Klappentext

Auf einer Schiffspassage im Pazifischen Ozean vor der Küste Südamerikas wird Edward Prendick nach einem Streit mit dem Käpt’n in einem Beiboot ausgesetzt. Er kann sich auf eine nahe Insel retten, auf der andere Passagiere des Segelschiffs an Land gehen. Dort findet er eine seltsame, höchst verstörende Welt vor, in der Zwitterwesen aus Mensch und Tier leben. Urheber des Horrors ist der mysteriöse Doktor Moreau, ein aus London stammender Wissenschaftler, unterstützt von seinem Assistenten Montgomery. Prendick erfährt nach und nach mehr über die Experimente Moreaus; und die Abgründe, die sich vor ihm auftun, werden immer schauderhafter. Die Sache eskaliert, nachdem Moreau von einem seiner Geschöpfe angefallen wird ...


Kapitel 8 – Die Schreie des Pumas

Montgomery unterbrach meine wirren Phantasien und argwöhnischen Spekulationen, und sein grotesker Diener kam hinter ihm mit einem Tablett herein, auf dem Brot, Gemüse und andere Lebensmittel, sowie eine Flasche Whisky, ein Krug Wasser, drei Gläser und Messer waren. Ich blickte schräg nach diesem seltsamen Geschöpf und merkte, dass es mich mit seinen wundersamen, unruhigen Augen beobachtete. Montgomery sagte, er wolle mit mir frühstücken, Moreau dagegen sei durch Arbeitsvorbereitungen zu sehr beschäftigt.

»Moreau!« sagte ich; »den Namen kenne ich.«

»Den Teufel kennen Sie ihn!« sagte er. »Was für ein Idiot war bin, ihn Ihnen zu nennen. Hätt’ es mir denken können. Jedenfalls wird er Ihnen eine Ahnung von unseren – Geheimnissen geben. Whisky?«

»Nein, danke – ich trinke nicht.«

»Ich wollte, ich tät‘s auch nicht. Aber nichts zu machen. Es hat keinen Sinn, die Tür zu verriegeln, wenn der Gaul schon auf der Flucht ist. Das verdammte Zeug ist schuld, dass ich hier bin. Das und ‘ne Nebelnacht. Ich hielt es damals für ein Glück, als Moreau mir anbot, mich mitzunehmen. Seltsam ...«

»Montgomery«, sagte ich plötzlich, als sich die äußere Tür schloss; »warum hat der Mann spitze Ohren?«

»Verdammt!« sagte er, an seinem ersten Bissen kauend. Er starrte mich einen Moment lang an, und dann wiederholte er: »Spitze Ohren?«

»Kleine Spitzen dran«, sagte ich so ruhig wie möglich, aber mein Atem stockte; »und feiner schwarzer Pelz an den Rändern.«

Er schenkte sich sinnierend Whisky und Wasser ein. »Ich dachte, sein Haar würde die Ohren verdecken.«

»Ich sah es, als er sich neben mir bückte, um den Kaffee, den Sie mir kommen ließen, abzustellen. Und außerdem leuchten seine Augen im Dunkeln.«

Inzwischen hatte sich Montgomery von der Überrumpelung durch meine Frage erholt. »Ich habe mir doch schon immer gedacht«, sagte er mit Bedacht und stärker lispelnd als sonst, »dass da etwas mit seinen Ohren nicht stimmt. Weil er sie immer so verdeckt hält ... Wie sehen sie denn aus?«

Es war mir klar, dass diese Ahnungslosigkeit vorgetäuscht war. Aber ich konnte dem Mann ja nicht so einfach sagen, dass ich ihn für einen Lügner hielt. »Spitz«, sagte ich; »recht klein und pelzig – ausgesprochen pelzig. Aber der ganze Kerl ist eines der merkwürdigsten Wesen, das mir je vor Augen gekommen ist.«

Ein scharfer, rauer Schrei tierischen Schmerzes drang aus dem Hof hinter uns. Die Tiefe und Lautstärke ließen auf den Puma schließen. Ich sah Montgomery zusammenzucken.

»Ja!« sagte er.

»Wo haben Sie diese Kreatur aufgelesen?«

»Ahrr – San Francisco ... Er ist ein hässlicher Bastard, zugegeben. Halb-debil, wissen Sie. Kann mich nicht besinnen, wo er hergekommen ist. Aber ich bin an ihn gewöhnt, wissen Sie. Wir beide sind‘s. Was für ‘nen Eindruck macht er auf Sie?«

»Er ist unnatürlich«, sagte ich. »Er hat etwas ... Halten Sie mich nicht für hysterisch, aber ich habe ein scheußliches Gefühl, meine Muskeln spannen sich an, wenn er sich mir nähert. Es ist etwas ... etwas Diabolisches, in der Tat.«

Montgomery hatte mit dem Essen aufgehört, während ich das sagte. »Komisch«, sagte er. »Ich empfinde das nicht so.«

Er begann wieder zu essen. »Mir war das nicht klar«, sagte er kauend. »Aber der Mannschaft auf dem Schoner ... muss das auch so vorgekommen sein ... Die haben den armen Teufel gehetzt ... Genau wie der Kapitän, erinnern Sie sich?«

Plötzlich heulte der Puma wieder, diesmal qualvoller. Montgomery fluchte in sich hinein. Ich hätte ihn gern wegen der Leute am Strand ausgefragt. Dann gab das arme Vieh drinnen eine Reihe kurzer, scharfer Schreie von sich.

»Ihre Leute am Strand«, sagte ich; »was für eine Rasse ist das?«

»Exzellente Kerle, nicht wahr?« erwiderte Montgomery abwesend und verzog jedes Mal wenn das Tier scharf aufschrie, das Gesicht. Ich sagte nichts mehr. Es folgte ein weiterer Schrei, entsetzlicher als der vorige. Montgomery blickte mich mit seinen mattgrauen Augen an und trank noch einen Whisky. Er versuchte mich in ein Gespräch über Alkohol hineinzuziehen und bekundete, er habe mir damit das Leben gerettet. Er schien betonen zu wollen, dass ich ihm mein Leben verdankte. Ich antwortete ihm zerstreut. Dann war unser Mahl zu Ende, und das ungestalte Monstrum mit den spitzen Ohren räumte ab. Und Montgomery ließ mich wieder allein im Zimmer zurück. Er war die ganze Zeit in einem Zustand nur schwer unterdrückter Besorgnis über das Geheul des vivisezierten Pumas gewesen. Er erklärte es mit seinem dünnen Nervengerüst und überließ es mir, die auf der Hand liegende Ursache für diesen Zustand zu finden.

Ich empfand es selbst so, dass die Schreie unglaublich verstörend waren, und sie nahmen an Tiefe und Intensität im Lauf des Nachmittags zu. Schon zu Beginn waren sie schwer zu ertragen gewesen, aber das beständige Anschwellen brachte mich schließlich aus der Balance. Ich warf eine Horaz-Übersetzung, in der ich gelesen hatte, zur Seite und ballte die Fäuste, biss mir auf die Lippen und ging im Zimmer hin und her. Dann hielt ich mir die Ohren zu.

Die aufwühlende Wirkung der Schreie wuchs beständig, sie wurden schließlich zu einem so vollständigen Ausdruck des Leids, dass ich es in dem geschlossenen Raum nicht mehr aushalten konnte. Ich trat aus der Tür in die schläfrige Hitze des Spätnachmittags, ging am Haupteingang vorbei – der wieder verschlossen war – und bog um die Mauerecke.

Die Schreie klangen draußen sogar noch lauter. Es war, als hätte aller Schmerz der Welt eine Stimme gefunden. Und doch – hätte ich gewusst, dass im Nebenzimmer solcher Schmerz zugefügt wurde, es aber still geschähe – so denke ich seither – , hätte ich es leidlich ertragen können. Erst, wenn das Leiden eine Stimme hat und unsere Nerven erzittern lässt, überkommt uns das Mitgefühl. Trotz des hellen Sonnenscheins und der grünen Fächer der Bäume, die sich in der frischen Seebrise wiegten, schien mir die Welt ein Chaos zu sein, besudelt mit schwarzen und roten Phantasmen, bis ich außer Hörweite innerhalb der Steinmauer liegenden Hauses war.

 

 


Kapitel 9 – Das Ding in den Wäldern

Ich wanderte durch das Gestrüpp auf dem Hügel hinter dem Haus und achtete kaum darauf, wohin ich ging. Ich streifte durch den Schatten dichter, kerzengerader Bäume und war bald auf der anderen Seite des Hügelrückens angelangt, wo ich zu einem Bach hinab stieg, der durch ein enges Tal floss. Stillstehend lauschte ich. Die Entfernung oder die dazwischen liegenden Gestrüpphaufen erstickten jeden Laut, der vielleicht noch aus der Ummauerung drang. Die Luft stand still. Dann tauchte raschelnd ein Kaninchen auf und sprang den Hang vor mir hinauf und davon. Ich hielt inne und setzte mich an den Rand des Schattens.

Die Stelle war hübsch. Der Bach floss versteckt in der üppigen Vegetation seiner Ufer; nur an einer Stelle erkannte ich einen dreiecksförmigen Ausschnitt glitzernden Wassers. Drüben sah ich durch den bläulichen Sprühnebel hindurch einen Urwald aus Bäumen und Schlingpflanzen und darüber das leuchtende Blau des Himmels. Hier und dort markierte ein weißer oder roter Fleck eine Pflanzenblüte. Eine Zeitlang ließ ich meine Augen über diese Szenerie wandern, dann begann ich von Neuem an die merkwürdigen Eigenschaften von Montgomerys Diener zu denken. Aber es war zu heiß, um zusammenhängend zu denken; und bald verfiel ich in unruhigen Halbschlaf.

Nach unbestimmter Zeit weckte mich ein Rascheln im Gebüsch am anderen Ufer. Einen Moment lang sah ich nichts weiter als die wogenden Spitzen der Farne und Kräuter. Dann tauchte plötzlich etwas am Ufer des Baches auf – zuerst konnte ich nicht erkennen, was es war. Es beugte den Kopf zum Wasser und begann zu trinken. Dann sah ich, dass es ein Mensch war, der wie ein Tier auf allen vieren lief!

Er war in bläuliches Tuch gekleidet, hatte kupferfarbene Haut und schwarzes Haar. Groteske Hässlichkeit schien das konstante Merkmal dieser Insulaner zu sein. Ich konnte sein Schlürfen hören, als der Mensch trank.

Ich beugte mich vor, um ihn besser zu erkennen, und ein Stück Lava, das meine Hand gelockert hatte, rollte den Hang hinunter. Er blickte ängstlich auf, und seine Augen begegneten den meinen. Sofort sprang er auf die Füße, wischte sich mit plumper Hand den Mund und sah mich an. Seine Beine waren kaum halb so lang wie der Rumpf. Wir starrten uns verwirrt und regungslos wohl eine Minute lang an. Dann schlich der Kerl durch die Büsche rechts von mir davon, wobei er ein oder zwei Mal anhielt, um zurückzuschauen; ich hörte das Rascheln in der Ferne schwächer werden und ersterben. Noch lange, nachdem er weg war, saß ich da und starrte in die Richtung, in die er verschwunden war. Meine behäbige Ruhe war fort.

Ich erschrak über ein Geräusch hinter mir, drehte mich schnell um und sah den wedelnden weißen Schwanz eines Kaninchens den Hang hinauf verschwinden. Ich sprang auf die Füße.

Die Erscheinung des grotesken, halbtierischen Geschöpfes vorhin hatte plötzlich die Stille des Nachmittags zerstäubt. Ich sah mich nervös um und bedauerte, dass ich unbewaffnet war. Dann fiel mir ein, dass der Mensch, den ich eben gesehen hatte, in bläuliches Tuch gekleidet war, dass er nicht nackt gewesen war wie ein Wilder; und damit versuchte ich mir einzureden, dass er wahrscheinlich doch ein friedlicher Kerl sein müsse, trotz der stumpfen Rohheit seines Gesichts.

Gleichwohl hatte mich die Erscheinung stark beunruhigt. Ich ging links den Hang hinauf, den Kopf in jede Richtung wendend und zwischen den Baumstämmen hindurch spähend. Warum sollte ein Mensch auf allen Vieren gehen und mit seinen Lippen Wasser schlürfen? Gleichzeitig hörte ich wieder ein tierisches Klagen, und weil ich es für das Schreien des Pumas hielt, wandte ich mich um und ging genau in die entgegengesetzten Richtung. So kam ich zum Bach hinunter, den ich überquerte; und dann bahnte ich mir einen Weg durch das Unterholz.

Ein großer, leuchtender, karminroter Fleck am Boden machte mich stutzig, und als ich ihn näher betrachtete, sah ich, dass es eine sonderbare Schwammart war, runzlig und verästelt wie eine blättrige Flechte; aber bei Berührung zerfloss sie zu Schleim. Und dann fand ich im Schatten einiger üppiger Farne etwas Unerfreuliches: Den Leichnam eines Kaninchens, noch warm und mit glitzernden Fliegen übersät. Der Kopf war abgerissen. Beim Anblick des verspritzten Blutes blieb ich erschrocken stehen. Hier zumindest war einer der Inselgäste ausgelöscht worden!

Spuren weiterer Gewalttaten gab es nicht. Es sah aus, als sei das Kaninchen plötzlich angegriffen und getötet worden. Als ich die kleine haarige Leiche betrachtete, überlegte ich, wie die Sache wohl passiert war. Als ich dort stand, nahm die diffuse Angst, die ich verspürte, seit ich das unmenschliche Gesicht des Mannes am Bach gesehen hatte, zu. Ich erkannte, wie unbedacht es war, hier herum zu wandern. In meiner Phantasie verwandelte sich das Dickicht ringsum. Jeder Schatten erschien auf einmal wie ein Hinterhalt, jedes Rascheln wie eine Drohung. Unsichtbare Wesen schienen mich zu beobachten.

Ich beschloss, zur Ummauerung in der Nähe des Strandes zurückzugehen, drehte mich schnell herum und brach heftig – vielleicht sogar panisch – durch die Büsche, um wieder offenen Raum vor mir zu haben.

Gerade rechtzeitig stoppte ich, um nicht auf eine Lichtung hinauszustürmen, die durch den Sturz eines Baumes entstanden war; Triebe ragten aus dem Boden und konkurrierten um den leeren Raum, und dahinter hatte sich das Dickicht von Stämmen, Schlingpflanzen, Flechten und Blüten schon wieder geschlossen. Auf den morschen Überresten des riesigen, gestürzten Baums hockten, noch ohne meine Nähe zu ahnen, drei groteske menschliche Gestalten. Eine war offenbar weiblich, die beiden anderen waren Männer. Bis auf scharlachfarbene Tücher um die Körpermitte waren sie nackt, und ihre Haut war von stumpfer, rötlich-grauer Farbe, wie ich sie noch nie bei einem Wilden gesehen hatte. Sie hatten fette, grobe, kinnlose Gesichter, eine fliehende Stirn und dünnes, borstiges Haar auf den Schädeln. Niemals hatte ich bestialischer aussehende Geschöpfe gesehen.

Sie sprachen, oder wenigstens einer der Männer sprach zu den beiden anderen, und alle drei waren zu vertieft gewesen, um auf das Rascheln, das ich beim Näherkommen verursachte, zu achten. Sie wiegten Köpfe und Schultern. Die Worte des Sprechers sprudelten schnell und schlecht artikuliert hervor, und obgleich ich ihn laut genug hören konnte, war nicht zu verstehen, was der Mann sagte. Er schien mir eine Art verdrehtes Rotwelsch zu sprechen. Plötzlich wurden seine Worte schriller; er breitete die Hände aus und stand auf.

Da begannen die anderen im Chor zu plappern, während sie ebenfalls aufstanden, die Hände ausbreiteten und sich im Rhythmus ihres Singsangs hin und her wiegten. Mir fiel die abnorme Kürze ihrer Beine und die Plumpheit und Schlaffheit ihrer Füße auf. Alle drei fingen an, sich langsam im Kreis zu bewegen, die Arme zu schwingen und mit den Füßen zu stampfen; eine Art Melodie schlich sich in den rhythmischen Singsang, und ein Refrain – er klang etwa wie »Alula« oder »Balula«. Ihre Augen begannen zu leuchten, und die hässlichen Gesichter erhellten sich im Ausdruck einer unheimlichen Freude. Aus ihren lippenlosen Mündern tropfte Sabber.

Plötzlich, als ich ihre grotesken und seltsamen Gesten betrachtete, wurde mir zum ersten Mal klar, was mich so verstörte, was mir die unvereinbaren und gegensätzlichen Eindrücke äußerster Fremdartigkeit und seltsamster Vertrautheit vermittelte. Die drei mit diesem geheimnisvollen Ritus beschäftigten Wesen sahen zwar menschlich aus, erinnerten aber dennoch auf seltsame Weise an Haustiere. Trotz ihrer menschlichen Figur und trotz der Andeutung von Kleidung trugen sie in ihrem Habitus die unverkennbaren Merkmale von Tieren: Im Ausdruck ihrer Gesichter, in ihr ganzes Wesen eingeprägt. Immer wieder musste ich bei dem Anblick an Schweine denken.

Ich stand da, geschockt von dieser verstörenden Entdeckung, und dann stürzten die furchtbarsten Fragen auf mich ein. Die Wesen begannen in die Luft zu springen, erst eines und dann die beiden anderen, und sie schrieen und grunzten dabei. Dann rutschte eines aus und kam einen Moment auf allen Vieren zu stehen; stand aber sogleich wieder auf. Aber der flüchtige Blick auf das echte tierische Wesen dieser Bestien war genug.

Ich wandte mich so lautlos wie möglich um und wich in die Büsche zurück, jedes Mal vor Angst erstarrend, wenn ein Zweig knackte oder ein Blatt raschelte. Es dauerte lange, ehe ich kühner wurde und mich frei zu bewegen wagte.

Mein einziges Ziel war nun, von diesen widerlichen Wesen fortzukommen, und ich bemerkte nicht, dass ich auf einen kaum zu erkennenden Pfad zwischen den Bäumen geraten war. Dann, als ich plötzlich eine kleine Lichtung überquerte, sah ich fürchterlich erschreckt zwei plumpe Beine zwischen den Bäumen, die mit geräuschlosen Schritten parallel zu meinem Weg dahin gingen. Kopf und Oberleib waren hinter dem Gestrüpp von Schlingpflanzen verborgen. Ich hielt unvermittelt an. Die Füße ebenfalls. Ich bebte so nervös, dass ich dem Impuls zu jäher Flucht nur mit größter Mühe widerstand.

Dann spähte ich scharf hindurch und erkannte durch das verschlungene Gesträuch Kopf und Rumpf des Wesens, das ich zuvor hatte trinken sehen. Es drehte den Kopf in meine Richtung. In seinen Augen war smaragdenes Blitzen, als es mich aus dem Schatten der Bäume heraus anstarrte; ein Leuchten, das verschwand, als es den Kopf wieder abwandte. Einen Moment lang stand es reglos, und dann begann es mit geräuschlosen Füßen durch das grüne Chaos zu rennen. Im nächsten Augenblick war es hinter einigen Büschen verschwunden. Ich konnte es nicht mehr sehen, aber ich fühlte, dass es stehengeblieben war und mich weiter beobachtete.

Was um alles in der Welt war das Ding – Mensch oder Tier? Was wollte es von mir? Ich hatte keine Waffe, nicht einmal einen Stock. Flucht wäre sinnlos gewesen. Auf jeden Fall fehlte dem Wesen der Mut, mich anzugreifen. Ich sammelte mich und ging geradewegs darauf zu. Meine Furcht, die mir in allen Gliedern steckte, versuchte ich zu verbergen. Ich zwängte mich durch ein Gestrüpp großer, weißblütiger Büsche und sah das Ungeheuer zwanzig Meter weiter; es blickte mich über die Schulter an und hielt inne. Einen oder zwei Schritte weiter gehend, blickte ich ihm fest in die Augen.

»Wer bist du?« fragte ich. Es versuchte, meinem Blick zu begegnen.

»Nein!« sagte es plötzlich, wandte sich um und sprang ins Unterholz. Dann drehte es sich wieder um und starrte mich an. Hell glänzten die Augen aus der Dämmerung unter den Bäumen hervor.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals, aber ich fühlte, dass ich der Gefahr ins Auge schauen musste und ging unverwandt auf das Wesen zu. Es wandte sich wieder ab und verschwand im dunklen Gesträuch. Noch einmal meinte ich, das Flimmern seiner Augen zu erkennen. Doch dann war nichts mehr zu sehen.

Zum ersten Mal wurde mir klar, was die kommende Nacht für mich bedeuten konnte. Die Sonne war seit einigen Minuten versunken, die schnelle Dämmerung der Tropen verblich am östlichen Himmel, und ein erster Nachtfalter flatterte lautlos an meinem Kopf vorbei. Wollte ich nicht die Nacht inmitten der unbekannten Gefahren dieses mysteriösen Waldes verbringen, musste ich eilig zur Ummauerung zurück.

Der Gedanke an eine Rückkehr in diese mit Pein und Schmerz getränkte Zuflucht war mir zuwider, aber noch unangenehmer war der, hier Draußen von der Dunkelheit überrascht zu werden, und an all das, was dieses Dunkel verbergen mochte. Ich warf noch einen Blick in die blauen Schatten, die dieses merkwürdige Geschöpf verschlungen hatten, und suchte dann den Weg hinunter zum Bach, wobei ich, meiner Einschätzung nach, die Richtung einschlug, aus der ich gekommen war.

Ungeduldig strebte ich, von all diesen Dingen beunruhigt, vorwärts und fand mich plötzlich auf einem ebenen Platz unter zersplitterten Bäumen. Die farblose Klarheit, die der Sonnenuntergangsröte folgt, wurde düsterer. Der blaue Himmel dunkelte, und die kleinen Sterne erschienen einer nach dem anderen; die Räume zwischen den Bäumen, die Lücken im Gebüsch, die im blauen Tageslicht nebelblau gewesen waren, wurden schwarz und geheimnisvoll.

Weiter! Die Farben vergingen. Die Baumwipfel hoben sich als tintenschwarze Silhouetten vom leuchtend dunkelblauen Himmel ab, und alles, was sich darunter befand, löste sich in gestaltlose Schwärze auf. Dann wurden die Bäume spärlicher, das strauchige Unterholz üppiger. Schließlich kam ich auf eine verlassene Lichtung, die mit weißem Sand bedeckt war, und dahinter folgte wieder eine Strecke verwilderten Buschwerks.

Ein leises Rascheln zu meiner Rechten erschreckte mich. Erst meinte ich, es sei Einbildung, denn wenn ich stillstand war alles ruhig, nur die Abendbrise strich durch die Baumwipfel. Wenn ich dann weiterging, folgte echogleich etwas meinen Schritten.

Ich hielt mich fern vom Dickicht auf offenem Grund und versuchte hin und wieder dieses Wesen, wenn es denn hier war, durch eine plötzliche Wendung zu überraschen, sobald ich etwas auf mich zu schleichen fühlte. Es war nichts zu erkennen, und trotzdem wuchs mein Gefühl, dass noch jemand da sei, beständig. Ich ging eiliger und kam nach einer Weile zu einer sanften Hügelkuppe, überquerte sie, wandte mich dann scharf um und schaute von der anderen Seite unverwandt hinauf. Der Rand stand schwarz und scharfumrissen vor dem dunklen Himmel.

Und sogleich schob sich ein diffuser Körper schnell über die Kante und tauchte wieder ab. Ich war sicher, dass sich mein braungesichtiger Widerpart neuerlich anschlich. Und gleichzeitig kam mir die unangenehme Gewissheit, dass ich mich verirrt hatte.

Eine zeitlang eilte ich, von den unsichtbaren Schritten verfolgt, hoffnungslos verloren weiter. Warum auch immer, dem Wesen fehlte es entweder an Mut, mich zu attackieren, oder es wartete ab, um mich an günstiger Stelle zu packen. Ich hielt mich sorgsam auf offenem Gelände. Ab und zu wandte ich mich um und lauschte; und dann versuchte ich mir einzureden, dass mein Verfolger die Nachstellung aufgegeben habe oder nichts als ein Geschöpf meiner überdrehten Phantasie sei. Da hörte ich das Rauschen des Meeres. Ich ging schneller, rannte fast, und sofort hörte ich hinter mir wieder ein Stolpern.

Ich wandte mich plötzlich und starrte auf die verschwommenen Bäume hinter mir. Ein schwarzer Schatten schien in den nächsten überzugehen. Erstarrt horchte ich, aber hörte nichts als das Pochen meines Blutes in den Ohren. Ich dachte, meine Nerven seien am Ende und meine Phantasie ginge mit mir durch; entschlossen wandte ich mich wieder dem Rauschen des Meeres zu.

Etwa eine Minute später kam ich zu einer flachen, kahlen Landzunge, die in das düstere Wasser hinaus ragte. Die Nacht war ruhig und klar, und das Sternenlicht zitterte im ruhigen Atmen des Meeres. Eine Strecke weiter draußen schimmerte die Brandung auf einer abgestuften Serie von Riffen in bleichem, eigenartigem Licht. Ich sah, wie sich westlich das Zodiaklicht8 mit dem gelben Glanz des Abendsterns mischte. Die Küste fiel gegen Osten weiter ab, und nach Westen verschwand sie hinter dem Rücken des Vorgebirges. Dann erinnerte ich mich der Tatsache, dass der Strand bei Moreaus Haus im Westen liegen musste.

Hinter mir knackte ein Ast, und ich hörte ein Rascheln. Ich wandte mich um und stand vor den dunklen Bäumen. Nichts war zu sehen – und dennoch sah ich zu viel. Jede dunkle Kontur wurde zu einer bedrohlich lauernden Gestalt. So stand ich vielleicht eine Minute still, und dann wandte ich mich, immer noch mit einem wachsamen Auge auf die Bäume, nach Westen, um die Landzunge zu überqueren. Und so wie ich mich bewegte, bewegte sich auch einer der Schatten und folgte mir.

Mein Herz pochte. Dann öffnete sich die weite Fläche zur westlich liegenden Bucht hin, und ich hielt wieder an. Der geräuschlose Schatten schien ein Dutzend Meter hinter mir zu warten. An der gegenüberliegenden Biegung des Ufers glänzte ein kleiner Lichtpunkt, und die graue Ebene der Sandbucht lag bleich unterm Sternenlicht. Jener kleine Lichtpunkt war vielleicht zwei Meilen entfernt. Um zum Strand zu gelangen, musste ich wieder durch Bäume gehen, wo die Schatten lauerten, und schließlich einen mit Sträuchern bewachsenen Hang hinab.

Ich konnte das Etwas jetzt deutlicher sehen. Es war kein Tier, denn es stand aufrecht. Als ich den Mund zum Sprechen öffnete, merkte ich, dass meine Stimme angstvoll belegt war. Ich machte einen zweiten Versuch und rief: »Wer ist da?« Keine Antwort. Ich machte einen Schritt vorwärts. Das Wesen rührte sich nicht; stand nur angespannt da. Mein Fuß stieß an einen Stein.

Da kam mir eine Idee. Ohne die Augen von der schwarzen Gestalt zu wenden, bückte ich mich und griff einen Stein. Aber bei meiner Bewegung wandte sich das Wesen unvermittelt, wie es ein Hund getan hätte, und schlich schräg ins Dunkel hinein. Dann fiel mir ein Schuljungentrick gegen große Hunde ein; ich knotete den Stein in mein Taschentuch und wickelte es mir ums Handgelenk. Ich hörte eine Bewegung im Unterholz, als ob das Wesen sich wegbewegte. Da brach sich meine äußerste Anspannung plötzlich Bahn: Schweiß überströmte mich und ich begann zu zittern, während sich mein Gegner zurückzog und ich diese Waffe in der Hand hatte.

Es dauerte einige Zeit, ehe ich mich soweit fassen konnte, durch Bäume und Gebüsch an der Flanke der Landzunge zum Strand hinunterzugehen. Schließlich lief ich los, und als ich aus dem Dickicht auf den Sand hinausrannte, hörte ich jemand anderen mir krachend hinterherkommen.

Vor Angst verlor ich nun vollständig den Kopf und begann den Sand entlang zu rennen. Sofort hörte ich das schnelle Geräusch barfüßiger mich verfolgender Tritte. Einen wilden Schrei ausstoßend verdoppelte ich mein Tempo. Einige dunkle, schwarze Tiere, etwa drei bis vier Mal so groß wie Kaninchen, hüpften vom Strand zu den Büschen hinauf, als ich vorüber jagte. Solange ich lebe, werde ich den Horror dieser Hetzjagd nicht vergessen. Ich lief nah am Wassersaum, und hörte von Zeit zu Zeit das Klatschen der näher kommenden Füße. Fern, hoffnungslos fern schien das gelbe Licht. Schwarz und still war die Nacht ringsum. Platsch, platsch, kamen die Füße näher. Ich fühlte, wie mir die Luft wegblieb, denn ich war ziemlich untrainiert; keuchend schnappte ich nach Luft und fühlte dabei messerscharfes Seitenstechen. Mir war klar, das Wesen würde mich lange bevor ich die Ummauerung erreicht hatte, einholen – und verzweifelt nach Atem ringend wirbelte ich herum, stürzte darauf zu und traf es, als es herankam – traf es mit aller Kraft. Der Stein rutschte dabei aus der Schlinge heraus.

Als ich mich umwandte, hatte sich das Geschöpf, das auf allen Vieren gelaufen war, erhoben, und das Geschoss war genau gegen seine linke Schläfe gekracht. Der Schädel dröhnte laut und der Tiermensch rannte über mich, stieß mich dabei mit den Händen zurück, taumelte an mir vorbei und stürzte kopfüber in den Sand, mit dem Gesicht ins Wasser. Und dort blieb er liegen.

Ich konnte mich nicht dazu überwinden, mich der schwarzen Masse zu nähern. Ich ließ ihn dort in Frieden ruhen, während sich das Wasser unter den stillen Sternen um ihn herum kräuselte, und setzte meinen Weg fort, auf das gelbe Licht des Hauses zu. Und mit einem Mal hörte ich, jetzt mit Erleichterung, das jämmerliche Klagen des Pumas, das Geräusch, das mich ursprünglich hinausgetrieben hatte, diese mysteriöse Insel zu erkunden. Obgleich ich schwach und fürchterlich ermattet war, nahm ich all meine Kraft zusammen und lief weiter auf das Licht zu. Als ob eine Stimme mich riefe.