Jens Holger Fidelak

Die Rankes und das Dritte Reich

Roman

Meiner Mutter

Januar 1945. Ostfront. Kurz hinter dem Baranow Brückenkopf an der Weichsel

Der Soldat drängte sich mit seinem verwundeten Kameraden durch die Traube der Wartenden in Richtung der alten Junker. Die Propeller liefen, der Gefechtslärm war nur wenige Kilometer entfernt. Panik war ihm ins Gesicht geschrieben. Über dem rechten Auge glänzte eine halbmondförmige Narbe. Es war ein verzweifeltes Kämpfen um jeden Zentimeter. Die verwundeten Soldaten und ihre wenigen Helfer schienen zu spüren, dass dieses Flugzeug vielleicht ihre letzte Chance war, hier lebend rauszukommen. Am Flugzeugeinstieg standen drei bewaffnete Posten und wehrten teilweise mit den Kolben die Herandrängenden ab. Neben ihnen stand ein Arzt und entschied über die Passagiere. Bei den meisten Fällen schüttelte er den Kopf und erntete ein langgezogenes, unmenschliches Jaulen der zum sicheren Tode verurteilten Kreatur.

Vor den beiden Männern kam es zum Tumult. Fäuste flogen. Schreie! Geschickt nutzte der Soldat die entstandene kleine Lücke und quetschte sich und seinen verletzten Kameraden näher ans Flugzeug. Ein Ellenbogen krachte gegen seine Nase. Unbeirrt arbeitete er sich wie ein Besessener weiter Zentimeter für Zentimeter nach vorn.

Endlich war der Soldat mit der Narbe und seinem verwundeten Kameraden vor dem Arzt angelangt. Von hinten drängten die anderen zerlumpten und nur notdürftig verbundenen Landser unerbittlich. Die Propeller heulten auf. Durch die Massen ging ein Ruck des Entsetzens. Das Drängeln, Drücken und rücksichtslose Um-sich-schlagen erreichte den Höhepunkt.

„Wir müssen sofort los, Herr Major! Wir können nicht länger warten!“, brüllte der Pilot aus dem Inneren der Maschine. Die Menge schrie auf und geriet außer Kontrolle. Die drei Posten verteidigten den Eingang jetzt mit aller Brutalität. Einer der Posten lud durch und schoss in die Luft. Die Meute konnte das nicht mehr abhalten. Der Major kletterte mit Mühe in die Maschine. Sein linker Stiefel wurde ihm von einem Landser abgerissen. Der Major trat nach hinten aus wie ein ungezähmtes Pferd beim Hufschmied. Der Stiefeldieb ging, im Gesicht getroffen, zu Boden und wurde von den Nachdrückenden untergepflügt. Der Soldat mit der Narbe mobilisierte die letzten Kräfte und warf seinen Kameraden mit dem Oberkörper in den Flugzeugbauch, der sich langsam in Bewegung setzenden Junker. Der halb aus der Flugzeugtür Heraushängende schrie viehisch vor Schmerzen. Aus dem Innern der Maschine versuchte jemand den Verletzten wieder aus der Maschine zu stoßen. Die nachrückenden Soldaten verhinderten das. Wie die Kolben einer Maschine schossen die Stiefel der Insassen wieder und wieder aus der Tür in Richtung der von draußen verzweifelt klammernden Landser.

„Nein! Nein! Bitte nicht! Lungensteckschuss, Herr Major. Nein!“ Der Soldat konnte das Tempo der rollenden Maschine nicht mehr halten. Die Tür der Junker schloss.