Vorwort

Am Anfang war die Faszination

Meine erste Erinnerung an eine astronomische Beobachtung ist die des Kometen Kohoutek an der Jahreswende 1973/1974. Wie für viele andere war dies auch für mich als junger Mensch eine Enttäuschung, da man in der Dämmerung so gut wie nichts sah und der Komet nicht die Helligkeit hatte, die man in den Zeitungen vorhergesagt hatte. Seltsamerweise war dieses Erlebnis nicht das Ende, sondern den Anfang meiner Beschäftigung mit der Astronomie. Ich wollte wissen, was es mit den Sternen auf sich hat.

Einer meiner Onkel führte mich kurze Zeit später während einer nächtlichen Autofahrt über eine kaum befahrene Nebenstraße in den Sternenhimmel ein. Durch die kurvenreiche Strecke kamen immer neue, immer andere helle Sterne in unser Sichtfeld, und meine Neugierde hatte kein Ende. So gab mir mein Onkel, als wir wieder zu Hause waren, das »Kosmos Himmeljahr« vom Vorjahr, um die Sternbilder Monat für Monat zu lernen. Dabei erfuhr ich, wie sich ihre Position über die Zeit am Himmel verändert. Ein Blick durch ein kleines Teleskop feuerte meine Begeisterung für die Astronomie zusätzlich an, sodass ich mir vom ersten selbstverdienten Geld aus einem Ferienjob ein Teleskop kaufte. Nächtelang schaute ich in die Sterne, und je schwerer ein Objekt zu finden war, desto mehr interessierte es mich. Mich faszinierte immer wieder die Grenze des Sichtbaren und ich wollte diese Grenze immer weiter hinausschieben. Die Suche nach der Unendlichkeit des Weltraums hatte mich gepackt. Schnell war ich in den Weiten des Kosmos zu Hause, die mich niemals schreckten, sondern in ihrer Schönheit faszinierten.

Daneben versuchte ich nicht nur zu beobachten, sondern auch mit der mittlerweile erlernten Algebra und Geometrie die Vorgänge am Himmel zu berechnen. Mit den ersten selbstgeschriebenen Computerprogrammen zur Berechnung von Planeten, Kometen und Asteroiden verstand ich die Vorgänge am Sternhimmel. Etwas Neues trat für mich zur Schönheit des Sternenhimmels hinzu: das Staunen über seine Ordnung und die Verwunderung darüber, dass ich als kleiner Mensch sie zumindest ansatzhaft durchschauen und berechnen kann. Für mich war klar, dass die Entstehung unseres Kosmos bestimmt wurde von physikalischen Gesetzen, die ich als Mensch immer weiter entschlüsseln und verstehen lernen kann.

Gleichzeitig war ich in meinem Glauben beheimatet, den mir meine Eltern durch ihr Leben und ihr Vorbild mitgaben. Wir sprachen wenig über den Glauben, er wurde einfach gelebt. Später fand ich Gesprächspartner über das, was ich in der Bibel las und am Himmel beobachten konnte. Für mich gingen dort die Türen zu einem tieferen Verständnis der Schöpfungsgeschichten der Bibel auf: dass sie nämlich nicht wörtlich als naturwissenschaftliche Berichte zu lesen sind, sondern etwas von der Verfasstheit der Welt, von ihrem Urgrund – Gott – und dem Sein des Menschen erzählen wollen. Mich begeisterte sprichwörtlich eine Einführung des Heiligen Geistes als eine dynamische Kraft, die alles schöpferisch und kreativ ins Dasein gebracht hat und im Dasein erhält.

Ich bekam so auf einer anderen Ebene Antworten auf meine Fragen zum Sternenhimmel und zu unserem Menschsein, als ich das von der Naturwissenschaft her kannte. Nach und nach verbanden sich beide Ebenen bei aller Verschiedenheit und auch manchmal bleibender Differenz. Entscheidend waren dabei immer wieder Erfahrungen, die mir zeigten, dass die verschiedenen Realitäten unter dem Sternenhimmel eine Einheit bildeten. Ohne jeden Zweifel überbrückten sie für mich die sonst in unserem Alltag so fein getrennten Bereiche des Geistlichen und Weltlichen. Raum und Zeit spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb befruchteten sich für mich die verschiedenen Zugangsweisen zur Wirklichkeit und gaben mir in der Zusammenschau ein besseres, tieferes Verständnis der Realität, als wenn ich mich nur auf die Naturwissenschaft oder nur auf den Glauben gestützt hätte. Vor allem mein Gottesbild änderte sich dadurch nachhaltig: Gott ist viel größer, allumfassender und dennoch im kleinsten Detail anwesend und eröffnet durch seine Kreativität seiner Schöpfung überall neue Möglichkeiten.

Nach meinem Klostereintritt dachte ich zunächst, dass Astronomie und Mönchsein kaum zusammenpassen. Mein Novizenmeister Pater Meinrad Dufner lehrte mich etwas anderes: Zum einen gibt es eine reiche klösterliche Tradition in Bezug auf die Astronomie – viele Klöster beherbergen eine (alte) Sternwarte. Zum anderen ging es ihm um die Spur meines inneren Weges, die in der Begeisterung für die Schönheit und die Ordnung des Kosmos immer wieder ihre Einheit fand.

Mein benediktinischer Weg, das Suchen nach Gott, findet in der Astronomie eine praktische Umsetzung in meinem Alltag. »Glaube und Naturwissenschaft« sind für mich eine Entsprechung zum benediktinischen Grundsatz »ora et labora« – »bete und arbeite« geworden. Als Drittes kommen das Studium und die Kontemplation hinzu. Benedikt würde sagen: Die Lesung, die Meditation darf im Alltag des Mönches nicht fehlen! So ist die Astronomie für mich ein Lesen im Buch der Natur, das die Schöpfung Gottes ist – manchmal spannungsreich und voller Fragen, manchmal voller Zustimmung und gelöst in der Offenheit auf das Geheimnis Gottes hin. Darüber hinaus ist der Sternenhimmel ein wirksames Gegenmittel, wenn der Alltag zu eng wird oder wenn ich meine eigene Person allzu wichtig nehme.

Die Schönheit der Sterne war es, die mich zur Fotografie des nächtlichen Himmels brachte. Waren es zunächst Aufnahmen mit Normalobjektiven auf Film, gab mir die digitale Aufnahmetechnik ungeahnte Möglichkeiten an die Hand. Aufnahmen in Tiefe und Schönheit, wie sie vor 30 Jahren nur großen Teleskopen und Sternwarten möglich waren, können nun durch mein Teleskop auf dem Gelände der Abtei Münsterschwarzach entstehen. Dabei sind der Computer und die astronomischen Kameras kein Hindernis, die meiner inneren Anteilnahme entgegenstehen. Sie sind selbstverständliche technische Werkzeuge für mich geworden, die mir sowohl bei einer naturwissenschaftlichen Auswertung meiner Bilder helfen und zugleich als Hilfsmittel bei der Kontemplation des Kosmos dienen. Das Ziel, die Genauigkeit und Empfindlichkeit meiner Aufnahmen immer weiter voranzutreiben, steht dem geistlichen Weg nicht entgegen, sondern hilft ihn zu vertiefen, da ich dadurch in das Wunder der Schöpfung immer weiter eingeführt werde. Andererseits lehrt mich meine geistliche Erfahrung, auf welchem tiefen Urgrund des Seins jegliche Wissenschaft aufbaut und in ihm seine Vollendung findet.

Pater Christoph Gerhard
Münsterschwarzach, an Weihnachten 2016

Einleitung

Mit zwei Augen sieht man besser

Der Blick in die Sterne gehört zum Menschen und seiner Kulturgeschichte. Immer dort, wo Hochkulturen entstehen, zeigt sich in den Aufzeichnungen auch, dass die Beobachtung der Sterne mit zum Wesentlichen dieser Kulturen zählen. Ein Grund dafür ist wohl die Festlegung und Einteilung der Zeit in Tag, Monat und Jahr. Dies wurde mithilfe der Sonne, des Mondes und der Sterne möglich. Die Astronomie gehört daher zu den frühen Wissenschaften des Menschen und ist Jahrtausende alt.

Bald war es aber nicht nur die Zeit, die mittels der Himmelsbeobachtung bestimmt werden konnte. Die Sterne halfen dem Menschen zudem, sich auf der Erde zu orientieren. Da lag es nahe, mit der äußeren Ortsbestimmung eine innere vorzunehmen, also die Frage nach dem Wann, dem Woher und dem Wohin auch in Bezug auf den spirituellen Horizont des Menschen zu stellen.

Der Glaube an das Göttliche erwachte schon früh im Menschen. Darauf lassen die geschichtlichen Funde und die Forschungsergebnisse der Archäologie schließen. Die Menschwerdung und die Religion gehören zusammen: Dort, wo der Mensch im modernen Sinn festgestellt werden kann, ist er ein gläubiger Mensch.

So ist es nicht verwunderlich, dass Glaube und Astronomie schon sehr früh zueinander fanden und sich über eine lange Zeit fest miteinander verbunden haben. Zwar trennten sich die Pfade der naturwissenschaftlichen Astronomie und des Glaubens vor einigen Jahrhunderten, aber auch der streng naturwissenschaftlich arbeitende Astronom muss sich nach getaner Arbeit fragen, was seine Ergebnisse für ihn als Mensch bedeuten.

Immer wieder kann man lesen, dass die Naturwissenschaft, speziell die Astronomie mit ihrer Kosmologie, den Glauben widerlegt. Auch umgekehrt werden angeblich oder auch tatsächlich Ergebnisse der Astronomen von Theologen abgelehnt, weil sie mit heiligen Schriften, etwa der Bibel, nicht übereinstimmten. Auf der anderen Seite werden naturwissenschaftliche Ergebnisse dazu herangezogen, heilige Schriften oder den Glauben in der einen oder anderen Gestalt zu »beweisen«. Naturwissenschaft taugt aber nicht dazu, den Glauben an Gott zu beweisen oder zu widerlegen. Ihre Methode und ihr Bereich sind das rein Immanente.

Die verschiedenen Zugänge zu der einen Wirklichkeit, die uns umgibt – von der Naturwissenschaft oder vom Glauben her –, werden oft nur einseitig genutzt und manchmal sogar gegeneinander ausgespielt. Damit wird die Sicht auf die Realität eindimensional und daher notwendigerweise unvollständig. In ein einfaches Bild übersetzt: Räumliches Sehen gelingt uns Menschen nur mit beiden Augen. Wir verhindern die vollständige Wahrnehmung der Realität, wenn wir sie nur durch das Monokel eines der beiden Bereiche erkennen wollen.

Im vorliegenden Buch werde ich beide Weisen unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit, die naturwissenschaftliche und die religiöse, in den Blick nehmen. Auf diese Weise kann ein tieferes Verständnis für die Realität gewonnen werden. Verblüfft können wir vielleicht dabei feststellen, dass sowohl der Naturwissenschaftler als auch der Glaubende davon profitieren, weil wir auf diese Weise den Ort und die Bestimmung des Menschen im Kosmos besser erkennen können. Immer dort, wo wir Menschen nicht die ganze Realität wahrnehmen können oder wollen, verliert sie die Tiefendimension für uns. Die Sichtweise verengt sich und muss anderes ausschließen. Endpunkt ist oft der Fundamentalismus, der das andere schon gar nicht mehr gelten lassen kann und es daher beseitigen muss.

Leider zeigt sich dies auch im Bereich der Naturwissenschaft und des Glaubens. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir den Mut haben, uns der ganzen Wahrheit unserer Welt zu stellen. Es wird uns bereichern mit der Tiefe, Weite und Farbigkeit des Lebens.

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Die Anfänge der Astronomie

Als die Menschen begannen, bewusst in die Sterne zu blicken und sich darüber Gedanken machten, was sich Nacht für Nacht über ihren Köpfen am Himmel abspielte, war die Verbindung zum Göttlichen immer mit diesem Aufschauen verknüpft. Der Bereich des Himmels wurde mit dem Sitz der Götter in Verbindung gebracht. Die Menschen lebten auf der Erde und erfuhren die zahlreichen Kräfte, die hier wirkten. Nichts geschah ohne Ursache. Und vor allem: Das Lebendige auf der Erde bewegte sich. Das galt auch für viele Naturerscheinungen, die der Erkenntnis, dem direkten Kontakt des Menschen entzogen waren: der Regen, die Wolken, Wind und Sonne, der Mond und die Sterne mit den Planeten. Es lag also nahe, den gestirnten Himmel mit dem Numinosen, dem Göttlichen, mit dem, was für den Menschen nicht unmittelbar erfahrbar ist, zusammenzubringen.

Bis heute spielt die Frage nach dem Woher unseres menschlichen Seins in die Naturwissenschaft der Astronomie hinein und gibt ihr eine religiöse Bedeutung, gerade auch dann, wenn man sich auf vermeintlich reine naturwissenschaftliche Ergebnisse stützt, wie ich im Folgenden gerne zeigen möchte.