Toni der Hüttenwirt 5 – Staffel

Toni der Hüttenwirt –5–

Staffel

Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-739-5

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Toni der Hüttenwirt 5 – Staffel

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Auf der Berghütte fing alles an …

Roman von Friederike von Buchner

Die Morgensonne stand über den östlichen Gipfeln. Das Gras war noch feucht vom Tau. Es war kühl gewesen in der Nacht. Der kalte Westwind hatte etwas nachgelassen.

Toni und Anna waren auf dem Weg hinunter zur Oberländer Alm, um Vorräte zu holen.

»Das gibt doch noch einen schönen Tag, Anna!«

»Ja, Toni, das denke ich auch. Ich bin froh, daß es so kühl ist. Der Aufstieg mit den Rucksäcken ist leichter, wenn es nicht zu warm ist.«

»Warm wird es einem dann ganz von selbst. Wir müssen ja nicht alles mitnehmen. Vielleicht geht es Bello morgen wieder besser.«

Bello, der junge Neufundländerrüde, war krank. Er hatte Durchfall und Erbrechen. Er lag still im Schlafzimmer von Anna und Toni. Er wollte seine Ruhe. Anna war besorgt, daß er nichts fressen wollte. Er trank auch wenig. Den Napf mit dem Wasser, den Toni und Anna ihm hingestellt hatten, rührte er nicht an. Müde und kraftlos schleppte er sich zum Gebirgsbach oberhalb der Berghütte. Nur dort trank er sich satt.

Toni und Anna erreichten die Oberländer Alm. Die beiden Alten, Hilda und Wenzel Oberländer, waren mit der Morgenarbeit fertig. Die vollen Milchkannen standen schon am Milchpfad bereit zum Abholen.

»Grüß Gott, Toni! Grüß Gott, Anna!«

»Grüß dich, Wenzel!«

»Setz dich ein bisserl her zu mir, Toni! Ist des net ein schöner Morgen? Die ganze Natur atmet auf nach den heißen Tagen.«

»Ja, Wenzel, schön ist es! Aber wir müssen uns direkt wieder auf den Weg machen. Der Alois muß inzwischen die Gäste alleine versorgen. Du weißt ja, daß er nimmer der Jüngste ist.«

»Der alte Alois, der ist noch vom alten Schlag. So lang der was arbeiten kann, geht’s ihm gut. Die Berghütte, die war sein Leben.«

»Ja, des war sie. Ich freue mich auch, wenn ich seh’, wie seine Augen strahlen. Wenn altbekannte Hüttengäste kommen, dann ist der Alois in seinem Element. Oft kennt er die noch aus der Zeit, als sie Kinder waren. Des ist dann fast wie ein Verwandtschaftstreffen.«

Wenzel Oberländer schaute sich um.

»Sag, ihr habt den Bello net dabei, wie?«

»Naa, den hat es erwischt. Der hat Magengrimmen. Er läuft eben viel draußen rum. Da kann es schon mal vorkommen, daß er Abfall frißt. Des ist ein wirklicher Frevel, wie manche Touristen mit der schönen Natur umgehen. Die werfen den Unrat einfach hinter einen Stein. Bestraft gehört des! Denen müßte man verbieten, in die Berge zu gehen. Die haben keine Ehrfurcht vor der schönen Natur.«

Toni ereiferte sich sehr. Schon immer ärgerte er sich über den Abfall, aber seit Bello krank wurde, war Toni noch mehr erbost darüber.

Anna, die kurz zu Hilda in die Küche gegangen war, kam mit ihr heraus.

»Ruhig, Toni! Ich bin ja auch deiner Meinung! Nur so schnell können wir nichts daran ändern. Bello wird schon wieder gesund! Wenn es ihm weiter so schlecht geht, dann müssen wir ihn zur Doktorin bringen. Der Leo kann ihn mit dem Hubschrauber holen. Oder wir lassen die Tierärztin kommen. Beate wollte uns ohnehin mal wieder auf der Berghütte besuchen.«

Liebevoll streichelte Anna ihrem Toni die Wange.

»Na, ich kann schon verstehen, daß der Toni besorgt ist. Der Bello ist auch ein wertvoller Hund, so gut wie du ihn abgerichtet hast, Anna! Des wäre schon ein Verlust, wenn er es net packen würde«, bemerkte Hilda.

Toni schüttelte den Kopf.

»Darum geht’s net!«

Sicherlich war Bello ein Hund, ein Gebrauchshund, der ihnen gute Dienste tat. Aber er war auch ein liebes Haustier, an dem sie alle hingen. Toni wußte, daß die Bauern Tiere als Erwerbsquelle sahen. Der Wert eines Tieres richtete sich nach seiner Nützlichkeit. Aber Bello war mehr. Bello hatte Anna Toni näher gebracht, das vergaß Toni nie. Sicherlich hätte er auch so Annas Herz erobert, aber durch Bello war es schneller gegangen. Er hatte eine Brücke gebaut. Ihm zuliebe war Anna mit in die Berge gegangen. Bello zuliebe bot sich Anna an, eine Weile zu bleiben. Dann entwickelte sich alles so, wie es sich Toni erträumt hatte. Sie gestanden sich ihre Liebe, heirateten und übernahmen die Berghütte.

»Bello gehört einfach zu uns. Die Kinder hängen auch an ihm. Sie machen sich auch große Sorgen.«

Anna erzählte, daß sie Franzi und Basti sogar erlaubt hatten, die Schule zu schwänzen. Natürlich hatte Toni bereits bei der Schule angerufen. Dort hatte man großes Verständnis. Es war noch nicht lange her, daß die beiden Bichler Kinder Waisen geworden waren. Bei einem Bergrutsch waren ihre Eltern verunglückt. Dabei war auch der Hund des Bichler Hofes umgekommen.

Noch während Toni und Anna mit Wenzel und Hilda plauderten, kam Frau Dr. Beate Brand und hielt neben der Almhütte.

»Grüß Gott, Beate! Gerade haben wir von dir gesprochen!« rief Toni aus. »Was willst du hier oben?«

Die junge Tierärztin lachte.

»Waldkogel ist ein Dorf! Ich habe erfahren, daß der Bello eine Magenverstimmung hat. Franzis Lehrerin rief mich an und fragte, ob ich Näheres wüßte. Sie macht sich Sorgen um Franzi. Sie weiß doch, wie sehr das Mädchen mitleidet, seit das damals geschehen ist.«

»Wie lieb von ihr«, bemerkte Anna.

»Ich rief daraufhin bei euch auf der Berghütte an. Zuerst war der alte Alois am Telefon, dann redete ich mit Franzi und mit Basti. Ich denke es ist nicht so schlimm mit dem Bello. Ich entschloß mich, kann das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Schon lange wollte ich euch mal wieder besuchen.«

»Das ist eine gute Idee! Dann werden die Kinder ja endlich beruhigt sein. Die kleine Franzi hat heute nacht kaum geschlafen.«

»Nicht nur die Franzi, Beate!« schmunzelte Anna.

Beate verstand Anna. Sie wußte wieviel Bello Toni bedeutete. Außerdem stand Bello unter ihrem besonderen tierärztlichen Schutz sozusagen. Denn damals war Toni mit dem Hund in die Praxis gekommen, in der sie Vertretung gemacht hatte. Binnen Tagen war sie dann die Tierärztin in Waldkogel mit eigener schönen Praxis.

»Ich kann auch noch etwas tragen, Anna!« sagte Beate und hing sich ihre Arzttasche um.

Hilda packte einen weiteren Rucksack mit Vorräten an Wurst, Käse und Butter.

Bald darauf waren die drei auf dem Weg zur Berghütte.

*

Susi Gerber parkte ihr Auto in der Tiefgarage des Hochhauses. Sie fuhr mit dem Aufzug in den obersten Stock. Dort residierte die internationale Werbeagentur, ihr Arbeitgeber.

Die junge, blonde Frau mit den langen Haaren war müde. In den vergangenen Wochen hatte sie sich mit Kollegen die Nächte um die Ohren geschlagen. Es ging um einen Großauftrag für eine internationale Reederei. Susi lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand. Der Aufzug fuhr nach oben und öffnete sich.

»Glückwunsch! Bravo! Das war großartig! Das haben wir nur dir zu verdanken!«

Der Chef, die Abteilungsleiter und die Kollegen standen im großen eleganten Foyer und klatschten Beifall. Susi schaute sie an.

»Wir haben den Auftrag!« jubelte ihr Chef und drückte ihr einen Blumenstrauß in die Hand.

Mit der anderen Hand reichte ihr jemand ein Glas Champagner.

»Der Vertrag ist unterschrieben! Er kam vorab per Fax! Die Arbeitsplätze sind die nächsten fünf Jahre gesichert. Ach, was sage ich! Wir werden expandieren! Das hast du gut gemacht, Susi!«

In der Firma waren alle per du.

»Ich? Was habe ich gemacht? Wir haben alle daran gearbeitet!«

»Stimmt! Aber deine Argumente bei der Präsentation, die haben den Ausschlag geben. Der Reeder hat selbst angerufen und es mir erzählt. Er ist sehr angetan von dir. Wörtlich sagte er: ›Du vereinigst Verstand mit Herz und Gefühl.‹ Er will, daß du die Kampagne leitest! Nur du! Ich kann es nur so beschreiben, Susi: Der alte Herr hat den Narren an dir gefressen. Der Auftrag sollte erst im Januar anlaufen. Jetzt will er sofort damit beginnen. Du sollst gleich morgen bei ihm vorbeikommen! Damit bist du ab sofort Kreativ-Direktorin. Die vertraglichen Angelegenheiten regeln wir später. Jetzt wird unser Erfolg gefeiert. Wir sind gut, Leute! Und unsere Susi ist die Beste. Trinken wir auf Susi!«

Sie hoben Gläser. Susi lächelte etwas gezwungen und nippte an ihrem Glas. Sie nickte allen freundlich zu. Dann ging sie in ihr Büro und schloß die Tür.

»Was war das jetzt?« fragte ihr Chef sehr verwundert.

»Laß mich mal!«

Jasmin stellte ihr Glas ab und eilte Susi hinterher.

»Sag mal spinnst du? Du hast gerade den Gipfel erreicht und machst ein Gesicht, als hätte er dir gekündigt, statt dich zu befördern!«

»Schließ die Tür!« zischte Susi. »Ich wollte morgen in Urlaub gehen! Ich hatte letztes Jahr keinen Urlaub und das Jahr davor auch keinen. Karriere schön und gut. Aber meine Batterien sind leer! Mein Akku muß aufgeladen werden, verstehst du?«

»Ach, Susi, so geht es uns doch allen. Man hat eben schlechte Tage. Das geht vorbei!«

Jasmin, die als Sekretärin im Vorzimmer des Chefs arbeitete, lächelte.

»Außerdem wolltest du doch nicht verreisen!«

»Richtig! Ich will Urlaub auf Balkonien machen! Ich habe eine schöne kleine Wohnung. Aber die sehe ich seit Monaten höchsten fünf bis sechs Stunden täglich. Ach, was sage ich? Seit Jahren! Dann ist es Nacht. Ich komme heim, dusche und schlafe. Dann stehe ich auf, dusche, ziehe mich an und gehe hierher. Zum Glück macht mir meine Mutter sauber und kümmert sich um die Wäsche. Ich will einfach meine eigenen Wände genießen, frühstücken auf dem Balkon, lesen in meiner Kuschelecke, gut kochen und dich zum Essen einladen.«

»Dem gegenüber steht eine bezahlte Schiffsreise! Der Chef weiß, daß du unbedingt in Urlaub wolltest. Das hat er dem alten Reeder auch gesagt. Da hat er dich eingeladen. Ist doch toll, oder?«

»Du kannst fahren! Ich nicht«, seufzte Susi. »Ihr könnt mich alle für verrückt und undankbar halten! Aber ich will kein Meer sehen – kein Wasser – keine Wellen – keine Schiffe! Ich brauche Tapetenwechsel! Ich werde mich die nächsten fünf Jahre mit Wasser, und Schiffen beschäftigen. Außerdem, wer weiß, ob ich in dieser Zeit Urlaub machen kann?«

»Du riskierst viel, Susi! Einige sind ganz schön neidisch auf dich!«

»Um so besser! Dann können sie es machen!«

Jasmin mußte sich hinsetzen.

»Man könnte glauben, du bist krank.«

Susi holte tief Luft.

»Jasmin! Ich will deine Arbeit nicht schmälern. Sie ist bestimmt auch stressig. Ich weiß ja, was so im Vorzimmer abgeht. Aber ich muß ständig neue – geniale – noch nie dagewesene Ideen sprudeln. Mein Beruf macht mir Freude. Aber ich brauche meinen Urlaub, das muß der Chef einsehen.«

»Dann versuche es ihm zu sagen, Susi! Ich wünsche dir viel Glück!«

»Danke! Wenn die Feier vorbei ist, kannst du mich anrufen. Dann will ich mit ihm reden!«

»Du kommst nicht mit hinaus? Susi, das kannst du nicht tun!«

Susi gab ihrer Freundin keine Antwort. Sie begann einfach ihre tägliche Arbeit. Dazu gehörte auch, daß sie die großen Tageszeitungen durchblätterte. Sie schaute sich darin kurz die Anzeigen an, die die Konkurrenz für ihre Kunden gemacht hatte. Jasmin schaute Susi zu.

Plötzlich blätterte Susi nicht weiter.

»Das ist es doch! Jasmin!«

Susis Augen waren auf der Seite mit den geschäftlichen Kleinanzeigen hängen geblieben. Sie nahm einen roten Filzstift und kringelte eine Anzeige ein.

»Das ist es! Waldkogel!«

»Waldkogel? Was ist das?«

»Das muß ein Ort in den Bergen sein. Hier ist ein kleine Anzeige. Die Anzeige ist nicht groß. Doch sie ist ansprechend.«

Susi las sie vor:

»Worte können Waldkogel und die schönen Berge nur ungenügend beschreiben! Kommen Sie selbst! Erleben Sie Waldkogel!«

Schnell ging Susi ins Internet und schaute nach. Der Drucker summte.

»Okay! Ich hab alles! Anfahrtsbeschreibung und einige Adressen!«

Susi lächelte versonnen.

»Scheint ein kleiner, reizvoller, idyllischer, ruhiger Ort zu sein, am Ende eines Tales. Ich sehne mich nach Ruhe! Ruhe und Stille! Das gibt es dort bestimmt.«

Susi faltete die Blätter und steckte sie in ihre Handtasche.

Jasmin zuckte mit den Schultern und ging hinaus, um weiter zu feiern.

Susis Gespräch mit ihrem Chef am Nachmittag war nicht einfach. Aber so ehrgeizig Susi war, wenn es um einen Auftrag für die Firma ging, so hartnäckig war sie auch jetzt in eigener Sache. Als Kompromiß bot sie an, selbst mit dem alten Reeder zu reden. Das tat sie auch am nächsten Morgen. Das Gespräch war kurz, aber Susi wickelte den alten Reeder um den Finger. Um acht Uhr war Susi bei ihm. Um acht Uhr dreißig bestieg Susi ihr Auto und fuhr in Urlaub, in Richtung Berge, nach Waldkogel.

*

Nach sechshundert Kilometern und sieben, fast acht Stunden Fahrt erreichte Susi Waldkogel. Sie hielt auf dem Marktplatz an. Sie stieg aus ihrem Auto und sah sich um. Ein alter Bauer führte ein Pferd die Straße entlang.

»Guten Tag!« grüßte Susi.

»Tag ist es nimmer lang! Es ist bald abend!«

Der Bauer musterte die junge Frau von oben bis unten.

»Dann ›Guten Abend‹!«

»Naa! ›Grüß Gott‹ heißt des hier. Aber des kannst wohl net wissen, Madl! Man sieht ja gleich, daß net von hier bist. Hast dich verirrt?«

»Verirrt?« Susi fragte noch einmal nach: »Das hier – dieser Ort – das ist doch Waldkogel oder?«

»Freilich!«

»Gut! Dann bin ich richtig!« seufzte Susi erleichtert. »Wo kann ich hier ein einfaches Zimmer bekommen?«

»Mei, ein einfaches Zimmer? Schaust net so aus, als wäre ein einfaches Zimmer die richtige Behausung für dich! So ein Madl wie du, des paßt höchstens dort ins Hotel. ›Zum Ochsen‹, da kannst es mal versuchen. Aber wir haben Hochsaison, da wird’s schwierig werden. Da ist immer alles ausgebucht.«

Susi konnte ihre Einstellung als Werbefachfrau doch nicht ganz abschütteln und hakte sofort nach.

»Unerwartete Besucher kann man doch nicht wieder fortschicken? Das wäre fatal für das Image.«

»So so! Fatal für des Image? Was net sagen tust, Madl! Aber es gibt ja immer noch die Möglichkeit auf einer Alm im Heu zu schlafen.«

Der Bauer sah erneut an Susi herab.

»Aber du bist net der Typ dafür. Des sehe ich schon. Grüß Gott!«

Der alte Bauer tippte kurz an seinen verbeulten Filzhut und ging weiter. Das Pferd trabte hinter ihm her. Susi schaute ihm verwundert nach.

Dann sah sie selbst an sich herunter.

»Stimmt ich sehe nicht gerade aus, als wollte ich Urlaub in den Bergen machen«, flüsterte Susi leise und schob ihre langen blonden Haare über die Schultern nach hinten.

Susi Gerber hatte enge weiße Caprihosen an, ein schulterfreies rosa Oberteil und Schuhe mit hohen Absätzen.

»Die Verpackung stimmt nicht«, stellte Susi fest.

Susi überdachte kurz die Kleidungsstücke in ihrem Koffer. Sie hatte nichts Passendes für einen Urlaub in den Bergen eingepackt. Genauer gesagt, sie besaß keine geeignete Kleidung für Bergwanderungen oder Kleidungsstücke, mit denen man ihm Heu schlafen konnte.

Auf der andere Seite des Marktplatzes räumte jemand Auslagen fort, die auf der Straße angeboten wurden. Kurz entschlossen steuerte Susi auf den Mann zu.

»Grüß Gott!« grüßte sie artig. Nach dem Gespräch mit dem alten Bauern wollte sie keine Fehler mehr machen.

»Schließen Sie schon?«

»Mei, schon? Des ist gut! Feierabend muß auch irgendwann sein. Aber bei einem so lieben Madl da kann ich ja noch ein Minütchen drangeben. Was soll es denn sein?«

Susi lächelte.

»Also, es wird schon etwas länger dauern. Wissen Sie, ich bin fast per Zufall in die Berge geraten und gar nicht so passend gekleidet.«

Herr Boller vom Trachten- und Geschenkladen musterte Susi.

»Ja, des seh’ ich!«

»Ich kann gern auch morgen früh kommen…«

»Naa, des ist net nötig! Komm’s mal mit, junge Frau!«

Er ging voraus in den Laden. Susi folgte ihm.

»Veronika! Kannst schon mal anfangen, des junge Madl zu bedienen? Ich mach’ draußen noch fertig und komm dann!«

»Ich bin am Kochen, Franz!« schallte es aus der Küche zurück, die irgendwo hinter dem Laden lag.

»Ich kann mich ja inzwischen etwas umsehen!« rief Susi laut.

Veronika Boller kam bald. Nachdem sie gehört hatte, daß die junge Frau sich ganz neu einkleiden wollte, strahlten ihre Augen. Ihr Ken-nerblick verriet ihr auch, daß Susi nicht zu den Kundinnen gehörte, die knausern mußten.

Franz Boller trug den letzten Auslagekorb mit den Sonderangeboten herein und verschloß die Tür. Dann waren die beiden in ihrem Element. Hauptsächlich beriet Veronika Boller, während ihr Mann sich mehr im Hintergrund hielt.

Susi verbrachte die nächsten beiden Stunden im Laden. Als die Bollers sie zum Auto brachten, war sie komplett für die Berge eingekleidet. Susi hatte viel eingekauft, viel mehr, als sie für einen Urlaub benötigte. Doch die Landhaus – und Trachtenmode gefiel ihr. Mit jedem Stück, das Susi anprobierte, kam es ihr vor, als schlüpfe sie in eine andere Haut. Außerdem war Veronika Boller sehr geschäftstüchtig und überredete Susi mit guten Argumenten zu weiteren Stücken.

Susi hatte sich mit den beiden Bollers nicht nur über Trachtenmode unterhalten. Sie hatte viel über Waldkogel, die Berge und die Menschen hier erfahren. Veronika Boller war eine Frau, die gern viel erzählte.

Jedenfalls war es ihr und ihrem Mann gelungen, Susi für die Berge zu begeistern. Mit der neuerworbenen Wanderausrüstung, mußte Susi einfach wandern gehen. Sie empfahlen ihr, sich auf der Berghütte bei Toni und Anna Baumberger einzuquartieren. Franz Boller hatte Susi ausführlich den Weg zur Oberländer Alm beschrieben. Dort würde sie sicherlich übernachten können. Sie solle sich nicht scheuen, sich auf Franz und Veronika zu berufen, betonten die beide immer wieder.

Susi war froh, als sie endlich abfahren konnte. Die freundliche Fürsorge war ihr fast zu viel gewesen.

*

Ohne Schwierigkeiten fand Susi den Milchpfad. Sie genoß es, im späten Abendrot die Serpentinen hinaufzufahren. Öfter hielt sie an und schaute aus dem geöffneten Auto-fenster.

»Wie wunderbar die Berge sind«, flüsterte Susi.

Vielleicht kam es ihr auch nur so besonders vor, weil sie sich in den letzten Monaten und Wochen nur mit dem Meer und Schiffen beschäftigt hatte.

Susi fuhr weiter und erreichte das Ende des Milchpfades. Wie es ihr die Bollers beschrieben hatten, fuhr sie über die Wiese und hielt neben der Almhütte. Dort standen noch mehr Autos.

Susi parkte hinter einem großen Geländewagen einer Nobelmarke.

Wem der wohl gehört, dachte sie. Dann leerte sie den Inhalt ihres Koffers einfach in den Kofferraum ihres Autos und packte die Tüten mit den neuen Kleidungsstücken hinein. Es fanden nicht alle darin Platz. Einen weiteren Teil stopfte sie in den neuen Rucksack und zog ihn über. Immer noch waren Tüten übrig.

Den Rucksack auf dem Rücken, den eleganten Reisekoffer in der einen und weiteren Tüten in der anderen Hand ging sie um die Almhütte herum.

»Madl, was schleppst denn da an? Willst bei uns einziehen?« rief ihr der alte Wenzel entgegen.

Doch Susi hatte weder Augen noch Ohren für den alten Mann. Sie sah nur, wie ein junger Bursche in Lederhosen lächelnd auf sie zukam. Er nahm ihr den Koffer und die Tüten aus der Hand.

»Sie dürfen sich über den Wenzel nicht ärgern. Er meint es nicht so«, flüsterte er leise.

»Guten Abend!«

Susi blieb bei dem Tisch vor der Almhütte stehen. Sie räusperte sich.

»Guten Abend! Oh, hier sagt man ›Grüß Gott!‹ Sie sind Frau und Herr Oberländer? Im Laden – also die Bollers, die meinten ich könnte auf der Oberländer Alm übernachten.«

»Naa, des sind wir nicht Madl!« lachte Wenzel und freute sich ein wenig über Susis enttäuschtes Gesicht.

»Wenzel! Mußt des Madl net so erschrecken!«

Hilda stand auf und reichte Susi die Hand zum Gruß.

»Nehmens’ ihn net so ernst. Der Wenzel treibt gern seinen Spaß mit jungen Madls. Ja, wir sind die Oberländers. Kannst Hilda und Wenzel zu uns sagen! Wie ist dein Name?«

»Susi! Susi Winkler!«

»Grüß Gott, Susi! Kannst bei uns übernachten! Der Andreas überläßt dir gern die Kammer und schläft im Heu. So ist es doch, Andreas?«

»Sicher, Hilda! Das wollte ich gerade selbst anbieten!«

»Ich möchte Sie nicht vertreiben, Herr Oberländer!«

»Des ist net unser Sohn. Des ist der Andreas.«

»Oh, Entschuldigung!«

»Mußt dich nicht entschuldigen!«

Andreas trug sofort Susis Koffer in die Kammer. Er kam mit seinem Rucksack zurück.

»Ich schlafe ohnehin lieber im Heu! Das Erlebnis kann mir kein Hotel bieten.«

Hilda zeigte Susi die Kammer. Die beiden Frauen wechselten einige Worte. Hilda lud Susi zur Brotzeit ein. Bald darauf saß sie draußen vor der Almhütte und labte sich an selbstgebackenem Brot mit Butter und Käse von der Oberländer Alm. Dazu gab es Bier.

Susi bemerkte, wie sie Andreas immer wieder betrachtete.

»Bist du zum ersten Mal hier?«

»Ja! Es ist schön hier! Die Bollers haben mir schon viel erzählt. Aber die Wirklichkeit übertrifft alles. Die Aussicht ist großartig. Dieses Abendrot, das die Berggipfel erglühen läßt…

So etwas gibt es dort nicht, wo ich herkomme. Wenn es hier so schön ist, wie muß es die Aussicht dann erst von noch weiter oben sein, von der Berghütte?«

»Du willst zur Berghütte hinauf? Ich auch!« strahlte Andreas.

»Dann könnt ihr ja zusammen raufwandern. Dann kannst dem Madl beim Gepäck helfen, Andreas. Alleine schafft sie des net. Ja, ja, des ist heute auch anders. Früher, da gab’s net so viel Anziehsachen. Da gab’s die Arbeitskleider für Arbeit und die Sonntagssachen. Des ist des gewesen.«

»Susi, mußt net zuhören, wenn der Wenzel von den alten Zeiten schwärmen tut. Schön waren sie schon. Aber vermissen muß man sie net. Schwer sind sie gewesen. Heute ist es besser«, bemerkte Hilda.

Susi wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie war etwas verlegen.

Andreas kam ihr entgegen.

»Das sieht bestimmt nur so viel aus. Wenn du alles aus den Tüten rausnimmst und in den Koffer und den Rucksack tust, dann bekommst du die Kleidungsstücke unter.«

»Der Andreas, der muß des wissen. Der verkauft auch Trachtenmoden«, warf Wenzel ein.

»Wenn du willst, kann ich dir helfen?« bot sich Andreas an.

Susi errötete. Andreas hatte es bestimmt gut gemeint, aber er machte sie nervös. Susi lehnte seine Hilfe ab.

Wie er mich immer anschaut?

Dann mußte Susi sich eingestehen, daß sie auch nicht die Augen von ihm lassen konnte. Andreas hatte mittelblondes, kurzgeschnittenes Haar und große grüne Augen. Er war breitschultrig und sehr stattlich. Seine Stimme war weich. Susi saugte jedes Wort auf, das er sagte.

Wenzel und Hilda war es nicht entgangen, daß die beiden Interesse füreinander zeigten. Außerdem war es spät. Die Oberländers mußten am nächsten Morgen wieder früh aufstehen, um die Kühe zu melken. So zogen sie sich zurück.

»Tust die Tür einfach zuziehen, Susi! Ich laß in der Küche die Lampe brennen. Der Andreas wird sie dann ausmachen. In der Kammer hab’ ich dir eine Kerze hingestellt und Streichhölzer dazugelegt. Elektrisches Licht haben wir hier auf der Alm nicht.«

Susi bedankte sich noch einmal. Wenzel erzählte noch kurz, daß dies die letzte Alm sei, die noch nicht verkabelt ist, wie er es nannte. Alle anderen Almen hatten Strom. Aber Wenzel war der Meinung, daß das nicht nötig sei. Es sei viele hundert Jahre so gegangen. Für sie beiden Alten wäre das noch so in Ordnung, bis einmal jemand anders in der nächsten Generation die Alm übernehmen würde.

Andrea wartete ab, bis die beiden sich zurückgezogen hatten. Dann sprach er Susi an:

»Ich mache immer noch einen kleinen Spaziergang bis drüben zum Wald. Jeden Abend wenn ich hier bin, gehe ich hinüber. Das ist ein Ritual seit meiner Kindheit, als ich zum ersten Mal hier war. Willst du mitkommen?«

»Ist es nicht zu dunkel dazu? Der Wald sieht jetzt schon wie eine schwarze Wand aus. Irgendwie wirkt das unheimlich.«

»Keine Sorge! Ich passe schon auf dich auf. Das ist doch Ehrensache. Die Burschen hier in den Bergen sind für die Madls verantwortlich.«

Susi zögerte. Hier auf der Bank beim Tisch vor der Almhütte war es doch auch schön. Warum wollte Andreas spazierengehen, auch wenn es nur das kleine Stück bis zum Wald war? Auf der anderen Seite war Susi gern in seiner Nähe. So entschloß sie sich mitzukommen. Andreas griff einfach nach Susis Hand, so als sei das ganz selbstverständlich. Susis Herz klopfte. Ganz neue Gefühle schlichen sich in ihr Herz, Gefühle, die sie noch niemals vorher in dieser Weise verspürt hatte. Sie fühlte sich wie verzaubert. Andreas zog sie in seien Bann.

Andreas führte sie zuerst ein Stück den Fußweg entlang, der von der Oberländer Alm am Hang entlang hinunter nach Waldkogel führte. Dann überquerten sie die Weide bis zum Waldrand. Am Waldrand lagen einige gefällte Baumstämme. Sie setzten sich.

»Schau, den Ausblick wollte ich dir zeigen. Die Sonne wirft ihre letzten Strahlen hinauf auf den Gipfel des ›Engelssteigs‹. Nur noch der kleine Fels mit dem Gipfelkreuz auf dem Plateau wird erleuchtet.«

»Wie wunderbar!«

Die beiden wurden ganz still. Sie sahen hinauf und warteten, bis die Dunkelheit den Berg und das Kreuz ganz verhüllten.

»Schon als Kind saß ich abends immer hier und schaute hinauf. Ich war ein einsames Kind. Das gab mir Kraft und Trost für viele Traurigkeiten in meinem Kinderherz.«

»Bist du heute auch noch einsam?« rutschte es Susi heraus.

Sie erschrak selbst über ihre Worte. Konnte man sie doch auch mißverstehen. Unbewußt hielt sie sich die Hand über die Lippen, so als wollte sie verhindern, daß ihr weitere Gedanken entschlüpften.

Andreas lachte. Er verstand ihre Verlegenheit.

»Das muß dir nicht peinlich sein. Einsam?« wiederholte er. »Nein, ich bin nicht einsam. Ich bin allein. Allein sein und Einsamkeit, das ist etwas ganz Verschiedenes. Einsamkeit kann einen Menschen auch ereilen, wenn er nicht mehr alleine ist. Damit meine ich, wenn er eine Freundin hat oder sogar eine Braut oder auch Frau. Zweisamkeit schützt nicht vor Einsamkeit.«

Susi war von dieser Antwort überrascht.

»So habe ich noch nie darüber nachgedacht. Doch das ist wohl richtig.«

»Ja! Bedauernswert ist es in jedem Fall. Niemand sollte in einer Zweisamkeit einsam sein.«

»Ich denke, daß die Liebe in einer Zweisamkeit vor Einsamkeit bewahren sollte.«

»Kennst du diese Liebe?« fragte Andreas unvermittelt.

Susi mußte lächeln.

»Willst du wissen, ob ich einen Freund habe? Du bist schnell, Andreas! Ist das deine Art, das andere Geschlecht anzumachen?«

»Ist es dir zu schnell?«

»Zumindest bin ich überrascht. Wir kennen uns kaum mehr als eine Stunde und du fragst mich so etwas Persönliches. Da darf ich mich doch ein wenig wundern oder?«

»Ich weiß gern, woran ich bin. Sag, wie lange willst du auf der Berghütte bleiben?«

»Ich habe meinen ganzen Jahresurlaub genommen. Alten Urlaub habe ich auch noch. Kurz, ich habe Zeit, viel Zeit. Ich komme in die Berge, um der Hektik zu entfliehen. Ich wollte etwas anderes sehen.«

»Tapetenwechsel?«

»Ja! Totaler Tapetenwechsel! Auch was die Kleidung angeht. Die vielen Tüten hast du ja gesehen.«

»Tracht steht dir gut oder besser gesagt, Landhausmode. Glaube mir, ich kann das beurteilen.«

»Stimmt, die Oberländers haben es angedeutet, daß du auch etwas mit Kleidern zu tun hast. Ich muß sagen, ich hätte mir nie vorstellen können, wie wohl ich mich darin fühle. Es ist ein ganz neues Gefühl.«

»Ich verstehe dich! Ich kann es auch immer kaum erwarten, in meine Lederhosen zu schlüpfen. Es kommt mir vor, als lege ich einen Panzer ab, wenn ich aus dem Anzug schlüpfe. Damit lege ich auch Zwänge ab. Ich fühle mich frei und heiter. Einfach fröhlich!«

»Auch ein wenig übermütig? Ich meine, weil du so losstürmst? Deine Fragen…«

»Ja, es mag dir übermütig erscheinen. Doch ich bin so. Ich weiß gerne, woran ich bin. Nur wenn man die Fakten kennt, kann man planen.« Er lächelte verschmitzt. »Susi, es gibt auch den anderen Weg. Damit meine ich, wie das in der Regel so abläuft, wenn ein Mann oder Bursche, wie man hier in den Bergen sagt, an einer Frau, einem Madl, Interesse hat.«

»So, und wie?« forderte Susi ihn heraus.

»Ich verwende meinen ganzen Urlaub, um herauszufinden, ob du in festen Händen bist. Doch das wäre reine Zeitverschwendung«, betonte er.

Um dem Gespräch ein Ende zu machen, gab ihm Susi Auskunft.

»Ich bin solo – im Augenblick! Ich hatte niemals eine feste Beziehung, von der man sagen könnte, sie tauge für ein langes, gemeinsames Leben. Der Richtige war mir eben nie begegnet«, lachte Susi. »Vielleicht sind auch meine Ansprüche zu hoch. Das sagt jedenfalls meine Freundin Jasmin.«

»Ich denke auch so! Lieber keine als die Falsche! Das ist auch meine feste Überzeugung«, sagte Andreas mit Nachdruck.

»Ich schließe daraus, daß du auch noch solo bist.«

»Ja! Ich habe vielleicht in meiner Kindheit nicht die richtigen Vorbilder gehabt. Jedenfalls strebe ich nach dem Ideal.«

»Dann wünsche ich dir, daß du eine findest, die deinem Ideal entspricht.«

»Danke! Ich arbeite daran!«

Susi gefiel das Gespräch nicht. Viel lieber hätte sie nur still die Sterne betrachtet. Sie fühlte sich so wohl in seiner Nähe. Wozu all diese Worte? Wozu diese theoretischen Überlegungen? Er gefällt mir! Wenn ich ihm auch gefalle, warum sagt er es nicht einfach? Damit könnte ich etwas anfangen. Aber so?

Susi spürte, wie es zwischen ihnen knisterte. Am Nachthimmel standen die Sterne. Der Mond leuchtete silbern. Ein warmer Wind wehte sanft und streichelte die Haut.

Wie im Märchen, dachte Susi. Wenn er mich jetzt in die Arme nähme und küßte, würde ich es zulassen. Wie schön wäre das, sich einfach in seine Arme fallen lassen und alles vergessen!

Doch es geschah nichts. Andreas sagte auch nichts mehr. Starr saßen sie nebeneinander und schwiegen.

Susi gähnte.

»Du bist müde! Gehen wir zurück!«

Sie standen auf.

Susi vergrub ihre Hände in den Hosentaschen ihrer Kniebundhose aus Wildleder. So konnte Andreas sie nicht bei der Hand nehmen. Andererseits wünschte sie es sich so, daß er sie berührte. Doch sie wollte sich keinen falschen Hoffnungen hingeben.

Sie erreichten die Almhütte. Andreas brachte Susi bis zur Kammertür. Er wartete, bis sie die Kerze angezündet hatte. Dann wünschte er ihr eine gute Nacht.

Susi schloß die Tür. Sie lauschte. Dann erlosch der schmale Lichtschein, der unter der Tür hindurchgefallen war. Gleich darauf hörte Susi, wie Andreas die Außentür zumachte.

Andreas ging um die Almhütte herum und stieg auf den Heuboden. Die Luke ließ er offen. Er setzte sich hin und schaute in den Nachthimmel. Dabei dachte er an Susi. Sie gefiel ihm. Als sie mit ihrem Gepäck vom Parkplatz kam, hatte ein einziger Blick genügt, um sein Herz in Flammen zu setzen.

Susi ist wunderbar. Sie ist sehr schön, hat eine gute Figur, wunderbares, blondes Haar und große, rehbraune Augen, dachte er. Er hatte nur ihre Hand berührt. Aber diese Hand fühlte sich so weich und warm und wunderbar an, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte.

Es war alles so schnell gegangen, gestand er sich ein. Es war nicht das erste Mal, daß ihm eine junge Frau gefiel. Nein! Er war ein Mann, der für die Reize des anderen Geschlechtes durchaus empfänglich war. Doch bei Susi war es anders. Er spürte, daß es ihm ernst war. Jeden Schritt wollte er überlegen. Ja, er wollte sie erobern. Doch sein Herz mahnte ihn zur Vorsicht. Susi war nicht irgendeine Frau. Sie war etwas ganz Besonderes. Tief in seinem Herzen hoffte er, daß er mit Susi die Zweisamkeit erreichen könnte, wonach sich alle Liebenden sehnen, eine innige Verbundenheit für ein langes gemeinsames Leben.

Susi war so müde. Trotzdem wälzte sie sich im Bett hin und her und fand keinen Schlaf. Immer und immer wieder sah sie Andrea’s wunderschöne Augen vor sich. Sie erinnerte sich, wie er vom Tisch aufgesprungen war, um ihr beim Tragen zu helfen. Welche kräftigen Bewegungen! Was für ein Mann!

Susi lauschte in sich hinein. Was flüsterte ihr Herz?

Sie gestand sich ein, daß er ihr gefiel, wie noch niemand zuvor. Doch es ging alles so schnell. Kann man sich so schnell verlieben, fragte sie sich. Ist das möglich?

Susi war durch ihre Arbeit gewöhnt, alles zu hinterfragen. So überlegte sie. Ich bin im Urlaub. Mich hat der Zauber der Berge erfaßt. Es ist wie ein Rausch. Diese Stille und diese klare Luft vernebeln mir die Sinne. Bin ich dabei, mich auf ein Urlaubsabenteuer einzulassen? In der nächsten Sekunde wußte sie bereits, daß sie sich etwas vormachte.

Ich habe mich verliebt, gestand sie sich ein. Ich habe mich verliebt in seine grünen Augen. Ich schmachte dahin, wenn ich den Klang seiner Stimme höre. Seine Stimme verzaubert mich. Andreas verzaubert mich. Er ist wunderbar. Er ist einfach perfekt. Ich kenne ihn erst einige Stunden, noch nicht einmal einen ganzen Tag. Trotzdem weiß ich, daß er so besonders ist, wie kein Mann zuvor gewesen ist.

Susi wollte im Urlaub Ruhe finden und Kraft schöpfen. Statt dessen wälzte sie sich unruhig in den Kissen oder lauschte angestrengt in die Nacht auf jedes Geräusch in der Almhütte. Sie wußte, daß er oben auf dem Heuboden nächtigte. Kann auch er nicht schlafen, fragte sie sich. Denkt er an mich?

Als Susi endlich einschlief, träumte sie von Andreas.

*

Obwohl Hilda sich bemühte leise zu sein, wachte Susi von den Geräuschen auf.

Mit einem Ruck setzte sie sich auf die Bettkante. Sie schaute sich um. Das erste Tageslicht fiel durch das kleine Fenster. Die Kammer war sehr spärlich eingerichtet. Es gab nur ein schmales Bett mit einen Hocker als Nachttisch. An der Wand waren einige Kleiderhaken. Unter dem Fenster stand ein kleiner Tisch mit einem weiteren Hocker. Interessiert betrachtete Susi die große Waschschüssel aus Email und den Wasserkrug. Er war mit kaltem Wasser gefüllt. Sie vermutete, daß Hilda ihn ihr leise hingestellt hatte.

Susi wusch sich. Das kalte Wasser erfrischte wunderbar. Dann zog sie sich an. Etwas nachdenklich stand sie vor ihrem Gepäck. Sie entschloß sich, ihren Koffer ins Auto zu bringen. Sie wollte nur die Wanderkleidung mit auf die Berghütte nehmen, vielleicht zusätzlich noch ein Dirndl.

Susi packte die Tüten aus. Sie häufte die Kleidungsstücke auf dem Bett auf. Links legte sie die Kleidungsstücke hin, die sie erst einmal im Auto lassen wollte. Die anderen verstaute sie im Rucksack. Sie war froh, daß sie auf Anraten von Veronika Boller den größeren Rucksack genommen hatte. Sie bekam alles unter.

Dabei dachte sie immer wieder an Andreas. Sie wollte nicht, daß er ihren Koffer auf die Berghütte hinauftrug. Susi verspürte zwar diese Schmetterlinge im Bauch, aber sie war sich zugleich unsicher.

»Guten Morgen, Madl! Schon so früh auf! Hast gut geschlafen? Ich hoffe, wir haben dich net geweckt. Aber wir müssen immer früh raus. Heut’ ist es besonders früh. Ich bin noch früher aufgestanden, damit mein Wenzel ein bisserl länger liegen bleiben kann. Der hat heut’ nacht kaum schlafen können. Er hat wieder Schmerzen im Kreuz. Hast Hunger?«

Hilda Oberländer schnitt Brot.

»Danke der Nachfrage, ich hab’ gut geschlafen, Hilda. Auch einen recht schönen Morgen!«

Susi trank nur einen Kaffee. Sie konnte so früh nichts essen.

»Na, dann tust später mit dem Andreas frühstücken. Des kann aber dauern. Der Andreas ist ein Langschläfer, des mußt wissen. Wenn er hier bei uns ist, dann schläft er immer sehr lange. Vor zehn Uhr brauchst net mit ihm zu rechnen.«

»So lange wollte ich eigentlich nicht warten!« bemerkte Susi und erkundigte sich nach dem Weg zur Berghütte.

»Die ist einfach zu finden. Es gibt nur einen Bergpfad von hier aus, der hinführt. Den gehst du immer weiter, bis dort bist. Willst net auf den Andreas warten?«

Susi schüttelte den Kopf. Sie erzählte Hilda, daß sie einen Teil ihrer Sachen im Auto lassen würde. Sie habe schon gepackt. Susi wollte nach dem Frühstück alleine aufbrechen. Hilda gefiel das nicht, daß die junge Frau sich ohne Frühstück auf diese Bergwanderung machen wollte. Aber Susi war nicht davon abzubringen.

»Warte doch bis so um ungefähr halb acht Uhr. Mei, so genau kann ich des net sagen. Kann ein bisserl früher oder auch später sein. Der Toni oder die Anna kommen, um die frische Milch und die Sahne zu holen. Dann gehst du mit. Dann bist auf dem Weg nach oben net so alleine.«

Susi wollte nicht warten. Getrieben von einer inneren Unruhe, wollte sie bald aufbrechen.

Hilda Oberländer beobachtete die junge Frau. Da muß was vorgefallen sein zwischen den beiden gestern abend. Des Madl benimmt sich ja, als würde sie vor dem Andreas davonlaufen. Oder läuft die Susi vor ihren eigenen Gefühlen davon? Das fragte sich die alte Hilda. Sie ließ sich aber nichts anmerken. Sie richtete für Susi eine große, nahrhafte Brotzeit. Gegen den Durst füllte Hilda Tee in eine Thermoskanne und gab ihr außerdem noch eine Flasche Wasser mit.

Hilda begleitete Susi hinaus. Sie zeigte ihr, wo sich der Bergpfad von der Oberländer Alm den Berg hinaufschlängelte.

»Grüße mir Wenzel, Hilda! Ich hoffe, sein Rücken wird bald wieder besser!«

»Des hoffe ich auch. Weißt, Susi, es ist net nur wegen der Arbeit. Der Wenzel, der spricht dann nix anderes den ganzen Tag als von seinem Zipperlein. Ständig tut er dran denken und beklagt sich. Ich sage immer zu ihm, er soll dem net so viel Bedeutung beimessen, dann wird’s schneller besser. So halte ich des immer, wenn mir etwas fehlt. Nun ja, er ist eben ein Mann. Aber ich hab’ ihn immer noch lieb nach der langen Zeit, die wir verheiratet sind.«

Susi rührte, mit welchem zärtlichen Blick Hilda von Wenzel sprach.

»Soll ich dem Andreas auch einen schönen Gruß bestellen? Er wird enttäuscht sein, daß du schon fort bist.«

Susi errötete.

»Ja, meinetwegen! Sag ihm, ich wollte alleine sein. Wir sehen uns ja dann oben auf der Berghütte.«

»Susi, ich denke, du gefällst dem Andreas. Er hat dir gestern gleich schöne Augen gemacht. Dem Wenzel ist es auch aufgefallen. Hast du des bemerkt?«

»Ja, Hilda! Das habe ich bemerkt. Es war nicht zu übersehen.«

»Und dir? Gefällt er dir auch?«

Susi errötete wieder.

»Der Andreas ist schon ein besonderes Exemplar von Mann. Das kann ich sagen!«

Mit diesen Worten drehte sich Susi um und ging los.

Hilda schmunzelte. Das war eine seltsame Antwort. Aber vielleicht reden die jungen Frauen heute so, dachte sie. Sie drehte sich um und ging in den Stall, um die Kühe zu melken.

Susi wanderte los. Gleichmäßig und ohne Hast setzte sie Schritt nach Schritt. Sie war das Wandern nicht gewöhnt. Gut, daß ihr die Bollers einige wohlgemeinte Ratschläge mitgegeben hatten. Susi blieb oft stehen und blickte in die Weite.

Der Bergpfad lag noch im Schatten. Die Sonne stieg ganz langsam am Horizont als große gelbe Scheibe auf. Vereinzelt lag Dunst über den Wiesen und Wäldern. Es roch nach Erde und Wald. Ein frischer, aber nicht kalter Wind wehte leicht von den Bergen herab. Susi empfand es als wohltuend. Ihr war warm.

Irgendwann legte sie eine Rast ein. Hildas Brotzeit schmeckte köstlich. Susi trank die ganze Flasche Tee dazu. Danach fühlte sie sich gestärkt.

Sie sah, wie ein Mann mit zwei Kindern den Bergpfad entlangkam. Sie blieben stehen.

»Grüß Gott! Schon so früh auf dem Weg zur Berghütte? Des ist selten, daß uns morgens jemand begegnet. Bist ja schon fast oben. Es ist nimmer weit.«

»Guten Morgen! Das freut mich, daß es nicht mehr weit ist. Ich habe die Strecke unterschätzt als ungeübte Städterin, die alles mit dem Auto macht.«

»Des geht vielen so! Hast ja Zeit. Ich will mich vorstellen. Ich bin der Toni, der Hüttenwirt. Das sind Franziska und Sebastian!«

»Wir werden Franzi und Basti gerufen!« warf Franzi ein.

»Mein Name ist Susi Gerber. Susi genügt!«

Susi sah, daß die beiden Kinder Schulranzen auf dem Rücken trugen.

»Sagt bloß, ihr geht jeden Tag von der Berghütte aus in die Schule? Ist das nicht viel zu weit?«

»Naa! Wir sind dran gewöhnt. Außerdem werden wir ab der Oberländer Alm gefahren«, erläuterte Basti. »Jetzt müssen wir aber weiter, Toni. Wir sind spät dran. Grüß dich, Susi! Wir sehen dich nach der Schule wieder.«

Basti ging weiter. Seine kleine Schwester folgte ihm. Toni wechselte noch einige Worte mit Susi und ging dann auch weiter.

Susi packte die Reste ihrer Brotzeit ein, schulterte ihren Rucksack und wanderte weiter den Berg hinauf.

Die Berghütte lag wunderschön im Sonnenschein. Eine junge Frau im Dirndl stand auf der Terrasse, umgeben von Wanderern. Sie erklärte etwas auf einer Karte. Bis Susi das Geröllfeld überquert hatte, waren die Wanderer aufgebrochen. Susi setzte schon bei den Treppenstufen, die zur Terrasse der Berghütte führten, ihren Rucksack ab. Sie rieb sich die Schultern.

»Grüß Gott! Ich bin die Anna! Toni und ich betreiben die Berghütte.«

»Susi! Den Toni und die Kinder habe ich unterwegs getroffen.«

Susi rieb sich die Schultern.

»Ich bin solche Anstrengungen nicht gewöhnt. Bin eben ein Stadtmensch.«