Meine Wahrheit 11 – 50 Seiten Private Bekenntnisse

Meine Wahrheit –11–

50 Seiten Private Bekenntnisse

Diverse Autoren

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-736-4

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Geschichte 1

Schicksalhafte Begegnungen

Roman von Monika P. (49)

»Und ich hatte ihn auch noch zu dieser Astrologin geschickt…«

Nur aus Liebe und um meinem Mann in einer schwierigen emotionalen Situation zu helfen, machte ich ihm den Vorschlag, sich doch mal von einer Astrologin beraten zu lassen. Er ging tatsächlich darauf ein! Das sollte der Anfang vom Ende unserer Ehe sein.

Rolf war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit mehr als einem halben Jahr gab es Gerüchte über die drohende Schließung der Fabrik, in der mein Mann als Werkmeister arbeitete. Die Firmenleitung mauerte, etwas Genaues war nicht zu erfahren. Selbst der Betriebsrat wusste angeblich von nichts.

Doch gerade diese Ungewissheit war es, die Rolf und seine Kollegen zermürbte. Für meinen Mann war es ganz besonders schlimm. Er schlief schlecht und fühlte sich tagsüber oft ausgelaugt und erschöpft.

»Ich werde dieses Jahr fünfundfünfzig«, sagte er mehr als einmal zu mir. »Ich kriege doch nie wieder einen Job, schon gar nicht in unserer Gegend. Und wegziehen? Das geht auch nicht, das Haus ist doch noch lange nicht abbezahlt.«

Das wusste ich natürlich auch. Wir waren immer davon ausgegangen, dass Rolf bis zur Rente in der Fabrik arbeiten konnte. Ich verdiente zwar mit einem 400-Euro-Job als Kassiererin im Supermarkt etwas dazu. Aber das war leider nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

Wenigstens unsere Kinder waren aus dem Gröbsten raus. Die neunzehnjährige Ines arbeitete als Erzieherin im Nachbarort. Michael war siebzehn und lebte noch bei uns, wollte aber nach dem Abitur als Offizier zur Bundeswehr gehen. Den Traum von einer Karriere als Fußballprofi hatte er glücklicherweise nur kurze Zeit gehabt. Um unseren Nachwuchs brauchten wir uns also zum Glück keine großen Sorgen zu machen.

Aber das Haus war unser kleines Paradies. Wir hatten viel Arbeit und Herzblut hineingesteckt. Der Gedanke, es verkaufen zu müssen, war für Rolf und mich ein wahrer Horror.

Die Ungewissheit war das Schlimmste. Wenn Rolf abends am Küchentisch saß und die Wand anstarrte, versank er in dumpfe Grübelei.

Ich wollte ihm Zuversicht vermitteln, die ich selbst nicht hatte. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte ich.

Doch Rolf durchschaute meine aufgesetzte Fröhlichkeit sofort. »Du

hast doch keine Ahnung«, knurrte er schlechtgelaunt. Im nächsten Moment stand er auf und nahm mich in die Arme.

»Es tut mir leid, Moni. Ich wollte nicht gemein zu dir sein. Aber ich halte das nicht mehr lange aus. Jedes Mal, wenn ich Fischers Unschuldsmiene sehe, kriege ich Magenkrämpfe.«

Hans Fischer, das war der Seniorchef des Unternehmens. Ich schmiegte mich in Rolfs Arme und strich ihm sanft über die Wange.

»Ich weiß auch nicht, was wir machen sollen, Rolf. Vielleicht muss du mal mit einer neutralen Person über alles reden.«

»Aber mit wem denn? Unsere Freunde und Verwandten arbeiten doch auch fast alle in der Fabrik. Oder sie sind in Rente und somit fein raus.«

»Vielleicht kannst du zum Arzt gehen?«

»Ich bin nicht krank, sondern demnächst arbeitslos«, sagte Rolf abweisend. »Und dagegen gibt es keine Medizin.«

»Du weißt doch noch gar nicht, ob sie dich hinauswerfen.«

»Eben, es ist alles völlig in der Schwebe. Und das macht mich noch verrückt.«

Verrückt war ein gutes Stichwort. Insgeheim hatte ich gehofft, dass Rolf sich einem Psychiater anvertrauen würde. Aber das würde mein Mann nie tun. Er hielt überhaupt nichts von den ›Seelenklempnern‹, wie er die Nervenärzte nannte.

Da kam mir plötzlich eine Idee. »Warum gehst du nicht zu einem Astrologen? Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Aber vielleicht kann ein Sternendeuter etwas Licht ins Dunkel bringen.«

Rolf runzelte die Stirn und schaute mich an, als hätte ich den Verstand verloren hätte. Aber dann nickte er zu meiner größten Überraschung.

»Ja, das ist gar nicht mal übel. Schlimmstenfalls zieht so ein Kaffeesatzleser mir ein paar Euro aus der Tasche. Aber selbst wenn er mir etwas Schlimmes prophezeit, wäre das immer noch besser als diese Ungewissheit.«

Ich war erleichtert, weil mein Mann auf meine Idee einging. Noch konnte ich nicht ahnen, dass ich damit ungewollt das Ende meiner Ehe eingeläutet hatte.

*

Ich entdeckte am Schwarzen Brett im Supermarkt einige ausgelegte Zettel, auf denen eine Astrologin ihre Dienste anbot. Sie nannte sich Madame Cassandra. Ein Foto von ihr war nicht zu sehen, es gab nur eine Handynummer und ein paar allgemeine Informationen über Sterndeutung.

Ich fand das Flugblatt recht ansprechend, jedenfalls nicht reißerisch. Also nahm ich eines davon für meinen Mann mit.

Als Rolf an diesem Abend nach Hause kam, sah er ganz besonders verzweifelt aus.

»Walter ist in den Vorruhestand gegangen«, sagte er statt einer Begrüßung. »Dabei ist er nur ein Jahr älter als ich, und ich weiß, dass er gern weitergemacht hätte. Aber ihm war diese Unsicherheit einfach auch zu viel – was ist das denn?« Er unterbrach sich selbst und warf einen Blick auf den Zettel, den ich auf den Küchentisch gelegt hatte.

Ich fürchtete schon, Rolf würde einen Wutanfall bekommen.

Stattdessen grinste er breit und sagte voller Galgenhumor: »So, es gibt jetzt also eine Astrologin in unserer Stadt. Dann werde ich sie mal anrufen. Vielleicht kennt sie ja meine Zukunft, wenn sich schon die Firmenleitung darüber ausschweigt.«

Einerseits war ich froh darüber, dass Rolf meinen Einfall aufgreifen wollte. Andererseits fürchtete ich mich vor den möglichen Folgen, an die ich bisher nicht gedacht hatte.

Was, wenn diese Sternendeuterin ihm nun eine sehr negative Voraussage machte? Wie würde mein Mann damit umgehen? An diese Gefahr hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber ich wollte Rolf auch nicht davon abbringen, mit der Astrologin Kontakt aufzunehmen.

Ich konnte nur hoffen, dass diese Frau sich ihrer Verantwortung bewusst war.

*

Schon am nächsten Abend kam Rolf zum ersten Mal seit Monaten lächelnd von der Arbeit. Er schien förmlich zu sprühen vor Energie. Mein Mann kam mir zehn Jahre jünger vor. »Madame Cassandra hat mir die Augen geöffnet, Moni. Wie konnte ich nur so ängstlich und verzagt sein? Ich bin ein Mann, der von den kosmischen Kräften gesegnet ist.«

Kosmische Kräfte? Diesen Ausdruck hatte mein Mann während der 21 Jahre unserer Ehe ganz gewiss noch niemals benutzt. Er hatte diese Worte offenbar bei der Astrologin aufgeschnappt.

Rolf war gar nicht mehr zu bremsen: »Moni, wir alle sind Teil eines großen Ganzen. Deshalb ist es auch Unsinn, sich wegen der möglichen Firmenschließung Sorgen zu machen. Was geschehen soll, das geschieht.«

»Dann konnte dir also Madame Cassandra auch nicht sagen, ob du deinen Job verlieren wirst?«

Mein Mann zog die Augenbrauen zusammen. Offenbar empfand er meine Frage als eine Kritik an der Astrologin.

»Sei doch nicht so kleingeistig, Moni! Selbst wenn ich arbeitslos werde, ändert das trotzdem nichts an dem positiven Einfluss der Mars-Pluto-Konjunktion im Löwen, die meinem Leben eine ganz neue Richtung geben wird.«

Ich verstand nur noch Bahnhof. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht wirklich an Astrologie. Und mein Horoskop in der Tageszeitung lese ich nie.

»Schon gut«, lenkte ich ein. »Ich freue mich, dass Madame Cassandra dir weiterhelfen konnte.«

Rolf nickte begeistert. »Ja, sie ist eine Perle, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.«

Hätte ich an diesem Abend schon ahnen können, dass mein Mann sich in die Astrologin verliebt hatte? Vielleicht. Aber Rolf hatte mich in über zwanzig Jahren Ehe niemals betrogen, da war ich mir sicher. Deshalb schöpfte ich noch keinen Verdacht. Ich freute mich einfach nur über die gute Laune meines Mannes.

Doch schon bald sollte ich unsanft auf dem Boden der Tatsachen landen.

*

Eine Woche später wollte ich für die Wochenendeinkäufe Geld abheben. Doch der Bankautomat spuckte keine Scheine aus. Stattdessen erschien eine Meldung auf dem Display: Auszahlung nicht möglich.

Ich runzelte die Stirn. War meine EC-Karte defekt? Ich eilte zur Bankfiliale und sprach eine Mitarbeiterin an, die ich schon lange kannte. »Frau Fink, mit meiner Karte stimmt etwas nicht.«

Sie nahm den Plastikchip entgegen und tippte auf ihrer Computertastatur herum. Als Frau Fink antwortete, senkte sie diskret ihre Stimme. »Ihre Karte ist in Ordnung, Frau Peters. Allerdings ist Ihr Dispo-Rahmen ausgeschöpft. Und auch die erlaubte Überziehung ist bereits völlig ausgereizt. Wir können Ihnen leider kein Geld mehr auszahlen.«

Ich wurde knallrot im Gesicht. So etwas war noch niemals vorgekommen. Eigentlich hatte ich unsere Finanzen nämlich sehr gut im Griff. Die Bankerin druckte die Kontoauszüge für mich aus. Als ich sie anschaute, wurde mir flau im Magen. Wir standen mit über 4.000 Euro in den Miesen! Zwar besaßen wir noch ein Sparbuch, aber das hatte ich jetzt nicht dabei.

»Sie sollten den Rückstand umgehend ausgleichen, Frau Peters«, sagte Frau Fink eindringlich.

»Ja, natürlich… Da muss bei uns wohl etwas schiefgelaufen sein… Ich werde mich darum kümmern«, stammelte ich und verließ fluchtartig die Bank.

Natürlich hätte ich das Sparbuch von daheim holen und zurückkehren können. Aber ich schämte mich so sehr, dass ich zumindest an diesem Tag nicht mehr in der Bankfiliale erscheinen wollte.

Stattdessen lieh ich mir von meiner Nachbarin Evi fünfzig Euro, um überhaupt meine Besorgungen machen zu können. Während ich die Lebensmittel in meinen Einkaufswagen lud, wurde ich so richtig wütend auf Rolf. Natürlich war mein Mann für das Konto-Chaos verantwortlich. Was hatte er nur mit dem ganzen Geld gemacht? Normalerweise werden größere Anschaffungen von uns nämlich gemeinsam entschieden. Der sollte etwas zu hören bekommen, wenn er nach Hause kam!

*

Doch einstweilen musste ich mich noch gedulden. Rolf erschien nämlich nicht zur üblichen Zeit, sondern mit anderthalb Stunden Verspätung. Wenigstens war unser Sohn Michael beim Fußballtraining. Daher konnte ich meinem Unmut freien Lauf lassen. Und das tat ich auch.

»Wo kommst du jetzt her?«, herrschte ich Rolf an, als er das Haus betrat. »Warst du wieder bei deiner Kosmos-Tante?«

»Warum bist du denn so aufgebracht, Moni?«, gab mein Mann zurück. »Kannst du es nicht ertragen, dass sich mir die Wahrheit immer stärker offenbart?«

»Wovon redest du? Ich weiß nur, dass du unser Konto restlos abgeräumt hast. Das ist für mich Wahrheit genug!«

Ich hatte eigentlich gehofft, Rolf mit meinen harten Worten wachrütteln zu können. Aber es schien ihm überhaupt nichts auszumachen, dass ich so zornig war.

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »Ich musste das Geld für wichtige Dinge ausgeben. – Aber was ist denn überhaupt schon Geld? Nichts anderes als feinstoffliche Energie, mit der…«

»Hör mit dem Blödsinn auf, Rolf! Ich will jetzt wissen, wofür du viertausend Euro gebraucht hast!«

»Ich habe das Geld Madame Cassandra gegeben. Und ich möchte nicht, dass du so abfällig über sie redest und sie als Kosmos-Tante bezeichnest. Sie ist nämlich der wichtigste Mensch in meinem Leben.«

Meine Wut schlug augenblicklich in grenzenlose Trauer um. Ich begann zu weinen. Plötzlich hatte ich nämlich das Gefühl, Rolf würde mich nicht mehr lieben.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich verkatert, obwohl ich keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte. Rolf hatte freiwillig auf der Couch im Wohnzimmer übernachtet. Am Vorabend hatte er sich geweigert, mit mir noch weiter über diese verflixte Astrologin zu reden. Und nun hatte er schon vor dem Frühstück das Haus verlassen. Vermutlich, um zur Arbeit zu gehen. Obwohl ich mir da inzwischen auch nicht mehr so sicher war.

»Bei euch herrscht wohl dicke Luft?«, fragte mein Sohn, der am Küchentisch saß und seine Cornflakes löffelte.

»Kann schon sein«, erwiderte ich ausweichend und goss mir einen Kaffee ein.

»Das wird sich schon wieder einrenken«, meinte Michael altklug. Dann blinzelte er mir zu. »Ich habe nämlich Papa gestern zufällig in der Fußgängerzone gesehen. Er ging in das Geschäft von Pelzmoden Krüger. Würde mich nicht wundern, wenn du bald einen Nerzmantel bekommst, Mama.«

Mir blieb beinahe das Herz stehen, als mein Sohn mir diese Neuigkeit mitteilte. Dabei zweifelte ich keine Sekunde daran, dass Rolf einen teuren Pelz gekauft hatte. Nur eben nicht für mich, sondern für diese Astrologin!

Irgendwie schaffte ich es, meinen Sohn anzulächeln. Michael konnte mir sowieso nicht helfen. Er war einfach zu jung, um meine Eheprobleme zu verstehen. Doch zum Glück schien er ohnehin bereits mit den Gedanken woanders zu sein. Er griff zu seinem Smartphone, gab mir einen Kuss auf die Wange und verdrückte sich Richtung Schule.

Ich trank nachdenklich meinen Kaffee, essen konnte ich nichts. So sehr hatte mein Mann mich noch niemals enttäuscht. Wie kam er dazu, dieser völlig fremden Frau so viel Geld in den Rachen zu werfen? Bedeuteten Rolf unsere mehr als zwanzig Ehejahre überhaupt nichts mehr?

*

Wenn ich nicht mit jemandem sprechen konnte, würde ich noch wahnsinnig werden. In meiner Not klingelte ich bei meiner Nachbarin, die mir am Vortag schon fünfzig Euro geliehen hatte. Zum Glück war Evi daheim.

»Du siehst ja furchtbar aus, Monika! Was ist denn nur geschehen?«

Ich brach erneut in Tränen aus. Evi nahm mich schwesterlich in die Arme und führte mich in ihr Wohnzimmer. Dort schüttete ich ihr mein Herz aus.

»Das darfst du dir nicht gefallen lassen, Monika!«, sagte meine Nachbarin resolut. »Du musst um deinen Mann kämpfen!«

»Aber wie?«, jammerte ich. »Man kann doch gar nicht mehr vernünftig mit Rolf reden. Sobald er den Mund aufmacht, höre ich irgendwelchen Astrologie-Unsinn.«

»Dann musst du dir diese sogenannte Madame Cassandra selbst vorknöpfen. Sie kann nicht einfach dein Leben kaputtmachen.«

Evi hatte recht, das wurde mir von Minute zu Minute klarer. Ich fürchtete mich vor der Begegnung, aber ich hatte keine Wahl. Wo war nur mein Mut geblieben?

»Wird diese Frau mich denn überhaupt empfangen?«, dachte ich laut nach.

Meine Nachbarin nickte. »Du darfst natürlich nicht schon am Telefon sagen, dass du Rolfs Gattin bist. Sonst wird diese falsche Schlange sofort Lunte riechen. Du sagst einfach, dass du eine Beratung von ihr willst. Die ist so aufs Geld versessen, dass sie garantiert einen Termin mit dir macht.«

Und so war es auch. In Evis Gegenwart tippte ich mit zitternden Fingern die Nummer der Astrologin in mein Handy.

Madame Cassandras Stimme hörte sich sympathisch an, wie ich mir widerwillig eingestehen musste. »Ja, ich habe heute Nachmittag um fünfzehn Uhr noch Zeit für Sie.«

Ich hatte nur meinen Vornamen genannt, damit die Astrologin keinen Verdacht schöpfte. Sie nannte mir eine Adresse in der Altstadt.

Als ich den Telefonhörer auflegte, empfand ich einen ersten kleinen Triumph. Ich hatte meine Verzagtheit ein wenig überwunden. Allwissend konnte diese Frau auf gar keinen Fall sein. Sonst hätte sie sich nicht auf die Begegnung mit mir eingelassen.

Denn ich war nun wild entschlossen, um meine Ehe zu kämpfen!

Madame Cassandra lebte in einem nichtssagenden Mietshaus. Ich drückte auf den Klingelknopf mit dem Schild »Astrologie-Beratung«. Mein Herz raste, als der Summer betätigt wurde. Nun stand ich gleich der Frau gegenüber, die mein bisheriges Leben zerstören wollte.

Madame Cassandra war attraktiv und mindestens fünfzehn Jahre jünger als ich. Sie empfing mich mit einem freundlichen Lächeln und bat mich in einen gemütlich eingerichteten Raum mit Planeten-Bildern an den Wänden. Aber ich wollte gar nicht wissen, was die Sterne über meine Zukunft sagten. Also kam ich sofort zur Sache.

»Mein Nachname ist übrigens Peters. Ich bin die Ehefrau des Mannes, der Ihnen den Pelzmantel geschenkt hat.«

Madame Cassandra zuckte zusammen. Aber dann hatte sie sich schnell wieder in der Gewalt. »Sie sind jetzt wütend auf mich, Frau Peters. Ich kann Ihre negative Energie deutlich spüren. Aber weder Sie noch ich oder Rolf können sich gegen die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos sperren, die…«

»Sparen Sie sich diese Sprüche für die Leute auf, denen Sie das Geld aus der Tasche ziehen!«, fiel ich ihr rüde ins Wort. Ich hatte nun jede Angst verloren. »Und lassen Sie meinen Mann in Ruhe, sonst zeige ich Sie an.«

»Ich tue nichts Verbotenes«, behauptete diese falsche Schlange. »Und ich habe Ihren Mann nicht darum gebeten, mir teure Geschenke zu machen. Das hat er freiwillig getan, weil ich sein Leben bereichert habe. Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken, warum das so ist, Frau Peters.«

Einen Moment lang wäre ich beinahe auf Madame Cassandra hereingefallen. Wir Frauen neigen ja dazu, die Schuld immer bei uns selbst zu suchen. Aber dann wurde mir bewusst, dass die Astrologin mich nur manipulieren wollte. So, wie sie es bei meinem Mann getan hatte.

Eine weitere Diskussion war sinnlos. Ich wandte mich zum Gehen, drehte mich aber noch einmal um. »Sie sind jetzt gewarnt, Madame Cassandra. Wenn Sie weiterhin meine Familie zerstören wollen, werden Sie mich noch kennen lernen.«

Darauf sagte die jüngere Frau nichts mehr. Ich glaubte schon, sie genügend eingeschüchtert zu haben. Aber das war leider ein Irrtum.

*

Tja, als Rolf abends nach Hause kam, war sein Gesicht weiß vor Wut. So hatte ich ihn noch niemals erlebt. Er grüßte nicht, sondern ging sofort ins Schlafzimmer. Dort begann er, einige Kleider in eine Reisetasche zu werfen.

»Was tust du?«, fragte ich völlig entgeistert.

»Da fragst du noch?«, blaffte er mich an. »Du hast mich vor Cassandra unmöglich gemacht. Ich kann nicht mehr mit dir unter einem Dach leben, Monika.«

Ich war völlig von der Rolle. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. »Wo gehst du hin?«, stammelte ich. »Gehst du zu ihr?«

»Cassandra hat mich verstanden, Monika. Das hast du niemals getan.«

Rolfs Worte trafen mich wie Keulenschläge. Ich konnte nichts mehr erwidern und hörte nur noch, wie die Haustür ins Schloss fiel. Ich brach weinend auf dem Bett zusammen. Dort fand mich mein Sohn, als er eine halbe Stunde später vom Fußballtraining kam.

Ich hatte fast die ganze Zeit geheult.

*

Seitdem ist eine Woche vergangen. Ich habe mir von Verwandten Geld geliehen, um mein Leben halbwegs normal weiterführen zu können. Aber auf die Dauer ist das auch keine Lösung.

Rolf ist völlig verblendet. Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass Madame Cassandra genug von ihm bekommt und er reumütig zu mir zurückkehrt.

Aber ich weiß nicht, ob ich ihn dann noch haben will. Zum Glück stehen meine beiden Kinder kompromisslos auf meiner Seite. Gemeinsam werden wir diese schweren Zeiten durchstehen, auch ohne meinen untreuen Mann.

– ENDE –

Geschichte 2

Starke Frauen

Roman von Andrea S. (43)