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Band 155

 

Der Andromeda-Basar

 

Madeleine Puljic

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. MAGELLAN

2. Andromeda-Basar, Handelsbereich I

3. Verwaltungszentrale der Car'sh

4. Militärisches Segment Traya

5. Andromeda-Basar, Handelsbereich I

6. Andromeda-Basar, Handelsbereich I

7. Habitat der Prekala

8. Verwaltungszentrale der Car'sh

9. Andromeda-Basar, Äußerer Raumhafen

10. Andromeda-Basar, Äußerer Raumhafen

11. Andromeda-Basar, Äußerer Raumhafen

12. MAGELLAN

13. MAGELLAN

14. Verwaltungszentrale der Car'sh

15. MAGELLAN

16. MAGELLAN

17. MAGELLAN

18. Verwaltungszentrale der Car'sh

19. MAGELLAN

20. Verwaltungszentrale der Car'sh

21. Verwaltungszentrale der Car'sh

22. MAGELLAN

23. MAGELLAN

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 durchleben sie eine besonders schwere Zeit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, Milliarden Menschen wurden an einen unbekannten Ort umgesiedelt.

Der Schlüssel zu den Ereignissen scheint in der Nachbargalaxis Andromeda zu liegen. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an – allerdings schwer beschädigt.

Will Rhodan seine Mission fortsetzen, muss er die MAGELLAN einsatzfähig machen. In einer fremden Galaxis, kontrolliert von den geheimnisvollen Meistern der Insel, braucht er Ersatzteile – sein nächstes Ziel ist DER ANDROMEDA-BASAR ...

1.

MAGELLAN

7. März 2055

 

Perry Rhodan stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Nicht übel!«

Die MAGELLAN war in die gut zweihunderttausend Kilometer durchmessende Einflugzone zwischen der Bahn des vierten und fünften Planeten transitiert. Damit war das terranische Schiff nicht das einzige. Nahezu im Sekundentakt kamen weitere Raumfahrzeuge in das System, bremsten auf halbe Lichtgeschwindigkeit ab und flogen zügig den vierten Planeten an – den Basar von Andromeda –, um Platz zu machen für die nachfolgenden Frachter aller Formen und Größen. Dazwischen schossen kleine Geschwader von Kampfflotten umher und formten ein auf den ersten Blick unüberschaubares Gewimmel, in dem die Schiffspositronik jedoch durchdachte, komplexe Muster erkannte.

»Ein richtiges Wespennest«, kommentierte Conrad Deringhouse, der Kommandant der MAGELLAN.

Rhodan nickte. »Umso besser für uns. Je dichter der Verkehr, desto eher können wir darin untertauchen.« Er war froh, dass sie eine Sonde vorausgeschickt hatten, um das Oomophsystem zu erkunden. Nicht in die Einflugzone zu springen, sondern irgendwo in sicherem Abstand zum Basar aufzutauchen, hätte sie eindeutig als Fremde gebrandmarkt.

Was sie selbstredend waren. Aber diesen Umstand wollte er tunlichst nicht an die große Glocke hängen.

»Schräg rechts über uns«, meldete Reginald Bull. »Sektor G achtzehn elf.«

Rhodan folgte dem Hinweis seines Freunds gerade rechtzeitig, um einen dick gepanzerten Kugelcontainer vorbeiziehen zu sehen. Soweit er das mit bloßem Auge feststellen konnte, glich die Bauart jener der Erzcontainer, denen sie hierhergefolgt waren.

»Gut«, sagte er. »Dann sind wir wohl am richtigen Ort.«

Wo unübersehbar eine derartige Menge an Containern umgeschlagen wurde, musste es Ressourcen geben – Materialien und Maschinen, mit denen die Menschen die notwendigen Reparaturen an der MAGELLAN abschließen konnten. In ihrem derzeitigen Zustand war das Fernraumschiff flugfähig – aber das war schon fast alles. Weite Strecken zu springen, war illusorisch, und es war unklar, inwieweit der Kugelgigant einen ernsthaften Kampf überstehen würde.

Laut ihren Daten war der Basar eine Handelswelt, die größte in Andromeda. Bei diesem Flugaufkommen musste es ein Leichtes sein, mit einer Space-Disk zu landen, das Angebot zu sichten, die nötigen Waren und Rohstoffe für eine baldige Abholung zusammenstellen zu lassen und wieder zu verschwinden, bevor man ihnen zu viele Fragen stellen konnte.

Doch kaum verließ die MAGELLAN die Ankunftszone, wurde sie bereits von einem der Ordnungsgeschwader eingekreist. Kleine, aber sehr kampfstark wirkende Kriegsschiffe eilten heran, zwanzig Stück an der Zahl.

Rhodan fluchte leise. So viel zu seinem Bestreben, nicht aufzufallen.

»Wir werden angefunkt«, informierte Mischa Petuchow vom Ortungspult.

Gabrielle Montoya, die Erste Offizierin, fügte hinzu: »Außerdem haben uns acht ... nein, zwölf Abfangstationen ins Visier genommen. Acht planetare und vier orbitale Forts in Schussreichweite.«

»Die meinen es ernst«, fasste Bull zusammen.

Rhodan seufzte. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ein einziges Mal etwas ganz nach Plan gelaufen wäre. »Dann sollten wir uns anhören, was sie zu sagen haben«, entschied er. »Legen Sie die Verbindung aufs Zentralholo!«

Das Abbild eines rotschuppigen, breitgesichtigen Uniformierten mit einem hornartigen Knochenwulst über dem linken Auge wurde sichtbar. »Willkommen im Oomophsystem«, leierte er mit sichtlichem Desinteresse auf Interandro herunter. Er sah gerade mal weit genug von seinem Pult auf, um die Gäste grob in Augenschein zu nehmen. Sie waren wohl nicht die Ersten, die er an diesem Tag begrüßen durfte. »Die Kennung Ihres Raumschiffs ist bisher nicht verzeichnet. Eine unautorisierte Annäherung ist nicht gestattet. Nennen Sie Herkunft, Anliegen und Zielort, um die Anflugbewilligung zu beantragen.«

»Und ich dachte, bei uns wäre der Papierkram schlimm«, murmelte Bull.

Rhodan pflichtete ihm bei. Jede Welt, die auf Handel ausgelegt war, brauchte zwar ein gewisses Maß an Bürokratie und geregelter Struktur. Kunden mit vorgehaltener Kanone zu empfangen, war seines Erachtens allerdings verkaufsschädigend.

Ein kurzer Blick zum Außenbeobachtungsholo zeigte jedoch, dass die meisten Schiffe unbehelligt blieben. Gut möglich also, dass es tatsächlich nur an ihrer fehlenden Identifikation lag. Die Frage war indes, ob eine korrekte Identifikation ihnen nicht wesentlich mehr Probleme bereitet hätte als gar keine. Denn nachdem die Menschen bereits mehrmals in Feuergefechte mit thetisischen Schiffen geraten waren, war man den Ankömmlingen aus der Milchstraße möglicherweise auch in diesem abgelegenen System nicht allzu freundlich gesinnt.

Rhodan blieb keine Zeit, sich eine ausgefeilte Geschichte zurechtzulegen. Der Knochenwulst an der Stirn des Einreisebeamten schob sich nach oben, was ihm ein fragendes Aussehen verlieh.

»Vielen Dank für Ihre Begrüßung«, sagte Rhodan daher hastig. »Wir sind eigentlich nur auf der Durchreise, aber unser Schiff hat einige Reparaturarbeiten nötig. Oomoph wurde uns als geeigneter Ort empfohlen, die dafür benötigten Rohstoffe zu erwerben.«

Der Uniformierte schmatzte. »Bitte nennen Sie Herkunft, Anliegen und Zielort, um die Anflugbewilligung zu beantragen«, wiederholte er im selben gelangweilten Tonfall wie zuvor.

»Von weit her«, sprang Tuire Sitareh ein. Er sah Rhodan fragend an.

Rhodan bedeutete ihm mit einer knappen Geste, weiterzusprechen. Die Translatoren übersetzten zwar ohne Probleme, doch der Aulore hatte ein untrügliches Gespür für Sprachstrukturen und hörte womöglich etwas in dem Auftreten des Uniformierten heraus, das eine Verständigung vereinfachte.

Also fuhr Sitareh fort: »Von sehr weit. Von außerhalb des Sternenreichs von Andrumidia.« Er benutzte den Interandro-Namen des Staatsgebildes, das ein Zehntel der Andromedagalaxis einnahm. »Anliegen: Ankauf von Ersatzteilen für unser Schiff. Zielort: Unser erster Anlaufpunkt wäre der zentrale Raumhafen des Basars gewesen. Für Vorschläge, wo wir die gesuchten Güter rascher finden können, wären wir dankbar.«

Der Einreisebeamte übertrug Sitarehs Antworten stoisch in eine Tabelle. Hilfsbereitschaft zählte offensichtlich nicht zu seinem Aufgabengebiet. »Welche Waren führen Sie als Zahlungsmittel mit?«

»Wir haben Wertgegenstände an Bord«, antwortete Rhodan. »Seltene Metalle, Mineralien, Kunstobjekte.«

Wieder schmatzte der Uniformierte. Sein Knochenwulst senkte sich. »Schön, schön. Landeerlaubnis erteilt.« Eine Zeichenfolge aus dreizehn Symbolen erschien im Kommunikationsholo. »Hier ist Ihre Identifikationsnummer. Diese ist bei jeder Einreise und Transaktion auch ohne Aufforderung zu übermitteln. Mit Erhalt der Nummer stimmen Sie automatisch den Richtlinien für intergalaktischen Handel zu, wie in Anhang B angeführt. Ein Verstoß wird mit sofortiger Wirkung durch das Militär geahndet.«

Und das war, wie Rhodan bereits von Greenyard wusste, nicht gerade zimperlich. Andererseits konnte gerade das strikte Militärgefüge in Andromeda ihnen wertvolle Dienste erweisen. Der Basar war riesig – viel zu groß, um ihn ohne ungefähre Richtungsangaben nach Teilen abzusuchen, die mit den terranischen Systemen kompatibel waren. Vielleicht konnten sie sich einen Wegweiser beschaffen.

Einem plötzlichen Impuls folgend, sagte Rhodan: »Einen Augenblick noch, bitte.«

Der Uniformierte stieß ein missbilligendes Schnarren aus. »Ja?«

»Wir sind wie gesagt eine ziemlich weite Strecke hierhergereist. Es gibt vieles, über das wir uns austauschen möchten.« Da die Antwort bloß aus einem gelangweilten Gesichtsausdruck bestand, sprach Rhodan hastig weiter. »Wir möchten die Gelegenheit nutzen, um feste Handelsbeziehungen und einen diplomatischen Kontakt herzustellen, der für beide Parteien von Vorteil wäre.«

»Diplomaten also«, wiederholte der Einreisebeamte. Er schmatzte.

Rhodan nickte. Die MAGELLAN war nur ein einzelnes Raumschiff. Es schien einigermaßen unwahrscheinlich, dass ihr Konflikt mit den Thetisern bis zu dieser Handelswelt durchgedrungen war. Somit konnten sie für das örtliche Militär nicht mehr als eine latente Gefahr sein, ohne Flotte und ohne kriegerische Absichten. Gegen wen auch immer die Thetiser rüsteten, die MAGELLAN war eindeutig keine Bedrohung.

Blieb nur zu hoffen, dass ihr Gesprächspartner das ebenfalls so sah. »Ich werde den Antrag auf eine Unterredung an die zuständige Stelle weiterleiten«, verkündete der Einreisebeamte monoton. »Einen Augenblick.«

Das Holo erlosch, nur die Zeichensequenz leuchtete weiterhin in dem sonst leeren Feld.

»Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstehe«, wunderte sich Bull leise. »Wir waren doch darauf bedacht, nicht aufzufallen. Weshalb dann jetzt ein Treffen einfordern?«

»Mit unauffällig war es vorbei, sobald sie uns ins Visier genommen hatten«, erwiderte Rhodan. »Ausgefragt haben sie uns bereits. Wenn sie also Meldungen gegen uns vorliegen haben, könnten wir unsere Identität ohnehin nicht mehr leugnen. Da können wir uns diesen Bürokratie-Schwachsinn auch zunutze machen und ordentliche Verhandlungen verlangen, statt uns mühsam von Lager zu Lager durchzufragen.«

Bull antwortete mit einem Brummen, das Rhodan nur zu gut kannte. Es bedeutete: Ich bin nicht begeistert, sehe vorläufig aber keinen Grund, der dagegenspricht. Damit waren sie schon zwei.

Der Uniformierte ließ sich Zeit. Rhodan zählte fünf zugartige Containerkolonnen, die in der Zwischenzeit im System eintrafen. Er schätzte die Zahl der ankommenden und abfliegenden Frachter auf gut einhundert. Kontrollflotten empfingen mehrere der Neuankömmlinge und ließen wieder von ihnen ab. Die Forts und die vermutlich von dem Einreisebeamten kommandierten Raumjäger dagegen hielten immer noch die MAGELLAN im Visier.

»Was, wenn er sich nicht wieder meldet?«, fragte Deringhouse. »Sollen wir einen Durchbruch wagen?«

»Weit würden wir nicht kommen.« Rhodan warf einen Blick in Richtung des Gelben Riesen, der das Zentralgestirn dieses Systems bildete. Das Licht dieses Sterns war schwächer und gelblicher als das der terranischen Sonne. Leyden hatte ihn einen Cepheiden genannt, einen Veränderlichen. Durchschnittlich betrug der Radius des Sterns etwa das Sechzigfache der irdischen Sonne, doch seine Ausdehnung schwankte periodisch um bis zu 2,5 Millionen Kilometer. Bildete er es sich nur ein, oder flackerte der Riese?

Er fuhr herum, als er hinter sich das laute Schmatzen des Uniformierten im Holo vernahm.

»Ihre Audienz wurde bewilligt. Ihnen wird ein Landeplatz in der Nähe des Verwaltungszentrums zugewiesen. Eine Delegation von maximal zwei Personen erhält die Erlaubnis, sich zu einem Termin mit dem Oomophschen Infrastrukturkommissar einzufinden. Hier ist Ihre Wartenummer. Guten Tag.«

Damit unterbrach er die Verbindung, ehe er Gefahr lief, ein weiteres Mal zurückgehalten zu werden. Nicht, dass Rhodan das vorgehabt hätte: Er hatte bekommen, was er wollte.

»Die Abfangstationen desaktivieren ihre Laser«, meldete Montoya. »Wir haben freie Bahn.«

Das Ordnungsgeschwader zerstreute sich, um den nächsten Gast einzukreisen.

Rhodan atmete durch. Sie waren angekommen und noch am Leben. Das war ein guter Start. »Dann sollten wir zusehen, dass wir unseren Termin nicht verpassen.« Er linste auf die Wartenummer und den Stellplatz, den man ihnen zugewiesen hatte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass der Infrastrukturkommissar nicht auf sie warten würde, wenn sie sich verspäteten.

2.

Andromeda-Basar, Handelsbereich I

7. März 2055

 

Zwei Car'sh, rechts vor uns.

Leibnitz machte einen unauffälligen Schlenker nach links, schlenderte hinter einem zwei Meter hohen Panzerglasbecken vorbei, in dem ein Shreksaler saß und Weichkrabben pulte. Drei seiner Stielaugen hielt der Chloratmer auf seine Arbeit gerichtet, das vierte verfolgte Leibnitz, bis dieser den nächsten Stand erreichte.

Leibnitz duckte sich unter einem Metallplastsegel hindurch und spähte an einem vage ameisenköpfigen Verkäufer vorbei, der seine Ware mit lautem Mandibelgeklapper anpries. Da! Leibnitz entdeckte die beiden Wachen zwei Reihen weiter, ihre hellblaue Uniform war unübersehbar. Wenigstens ein Gutes – die Handelspolizei legte großen Wert darauf, ihre Präsenz überdeutlich zu machen. Das machte es leichter, ihnen auszuweichen.

Diese speziellen Wachposten waren im Moment allerdings abgelenkt. Sie verhörten ein etwa halbmeterhohes Echsenwesen, das ein reges Geschäft mit Schrottteilen unterhielt. Und sosehr der kleine Kerl auch gestikulierte: Der Körpersprache der Car'sh nach zu urteilen, würden sie ihn für irgendein Vergehen drankriegen.

Leibnitz entspannte sich. Solange die beiden mit ihrem Verhör beschäftigt waren, würden sie ihn nicht entdecken.

Wo zwei sind, sind auch mehr.

Er warf Monade einen kurzen Blick zu. Der eiförmige Roboter schwebte wie stets an seiner Seite, folgte ihm in einem halben Meter Abstand auf Schritt und Tritt.

Zwei wären auch ein bisschen wenig, gab er lautlos zurück. Wo bliebe da die Herausforderung?

Monade schwieg. Was Risiken anging, hatten sie beide unterschiedliche Auffassungen von deren Reiz.

Hast ja recht, räumte Leibnitz dann doch ein. Es war schwierig genug, dem dichten Netz der Handelspolizei zu entgehen. Seine Devise lautete: Je mehr Dreck du am Stecken hast, desto weniger darfst du es dir anmerken lassen.

Entsprechend verlangsamte er seine Schritte noch weiter, nahm sich sogar die Zeit, ein paar gammelige Belchurrüben zu inspizieren und etwas, das er für eine Skulptur aus Schleim hielt – eine potthässliche noch dazu.

Er blieb nicht stehen, um zu feilschen. Eine Aufzeichnung seiner Stimme wollte er den Car'sh ebenso wenig liefern wie einen Blick auf sein Gesicht. Dank Monade musste er sich wenigstens um die Überwachungssensoren keine Gedanken machen, die den gesamten Basar lückenlos abdeckten. Der Roboter schirmte sie vor den Suchern der fahndenden Einheiten ab. Dafür, dass er den Patrouillen nicht in die Arme lief, musste Leibnitz hingegen selbst sorgen.

Immer blieb er in Bewegung. Er war einer von Tausenden Besuchern des Basars. Interessiert, nicht sonderlich in Eile, wie auf der Suche nach einem Schnäppchen.

Nur dass er sein Schnäppchen bereits gemacht hatte.

»Hallo, mein Hübscher.« Eine grazile Gestalt aus weißem Gespinst wirbelte ihm in den Weg. Ihre dunklen Augen nahmen fast das halbe ellipsenförmige Gesicht ein und blinzelten bedächtig. »Du siehst aus, als wüsstest du ein gutes Geschäft zu schätzen.«

Die Car'sh haben ihr Verhör beendet, warnte Monade.

Was bedeutete, es war höchste Zeit, ein wenig Tempo zu gewinnen.

Leibnitz versuchte, die Qualle abzuschütteln. »Danke, kein Interesse.«

»Das weißt du erst, wenn du es probiert hast«, beharrte das Gespinst.

»Ich bin pleite«, konterte Leibnitz, in der Hoffnung, damit an Reiz zu verlieren. »Absolut blank.«

»Du hast etwas zu tauschen.« Das Wesen streckte ein Fädengewirr in Monades Richtung aus, strich mit seinen weißen Fingern über die glänzend schwarze Oberfläche des Roboters.

Leibnitz ließ seine Hand vorschnellen, packte das Fädengeflecht und riss es von Monade weg. Er fühlte ein leichtes Kribbeln in seiner Handfläche, das hektische Pulsieren des Gespinsts, das sich aus seinem Griff befreien wollte. Er ließ los.

»Wenn ich etwas tauschen wollte, hätte ich das gesagt. Versuchen Sie Ihr Glück bei jemand anderem.«

Das Gespinstwesen stieß einen empörten Laut aus. Türkise Flecken huschten über seine Haut. Es wirbelte herum und verschwand in der Menge.

Leibnitz schüttelte den Kopf. Manche Leute hatten vielleicht Nerven ... Was auch immer dieses Ding anzubieten hatte, war garantiert weit weniger legal als das Zeug, das der Schrotthändler verschachert hatte. Derart aggressiv vorzugehen, noch dazu in direkter Nähe zur Handelspolizei ...

Doch als Leibnitz sich umwandte, war von den blauen Uniformen nichts mehr zu sehen. Nervös sah er sich um. Er bevorzugte Gefahren, die er lokalisieren konnte.

Wo sind sie hin?, fragte er.

Monade gab keine Antwort.

Das gefiel ihm nicht. Er hatte den Weg durch das Lowtech-Viertel gewählt, weil das Wirrwarr der kleinen Marktstände eine bessere Deckung bot als die Verkaufshallen der offiziellen Stellen. Was sich niemand leisten konnte, wollte auch niemand kaufen, und wo sich niemand aufhielt, war ein einzelner Kunde umso auffälliger. Dass das Aufgebot an Car'sh in den freien Handelssektoren größer war, beunruhigte ihn nicht. Dass er sie nicht mehr orten konnte, allerdings schon.

Er warf einen Blick auf die Holoscheibe an seinem Handgelenk. Die Positronik blendete automatisch eine Karte der näheren Umgebung ein. Die Linien waren zweidimensional und durchscheinend, aber es genügte, um zu sehen, dass ihn nach wie vor mehrere Kilometer von seinem Ziel trennten. Er musste sich beeilen.

Leibnitz schritt kräftiger aus. Wie bisher ließ er seinen Blick über die ausgestellten Waren schweifen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Er wich großräumig jenen Ständen aus, wo gebrauchte, angeblich funktionierende Ersatzteile verhökert wurden und an denen das Gedränge am heftigsten war. Nur an den Imbissbuden war der Andrang größer, die Kunden prügelten sich fast um die zahlreichen Angebote diversester Kulinarik.

Jeder, der einen Haufen Steine irgendwo in Andromeda seine Herkunft nennen konnte, bot auf dem Basar die Spezialitäten seiner Heimat an. Leibnitz sah gegrillte Kabslaus, eingelegte Birmusaugen, gesüßte Talgtaschen und unzählige Delikatessen mehr. An einigen davon hatte er bereits Geschmack gefunden, andere würden ihm ewig ein Gräuel bleiben. Besonders weil sich die verschiedenen Gerüche immer mehr zu einem übelkeiterregenden Mief vermengten, je schneller er vorankam. Leibnitz presste eine Hand auf die Nase und eilte weiter.

Sie sind zurück.

Wo? Leibnitz versuchte, die hellblaue Farbe aus dem Augenwinkel zu erkennen.

Direkt hinter uns.

Er biss die Zähne zusammen. Nun keine unbedachte Bewegung. Bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Langsam weitergehen, als ob nichts wäre.

Er erwiderte den Gruß eines glatzköpfigen Händlers mit einem knappen Nicken, tat, als interessiere er sich für einen ausrangierten Schwebesessel und nutzte die Gelegenheit, um in die nächste Quergasse einzubiegen.

Zeit, etwas Abstand zu gewinnen. Die Car'sh kannten höchstens eine vage Beschreibung von ihm. Zu wenig, um ihn inmitten dieses Gewimmels aufzuspüren. Es war eine gewöhnliche Patrouille, kein Grund, nervös zu werden. Sie ...

Er fluchte. Die beiden Car'sh hatten den Stand ebenfalls umrundet. Sie kamen direkt auf ihn zu. Rasch wandte Leibnitz sich ab. Ein Zufall, nichts weiter. Er schob sich zwischen den Kaufinteressierten hindurch, wählte willkürlich eine Seitengasse und eilte hinein, nur um dort zwei weiteren Polizisten gegenüberzustehen.

Unmöglich!

Aber es bestand kein Zweifel. Ihr Auftauchen war kein Zufall. Der Kleinere hatte eine Hand an die Waffe gelegt, der andere stierte Leibnitz aus roten Glupschaugen an. Jemand hatte ihnen einen Tipp gegeben!

Sobald sie erkannten, dass er seine Verfolger bemerkt hatte, gaben sie jede Diskretion auf. Der Erste zog seine Waffe. Sein glupschäugiger Kollege senkte den Kopf und stürmte mit nach vorne gekrümmten Schultern voran, pflügte rücksichtslos durch die Menge auf Leibnitz zu.

Weg hier!

Leibnitz packte ein Regal mit Komwürfeln und kippte es um, sodass es den Weg hinter ihm verbarrikadierte. Glas und Plastik zersplitterten auf dem Granitboden, Funken sprühten. Er setzte über den Tisch des Händlers hinweg, Monade folgte darunter durch.

»Heh! Spinnst du?« Der Verkäufer überwand seine Überraschung schnell. Er griff nach Leibnitz.

Doch der war schneller. Er duckte sich unter dem Griff des Manns weg, warf sich auf den Boden und schlitterte zwischen den Beinen der Passanten hindurch.

»Den Schaden ersetzt du mir!«, schimpfte der Händler. »Hast du gehört, du Mistkerl? Ich werde dich den Car'sh melden!«

Da kommst du zu spät, dachte Leibnitz.

Verbissen kroch er weiter, krabbelte auf allen vieren durch die Menge. Monade schwebte voraus, boxte ihm den Weg frei. Ein kräftiger Huf trat auf seine Hand und klemmte sie auf dem Boden fest. Leibnitz biss die Zähne zusammen, gegen den Schmerz und die Panik. Er kam nicht schnell genug weg!

Der Huf wurde angehoben. Hastig zog er die Hand ein. Er kam auf die Beine und eilte gebückt hinter Monade her, als hinter ihm ein Aufschrei ertönte. Die behufte Dame – eine Selviterin, wenn ihn nicht alles täuschte – versteifte und kippte um.

Sie schießen auf Passanten! Damit hatte er nicht gerechnet. Den Car'sh musste mehr an seiner Haut liegen, als er gedacht hatte. So ein Dreck!

Wenn die Polizei keine Skrupel zeigte, durfte er ebenfalls nicht zimperlich sein. Er hieb der Person rechts von sich die Faust in die Kniekehle, sprang auf. Den unförmigen Klops vor sich rammte er mit der Schulter, um sich an ihm vorbeizudrücken.

Die Menge geriet in Aufruhr. Leibnitz hörte mehrmals das Zischen von Paralysestrahlern, die panischen Schreie von Käufern und Händlern. Ein Ellbogen traf ihn in die Rippen, ein Stoß in den Rücken ließ ihn einige Schritte nach vorn taumeln.

Leibnitz nutzte den Schwung, stützte sich auf Monade ab und setzte über den nächsten Stand hinweg. Noch während er landete und weiterrannte, aktivierte er den Schutzschirm seines Anzugs. Der enge Prallschirm um das Energiefeld schob die drängelnde Menge ein Stück weit von ihm ab und machte ihn dadurch zu einem leichteren Ziel. Aber immerhin würde der Paralysestrahl ihn nicht mehr unvorbereitet treffen.

Monade folgte seinem Beispiel. Der kleine Roboter machte einen Satz und hob vom Boden ab. Sofort eröffneten die Car'sh das Feuer auf das schwarze, fliegende Ei.

Monade! Komm runter!

Aber Monade dachte nicht daran. Sie stieg immer höher, bis sie im Dauerfeuer der Handelspolizei etwa einen Meter über den Köpfen der Menge schwebte. Leibnitz wusste, dass der Schirm des Roboters um einiges stärker war als sein eigener. Das nahm ihm jedoch nicht das flaue Gefühl im Magen. Monade als Ablenkungsmanöver zu missbrauchen, war definitiv kein Plan nach seinem Geschmack.

Umso dämlicher wäre es, die Gelegenheit nicht zu nutzen. Leibnitz hetzte voran, stieß Passanten rücksichtslos beiseite, warf seinen Verfolgern alles in den Weg, was er greifen konnte. Es gelang ihm, ein wenig Vorsprung zu gewinnen, aber der fliegende Roboter wirkte wie eine Signalboje. Zwei neue Polizisten tauchten vor Leibnitz auf. Auch wenn die Car'sh ihn nicht sahen – durch Monade wussten sie immer, wo in etwa er sich befand.

Er musste untertauchen! Oder aber ...

Leibnitz hob den Kopf. Über ihm schwebte Monades schwarze Eihülle. Und darüber, nicht mal hundert Meter entfernt, schossen Gleiter und kleine Disken über den Basar. Der Verkehr wurde rasch dichter, je höher die Flugschneisen lagen. Dort konnten sie ihre Verfolger vielleicht abhängen. Auf dem Weg dahin wären sie dem Feuer der Car'sh jedoch schutzlos ausgeliefert.

Es war ein vollkommen idiotischer Plan. Also musste er klappen.

Der Frachtgleiter, kündigte er an. Mehr Information brauchte Monade nicht. Sie richtete sich auf. Leibnitz aktivierte seinen Antigrav und sprang. Der Schwung reichte, um ihn auf Höhe des Roboters zu bringen. Er streckte die Hand aus, desaktivierte seine Energieschirme und aktivierte gleichzeitig die magnetische Beschichtung an den Griffflächen der Handschuhe.

Ein leises Klonk! ertönte, als er sich mit gespreizten Fingern an Monade heftete. Der Schutzschirm des Roboters schloss sich um ihn, während das Dauerfeuer der Handelspolizei aus vier Richtungen auf sie einprasselte. Bei dieser Intensität würde es selbst Monades Schirm bald an die Grenze der Belastbarkeit treiben.

Doch der Roboter verlor keine Sekunde. Monade beschleunigte und raste auf den Gleiter zu. Für diese Geschwindigkeit musste sie sämtliche Energie in den Antrieb und die Aufrechterhaltung des Schutzschirms legen. Leibnitz konnte nichts tun, als seine Muskeln anzuspannen, damit ihm durch die Wucht des Flugschubs nicht sein eigenes Körpergewicht die Arme ausrenkte.

Der Beschuss verebbte. Unter ihnen schrumpfte der Basar zu einer einheitlichen, graubraunen Masse, aus der die Car'sh als winzige, blaue Punkte herausstachen. Leibnitz zählte insgesamt sechs Patrouillen, die sich in unmittelbarer Umgebung seines Standorts aufgehalten hatten. Zehn weitere im Rest dieses Viertels. So viele traf man sonst nur näher am Zentrum des Handelsbereichs an, rund um das Verwaltungszentrum.

Als hätten sie gewusst, dass wir hier sind.

Sie hatten den Gleiter fast erreicht. Monade drehte sich in die Waagerechte, um an der Unterseite des Frachtfahrzeugs anzudocken, als dieses unvermutet abdrehte. Monades Anflugmanöver lief ins Leere.

Die Car'sh mussten die Besatzung gewarnt haben. Aber so einfach gab Leibnitz nicht auf.

Umflieg sie! Wir setzen uns auf das Dach.

Damit ließ sich der Pilot allerdings nicht austricksen. Kaum hatten sie die Höhe des Gleiters erreicht, glitt eine Seitenscheibe auf, und ein wütender Kopilot bewarf sie mit Schimpfworten und allerlei Abfall.

Monade schraubte sich weiter nach oben, flog über das Dach des Gleiters hinweg und schoss von dort aus auf das nächsthöher fliegende Gefährt zu, einen kleinen, roten Zweipersonengleiter, der absolut keine Deckung bot. Doch ehe Leibnitz Einwand erheben konnte, drehte Monade knapp hinter dem Gleiter ab, ließ sich zurückfallen und nahm Kurs auf einen massiven, kugelförmigen Containertransporter.

Leibnitz machte sich auf eine weitere abrupte Wendung gefasst. Seine Schultern schmerzten bereits, die Muskeln in seinen Armen zuckten unkontrolliert. Aber was tat man nicht alles, um seine Haut zu retten? Er hatte nicht die geringste Lust, auf einem Strafplaneten zu landen.

Wie es schien, hatte Monade jedoch eigene Pläne. Sie steuerte die hintere untere Ladeklappe an und heftete sich dort an die Außenhülle.

Ja, sehr unauffällig, kommentierte Leibnitz.

Ducken!, gab Monade zurück.

Ein Thermostrahl fraß sich direkt neben ihnen in die Hülle des Containers. Leibnitz fuhr herum. Ein Polizeigleiter hatte sie eingeholt. Dem Verfolger war es offensichtlich egal, ob er sie im Ganzen zu fassen bekam, geschweige denn lebendig.

Weg hier!, forderte Leibnitz.

Monade ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Leibnitz spürte, dass sie hochaktiv war, konnte aber nicht sagen, was den Roboter beschäftigte.

Ein zweiter Gleiter holte auf. Die Car'sh nahmen sie ins Visier. Monades Schutzschirm gleißte unter dem Beschuss hell auf.

Leibnitz folgte Monades Ratschlag und kauerte sich an ihrer Seite zusammen. Was auch immer sie da trieb, er hoffte, dass sie sich beeilte.