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Dr. Kirsten Häusler &

Barbara Friedrich

Kreuzbandriss beim Hund

Ein praktischer Ratgeber für Besitzer

KYNOS VERLAG

© 2011 KYNOS VERLAG Dr. Dieter Fleig GmbH
Konrad-Zuse-Straße 3
D-54552 Nerdlen/Daun
www.kynos-verlag.de

Bildnachweis: Alle Bilder Autorinnen außer
S. 15, 39, 77: Viviane Theby; S. 16, 31: Thorsten Lukaszczyk; S. 17: Fotolia; S. 40: Antje Hebel; S. 76: Rita Lell; Titelfoto: Kynos Verlag unter Verwendung eines Fotos von Rita Lell

ebook-Ausgabe der Printversion (epub)

ISBN 978-3-942335-29-4

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www.kynos-stiftung.de

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Haftungsausschluss
Bitte beachten Sie, dass dieser Ratgeber als Hilfe und unterstützender Leitfaden für Hundebesitzer gedacht ist und keinesfalls als Alternative zu notwendigen ärztlichen oder physiotherapeutischen Untersuchungen und Behandlungen. Bei Zweifeln hinsichtlich des gesundheitlichen Zustands Ihres Hundes wenden Sie sich bitte unbedingt zuerst an einen Tierarzt. Die Autorinnen und der Verlag haben sich um größte Genauigkeit und Fehlerfreiheit bemüht. Sollten dennoch in diesem Buch Fehler oder Ungenauigkeiten enthalten sein, wird jegliche Haftung ausgeschlossen.

Es ist immer gut, das Internet für Recherchen und diverse Foren zur Kommunikation mit anderen Hundebesitzern zu nutzen. Aber befolgen Sie bitte niemals Tipps, Empfehlungen oder Ratschläge, ohne sie zu hinterfragen und zu überprüfen, indem Sie sich mit dem Tierarzt oder der Physiotherapeutin besprechen!

Inhalt

1. Kreuzbandriss beim Hund

Erste Hilfsmaßnahmen

Was tun?

2. So viel Anatomie wie nötig – so wenig wie möglich

Was sind »degenerative Prozesse«?

Arthrose im Knie – was bedeutet das?

3. Kann ich etwas zur Vorbeugung tun?

Gewichtskontrolle

Wichtiges zum Loben und Belohnen

Vernünftiges Training

4. Behandlungsmöglichkeiten des Kreuzbandrisses

5. Die Zeit bis zur Operation

Medikamente

Medikamente eingeben

Kontakt zur Hunde-Physiotherapeutin vor der Operation

Leinenzwang

Ernährung

Morgen ist OP-Termin

6. Nach der Operation

So viel Normalität wie möglich

Immer noch Medikamente

Wickel und Verbände

Mögliche Komplikationen

Die Zeit bis zum Fädenziehen

Schonung und Beschäftigung während der Zeit des Leinenzwangs

7. Was kann die Physiotherapeutin tun?

8. Nach dem Fädenziehen

Braucht Ihr Hund immer noch Schmerzmittel?

Der Leinenzwang ist aufgehoben – und jetzt?

Gehorsamsprobleme nach der langen Zeit an der kurzen Leine

9. Der Besuch bei der Physiotherapeutin nach dem Fädenziehen

Ausblick

10. Übungen zum Muskelaufbau

Belastung der Hinterhand

Beugen der Hinterhand

Gleichgewichtsübungen

Isometrische Übungen

Stehen auf drei Beinen

Im Schritt gehen

Bergauf gehen

Rückwärts gehen

Treppen steigen

Sitz!-und-steh!-Übungen

Betont die Füße anheben

Schwimmen

Ziehen

Entlastung der Wirbelsäule und der Vorderbeine

11. Anhang

Hilfreiches Zubehör und nützliche Adressen

Fachliteratur

Index

1. Kreuzbandriss beim Hund

Argos ist sieben Jahre alt, ein sehr lebhafter Hovawart, der leidenschaftlich gern tobt, ebenso gern arbeitet und manchmal sogar Beschäftigung einfordert. Ich schicke ihn eine Böschung hoch. Es sind höchstens fünf Meter, die er hinaufstürmt, oben schreit er plötzlich auf, hält das linke Hinterbein hoch und jault, dass mir graust. Ich laufe zu ihm, erwarte eine schlimm blutende Verletzung, sehe aber nichts dergleichen. Ich streichle ihn, rede ihm beruhigend zu, und als er endlich nicht mehr schreit, locke ich ihn, damit er ein paar Schritte geht. Das ist mühsam. Er humpelt, hält die linke Hinterpfote hoch – offenbar hat er dort große Schmerzen.

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Argos, Hovawart, sieben Jahre.

Erste Hilfsmaßnahmen

Langsam und ruhig streiche ich zwei, drei Mal zunächst das rechte, nicht schmerzende (!) Bein an der Außenseite von der Hüfte bis zum Fuß aus, dasselbe an der Innenseite von der Leistenbeuge bis unten.

Warum zuerst die gesunde Seite?

Von Anfang an habe ich bei meinen Hunden regelmäßig beide Ohren, beide Beine, beide Augen usw. nacheinander untersucht und ohne akuten Grund abgetastet, um sie an eine körperliche Untersuchung zu gewöhnen. Es ist gut, wenn ein Hund diese Art der Berührung kennt, bevor er durch einen akuten Schmerz alarmiert ist, sich aufregt und übermäßig sträubt, weil er befürchtet, dass ich etwas Ungewöhnliches mit ihm anstelle. Kennt er die ruhig tastende Untersuchung, ist das für ihn normal und kann sogar besänftigend wirken. Sie können mit Ihrem erwachsenen Hund (und erst recht mit einem Welpen) in gesunden Zeiten »beim Tierarzt« spielen und dabei den »Untersuchungen« Namen geben: »Nase!« – »Ohren!« – »Bauch!« usw. Damit bereiten Sie den Hund für mögliche Ernstfälle vor. Eine außerordentlich positive Nebenwirkung solcher körpernahen Spiele ist übrigens, dass sie das Vertrauen des Hundes zu seinem Besitzer stärken.

Auf dieselbe Weise streichend und tastend verfahre ich mit dem linken, schmerzenden Bein. Ich kann keine Veränderungen erspüren, auch keinen Fremdkörper zwischen den Ballen. Bei jeder leisen Bewegung des linken Beins zuckt Argos heftig zurück und gibt einen Schmerzlaut von sich.


Vorsicht:

Wenn Sie einen schmerzenden Körperteil Ihres Hundes untersuchen, seien Sie äußerst vorsichtig! Gehen Sie langsam und behutsam vor und untersuchen Sie ihn nur, solange er einigermaßen entspannt bleibt. Ihr Hund liebt Sie sehr und will Ihnen nichts antun – aber bei einem plötzlichen heftigen Schmerz kann auch der bravste Hund aus Not zuschnappen.

Vielleicht hat er sich nur den Fuß verknackst?

Ist er in eine Scherbe getreten?

Oder hat sich einen kantiger Stein schmerzhaft zwischen seine Ballen geklemmt?

Ich kann nichts finden.

Was tun?

Mit viel gutem Zureden und vielen kleinen Futterbrocken locke ich Argos langsam Schritt für Schritt bis zum Auto und helfe ihm hinein. Er wirkt jetzt ruhig. Wir fahren nach Hause, wo er sich gleich auf seine Decke legt. Nach zwei Stunden lasse ich ihn aufstehen – das Ausruhen scheint die Schmerzen nicht gebessert zu haben, und so rufe ich beim Tierarzt an und schildere ihm, was passiert ist. Glücklicherweise dürfen wir sofort kommen.

Zu dritt heben wir den Hund auf den Untersuchungstisch, und während ich Argos’ Kopf halte, seine Ohren kraule und leise zu ihm spreche, untersucht der Tierarzt das Bein. »Kreuzbandriss« steht für ihn schnell fest.

Was ist das überhaupt?

2. So viel Anatomie wie nötig – so wenig wie möglich

Menschen und Hunde sind einander im Körperbau zwar ähnlich, aber nicht gleich. Anders als Menschen laufen Hunde auf ihren Zehen, und wenn sie stehen, sind ihre Beine nicht gestreckt, sondern in den Knien gebeugt. Durch diese Haltung belasten sie ihre Knie mehr als Menschen die ihren.

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Lage des Knies beim Mensch und beim Hund.

Das Knie ist das Gelenk zwischen Ober- und Unterschenkel. Es ist ein Scharniergelenk, das heißt es lässt nur Beugung und Streckung des Beines zu. Im Gegensatz dazu erlaubt ein Kugelgelenk eine Drehung. Das Hüftgelenk beim Menschen beispielsweise ist ein Kugelgelenk: Wir können das Bein vorwärts, rückwärts und seitwärts bewegen.

Zwei Kreuzbänder, das vordere und das hintere, verbinden den Oberschenkelknochen mit dem Schienbeinknochen. Was so relativ einfach klingt, ist in der anatomischen Realität jedoch recht vertrackt, und es gibt kaum eine erhellende Darstellung, auf der die Einzelheiten für einen Laien verständlich würden. Deswegen lassen wir es mit einer kurzen Erklärung der Funktion bewenden:

• Das vordere Kreuzband hält den Schienbeinknochen in seiner richtigen Position und verhindert, dass er nach vorn rutscht.

• Das hintere Kreuzband stabilisiert das Knie, d. h. es verhindert, dass sich das Knie etwa nach hinten durchbiegt statt nach vorn.

• Jeder Knochen ist im Bereich des Gelenks mit einer Knorpelschicht überzogen. Der Gelenksknorpel hat die Aufgabe, den Knochen zu schützen und Belastungen abzudämpfen. Hierbei handelt es sich um den sogenannten hyalinen Knorpel, der sich vor allem durch seine Druckelastizität auszeichnet.

• Zusätzlich gibt es im Knie eine weitere Besonderheit, die sogenannten Menisken. Sie wirken wie ein Stoßdämpfer, ähnlich dem Faserring der Bandscheibe.

• Wichtig ist außerdem die Gelenkskapsel, die das Gelenk umgibt und maßgeblich an der Ernährung des Gelenks beteiligt ist. Die Synovia, die Gelenksflüssigkeit, wird durch die Bewegung der Kapsel produziert und gewährleistet den überwiegenden Teil der Ernährung der Strukturen im Gelenk, da es im Gelenk so gut wie keine Versorgung über die Blutbahn gibt.

Vielleicht kennen Sie jemand, der sich einen Kreuzbandriss durch eine äußere Einwirkung, etwa beim Sport, zugezogen hat? Früher dachte man, dass auch beim Hund eine plötzliche extreme Überlastung für eine solche Verletzung verantwortlich sei, das ist auch in der Tat beim Junghund die Ursache eines Kreuzbandrisses. Ein Kreuzband ist jedoch sehr belastbar, und um es zu zerreißen, müsste die Krafteinwirkung auf das Knie äußerst massiv sein. Dass es bein einem Tier zu einer derartigen Belastung kommt, ist eher selten. Bei der Untersuchung zahlreicher Kreuzbandrisse konnten Ärzte meist kleinere, nach und nach entstandene Faserrisse nachweisen, und das deutet auf degenerative Prozesse hin.

Neben dem Riss oder Anreißen des Kreuzbands kann es ebenfalls zu Verletzungen der Menisken im Knie kommen. Diese Verletzungen können ebenfalls zu erheblichen Bewegungseinschränkungen führen und werden vom Chirurgen bei der Operation angeschaut und bei Bedarf geglättet.

Was sind »degenerative Prozesse«?

Bei normaler Bewegung unserer Hunde werden Knochen, Muskeln, Knorpel und natürlich auch Bänder beansprucht, und wie jedes Material können sie sich abnutzen – man spricht von »Degeneration«. Irgendwann ist dann schließlich der Punkt erreicht, an dem eine Kleinigkeit ausreicht – eine falsche Bewegung, ein falscher Schritt – und ein »abgenutztes«, beschädigtes Band reißt vollends.

Wenn das Kreuzband nicht völlig durchtrennt ist, spricht man von einem Kreuzbandanriss.

Fallbeispiele

Der achtjährige Berner Sennenrüde Max ist ein Dickerchen, denn Fressen ist für ihn das Größte. Außerdem ist er ein absoluter Ballfan. In den letzten Monaten hat er gelegentlich nach einem allzu lebhaften Ballspiel ein wenig gehumpelt. »Fuß verknackst« hat Frauchen gedacht und ihn geschont. An einem Schlechtwettertag darf er sich im Haus ein wenig Bewegung verschaffen, und da passiert es: Als Max dem Ball hinterherjagt, rutscht er auf dem Parkettboden aus und kippt um. Er jault kurz auf und humpelt, will jedoch trotzdem weiterspielen, wenn auch deutlich ruhiger, denn der Schmerz bremst die Lust auf den Ball. Erst als er nach zwei Tagen deutlich lahmt, geht Frauchen mit ihm zum Tierarzt. Der diagnostiziert schnell einen Kreuzbandriss und vermutet, dass Max schon länger kleinere Schäden am Kreuzband hat und dass es jetzt endgültig gerissen ist.

Basco, ein temperamentvoller, sprungfreudiger Border Collie, hatte vor einem halben Jahr eine Kreuzbandrissoperation rechts. Alles war gut verlaufen, und er war wieder belastbar. Eines Tages geht Frauchen mit ihm zur jährlichen Impfung. Basco findet das so unangenehm wie die meisten Hunde. Zwar hält er still, bis alles überstanden ist, doch als es zur Praxis hinausgeht, saust er zum Auto, und in dem Moment, als Frauchen die Heckklappe öffnet, springt er mit einem gewaltigen Satz ins Auto: Er ist auf der Flucht! Genau dieser Sprung war jedoch zu viel für seine bereits lädierten Bänder: er schreit auf. Der Tierarzt ist sofort zur Stelle und diagnostiziert einen Kreuzbandriss links.

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Max

Kreuzbandriss und -anriss sind beides keine Frage von Schuld (»Habe ich meinem Hund zu viel abverlangt?«). Mein Tierarzt beruhigt mich: Ich muss mir keine Vorwürfe machen! Er erklärt mir, dass auch Veranlagung eine Rolle spielen kann. (Manche Rassen neigen zum Beispiel eher zu Kreuzbandrissen als andere – in der Regel die schweren Rassen, wie z. B. Rottweiler oder Berner Sennenhunde, wobei das Gewicht auch bei Hunden vermeintlich leichterer Rassen eine entscheidende Rolle spielt.) Und er erklärt mir, dass innerhalb einer Zweijahresfrist nach dem Kreuzbandriss im einen Bein oft auch im anderen ein Kreuzband reißt, weil meist die Bänder beider Beine allmählich »mürbe« geworden sind. Das erschreckt mich, und natürlich will ich alles tun, um das nach Möglichkeit zu vermeiden!

Arthrose im Knie – was bedeutet das?

Dabei handelt es sich um einen vorzeitigen Verschleiß des Kniegelenks: Die Knorpelschicht wird durch zu hohe oder unregelmäßige Belastung abgerieben/verletzt und verliert dadurch ihre Dämpfungsfähigkeit, kleine Knochenflächen reiben aufeinander. Das zieht auf Dauer eine Verdichtung des Knochens im Bereich der Überbelastung nach sich, welches man im Röntgenbild als hellere Stellen am Knochen erkennen kann. Am Anfang ist die Beweglichkeit des Gelenks nur leicht eingeschränkt, da es sich aber um einen schleichenden Prozess handelt, der sich stetig ver