte.«

»Sieh mal einer an, die Kleine ist verliebt in ihren Petronius, und was ich glaube, steht hier nicht zur Debatte«, höhnte der Anführer der Soldaten und die anderen grinsten. »Wenn du weißt, wo er ist und es uns nicht sagst, verhaften wir dich mit ihm zusammen. Wir werden hier auf ihn warten. Er wird ja wohl bald zurückkommen.«

»Auch wenn ihr mich verhaftet, so weiß ich es wirklich nicht«, gab sie ruhig zurück.

»Das können wir ihr glauben«, sagte nun ein anderer Soldat und die anderen Soldaten und der Anführer waren mehr oder weniger überzeugt.

»Weißt du wenigstens, wann er zurückkommt?«, kam die nächste Frage des Anführers.

»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Kassandra ruhig, obwohl sie immer unruhiger wurde: »Wenn ich ihn doch nur warnen könnte.«

»Du hast keine Möglichkeit, ihn zu warnen«, las der Anführer ihre Gedanken.

Während die Soldaten in Petronius’ Haus immer unruhiger wurden, wurde Kassandra auf einmal sehr ruhig und konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Petronius war es sicher gelungen zu fliehen. Der Anführer der Soldaten sah das Grinsen, wurde wütend und trat ihr zu nahe: »Na, meine Schöne, ich bin mir sicher, du weißt, wo er ist und warum er so lange braucht, um hierher zurückzukehren. Ich werde deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen«, mit diesen Worten zog er sie an sich und wollte sie küssen. »Und meine Freunde hier sind sicher nicht abgeneigt, sich mit dir zu vergnügen.«

Kassandra wurde übel; sie wollte ihm gerne eine Ohrfeige verpassen, aber gegen diese vier hatte sie keine Chance. Die drei Freunde des Anführers wollten damit nichts zu tun haben: »Höre, Tiberius, das sollten wir nicht tun, obwohl sie zweifelsfrei sehr hübsch ist. Lass die Frau in Ruhe. Sie weiß wirklich nicht, wo Petronius steckt und warum er so lange braucht, um zurückzukommen. Und was glaubst du, was uns blüht, sollte sie über unser Verhalten erzählen oder gar den Palast informieren?«

Ungehalten verließen die Soldaten Petronius’ Haus und Kassandra konnte aufatmen. Sollte Petronius jetzt auftauchen, könnte sie ihn warnen, aber Petronius kam nicht. Die Soldaten würden wahrscheinlich immer wieder bei der Suche nach Petronius bei ihr auftauchen, so lange, bis es ihnen zur Gewissheit wurde, dass er hatte fliehen können. Nach einigen Tagen konnte Kassandra aufatmen, die Soldaten kamen nicht mehr.

Gaius befand sich gerade auf dem Weg ins Nachbarhaus zu Lucius; dort sollten noch an der Einrichtung die letzten Handgriffe getan werden. Gaius ahnte Böses, als er den Arzt sah, da dieser zu seinen wenigen besten Freunden zählte. Petronius war nur einmal hier gewesen und Gaius’ Gefühl für drohendes Unheil hatte ihn noch nie getrogen. Die Zeit der Ruhe, des Friedens und der Sicherheit, die ihm hier seit seinem Herzug beschieden war, sollte zu Ende sein; seine in Rom lebenden Angehörigen und Freunde steckten in großen Schwierigkeiten.

Livilla konnte, nachdem ihr Bruder Germanicus tot und ihr Mann Drusus als Thronfolger proklamiert war, gelassen abwarten und niemand wusste um die schrecklichen Gedanken, die sie hegte. Mit Agrippina und seiner Mutter indessen führte Tiberius zermürbende Gespräche, zumeist ging es um die Thronfolge, auch wenn diese geklärt war. Sein großer Fehler war, Sejanus zu sehr zu vertrauen, denn der kochte sein eigenes Süppchen. Laut Tacitus soll Sejanus dem Tiberius das Leben gerettet haben, als er sich über diesen beim Einsturz einer Höhle geworfen haben soll. Sejanus, von Ehrsucht zerfressen, hatte seine Frau Apicata und seine Kinder verlassen, um am Kaiserhof als Prätorianer-Präfekt und erster Minister des Kaisers Karriere zu machen. Dieses war Livilla sehr wohl bekannt, aber sie fühlte sich zu ihm hingezogen und ihr sehnlichster Wunsch war, mit ihm Kaiserin zu werden und nicht mit ihrem Mann. Sie hatte mit ihrem Verhalten und ihrem Verhältnis mit ihm ihren Mann und Cousin Drusus gehörnt. Drusus allerdings trieb mit seinem Verhalten, er konnte sehr grob und gewalttätig werden, seine Frau in die Arme des Sejanus. Aber selbst wenn sich Drusus vorbildlich benommen hätte, seine Frau hätte sich trotzdem zu Sejanus hingezogen gefühlt. Sejanus war klug genug, sich zurückzuhalten. Seine Zeit, so dachte er, sollte noch kommen.

Von den Verhaftungen wusste Tiberius nichts, weil er an diesem Tag den Palast verlassen hatte. Schon lange hatte er den Gedanken gefasst, aus dem Palast auszuziehen, ohne aber die Macht abzugeben. Er hatte nie darüber gesprochen. Heimlich traf er Vorbereitungen zur Abreise aus dem Palast. Nur einen Diener, nicht einmal seinen Sohn Drusus, hatte er eingeweiht. Er schaffte es einfach nicht, das Volk auf seine Seite zu ziehen, und mit dem Senat stand er auch nicht auf gutem Fuß. Sich selbst gegenüber war er äußerst sparsam und hielt sein Volk, aber hauptsächlich die Senatsmitglieder, auch zur Sparsamkeit an. Luxus und unnötige Geldausgaben ärgerten ihn und so konnte er das schon von Augustus durch Sparsamkeit erreichte Vermögen noch vergrößern. Bei Notlagen wie Hungersnöten, Bränden, und in Rom brannte es öfter, Überschwemmungen und Erdbeben auch in den Provinzen half er mit seinem Vermögen mehr als großzügig aus. Er fragte sich, was er noch tun müsste, um das Volk auf seine Seite zu bringen.

Den Ausschlag für Tiberius’ überstürzte Abreise gaben aber seine Mutter und Agrippina. Erstere ließ ihn nicht alleine regieren und sie mischte sich ständig penetrant in seine Arbeit als Kaiser ein. Ihr Verhältnis zueinander war dadurch nicht das beste. Letzterer ging es um die Thronfolge für einen ihrer Söhne und sie lag ihm tagtäglich in den Ohren damit.

»Einer meiner Söhne muss nach deinem Tod Kaiser werden«, mit diesen Worten war Agrippina am Tag seiner Abreise ohne Voranmeldung in sein Zimmer gestürzt.

»Mein Sohn Drusus ist mein Nachfolger, das weißt du doch«, gab Tiberius müde zurück.

»Hättest du gleich deinen Sohn zu deinem Nachfolger bestimmt, hätten du und deine Mutter nicht meinen Mann umbringen müssen. Mein toter Gemahl Germanicus war der Thronfolger und infolgedessen muss auch einer seiner und meiner Söhne Kaiser werden«, gab Agrippina kämpferisch zurück.

»Nun reicht es. Die Thronfolge war doch schon unter Augustus geregelt; dein verstorbener Mann war als Thronfolger vorgesehen. Meine Mutter und ich haben mit seinem Tod nichts zu tun. Wie oft sollen wir dir das noch sagen? Er ist an einer Krankheit gestorben und du weißt sehr wohl, wo und warum er sich diese Krankheit zugezogen hat. Kurz nach dem Tod deines Mannes vergab ich dir, weil dein Schmerz so groß war, aber dein Hass war größer und er wird immer noch größer. Ich dachte immer, irgendwann einmal wirst du vernünftig und normal werden, aber dem ist wohl nicht so. Und wir haben ihm auch nicht den Tod gewünscht. Ist es wirklich so erstrebenswert, die Macht über das Weltreich Rom innezuhaben? Dir ist wohl nicht bewusst, was du dir da wünschst. Sieh dich doch mal um im Palast. Kennst du einen Menschen, der hier glücklich ist? Den lieben langen Tag erhalte ich Informationen von dir, von Livilla und von meiner Mutter, die allesamt nicht der Wahrheit entsprechen, und einer legt den anderen herein und drangsaliert ihn und das geht schon so, seit ich Kaiser geworden bin. Den lieben langen Tag tretet ihr mit Vorwürfen und Ansinnen, die mir zuwider sind, an mich heran und wehe mir, ich reagiere nicht in eurem Sinne. Ihr geht mir so sehr auf die Nerven. Schon Augustus hat sich mit meiner und deiner Mutter herumgeschlagen.«

»Du willst mich der Lüge bezichtigen?«, zischte Agrippina. »Da solltest du dich besser um deine Mutter und deine Schwiegertochter kümmern. Mein Mann wurde vergiftet und du und deine Mutter haben den Auftrag dazu gegeben und dann habt ihr die Ärzte bestochen, ihm eine natürliche Todesursache zu bescheinigen. Du und deine Mutter haben meinen Mann nie leiden können, weil er beim Volk so beliebt war, und ich bin mir sicher, es gab für euch noch andere Gründe, ihn zu hassen. Im Übrigen liebst du doch die Lüge. Du bist begierig danach, Lügen zu hören, und dann darfst du dich auch nicht beklagen, wenn man sie dir erzählt.«

Tiberius musste sich sehr beherrschen, sie nicht zu schlagen: »Schon im Orient und seit du wieder in Rom bist, drangsalierst du mich und meine Mutter mit diesen haltlosen Vorwürfen. Und jeder weiß, wie zuwider mir Lügen und Intrigen sind.«

»Jeder weiß doch um dein Misstrauen und wie sehr du Lügen und Intrigen liebst. Du und deine Mutter räumen doch jeden aus dem Weg, der dir und deinem Sohn den Thron streitig machen könnte. Und deine Mutter hat auch dafür gesorgt, dass meine Mutter Julia von Augustus, ihrem Vater und meinem Großvater, in die Verbannung geschickt wurde. Livia soll es nicht wagen, meine Verbannung zu veranlassen. Mich schickst du nicht weg.«

Jahre später sollte ihr genau das widerfahren: die Verbannung, und in der Verbannung sollte sie auf schreckliche Art ums Leben kommen.

»Lass meine Mutter aus dem Spiel. Ich habe mich nie darum gerissen, Kaiser zu werden«, drohte Tiberius. Es würde nicht mehr lange dauern und er würde sie hinauswerfen und vorher noch handgreiflich werden.

»Du musst mir nicht drohen, aber deine Mutter ist nun mal ein herrschsüchtiges, böses Frauenzimmer und ich weiß das und alle Palastbewohner wissen das und das Volk weiß es auch. Aber mit mir wird das nicht so einfach wie mit meiner armen, unglücklichen Mutter.«

»Agrippina, ich habe dir zugehört und du kommst nicht davon weg, dass meine Mutter und ich den Mordauftrag an deinem Mann gegeben haben sollen, und ich weiß nicht, wie ich dich vom Gegenteil überzeugen kann. Du hast dich im Ton vergriffen und du gehst jetzt besser«, gab Tiberius zurück. Er wurde immer müder ob dieser Zänkereien.

»Du wirfst mich hinaus?«, tobte Agrippina. »Mich wirst du nicht los. Ich werde dich immer daran erinnern, dass eine Agrippina die Interessen ihrer Söhne wahrt.«

»Agrippina, bitte, du bringst mich noch so weit, dass ich handgreiflich werde, wenn du jetzt nicht gehst«, meinte Tiberius gefährlich leise.

Agrippina ließ sich keineswegs einschüchtern: »Nur zu, schlag mich. Wenn dir die Argumente ausgehen, musst du handgreiflich werden.« Agrippina war keinen guten Argumenten zugänglich und so versuchte es Tiberius auf die andere Tour: »Bitte, Agrippina, verzichte auf die Macht für einen deiner Söhne. Du könntest mit deinen Kindern ein ruhiges, zufriedenes, friedliches Leben führen und müsstest nicht mit solchen Mitteln den Kampf um die Macht führen.«

»Ich will aber kein ruhiges, zurückgezogenes, friedliches Leben führen. Einem meiner Söhne muss die Macht gehören«, fiel ihm Agrippina ins Wort. »Niemals werde ich auf die Macht für einen meiner Söhne verzichten und ich werde die Macht so lange in Händen halten, bis dein Nachfolger alt genug ist, alleine zu regieren.«

Tiberius wollte an den störrischen Frauen seines Haushalts verzweifeln. »Wenn du jetzt nicht gehst, lasse ich dich von meiner Leibwache aus meinem Zimmer bringen«, meinte Tiberius barsch. »Ich bin immer noch der Kaiser und ich bestimme, wer mein Nachfolger wird, und das ist mein Sohn Drusus.«

Agrippina wollte verzweifeln. Seit ihrer Rückkehr aus dem Orient führte sie mit Tiberius die Debatten, die alle etwa den gleichen Wortlaut hatten wie diese hier. Schmollend zog sie sich zurück.

In der Zwischenzeit wurden die Flaminius- und Livius-Verwandten verhaftet und Tiberius rief seinen Diener zu sich: »Richte mein Gepäck, ich werde wegfahren für längere Zeit«, und gab nur noch kurz und knapp an, was er alles mitnehmen wollte. Dem Unfang des Gepäcks nach schien es, als würde Tiberius Monate wegbleiben. Er ließ einen Wagen anspannen, verließ grußlos mit seiner Leibwache den Palast und befahl dem Kutscher, nach Ostia zu fahren, um eine Schiffsreise zu unternehmen. Nicht einmal der Kutscher und seine Leibwache wussten, wo er wirklich hinwollte. Es konnte sich nur um ein Ziel im westlichen Mittelmeer handeln.

Livilla indessen fasste den Entschluss, sich ihres Gatten Drusus zu entledigen, um mit Sejanus, dem Schönling, leben zu können, doch die Zeit für Drusus war noch nicht reif und zunächst einmal entsann sie sich ihrer Gegner und Widersacher. Dazu gehörten Gaius Flaminius, seine Kinder sowie seine Schwester Antonia, deren zweiter Mann Cornelius Livius sowie ihre Kinder, auch die Kinder aus erster Ehe mit Valerius Gracchus. Von dieser ganzen Sippschaft hasste sie am meisten Cornelius und Gaius, hatten sich doch Cornelius und Gaius erfolgreich gegen sie zur Wehr gesetzt und sie als Intrigantin, Lügnerin und Spionin entlarvt. Solange aber ihr Bruder Germanicus noch lebte und man mit seiner Rückkehr nach Rom rechnen konnte, konnte sie nichts gegen die Flaminius- und die Livius-Familie unternehmen. Bei der Heimkehr Agrippinas aus dem Orient waren Gaius und Thusnelda nicht dabei, so konnte sie in Ruhe ihre Pläne verfolgen, die für die nächsten Verwandten des Gaius und des Cornelius nichts Gutes bedeuteten. Sie brauchte nichts zu überstürzen. Mit der Zeit gab sie es auf, sich danach zu erkundigen, ob Gaius und Thusnelda wieder nach Rom zurückgekehrt seien, und war der festen Meinung, die beiden hätten sich entschieden, in Syrien zu bleiben. Dies war der erste Pluspunkt, den Gaius und seine Kinder sowie seine Schwester, deren Familie und die Geschwister des Cornelius verbuchen konnten.

Gaius’ Tochter Claudia, die Vestalin, wurde sexueller Beziehungen zu einem Mann namens Valerius Genucius, obwohl dieser verheiratet war und eine Tochter hatte, bezichtigt. Valerius behauptete, er sei ihr Liebhaber. Die Taktik, Claudia bei ihrer Verhaftung zu überrumpeln und zu überfahren, gelang vollständig; sie war keiner Äußerung mehr fähig. Sie wusste nicht einmal, wessen man sie beschuldigte, ahnte aber, worum es ging und wer ihr solche Scherereien bereitete. Bei solchen Dingen wurden nur die Vestalinnen bestraft, niemals die Männer, mit denen sie sich vermeintlich oder tatsächlich eingelassen hatten. Valerius, der angebliche Liebhaber Claudias, war von Livilla geschmiert worden. Sie war sehr großzügig, wie immer, wenn sie etwas plante und jemand bestochen und geschmiert werden sollte, was in Rom zwar nur gemunkelt, aber bald als Tatsache erkannt wurde. Immerhin war ja Valerius aus seinem Stammlokal von vier Soldaten in den Palast gebracht worden und bald darauf hatte er in dieser Stammkneipe sehr großzügig mit Geld um sich geworfen. Die vier Soldaten wurden zwar auch immer wieder von ihren Kameraden gefragt und sie sprachen nichts in dieser Sache. Sollte Livilla erfahren, ihre Leute hätten ihren Namen bei dieser Aktion erwähnt, hätte das schlimme Auswirkung für die vier Männer gehabt. Und doch wurde gemunkelt, es fielen Bemerkungen und aus der Gestik und Mimik der vier Soldaten, aber auch des Valerius wussten die Römer so nach und nach, warum und von wem Valerius in den Palast bestellt wurde. So viel Geld besaßen Menschen wie er nicht und Fragen, die man ihm diesbezüglich stellte, beantwortete er nur vage oder gar nicht und dabei grinste er süffisant.

Valerius, der Claudia nur wenige Male aus der Nähe gesehen hatte und für sie entbrannte, bestätigte die Vergehen Claudias. Er hatte nur wenige Worte mit ihr gewechselt; dabei bedrängte er die inzwischen zur jungen Frau herangewachsene Claudia, die sich ihm widersetzte. Das verletzte seinen Stolz schwer, sie war für ihn so unerreichbar; dabei wusste er doch, was ihr blühte, wenn sie sich mit ihm einlassen sollte. Die Claudia gemachten Vorwürfe kamen Livilla zu Ohren und sie rief den in seinem Stolz so schwer verletzten Valerius zu sich und sie und Valerius ließen es sich etwas kosten, Claudia zu Fall zu bringen.

Die Söhne Julius und Markus, die sich immer noch beim Militär auf dem Marsfeld aufhielten, wurden von ihren Kameraden weg auch verhaftet; sie sollten Kontakte zu den Feinden Roms geknüpft und Spionage betrieben sowie Verschwörungen und Mordversuche gegen Mitglieder der kaiserlichen Familie geplant haben. Auch hier wurde sehr akribisch und genau vorgegangen. Es wurden Zeugen bestochen und Schriftstücke gefälscht, um bei eventuellen Rückfragen gleich die richtigen Antworten, die für alle Beschuldigten nachteilig waren, parat zu haben. Die Livius-Familie, also Gaius’ Schwester mit ihrem zweiten Mann Cornelius sowie ihre Kinder, auch aus der ersten Ehe mit Valerius Gracchus, wurden verhaftet. Ihr jüngstes Kind, der Sohn Fabius, der gerade mal sechs Monate alt war, und ihre fast dreijährige Tochter Lavinia durften bei den Eltern bleiben, aber die Kinder Antonias aus erster Ehe mit Valerius Gracchus wurden von den Eltern getrennt und sie selbst wurden auch getrennt. Antonias Sohn Titus, der wie seine Vettern Julius und Markus Soldat geworden war, wurde wie diese vom Marsfeld weg verhaftet. Er und seine Schwester Drusilla wurden wiederum getrennt eingekerkert. Antonia und Cornelius waren krank vor Angst um die beiden und um ihre Neffen. Von den Geschwistern des Cornelius wussten sie nichts. Die Geschwister, die während des Aufenthalts Gaius’ und Thusneldas in Syrien das Gut des Gaius in Rom bewirtschaftet hatten, wurden verhaftet, aber nur weil sie die Geschwister des Cornelius waren. Auch sie wurden getrennt voneinander eingekerkert. Es war ihnen untereinander nicht möglich, in Kontakt zu treten. Den anderen Verhafteten wurden die gleichen Vorwürfe wie den Gaius-Söhnen gemacht. Gleichzeitig und um ihre Pläne verwirklichen zu können, sollen die Verhafteten alle miteinander, da verwandt und befreundet, in Kontakt gestanden haben. Petronius selbst konnte – zum Glück für die Betroffenen – fliehen. Dies war der zweite Pluspunkt für Gaius und seine Familie.

»Cornelius, was haben wir denn verbrochen? Wir haben doch keine Spionage betrieben und wir wollten auch niemanden aus der kaiserlichen Familie umbringen oder tun, was auch immer man uns vorwirft«, fragte Antonia im Kerker.

»Dahinter steckt sicher Livilla. Sie hasst uns, weil ich mich ihr vor ein paar Jahren widersetzt habe«, gab Cornelius leise zu bedenken. »Wir müssen davon ausgehen, dass unsere fast schon erwachsenen Kinder und deine Neffen auch verhaftet worden sind. Wenn ich nur wüsste, was mit meinen Geschwistern geschehen ist, vermutlich sind sie auch verhaftet worden. Livilla kann es nicht riskieren, auch nur einen unserer nahen Verwandten in Freiheit zu lassen.«

»Aber wir sind doch alle unschuldig«, heulte Antonia.

Cornelius nahm sie liebevoll in die Arme: »Es wird sich sicher alles bald aufklären.«

»Wie denn, es ist doch niemand da, der die Wahrheit kennt und sich für uns einsetzt, und wir selbst können uns nicht helfen«, gab Antonia wieder zurück und dabei schaute sie Cornelius beschwörend an. Dieser begriff sofort. In Rom und im Palast wusste man ja nichts von der Anwesenheit des Gaius und der Thusnelda ganz in der Nähe in den Albaner Bergen. Vor der Kerkertür standen sicher Wachen, die die Ohren spitzten, und das wollten sie mit keinem Wort erwähnen. Und wenn Gaius und Thusnelda lange genug keinen Besuch mehr von ihnen bekamen, würden sie sicher nach ihnen fragen. Hoffentlich waren die beiden bei ihren Fragen vorsichtig. Sie wussten ja nicht, dass Petronius auch verhaftet werden sollte, dieser hatte fliehen und Gaius und Thusnelda benachrichtigen können. Die anderen Gefangenen saßen alleine in ihren Zellen im mamertinischen Kerker, wussten nichts voneinander und hatten keine Ansprache; sie wurden gut behandelt und Verhöre fanden noch keine statt.

Gaius und Thusnelda wurden blass und eine Magd und ein Knecht, der auch im Garten arbeitete, waren sehr verstört. Gaius beschloss, Lucius einzuweihen, und dieser war sofort bereit, ihm zu helfen. Fieberhafte Eile war geboten. Die insgesamt drei Kinder von Gaius und Lucius wurden nach Rücksprache mit den Ehefrauen mitsamt den Ehefrauen weggebracht.

Irmentrud und Thusnelda waren zunächst nicht zu bewegen, ihre Männer zu verlassen: »Petronius soll mit den Kindern weggehen. Wir bleiben bei euch«, meinten sie unisono.

»Ihr könnt nicht hierbleiben. Ihr werdet mit Petronius und den Kindern weggehen. Was glaubt ihr, wie gefährlich das wird. Es könnte uns alle das Leben kosten und dann sind die Kinder Vollwaisen«, kam es von Gaius etwas barsch.

Die Frauen wurden nachdenklich und schließlich willigten sie ein, von hier wegzugehen, zumindest so lange, bis sich die Unschuld der Verwandten Gaius’ und Cornelius’ herausgestellt hatte. Nun war abgeklärt, wer alles weggehen würde, aber nun stellte sich die Frage, wohin sie gehen könnten.

»Ihr könntet doch zu Virginia gehen, die mit ihren Kindern aus erster Ehe und ihrem Mann in Ravenna lebt. Sie würde euch bestimmt aufnehmen«, dachte Gaius nun laut darüber nach.

»Nein, Gaius, darüber dürfte Virginia sicher nicht begeistert sein, zwei Frauen, drei Kinder und einen Mann bei sich aufzunehmen, die ihr allesamt fremd sind. Wir können uns vorstellen, wie sie reagiert, besonders wenn wir so überfallartig bei ihr auftauchen und nicht wissen, wie lange wir fortbleiben müssen. Zudem wissen wir gar nicht, wo Virginia wohnt, und wer weiß, ob wir sie überhaupt finden würden«, gab Irmentrud zu bedenken und die anderen bestätigten das. Sie waren auch nicht begeistert von dem Plan.

Virginias erster Mann Lucius, der Bruder des Gaius, war während des ersten Feldzuges mit Varus nicht einmal im Krieg gefallen, sondern auf dem Heimweg feige ermordet worden. Während Gaius ein zweites Mal in Nordgermanien war, hatte sie geheiratet und war mit Ehemann und ihren beiden Kindern aus der Ehe mit Lucius nach Ravenna gezogen.

»Und was der Ehemann Virginias darüber denken wird, wenn wir sie finden sollten, können wir uns auch vorstellen«, meinte Thusnelda.

»Ihr habt recht«, gab Gaius zu. »Darüber habe ich nicht nachgedacht. Es war nur so eine Idee von mir, die ich aber noch nicht zu Ende gedacht habe.«