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Hermann von Wissmann

(1853-1905) wurde in Frankfurt an der Oder als Sohn eines Regierungsrats geboren. Er schlug eine Offizierslaufbahn ein, lernte bald den Afrikaforscher Paul Pogge kennen und bestritt 1880, begeistert von dessen Erzählungen, als Begleiter die erste Afrika Expedition. Seitdem bereiste er mehrmals das Inland Afrikas, um bislang unerforschte Gebiete zu erkunden. Von 1895-1896 war er Gouverneur von Deutsch-Ostafrika.

Wissmann kam 1905 bei einem Jagdunfall in Weißenbach bei Liezen in der Steiermark ums Leben.

Dr. Tanja Bührer

(geb. 1974) ist Forschungsstipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds und zur Zeit Visiting Scholar am Oxford Centre for Global History und Visiting Fellow am German Historical Institute London. Sie hat 2008 an der Universität Bern zum Thema Koloniale Sicherheitspolitik in Deutsch-Ostafrika promoviert.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Empire- und Kolonialgeschichte in Afrika und Südasien vom 18. bis ins 20. Jahrhundert.

»Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen.«

Hermann von Wissmann

Im Auftrag des belgischen Königs Leopold II. tritt Hermann von Wissmann, der von seinen Zeitgenossen als Deutschlands größter Afrikaner bezeichnet wird, 1883 seine zweite Afrikareise an. Ziel der Expedition ist die Erkundung des Verlaufs des Kasai und der Zuflüsse im Kongo. An einem Nebenfluss des Kasai gründet Wissmann die Station Luluaburg und startet von dort aus mit seinen Trägern und Eingeborenen des Baschilange-Volks mit selbstgebauten Kanus die Erkundung des Flusses. Die längst vermutete Zugehörigkeit des Kasai zum Kongogebiet kann Wissmann nach seiner Expedition endlich bestätigen.

Reich ausgerüstet reist Hermann von Wissmann 1883 zum zweiten Mal, jedoch erstmalig in leitender Funktion, nach Afrika – in das Kongogebiet, dessen Flussstrukturen und -verläufe er für den belgischen König erforschen soll.

Von der Station Luluaburg aus fährt die Expedition in selbstgebauten Kanus auf dem Kasai Richtung Süden, bis sie 1885 wieder an die Küste gelangt. Trotz zahlreicher Widrigkeiten, wie der undurchsichtige Verlauf des reißenden Flusses und Kämpfe mit Eingeborenen, haben die Forschenden wichtige Ergebnisse vorzuweisen: die Zugehörigkeit des Kasai zum Kongogebiet, Klarheit über den Verlauf einiger Kongonebenflüsse und die Eröffnung neuer Binnenschifffahrtswege.

DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER

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Hermann von Wissmann

Hermann von Wissmann

Im Innern Afrikas

Die Erforschung des
Flusses Kasai

1883 – 1885

Unter Mitwirkung von
Ludwig Wolf, Curt von François
und Hans Mueller

Eingeleitet von Tanja Bührer

Mit 84 Abbildungen, einer Karte und
umfangreichen tabellarischen Anhängen

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nach der Ausgabe Leipzig, 1891, 2. Auflage
Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop
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eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0392-2

www.marixverlag.de

INHALT

Einleitung

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

Erstes Kapitel

Von Hamburg nach Malange

Zweites Kapitel

Malange

Drittes Kapitel

Von Malange nach dem Kuango

Viertes Kapitel

Vom Kuango nach dem Kasai

Fünftes Kapitel

Vom Kasai bis Mukenge

Sechstes Kapitel

Muellers Bericht über seine Reise zu Muata-Kumbana

Siebentes Kapitel

Überblick über das durchreiste Gebiet von der Küste bis Mukenge

Achtes Kapitel

Das Volk der Baluba und die Anlage von Luluaburg

Neuntes Kapitel

Krieg gegen den Häuptling Katende

Zehntes Kapitel

Tätigkeit und Ereignisse auf Luluaburg

Elftes Kapitel

Wolfs Bericht über seine Reise in das Land der Bakuba

Zwölftes Kapitel

François’ Bericht über seine Reise zu Mona-Tenda

Dreizehntes Kapitel

Von Luluaburg nach dem Kanubauplatz

Vierzehntes Kapitel

Fahrt vom Kanubauplatz bis zum Kasai

Fünfzehntes Kapitel

Von der Einmündung des Lulua bis zur Einmündung des Sankuru

Sechzehntes Kapitel

Von Sankuru bis zu den feindlichen Bassongo-Mino

Siebzehntes Kapitel

Von den Bassongo-Mino bis zum Kuango

Achtzehntes Kapitel

Vom Kuango zum Kongo

Neunzehntes Kapitel

Von der Kasaimündung zum Stanley Pool

Anhang I

I. Metereologisches

II. Zusammenstellung der größeren berührten Wasseradern

III. Astronomische Ortsbestimmungen

IV. Höhen auf der Route Malange-Mukenge

V. Höhen auf der Bakubareise

Anhang II

VI. Anthropologische Messungen

VII. Linguistisches

Anhang III

VIII. Verzeichnis der gesammelten und bisher bestimmten Insekten

Register

EINLEITUNG

Nach monatelangen Wanderungen im Kongobecken und wilder Fahrt auf dem unbekannten Fluss Kasai erspähte Hermann Wissmann, der Expeditionsleiter zur Erforschung der Flusssysteme des unteren Kongo, am 9. Juli 1885 unerwartet einen europäischen Gebäudekomplex. Nicht minder überrascht waren die zwei in Kwamouth stationierten Europäer, das an der Mündung des Kasai in den Kongo lag. Sie hatten die Expedition für verschollen gehalten und insbesondere auch nicht angenommen, dass der als »Kwa« bezeichnete Fluss der Kasai sei. Einiges hatte sich nach der Ausreise der Expedition Ende 1883 verändert. Die über dem Stationsgebäude wehende blaue Flagge mit goldenem Stern stand nicht mehr für die Internationale Kongo-Vereinigung, in deren Auftrag Wissmann losgezogen war, sondern für den neu gebildeten Kongo-Freistaat, der letztlich Privatbesitz der belgischen Krone war. Als sich die deutschen Expeditionsmitglieder im Stationshaus einfanden, erfuhren sie zudem von den Ergebnissen der kürzlich stattgehabten Berliner Afrika-Konferenz und den Gebietserwerbungen des Deutschen Reichs in West- und Ostafrika.

Der »Scramble for Africa«, der Wettlauf europäischer Nationalstaaten um die Aufteilung Afrikas, hatte jedoch schon zuvor begonnen. 1881 hatten die Franzosen Tunis besetzt, und 1882 wurde Ägypten britisches Protektorat. Für den erst 1871 gegründeten deutschen Nationalstaat war die letzte Möglichkeit gekommen, sich unter die Kolonialmächte einzureihen. Reichskanzler Otto von Bismarck glaubte zwar nicht an die von der Kolonialpropaganda verheißene Krisentherapie, wonach Kolonien eine allumfassende Lösung für die ökonomischen und sozialen Probleme Deutschlands böten. Vielmehr sah er in einer globalen Expansion die Eröffnung neuer Konfliktfelder und somit eine Gefährdung der deutschen Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent. Er befürwortete jedoch den Freihandelsimperialismus in Form einer indirekten staatlichen Unterstützung expandierender Wirtschaftsinteressen. In Kontinuität dazu muss auch sein Entscheid gesehen werden, Schutzbriefe für auf private Initiative zurückgehende Gebietserwerbungen zu verleihen, so am 24. April 1884 für Südwestafrika und am 27. Februar 1885 für Ostafrika. Durch die Verleihung von Hoheitsrechten an private Gesellschaften wie die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika (DKGSWA) und die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) glaubte er, die deutschen Kolonialversuche im Hintergrund lenken zu können, ohne politische Verantwortung übernehmen zu müssen. Allerdings weigerten sich die in Kamerun und Togo tätigen deutschen Handelsfirmen, darunter das Hamburger Haus Woermann, Hoheitsrechte auszuüben, sodass diese deutschen Interessensphären 1884 direkt unter Reichsschutz gestellt werden mussten.

Bismarck kam zudem die innenpolitische Instrumentalisierung der Kolonialpolitik entgegen. Sein Wahlkampf bei den Reichstagswahlen im Herbst 1884 zielte auf eine konservativ-nationalliberale Allianz, die sich vor allem gegen die Linksliberalen richtete. Gleichzeitig ließen ihm in dieser Zeitphase die Spannungen zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland in Afrika und Mittelasien einen großen außenpolitischen Spielraum. Insbesondere die erbitterten französisch-britischen Rivalitäten gaben Bismarck einen gelegenen Anlass, eine Konferenz zur Koordination der Außenpolitik in Afrika einzuberufen und sich dabei als der großzügige Makler zu geben. Die vom 15. November 1884 bis zum 27. Februar 1885 tagende Berliner Afrika-Konferenz, bei der die »zivilisierten« Mächte in diplomatischer Selbstverständlichkeit über die nicht europäischen Gebiete zu bestimmen beanspruchten, stand vordergründig noch ganz im Zeichen des Freihandelsimperialismus und zivilisationsmissionarischer Rhetorik. Der freie Handel im Kongobecken und die freie Schifffahrt auf dem Niger und dem Kongo wurden zwar festgehalten, aber nur im letzteren Fall sollte eine internationale Kommission gegründet werden. Zwar wurden keine Gebietsaufteilungen auf dem Reißbrett festgelegt, aber die Teilnehmer der Konferenz einigten sich auf die Bedingungen für zukünftige Besetzungen in Afrika, und im Hintergrund wurden zahlreiche bilaterale Abkommen zur Abgrenzung von Interessensphären verhandelt. Die humanitären Postulate zur Unterdrückung des Sklaven- sowie des Alkoholhandels wurden nicht rechtlich verbindlich geregelt, und die Initiative zur Neutralisierung des Kongobeckens im Kriegsfall resultierte in einer »neutralité facultative«. Von zentraler Bedeutung für Zentralafrika war, dass fast alle Signaturmächte den belgischen König Leopold II. als Repräsentant einer souveränen Macht und somit als Besitzer des Kongo-Freistaates bestätigten.

Was auch immer hinter dem liberalen Geist der Konferenz gestanden haben mochte, in den folgenden Jahren wurde fast ganz Afrika unter Souveränitätsansprüchen besetzt und Handelsmonopole errichtet. Und es sollte gerade Leopolds Kongo-Freistaat sein, der die größte Diskrepanz zwischen freihändlerisch-philanthropischer Mission und der brutalen Realität eines mörderischen Systems von Zwangsarbeit aufweisen sollte. Da der belgische König keine große Macht vertrat, hatte er über indirekte Wege das Fundament seiner späteren Kolonialpolitik gelegt. 1876 hatte er eine geographische Konferenz einberufen, aus der er die Internationale Afrika-Vereinigung aus der Taufe hob, zu deren Präsidenten er sich küren ließ. Diese Vereinigung sollte künftig Unternehmungen zur »wissenschaftlichen Erforschung der unbekannten Teile Afrikas«, zur »Zivilisierung des inneren Afrika« und zur »Unterdrückung des Sklavenhandels« koordinieren. 1882 ging diese Organisation in die Internationale Kongo-Vereinigung über, die mehr noch als ihre Vorläuferorganisation lediglich eine Tarnbezeichnung für ihren Protagonisten war. Leopold II. finanzierte Expeditionen zum Kongo, die von 1879 bis 1884 von dem britisch-amerikanischen Forschungsreisenden Sir Henry Morton Stanley geleitet wurden. Dabei gründete er vor allem Stationen und schloss Verträge mit lokalen afrikanischen Autoritäten, obwohl die Vereinigung als internationale private Körperschaft rein technisch kein Recht zur Ausübung von Souveränitätsrechten hatte.

»Forschungsreisen« im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts standen bereits im Zeichen des Wettlaufs um Afrika. Das Pathos des Entdeckers als heroischer Überwinder von Grenzen, der von rein wissenschaftlichem Interesse getrieben war, hob sich stets positiv vom Bild des Eroberers ab. Der Entdecker bereitete dem dicht auf ihn folgenden Eroberer jedoch oft nicht nur den Weg, sondern manchmal handelte es sich um ein und dieselbe Person. Auch die Reise zur »Erforschung des Kasai« von 1883 bis 1885, die Wissmann im Auftrag der Internationalen Kongo-Vereinigung durchführte, war in vielfacher Hinsicht eine für diese Übergangsphase charakteristische Gemengelage von Forschungs- und Erwerbsexpedition sowie internationalen Kooperationen und nationalistischen Bestrebungen. Obwohl Wissmann im Dienst des belgischen Königs stand, konnte er es sich ausbedingen, dass die Expedition unter deutscher Flagge marschierte und Sammelobjekte dem Königlichen Museum zu Berlin übergeben werden durften. Alle europäischen Reisegebegleiter, die Wissmann sich aussuchte, waren deutsche Staatsangehörige, die sowohl eine wissenschaftliche wie militärische Ausbildung vorweisen konnten. So wirkte der Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf als Ethnologe, der preußische Hauptmann Curt von François als Geograph, der Leutnant Franz Müller als Meteorologe und Photograph und der preußische Leutnant im Feldjägerkorps und Forstreferendar Hans Müller als Zoologe und Botaniker. Die Begegnungen mit Angehörigen bestehender und angehender Kolonialmächte waren noch vom Geist einer internationalen Zusammenarbeit im Rahmen eines kollektiven Imperialismus geprägt. So wurden die deutschen Expeditionsmitglieder von ihrer Reise von der westafrikanischen Hafenstadt Luanda durch Angola hindurch von den Beamten der portugiesischen Krone tatkräftig unterstützt. In Malange, dem östlichsten Posten der Portugiesen, feierten sie mit portugiesischen Honoratioren der Ortschaft bei einer reichen Tafel des Kaisers Geburtstag, ein Brauch, der in den deutschen Kolonien zur Tradition werden sollte. Als die Expedition schließlich im Juli 1885 in Leopoldville ankam, fand ein reger Erfahrungs- und Wissensaustausch mit den belgischen Kolonialbeamten, den europäischen Forschungsreisenden im Dienst Leopolds II., den Deutschen Expeditionsmitgliedern der Afrikanischen Gesellschaft sowie auch den Franzosen der französischen Stadt Brazzaville auf dem jenseits davon liegenden Nordufer des Kongo statt.

Wissmann war aber zur Durchführung seiner Mission auch eminent auf die Kooperation mit Afrikanern angewiesen. Dabei konnte er teilweise auf Beziehungsnetzwerke seiner ersten Afrikareise im Auftrag der Afrikanischen Gesellschaft von 1880 bis 1883 zurückgreifen, die ihn als Juniorpartner von Paul Pogge teilweise durch dieselben Gebiete geführt hatte. So meldeten sich einige der Dolmetscher erneut zum Dienst. Unabdinglich für die Orientierung waren auch Wegeführer und die Informationen der Bevölkerung, denn auch wenn die deutschen Expeditionsmitglieder moderne technische Messgeräte mitführten, waren sie nach wie vor vom lokalen Wissen abhängig. Das unwegsame Gelände ließ nur einige wenige Reittiere wie Ochsen für die an der Spitze der Hierarchie stehenden Expeditionsmitglieder zu, der ganze Warentransport hingegen musste durch menschliche Träger bewältigt werden, die meist im Voraus für ihre Dienste bezahlt wurden. Durch die Begleitung von Frauen schwoll der Tross auf rund 500 Köpfe an. Bemerkenswert ist, dass die Dolmetscher und teilweise auch die Träger gleichzeitig oft auch als selbständige Kleinunternehmer agierten, indem sie etwa Waren von der Küstenregion im Landesinnern gegen Elfenbein eintauschten. Die Organisation und Ordnung der Karawane war absolut zentral für ein erfolgreiches Vorankommen, wobei zur Vermeidung von Desertionen auch disziplinarische Strafen angewandt wurden. Ein grundsätzliches Problem war auch die Ernährung des ganzen Trosses. Herrschte keine Hungersnot, so verlief die Versorgung durch die lokale Bevölkerung gegen die bei den portugiesischen Händlern an der Küste erworbenen Tauschartikel wie Tuche, Perle, Muscheln und Messingdraht in der Regel reibungslos. Die Tatsache, dass Reisenden oft größere Schwierigkeiten durch das extreme Klima, die Naturgewalten und die wilde Tierwelt entstanden als durch Konflikte mit der Bevölkerung, lag grundsätzlich daran, dass die flüchtigen Begegnungen von Tausch und Handel geprägt waren. Es war für die Anwohner oft nicht erkennbar, dass die Vermessungen der Durchreisenden, die geographischen, ethnographischen und klimatischen Beobachtungen einst zu ihrer Beherrschung und Ausbeutung eingesetzt würden.

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse mit der lokalen Bevölkerung, wenn sich eine Expedition dauerhaft an einem Ort niederließ. In diesem Kontext wurde sie in lokale Allianzen und Konflikte hineingezogen, da afrikanische Akteure den neuen Machtfaktor für die Verfolgung ihrer eigenen Interessen zu nutzen bestrebten. Nachdem Wissmann im Oktober 1884 den Kasai erreicht hatte, wollte er eine Station gründen, die als Ausgangspunkt zur Entsendung von Erkundungsexpeditionen des Kasai und seiner Nebenflüsse dienen sollte. Dafür war er auf die Unterstützung von Anwohnern für die Versorgung und insbesondere für Arbeitsleistungen angewiesen. Mit dem mächtigen Chief Kalamba, der seine Residenz in dem nahe gelegenen Mukenge hatte, konnte Wissmann an eine alte Bekanntschaft anknüpfen. Bei seiner ersten Afrikadurchquerung musste er Pogge 1883 aufgrund einer schweren Erkrankung in Mukenge zurücklassen, wo er dann für die Afrikanische Gesellschaft eine wissenschaftliche Station gründete. In Empfängen und Zeremonien mit transkulturellem Pomp schlossen Wissmann und Kalamba ein Bündnis. Den damit verbundenen Verpflichtungen mussten die Expeditionsmitglieder schon kurz darauf nachkommen. Als ein untergebener Chief Kalamba den Tribut verweigerte, mussten sie sich ihm als Hilfstruppen auf seinen Kriegszügen gegen den säumigen Zahler anschließen. Mit der zeitweiligen Niederlassung sollten auch die Grashütten und Lehmhäuser durch eine befestigte Station mit umgebenden Anlagen wie Lagerhäuser, Viehställe sowie eine Kaserne ersetzt werden, allerdings mussten sich die Baumeister mit vorfindbaren Materialien wie Ton, Lianen, Palmrippen etc. behelfen. Zudem wurden in der Umgebung Gärten angelegt, die als agrarwirtschaftliche Testfelder dienten.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Tätigkeit von den Kolonialmilitärs in den deutschen Afrikakolonien von 1884–1900, insbesondere in den ebenfalls tropischen Gebieten Kameruns und Deutsch-Ostafrikas, die im Landesinnern erst nach der Jahrhundertwende allmählich von zivilen Distriktbeamten abgelöst wurden, so können starke Kontinuitäten zu solchen »Forschungsexpeditionen« festgestellt werden. Es ist daher nicht erstaunlich, dass wir einige deutsche Forschungsreisende später in führenden Positionen der deutschen Kolonialregimes wiederfinden. Als idealer Typus eines Kolonialmilitärs wurde der wissenschaftlich interessierte Offizier angesehen, der die ihm unterstehenden, meist noch weitgehend unbekannten Gebiete auf Erkundungsreisen naturwissenschaftlich erforschte, sie kartographierte, die politischen Verhältnisse der sozio- und ethno-politischen Gruppen ausfindig machte und auch Anbauversuche unternahm. Wie Wissmann hatten sie oft das Selbstverständnis eines »diplomatischen Soldaten«, der mit den Anwohnern zu verhandeln in der Lage sein musste. Die zerstreut im Landesinnern gegründeten Stationen dienten gleichzeitig als Rückzugsorte, Nachschubbasen für Expeditionen, Zentren lokaler Verwaltung und Herrschaftsausübung sowie als Ausgangspunkte wirtschaftlicher wie verkehrstechnischer Erschließung. Außer den deutschen Offizieren und Unteroffizieren, die auf Maultieren ritten, mussten sich die stationierten Feldkompanien zu Fuß fortbewegen und die Lasten auf den Köpfen von Trägern transportiert werden. Die deutschen Schutztruppen auf dem Marsch glichen in vieler Hinsicht den Reisekarawanen und hatten auch mit ähnlichen Problemen wie Hindernissen, Flussüberquerungen, Orientierungsschwierigkeiten, Versorgungsproblemen sowie feindlichen Angriffen zu kämpfen. Die Erfahrungen von Forschungsexpeditionen des späten 19. Jahrhunderts konnten somit in beachtlichem Ausmaß in den kolonialherrschaftlichen Kontext transferiert werden. Wie viele andere Forschungsreisende hatte Wissmann den Leitsatz »Wissen ist Macht«. Ihm kam es nicht nur darauf an, das Wissen um Afrika zu vermehren, sondern er war insbesondere bestrebt, den geringen europäischen Machtfaktor durch afrikanisches Wissen zu verstärken.

Nachdem die deutschen Mitglieder der Kasai-Expedition ihre eigenen Erkundungsreisen über die Nebenflüsse durchgeführt hatten, traten sie im Mai 1885 mit ihrem Bündnispartner Kalamba und einem Teil seiner Gefolgschaft mit der Kanufahrt den Kasai hinunter den letzten Teil ihrer Reise an. Im Juli erreichten sie die Mündung in den Kongo und liefen schließlich Mitte Juli in ihrem Ziel Leopoldville ein. Das primäre Expeditionsziel, die Wasserverläufe des südlichen Kongobeckens und somit mögliche Verkehrsadern für den Handel zu klären, war erreicht. Für Wissmann war die Reiserei vorerst auch zu Ende, da sich seine asthmatischen Anfälle bedenkliche verschlimmert hatten.

In Madeira sollte Wissmann seine stark angeschlagene Gesundheit erholen. Die in Kwamouth und Leopoldville erfahrenen Neuigkeiten über die kolonialpolitischen Ereignisse, insbesondere über die deutschen Gebietserwerbungen, ließen ihm jedoch keine Ruhe. In einem Brief an den deutschen Kronprinzen Friedrich Wilhelm bat Wissmann um dessen Vermittlung, ihn von den weiteren Verpflichtungen dem belgischen König gegenüber zu befreien, damit er sich den deutschen Kolonialunternehmungen zur Verfügung stellen könnte. Er wurde jedoch abschlägig beschieden. Wissmann versuchte in seinen späteren Schriften immer zu entschuldigen, dass er in den Dienst des belgischen Königs Leopold getreten war. Im Kontext des aufkommenden chauvinistischen Imperialismus und dem nationalistischen Kolonialismus mit ausschließlich staatlichen Kolonialbeamten, versuchte er den »Makel« eines Dienstverhältnisses in fremdem Sold abzustreifen. Vor und in den Anfangsjahren seiner Afrikakarriere war für Wissmann die Nationalitätenfrage nicht vorrangig. Sein Hauptbestreben war, dem für ihn beengenden beruflichen und gesellschaftlichen Leben in Deutschland zu entkommen.

Wissmann wurde am 4. September 1853 Frankfurt an der Oder geboren. Schon früh zeigte sich seine Unternehmungslustigkeit, war er doch bei Streichen immer der Führer, der Vorschläge und Anordnungen machte. Sein Vater, der die Beamtenlaufbahn eingeschlagen hatte, verstarb 1869, worauf Wissmann in eine Pension nach Neu-Ruppin umzog, um dort das Gymnasium zu besuchen. Er mochte es jedoch nicht, auswendig zu lernen, sondern wollte Sachverhalte vielmehr verstehen. Als knapp Siebzehnjähriger hatte sich Wissmann 1870 bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges voller Tatendrang als Freiwilliger gemeldet, wurde jedoch seines jungen Alters wegen nicht angenommen. Er blieb indes bei seinem Entschluss, Offizier zu werden, eine Laufbahn, die sowohl väterlicher- wie insbesondere mütterlicherseits viele seiner Vorfahren eingeschlagen hatten, und trat in das Kadettenkorps ein. Schon bald wurde aber offensichtlich, dass sich die intuitive, charismatische Führungspersönlichkeit kaum in das strenge Regelwerk und die straffen Hierarchien militärischer Anstalten fügen konnte. Disziplinarverstöße brachten ihm mehrere Nächte im Arrestlokal ein. Dennoch schaffte er es 1874, die Kriegsschule zu absolvieren und zum Offizier befördert zu werden – was allerdings keine mäßigende Wirkung auf sein Temperament hatte. So verletzte der allseits bekannte »tolle Leutnant« in einem Pistolenduell seinen Gegner schwer, was ihm vier Monate Festungshaft einbrachte. Der von Wissmann nach einer Unterredung mit dem Forschungsreisenden Paul Pogge gefasste Entschluss, sein künftiges Betätigungsfeld nach Afrika zu verlegen, rührte denn wohl auch weniger aus einem genuinen Interesse an Afrika selbst, als vielmehr aus seinem Drang, dem drögen Militärdienst sowie der spießbürgerlichen Enge der deutschen Gesellschaft zu entfliehen. Seine Beurlaubung von seiner damaligen Stellung als Leutnant und Ausbilder von Einjährig-Freiwilligen erreichte Wissmann durch die Vermittlung eines Onkels, der mit dem Preußischen Kriegsminister Georg von Kameke zur Schule gegangen war.

Nachdem Wissmann 1883 von seiner ersten Afrikareise zurückkam und die Afrikanische Gesellschaft kein Geld für weitere Projekte hatte, zögerte er nicht, im Auftrag der Internationalen Kongo-Vereinigung den Kasai zu erforschen. Nach seinem anschließenden Erholungsaufenthalt in Madeira und der Verleihung eines Leopold-Ordens trat Wissmann im März 1886 seine zweite Kongo-Mission im Dienst Leopolds II. an. Er hatte die Wahl zwischen der Übernahme von Verwaltungsaufgaben oder der weiteren Erkundung der südöstlichen Länder. Er entschied sich für die letztere Aufgabe, da sie ihm vollständige Handlungsfreiheit gab und ihn nicht dem Generalgouvernement des Kongostaates unterstellte. Wissmann nahm eine Hungersnot zum Vorwand, um entgegen den Weisungen seines Auftragsgebers Richtung Ostküste zu marschieren. Dort begegnete er Agenten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und erfuhr von deren gespanntem Verhältnis zu den arabischen und afrikanischen Protagonisten des interregionalen Karawanenhandels.

Nach seiner Rückkehr nach Europa war Wissmann frei von weiteren Dienstverpflichtungen gegenüber dem belgischen König. Rastlos, wie er war, schloss er sich im Frühjahr 1888 der von der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) geplanten Emin-Pascha-Expedition an. Der deutsche Staatsangehörige Emin Pascha »verwaltete« die Äquatorialprovinz am südlichen Rande des Sudans, das einzige Gebiet, das nach der Eroberung der Mahdisten als isolierte Insel übriggeblieben war. Zur gleichen Zeit organisierte auch die British East Africa Company eine als Befreiungsaktion inszenierte Expedition, deren Leitung dem berühmten Forschungsreisenden Stanley anvertraut wurde, der sich wie Wissmann kurz zuvor noch im Dienste König Leopolds II. befunden hatte. Das deutsch-britische Abkommen von 1886 hatte aufgrund mangelnder Kenntnisse die westliche Grenze der jeweiligen britischen und deutschen Interessensphäre in Ostafrika offen gelassen. Die rivalisierenden Expeditionsunternehmen sollten versuchen, durch die Indienstnahme Emins und seines Personals die Protektorate zu einer zentralafrikanischen Großkolonie auszuweiten, einmal mehr, ohne dass die Regierungen vordergründig eine große Rolle spielten. Der Konflikt zwischen Carl Peters, der die erste Erwerbsexpedition in Ostafrika initiiert hatte, und Wissmann über das Kommando der Expedition fiel zugunsten Wissmanns aus. Das Unternehmen musste jedoch auf unbekannte Zeit verschoben werden, da die mittellose DOAG im August 1888 beim ersten ernsthaften indigenen Widerstand zusammengebrochen war und die zur Durchreise vorgesehenen Gebiete in Aufruhr waren.

Das Deutsche Reich sah sich nun zum ersten Mal einer größeren Landoperation in Übersee gegenüber, bei der es mit einem weitgehend unbekannten Gegner sowie einer neuartigen Kriegführung konfrontiert sein würde. Bismarck hatte der DOAG zu Beginn der Krise entschieden erklärt, dass er eher die ganzen Kolonialversuche aufgeben würde, als Landtruppen des Reichs einzusetzen. Auch die Führungsspitzen der Armee und der Marine waren keinesfalls bereit, sich auf ein solch risikoreiches und für die Sicherheitsinteressen des Reiches bedeutungsloses Unternehmen einzulassen. Der Entscheid, eine koloniale Söldnertruppe nach britischem oder französischem Vorbild zu schaffen, ist auf ähnliche Beweggründe wie gegenwärtige Privatisierungen von oben und das Outsourcen militärischer Aufgaben für Einsätze an der Peripherie zurückzuführen: Die Regierung wollte sich möglichst nicht für den Einsatz verantworten, insbesondere nicht für gefallene deutsche Soldaten, und die regulären Verbände konnten für ihre Kernaufgaben bewahrt werden. Innerhalb des militärischen Establishments im Deutschen Reich hatte jedoch niemand eine Ahnung, woher eine solche Söldnertruppe genommen werden, wie sie organisiert und ins Feld geführt werden sollte.

Schnell waren sich die zuständigen Instanzen einig, dass Hermann Wissmann einer der ganz wenigen deutschen Experten mit hinreichender militärischer Vorbildung und Afrika-Erfahrung für die Bewältigung einer solchen Aufgabe war. Für die globalen Akteure war nun die Stunde für prestigeträchtige Reichsaufträge gekommen, sofern es ihre Gesundheit nach den Strapazen und Tropenkrankheiten noch zuließ. So sollte Curt von François, Wissmanns Begleiter der Kasai-Expedition, nachdem die südwestafrikanische Chartergesellschaft gewaltsamen Widerstand ebenfalls hilflos gegenüberstand, im Januar 1889 mit einer sehr ähnlichen Mission beauftragt werden. Ende November 1888 konnte Wissmann dem Auswärtigen Amt seine Pläne der Formierung einer Expeditionstruppe sowie zur Rückeroberung und Besetzung der ostafrikanischen Küstenplätze unterbreiten. Wissmann wollte ehemalige Angehörige anglo-ägyptischer Regimenter anwerben, die sich seit den Niederlagen gegen die Mahdisten im Sudan beschäftigungslos in den Vorstädten Kairos aufhielten. Auf die »Sudanesen« war er bei den Zwischenaufenthalten in Ägypten auf den Rückreisen seiner beiden Durchquerungen Zentralafrikas in den Jahren 1882 und 1887 aufmerksam geworden. Anfang Dezember 1888 wurde Wissmann die große Ehre zuteil, von Bismarck zu einer persönlichen Unterredung in Friedrichsruh empfangen zu werden. Wissmann war begeistert: Der Reichskanzler habe es zu seinem Hauptprinzip erklärt, ihm bei dem Auftrag weitgehendste Selbständigkeit zu belassen und gerade bei der Erörterung afrikanischer Fragen immer wieder gesagt, dass er, Wissmann, dies besser wisse. Bismarck soll geäußert haben: »Ich bin nicht der kaiserliche Hofkriegsrat in Wien, und Sie sind Tausende von Meilen entfernt, Sie stehen auf eigenen Füßen. Ich gebe ihnen immer nur wieder den einen Auftrag: Siegen Sie!«

Allerdings musste zuvor die Zustimmung des Reichstages für die Finanzierung der militärischen Intervention gewonnen werden. Gelegen kam, dass zu diesem Zeitpunkt zahlreiche, auch katholische Antisklaverei-Kampagnen geführt wurden, und da arabische und afrikanische Sklavenhändler an den Unruhen beteiligt waren, konnte die »Bekämpfung des Sklavenhandels« mit dem »Schutz der deutschen Interessen in Ostafrika« zu einem Paket geschnürt werden. Wissmann konnte bei seinen beiden Afrikareisen von West nach Ost den Sklavenhandel in dieser Region bezeugen und schilderte nun die humanitäre Katastrophe in den lebhaftesten Bildern. Dabei verschwieg er, dass er ohne die Hilfe des mächtigen arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändlers Tippu Tip vom Tanganjikasee aus die ostafrikanische Küste kaum lebend erreicht hätte, und in der Küstenstadt Sadani kam der abgekämpfte Reisende in den Genuss der großzügigen Gastfreundschaft Bwana Heris, der nun bei der Niederschlagung der Unruhen einer seiner Hauptgegner werden sollte. Solche Beziehung zu den swahili-arabischen Protagonisten des Handelsund Herrschaftsnetzes beschränkte sich nicht nur auf logistische Unterstützung und Versorgung mit Lebensmitteln, es entstanden auch ein Austausch von Wissen, Bündnisse und Freundschaften – Verbindungen, die Wissmann nun skrupellos seiner steilen deutschen Kolonialkarriere opferte. Der Leutnant der Reserve wurde kurzum zum Hauptmann befördert und, nachdem am 30. Januar 1889 die Gesetzesvorlage zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz deutscher Interessen in Ostafrika angenommen wurde, zum »Reichskommissar« ernannt – ein im Kaiserreich üblicher Titel für die Leitung schwieriger Administrations- und Besatzungsaufgaben an den Randzonen nationalstaatlicher Souveränität. Wissmann sollte allerdings der einzige staatliche Akteur sein. Die deutschen Unteroffiziere und Offiziere mussten aus der Armee verabschiedet werden und wurden wie die afrikanischen Söldner zu Wissmanns Kontraktpersonal.

Nachdem Wissmann im Mai 1890 seinen Auftrag erfüllt und das Deutsche Reich aus einer äußerst unangenehmen Situation befreit hatte, reiste er zurück nach Deutschland, um dem neuen Reichskanzler Leo von Caprivi Bericht zu erstatten und seine Pläne für die künftige Entwicklung des ostafrikanischen Schutzgebietes zu unterbreiten. Die privaten Kolonisationsversuche waren definitiv gescheitert und die Reichregierung fühlte sich nach der Krisenbewältigung in der Lage, die reichsunmittelbare Kolonialherrschaft einzuführen. Wissmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wurde geadelt, nicht einmal ein Jahr nach seiner Ernennung zum Hauptmann zum Major befördert und in der öffentlichen Meinung als Kolonialheld gefeiert. Dennoch musste er zu seiner bitteren Enttäuschung feststellen, dass für ihn weder der Gouverneursposten noch das Kommando der neu gebildeten Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika vorgesehen war. Innerhalb des militärisch-politischen Establishments war Wissmanns nonkonformistische, schillernde Persönlichkeit vielen suspekt. Ihm blieb der Ruf eines privaten Gewaltunternehmers haften, der sich ohne Rücksicht auf nationale Loyalitäten und für den bloßen Sold fremden Dienstherren anbot. Insbesondere Caprivi missfiel, dass die Truppe Wissmann persönlich verpflichtet war, was auch in der üblichen Bezeichnung als »Wissmanntruppe« zum Ausdruck kommt. Seine Distanzierungen zu Wissmanns »nach alter Landknechtssitte geworbenen Truppe« waren jedoch übersteigert. Wenn auch die deutschen Offiziere und Unteroffiziere der Schutztruppe an eine staatliche Institution angebunden werden sollten, so bestand die Mehrheit der Truppe nach wie vor aus afrikanischen Söldnern. Die Organisation und Kriegführung der Wissmanntruppe sollte das maßgebende Model für die Schutztruppe bleiben, in die auch ein Großteil von Wissmanns Kontraktpersonal überführt wurde.

Die Reichsbehörden hegten zudem den Verdacht, dass Wissmann das ostafrikanische Schutzgebiet möglichst in dereguliertem Zustand halten wollte, damit sein großer Handlungsspielraum nicht beschränkt wurde. Sein brüskierendes Verhalten militärischen, amtlichen und politischen Autoritäten gegenüber und seine Missachtung gesellschaftlicher Umgangsformen trugen das ihre zu diesem Urteil bei. Als bei gemeinsamen Operationen mit den Seestreitkräften ein erbitterter Streit um die Führung der Truppen entstand, reklamierte der Chef des Kreuzergeschwaders, Admiral Karl August Deinhard, seinen höheren militärischen Rang. Demgegenüber machte Wissmann geltend, dass bei dieser Mission allein die afrikanische Erfahrung gelte – und in dieser Hinsicht sei eindeutig er der älteste Offizier. Deinhard bemerkte gegenüber seinen Vorgesetzten, dass Wissmann meist »irgendein Tropenkostüm trug, welches zuweilen sehr stark afrikanisch anmutete« und vom Größenwahn völlig verblendet sei. Wissmanns Verachtung für Standesdünkel und Hierarchien machte auch vor Reichskanzler Caprivi nicht halt. Nachdem er auf seiner Rückreise nach Deutschland von dem mit Großbritannien geschlossenen Helgoland-Sansibar-Vertrag vom 1. Juli 1890 erfahren hatte, durch den einer weiteren deutschen Expansion in Ostafrika definitiv der Riegel vorgeschoben wurde, kritisierte er Caprivi bei seinem persönlichen Empfang direkt dafür.

Wissmann sollte bis zum Übergang zur reichsunmittelbaren Kolonialherrschaft in Ostafrika als Reichskommissar eingesetzt bleiben. Mitte März 1891 informierte er die auf dem Stationshof versammelten Offiziere über die Entscheidung der Reichsregierung, ihn zu entlassen. Wissmann war eine charismatische Persönlichkeit und sehr beliebt bei seinen Untergebenen, die es als zutiefst ungerecht empfanden, ihren Kommandeur so undankbar aus dem Dienst scheiden zu sehen. Als kurz darauf in der Presse das Bild eines durch Morphium und Alkohol ruinierten Mannes gezeichnet wurde, überkamen ihn die Gefühle und er brach vor einigen seiner Leute in Tränen aus. Die Reichsleitung bemühte sich, den Kolonialhelden nicht vollkommen fallen zu lassen. Wissmann wurde nochmals mit der Leitung einer unabhängigen, vom deutschen Antisklaverei-Komitee finanzierten Expedition betraut, die einen zerlegbaren Dampfer nach dem Tanganjikasee schaffen sollte. Er gelangte jedoch nur bis zum Njassasee und fand die Aufgabe unbefriedigend. In der neu gegründeten Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt sollte er bis Ende der 1890er-Jahre ein eigenes Büro haben, in dem er allerdings nie anwesend war.

Unter Caprivis Nachfolger, Chlodwig von Hohenlohe-Schillingfürst, mit dem Wissmann privat bekannt war, sollte der ehemalige Reichskommissar 1895 doch noch zum Gouverneur Deutsch-Ostafrikas ernannt werden. Als Hohenlohe-Schillingfürst jedoch Wissmann für diese Stellung bei Kaiser Wilhelm II. in Vorschlag brachte, äußerte sich dieser in einem Brief an den Reichskanzler verächtlich über den »bloßen Condottiere« und stimmte nur widerwillig zu. Da der Kaiser bzw. das Marine-Kabinett über die Personalpolitik der Schutztruppenoffiziere entschied, wurde Wissmann die Kommandeursstelle für die Schutztruppe, die sein Vorgänger wie auch seine beiden Nachfolger in Personalunion ausübten, nicht anvertraut. Wissmanns Gouverneurszeit sollte nicht einmal ein Jahr dauern. Er konnte sich in die mit zahlreichen Vorschriften und Reglementierungen verbundene Amtsstelle, die vielerlei Interessen berücksichtigen musste, nicht finden. Für Grenzüberschreiter wie ihn gab es selbst an der imperialen Peripherie keine Verwendung mehr. Mit dem Hinweis auf seine stark angeschlagene Gesundheit wurde seine Abdankung als Gouverneur offiziell begründet.

Wissmann, getrieben von seinem rastlosen Naturell, hatte auch seine physischen wie psychischen Grenzen überschritten und war buchstäblich am Ende seiner Kräfte. Über zehn Jahre lang war er fast pausenlos in leitender Stellung in Afrika unterwegs und somit außerordentlichen Strapazen sowie Stresssituationen ausgesetzt gewesen, die er, wie andere Expeditionsleiter ähnlichen Formats, mit Alkohol, Morphium und Schmerzmitteln aller Art zu lindern suchte. Als er selbst für Vergnügungsreisen nicht mehr die Kraft hatte, versuchte er vergeblich, auf seinem steirischen Gutshof im Kreis seiner Familie zur Ruhe zu kommen. Am 15. Juni 1905 nahm er sich bei einem Jagdausflug das Leben.

Tanja Bührer

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Zum vierten Mal hat mich der dunkle Weltteil, der sich durch Jahrhunderte einsiedlerisch abgeschlossen, und der jetzt mit rastloser Kraft nach Gleichstellung mit den anderen Teilen unseres Planeten strebt, zu sich gerufen.

Nicht die Wissenschaft, nicht allgemeine Kulturbestrebungen sind es diesmal, die mich herzogen; der alte Kontinent ist dankbar, er belohnt meine zehnjährige Arbeit dadurch, dass er mir Raum und Gelegenheit gibt zur Arbeit für mein Vaterland, für Deutschland.

Schon ist manches gelungen, und mit Gottes Hilfe wird das, was jetzt mit Eisen und Blut gesät werden musste, aufgehen zum Nutzen und Heil des Vaterlandes!

Schon sprießt hier und da die Saat aus dem hartgepflügten Boden empor; schneller als ich gehofft, belebt sich der Handel wieder, war es mir doch vergönnt, auf von der Kriegsfessel befreitem, aufatmendem Gebiet zwei großen wegemüden Wanderern, Stanley und Emin, die erste friedlich sichere Ruhe zu bieten, und in nicht ferner Zeit, hoffe ich, wird der Deutsche des heißen Klimas lohnende Früchte, die er jetzt noch fremdem Unternehmungsgeist teuer zahlt, hier selbst gewinnen.

Manches Opfer fordert die Entwicklung der Wildnis zu Segen bringenden Geländen; während ich im Osten tätig war, stellte der älteste Offizier meiner zweiten Reise, die in den folgenden Blättern erzählt wird, Herr Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf, seine Kräfte und Erfahrungen dem Vaterland in den westafrikanischen Schutzländern im Togogebiet zur Verfügung. Niemals Schonung kennend, wenn die Pflicht ihn rief, hat er auch dort im wilden Dahomey seiner ungewöhnlich kräftigen Natur so viel zugemutet, dass er erlag. Wie wir drei noch übrigen Gefährten einen lieben Freund und Kameraden an ihm verloren, so ist für die deutsch-koloniale Sache das allzu frühe Hinscheiden des Stabsarztes Wolf ein schwer zu verwindender Schlag. – Dank ihm und Ehre seinem Angedenken!

Das vorliegende Werk, das eine Zeit behandelt, in der der Verstorbene und andere für das Vaterland wirkende Männer ihre afrikanische Laufbahn begonnen, in der ich reichliche Erfahrungen sammeln und mehren konnte, sieht seiner zweiten Auflage entgegen. Hans Mueller, inzwischen zum königlichen Oberförster befördert, hat sich der mühevollen Durchsicht und Korrektur bereitwilligst unterzogen.

In der Hoffnung, dass die bescheidene Erzählung unserer Reiseerlebnisse das Interesse an dem dunklen Weltteil mehren möge, der für uns Deutsche, wie ich erwarte, von immer mehr lohnender Bedeutung wird, übergebe ich dieselbe nochmals der gütigen Nachsicht der deutschen Leser.

Berlin, im Oktober 1890

Hermann von Wissmann

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Die in den Jahren 1879–82 von Dr. Pogge und mir durch das südliche Flussgebiet des Kongo ausgeführten Reisen, auf welchen der Kasai, Sankuru und Lomami überschritten wurden, waren die Veranlassung, dass die Erforschung dieser in ihrem Verlauf noch unbekannten Wasseradern in geographischen Kreisen an Interesse und Bedeutung gewann.

Wohl war man geneigt anzunehmen, dass diese Ströme Zuflüsse des Kongo seien, doch beruhte alles, was ihren Lauf und ihre Mündung betraf, nur auf Erkundigungen. Livingstone hatte, obwohl er den Kasai weit südlicher als Pogge und ich kennenlernte, dennoch mehr über ihn zu erfahren gewusst, als es uns möglich gewesen war. »Der Kasai«, sagt er, »nimmt später den Namen Saire an, wendet sich nach Nordwesten und Westen und ergießt sich unter dem Namen Kongo bei Banana ins Meer.«

Die jetzige Karte zeigt, wie zutreffend diese Erkundigungen über den Lauf des Flusses waren, wenn man von der später durch Stanley gelösten Lualaba-Kongo-Frage absieht. Stanley glaubte, dass die Ikelembamündung, die er auf seiner denkwürdigen Kongotalfahrt in der Nähe des Äquators entdeckte, die des Kasai sei.

Als er jedoch später fand, dass diese wegen ihrer geringen Wassermassen nicht die eines mächtigen Flusses sein könne, ließ er die Frage offen, ob nicht in dem südlichen Kongobecken ein Binnensee gleich dem Tschadsee vorhanden sei, in welchen der Kasai münde, um dann aus diesem sich schließlich in mehreren Armen mit dem Kongo zu vereinigen.

Se. Maj. König Leopold II., dessen tatkräftiger Unterstützung die Afrikaforschung schon so viele und große Erfolge verdankte, betrauten mich kurz nach meiner Rückkehr von meiner Durchquerung Afrikas mit dem Auftrag, das Kasaiproblem zu lösen und zu diesem Zwecke die Führung einer größeren Expedition zu übernehmen.

Ich zögerte nicht, diesen Auftrag anzunehmen, da die Afrikanische Gesellschaft in Berlin damals über keine Mittel für neue Unternehmungen verfügte, daher auch ihrem Reisenden und meinem früheren Gefährten Dr. Paul Pogge, der noch im Inneren Afrikas weilte und auf Ablösung wartete, keine Unterstützung schicken konnte. Von Dr. Pogge fehlten aber seit langer Zeit alle Nachrichten; beunruhigende Gerüchte über sein Schicksal waren bis an die Küste gedrungen, sodass es mein lebhafter Wunsch war, möglichst schnell über ihn, dem ich mich in Freundschaft und Dankbarkeit verpflichtet fühlte, Gewissheit zu erhalten und ihm die nötige Unterstützung noch frühzeitig zu bringen. Se. Maj. der König hatten mir allergnädigst ausreichende Vollmacht gegeben, Pogge und seine Arbeiten im Inneren für die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland zu unterstützen. Ferner war mir auch die Allerhöchste Vergünstigung gewährt, ethnographische und sonstige wissenschaftliche Sammlungen für die königlichen Museen in Berlin machen zu dürfen. Ich erhielt der Vielseitigkeit des Unternehmens entsprechende Mittel, dasselbe in keiner Weise beengende Direktiven und schritt sofort an die Zusammensetzung und Ausrüstung der größten bis dahin nach dem Inneren des dunklen Kontinents entsandten Expedition. Die Europäer, die ich als meine Begleiter zur Unterstützung, Übernahme detachierter Unternehmungen und zur Ausführung verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten auswählte, waren:

Dr. Ludwig Wolf, königlich sächsischer Stabsarzt, der bereits Erfahrungen in tropischen Gebieten gesammelt hatte und zugleich mit den anthropologischen Arbeiten betraut wurde;

Curt von François, königlich preußischer Hauptmann, der Geograph der Expedition war;

Franz Mueller, königlich preußischer Leutnant, dem die meteorologischen Beobachtungen und photographischen Aufnahmen oblagen;

Hans Mueller, Leutnant im königlich preußischen Feldjägercorps und Forstreferendar, der als Zoologe und Botaniker tätig war.

Ferner nahm ich noch in den Dienst der Expedition den Schiffszimmermann Bugslag, der sich schon auf der erfolgreichen Reise des Herrn Major von Mechow in Afrika bewährt hatte, dann die Büchsenmacher Schneider und Meyer.

In Berlin und Hamburg wurde innerhalb zweier Monate die Ausrüstung mit besonderer Rücksicht auf die Erforschung des Kasai und auf Anlage von Stationen beschafft. Ein für 16 Trägerlasten eingerichtetes zerlegbares Stahlboot erhielt den Namen »Paul Pogge«. Die Bewaffnung bestand aus 500 Gewehren und einem von Herrn Friedrich Krupp geschenkten, für unsere Reisezwecke besonders angefertigten Geschütz.

Die Expedition war unabhängig von der Association internationale und marschierte unter der von Sr. königl. Hoheit dem hochseligen Prinzen Friedrich Karl huldvollst geschenkten deutschen Fahne.

Als ich Malange, den am weitesten nach Osten vorgeschobenen Posten portugiesischer Machtstellung in Angola, erreicht hatte, traf ich unerwartet Dr. Pogge wieder. Die Freude des Wiedersehens war tief getrübt dadurch, dass ich meinen Freund als einen Schwerkranken umarmt hielt. Die Strapazen und Entbehrungen im Inneren hatten die Gesundheit des einst so kräftigen Mannes vollständig gebrochen. Es gelang mir, in zwei Tagen seine geschäftlichen Angelegenheiten in Malange zu ordnen, damit er schnell nach der Küste und weiter nach Europa reisen konnte. Doch alle Fürsorge war vergebens! Er erreichte noch lebend das Meer, um dann fast unmittelbar vor der beabsichtigten Einschiffung nach der Heimat zu sterben. Im holländischen Hause zu São Paulo de Loanda hat Dr. Pogge durch den Chef desselben, Herrn Konsul Wenniger, bis zu seinem Lebensende alle erdenkliche Pflege erhalten, wofür ich auch an dieser Stelle aufrichtig danke.

Auch zweien meiner Gefährten war es leider nicht vergönnt, die Erfolge der Expedition und damit die größte Belohnung einer aufopfernden Tätigkeit zu erleben: Leutnant Franz Mueller und Büchsenmacher Meyer erlagen frühzeitig den Einflüssen eines fremden Klimas. Ehre ihrem Andenken!

Den übrigen Mitgliedern der Expedition spreche ich für die hingebende Aufopferung, durch die sie den Erfolg ermöglicht und gesichert haben, meinen tief gefühlten Dank aus. Hans Mueller hat nach dem Tod seines Bruders die photographischen Ausnahmen gemacht.

Als ich mich im September 1885 schwer erkrankt vom Kongo nach Madeira begeben musste, übertrug ich die Führung der Expedition Stabsarzt Ludwig Wolf, der durch selbständige Erforschung des Sankuru und seiner Nebenflüsse weitere Erfolge erzielte. Wiederhergestellt übernahm ich einen neuen Auftrag von Sr. Maj. dem König der Belgier, der mich wieder in die östlichen Teile des während unserer Anwesenheit im Inneren entstandenen Kongostaates führte und meine Rückreise dann nach der Ostküste richtete. Hier fand ich den ersten Gruß aus der Heimat von meinem Reisegefährten und Freund Ludwig Wolf, dem ich als letztem Landsmann im Inneren Afrikas zum Abschied die Hand geschüttelt hatte, als er nach Westen und ich nach Osten ging. Wolf hatte inzwischen als mein Vertreter das vorliegende Werk in meinem Sinne vorbereitet und schon mit den ehemaligen Mitgliedern der Expedition Hauptmann Curt von François und Forstreferendar Hans Mueller die gemeinsame Bearbeitung desselben unternommen, an deren Durchsicht und Abschluss ich mich dann nach meiner Rückkehr beteiligte. Dadurch, dass Wolf sich bis dahin allein der Redaktion unterzogen hatte, ist die schnelle Herstellung unseres Reisewerks ermöglicht und seinen Kameraden viel Mühe und Zeit erspart geblieben.