Alfred Schirokauer

 

Das Lied der Parzen

 

Alfred-Schirokauer-Reihe Nr. 5

 

Impressum

 

Covergestaltung: andersseitig

 

Bearbeitung: andersseitig

 

ISBN: 9783961189861

 

2019 andersseitig.de

 

andersseitig Verlag

Helgolandstraße 2

01097 Dresden


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I.

Der Regierungspräsident von Ingenheim wanderte ungeduldig zwischen der kleinen sonnenhellen Frühstücksstube und dem dunkeln schwerschattigen Speisezimmer auf und nieder. Wie lange sie heute auf sich warten ließ! Gerade heute, da er so dringend auf dem Präsidium zu tun hatte. Er griff mit der Linken in den schwarzen Bart, den er lang wallend herabwachsen ließ, und zerrte vor Ungeduld an den spröden Strähnen. Wo sie nur blieb! Natürlich hatte sie die halbe Nacht mit dieser – dieser Freundin verplaudert, die da gestern abend plötzlich hereingeschneit war.

Er ging wieder zur Tür und hob die Hand halb zur Klinke. Dann ließ er sie aber wieder sinken und wanderte in die Helle zurück. Es war ihm peinlich, an ihre Schlafzimmertür zu klopfen. Und ohne weiteres eintreten konnte er auch nicht. Am Ende war die Fremde bei ihr.

Endlich, als er gerade den Diener mit der Weisung zu ihr schicken wollte, sie möchte sich ein wenig beeilen, er warte auf sie, trat sie mit ihrem hastigen Schritte ein.

»Du bist noch hier!« sagte sie erstaunt und bot ihm die Wange zum Kuß. Er drehte ihr Gesicht sanft zur Seite und küßte sie auf den Mund.

»Nicht so kargen,« lächelte er. »Ich habe auf dich gewartet, Manja. Ich muß mit dir sprechen.«

Sie blickte ihn mit ihren großen grauen Augen erwartungsvoll, fast erschreckt an.

»Es ist,« begann er und blickte zur Seite, die ganze Sache war ihm sehr unangenehm, »wegen deiner – wegen Frau Herforth.«

Sie schwieg.

»Weshalb ist sie von ihrem Manne fortgelaufen?« fragte er jäh.

Manja blickte zu Boden. »Soviel ich bis jetzt verstanden habe, war da einer, den sie lieb hatte.«

»Hm,« machte der Baron. »Es ist nicht unsere Sache zu richten. Die Menschen denken über Ehe und Ehebruch verschieden. Ich möchte aber nicht – Manja, es tut mir leid – ich weiß, wie du an dieser Freundin immer gehangen hast.«

Manja sah traurig vor sich nieder.

»Ja,« wiederholte der Präsident, »es tut mir sehr leid. Aber sie kann wirklich nicht bei uns bleiben.«

»Nein,« nickte die Baronin vor sich hin.

»Ich mag in solche schmutzige Sache nicht verwickelt werden. Also sorg' dafür, Manja, daß sie noch heute geht.« Und da er empfand, daß er etwas sehr Schweres von ihr forderte, fügte er hinzu: »Du weißt, wie abstoßend mir solche Untreue ist. Es wäre mir sehr peinlich, Liebe, der Frau hier noch zu begegnen. Alles andere wird dein Zartgefühl schon finden.«

Damit warf er einen Blick auf die hohe schwarze Standuhr, rief: »Herrje, gleich acht«, und war draußen.

Manja stand einige Augenblicke steif inmitten des großen dunkeln Zimmers. Ihr zartes bleiches Gesicht war kalkig grau. Dann sammelte sie mit einer schier hörbaren Energie ihre Glieder, biß die Lippen entschlossen aufeinander und ging in das Frühstückszimmer. Die Helle blendete sie heute. Sie zog die elfenbeinfarbenen Vorhänge vor das breite vielfeldige Fenster, setzte sich an den Tisch und grübelte schwer. Ihre Hand zerkrümelte das Brötchen, das sie unbewußt aus dem Silberkorbe entnommen hatte.

Da ging die Tür des Speisezimmers, Röcke strichen sacht fegend über den Teppich, Beatrice Herforth trat durch die weiße Scheibentür.

Manja fuhr aus ihren verzagten Gedanken empor und lächelte gut und zart auf zu der großen schönen Frau.

»Da bist du ja schon, Beatrice,« sagte sie, »komm, setz' dich. Du wirst müde sein nach dieser Nacht.«

Beatrice schloß wie bejahend die brennenden schwarzen Augen und nahm an der andern Seite des kleinen Tisches Platz.

Dann klingelte Manja. Sie schwiegen, bis der Diener aufgetragen hatte. Und als Manja die Freundin mit Kaffee und Gebäck versehen hatte, bat sie leise: »Und nun, Beatrice, erzähle mir, wie alles gekommen ist.«

Beatrice Herforth saß da, die Hände matt gelöst auf dem Tischtuch, und schwieg.

»Aber iß und trink dabei,« ermunterte Manja. »Du hast ja fast vierundzwanzig Stunden nichts zu dir genommen.«

Beatrice hob müde die linke Hand und strich die schwarzen Haare aus der klugen Stirn.

»Danke,« wehrte sie, »ich kann nichts essen.«

Manja schwieg. Sie wußte, zureden hatte bei der Freundin nie gefruchtet.

»Wenn du davon nicht sprechen kannst,« begann sie nach einer Weile scheu –

Doch Beatrice unterbrach. »Ich kann. Mit wem außer dir sollte ich darüber sprechen?«

Dann schwieg sie wieder und sah in den sommerprangenden Garten hinaus.

Manja wartete feinfühlig. Endlich begann die Freundin: »In klaren Worten klingt es so roh und so alltäglich banal. Und es war doch mein grausames, noch nie erlebtes Los. Du weißt, ich habe meinen Mann immer liebgehabt.«

Manja nickte.

»Keine stürmische, schwelgende Liebe war's, aber allezeit gut und traut.«

»Ich verstehe das,« stimmte Manja leise zu.

»Dann – vor zwei Jahren – lernte ich Walter kennen.«

»Du schriebst mir davon.«

»Es war eine Freundschaft – zuerst. Er kam zu uns ins Haus, mein Mann hatte ihn gern, er regte ihn an. Er war Assessor an unserem Amtsgericht. Mir brachte er soviel Neues in mein Leben. So viel Schönheit des Geistes –«

Sie schwieg wieder und blickte versunken auf die Bäume draußen mit ihrem sommerstaubigen Laube.

»Und dann ist es eine Liebe geworden,« sagte sie plötzlich. »Ganz langsam, fast unmerklich. Ich erkannte es, als er einmal auf einige Wochen verreiste, an meiner schmerzenden Sehnsucht. Damals schrieben wir uns – mein Mann wußte davon – in Briefen sagt man sich leicht so sehr viel mehr. – Als er zurückkam, wußten wir, daß wir uns liebten.« Und heftig fügte sie hinzu: »Meinem Manne bin ich immer dieselbe geblieben. Ich habe ihn um nichts verkürzt, das darf ich sagen. Walter gegenüber war es so ganz anders.« Und als sie wieder schwieg, sagte Manja mit seltsamer Betonung: »Das verstehe ich so gut.«

Durch den bekennenden Klang ihrer Stimme aufgescheucht, blickte Beatrice empor. Wortlos sah sie der Freundin sekundenlang forschend in die Augen, bis Manja die Lider senkte und heiser bat: »Erzähle weiter!«

»Wir haben gewußt, daß wir uns nie gehören dürfen. Wir haben nie darüber in Worten gesprochen. Noch wir haben es beide gewußt. Es war auch eigentlich kein Entbehren. Körperliches gehörte kaum zu unserer Liebe. – Und dann ist es doch gekommen.«

»Es kommt immer,« nickte Manja leise, aber sehr bestimmt. Wieder hob Beatrice verwundert den Kopf. Doch Manja gebot: »Erzähle weiter!«

»Vorgestern kam er nachmittag zu mir. Nie hatten wir uns berührt. Nur die Hände gegeben – fester wohl und wärmer, als Freunde tun. Wir konnten nicht wie sonst ins Plaudern kommen. Er war hastig und unruhig. Und dann hat er mich an sich gerissen und mich jäh geküßt. Und dann ist es gekommen. Ich kann es nicht sagen, wie es kam.«

Sie stützte die Stirn in die Fingerspitzen und starrte nieder auf das weiße Tuch. Manja blickte bewegungslos auf die helle Linie ihres gesenkten Scheitels. Ohne den Kopf zu heben, sprach Beatrice weiter: »Dann ist er gegangen. Und als mein Mann nach Hause kam, habe ich es ihm gesagt. Und er hat mich aus dem Hause gejagt und seine Kartellträger zu Walter geschickt. Gestern früh haben sie sich geschossen – Walter ist tot.«

Sie beugte das Gesicht auf das Tischtuch nieder und preßte die Lippen gegen das harte Holz, das Schreien des Schmerzes daran zu ersticken. Manja streichelte stumm sänftigend die Hände der Frau, die sich flach, mit eng geschlossenen Fingern, auf den Tisch stemmten.

Na hob Beatrice Herforth das starre Gesicht. »Und nun muß ich sehen, daß ich Arbeit finde – zum Leben,« sagte sie herb gefaßt.

»Ich bewundere dich,« gestand Manja.

»Du bewunderst mich?!«

»Ja, Beatrice. Ich bewundere dich. – Aber nach deiner ganzen Anlage mußte es so kommen.«

»Nein, Manja, das mußte es nicht. Das ist ja das Unbegreifliche. Es mußte nicht. Nach meiner ganzen Anlage konnte es nicht so kommen. Gerade daß ich jetzt hier stehe, ist mir das Unbegreifliche. Nichts liegt meiner Natur ferner als dieser Treubruch.«

»Das glauben wir alle,« entgegnete Manja müde, »wir alle, Beatrice. Wir heiraten mit Zwanzig, Einundzwanzig den Mann, der uns sympathisch ist und den wir gut und freundlich lieben. Und dann kommt in diesem ewig langen Leben einmal der Mann, den wir hell und jubelnd lieben. Und wir meinen alle, wir nehmen unserem Manne mit dieser Liebe nichts, weil er diese Liebe nie besessen hat. Und wir glauben alle, ja, Beatrice, alle, wir werden einen Treubruch gegen ihn nie begehen. Denn unsere Sinne stehen dieser jauchzenden jungen Liebe so fern. Aber wir vergessen dabei die Sinne des Mannes. Männer, – auch die besten, begehren, wenn sie ganze Männer sind, schließlich doch einmal das Weib in uns. Das ist unser aller schwerer Irrtum. Und wir begehen alle noch den zweiten Fehler, daß wir unsere Kraft überschätzen.«

Beatrice sah ihr aufmerksam in die grauen hellen Augen. »Manja, du sprichst, als ob auch du –«

Manja schüttelte den blonden, lichtumflossenen Kopf. »Ich spreche nicht persönlich,« wich sie scheu zur Seite. »Ich habe über alles dieses nur so sehr viel gesonnen. Und mit vielen Frauen darüber gesprochen. Unsere Widerstandskraft lebt nur von der helfenden Güte des Mannes. Das weiß ich. Und darum staune ich nicht über deinen Weg, Beatrice, – bis dahin. Aber den Weg, den du dann gegangen bist, den bewundere ich.«

»Den Weg, den ich dann gegangen bin?«

»Darin liegt dein ganzer Charakter. So warst du schon auf der Schule, so groß und kompromißlos.«

»Was blieb mir sonst?«

»Schweigen.«

»Mit dieser Lüge kann man nicht weiterleben.«

Manja lächelte seltsam altklug.

»Liebes Kind,« sie öffnete die Augen weit, »Tausende leben so. Zu Anfang glauben sie alle, nun könne die Sonne nicht mehr scheinen und der Tag müsse schwarz werden. Aber die Sonne scheint weiter, und der Tag bleibt hell. Und wenn man dann sieht, daß die Erde gemächlich weiterrollt und alles beim alten bleibt, dann kommt eines Tages die Freude darüber, daß man dem ersten stürmischen Impulse des Bekennens widerstanden hat.« Sie machte eine Pause. Doch als sie Beatrices ernsten suchenden Blick auf ihrer Stirn fühlte, fügte sie heftig hinzu: »Das Leben verlangt Kompromisse. Was hat deine Ehrlichkeit erreicht? Tod und Verderben. Allen ist sie zum Unheil geworden: ihm, deinem Manne, deinen Kindern, dir. Allen. Hättest du geschwiegen, hättest du dir gesagt: Ich habe ihm und mir zu sehr vertraut, jetzt habe ich meinen Irrtum erkannt; hättest du mit ihm gebrochen, für immer, hättest du mit dieser bitteren Entsagung deinen – Irrtum gesühnt; – sag', Beatrice, wäre das für alle nicht tausendmal besser gewesen?!«

Sie legte ihre kleine Hand auf Beatrices kalte Finger.

»Ich sah nur den einen Weg,« beharrte die Freundin.

Manja nickte. »Du hast nie andere Wege gesehen, als die tapfersten und unerbittlichsten. Schon auf der Schule.«

Da erhob sich Beatrice Herforth, strich mit einer entschlossenen Bewegung den Rock über den Schenkeln glatt und sagte: »Nun muß ich sehen, daß ich Arbeit finde.«

Auch Manja stand nun da – unschlüssig. »Ja, was willst du arbeiten, Beatrice?«

Die große dunkle Frau blickte sie hilflos an. »Ich weiß es noch nicht recht,« sagte sie unsicher. »Ich muß etwas finden. Du weißt, ich habe so gut wie nichts in die Ehe gebracht. Mein Mann wird mir wohl etwas aussetzen. Ich will es nicht. Ich will nichts von ihm als die Erlaubnis, die Kinder oft zu sehen.«

»Ja, siehst du, vor allem die Kinder,« nickte Manja. »Wäre es um ihretwillen nicht auch besser gewesen –?« Aber die wehen Augen der Freundin bannten die Worte. Was halfen jetzt alle Vorwürfe und altklugen Erwägungen! Sie setzte sich still wieder nieder und sah ratlos zu Beatrice auf.

»Ich dachte,« wagte die schöne Frau tastend, »daß ich hier in der größeren Stadt etwas finden würde. Bei uns wäre es unmöglich. Nach dem Ausgang des Duells gestern mußte ich sofort fliehen. Eine solche Erbitterung herrschte überall gegen mich, daß sie mich am liebsten gelyncht hätten.«

»Was willst du arbeiten?« lenkte Manja ihre Gedanken von dem schwarzen Gedenken fort, »was können denn die Frauen arbeiten, die vor zehn Jahren junge Mädchen waren! Sie haben nichts gelernt, als auf den Mann zu warten.«

»Ich kann stenographieren und Maschine schreiben,« belehrte Beatrice. »Ich habe es gelernt, um meinem Manne bei seiner Arbeit zu helfen. Ich dachte, hier in der Universitätsstadt – daß du mir vielleicht eine Empfehlung an einen der Professoren – Privatsekretärin oder dergleichen könnte ich vielleicht werden –«

»Das könnte ich gewiß,« nickte Manja.

Das Gebot ihres Mannes war ihr plötzlich in die Erinnerung getreten. Zart ging sie auf das böse Ziel los. »Liebste, du weißt, ich verstehe dich.«

Beatrice hob aufhorchend den Kopf mit dem schwarzen Haare.

»Aber mein Mann – in seiner exponierten Stellung –«

»Aber das hat doch mit einer Empfehlung –« wandte sie scheu ein.

»Nein – nein. Die Empfehlung werde ich dir geben – ich überlege schon immerzu, an wen. Nein, mein Mann. – Wäre es nicht besser, du gingest in eine Pension. Ich weiß eine sehr gute und billige.«

Beatrices bleiches Gesicht ward plötzlich blutig unterströmt. »Ich – gehe sofort,« stieß sie hervor. Sie taumelte vornüber gegen den Tisch.

»Beatrice, du weißt – daß ich –«

»Sprich kein Wort mehr –« flehte diese mit heißen Augen.

Da sprang Manja empor, eilte zu ihr hin, schlang ungestüm die Arme um ihren Leib und küßte sie wortlos auf die zuckenden Augen und bebenden Lippen.

Beatrice ließ es still über sich ergehen. »Laß, Liebe,« bat sie leise, mit geschlossenen Lidern. »Ich verstehe ja. Ich hätte nicht kommen sollen. Nur gestern, als alles dies über mich hereinbrach – es kam so jäh. – Es schien mir, als wärst du meine einzige Zufluchtsstätte auf der weiten Welt –«

»Mein armes – mein armes,« klagte Manja.

Beatrice raffte sich auf. »Ich werde jetzt gehen,« sagte sie fest.

»Ich begleite dich.«

Beatrice schüttelte den Kopf. »Wenn dein Mann mir das Haus verbietet,« bedachte sie ruhig, »wird er nicht wünschen, daß du dich mit mir auf der Straße zeigst.«

»Ich bin mein freier Herr,« brauste Manja auf.

»Laß,« lächelte Beatrice bitter hoffnungslos. »Wir sind keine freien Herren. Herren und frei sind die Männer, die uns verjagen können wie diebische Mägde. Schreib mir die Adresse der Pension auf und gib mir die Empfehlung.«

Und dann verließ sie wie gehetzt das Haus. Der Diener trug den kleinen Handkoffer hinter ihr drein.

 

 

II.

Einige Stunden später kehrte die Baronin Ingenheim von ihrem alltäglichen Morgenritt heim. Eine rechte Freude an ihrer temperamentvollen Stute »Lenora« war heute nicht in ihr aufgekommen. Ihr Gemüt war gedankenschwer und voll schwingender Ahnungen. Sie warf dem Diener, der ihr den Bügel hielt, hastig die Zügel zu und schritt rasch durch den Garten zur Villa. Erstaunt blickten »Lenora« und »Mumpitz«, der Wallach des Präsidenten, den der Diener geritten hatte, der Herrin nach. Noch niemals war sie ohne Liebkosung von ihnen gegangen.

Als die Zofe die Haustür öffnete, sagte sie: »Da ist ein Herr, der Frau Baronin sprechen will.«

»Ein Herr?« fragte Manja. Sie hatte es alle diese Tage erwartet. Jetzt traf es sie wie ein Stoß mitten ins Herz.

»Ich habe gesagt, daß Frau Baronin ausgeritten sind. Der Herr meinte, er wolle warten. Ich habe ihn in den Salon geführt.«

»Es ist gut,« wehrte Manja dem Mädchen, das ihr beim Ablegen behilflich sein wollte.

Die Zofe ging. Manja trat vor den Spiegel der Garderobe und strich die feinen blonden Strähnen, die der Ritt gelöst hatte, unter den schwarzen Zweimaster zurück. Ihr Gesicht war sehr bleich. Das Herz schlug angstvoll gegen die Brust. Sie wußte, der Herr, der im Salon auf sie wartete, war das Verhängnis. Sie wußte es bestimmt.

Seit Seebeck im vorigen Winter als Direktor der Waffenfabrik hierhergekommen und ihr bald darauf in der Gesellschaft begegnet war, hatte die Furcht sie nicht wieder verlassen.

Dem Leiter der großen Aktiengesellschaft hatten sich die Tore der angesehensten Häuser bereitwillig geöffnet. Bei dem Landgerichtspräsidenten war Manja zum ersten Male mit ihm zusammengetroffen. Den aufprallenden erstaunten Blick bei der Vorstellung wußte sie nicht zu deuten. Doch später beim Tanz trat er zu ihr.

»Im Grunde sind wir alte Bekannte,« scherzte er mit einem Lächeln um die arroganten Lippen.

»Ich wüßte nicht,« entgegnete Manja in verwunderter, ärgerlicher Ahnungslosigkeit.

»Gnädige Frau waren vor einigen Jahren in Norderney,« lächelte er mit dreister Vertraulichkeit. »Ihr Gesicht vergißt man nicht, gnädige Frau.«

Sie krampfte die Finger um den Elfenbeinfächer, daß die Nägel tief in die Handfläche eindrangen. Das Blut siedete ihr, aller ehernen Beherrschung zum Trotz, bis hinauf unter die blonden Haare. Es gelang ihrer Energie, gelassen zu erwidern: »Ja, ich war in Norderney. Aber ich wüßte nicht, daß ich Sie dort kennen gelernt hätte.«

»Mich nicht,« entgegnete er mit demselben frechzutraulichen Lächeln und legte eine anzügliche Betonung auf das »mich«.

Sie ergriff die erste Gelegenheit, sich von ihm zu befreien. Doch sie traf auf ihn, wieder und immer wieder. Es waren in dieser mittelgroßen Stadt immer dieselben engen Kreise, in denen man sich gesellschaftlich drehte. Und immer wieder näherte er sich ihr, ohne daß sie wagte, ihm recht zu wehren. Er sprach von seiner Gier nach dem Glück, von der Leere seines Lebens trotz aller Arbeit und alles äußeren Erfolges. Sie blieb kühl abweisend und stand doch gebannt unter seiner Drohung. Er sprach von Liebe, und sie blieb stumm, weil sie fürchtete, ihn zu reizen. Er erlaubte sich spöttelnde Bemerkungen über den Baron. Sie verwies es ihm, doch ohne Hoheit, ohne Gebieten, ohne aufflammenden Stolz.

Und jetzt saß er dort drinnen im Salon, jetzt zu dieser ungewöhnlichen Zeit, da er ihren Mann im Präsidium wußte, und wartete auf sie. Sie ahnte, weshalb er gekommen war. Unwillkürlich faßte sie den rohrumflochtenen Stiel der Reitpeitsche fester und trat ein.

Seebeck war in die Betrachtung einer kostbaren kleinen russischen Bronze vertieft. Langsam wandte er sich Manja zu und kam ihr gemessenen Schrittes entgegen. Er sah sie ernst an, zum ersten Male ohne eine Falte dieses besitzsicheren Herrenlächelns, das sie so haßte und so sehr fürchtete.

»Sie haben auf mich gewartet?« fragte sie ohne Einleitung. Es klang schroffer, als es beabsichtigt war.

»Ja,« nickte er, »ich mußte Sie sprechen, gnädige Frau.«

Seine Stimme war belegt und seltsam weich.

Sie deutete auf einen Stuhl und setzte sich. Er nahm den gewiesenen Platz, verstrickte die langen dünnen Finger ineinander und sah wortlos nieder auf den weichen weißen Teppich.

Sie wartete und fühlte das Blut in den Ohren sausen.

Endlich hob er das Gesicht und sah mit fiebernden Augen zu ihr hinüber. Sie tat sich Gewalt an, den Blick zu ertragen.

»Gnädige Frau,« begann er heiser, er mußte sich räuspern, um weitersprechen zu können, »Sie wissen, weshalb ich gekommen bin.«

»Ich weiß es nicht,« wehrte sie sich hitzig.

Er beugte sich zu ihr vor. »Ich habe gekämpft, Manja. Gerade weil ich das weiß.«

»Was?« bebte ihre Verzweiflung.

Er sprach weiter. »Ich will nicht dastehen als einer, der daraus Profit schlägt. Schon damals in Norderney habe ich mich in Sie – ja vernarrt muß ich sagen. Ich habe in diesen Jahren später noch oft an die ›schöne Frau von Norderney‹ gedacht. Dann standen Sie plötzlich hier vor mir. Erreichbar. Es liegt nicht in meiner Natur zurückzuweichen, wenn ein Ziel lockt. Dennoch habe ich mit meinen Wünschen gekämpft. Ich bin unterlegen. Darum bin ich jetzt hier.«

»Ich verstehe kein Wort von alledem,« log sie und blickte sich im Zimmer um nach einem rettenden Ausweg aus dieser würgenden Umstrickung.

Da stand er auf und trat dicht an ihren Sessel heran. »Manja,« flüsterte er heftig, »Sie sind in Ihrer Ehe unglücklich –«

Sie öffnete die Lippen, brachte aber keinen Laut hervor. – Er fuhr fort: »Ich bin in meinem Leben heimatlos. Wollen wir nicht aus unserem gemeinsamen Mißgeschick uns ein Glück zurechtbiegen!«

Sie wich vor seinem heißen Flüstern weit in die Polster des Sessels zurück.

»Ich bitte Sie, gehen Sie,« raunte sie in Ängsten.

»Manja,« drängte er leise, »ich weiß doch, die Ehe ist Ihnen keine Schranke.«

Sie richtete sich auf. »Gehen Sie sofort, Herr Seebeck, oder ich klingle dem Diener!«

Zornig wallte es ihm zu Kopf. Er warf die Maske des Toggenburgers klirrend zu Boden, die rohe Gemeinheit des Erpressers verzerrte seinen Mund. »Spielen Sie nicht die Tugendsame,« drohte er grimmig, »ich kenne Sie.« Aber schnell den Ton ändernd, bat er: »Manja, wir beide, die wir in diese armselige Stadt verschlagen sind, so gut könnten wir es haben.« Und ihr sein Gesicht nähernd, raunte ei: »Sei vernünftig, Manja. Sei doch vernünftig!«

Und plötzlich beugte er sich über sie, drückte ihre Schultern mit beiden Händen brutal gegen die Rückwand des Sessels und küßte sie schonungslos in das Gesicht, wohin seine gierigen Lippen trafen.

Eine Sekunde blieb sie gelähmt. Dann umklammerten ihre Hände die Köpfe der Armlehnen, sie stemmte den Körper mit aller Kraft ihrer sportgestählten Glieder gegen den Mann, drängte ihn zurück, stand plötzlich auf den Füßen, griff blitzschnell zu dem Tisch hinüber und setzte ihm die Reitpeitsche in ausberstendem Haß zweimal über das Gesicht.

Auftaumelnd vor Wut und Schmerz packte er ihren Arm – da öffnete sich die Tür. Der Regierungspräsident trat ein.

Manja riß ihren Arm aus der Umklammerung, ihr Instinkt gab ihr blitzhell ein, daß es für sie nur ein Vorwärts gab. Sie hob die Hand mit der bebenden Peitsche, zeigte auf den vom Schmerz noch halb geblendeten Mann und rief: »Der Mensch hat gewagt, dein Weib in deiner Wohnung zu berühren.«

»Was – Was?!« stammelte der Präsident, der in begreifensstarrer Verdutztheit an die Tür gebannt stand.

Seebeck hob den Kopf, Blut rieselte in dicken Tropfen aus zwei tiefen Rissen über sein Gesicht.

»Herr Präsident,« sagte er ruhig, »Sie vermögen die Situation nicht zu übersehen, weil Sie nicht wissen, daß Ihre Frau vogelfrei ist.«

Da stand Ingenheim vor ihm und tastete mit der Hand nach seiner Kehle. Seebeck trat einen Schritt zurück und warnte gelassen: »Lassen Sie das! Stürzen Sie sich nicht in Ungelegenheiten für diese Frau, die Sie betrogen hat!«

Dann spielte sich alles blitzschnell ab. Manja schrie keuchend auf, der Baron packte Seebeck an der Brust, stieß ihn vor sich her, quer durch das ganze Zimmer, riß mit der Linken die Tür auf und schleuderte den Mann hinaus auf den Korridor, wo er polternd niederbrach. Ehe er hochkam, war das aufgescheuchte Personal herbeigeeilt.

»Weisen Sie den Mann hinaus!« befahl beherrscht der Baron und schloß die Tür. Sie hörten im Zimmer, wie Seebeck sich draußen aufraffte, wie er dem Diener drohte: »Rühren Sie mich nicht an!« wie die Haustür hinter ihm zuschlug.

Der Präsident wandte sich Manja zu. Sie stand mit dem Rücken gegen den Tisch gelehnt, das Gesicht zur Erde geneigt. Die Peitsche, von der Rechten noch immer umspannt, zitterte sacht.

»Wie kam es?« fragte der Baron leise, fast zaghaft und ergriff ihre eisige Hand.

Mit pfeifendem Atem erzählte sie: »Als ich vom Reiten nach Hause kam, wartete er auf mich. Dann sprach er einiges, daß er unglücklich sei und daß auch ich unglücklich wäre; daß er mich liebe – und plötzlich fiel er über mich her und küßte mich. Da habe ich ihm die Peitsche über das Gesicht gezogen.«

»Meine arme kleine Manja,« er küßte inbrünstig ihre bebenden Hände, »das war ja entsetzlich!«

Sie lächelte weh. »Es war sehr arg.« Und ängstlich hastend fügte sie bei: »Vielleicht ist er geisteskrank.«

Der Baron hob den Kopf. »Anders kann man es sich eigentlich kaum erklären. Eine Dame der Gesellschaft in ihrer Wohnung zu überfallen, wo jeden Augenblick jemand eintreten kann! Der Mann muß verrückt sein. Meine arme kleine Manja!« Er streichelte zärtlich ihr Haar.

»Er ist sicher krank,« flüsterte sie scheu.

»Man hat doch nie etwas Ungünstiges über ihn gehört,« grübelte der Präsident, »im Gegenteil. Am Ende hätt' ich –.«

»Du hast durchaus richtig gehandelt,« tröstete sie. »Im ersten Zorn –«

»Wenn der böse Schreck nur keine schlimmen Folgen für dich hat!« bekümmerte er sich.

»Es ist schon wieder gut,« beschwichtigte sie. »Mir ist schon wieder besser.«

»Jedenfalls werde ich sofort über den Mann Erkundigungen einziehen,« entschied der Präsident. »Leg' dich jetzt ein wenig nieder! Du bist doch noch sehr blaß. Und zitterst am ganzen Körper. Komm, ich bring' dich in dein Zimmer.«

Schwer auf seinen Arm gestützt, schritt sie zur Tür.

»Eine entsetzlich peinliche Geschichte,« murmelte besorgt der Baron.

 

 

III.

ie Ermittelungen, die Herr von Ingenheim in aller Eile und Verschwiegenheit anstellte, ergaben, daß der Gedanke einer psychischen Abnormität Seebecks jeder Grundlage entbehrte. Bei der Leitung der Waffenfabrik bewies er die Energie und Umsicht eines geistig überragenden kerngesunden Mannes. Erst gestern noch hatte die Fabrik mit der Montenegrischen Regierung einen Lieferungsvertrag abgeschlossen, welcher der Verstandeshelle ihres Direktors das erfreulichste Zeugnis ausstellte.

Der Regierungspräsident empfing diese Nachrichten, als er am Nachmittage aufs Amt kam. Nun erwartete er die Kartellträger Seebecks. Denn wenn er geistig gesund war, so würde er zweifellos den Mann fordern, der ihn in Gegenwart einer Dame zum Hause hinausgeworfen hatte. Doch der Nachmittag verglitt, es wurde fünf, es wurde sechs, die Sommerabendmilde wehte kühl durch die Eichen, die den Platz vor dem Regierungsgebäude umschatteten – kein Kartellträger nahte. Und als es auf sieben ging und Herr von Ingenheim just erwog, ob er nicht nun seinerseits als persönlich und in seiner Frau Beleidigter Rechenschaft fordern solle, wurde ihm der Geheime Justizrat Helmholtz gemeldet.

Her alte Herr trat in mühsam gedämpfter Erregung in das Arbeitszimmer des Präsidenten.

»Sie werden erraten, Herr Regierungspräsident, was mich zu Ihnen führt,« begann er nach kurzer Begrüßung.

»Wenn es eine Privatangelegenheit ist, so glaube ich's zu wissen, Herr Geheimrat,« erwiderte Ingenheim und rückte dem Rechtsanwalt den bequemen Klubsessel einladend neben das Pult.

Der Geheimrat schob sich tief in das weiche Lederpolster zurück, strich die grauen Handschuhe prall und bedauerte: »Eine leidige Sache, Herr Regierungspiäsident. Eine sehr leidige Sache.«

»War Herr Seebeck bei Ihnen?« eröffnete der Baron die Sachlichkeit.

Der Geheimrat nickte. »Er war bei mir. Ich bin seit langen Jahren Justiziar der Waffenfabrik. So lag es wohl nahe, daß Herr Seebeck sich an mich wandte.«

Der Präsident hielt mit den Fingern der linken Hand den schwarzen Bart umschlossen und wartete.

Der Geheimrat schwieg undurchdringlich. Dann faltete er die behandschuhten Hände und sagte: »Er wollte, daß ich Anzeige an die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung erstatte. Ich habe dieses Ansinnen mit dem Hinweis abgelehnt, daß ich seit Jahren als Ihr Mandatar die Regierung in ihren Rechtsstreitigkeiten verträte und daher ein gegen Sie persönlich gerichtetes Mandat nicht übernehmen könne.«

»Sehr wacker, mein lieber Geheimrat.« Der Baron verneigte sich anerkennend.

»Herr Seebeck wird sich nun an einen meiner Herren Kollegen gewandt haben, wahrscheinlich an Doktor Wurm, der im Rufe besonderer Schneidigkeit stehen soll. Na ich durch meine Ablehnung des Mandats freie Hand gewonnen habe, hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen, Herr Regierungspräsident, diese Mitteilung zu machen.«

Der Baron streckte dem alten Herrn die Hand hin.

»Ich danke Ihnen, verehrter Geheimrat. Ich hatte eigentlich erwartet, er würde mir seine Sekundanten schicken.«

Der Geheimrat schüttelte den Kopf. »Wir haben in unserem Gespräch auch diesen Punkt berührt. Herr Seebeck meinte, seine Ehre verlange wohl, daß er Sie fordere. Da er aber nicht Reserveoffizier sei, liege für ihn hierzu kein unmittelbarer Zwang vor. Er sei ein prinzipieller Gegner des Duells. Wenn ich ihn recht verstanden habe, kommt es ihm auf eine empfindliche Rache an. Er will Sie, Herr Regierungspräsident, und Ihre Frau Gemahlin in einem Sensationsprozesse vor der Öffentlichkeit bloßstellen.«

Der Baron fegte gelassen mit den Fingern seinen Bart. »Das dürfte ihm wohl kaum gelingen. Peinlich ist die Sache gewiß. Aber gegen Rowdies ist kein Mensch gefeit. Was kann mein armes Weib oder ich dafür, daß dieser Schubbiack plötzlich über sie herfällt! Soviel ich sehe, wird der Mann durch einen Prozeß nur sich selbst unmöglich machen.«

Der Alte schwieg.

»Aber, verehrter Herr Geheimrat, Sie schweigen so nachdenklich, haben Sie etwa Bedenken? Ich möchte mal den Richter sehen, der mich verurteilt! Wenn ich den Menschen, der meine Frau und mich in dieser unerhörten Weise beleidigt, zum Tempel hinausbefördere, bin ich doch wahrlich im Recht!«

Der Geheimrat legte die Stirn in zahllose Falten. »Es kommt Herrn Seebeck nicht darauf an, Herr Regierungspräsident, daß Sie verurteilt werden. Der Mann will seine Rache.«

»Ja, aber wenn das Gericht mich freispricht –!«

»Bleibt doch noch immer die öffentliche Erörterung der – der –«

Der Anwalt stockte.

»Sprechen Sie, Herr Geheimrat,« ermunterte der Baron ein wenig nervös. »Übersehe ich etwas? Sie wissen, wir Staatsrechtler sind im Zivilrecht nicht so standfest. Welche Erörterung?«

Der Geheimrat schöpfte tief Atem. »Herr Seebeck war seiner Sache sehr sicher. Er behauptete, untrügliche Beweise in Händen zu haben. Er hätte mir seine Zeugen namhaft gemacht, wenn ich dem nicht vorgebeugt. Ich hielt es nicht für loyal, mir Beweismittel an die Hand geben zu lassen, wenn ich beabsichtigte, das Mandat abzulehnen.«

»Aber welche Beweise denn eigentlich, mein verehrter Herr Geheimrat?«

»Beweise für – für frühere – unerlaubte Beziehungen – der Frau Baronin, die ihm Veranlassung gaben, die Frau Baronin nicht – als Dame zu respektieren.«

Der Geheimrat sah dem Präsidenten fest in die Augen. Der Baron lachte hell und frei heraus. »Aber, bester Geheimrat, lassen Sie sich doch nicht ins Bockshorn jagen! Das ist hohles Gerede. Der Mann will seine Untat entschuldigen. Sie glauben doch nicht im Ernste –?! Greift eine Frau, die sich einer Schuld bewußt ist, zur Reitpeitsche!«

»Frauen sind unberechenbar. Herr Seebeck war seiner Sache sehr sicher.« Der Geheimrat kniff die Lippen fest aufeinander.

»Aber, Herr Geheimrat, das ist ja fast beleidigend.«

Der Anwalt hob die Hand. »Herr Regierungspräsident, ich spreche hier lediglich als Jurist.«

»Gewiß, gewiß,« begütigte der Baron, »ich danke Ihnen auch für Ihre anwaltliche Sorgfalt. Aber, ich sage Ihnen, Herr Geheimrat, der Gedanke ist so absurd –« Er lachte wieder. »Man kann darüber wirklich nur lachen.«

Der Geheime Justizrat blieb sehr ernst. »Es liegt mir fern, Herr Regierungspräsident, die Frau Baronin irgendwie verdächtigen zu wollen. Sie wissen, ich kenne die gnädige Frau nicht persönlich. Ich begreife nur den Mann nicht. Er behauptet mit aller Entschiedenheit, die Beweise vor Gericht erbringen zu können.«

»Renommisterei,« höhnte der Baron.

»Haben Sie heute mit Ihrer Frau Gemahlin über – über diese Angelegenheit gesprochen, Herr Regierungspräsident?« beharrte der Anwalt.

»Kaum. Sie war so mitgenommen, das können Sie sich denken. Ich würde eine Frage in der Hinsicht aber auch für eine ehrlose Beleidigung meiner Frau halten.«

Der Geheimrat schwieg sinnend. Endlich wiederholte er: »Dann verstehe ich den Mann nicht.«

»Aber ich, Herr Geheimrat. Der Mensch hat sich in eine sehr üble Lage gebracht. Vor dem Duell hat er Angst. Nun glaubt er, mich mit Drohungen einschüchtern zu können. Denkt wohl auch, daß der ganze Prozeß mir in meiner Stellung unangenehm ist und daß ich Schritte tun werde, die ganze Sache zu vertuschen. Denkt wahrscheinlich, bis zum Termin ist eine geraume Zeit über die Vorgänge hingegangen, die Gemüter haben sich beruhigt, man ist einem Vergleich geneigter, um alles Staubaufwirbeln zu vermeiden, und die ganze ihm äußerst fatale Geschichte verläuft schließlich im Sande. Ich habe gehört, der Mann soll ein ganz gerissener Kaufmann sein. Verlassen Sie sich darauf, so kalkuliert er. Daher seine impertinente Sicherheit. Sie sehen ja auch, er hat Ihnen keine Zeugen genannt.«

»Ich habe es verhindert.«

»Lassen Sie gut sein, Herr Geheimrat, er hätte auch sonst keine genannt. Aber bei Herr verkalkuliert sich diesmal. Ich bin keine exotische Regierung, die er mit einem Lieferungsvertrage übers Ohr haut. Ich bestehe darauf, daß die Sache durchgeführt wird. Ich nehme an, daß ich auf Ihre oft bewährte Hilfe dabei rechnen kann, Herr Geheimrat?«

Der alte Herr verbeugte sich höflich.

»Die Staatsanwaltschaft wird seine Anzeige ablehnen und ihn auf den Privatklageweg verweisen. Wir werden dann die Widerklage erheben wegen Verleumdung und Beleidigung. Dann soll er einmal den Wahrheitsbeweis antreten, der Monsieur.«

Der Alte sah den Baron gequält an. »Verzeihen Sie, Herr Baron. Ich spreche jetzt lediglich als Ihr beratender Freund.«

»Bitte sehr, Herr Geheimrat.«

»Ich habe fast fünfzig Jahre lang die Psychen meiner Mandanten studiert. Der Mann machte nicht den Eindruck eines Bluffers. Ich bitte Sie zu bedenken, Herr Baron, daß, falls doch etwas Wahres an den Behauptungen des Herrn Seebeck ist – Mein Gott, wer von uns will Frauen auskennen und nun gar die eigene! Dann kommt es zu einem solchen Skandal, daß Sie – verzeihen Sie die Offenheit, Herr Baron – in Ihrer hohen Stellung unmöglich sind. Ich bitte ferner zu erwägen, daß nach verbürgten Gerüchten Ihre Ernennung zum Ministerialdirektor bevorsteht.«

Ingenheim machte lächelnd eine abweisende Bewegung.

»Wollen Sie Ihre ganze Karriere in Ihren jungen Jahren –«

»Oho,« tat der Präsident.

»Sie sind der jüngste unserer höchsten Verwaltungsbeamten, Herr Regierungspräsident. Wollen Sie Ihre große Zukunft vielleicht allzu großem Vertrauen opfern? Ich bitte Sie, sprechen Sie erst mit der Frau Baronin, ehe wir unsere Maßnahmen treffen!«

Der Präsident erhob sich. »Ihre Bedenken ehren Ihre Tüchtigkeit als Vertreter meiner Interessen, mein lieber Herr Geheimrat. Aber überlassen Sie die Verantwortung mir! Ich stehe dafür ein – mit meiner ganzen Zukunft, wenn Sie wollen. Im großen ganzen haben Sie mit Ihrer Skepsis den Frauen gegenüber gewiß recht. Erst gestern – eine alte Freundin meiner Frau, nach ihren Schilderungen früher ein Prachtmensch – aber das führt zu weit. Doch hier in diesem Falle – Sie kennen meine Frau nicht, Herr Geheimrat, da Sie leider gar nicht in Gesellschaft gehen.«

»Wenn man so alt ist und soviel zu tun hat,« entschuldigte der Geheimrat achselzuckend.

»Gewiß, mein verehrter Freund. Aber wenn Sie meine Frau persönlich kennen würden, hätten Sie Ihre Bedenken längst begraben.«

»Ich übernehme die Sache dann also auf Ihre Verantwortung, Herr Regierungspräsident,« entschied der Alte.

»Gut,« sagte der Baron munter, »auf meine Verantwortung.«

»Dann warten wir also zunächst die Zustellung der Privatklage ab,« überlegte der Anwalt jetzt ganz fachlich, »und erheben dann die Widerklage. Somit wäre vorläufig wohl nichts weiter zu besprechen. Ich will Sie dann nicht länger aufhalten, Herr Regierungspräsident.«

»Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und Ihren Beistand, Herr Geheimrat. Auf Wiedersehen!«

Als der alte Herr die breiten Treppen des Regierungsgebäudes hinabtrippelte, schüttelte er mehrmals leise den grauen Kopf. Die Sache gefiel ihm gar nicht.

 

 

IV.

An der Gartenseite der Ingenheimschen Villa ragte ein weinlaubumsponnener Balkon hinein in die wiegenden Schatten der Akazien. Dort lag Manja den ganzen Nachmittag auf ihrer bequemen Chaiselongue aus schmiegsamem Strohgeflecht mit geschlossenen Augen. Die gedämpfte Sommerhelle drang in blauen zartgepurpurten Lichtwellen durch die nervös bebenden gesenkten Lider. In halber Bewußtlosigkeit lag sie da, ohne Sinnen, ohne Denken, aufgelöst in dem wohligen Gefühl der Entspannung. Endlich war diese ungreifbare Angst von ihr gewichen, die all diese Zeit, seit Seebeck ihr begegnet war, an ihren Lebenskräften gezehrt hatte. Jetzt war etwas geschehen, sie stand vor Ereignissen, die Dinge ließen sich packen und abwehren. Nicht mehr lauerte irgendwo in der Luft das Entsetzen, das jeden Augenblick heimtückisch zuspringen konnte.

Sie lag auf dem Rücken und fühlte die Entlastung in allen Gliedern. Stundenlang lag sie so, sanft atmend, die Befreiung genießend.

Dann trat ihr hübscher neunjähriger Junge vorsichtig an ihr Lager. »Schläfst du, Mama?« fragte er leise. Aufgeschreckt riß sie die Lider empor. »Nein, mein Junge,« lächelte sie gleich und streichelte seine braunen Backen, »willst du ein bißchen bei mir bleiben?«

Er errötete drollig. »Gern, Mama.« Sie sah ihm scharf in die klugen Augen. »Du hattest etwas anderes vor, Paul. Na, heraus damit, was war's?«

»Ich wollte,« er wurde noch röter, »mit Herbert Vorbach radeln. Aber wenn du gern willst, daß ich bei dir bleibe –« Es klang ein wenig verzagt und ein wenig heldenhaft.

Manja lachte. »Buberle, mach', daß du fortkommst! Radeln ist viel gesünder für dich, als hier bei Mutter zu hocken. Wir können ja abends noch ein bißchen plaudern.«

»Nicht wahr, Mutti?« rief er froh befreit. »Ich komme auch gar nicht spät. Und dann liest du mir weiter die Napoleonsbriefe vor, gelt?«

Er umarmte sie halb stürmisch, halb chevaleresk und lief auf seinen drallen Beinen davon.