IMPRESSUM


ISBN: 978-3-96217-031-8 

Evgeni Orkin

METHODISCHE EINFÜHRUNG

in das Erlernen und die Anwendung der historischen Klarinette in historisch informierter Aufführungspraxis.


2. Ausgabe

Mannheim 2020

© 2020 Evgeni Orkin

Sämtliche Rechte an Idee, Konzept und Ausführung einschließlich der abgedruckten Musikstücke (Kompositionen) liegen beim Autor.

Verlag: Orkin Manuskript Laboratory, Mannheim

Kopieren oder Nachdruck durch Dritte ist ausdrücklich untersagt.


Kontakt:

 orka77@gmx.de

www.evgeniorkin.de

Abbildungsnachweis:

Alle Abbildungen sind vom Autor oder privat (freigegeben) / © 2020 Evgeni Orkin




   


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Vorwort

Dieses praxisorientierte Buch richtet sich an Musikerinnen und Musiker, welche sich für das historische Klarinettenspiel interessieren, bisher aber andere berufliche Schwerpunkte gesetzt haben oder setzen mussten.

Es enthält - ohne wissenschaftlichen Anspruch - einen Überblick über geschichtliche Entwicklungen des Instruments sowie Überlegungen zur Wahl des Instruments im Kontext historisch informierter Aufführungspraxis.

Grifftabellen zu den einzelnen Kategorien historischer Klarinetteninstrumente sind wie heute üblich grafisch dargestellt.

Fingerübungen und Etüden sind speziell entwickelt und auf die grifftechnischen Probleme der historischen Instrumente ausgerichtet.

Informationen und Tipps aus der Praxis sollen Interessierten eine Handreichung sein und bei der Beantwortung von Fragen helfen.

Ein Repertoireauszug und Hinweise auf weiterführende Fachliteratur sollen anregen, bereits erworbenes Wissen zu vertiefen.


Einleitung

Das zunehmende Interesse an historisch informierter Aufführungspraxis der letzten Jahre sorgt dafür, dass immer mehr Musiker, seien es Studierende oder etablierte Berufskollegen, ihr Wissen und Können auch in dieser Richtung ausweiten möchten. Neue Studienangebote an den Musikhochschulen entstehen, Seminare und Meisterkurse freuen sich über wachsende Anmeldezahlen. Wissenschaftliche Literatur bringt interessante Erkenntnisse ans Tageslicht. Wiederentdeckt werden lange vergessene Komponisten, deren Werke es verdienen, wiederaufgeführt und ins Konzertrepertoire aufgenommen zu werden. Selbst die Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ermöglicht in historischer Orientierung die Beschäftigung mit neuen Aspekten.
Die Klarinette, ein Spätankömmling im klassischen Orchester, ist auch im Bereich der historisch informierten Aufführungspraxis zu einer festen Größe geworden. In der Zeit von ca. 1700 bis in die heutigen Tage erlebte sie eine rasante und turbulente Entwicklung, sowohl auf instrumentenbaulicher als auch auf spieltechnischer Ebene. Diese Entwicklung war nicht selten inspirierend für Komponisten und ließ einige der interessantesten musikalischen Meisterwerke und Kostbarkeiten entstehen.
Trotz der im Vergleich zur modernen Klarinette höheren Komplexität der Griffabläufe bei Gabelgriffen und der unterschiedlichen akustischen Eigenschaften, lässt sich die historische Klarinette mitsamt ihren Familienmitgliedern für erfahrene Musikerinnen und Musiker relativ leicht erlernen. Nicht ganz einfach ist es jedoch, einen guten Überblick über die Entstehung der verschiedenen Systeme sowie über die Instrumentenarten und ihrer jeweiligen Verwendungsmöglichkeiten innerhalb der historisch informierten Aufführungspraxis zu erhalten. Das vorliegende Buch versucht, dieses Vorhaben zu unterstützen und dazu beizutragen, Klarinettistinnen und Klarinettisten jeden Ausbildungsniveaus ein erstes Bild der historischen Klarinette in Theorie und Praxis zu vermitteln. Es soll Neugier geweckt und ermutigt werden, sich mit den Klarinetteninstrumenten und deren interessanter Geschichte näher zu befassen. 




Historische Kategorien der Klarinetteninstrumente



Chalumeau

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Zwar gilt das Chalumeau als Vorgänger der Klarinette, es ist aber nicht wesentlich älter als diese und wurde erst zum Ende des 17. Jahrhunderts nachgewiesen.

Vermutlich entstand es aus der ebenfalls seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in England verbreiteten und beliebten „Mock trumpet“ - einem blockflötenähnlichen Instrument, bei dem die klangerzeugende Zunge durch einen Abwärtsschnitt aus dem Rohr geschnitten, vom Instrument aber nicht abgetrennt wurde (idioglot). Die „Mock trumpet“ (im Wortsinn falsche, nachgeahmte Trompete) besaß nur Grifflöcher und noch keine Klappen. Diese wurden jedoch beim Chalumeau hinzugefügt: zuerst die a'- und die b'-Klappe für Zeigefinger und Daumen der obenliegenden Hand. Später kamen weitere Klappen hinzu, die es ermöglichten, den Tonumfang von einer großen None bis zur Undezime zu erweitern. Auch war das Rohrblatt nicht mehr wie bei der „Mock trumpet“ Teil des Korpus, sondern wurde separat aus einem anderen Material, meistens aus Pfahlrohr (arundo donax), hergestellt (heteroglot). Man befestigte es am Mundstück mit einer Schnur, wobei das Blatt zur Oberseite gerichtet war, also mit der Oberlippe gehalten wurde.

Da die b'-Klappe mit ihrer damaligen Tonlochposition nur bedingt zum Überblasen geeignet war, litt das obere Register unter Klangschwächen und Intonationsproblemen sowie allgemein schlechter Ansprache. Die Halbtöne spielte man mit Gabelgriffen wie bei einer Blockflöte. Zum Chalumeau als Stimmwerk gehörten Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Chalumeau sowie der Bassoon de Chalumeau, in den von der Blockflöte bekannten C- und F-Stimmungen.

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Barockklarinette mit zunächst zwei, später drei Klappen

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Um 1700 gelang es dem Nürnberger Instrumentenbauer Johann Christoph Denner (1655-1707), ein neuartiges Instrument zu entwickeln. Denner versetzte das Tonloch der Chalumeau- Daumenklappe für b' um etwa einen Zentimeter in Richtung Mundstück. Dies ermöglichte, im zweiten Register sauber und stabil zu spielen. Eine in das Tonloch eingesetzte Metallhülse sorgte für eine relativ saubere Intonation des b'. Somit wurde der Tonumfang um etwa eine Oktave nach oben erweitert.

Ob die „Klarinette“ von Denner als Weiterentwicklung des Chalumeau oder als ein völlig neues Instrument konzipiert war, ist allerdings unklar. Vor allem irritiert, dass Denner sich auch nach seiner Erfindung weiterhin mit Verbesserungen am Chalumeau beschäftigte. Dennoch brachte er seine Erfahrungen experimentierfreudig in den Bau des neuartigen Instruments ein, welches sich wesentlich vom Chalumeau unterschied.

Die konische Ausweitung des Trichters, wie bei einer Oboe, verlieh den tiefen Tönen um g und f, aber auch dem c'' mehr Volumen und Stabilität. Vor allem die hohe Lage, fortan „Clarino-Register“ genannt, überzeugte durch Klarheit und Durchsetzungskraft und gleichzeitig, obwohl klanglich sehr trompetenartig, durch eine große Flexibilität. Problematisch blieb aber die mangelhafte Ausgewogenheit in der Intonation zwischen dem hohen und dem tiefen (Chalumeau-) Register. Dies führte dazu, dass noch bis etwa in die Mitte des 18. Jahrhunderts im Orchester die hohen Lagen mit Klarinettisten und die tiefen weiterhin mit Chalumeau-Spielern besetzt wurden. Ähnlich wie beim Chalumeau war es auf der Klarinette noch nicht möglich, ein definiertes h' zu spielen. Dies wurde ca. 1730 mit der Einbau einer dritten Klappe gelöst. Dazu wurde das Instrument unterhalb des bisher tiefsten Tones f verlängert. Der so gewonnene Ton e konnte nun zum h' überblasen werden. Zu Anfang waren das neue Tonloch und seine Klappe zur Unterseite des Instruments angebracht, und man bediente die Klappe mit dem Daumen. Da die Klarinette damals für den Ton f noch zwei symmetrische Löcher auf beiden Seiten hatte, war sie sowohl für Linkshänder als auch für Rechtshänder bequem zu nutzen. Das nicht benötigte Loch schloss man mit Wachs oder mit einem kleinen Holzstöpsel. In der Folge wanderte die h'-Klappe nach links in greifbare Nähe des kleinen Fingers der linken Hand.

Die Barockklarinette der Zeit bestand aus drei Teilen:

Mundstück und das heutige Fässchen (Birne) waren noch in einem Stück gebaut.

Das Mittelstück besaß zwei Klappen und hatte sieben Tonlöcher, für Halbtöne teils noch als Doppellöcher wie beim Chalumeau ausgeführt. 

Der untere Abschnitt mit dem f-Loch und später der e/h'-Klappe bildete zusammen mit dem Becher ebenfalls ein Teil.

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Das auf das Mundstück aufgebundene Rohrblatt wurde weiterhin zur Oberseite des Instruments ausgerichtet.



Klassische Klarinette mit fünf oder sechs Klappen


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In der Zeit um 1760 entstand die sogenannte klassische Klarinette.

Allerdings sollte es noch etwa drei Jahrzehnte dauern, bis sich ihre Form ausentwickelt hatte. Zwar verdrängte dieser neuartige und praktischere Klarinettentyp die Barockklarinette, letztere wurde aber noch vereinzelt bis ins frühe 19. Jahrhundert hergestellt und hauptsächlich in der Militärmusik verwendet.

Klarinetten mit vier Klappen (entweder mit fis/cis''-Klappe oder mit as/es''-Klappe), bei denen zudem das Mittelstück in zwei Teile getrennt wurde, gelten als Übergangsinstrumente und wurden nur kurze Zeit angefertigt. Ihre endgültige Ausformung fand die klassische Klarinette mit fünf Klappen und einem Korpus in sechs Teilen:

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Mundstück (meist aus Ebenholz);

Fässchen (Birne);

Oberstück mit vier Grifflöchern (c' selten als Doppelloch ausgeführt) und zwei Klappen für a' und b' (diese auch Überblasklappe genannt);

Herzstück/Mittelstück mit drei Grifflöchern;

Fußstück mit dem Griffloch für f und drei Klappen für e/h', fis/cis'' und as/es'';

Schallstück.

Die englischen Instrumentenbauer ergänzten die Klarinette seit dem späten 18. Jahrhundert mit einem a'-h'-Triller als sechster Klappe, während auf dem Kontinent in der Regel die cis'/gis“- Klappe für den linken Kleinfinger als sechste Klappe angebaut wurde.

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Ab 1752 fand die Klarinette Aufnahme in den Holzbläsersatz des Sinfonieorchesters in Köln. Etwas später, um 1758, fand sie Eingang in das Mannheimer Orchester und wurde so fester Bestandteil auch dieses Klangkörpers. Etliche andere folgten diesem Beispiel. Für den Gebrauch im Orchester der Zeit wurden standardmäßig Klarinetten in C, in B und in A eingesetzt. Mit diesen Typen waren alle Tonarten abgedeckt, und die Klarinettisten wechselten zwischen den Instrumenten, um je nach geforderter Tonart unsaubere und unbequeme Tonfolgen zu vermeiden. Der geringe Größenunterschied zwischen B- und A-Klarinetten ermöglichte es, Mundstück, Fässchen, Fußstück und Schallstück eines Instruments weiterzuverwenden und nur Ober- und Herzstück für andere Tonarten auszutauschen (corps de rechange) – in der Funktion ähnlich den Wechselbögen der damaligen ventillosen Naturhörner.           

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