Sophia May

 

 

Ein Leben in Flammen

Rise of the Phoenix

 

 

 


IMPRESSUM


Titel: Ein Leben in Flammen - Rise of the Phoenix

Autor: Sophia May

maysophia0902@gmail.com


Copyright  © 2018 by


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Erstausgabe 2018


Umschlagdesign: Lisa Wirth

eBook - ISBN: 9783965084261

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

Flamme



Für meine Lieben, die mich auf der Reise meines Lebens begleiten.

 

Besonders für David und Juli:

Ich hoffe, dass auch wir bald eine große Reise miteinander antreten ;)

 

DER KONTINENT CRAYDOS



Craydos

 

 

PROLOG

Flamme

 

Leise schleiche ich durch das verlassene Haus. Es ist mucksmäuschenstill, zu still für meinen Geschmack. Ich muss hier schleunigst raus. Ich bin nur so kurz davor, mein Ziel zu erreichen, aber mein Instinkt rät mir, wieder zu verschwinden und zwar möglichst schnell. Und ich vertraue Niemandem mehr als meinem Instinkt, denn er hat mich noch nie im Stich gelassen und meistens weiß er auch, was zu tun ist.

    Vorsichtig setzte ich meinen Fuß auf die nächste Stufe, die prompt knarrt. Sofort bleibe ich regungslos stehen.

    Wenn sie mich entdecken, bevor ich sie sehe, dann ist alles letztendlich doch verloren. Dann gibt es meine Rasse nur noch in Mythen, in Mythen an die heute schon keiner mehr glaubt. Ich werde meine Ahnen nicht im Stich lassen. Ich muss unsere Rasse am Leben erhalten, komme was wolle.

   Zu meinem Glück knarren die anderen Stufen nicht mehr, beziehungsweise nur sehr leise, dass man es nicht hören kann, aber jetzt quält mich das Gefühl, beobachtet zu werden.

    Ich muss schleunigst aus diesem gottverdammten Haus. Meine Mission werde ich dann wohl an einem anderen Tag ausführen, auch wenn es dann schon gar nicht mehr hier ist. Ich werde es suchen, solange bis ich es entweder finde, oder es mich endgültig vernichtet.

    Endlich erreiche ich die verlassene Straße. Nur der Mond, der fast voll ist, zeigt mir den Weg. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter, und ich bin froh, dass ich den Brief doch noch schnell geschrieben habe. Man kann ja nie wissen, was passiert, also gehe ich lieber auf Nummer sicher.

   Ich hoffe, dass Adrian auch meine Anweisungen ausführt, sollte es zum Schlimmsten kommen. Ich vertraue Adrian wie niemand Anderem und er wird mich auch dieses Mal nicht enttäuschen, genauso wenig wie in den letzten 511 Jahren.

   Ein Schatten huscht vor mir an der Mauer entlang. Entweder bekomme ich gleich riesige Probleme, oder ich werde langsam verrückt vor lauter Paranoia.

    Das Traurige daran ist, dass ich hoffe, dass es letzteres ist, denn sonst kann ich wieder von vorne anfangen, oder auch gar nicht mehr. So sehr mir meine Eltern auch geholfen haben, manchmal hasse ich sie für das, was sie mir angetan haben, dass sich in meinem Leben immer wieder alles wiederholt, dass ich mich nicht erinnere. Aber andererseits würde ich ohne dieses Opfer wahrscheinlich schon lange nicht mehr leben.

    Wieder sehe ich aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten.

    Mist, ich bin eindeutig nicht verrückt. Aber das, was da auf mich lauert, ist noch tausendmal schlimmer, als in einer Irrenanstalt zu landen.

    Ich wünsche mir gerade wirklich, dass ich verrückt bin, aber mein Schicksal sieht das scheinbar nicht vor, zumindest jetzt noch nicht. Leider.

    Vielleicht kann ich ja doch noch entkommen, wenn ich nur schnell genug bin, aber dann muss ich wirklich schnell sein. Ich glaube zwar nicht, dass ich es schaffen kann, aber einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

    Allerdings gibt es auch einen guten Punkt an der ganzen Sache, denn wenn ich zu langsam bin, dann kann ich wenigstens das nächste Mal wieder richtig mit Adrian zusammen sein. Derzeit tollt nämlich ein kleines Baby in unserem Haus umher.

   Trotzdem sollte ich lieber schleunigst von hier verschwinden. So gerne ich wieder richtig mit Adrian zusammen wäre, hängt doch auch unser Leben von dem kleinen Ding ab, das vermutlich immer noch irgendwo in diesem verlassenen Haus liegt.

   Und ich habe wirklich nicht das Bedürfnis, wieder einmal von vorne zu beginnen. Aber im Augenblick sieht es so aus, als würde genau das eintreten. Leider kann ich es jetzt auch nicht mehr ändern, dafür ist es schon längst zu spät.

   Schnell sehe ich über meine Schulter hinweg nach hinten und schrecke sofort wieder zurück. Nicht weit von mir entfernt stehen zwei dunkle Gestalten wie Schatten vor einer Mauer.

    Sie haben mich also tatsächlich erwischt, ich war nicht schnell genug. Aber das ändert jetzt auch nichts mehr, das Einzige was jetzt noch zählt ist die Flucht.

    So schnell ich kann sprinte ich los, in der Hoffnung, doch noch irgendwie entkommen zu können. Wenn ich aus diesem Dorf komme, dann kann ich mich vielleicht in dem angrenzenden Wald verstecken, um dann später, wenn sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hat, in die Berge zu fliehen.

    Auf jeden Fall darf ich aber nicht zu Adrian nach Hause, auch wenn ich ihn jetzt schon unglaublich vermisse. Sie dürfen ihn nicht erwischen, er muss überleben. Mich können sie gerne bekommen, aber nicht meinen Adrian. Ich würde ihn mit meinem Leben beschützen, ich würde  alles für ihn aufgeben, solange er überlebt.

    Derzeit ist er noch in Sicherheit zu Hause, und das soll, wenn möglich, auch so bleiben, denn noch kann er sich nicht richtig wehren.

    Langsam aber sicher holen meine beiden Verfolger auf und ich lege noch einen Zahn zu, auch wenn es jetzt schon anstrengend genug ist.

    Ich biege um die nächste Ecke, was sich allerdings als riesiger Fehler entpuppt, denn dort steht noch eine in schwarz gekleidete Person.

    Dann sind die Beiden hinter mir also nicht alleine hier, das könnte meine Flucht erheblich erschweren.

    Noch einmal biege ich ab, um nicht direkt in die Arme meiner Verfolger zu laufen, aber zu meinem Entsetzen endet die Straße an einer Wand. Ein wirklich schlechter Fluchtweg. Allerdings gibt es keinen anderen Ausweg, da sie mich bereits umzingelt haben, also mache ich das Einzige, was mir übrig bleibt, ich laufe einfach weiter, immer auf die Wand zu.

   Am Ende der Straße stehen ein paar alte Kisten. Vielleicht ist es ja doch keine Sackgasse und ich habe noch eine Fluchtmöglichkeit. Da mir nichts Anderes übrig bleibt, klettere ich geschickt auf die Kisten und dann weiter an ein paar Balkonen entlang an der Hausmauer nach oben, bis ich endlich ein offenes Fenster erreiche. Ich ziehe mich mit letzter Kraft hinein, und dann höre ich auch schon, wie unten am Eingang des Hauses die Tür aufgebrochen wird und jemand erschrocken aufschreit.

    Sie werden den Bewohnern zum Glück nichts antun, sie sind nur hinter mir her, so wie sonst auch immer.

    Recht schnell finde ich die Treppe und da ich eindeutig nicht nach unten laufen kann, nehme ich den einzigen anderen Weg, der sich mir anbietet, den nach oben. Drei Stufen auf einmal nehmend springe ich die Treppe hinauf, komme aber nur noch zwei Etagen weiter nach oben, als ich auch schon das Dachgeschoss erreiche.

    Na dann eben aufs Dach, wenn es nicht anders geht, wäre ja nicht das erste Mal. Glücklicherweise haben die meisten Häuser hier flache Dächer, was mir das Rennen erheblich erleichtert.

    Ich haste eilig weiter, mit dem Blick fest auf den Wald gerichtet, der hinter dem Dorf liegt. Er ist nicht mehr allzu weit weg, es sollte auf jeden Fall machbar sein. Der Wald ist meine einzige Chance zu entkommen, eine sehr kleine, aber immerhin eine Chance.

    Ich springe geschickt auf das nächste Dach, dann wird hinter mir die Luke zum Dach erneut aufgerissen. Ich bin einfach viel zu langsam, so werde ich es nicht bis zum Wald schaffen.

    Mittlerweile rinnt mir der Schweiß am Körper hinab und mein Atem geht keuchend. Zu allem Überfluss kündigt sich jetzt auch noch ein Seitenstechen an. Ich bin erledigt.

    Um ehrlich zu sein, ich habe in letzter Zeit wieder viel zu wenig trainiert. Seit Adrian gestorben ist habe ich das sehr vernachlässigt, da sich immer Adrian um mein Training gekümmert hat, und ich habe einfach getan was er mir aufgetragen hat. Ich bin schon immer diejenige, die eher vom fauleren Schlag kommt.

    Wenn ich lebend aus dieser Situation komme, schwöre ich mir, dass ich wieder ohne Ausnahme täglich üben werde.

    Nicht weit von mir entfernt geht eine weitere Luke auf. Mist! Die haben scheinbar eine ganze Armee in dieser Stadt platziert und der schnellst mögliche Fluchtweg wurde mir jetzt unnötigerweise auch noch abgeschnitten.

   Ich gehe ein bisschen mit meiner Geschwindigkeit zurück. Wenn sie so weitermachen, dann werde ich eindeutig noch länger laufen, als ich ursprünglich angenommen habe. Ich muss mir meine Kraft besser einteilen, schließlich habe ich sie ja jetzt schon fast komplett aufgebraucht.

   Entschlossen ändere ich erneut meine Richtung, wodurch der Weg zu meiner Rettung erstaunlich gewachsen ist.

   Noch einmal schaue ich kurz über meine Schulter hinweg nach meinen Verfolgern. Sie liegen zwar ein Stückchen weiter zurück als beim letzten Mal, aber der Abstand ist noch lange nicht groß genug.

    Soweit ich es auf die Schnelle einschätzen kann, liegen noch circa 25 Hausdächer vor mir. Zu viele. Es wird auf jeden Fall ziemlich knapp werden. Und auch wenn ich den Wald noch rechtzeitig erreiche, so muss ich doch noch ein geeignetes Versteck finden, bevor sie mich endgültig erwischen.

   Aber noch kann ich hoffen, es ist noch nichts entschieden. Sie haben mich noch nicht geschnappt, ich bin immer noch auf der Flucht.

    Erneut konzentriere ich mich auf den Weg vor mir. Nicht weit von mir entfernt ist eine große Lücke zwischen zwei Dächern, dort wo vermutlich die Hauptstraße verläuft. Der Abstand ist aber eindeutig zu groß zum Springen, das ist nicht gut für mich. Gar nicht gut. Ich muss also noch rechtzeitig ausweichen und das bedeutet ein noch längerer Fluchtweg, noch länger als ohnehin schon. Tja, ich kann es leider nicht ändern und jetzt muss ich damit leben. Es gibt keinen anderen Weg, ich muss mich meinem Schicksal stellen.

    Bei dem nächsten Übergang von einem Dach auf das Nächste wechsle ich schnell meine Richtung, dann renne und springe ich weiter über das Dorf hinweg.

    Kurzzeitig gerate ich in Versuchung, wieder auf die Straße hinab zu springen, aber der Blick, den ich bei meinem nächsten Sprung nach unten werfe, lehrt mich eines Besseren. Auch hier sind überall schwarze Gestalten.

    Also doch auf diesem Weg weiter.  Soll mir auch recht sein. Ich habe nämlich keine anderen Pläne geschmiedet, um genau zu sein, habe ich eigentlich gar keine Pläne geschmiedet. Wieder einmal Adrians Schuld.

   Ohne Adrian bin ich teilweise ganz schön aufgeschmissen, ich sollte es eigentlich besser wissen, schließlich habe ich ja genug Erfahrung.

   Ohne große Zwischenfälle erreiche ich das vorletzte Haus bis zu meiner Rettung, aber ich habe meine Rechnung ohne meine Verfolger gemacht. Ein riesiger Fehler. Gerade als ich zum Sprung ansetzen will, steigen drei schwarz gewandete Gestalten auf das Dach vor mir. So knapp. So knapp war ich davor endlich zu entkommen.

   Ein letztes Mal wechsle ich meine Richtung. Weit komme ich aber nicht, dann bin ich auch schon umzingelt und es gibt keinen Ausweg mehr. Ich stehe zwar alleine auf einem Hausdach, aber auf jedem angrenzenden Haus stehen meine Gegner.

    Es sind einfach viel zu viele, ich kann es nicht mit allen von ihnen aufnehmen, egal wie sehr ich mich auch anstrenge.

   Vor mir treten die Gestalten auseinander und ein großer, ebenfalls in schwarz gekleideter Mann kommt auf mich zu. Ich schätze, dass er der Anführer dieses Trupps ist, also der Älteste in dieser Gruppe.

   Obwohl es ziemlich dunkel ist, kann ich das triumphierende Grinsen in seinem Gesicht sehen. Ich schaudere. Wenn es ginge, dann würde ich lieber nicht mit ihm Bekanntschaft machen, aber was habe ich denn für eine Wahl?

    Ich hasse ihn dafür, dass er diesen Ausdruck in seinem Gesicht hat, denn es sagt mir endgültig, dass ich jetzt keine Chance mehr habe.

    „Endlich haben wir dich, du dumme Göre!“ Die Stimme ist dunkel, und hat auch eine Spur von etwas Grausamen. Sie gehört mit großer Wahrscheinlichkeit dem Mann, der gerade so selbstsicher auf mich zugeht.

    Er steckt seine Hand in eine Tasche seines Umhangs, die ich bisher noch nicht entdeckt habe und dann zieht er es heraus. Das Ding, das ich jetzt schon seit 1767 Jahren suche. Mir stockt der Atem. Es ist so weit, ich habe keine Wahl mehr. Es gibt doch keine andere Lösung mehr.

    „Ihr werdet mich niemals bekommen.“, schreie ich ihnen entgegen.

    Ich liebe dich Adrian.

   Die Luft um mich herum erhitzt sich rasant, und dann gehe ich über die letzte Grenze hinweg. Die Erde erbebt vor Ehrfurcht und ich weiß, dass man es in ganz Craydos spüren kann. Ich bin bereit, meinem neuen Ich entgegen zu treten.

    Feuer erfasst meine Federn, aber sie verbrennen nicht sofort, sondern das Feuer umspielt sie sanft. Auf meinen Befehl hin brennt mein ganzer Körper lichterloh. Es fühlt sich einfach nur phantastisch an. Keine Schmerzen, wie es eigentlich sein sollte, erfassen mich.

    Und schließlich erreicht das Feuer mein Herz. Die ganze Stadt ist jetzt durch mein Feuer hell erleuchtet, und es stürmen schon Menschen und auch ein paar andere Wesen auf die Straße, um zu sehen, was hier passiert. Nur entfernt nehme ich die Schreie wahr.

    Für mich existiert nur noch das Feuer und mein brennender Körper, alles Andere ist nicht mehr von Bedeutung.

    Ich werde dich wieder finden Adrian.

    Mit einer letzten Welle an Feuer lösche ich dieses Leben selbst aus. Auf ein Neues.

 

 

 

Flamme

Verbrennen musst du dich wollen in deiner

eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!

(Friedrich Nietzsche)

 

Kapitel 1

Flamme

 

Ich haste die Straße entlang und mal wieder folgt mir diese komische, aber irgendwie auch gruselige Gestalt. Ich glaube, dass mir diese Person, ich tippe auf männlich, jetzt schon seit mindestens einem Monat folgt. Aber zum Glück ist er mir bisher nur gefolgt, sonst hat er sich ruhig verhalten. Er ist mir auch nie zu nahe gekommen obwohl er keinen Hehl daraus macht, dass er mir nachspioniert.

   Ich öffne die Tür zu unserem Haus, in dem ich mit meiner Mutter lebe. Über meinen Vater hat sie noch nie gesprochen, trotzdem liebe ich sie über alles.

    Ich schaue, dass ich schleunigst nach drinnen komme, so wie ich es bis jetzt immer gemacht habe, wenn mein Verfolger  aufgetaucht ist. Dieser Typ ist mir unheimlich und ich habe keine Ahnung, was er eigentlich von mir will.

    Von innen lehne ich mich erleichtert gegen die Tür und atme erst einmal laut durch.

    „Hayley, bist du das?“ „Ja Mom, ich bin wieder Zuhause.“, schreie ich genauso laut zurück. Meine Mutter ist ein bisschen schwerhörig und wenn man will, dass sie dich hört, muss man sich  halb heiser schreien.

    Die Tür wird mir hinter dem Rücken weggerissen, und ich stolpere hinaus. „Mann, pass doch auf!“, schimpfe ich während ich in die Arme von jemandem falle. Erst jetzt sehe ich denjenigen an, der die Tür gerade aufgerissen hat.

    Er, es ist eindeutig ein Mann, ist es. Mein stiller Schatten. Seine Kapuze hat er sich tief ins Gesicht gezogen und der lange Umhang verdeckt den Rest seines Körpers, so dass man eigentlich nicht viel erkennen kann. Ich gebe einen erschrockenen Ausruf von mir, dann setze ich mich in Bewegung.

    Ich renne so schnell wie ich nur kann, aber der Mann holt mich schon nach wenigen Metern ein. Er drückt mir geschickt seine Hand auf den Mund, damit ich nicht schreien kann, aber genau das wäre jetzt meine nächste Option gewesen.

    Er schiebt mich nicht gerade sanft vor sich her und will allem Anschein nach in die nächste Gasse abbiegen. Ich muss hier schleunigst weg. Ich möchte gar nicht erst wissen, was er mit mir vor hat, denn es kann nichts Gutes sein. Meine Mutter hat mich oft genug vor solchen Situationen gewarnt, und sie hat bei den Erzählungen rein gar nichts verschönert.

    Ein Schauer läuft mir über den Rücken, dann verziehe ich angewidert mein Gesicht, bevor ich meine Zähne in seine Hand grabe.

    Fluchend lässt er sofort von mir ab, und ich nutze meine Chance. Geschieht dir recht du Mädchenschänder.

   Erneut renn ich los und lasse den fluchenden Mann hinter mir. „Verdammt, Hayley, was soll das?“ Verdutzt bleibe ich stehen. Woher kennt er meinen Namen? Aber dann fällt mir ein, dass er mich schon lange verfolgt. Bestimmt hat er irgendwann einmal meinen Namen aufgeschnappt, es ist nichts Besonderes.

    Weiter rennen, Hayley, einfach weiter rennen, bis du auf eine belebte Straße kommst, rede ich mir selbst zu.

   „Ich befehle dir, sofort stehen zu bleiben, Hayley Pheen!“  Mein Körper bleibt sofort auf den Befehl hin stehen, während mein Verstand noch weiter hetzt. Ich heiße nicht Hayley Pheen. Wieso bleibe ich dann stehen?

    Aber instinktiv habe ich auf den Namen gehört und ich kann nicht sagen aus welchem Grund. Warum auch immer, aber ich habe das Gefühl, den Namen zu kennen und mein Körper kennt ihn auch.

    Sobald ich mich von dem größten Schreck erholt habe, möchte ich weiter, aber der Mann hat mir meinen Weg versperrt. Ohne nachzudenken gehe ich in Angriffsstellung. Wieso mache ich das? Ich weiß ja nicht einmal wie man kämpft. Naja, ein Versuch ist es auf jeden Fall wert, flüchten kann ich ja eh nicht mehr.

    Ich greife sofort an, aber jeder Schlag oder Tritt geht daneben, da mein Gegner immer wieder geschickt ausweicht, bevor ich ihn auch nur fertig ausgeführt habe.

    Meinem Gefühl nach bin ich gar nicht so schlecht, aber mein Verfolger weicht immer mit Leichtigkeit aus, als ob er schon im Voraus wüsste, was ich als Nächstes mache.

    „Hör auf, Hayley, es nützt sowieso nichts. Ich will dir nichts antun, ich will dich nur warnen. Wenn du nicht mit mir kommen willst, okay, aber dann hör mir wenigstens zu.“ Ich will dir aber nicht zuhören.

    Aber da er meine Hände festhält und ich mich nicht aus der Umklammerung befreien kann, bleibt mir nichts Anderes übrig, egal wie sehr ich mich zu wehren versuche.

    Also fährt er fort: „Du musst dich verstecken. Es werden jeden Moment unzählige Gestalten in schwarzen Umhängen auftauchen. Sie dürfen dich auf keinen Fall finden. Versprich mir, dass sie dich nicht erwischen!“ Er spricht so eindringlich und auch mit Verzweiflung, dass ich ohne nachzudenken nicke. Komischerweise glaube ich ihm und so folge ich seiner Anweisung, als er mich wie versprochen wieder gehen lässt.

    Ich verstecke mich in einem alten Haus, von dem aus ich den Marktplatz sehen kann und dabei  rede ich mir ein, dass ich das nur mache, um zu sehen, ob er gelogen hat, nicht weil er es mir befohlen hat.

   Genau wie er es vorausgesehen hat, betreten lauter Männer in schwarz das Dorf und treiben alle Bewohner auf dem Marktplatz zusammen.

    Plötzlich sieht einer der Männer zu mir auf. Sofort bleibe ich regungslos hinter dem verstaubten Fenster stehen. Schon wieder hört mein Körper nicht auf meinen Kopf. Was ist denn nur mit mir los?

   Zu meiner großen Erleichterung sieht er dann aber wieder weg, als wäre ihm nichts Auffälliges aufgefallen.

   Hat… hat er etwa schwarze Augen? Ich könnte schwören, dass seine Augen komplett schwarz sind, aber das kann doch nicht sein. Was sollten so viele Dämonen hier suchen?

    Die meisten Dämonen leben in ihrer Stadt Erenwin, oder in der unmittelbaren Umgebung, und Erenwin liegt ganz oben im Nordosten von Craydos. Unser Dorf hingegen liegt im Südwesten am Fuße des Pentra Agril Gebirge. Wir liegen im Einflussbereich der Elfen und Erenwin ist einige Wochen weit entfernt. Also was machen die hier alle?

    Einer der Dämonen, wenn ich mich nicht täusche und es wirklich welche sind, zerrt meine Mutter in die Mitte und schubst dabei eine andere Frau wieder zurück in die Reihe verängstigter Menschen.

    „Wenn du mich anlügst, nehmen wir dich mit!“, droht einer der Dämonen meiner Mutter. Verängstigt nickt meine Mutter ergeben.

    Am liebsten würde ich nach unten eilen, um ihr zu helfen, aber alleine komme ich nie gegen alle an. Wo ist denn der Typ von vorhin? Der könnte mir gewiss helfen, vermutlich ist er sogar ein Krieger, so wie er sich mir gegenüber verhalten hat. Aber natürlich ist er jetzt nicht mehr da. Seine eigene Haut ist ihm scheinbar wichtiger als die der Anderen.

    Ich habe gar keine Zeit, mich nach ihm umzusehen, da das Verhör jetzt erst richtig anfängt. „Hast du eine 17- jährige Tochter?“, donnert die Stimme über den Platz. Wieder nickt meine Mutter nur. „Ist sie auch wirklich deine Tochter?“

    Was sind das denn für Fragen, wundere ich mich noch, als die Antwort mich wie ein Schlag trifft.

    „Nein.“, antwortet meine Mutter mit zitternder Stimme. Soll das etwa heißen, dass ich adoptiert bin? „Hast du damals ein kleines Baby in einem Aschering gefunden und es aus einem dir unerfindlichen Grund Hayley genannt?“, geht es weiter.

    Angestrengt höre ich zu, vielleicht erfahre ich jetzt ja etwas über meine echten Eltern. Zitternd nickt meine Mutter erneut. Sie hat mich gefunden! In einem Ring aus Asche!

   „Wo ist sie?“, fragte der Mann im schwarzen Umhang. Suchend blickt sich meine Mutter mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht um. „Ich weiß… ich weiß es nicht. Bitte lassen sie mich gehen. Ich habe nichts Falsches getan und meine Tochter auch nicht.“ „Du hast sie verloren.“ Verärgert dreht er sich um und schimpft in die Richtung eines anderen Dämonen, woraufhin dieser dann mit einem angespannten Ausdruck im Gesicht vor tritt.

    Bevor ich es überhaupt richtig registriere, hat er ein langes Messer in der Hand und zieht es blitzschnell und sauber über den Hals meiner Mutter.

    Voller Schock und Panik schreie ich laut auf. Tränen laufen mir über die Wangen, auch wenn sie scheinbar gar nicht richtig mit mir verwandt war, so ist sie doch irgendwie meine Mutter. Sie ist die Frau, die mich großgezogen hat und die sich immer um mich gekümmert hat. Und jetzt ist sie tot. Das kann einfach nicht sein, das ist nicht wahr.

    Außerdem ist es allen Anschein nach meine Schuld, und ich kann nicht einmal sagen wieso.

    Ich kann meine Augen einfach nicht von dem toten Körper der Frau, die ich so sehr geliebt habe, abwenden, so gerne ich es auch tun würde.

    Nur nebenbei bemerke ich, wie die Dämonen sämtlichen Mädchen in meinem Alter das Oberteil weg zerren, um sich deren Rücken anzusehen. Sie untersuchen bei jeder Einzelnen die Stelle, an der sich auf meinem Rücken ein Tattoo befindet, das die Form von Feuer hat, und das sich über meinen ganzen Rücken zieht, eine Feuerranke. Das Tattoo, von dem ich nicht weiß, woher es kommt, und seit wann ich es habe.

   Das ist der endgültige Beweis, sie suchen mich und niemand Anderen. Sie haben meine Mutter nur wegen mir getötet, es ist alles meine Schuld.

    Am liebsten würde ich jetzt gleich auf der Stelle auch sterben, aber es hat einfach keinen Sinn. In eine innere Starre versunken lasse ich mich mit dem Rücken an der Wand hinunter gleiten, um die Leiche nicht noch länger sehen zu müssen. Der Anblick meiner toten Mutter ruft Übelkeit in mir hoch.

    Ich weiß nicht, wie lange ich dort so sitze und weine, aber auf einmal wird es merklich still. Hoffentlich sind die Dämonen wieder verschwunden, denn wenn ich noch einen sehe, wird das für einen von uns Beiden nicht gut ausgehen und das bin dann vermutlich ich.

    Nicht viel später werde ich von jemand in den Arm genommen und ich heule an dessen Schulter, bis alles durchnässt ist. Beruhigend streicht mir eine Hand über den Rücken, um mir Trost zu spenden.

    Sobald ich kurz aufsehe, bemerke ich, dass es der Mann ist, der mich vorhin gewarnt hat. Es ist mir völlig egal, solange er mich weiter weinen lässt, soll er hier bleiben, wenn er meint.

   „Komm schon, Hayley, wir müssen weg von hier. Sie werden wiederkommen, sie wollen dich um jeden Preis.“ Ich wehre mich nicht, als er mich hoch zieht. Ich wehre mich auch nicht als er mich behutsam aus dem Haus führt.

    Das ganze Dorf liegt verlassen und unheimlich still da. Die Meisten sind in ihren Häusern verschwunden, aber trotzdem sehe ich mich andauernd ängstlich um.

   Sobald wir das Dorf verlassen haben, sehe ich zwei friedlich grasende Pferde. Also war scheinbar von vorne herein klar, dass wir heute noch von hier verschwinden werden.

   Den restlichen Tag reiten wir zum Glück schweigend und mein Begleiter lässt mich in Frieden. Immer wieder fange ich, bei dem Gedanken an die heutigen Ereignisse zu weinen an, versuche dabei, es aber meinem Begleiter nicht merken zu lassen, auch wenn ich nicht glaube, dass es so richtig gut funktioniert.

   Am Abend zeichnet sich eine dünne, grüne Linie am Horizont ab. „Wir schaffen es heute nicht mehr bis zum Wald, lass uns einfach hier bleiben, es war ein langer Tag.“ Dagegen habe ich eindeutig nichts einzuwenden. Mein Hintern schmerzt von dem langen Ritt und ich falle eher vom Pferd, als dass ich absteige.

    Wie kann man sich nur so etwas antun? Und dann macht mein Begleiter das auch noch freiwillig! Ich lasse mich erschöpft in die Wiese fallen, und strecke seufzend meine Glieder von mir. Mir tut alles weh, sogar Stellen, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt.

   „Wie überlebst du das nur?“, frage ich mit echter Verzweiflung in der Stimme, denn im Gegensatz zu mir arbeitet er jetzt sogar noch. Er sattelt gerade die Pferde ab. Meins auch, was auch gut so ist, denn ich habe nicht vor, heute noch einmal aufzustehen.

    Meine Begleitung murmelt irgendetwas, das sich wie ‘immer noch gleich faul’ anhört.

    Ich reise jetzt schon einen halben Tag mit ihm und ich weiß immer noch gar nichts über seine Person. Ja nicht einmal seinen Namen kenne ich.

    „Also, da ich die nächste Zeit vermutlich mit dir verbringen darf, hätte ich gerne ein paar allgemeine Informationen über dich. Ich kenne dich nämlich gar nicht.“ Auch wenn es kein einziges Anzeichen gibt, so habe ich doch das Gefühl, dass er mich gerade auslacht. Doch er setzt sich nur zu mir und bereitet alles für ein kleines Feuer vor.

    „Was genau willst du denn wissen?“ „Als Erstes reicht mir mal dein Name.“ Es ist echt traurig, dass ich nichts über den Menschen weiß, der mich seit Ewigkeiten verfolgt und der mir vermutlich gerade das Leben gerettet hat.

    „Adrian. Ich bin Adrian.“ Oh. Der Name gefällt mir, er ist hübsch. „Und Alter?“ „Derzeit 18.“ Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass er noch so jung ist. Aber bisher habe ich ihn ja auch noch gar nicht richtig gesehen, schließlich trägt er immer noch seine tiefsitzende Kapuze.

    Aber 18. Das ist ja noch richtig jung. Er ist nur ein Jahr älter als ich, auch wenn es nicht so scheint. „Ich bin 17.“, sage ich. „Ich weiß!“, erwidert er trocken und wieder habe ich das seltsame Gefühl, dass er über mich lacht. Was hat er denn nur? Ich habe doch gar nichts falsch gemacht.

   „Kannst du vielleicht auch netterweise mal deine Kapuze abnehmen?“ Langsam aber sicher regt mich Adrian wirklich auf. Der meint allem Anschein nach, dass er etwas Besseres ist. Arsch!

    Zu meiner Verwunderung hört er allerdings sofort auf mich. Und sein Anblick haut mich um. Sein Gesicht ist ebenmäßig und leicht gebräunt. Seine Haare haben ein dunkles Braun, das mit einem leichten Rotstich versetzt ist. Und dann erst seine Augen. Die Augen sind von einem tiefen Goldton und wirken uralt, so als hätten sie schon so vieles mehr auf der Erde gesehen, als alle Anderen.

   „Sag mal, kann es sein, dass ich dich schon kenne? Du kommst mir so unglaublich bekannt vor, auch wenn ich nicht sagen kann woher.“

    Und da ist es wieder. Er lacht schon wieder über mich. „Du wirst es schon noch herausfinden. Ich habe eine Nachricht für dich, die dir hoffentlich alles erklären wird. Wir sind schon auf dem Weg nach Yelenah. Dort habe ich eine Freundin, die uns weiterhelfen wird.“

    Yelenah! Die Hauptstadt der Elfen. Ich bin noch nie aus unserem keinem Dorf herausgekommen. Ich hoffe, dass meine Mutter oder wer auch immer sie war, richtig beerdigt wird. Auch wenn sie scheinbar nicht meine leibliche Mutter war, so war sie doch immer für mich da, egal was passiert ist.

    Jetzt bemerke ich auch Adrians Blick auf mir. „Was?“ Die Frage kommt heftiger, als ich es ursprünglich wollte. Aber wenn er mich schon die ganze Zeit auslacht, dann darf ich ihn ja auch einmal ein bisschen anfahren.

    „Du brauchst Training, um wieder fit zu werden.“ Das ist jetzt nicht sein Ernst oder? „Willst du mir etwa gerade höflich mitteilen, dass ich fett bin?“ Ich genieße es, wie er erst verwirrt drein blickt und sich dann beeilt, mir zu widersprechen. „Nein, nein Hayley, ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Du brauchst Training. Du bist gar nicht fett.“ „Ich brauche gar nichts.“, erwidere ich spitz.

    Nur weil er mir hilft, höre ich nicht gleich auf alles, was er sagt. Ich werde ganz sicher nicht trainieren. Das kann er sich gleich hinter die Ohren schreiben. Und für was sollte ich denn Training brauchen?

    „Ich brauche etwas zum Schlafen.“, sage ich kleinlaut. Erst jetzt ist mir aufgefallen, dass ich nicht einfach auf dem Boden schlafen kann. Ich habe zwar gerade noch gesagt, dass ich nichts von ihm brauche, aber Schlafsachen gehören halt einfach nicht zu nichts.

    Zu allem Überfluss lächelt Adrian schon wieder vor sich hin. Das ist wirklich ärgerlich. Kann er sich denn nicht ein einziges Mal sein dämliches Grinsen verkneifen?

    Sobald ich eine Schlafrolle und eine Decke habe, lege ich mich schmollend hin. Demonstrativ drehe ich mich von Adrian weg und dabei kann ich schon fast spüren, wie er mich erneut auslacht.

    Es dauert lange, bis ich heute einschlafen kann, denn ich habe die ganze Zeit über das Gefühl, dass ich Adrians Blicke in meinem Rücken spüren kann.

    Ich renne über Dächer. Dabei bin ich mir sicher, dass ich von irgendwem oder irgendetwas verfolgt werde. Auf einmal steht vor mir, wie aus dem Nichts gewachsen, eine schwarze Gestalt, woraufhin ich meine Laufrichtung ändere.

   Es dauert auch nicht lange, bis ich von schwarz gekleideten Gestalten umzingelt bin.

   Einer der Schatten tritt vor und zieht ein kleines Fläschchen mit weißlicher Flüssigkeit aus seiner Tasche in seinem Umhang hervor. Aus einem mir unergründlichen Grund breitet sich Panik in meinem ganzen Körper aus und dieses kleine Fläschchen ist der Auslöser dafür.

   Plötzlich brennt alles um mich herum aus heiterem Himmel.

   Dann fahre ich schreiend aus dem Schlaf hoch. „Verdammt, Hayley, was ist denn los?“ Adrian scheint aufrichtig erschrocken zu sein.

   „Ich habe nur schlecht geträumt.“, antworte ich leise. Noch immer zittere ich am ganzen Körper vor Angst und Schrecken. Ich bin außerdem verschwitzt und der Schock sitzt mir noch in den Knochen.

    Schon seit ich denken kann, habe ich diese seltsamen Träume, bei denen ich entweder verbrenne oder ermordet werde, wobei Ersteres häufiger vorkommt. Und wie auch dieses Mal fahre ich auch sonst immer schreiend aus dem Schlaf hoch.

    „Komm her Hayley, du zitterst ja.“ Einladend deutet Adrian auf seine Schlafrolle. Ohne lange zu murren, krieche ich zu ihm und kuschle mich dann vorsichtig in seine Arme.

    Es fühlt sich seltsamerweise vertraut an, so da zu liegen und es geht mir auch gleich viel besser. Ich fühle mich beschützt und sicher. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so schamlos in die Arme eines Jungen kuschle, den ich noch nicht einmal richtig kenne.

    Ich rücke noch näher an Adrian heran und er legt seine Arme um meine Schultern. Das Zittern verschwindet und bevor ich es richtig merke, gleite ich in den Schlaf.

    Nach einem kurzen Frühstück brechen wir erneut auf. Adrian hat mir allerdings zuvor noch von seinen Plänen erzählt. Er will heute bis zum Wald kommen und dann dort nächtigen. Morgen sollten wir dann endlich in Yelenah ankommen, und je nachdem, wann wir da sind, besuchen wir dann noch seine mysteriöse Freundin oder suchen uns gleich ein Gasthaus für die Nacht.

   Wie auch schon gestern reiten wir größtenteils schweigend und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Meine handeln dabei meistens von meiner Mutter oder aber von meinem schmerzenden Hinterteil.

    Immer wieder blicke ich verstohlen zu Adrian, wenn er gerade nicht hinsieht. Er kommt mir so bekannt vor. Und auch wenn mich sein ständiges, zurückgehaltenes Gelächter nervt, so habe ich doch ein seltsames Gefühl in meinem Herzen, so als wüsste ich mehr über ihn, als es den Anschein hat.

   Und aus einem unerfindlichen Grund habe ich mich gleich auf den ersten Blick, nachdem er einmal seine Kapuze abgenommen hat, in ihn verguckt. Ich hoffe, dass er das niemals bemerkt, denn sonst lacht er mich nur wieder einmal aus, und darauf kann ich echt gut und gerne verzichten.

   „Was hast du eigentlich heute Nacht geträumt?“, unterbricht Adrian meine Gedanken. „Das ist jetzt aber irgendwie peinlich.“ „Das macht mir doch nichts aus. Erzähl einfach. Ich werde dich nicht auslachen.“

    Jaja. Ich verdrehe meine Augen, beginne dann aber doch zu erzählen: „Ich habe diese Träume schon seit ich denken kann. Im Grunde passiert eigentlich jedes Mal dasselbe: Ich sterbe. Aber meistens verbrenne ich, wenn ich gerade einmal nicht ermordet werde. Kurz bevor ich endgültig sterbe, wache ich dann jedes Mal schreiend auf.“

   „Das ist wirklich interessant.“ „Das ist doch nicht interessant! Das ist einfach nur gruselig. Wer stirbt denn fast jede Nacht in seinen Träumen? Niemand! Nur ich. Und außerdem habe ich wegen dieser Träume vor Feuer Angst.“

   Wenn das so weiter geht, dann geht Adrian mir irgendwann zu weit, und dann hat er endgültig ein riesiges Problem.

   „Das kann doch nicht sein, dass du ernsthaft vor Feuer Angst hast, oder?“, fragt er ungläubig. Der soll endlich seinen vorlauten Mund halten. Schließlich hat ja jeder vor etwas Angst. Na und?

   „Ich werde nicht mehr mit dir reden! Du lachst doch sowieso nur über mich.“ Beleidigt gebe ich meinem Pferd die Sporen und reite schnell davon.

    Aber natürlich, wie sollte es auch anders sein, bringt es mir nicht sonderlich viel, denn Adrian hat mich schon nach wenigen Minuten wieder eingeholt.

    „Jetzt komm schon, Hayley. Ich lache doch gar nicht über dich.“ Ja sicher, er lacht niemals über mich. Wer es glaubt, wird selig. Ich verdrehe die Augen, antworte ihm aber nicht.

    Nach einiger Zeit, die wir schweigend verbracht haben, fällt mir wieder ein, dass ich ja fast nichts über Adrian weiß. „Warum bist du eigentlich zu mir gekommen? Solltest du nicht lieber deiner Freundin nachlaufen? Und jetzt sag nicht, dass du keine Freundin hast, denn das glaube ich dir nie im Leben.“

   „Indirekt laufe ich ja meiner Freundin nach. Und du? Hast du einen Freund, der dich sucht und mich umbringen wird, wenn er herausfindet, dass ich dich entführt habe?“

   Schade! Er hat tatsächlich eine Freundin. „Ich habe keinen Freund, also keine Sorgen. Es hat zwar immer genügend Jungs gegeben, die auch an mir interessiert waren, aber ich hatte einfach das Gefühl, dass ich auf den Richtigen warten sollte. Und bevor du etwas sagst, ich weiß, dass das altmodisch ist, aber so bin ich nun einmal.", rechtfertige ich mich.

   Aus irgendeinem Grund scheint es so, als ob Adrian darüber froh wäre. Wie soll man nur jemals aus diesem Mann schlau werden?

   Gegen Mittag erreichen wir den Wald. Adrian erlaubt mir eine kurze Pause und ich genieße die Zeit, in der ich endlich nicht mehr auf dem Pferderücken sitzen muss. Ich hoffe, dass man sich ans Reiten gewöhnen kann, denn ich glaube nicht, dass ich sonst jemals wieder auf ein Pferd steigen kann, geschweige denn, dass mein Hinterteil diese Reise überlebt.

   Die Pause dauert viel zu kurz, da Adrian unbedingt wieder los will. Und bla bla bla…

   Am Abend haben wir den Wald immer noch nicht verlassen, allerdings lichtet er sich schön langsam. Wir schlagen unser Lager auf und dieses Mal helfe ich sogar ein bisschen mit, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wie man das macht. Und so ist es doch wieder Adrian, der alles machen muss.

    Zur Sicherheit lege ich mich am Abend wieder ganz nah an Adrian. Er mag zwar eine Freundin haben, trotzdem scheint er nichts dagegen zu haben, oder er ist einfach nur nett, da er gesehen hat, wie es sonst enden kann.

    Tatsächlich hilft es, in dieser Nacht habe ich keinen Albtraum.

   Als ich mich am Morgen strecke, bemerke ich, dass Adrian schon auf ist und sorgfältig die Pferde versorgt. Hat er eigentlich nichts zu tun?

   „Wir erreichen heute Yelenah. Da kannst du nicht so herumlaufen. Nicht weit von hier ist ein kleiner Bach. Am besten du wäscht dich ein bisschen.“ Er deutet vage in eine Richtung. „Hier sind auch noch frische Kleider.“ Er drückt mir einen Stapel Stoff in die Hand.

    Adrian hat Recht. Meine Kleider sind kaputt und um es einmal nett auszudrücken, ich verströme nicht gerade einen angenehmen Duft.

    Ich habe neben ihm geschlafen. Ich möchte gar nicht erst wissen, wie schlimm es für ihn gewesen sein musste. Warum hat er mich denn nicht früher darauf aufmerksam gemacht?

    Es dauert tatsächlich nicht lange und ich habe einen kleinen Bach gefunden. Dort breite ich am Uferrand meine neuen Kleider aus.

    Meine neue Montur besteht aus einer engen Lederhose, die eine Menge an Fächern für Messer oder andere Waffen aufweist und zu meinem Entsetzen ist jede dieser Taschen und Fächer gefüllt.

   Neugierig ziehe ich einen kleinen Dolch aus seiner Scheide. Der Dolch sieht hochwertig aus, aber auch schon gebraucht und zum Teil auch abgenutzt, auf jeden Fall aber ist er alt. Wem auch immer er gehört haben mag, derjenige hat ihn oft benutzt. Ich nehme ihn abwägend in meine Hand und zu meinem Erstaunen fühlt sich die Waffe seltsam vertraut an, obwohl ich noch nie Waffen hatte.

    Danach inspiziere ich auch noch die anderen Messer und Dolche. Im Prinzip sehen sie ja alle irgendwie gleich aus. Abgenutzt und alt, aber hochwertig. Und noch dazu hat jede einzelne Waffe eine kleine eingravierte Flamme am unteren Ende der Klinge. Vorsichtig, um mich nicht zu verletzten, stecke ich die Waffen wieder zurück in die Hose.

   Dann ist auch noch ein schwarzes Top unter den Kleidern, das nicht unbedingt einen züchtigen Ausschnitt besitzt.

   Das Ganze wird von einer Lederjacke, ebenfalls in schwarz, abgerundet. Auch in der Jacke finde ich wieder übertrieben viele Dolche und Messer und auch diese haben dieselbe, hübsch aussehende Flammengravur.  

   Zwischen den Kleidern finde ich auch noch ein Stück Seife, das mich an den Grund erinnert, weshalb ich überhaupt an diesen kleinen Bach gekommen bin.

   Schnell wasche ich mich, da das Wasser nicht gerade angenehm ist, um nicht zu sagen eiskalt.

    Als ich die Klamotten anziehe, bemerke ich, dass sie wie angegossen passen, als wäre jedes einzelne Stück davon extra für mich gemacht. Meine alten Kleider werfe ich einfach weg, denn die sind eindeutig nicht mehr zu retten.

    Ich drehe mich schon zum Zurückgehen um, als ich gerade noch etwas im Gras glitzern sehe. Ich bücke mich und hebe ein altes, goldenes Amulett auf, es muss bei den Kleidern gewesen sein und ist dann runtergefallen.

   Vorsichtig öffne ich es und finde eine Zeichnung von zwei glücklich aussehenden Personen vor. Erschreckenderweise haben beide eine große Ähnlichkeit mit mir. Ich werde später Adrian fragen müssen, was es mit dem Amulett auf sich hat, er wird mir bestimmt weiterhelfen können, wenn es doch von ihm kommt.

    Ich hänge es mir einfach um den Hals und gehe dann wieder zurück zu unserem Lager.

   „Sag mal, kann es sein, dass du mir die Klamotten einer Assassinin gegeben hast?“, frage ich Adrian. Mittlerweile habe ich herausgefunden, wie viele Waffen ich doch jetzt tatsächlich an meinem Körper trage.

   Es sind zwei größere Messer, die je an einem Oberschenkel angebracht sind. Im Hosenbund stecken dann noch drei Messer. Zwei Wurfmesser, wie ich vermute, keine Ahnung, woher diese Vermutung kommt, und ein kleiner Dolch. In der Jacke ist ebenfalls ein Dolch, der unter der Achsel befestigt ist, damit er von meinem Arm verdeckt wird. Und dann sind da zusätzlich vier Messer, die in den Saum eingearbeitet wurden. Also trage ich jetzt mindestens zehn Waffen mit mir herum. Wer bitte braucht so etwas?

   „Das sind deine Kleider und nicht die irgendeiner beliebigen Assassinin.“ Aha, das erklärt das Ganze natürlich überaus detailliert. „Ich hoffe doch, dass dir klar ist, dass ich nichts davon benutzen kann geschweige denn damit umzugehen weiß. Ich hatte nie solchen Unterricht. Bis jetzt war das auch nicht nötig.“, erkläre ich Adrian. So wie er aussieht kann er bestimmt jede einzelne davon tödlich einsetzen.

    „Das macht rein gar nichts, du brauchst nur wieder ein bisschen Training, dann kommst du schon wieder hinein. Wenn du endlich über alles Bescheid weißt, dann können wir damit anfangen. Du wirst erstaunt sein, wie gut du alles immer noch kannst.“

    „Von wegen ‚immer noch‘. ‚Nie‘ trifft es wohl besser.“, murmle ich. „Ich möchte mich ja wirklich nicht beschweren, aber ich habe keine Schuhe.“ „Die sind gleich hier.“ Adrian zeigt auf ein Paar schwarze Stiefel. Auch diese passen mir genau und wie man es nicht anders vermuten kann, steckt auch hier wieder je ein Messer.

    „Hier, ich habe da noch etwas für dich.“ Adrian reicht mir einen kleinen Haufen Stoff. Bei genauerem Hinsehen bemerke ich, dass es Handschuhe sind. Ich streife meine Jacke ab und ziehe die überraschenderweise wirklich hübschen Handschuhe an.

    Auch sie sind natürlich schwarz. Sie reichen mir bis zur Hälfte meines Unterarms und wie erwartet, ist auch hier bei dem Rechten ein schmales Messer. Zusätzlich haben die Handschuhe keine Finger, vermutlich um einen besseren Halt bei all den Waffen zu haben.

    Zuletzt reicht mir Adrian noch einen feuerroten Umhang mit einer weiten Kapuze. Jetzt fühle ich mich eindeutig wie eine Verbrecherin. Wer rennt denn bitte so in der Gegend herum?

   Adrian und jetzt auch noch ich. Ich frage mich, ob er auch nur so vor Waffen strotzt. Wenn ja, dann habe ich davon noch nicht so viel mitbekommen. Aber er wird mich wohl kaum so ausstatten, wenn er selber nicht genauso viele hat.

    „Ich weiß, was du dich jetzt fragst, und um deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe eine Menge Waffen bei mir. Lass uns weiterreiten, wir haben nicht viel Zeit.“

    Stöhnend setze ich mich wieder auf mein Pferd. Muss das ewig so weitergehen? Wie kann man denn nur so leben?

    Wir treffen schließlich erst am späten Abend in Yelenah ein, also haben wir wohl keine Zeit mehr für Adrians kleine Freundin.

    Außerdem bin ich jetzt froh über die Kleider, die ich trage, denn zu meiner Überraschung bin ich nicht die Einzige, die so gekleidet ist. Allerdings begegnen wir auch hauptsächlich Elfen, was ich an den spitzen Ohren erkennen kann.

    Yelenah ist eine wunderschöne Stadt, die zum größten Teil aus hohen, weiß glitzernden Türmen besteht. Nicht umsonst heißt es ‚die Türme von Yelenah‘. Irgendwie kommen mir die Türme bekannt vor, aber ich wüsste nicht woher, da ich mein Heimatdorf nie richtig verlassen habe.

    Ich sehe mich staunend um, während mich Adrian leicht genervt weiterzieht. Als ob es selbstverständlich wäre, mietet er für uns in dem Gasthaus nur ein Zimmer. Der hat ja ein ganz schönes Selbstbewusstsein.

    „Was würdest du tun, wenn ich dir jetzt sage, dass ich ein eigenes Zimmer haben will?“ Ich weiß nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund macht es mir unglaublich viel Spaß, Adrian zu ärgern.

    „Dann hast du Pech gehabt. Du schläfst hier bei mir und aus.“ „Aber dir ist schon klar, dass hier nur ein Bett steht, oder?“ Es mag zwar nur ein Bett sein, aber eigentlich habe ich kein Problem damit, es mir mit Adrian zu teilen. Ganz im Gegenteil.

    „Und? Es ist doch ein Doppelbett.“ „Genau, du sagst es EIN Bett.“

    „Ach komm schon Hayley, ich kenne dich. Ich weiß ganz genau, dass es dir Spaß macht, mit mir zu diskutieren. Wir haben schon auf weitaus weniger Platz geschlafen. Also stell dich nicht so an.“

   Warum macht es mir immer noch Spaß, auch wenn er ganz genau weiß, was ich hier gerade abziehe? Was ist an Adrian so besonders, dass ich es einfach nicht lassen kann?

   Wenn er mich nicht die ganze Zeit über auslachen würde, dann bin ich mir sicher, dass ich ihn schon geküsst hätte, auch wenn ich normalerweise nicht so ein Mädchen bin und er eine Freundin hat. Aber ich kann sie schließlich auch hier nirgends sehen.

    Adrian ist am Morgen eindeutig in Eile und er lässt mich nicht einmal etwas zum Frühstück essen. Mistkerl! Während ich wieder meine Kleider samt aller Waffen anlege, drängt er mich andauernd.

   „Was ist denn los? Wieso hetzt du mich so? Ich will etwas essen.“, beschwere ich mich schließlich. „Stell dich nicht so an, Hayley, wir können unterwegs etwas zu essen besorgen.“

   „Und wieso genau müssen wir uns so beeilen?“ „Wir haben jetzt ein Treffen mit Alyss.“ Wieso tut Adrian so, als wüsste ich, was wir jetzt tun und wer Alyss ist? Ich kenn hier niemanden, von Adrian einmal abgesehen.

   „Alyss?“ Genervt verdreht Adrian die Augen. „Meine Freundin, von der ich dir neulich erzählt habe.“ „Ach so, die Freundin, der du gerade hinterher läufst. Ja, das hast du in der Tat erwähnt. Ist sie nicht sauer, wenn du bei ihr mit mir auftauchst?“

   „Mensch, Hayley. Nicht die Freundin sondern eine Freundin. Die, die einen Brief für dich hat. Das habe ich dir doch erzählt.“

    Aus einem undefinierbaren Grund mache ich geistige Freudensprünge. Sie ist nicht seine Freundin.

    „Komm gehen wir, Hayley. Ich mag Städte nicht.“

    Es dauert nicht lang und schon weiß ich, wieso er Städte nicht ausstehen kann. Andauernd dreht er sich um, als ob er befürchten würde, dass uns jemand verfolgt. Ich hoffe doch, dass es nicht die schwarzen Gestalten sind.

    Seine ständige Paranoia färbt nach einiger Zeit auch auf mich ab. Ich merke, wie ich mich immer wieder umdrehe, um die Menge hinter mir zu studieren. Zum Glück kann ich aber niemanden Auffälligen entdecken, vorausgesetzt wir suchen tatsächlich die schwarzen Gestalten und niemanden Anderen.

    Wie Adrian mir versprochen hat, bleiben wir tatsächlich kurz an einem Stand stehen und besorgen uns endlich etwas zu essen. Ich habe einen Bärenhunger, also verschlinge ich meine Portion und klaue mir dann noch was von Adrian, was ihm zum Glück auch nichts aus ausmacht.

    „Gefräßig wie eh und je.“, sagt er. Und da ist es wieder. Nichts hat sich geändert, er lacht immer noch über mich.