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Stöckel/Volquardsen

Festsetzung der Grundsteuer

mit aktuellen Rechtsfragen zur Zweitwohnungsteuer

von

Reinhard Stöckel
Steuerberater
Regierungsdirektor a. D. im Thüringer Finanzministerium

Christian Volquardsen
Regierungsdirektor in der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg

Deutscher Gemeindeverlag

1. Auflage 2017

 

Alle Rechte vorbehalten

© Deutscher Gemeindeverlag GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-555-01897-3

 

E-Book-Formate:

pdf:  ISBN 978-3-555-01898-0

epub:  ISBN 978-3-555-01899-7

mobi:  ISBN 978-3-555-01901-7

 

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Vorwort zur 1. Auflage

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wann ist eine Steuersatzung wirksam? Gibt es eine Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Zweitwohnungsteuer? Neue Grundsteuer ab 2027?

Das Handbuch sieht seine vordringliche Aufgabe darin den Anwendern und den Steuerschuldnern die Umsetzung des geltenden Rechts verständlich und kompetent darzulegen um Fehler und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Dazu ist es insbesondere erforderlich weitere 10 Jahre mit den unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen (alte und neue Länder) und dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG widersprechenden gesetzlichen Bestimmungen bei der Grundsteuer umzugehen.

 

Erfurt, im Februar 2017
Reinhard Stöckel

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

A.Feststellung der Unwirksamkeit einer gemeindlichen Steuersatzung

I.Folgen der Feststellung der Unwirksamkeit

II.Rückwirkung einer Abgabensatzung

III.Steuernacherhebung innerhalb der geltenden Festsetzungsverjährung zulässig

B.Aktuelle Probleme bei Anwendung des GrStG

§ 10Steuerschuldner

1.Steuerschuldner

2.Steuerschuldner beim Erbbaurecht

3.Steuerschuldner bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden

4.Steuerschuldner (Besonderheiten neue Länder)

5.Fiskalerbschaft und Grundsteuer

6.Herrenlose Grundstücke und Grundsteuer

§ 11Persönliche Haftung

§ 12Dingliche Haftung

I.Erhebung der Grundsteuer

II.Haftung für die Grundsteuerschuld

1.Haftung als Nießbraucher (§ 11 Abs. 1 GrStG)

2.Haftung als Erwerber (§ 11 Abs. 2 GrStG)

3.Haftung als Vermögensbetreuer (§ 69 AO)

III.Das Haftungsverfahren

1.Akzessorietät der Haftung – gegenüber der Steuerschuld

2.Durchführung des Haftungsverfahrens

a)Anhörung des Haftungsschuldners

b)Mehrheit von Haftungsschuldnern

c)Verjährungsfrist für den Haftungsbescheid

d)Änderung des Haftungsbescheides

e)Durchsetzung der Haftungsschuld

IV.Die dingliche Haftung für die Grundsteuer

1.Die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers

2.Der Erlass eines Duldungsbescheides

3.Die Verwirklichung des Anspruches

V.Grundsteuerschuld in der Insolvenz

1.Geltendmachung der Grundsteuerschuld

2.Dingliche Haftung in der Insolvenz

a)Verwertung durch den Gläubiger

b)Verwertung durch den Insolvenzverwalter

VI.Vereinbarkeit mit der EG-Insolvenzverordnung (EuInsVO)

§ 19Anzeigepflicht

1.Grundsätzliches zur Vorschrift

2.Notwendigkeit der Anzeigepflicht

3.Stichtag für die Steuerbefreiung

4.Regelfall Grundsteuerpflicht

a)Einheitswert für Grundbesitz der Land- u. Forstwirtschaft (Alte Länder)

b)Ersatzwirtschaftswert Land- und Forstwirtschaft (Neue Länder)

c)Allgemeines zur Steuerbefreiung

d)Grundsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage Wohn-/Nutzfläche

5.Erfüllung der Anzeigepflicht

a)durch Eigentümer und Grundsteuerschuldner (§ 10 GrStG)

b)bei Grundstücksveräußerungen (§ 18 Abs. 1 GrEStG)

c)bei Grundstücksveräußerungen an einen nicht begünstigten Rechtsträger

d)an einen begünstigten Rechtsträger

e)von bisher nach § 4 GrStG befreitem Grundbesitz

f)Veräußerung/Nutzungsänderung bei Steuerbefreiung nach § 43 GrStG

g)Wegfall der unmittelbaren Nutzung zu einem begünstigten Zweck

h)bei Aufgabe der steuerbegünstigten Nutzung

i)der „Konzernmutter“ und der „Konzerntöchter“

6.Fazit

§ 25Festsetzung des Hebesatzes

1.Regierungsvorlage (Auszug)

2.Grundsteuer als Kommunalabgabe

3.Festsetzung des Hebesatzes

4.Ermessensspielraum bei der Festsetzung

5.Rechtsbehelf gegen den Hebesatz

6.Hebesatz für ein oder mehrere Jahre

7.Unterschiedliche Hebesätze

8.Grundsteuermehrbelastung

9.Eingemeindung und Grundsteuer (neue Länder)

§ 26Koppelungsvorschriften und Höchsthebesätze

1.Begründung zur Regierungsvorlage

2.Landesrechtliche Regelungen

3.Zwei Hebesätze (Grundsteuer A + B)

§ 27Festsetzung der Grundsteuer

1.Allgemeines

2.Steuerfestsetzung

3.Steuerfestsetzung für mehrere Kalenderjahre

4.Öffentliche Bekanntmachung

5.Steuerfestsetzung

6.Steuerfestsetzung durch die Gemeinde

7.Steuerbescheid

8.Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung bzw. vorläufige Steuerfestsetzung

9.Steuerfestsetzung nach geschätzten Grundlagen

10.§ 27 i. V. m. §§ 42 bis 44 GrStG

§ 32Erlass für Kulturgut und Grünanlagen

1.Allgemeines

2.Denkmalgeschützte bebaute Grundstücke

3.Unrentierlichkeit des Grundbesitzes

4.Urteile zum Erlass bei Denkmalschutz

a)BVerwG vom 21.9.1984 – C 62.82 (KStZ 1985 S. 31)

b)BayVGH vom 31.3.1993 – 4 B 968/91 (StRK GrStG § 32 R 8)

c)BVerwG vom 15.2.1991 – 8 C 3/89 (StRK GrStG § 32 R 7)

d)Urteil des BVerwG vom 8. Juli 1998 (Grundsteuererlass: Kausalitätserfordernis zwischen Denkmaleigenschaft und Unwirtschaftlichkeit des Grundbesitzes)

5.Voraussetzungen für die Gewährung eines Grundsteuererlasses

a)Prüfung des Erlassantrags

b)Zu den tatsächlichen Aufwendungen gehören

c)Antrag auf Erlass der Grundsteuer (Notwendige Angaben)

6.Beispiele zur Berechnung des Grundsteuererlasses

§ 34Verfahren

1.Erlassverfahren

2.Erlassantrag

3.Rechtsbehelf gegen die Ablehnung

§ 41Bemessung der Grundsteuer für Grundstücke nach dem Einheitswert

1.Bedeutung des Einheitswerts

2.Maßgebliche Steuermesszahlen

3.Einzelfragen

4.Steuermesszahl für unbebaute Grundstücke

5.Vorratsgelände

§ 42Bemessung der Grundsteuer für Mietwohngrundstücke und Einfamilienhäuser nach der Ersatzbemessungsgrundlage

I.Erläuterungen zur Einführung einer Ersatzbemessungsgrundlage

II.Allgemeines

III.Ermittlung der Ersatzbemessungsgrundlage

IV.Verfahren nach § 42 GrStG

V.§ 42 GrStG oder Einheitswert

VI.Stadtumbaumaßnahmen (§§ 171a–e BauGB)

1.Stadtumbaumaßnahmen nach BauGB

2.Bewertungsrechtliche Konsequenzen bei Stadtumbaumaßnahmen

3.Bewertungsverfahren bei bebauten Grundstücken

4.Bewertung von bebauten Grundstücken bei Stadtumbaumaßnahmen

§ 43Steuerfreiheit für neu geschaffene Wohnungen

1.Allgemeines

2.Voraussetzung für die Befreiung und Verfahren nach Ablauf des Befreiungszeitraums

3.Aufteilung steuerfrei und steuerpflichtig

4.Ausbauten, Umbauten, Anbauten

§ 44Steueranmeldung

1.Hebesatz

2.Steueranmeldung

3.Problematik einer Übergangslösung

4.Verfahrensfragen

AnlageVordrucke

Aufforderung zur Abgabe einer Grundsteuererklärung

Grundsteueranmeldung gem. § 44 Abs. 3 GrStG

C.Aktuelle Entwicklungen bei der Zweitwohnungsteuer

I.„Innehaben“ der Zweitwohnung

1.Die Entscheidung des Bayerischen Gerichtshofes

a)Wohnungserwerb durch GbR bzw. Eigentümergesellschaft

b)Unentgeltliche Wohnungsüberlassung an Dritte (Leihe)

c)Miteigentumsverhältnisse

2.Anmerkungen zum Urteil des Bayerischen Gerichtshofes

a)Geschäftsführung in der GbR

b)unentgeltliche Überlassung

c)Vergleichbare Konstellationen

3.Die Steuersatzung der Stadt München

II.Aus beruflichen Gründen gehaltene Nebenwohnung

1.Umfang der Nutzung

2.Urteil des BFH vom 30.9.2015 (Az.: II R 13/14)

3.Verwandte Konstellationen

a)Residenzpflicht bei Beamten

b)sonstige sorgerechtlichen Pflichten

D.Beschluss des BFH und neue Verfassungsbeschwerde

I.Ausgangslage

II.Bemessungsgrundlagen

1.Ersatzbemessungsgrundlage Wohn-/Nutzfläche (§ 42–§ 44 GrStG) statt Einheitswert und Grundsteuermessbetrag

2.Einheitswerte bei Einfamilienhausgrundstücken bis 1990

3.Steuerrelevante Bewertungen von Einfamilienhäusern

4.Einheitswerte und Ersatzbemessungsgrundlage bei Wohngrundstücken

5.Einheitswerte bei Wohnungs- und Teileigentum

6.Einheitswerte für Geschäftsgrundstücke

7.Altbau/Neubau

Stichwortverzeichnis

Literaturverzeichnis

Troll/Eisele, Kommentar zum Grundsteuergesetz 11. Auflage 2014

Schneider, Kommentar zum Grundsteuergesetz 21. Auflage 2012

Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung Sept.15 Loseblattwerk

Biersch/Goetsch/Haas, Kommentar zur Insolvenzordnung Okt.2016 Loseblattwerk

Pahlke/ Koenig, 3. Auflage 2014

Stöckel/Volquardsen, Kommentar zum Grundsteuergesetz und zur Zweitwohnungsteuer 2. Auflage 2012

Stöckel, Kommentar zum Bewertungsgesetz März 2016 Loseblattwerk

Einleitung

Die Bemessungsgrundlagen für die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer sind völlig veraltet (Einheitswerte 1964 – alte Länder bzw. Einheitswerte nach Wertverhältnissen 1935 – neue Länder). In den neuen Ländern kommen noch als pauschale Übergangsregelungen die Bestimmungen zur Ersatzbemessungsgrundlage Wohn-/Nutzfläche hinzu. Eine Reform der Bemessungsgrundlage ist dringend erforderlich. Aber die Grundsteuer betrifft alle Bundesbürger (Mieter und Hauseigentümer). Eine Neugestaltung verursacht Belastungsverschiebungen und damit auch in einer Vielzahl von Fällen höhere Grundsteuern. Sie ist deshalb für die Politiker unbequem. Man könnte glauben, dass nunmehr der Durchbruch gelungen ist, denn die Länder haben mit Datum vom 4.11.2016 (BR-Drs. 515 /2016) eine Bundesratsinitiative gestartet und ein Gesetz zur Neuregelung der Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer vorgelegt. Dies sieht allerdings erst eine Umsetzung (steuerliche Wirksamkeit) ab 1.1.2027 vor. Außerdem wurden weder Überlegungen noch irgendwelche Verlautbarungen zur Neugestaltung des Grundsteuergesetzes bekannt.

Fazit: Die Probleme bei der Anwendung des geltenden Rechts bestehen weiter fort. Ein Grund mehr mit dem nachstehenden Handbuch diese zu erörtern und Lösungen für die tägliche Arbeit aufzuzeigen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich zu einem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht (Urteil des BFH vom 22.10.2014 II R 16/13 durchgerungen und sieht die Einheitsbewertung 1964 ab dem 1.1.2009 für verfassungswidrig an. Nun wird noch eine Verfassungsbeschwerde für die Neuen Länder hinzukommen. Anzeichen, dass eine alsbaldige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten ist, sind nicht ersichtlich.

Ungeachtet der Frage der Verfassungswidrigkeit bleiben die Probleme bei der Umsetzung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen bestehen. So z. B. bei der Besteuerung nach der Ersatzbemessungsgrundlage Wohn-/Nutzfläche (§§ 42–44 GrStG)

Die Ersatzbemessungsgrundlage Wohn-/Nutzfläche (§ 42 ff. GrStG) wurde 1990 als Übergangsregelung geschaffen. Sie besteht bis heute fort, aber die dadurch bedingten notwendigen Ergänzungen und Klarstellungen blieben aus. Die Gemeinden sind ihrer Sachaufklärungspflicht nur z. T. nachgekommen. So wurden Vorschriften des Grundsteuergesetzes nur gelegentlich umgesetzt. Daraus resultieren Mindereinnahmen, die hingenommen wurden, d. h. Gemeinden sind ihrer Verpflichtung alle Steuerquellen auszuschöpfen nicht nachgekommen. Das Handbuch enthält die entsprechenden Erläuterungen (u. a. zur Vermeidung von handwerklichen Fehlern bei der öffentlichen Bekanntgabe, Regelungen zur Mitteilungspflicht bei geänderten Eigentumsverhältnissen, Bekanntgabe von Bescheiden usw.).

In den letzten Jahren kommt der Besteuerung von Grundbesitz von Fiskalerben, der Tätigkeit des Nachlassgerichtes und den herrenlosen Grundstücken eine größere Bedeutung zu. Wann tritt eine Fiskalerbschaft ein, wer ist Steuerschuldner, vor allem bei herrenlosen Grundstücken (§ 10 GrStG). Wer hat ein Aneignungsrecht?

Die persönliche und dingliche Haftung (§§ 11, 12 GrStG) für die Grundsteuer umfasst viele Facetten. Diese werden verständlich und umfassend erläutert. Eine unverzichtbare Hilfestellung für die Praxis.

Wer eine Befreiug von der Grundsteuer beantragt und erhalten hat, ist dazu verpflichtet jede Änderung in der Nutzung anzuzeigen (§ 19 GrStG).

Das Handbuch nimmt jedoch auch Stellung zu Fragen der im Grundsteuergesetz enthaltenen Billigkeitsregelung des § 32 GrStG.

Weiterhin beschäftigt sich das Handbuch mit den gemeindlichen Steuersatzungen und prüft die Fragen der Unwirksamkeit.

Schließlich werden die aktuellen Entwicklungen zur Zweitwohnungsteuer – Innehaben bzw. Halten einer Nebenwohnung aus beruflichen Gründen – dargelegt.

A.Feststellung der Unwirksamkeit einer gemeindlichen Steuersatzung

Übersicht

Rn.

I.

Folgen der Feststellung der Unwirksamkeit

1, 2

II.

Rückwirkung einer Abgabensatzung

3, 4

III.

Steuernacherhebung innerhalb der geltenden Festsetzungsverjährung zulässig

5–8

I.Folgen der Feststellung der Unwirksamkeit

1Im Gegensatz zu Kommunalsteuergesetzen, die üblicherweise von Stadtstaaten, die zugleich als Kommunen fungieren, durch die dortigen Länderparlamente erlassen werden, und die dem alleinigen Verwerfungsmonopol des BVerfG unterliegen, haben in Fällen, in denen Steuersatzungen als Grundlage für den Erlass von Steuerbescheiden herangezogen werden, bereits die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte die Wirksamkeit der zu Grunde gelegten Satzungen zu untersuchen. Maßstab der Überprüfung ist in formeller Hinsicht die Einhaltung des Ermächtigungsrahmens zur Wahrnehmung der kommunalen Satzungsautonomie und in materieller Hinsicht der Abgleich mit höherrangigem, insbesondere dem Verfassungsrecht. Kommt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Steuersatzung mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist, so erklärt es die Satzung für nichtig mit der Folge, dass sie als Rechtsgrundlage für die Erhebung der Steuer nicht herangezogen werden kann. Darauf, ob der maßgebende Sachverhalt tatbestandlich von der Steuersatzung erfasst wird, der Steuergläubiger diese also zutreffend angewendet hat, kommt es im Folgenden gar nicht mehr an, da das Gericht dieses Recht als nicht existent betrachtet und daher der gegen den Steuerbescheid gerichteten Klage stattgeben und den Bescheid aufheben wird.

2Allerdings wirkt formal betrachtet dieses Urteil nur zwischen den Beteiligten des Rechtstreites, also dem Kläger und dem Steuergläubiger, und bleibt für die übrigen Steuerbescheide, die auf dieser Rechtsgrundlage erlassen wurden, ohne Relevanz. Soweit diese nicht mehr mit dem Rechtsmittel des Widerspruches angegriffen werden können, sondern wegen des Ablaufes der Widerspruchsfrist in Bestandskraft erwachsen sind, kann die Unwirksamkeit der Steuersatzung nicht mehr gerügt werden, so dass insoweit die Steuerbescheide bestehen bleiben. Anders ist es jedoch mit den Bescheiden, bei denen die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, bzw. bereits Widerspruch eingelegt oder Klage eingereicht worden ist. Diesen Bescheiden droht im Falle eines Urteilsausspruches des Verwaltungsgerichtes bei unveränderter Rechtslage das identische Schicksal. Es ist daher anzustreben, vor einer abschließenden Entscheidung den Grund für die Unwirksamkeit durch eine Satzungsänderung zu beseitigen. Die Satzungsänderung erfasst ohne weiteres die ab dem Inkrafttreten der Satzungsänderung erlassenen Bescheide. In gewissen Grenzen ist es jedoch zulässig, schon vor der Satzungsänderung erlassene Bescheide zu erfassen, in dem die Satzungsänderung rückwirkend in Kraft gesetzt wird (hierzu sogleich unter II.). Gelingt dies, wird die Rechtsgrundlage, auf der die Rechtmäßigkeit des Bescheids beurteilt wird, ersetzt, naturgemäß mit der Folge, dass bei Änderungen der Bemessungsregeln für die Steuer auch die festgesetzte Steuer anzupassen ist. Zu erwägen ist in diesen Fällen gar, ob eine für den Widerspruchsführer belastendere Regelung zu ergreifen ist. Mit dem Widerspruch hat dieser selbst die Aufrechterhaltung des Bescheides in Frage gestellt und ihm die Eignung als Grundlage eines schutzwürdigen Vertrauens genommen. Wer einen Bescheid anficht, muss – dies jedenfalls unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes – grundsätzlich auch die Verschlechterung seiner Position in Kauf nehmen und kann deshalb ein entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen aufgrund dieses Bescheides nicht bilden. Allerdings sieht das geltende Recht kein Ruhen oder Aussetzung des nämlichen Rechtsstreites bis zum Inkrafttreten der Satzungsänderung vor. Schlichtes Zuwarten des Steuergläubigers wird durch die Rechtsordnung nur in den Grenzen des durch die Untätigkeitsklage gesetzten Rahmens toleriert. Nach § 75 VwGO, der nach den landesrechtlichen Verfahrensrechten im Regelfall anwendbar ist, kann die Untätigkeitsklage frühestens drei Monate nach Einlegen des Widerspruchs in zulässiger Weise eingelegt und so der Steuergläubiger gezwungen werden, über den Widerspruch zu entscheiden. Kann der Steuergläubiger einen zureichenden Grund für das Ausbleiben der Widerspruchsentscheidung geltend machen, so wird diese Frist entsprechend verlängert. Das Fehlen einer wirksamen Steuersatzung indes mag nicht als zureichender Grund angesehen werden, weil diesen allein der Steuergläubiger zu vertreten hat. Allein aus fiskalischen Gründen mag es jedoch angeraten sein, spätestens nach Einlegen der Untätigkeitsklage über den Widerspruch zu entscheiden und so der Untätigkeitsklage den Boden zu entziehen. Diese Folge tritt auch dann ein, wenn dem Hauptanliegen des Klägers, den angegriffenen Steuerbescheid aufzuheben, nicht stattgegeben, sondern der Widerspruch abgewiesen wird. In diesem Fall setzt sich eine zuvor in zulässiger Weise eingelegte Untätigkeitsklage als Anfechtungsklage fort, so dass hierdurch nicht viel gewonnen, aber auch nichts verloren ist. Im Anfechtungsprozess wird das angerufene Gericht dann die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Rechtslage anwenden, so dass bis dorthin Zeit bleibt, die Rechtsgrundlage zu heilen.

II.Rückwirkung einer Abgabensatzung

3Das rückwirkende Inkrafttreten einer Abgabensatzung ist mit Rücksicht auf das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 28. Abs. 1 GG) zulässig, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers dahingehend besteht, von der Erhebung einer Abgabe verschont zu bleiben. Hiervon ausgehend wird die rechtliche Zulässigkeit danach beurteilt, ob der zur Besteuerung heranzuziehende Sachverhalt durch den Steuerpflichtigen noch beeinflusst werden kann (sog. unechte Rückwirkung) oder der Sachverhalt bereits abgeschlossen ist (sog. echte Rückwirkung). Grundsätzlich wird das Vertrauen des Steuerpflichtigen, nach Maßgabe des bei Abschluss des Veranlagungszeitraumes geltenden Rechts zur Besteuerung herangezogen zu werden, geschützt, so dass eine nach Ablauf des Veranlagungszeitraums in Kraft tretende Rechtsänderung im Regelfall nicht mehr zu einer anderen Beurteilung des Steuergegenstandes führen kann. Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt wird als besonders einschneidend angesehen, so dass das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage in diesen Fällen stärker geschützt sein müsse, als bei einem Eingriff in einen nicht abgeschlossenen, in der Entwicklung befindlichen und noch einem Risiko ausgesetzten Bereich.

4Zugleich aber gilt dieser Vertrauensschutz nicht schrankenfrei. So ist das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand des geltenden Rechts nach der Rechtsprechung des BVerfG jedenfalls von dem Zeitpunkt ab nicht länger geschützt, in dem das Legislativorgan abschließend über die Rechtsänderung entschieden hat. Das Vertrauen in den Fortbestand einer geltenden Rechtslage ist nur dann geschützt, wenn in Abwägung mit dem Interesse des Satzungsgebers dieses überwiegt. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Abgabenschuldners, eine Steuer nicht zahlen zu müssen, liegt dann nicht vor, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der rückwirkenden Satzung bereits nach früherem Satzungsrecht eine entsprechende Abgabe festgesetzt wurde. Ein solches Vertrauen fehlt dem Grunde nach in Fällen, in denen die rückwirkende Satzung eine zuvor bestehende Abgabensatzung ändert, bzw. ersetzt. Nach der Rechtsprechung kommt eine rückwirkende Ersetzung einer formell möglicherweise ungültigen Steuersatzung in Betracht, soweit aus den vorhergehenden Steuersatzungen der Wille zu entnehmen ist, dass die Steuer auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Einwände erhoben werden soll. Dieser so beschriebene Besteuerungswille wird indes kaum jemals fehlen. Das wird damit begründet, dass das Vertrauen der Betroffenen, eine Steuer nicht zahlen zu müssen, bei einer gültigen Satzungsregelung, der in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorangegangen sind, die Schutzbedürftigkeit fehlt. Im Regelfall aber steht der Nacherhebung kein schutzwürdiges Vertrauen des Abgabenschuldners entgegen, sondern ist die Nacherhebung aus Gründen der Steuergerechtigkeit geradezu geboten. Danach darf eine Satzung rückwirkend – und auch zu Lasten des Abgabepflichtigen – geändert werden, wenn die Änderung der Beseitigung einer ungültigen oder in ihrer Gültigkeit zweifelhaften Satzung zu dienen bestimmt ist. Allerdings muss die gestiegene Belastung Folge der Fehlerbeseitigung sein und darf nicht gelegentlich der Satzungsänderung mit veranlasst worden sein.

III.Steuernacherhebung innerhalb der geltenden Festsetzungsverjährung zulässig

5In aller Regel sehen die kommunalen Abgabengesetze der Länder für die Festsetzung und Erhebung der gemeindlichen Steuern (mitunter nur teilweise) die Anwendung der Abgabenordnung (AO) vor. Die Festsetzungsverjährung beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre und beginnt frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Wann die Steuer entsteht, ist in den kommunalen Steuersatzungen explizit zu regeln. Es empfiehlt sich, als Entstehungszeitpunkt den Beginn der den Steuertatbestand auslösenden Nutzung für das Erstjahr, im Übrigen den ersten Tag des Kalenderjahres zu definieren, um eine phasengleiche Verwirklichung der Steuer mit der Nutzung zu ermöglichen und so das Risiko des Ausfalls der Steuer (z. B. durch Wegzug oder Zeitablauf gestiegener Aufwand bei der Sachverhaltsermittlung) weitgehend zu minimieren.

6Der kommunalen Steuersatzung obliegt es zu regeln, ob für die steuerpflichtige Nutzung eine Anzeigepflicht oder eine gesetzliche Erklärungspflicht vorzusehen ist. Hierbei ist anerkannt, dass die Regelung zur Rückwirkung von der Regelung zum Ablauf zu trennen und im Falle eines rückwirkenden Inkrafttretens darauf zu achten ist, dass der rückwirkenden Geltung noch durch den Erlass oder die Änderung der Steuerbescheide für die unverjährten Zeiträume hinreichend Sorge getragen werden kann. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung kommt hierbei auch dann in Betracht, wenn eine Steuersatzung aufgehoben und zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend wieder in Kraft gesetzt wird. Für die Ingangsetzung der Festsetzungsfrist kommt es nicht auf das Vorhandensein einer wirksamen Steuersatzung an. Allein durch die Erfüllung des ggfs. auch erst zu einem späteren Zeitpunkt geregelten Steuertatbestandes beginnt die Frist zu laufen. Sieht die kommunale Steuersatzung eine Erklärungspflicht vor, so ist bei der Berechnung der Festsetzungsfrist die Besonderheit des § 170 Abs. 2 AO zu beachten, der den Beginn der Frist bis zum Ablauf des Jahres, längstens aber bis zu drei Jahre, aufschiebt, in dem die entsprechende Erklärung in der zuständigen Stelle eingeht. Um den mit der gesetzlichen Erklärungspflicht einhergehenden Verwaltungsaufwand bei längerfristigen Nutzungszeiträumen zu beschränken, kann der Erklärungszeitraum von einem auf mehrere Jahre verlängert werden.

7Um für den Fall einer rückwirkenden Inkraftsetzung einer Steuersatzung den Ablauf der Verjährungsfrist zu verhindern, erscheint es angezeigt, in den Kommunalabgabegesetzen insoweit Vorsorge zu treffen. Denkbar ist z. B. eine Regelung, mit der die Änderung eines auf Grundlage der für nichtig erklärten Steuersatzung ergangenen Steuerbescheide bis zum Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten der rückwirkenden Satzung ermöglicht wird. Mit dieser Regelung wird der Steuergläubiger in die Lage versetzt, binnen Jahresfrist den mit dem Makel der Unwirksamkeit behafteten Steuerbescheid auf die Rechtsgrundlage zu stellen, um das Risiko einer Aufhebung zu umgehen. Allerdings kommt diese so verstandene Ablaufhemmung dann nicht zur Anwendung, wenn diese Steuerbescheide bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgehoben wurden, um eine rechtliche oder gerichtliche Auseinandersetzung zu beenden. In diesem Fall fehlt nämlich der zu ändernde Steuerbescheid, da dieser durch Aufhebung als von Anfang an nicht existent anzusehen ist. In Betracht kommt dann nach Ablauf der regulären vierjährigen Verjährungsfrist nur die Ersetzung von Steuerbescheiden, bei denen der Ablauf der Verjährung wegen der rechtzeitigen Einlegung eines Rechtsbehelfes nach § 171 Abs. 3a AO gehemmt ist. Die Hemmung endet mit der rechtskräftigen Beendigung der rechtlichen Auseinandersetzung, mithin mit der Rücknahme, die im Falle einer drohenden Verböserung für den Steuerpflichtigen das mildere Mittel darstellen könnte, nach Aufhebung und Erledigungserklärung oder nach Ergehen einer Widerspruchsentscheidung, die der Kläger hat rechtskräftig werden lassen. Fehlt es an änderbaren Steuerbescheiden, so ermöglicht die Verjährungsfrist allenfalls den Erlass von Steuerbescheiden, die Veranlagungszeiträume bis zu vier Jahren in der Vergangenheit betreffen (§ 170 Abs. 1 AO), also für die letzten vier abgeschlossenen Kalenderjahre vor Inkrafttreten der rückwirkenden Steuersatzung.

8Der Erlass eines Steuerbescheides nach Eintritt der Festsetzungsverjährung macht diesen schlicht rechtswidrig mit der Folge, dass er bis zu seiner Aufhebung wirksam und Grundlage der Steuererhebung ist. Kann nach abgelaufener Rechtsmittelfrist die Rechtswidrigkeit des Bescheids durch den Abgabenschuldner nicht mehr gerügt werden, so erwächst auch der insoweit rechtswidrige Steuerbescheid in Bestandskraft und rechtfertigt – vorbehaltlich einer Änderung oder eines Widerrufes aus anderen Gründen – die endgültige Vereinnahmung der Steuer.