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Originalausgabe

1. Auflage 2020

Verlag Komplett-Media GmbH

2020, München

www.komplett-media.de


ISBN E-Book: 978-3-8312-7028-6

ISBN Print: 978-3-8312-0550-9


Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg

Umschlaggestaltung: Christian Hundertmark (C100 Studio) www.c100studio.com

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern


Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Inhalt

Menschen und Außerirdische

Der Blick nach oben

Der Umbruch durch Galilei & Co.

Die Philosophen und das All

Die moderne Science-Fiction

Die Außerirdischen als Spiegel

Die Rolle der Exosoziologie

Die Idee einer Exosoziologie

Die Aufgaben und Ziele der Exosoziologie

Die zwei Säulen der Exosoziologie

Wissenschaftliche Zukunftsforschung

Soziologie der Fremdheit

Die fünf zentralen Fragen der Exosoziologie

Was weiß die Wissenschaft über die Verbreitung von Leben und Intelligenz?

Die Menschen greifen nach den Sternen

Drake-Faktor 1: Die Sternentstehungsrate

Drake-Faktor 2: Wie viele Planeten gibt es in der Milchstraße?

Drake-Faktor 3: Planeten in der habitablen Zone

Drake-Faktor 4: Planeten, auf denen Leben existiert

Drake-Faktor 5: Wie entsteht intelligentes Leben?

Drake-Faktor 6: Wollen die Außer­irdischen überhaupt mit uns reden?

Drake-Faktor 7: Wie lange leben außerirdische Zivilisationen?

Wo sind sie?

Wie können wir die anderen finden? Oder sie uns …

SETI – Idee und Geschichte

Das Wow-Signal

Wenn der Mensch sich zu wichtig nimmt

Ohne Augen, ohne Sinn?

Fazit

SETA – Die Suche nach außerirdischen Artefakten

SETA und das Fermi-Paradoxon

Fazit

Rufe im dunklen Wald

»Seid doch mal leise!«

DIE FOLGEN DES ERST­KONTAKTS – DREI SZENARIEN

Die Szenarioanalyse

Kennzahlen bei einem Erstkontakt

Wie gehen wir vor?

Das Signalszenario

Die Situation

Die Folgen

Fiktion: Was wäre, wenn …

Die Bewertung

Das Artefaktszenario

Die Situation

Die Folgen

Fiktion: Was wäre, wenn …

Die Bewertung

Das Begegnungsszenario

Die Situation

Die Folgen

Fiktion: Was wäre, wenn …

Die Bewertung

Die Kontaktszenarien im Vergleich

Wie können wir uns auf den Erstkontakt vorbereiten?

Sind wir bereit? Eher nicht …

Unser Bild der Außerirdischen ist allzu sehr von unserem »menschlichen Blick« geprägt

Wir können kaum mit nichtmenschlichen Wesen kommunizieren

Das Problem des Erstkontakts wird von der Politik ignoriert

Es gibt keine internationalen Regeln, wie man mit Außerirdischen umgehen soll

Wir haben keine Kontaktzone fernab der Erde

Was die Wissenschaft vorschlägt

Wie lassen sich negative Folgen eines Erstkontakts klein halten?

Verringerung der Wahrscheinlichkeit

Geheimhaltung

Krisenkommunikation

Sicherheitsvorkehrungen

Fünf Leitsätze, damit wir besser auf den Erstkontakt vorbereitet sind

Proto­Soziologie außer­irdischer ­Zivilisationen

Die Exosoziologie als Protosoziologie

Postbiologische Sekundärzivilisationen

Biologische Primärzivilisationen

Besonderheiten technologischer Zivilisationen

Sonderfall: Hybride Zivilisationen

Die Aufgaben der Exosoziologie nach dem Erstkontakt

Anhang

Thematisch empfehlenswerte Science-Fiction-Filme

Literatur

Über die Autoren

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Menschen
und Außerirdische


Der Blick nach oben

Seit es Menschen gibt, blicken sie in den Himmel. In die Sterne, auf den Mond, in die Weiten des Alls. Seit es Menschen gibt, fantasieren sie auch darüber, was da draußen wohl sein könnte. Gott natürlich, dachten sie meist, oder auch Götter. Oder aber andere, fremde Lebewesen. Mondbewohner, Marsmenschen. Schon in der Steinzeit gab es eine Art Astronomie, die die Basis dafür war, dass die Gestirne kultisch verehrt wurden, aber auch für das erste Wissen über die Jahreszeiten. Ebenso existierten damals schon verschiedene Kalendersysteme, die auf Beobachtungen des Himmels basierten. Die Steinzeitmenschen richteten viele ihrer Grabanlagen und Kultstätten nach astronomischen Beobachtungen aus, das beweisen so beeindruckende Stätten wie Stonehenge in Südengland. Diese und andere prähistorische Anlagen belegen, wie wichtig das Geschehen am Himmel für das alltägliche Leben bereits ganz früher Kulturen war.

Sonne, Mond, Sterne und Planeten wurden ob ihrer Schönheit und Unfassbarkeit von Anfang an mit Göttern und Gottheiten, also mit überirdischen und nicht fassbaren Wesen assoziiert. Daneben gab es aber auch sehr früh schon Gedanken an fassbares außerirdisches Leben. Die alten Griechen waren hier (wie in so vielen Bereichen) quasi Vorreiter. Schon in den »Orphischen Gesängen« aus dem fünften und sechsten Jahrhundert vor Christus wird von Bergen, Städten und stolzen Gebäuden auf dem Mond erzählt. Etwa gleichzeitig lehrten Xenophanes von Kolophon (geb. um 580/570 v. Chr.) und Philolaos von Kroton (470–385 v. Chr.), dass der Mond durchaus bewohnbar sei. Man komme halt nur nicht hin. Auch Demokrit (460–370 v. Chr.), der vor allem durch seine Beschreibung des Atoms bekannt wurde, hatte schon eine klare Vorstellung von anderen Welten und dem möglichen Leben darauf.

Ein anderer alter Grieche, Plutarch nämlich, der aber erst viel später geboren wurde, etwa 45 nach Christus, besah sich den Mond schon genauer. Er verfasste das Werk »De facie in orbe lunae« (»Das Mondgesicht«), in dem er über den Mond, seine Oberfläche und seine möglichen Bewohner spekulierte. Die im Buch genannten »Gesichtskonturen« beschrieb Plutarch zutreffend als Täler und Gebirge, und er vermutete, dass der Mond dann ähnlich wie die Erde beschaffen sein müsse. Das war seinerzeit durchaus revolutionär, denn die damalige Lehrmeinung besagte, dass der Mond aus verdichtetem Äther, also einer Art Himmelssubstanz, einem fünften Element besteht. Und wenn es dort Berge und Täler gibt, die Oberfläche also der Erde gleicht, dann, so folgerte der Gelehrte, müsse es dort auch Leben geben: »Man müsste ja glauben, er sei ohne Zweck und Sinn geschaffen, wenn er nicht Früchte hervorbringt, Menschen einen Wohnsitz bietet, ihre Geburt und Ernährung ermöglicht, Dinge, um derentwillen nach unserer Überzeugung auch unsere Erde geschaffen ist.«1

Der Umbruch durch Galilei & Co.

Im Mittelalter spielte das Nachdenken über außerirdisches Leben kaum eine Rolle. In dem von Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Ptolemäus (geb. um 100 n. Chr.) geprägten Weltbild des Mittelalters befand sich die Erde in der Mitte des Universums. Um sie herum waren verschiedene Sphären angeordnet, die auch die Planeten trugen. In der äußersten, nicht mehr sichtbaren Sphäre wurde der Sitz Gottes angenommen. Diese Kosmologie war eine festgefügte Ordnung, in der alles seinen Platz hatte. Außerirdische kamen in ihr nicht vor. Über Jahrhunderte gab es kaum Bemühungen, sie zu hinterfragen, zu ergänzen oder durch Beobachtungen zu relativieren. Die Astronomie galt als abgeschlossene Wissenschaft, in der es nichts Neues zu entdecken gab.

Erst mit den geistigen Umbrüchen zu Beginn der Renaissance um das Jahr 1500 wurden die Gedanken an außerirdisches Leben wieder aktuell. Man kam in jener Zeit langsam dahinter, dass das geozentrische Weltbild, also dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht und sich alles um sie dreht, nicht korrekt sein kann. Es begann die Zeit von Wissenschaftlern und Philosophen wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Galileo Galilei (1564–1642) oder Johannes Kepler (1571–1630). Es erschienen erste utopische Romane von Francis Godwin (1562–1633) oder John Wilkins (1614–1672), die außerirdische Welten und ihre Bewohnbarkeit thematisierten.

Nikolaus von Kues (1401–1464) schreibt in seinem Werk »De docta ignorantia« (»Die belehrte Unwissenheit«) aus dem Jahr 1440, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht und sich entgegen der sinnlichen Wahrnehmung nicht in Ruhe, sondern in Bewegung befindet.

Von Kues war außerdem davon überzeugt, dass unsere Erde nicht die einzige, sondern nur eine von unzähligen Welten in einem unbegrenzten Universum sei. Daraus schloss er, dass auch Leben anderswo möglich sein müsse, vielleicht sogar höher entwickeltes als auf der Erde. Wenngleich das bei ihm dann aus heutiger Sicht doch recht drollig klingt, wenn er etwa schreibt, dass es »in der Sonnenregion mehr sonnenhafte, klarsichtige und erleuchtete geistbegabte Bewohner« gebe, in jedem Fall »geistiger auch als auf dem Mond, wo sie mehr mondhaft sind«, das Leben auf der Erde hingegen eher »materiebehaftet und dumpf«2 sei. Nun, was die Erdenbewohner betrifft, so könnte man so böse sein und sagen, er habe sie für damals wie für heute zutreffend analysiert, die Existenz von Sonnenbewohnern mutet aus heutiger Sicht aber natürlich kurios an. Aber ansonsten hatte bereits Nikolaus von Kues erstaunlich klarsichtige und richtige Gedanken.

Über 100 Jahre später, in seiner Schrift »De immenso« (»Das Unermessliche und Unzählbare«) von 1591, schloss sich der italienische Philosoph und Astronom Giordano Bruno (1548–1600) dem Gedanken an, dass es im Universum unzählige bewohnte Welten geben müsse. Auch er war seiner Zeit weit voraus, was er schließlich mit dem Leben bezahlen musste. Bruno vermutete ebenso ein unendliches Universum mit unzähligen Welten. Raum und Naturgesetze waren für ihn universell, also überall gleich, woraus er folgerte, dass es auch auf anderen Planeten Leben geben müsse. Schließlich hatten ja alle die gleichen Grundbedingungen. Je nach den Umständen würden sich diese Grundstoffe aber immer anders zusammensetzen und damit für unterschiedlichste Ausprägungen und Formen sorgen.

Damit war Bruno schon recht nah an den Gedanken und Theorien der heutigen Astrobiologie, allerdings nicht an denen der damals allzu mächtigen Kirche. Viele Lebensformen in unzähligen Welten – das war nicht mit dem Bild vom gottgemachten Menschen zu vereinbaren. Ein Jahr, nachdem er seine Theorien veröffentlicht hatte, wurde er von der Inquisition verhaftet, zum Widerruf aufgefordert, den er verweigerte, und nach acht Jahren Kerkerhaft schließlich am 17. Februar 1600 auf dem Campo de’ Fiori in Rom wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Galileo Galilei war ein Zeitgenosse Brunos und bekanntermaßen ebenfalls im Konflikt mit der Kirche. Der Universalgelehrte betrachtete den Mond durch Fernrohre und erkannte dabei dessen raue Strukturen, Ebenen und Vertiefungen, was ihn an die Erdoberfläche erinnerte und darüber spekulieren ließ, ob dort Leben existieren könne. Klar war für ihn, dass sich das Leben auf dem Mond, sofern vorhanden, wegen der völlig anderen Umweltbedingungen stark vom Leben auf der Erde unterscheiden müsse.

Auch der in Weil der Stadt am Rhein geborene Astronom Johannes Kepler war dieser Ansicht, ging aber noch weiter. Zwar mischte er in seiner Erzählung »Somnium – seu opus posthumum de astronomia lunari« (1634 posthum erschienen) rein astronomische Überlegungen mit Gesellschaftsutopien und auch magischen Elementen. Dennoch gilt sie als erstes wissenschaftliches Werk über vergleichende Himmelskörperkunde. Kepler interpretierte die Strukturen auf der Oberfläche des Mondes als gigantische Bauwerke, die von den Mondbewohnern errichtet worden waren, um sich vor den Sonnenstrahlen, aber auch vor Feinden zu schützen. Und weil die Bauwerke so groß seien, schloss er, müsse der durchschnittliche Mondbewohner auch wesentlich größer sein als der Erdenmensch. In jedem Fall aber schlangenförmig, wie er schrieb.

Auch bei der Beschreibung des Alltags eines Mondwesens war Kepler recht fantasievoll. Ähnlich wie Eidechsen würden sie nämlich »zu ihrem Vergnügen« in der Sonne liegen, ganz in der Nähe ihrer Höhlen, um sich schnell verkriechen zu können. Kepler weiter: »Scharenweise durchqueren die Mondgeschöpfe während eines einzigen ihrer Tage ihre ganze Welt, indem sie theils zu Fuss, mit Beinen ausgerüstet, die länger sind als unsere Kameele, theils mit Flügeln, theils zu Schiff den zurückweichenden Wassern folgen.«3

Was sowohl Kepler wie auch von Kues, Bruno und Galileo trotz mehr oder weniger ausgeprägter Fantasie und trotz der Widerstände seitens der Kirche gelang: Sie lenkten den Blick von der Erde weg ins Universum, schufen ein neues Bewusstsein und weiteten den geistigen Horizont der damaligen Menschheit aus. Sie bereiteten damit den Weg für die moderne Astronomie. Und sie inspirierten Schriftsteller zu einem neuen literarischen Genre: der Science-Fiction. Die bereits angesprochenen Schriften von Godwin und Wilkens waren nur die ersten bekannteren Werke dieses neuen Genres, denen noch viele weitere folgen sollten. Bis hin zu Jules Verne (1828–1905), dessen »Reise zum Mond« von 1870 wesentlich von den Gedanken der Gelehrten aus der Renaissance beeinflusst war. Jules Verne wiederum prägte frühe Raumfahrtpioniere wie Hermann Oberth, Rudolf Nebel oder Wernher von Braun, die die uralte menschliche Fantasie einer Reise zum Mond schließlich wahr werden ließen.

Die Philosophen und das All

Kepler, Bruno oder Galilei setzten sich vor allem mit astronomischen Beobachtungen und Gedanken auseinander, doch auch in der Philosophie wurde das Thema außerirdisches Leben ab dem 17. Jahrhundert wieder stärker aufgegriffen.

Der Brite John Locke (1632–1704) war Arzt und Philosoph und einer der ersten großen Vordenker der Aufklärung, mit der überkommene gesellschaftliche Strukturen überwunden werden sollten und menschliche Vernunft und Fortschritt in den Mittelpunkt des Denkens gestellt wurden. Für Locke stand fest, dass es außerirdisches Leben gibt, auch Formen, die dem Menschen überlegen sind. Im Jahr 1690 schrieb er zum Beispiel: »Wie viel verschiedene Arten von Pflanzen, Tieren und vernunftbegabten körperlichen Wesen, die von denen hier auf unserem Flecken Erde unendlich verschieden sein können, mögen voraussichtlich auf den übrigen Planeten existieren!«4

Dieser Enthusiasmus verwundert, da Locke ansonsten den Standpunkt hatte, dass Erkenntnissen immer sinnliche Erfahrungen vorausgehen müssten. Natürlich war ihm klar, dass die sinnliche Erfahrung außerirdischer Wesen nicht möglich sein würde, »solange wir an die Erde gefesselt sind«,5 wie er weiter schreibt. Aber, fand Locke, da das Universum gigantisch sei, das Leben auf der Erde mannigfaltig und die Macht und die Weisheit Gottes unerschöpflich, da wäre es doch anmaßend, davon auszugehen, dass die Erde der einzige bewohnte Planet und die Menschheit die höchst entwickelte Lebensform sei.

Auch bei dem Niederländer Christiaan Huygens (1629–1695) spielte Gott eine wichtige Rolle bei seinen Überlegungen zu außerirdischem Leben. Der Astronom und Mathematiker gilt als Begründer der Wellentheorie des Lichts und konstruierte die ersten Pendeluhren. Er beschäftigte sich außerdem intensiv mit dem Sonnensystem. 1698, drei Jahre nach seinem Tod, erschien seine Abhandlung »Cosmotheoros«.

Zunächst zu Gott: Huygens fand es unsinnig, dass Gott Planeten erschaffen haben sollte, ohne dass darauf auch Leben zu finden sei, welches wiederum diese Schöpfung bewundern könne. Ergo ging er davon aus, dass es unzählige Formen außerirdischen Lebens geben müsse, und das bereits in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, je nach den Bedingungen des jeweiligen Planeten (oder den Bedingungen, die man sich seinerzeit eben ausmalte). Demzufolge müssten Tiere auf dem Jupiter oder dem Saturn ob deren Größe um ein Zehn- oder Fünfzehnfaches größer sein als Elefanten. Auch höher entwickelte Lebewesen gäbe es dort, die sich wiederum mit Astronomie, Kunst oder Mathematik befassten, die Häuser, Paläste und Pyramiden bauten. So wie die Erdenmenschen eben auch, nur vielleicht noch größer und noch prächtiger. Wie John Locke war also auch Huygens überzeugt, dass der Mensch ganz und gar nicht die am höchsten entwickelte Spezies im Universum sein müsse.6

Ein paar Jahrzehnte später befasste sich auch Immanuel Kant (1724–1804) außerordentlich intensiv mit dem Thema außerirdisches Leben. Nicht nur gelegentlich oder aus einer Laune heraus, das Thema begleitete und fesselte ihn vielmehr sein ganzes Leben lang. Immer wieder hatte er Gedanken und Ideen dazu. Kant ging ebenso davon aus, dass es viele bewohnte Planeten gibt. Seine Idee war, dass ein Planet, der weit von seiner Sonne entfernt ist, aus leichterem Stoff zusammengesetzt sei. Das hätte zur Folge, dass dessen Bewohner aus beweglicherer und feinerer Materie bestehen und sie somit einen vollkommeneren Geist haben müssten. Ergo seien die Bewohner von Merkur und Venus den Erdmenschen geistig unterlegen, die Jupiterianer und die Saturnianer aber den Menschen geistig überlegen.7 Und auch wenn man sie aufgrund der Entfernung nie treffen würde, so seien sie doch prinzipiell sinnlich für den Menschen erfahrbar. Kant ging davon aus, dass ihre Existenz empirisch nachweisbar sein müsste.

Generell lässt sich sagen, dass die Tatsache, dass sich einige der bedeutendsten Naturwissenschaftler und Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts der Frage nach der Möglichkeit außerirdischen Lebens gewidmet haben, einerseits als eine Hommage an ihre antiken Vordenker verstanden werden kann. Andererseits wurden diese Gedanken erst möglich durch die geistige Öffnung im Zuge der Renaissance und der Aufklärung, die die Wissenschaften von dogmatischem Denken befreite und damit den Weg zur modernen Wissenschaft ebnete.

Die moderne Science-Fiction

Ab Ende des 19. Jahrhunderts beeinflusste die immer rasantere technische Entwicklung auch das Nachdenken über Außerirdische. Der Glaube an Fortschritt und Wissenschaft war immens, technologische Entwicklungen wie die Elektrizität, das Automobil oder das Telefon wurden von vielen als Wunder aufgefasst und schraubten Erwartungen und Hoffnungen der Menschen im wahrsten Wortsinne in den Himmel.

Andererseits gab es berechtigte und auch irrationale Ängste vor einer Welt, in der sich der Mensch immer mehr zum Sklaven der Technik macht. Der modernen Technik wurde zugetraut, dass mit ihr utopische Gesellschaften verwirklicht, aber auf der anderen Seite auch die gesamte Menschheit vernichtet werden könnte. Dieses ambivalente Verhältnis zum technischen Fortschritt war und ist ein zentrales Motiv der Literaturgattung Science-Fiction, wo all diese Hoffnungen und Ängste auch auf fiktionale Außerirdische projiziert werden. Die Gattung erlebte in dieser Zeit ihren ersten Boom, nicht allein wegen des schon erwähnten Jules Verne.

Besonders beliebt ist das Motiv von technisch überlegenen Außerirdischen, die sich kriegerisch gegen die Erde und die Menschheit richten. Allen voran ist hier »Krieg der Welten« von H. G. Wells (1866–1946) aus dem Jahr 1898 zu nennen. Die Geschichte sorgte schon bei ihrer ersten Veröffentlichung für reichlich Aufsehen (1901 erschien auch eine deutsche Übersetzung), und dann noch einmal, als der Filmregisseur Orson Welles, inspiriert durch H. G. Wells’ Romanvorlage, am 30. Oktober 1938 ein Hörspiel für das Radio produzierte. Es war so realistisch gemacht, dass nicht wenige Radiohörer es für die Nachrichtensendung zu einer tatsächlichen Invasion von Marsianern hielten.

Der Stoff wurde außerdem einige Male verfilmt, zum Beispiel im Jahr 2005 von Regisseur Steven Spielberg mit Tom Cruise in der Hauptrolle. Die Story ist einfach: Die deutlich höher entwickelten Marsianer überfallen die Erde, um deren Rohstoffe auszubeuten. Sie tun das mit mitgebrachten dreibeinigen Kampfmaschinen, sogenannten Tripods, die auf die Menschen monströs und unheimlich wirken. Kaum auf der Erde gelandet, zerstören die Marsianer Städte, Straßen und Kommunikationsnetze. Die Menschen sind in allen Belangen unterlegen. Sie rettet schließlich der Zufall und ein sehr, sehr kleiner Verbündeter: Irdische Bakterien befallen die außerirdischen Invasoren und töten sie.

Dass die Invasoren vom Mars kommen, ist kein Zufall. Um die Jahrhundertwerde gab es in der Science-Fiction-Literatur, aber auch in der Wissenschaft, einen regelrechten »Marsboom« und die westliche Welt war fasziniert von der Vorstellung, dass der Mars Leben – vielleicht sogar intelligentes Leben – beherbergen könnte.

Angestoßen hatte den Boom der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli (1835–1910), der 1877 die sogenannten Marskanäle entdeckte. Also geologische Strukturen, Canyons oder Abstufungen im Gelände auf der Oberfläche des Planeten. Schiaparellis französischer Kollege Nicolas Camille Flammarion (1842–1925) entwickelte daraufhin eine beachtliche Fantasie und verfasste 1892 das Buch »La Planète Mars«, in dem er schrieb, diese Kanäle seien von einer hoch entwickelten Kultur erbaut worden. Die Bücher – 1909 erschien sogar noch ein zweiter Teil – fanden reißenden Absatz. Auch wenn die meisten der Kanäle mittlerweile als natürliche Strukturen und optische Täuschungen entlarvt waren. Die Begeisterung für das (und der Grusel vor dem) Leben auf dem Mars war nicht mehr aufzuhalten.

Dass die vom US-amerikanischen Sender CBS ausgestrahlte Radiosendung »Krieg der Welten« von Orson Welles für so große Furore sorgte, hat auch mit der Machart zu tun. Welles ließ einen Reporter die Einzelheiten und Vorgänge der Invasion schildern, es wirkte wie die Berichterstattung von einem realen Ereignis. Andere aktuelle Informationsmöglichkeiten gab es damals nicht, was die Sache so brisant machte. Zwar gab es vor und während der Sendung entsprechende Hinweise, die aber offensichtlich viele Hörer nicht mitbekamen. Viele hielten die Alien-Invasion für echt und gerieten in Panik. Es gab keine Massenpanik, wie später mitunter kolportiert wurde, aber es war doch einiges los: Bei manchen Polizeistationen brachen in jener Nacht die Telefonleitungen zusammen, verängstigte Menschen liefen auf den Straßen herum und schützten sich mit feuchten Tüchern im Gesicht vor dem Giftgas der Marsianer. Einige besonders eifrige Männer erkundigten sich danach, wie und wo man sich dem bewaffneten Widerstand anschließen könne.8

Sowohl H. G. Wells’ Romanvorlage als auch die Radiosendung zu »Krieg der Welten« aus dem Jahr 1938 verweisen auf bemerkenswerte Entwicklungen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Menschen und Außerirdischen: Der Roman steht für die Tendenz in der Science-Fiction-Literatur, die Außerirdischen immer mehr als handelnde Akteure zu beschreiben, die mit den Menschen kommunizieren und interagieren. Sie haben Ziele und Motive, verfolgen ihre Interessen. Das macht sie zur Projektionsfläche für allerlei menschliche Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste. Und zum idealen Erzählrahmen für menschliche Erfahrungen und Emotionen, aber auch für Gesellschaftsentwürfe sowie für philosophische und politische Überlegungen. Und für Utopien und Dystopien. Die Reaktionen auf die Radiosendung geben ebenfalls wichtige Hinweise: Offensichtlich glaubte man in den USA im Jahr 1938 so stark an die Existenz außerirdischer Zivilisationen, dass ein Angriff von Invasoren aus dem All zumindest von einigen Hörern der CBS-Radiosendung für eine reale Möglichkeit gehalten wurde. So drangen die imaginierten Außerirdischen plötzlich als reale Bedrohung in das Alltagsleben dieser Menschen ein – wenn auch nur für wenige Stunden.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden Außerirdische ein immer wichtigeres (und bisweilen auch überaus profitables) Element von Science-Fiction-Erzählungen – heute sind sie aus dem Genre gar nicht mehr wegzudenken. Das Thema ist bis heute so reizvoll, weil die Figur des Außerirdischen das »maximal Fremde« darstellt. Das eröffnet dem Menschen einen grenzenlosen Raum für kreative Schöpfungen. In die Außerirdischen lässt sich eben beliebig viel (oder eben wenig) hineinprojizieren: Aussehen, Interessen, Motive, Emotionen und so weiter. Sie könnten für die Menschheit Retter, Erlöser, Heilsbringer, aber auch gnadenlose Eroberer, kaltblütige Zerstörer und erbarmungslose Herrscher sein. Alles ist möglich.

Besonders wirkungsvoll tritt uns in unseren Fantasien über außerirdische Wesen die Ambivalenz der Begegnung mit Fremden entgegen, wie sie von dem Soziologen Zygmunt Bauman beschrieben wurde: »Fremde bedeuten das Fehlen von Klarheit, man kann nicht sicher sein, was sie tun werden, wie sie auf die eigenen Handlungen reagieren würden; man kann nicht sagen, ob sie Freunde oder Feinde sind – und daher kann man nicht umhin, sie mit Argwohn zu betrachten«.9 Diese Unsicherheit wird umso größer, je fremder uns ein Gegenüber ist. Oder umgekehrt: Mit zunehmender Fremdheit eines Gegenübers steigt die Zahl potenzieller (positiver wie negativer) Verhaltensmöglichkeiten.

Für Außerirdische gilt dies in besonderer Weise. Sie sind uns derart fremd, dass ihr Verhalten uns gegenüber zunächst in keiner Weise vorhergesagt werden und dann, im konkreten Fall, die unterschiedlichsten Formen annehmen kann. Und so erzeugt der Außerirdische im Roman oder im Spielfilm ein enormes Spannungsfeld: zwischen Neugierde, Hoffnung und Sehnsucht einerseits, aber auch Angst, Panik und Verzweiflung andererseits. Der »maximal Fremde« sorgt für das maximal mögliche Spannungsfeld in Bezug auf potenzielle Verhaltensweisen.

Die Darstellungen der Außerirdischen wie auch ihr jeweiliges Verhalten uns Menschen gegenüber sind im Genre Science-Fiction deswegen höchst unterschiedlich. Wir kennen aus Büchern, Serien und Filmen sowohl bösartige, hinterhältige und mörderische als auch sympathische, gutmütige und hilfsbereite Aliens. Man denke nur an den freundlichen, liebenswerten Außerirdischen »E. T.« aus dem gleichnamigen Film von Steven Spielberg, der ein Millionenpublikum zu Tränen rührte. Und auf der anderen Seite des Spektrums etwa an die gruseligen insektenartigen Kreaturen aus den »Alien«-Filmen. Diese fiktionalen Figuren aus dem All konfrontieren die Menschheit »mit positiven wie auch negativen Gegenentwürfen zur menschlichen Natur und Zivilisation«10, wie der Literatur- und Filmwissenschaftler Matthias Hurst schreibt. Das Verhältnis von Gut zu Böse ist dabei laut Hurst in der Fiktion sehr unausgeglichen. Einem Außerirdischen mit guten Absichten stehen gleich neun gegenüber, die sich feindselig verhalten.

Im Film »Stargate« von 1994 herrscht ein Außerirdischer wie ein ägyptischer Gott über menschliche Sklaven, während die Aliens in »Starship Troopers« (1997) als aggressive, heimtückische Rieseninsekten Krieg gegen die Menschen führen. In der Serie »Star Trek« begegnen uns Hunderte verschiedene außerirdische Spezies. Da gibt es Lebensformen, die aus Gas oder lediglich aus Energie bestehen. Es gibt katzen-, vogel- oder reptilienartige Außerirdische bis hin zu transdimensionalen Wesen. Es gibt die »Borg«, eine unheimliche, technisch weit entwickelte, halb organische, halb kybernetische Spezies, die über ein kollektives Bewusstsein verfügt und jede Individualität auslöscht. Auch in der Reihe »Star Wars«, einem der kommerziell erfolgreichsten Filmprojekte aller Zeiten, gibt es zahlreiche unterschiedliche außerirdische Völker, die sich, eingebettet in die Handlung eines klassischen Heldenepos, in einem andauernden Kampf zwischen Gut und Böse befinden.

Die Außerirdischen als Spiegel

Nach welchem Muster aber sind in all diesen Science-Fiction-Werken die Außerirdischen konstruiert? Zunächst gibt es eine Paradoxie: Jeder Schriftsteller oder Filmemacher muss, um etwas völlig Fremdes, ja Unvorstellbares wie eine außerirdische Lebensform darzustellen, auf Vertrautes und Bekanntes zurückgreifen. Etwas, was der Mensch kennt, was er sich vorstellen kann, was ihm zumindest halbwegs nachvollziehbar erscheint. Und so sieht man bei den Außerirdischen in Film und Literatur oftmals wenig Neuartiges und Unbekanntes – vielmehr spiegeln sie uns Menschen bekannte Gegebenheiten wider. Sei es im Aussehen, weil sie entweder wie Menschen mit Kopf, Rumpf, Beinen und Armen, wie maschinenartige Roboter oder auch wie Reptilien oder (riesige) Insekten daherkommen. Sei es in kulturellen, politischen, psychologischen oder auch gesellschaftlichen Dimensionen.

So sind die Außerirdischen in US-amerikanischen Science-Fiction-Filmen aus den 1950er-Jahren oft angsteinflößende, zerstörungswütige Invasoren mit einer fortschrittlichen Waffentechnik. Hier spiegeln sich die Ängste vor einer russischen Invasion und einem Atomkrieg wider. Auch die außerirdischen Völker in »Star Trek« sind lediglich Zerrbilder der US-amerikanischen Gesellschaft. Dazu noch einmal Filmwissenschaftler Matthias Hurst: »Deren Verständnis von Politik, Diplomatie, Demokratie und Lebensführung wird zum Raster, dem sich fast alle Formen extraterrestrischen Lebens unterwerfen müssen; dass es dabei nicht immer tolerant und vorurteilsfrei zugeht, sondern häufig auch stereotypes Denken und chauvinistisches Gedankengut transportiert werden, zählt zu den eher bedenklichen Merkmalen des ›Star Trek‹-Universums.«11

Auch die »Alien«-Filme (erschienen 1979, 1986, 1992, 1997 sowie 2012 und 2017) sind Spiegelbilder ihrer Zeit und jeweils vorherrschender kollektiver Ängste. Erst das Wettrüsten im Kalten Krieg und biologische Waffen, dann AIDS, Gentechnik und Klonexperimente bis hin zu den Gefahren künstlicher Intelligenz in neuerer Zeit.

In der Fernsehserie »Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI« sind Außerirdische Teil einer düsteren Verschwörung einer Macht­elite, was wiederum die Ängste der Menschen vor politischen Verschwörungen abbildet. Andersherum zeigen natürlich auch die uns wohlgesinnten, Frieden stiftenden Reisenden aus dem All menschliche Sehnsüchte und Befindlichkeiten.

Generell aber, man erinnere sich an die 1:9-Relation, werden den Außerirdischen sehr oft negative Motive und Merkmale zugeschrieben. Die meist aggressiven und heimtückischen Aliens in den Filmen und Romanen verkörpern letztlich die Schattenseiten unseres menschlichen Charakters. Die Furcht vor den Film-Aliens resultiert dabei nicht nur aus der Angst vor dem Unbekannten, sondern mindestens ebenso aus der Angst vor dem allzu Bekannten: vor uns selbst.

Die Tatsache, dass wir beim Nachsinnen über die Frage, ob es da draußen intelligente Außerirdische gibt, am Ende immer wieder bei uns selbst landen, sollte uns aber natürlich nicht davon abhalten, uns weiterhin mit ihnen zu beschäftigen. Ganz im Gegenteil! Unsere Reflexionen über Außerirdische bilden eine schier unerschöpfliche Quelle für ungemein anregende, spannende Erzählungen und haben eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und technischen Innovationen inspiriert. Und nicht zuletzt können wir durch die Beschäftigung mit Außerirdischen viel über uns selbst lernen. Doch eines hat uns das Nachdenken über Außerirdische bisher nicht geliefert: Erkenntnisse über reale Außerirdische. Über diese können wir im Moment nur sehr wenig sagen. Wir wissen ja nicht einmal, ob es sie gibt. Falls ja, können wir nicht sagen, wie sie aussehen. Wir wissen nichts über ihre Technologien und Wissenschaften, nichts darüber, ob sie eher friedlich oder aggressiv sind. Wahrscheinlich wären sie in vielerlei Hinsicht ganz anders als wir, aber letztlich ist auch das nur eine Mutmaßung.

Bis auf Weiteres gilt, dass wir uns beim Nachdenken über Außerirdische in einer Art Spiegelkabinett bewegen – wir sehen meist nichts anderes als Zerrbilder von uns selbst. Solange wir keine realen Erfahrungen mit außerirdischen Intelligenzen haben, wird dies auch so bleiben. Wir möchten im Folgenden jedoch trotzdem den Versuch wagen, so weit wie möglich aus dem Spiegelkabinett auszubrechen, hinter die Spiegel zu blicken und zu erkunden, was sich aus soziologischer Sicht begründeterweise über außerirdische Zivilisationen sagen lässt. Und was eben nicht.


1 Plutarch 1968, S. 56

2 Von Kues 1967, S. 103–104

3 Günther 1898, S. 20

4 Locke 1988b, S. 208

5 Locke 1988b, S. 208

6 Vgl. Moore 2014, S. 210

7 Vgl. Akerma 2002, S. 167

8 Vgl. Gerritzen 2016, S. 13–20

9 Bauman 2000, S. 39

10 Hurst 2008, S. 34

11 Hurst 2004, S. 48