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Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-927-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Durch die Hölle
des Yucatán

Marschziel Juchitán – und dann kommen die Spanier …

Der Mann verspürte ein sonderbares Brennen in den Augen. Er senkte die Lider, fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn, und gleich darauf war das Brennen wieder da. Es mochte an dem Schweiß liegen, der ihm aus allen Poren drang. Es war aber auch der Anblick der beiden Schiffe, der seinen erschöpften Körper zu unkontrollierbaren Reaktionen brachte. Seine Mundwinkel zuckten, und sein Herzschlag beschleunigte sich durch wilde Freude und grimmige Entschlossenheit.

Zwei Schiffe! Ein Dreimaster und ein Viermaster.

Sie hielten auf die Bucht zu, an deren Rand er mit seinen Compañeros im Dickicht lag. Es war ein geeigneter Ankerplatz für zwei Schiffe dieser Größe, die zudem einen Grund hatten, den Hafen des nahen Coatzacoalcos zu meiden.

Ignacio Verduro wußte, daß er sehr bald wieder völlig ruhig werden würde.

Die erste Aufregung mußte sich legen. Dann konnte er mit eiskalter Überlegung ans Werk gehen. Schon jetzt gab er dem Dreimaster den Vorzug.

Dieses Schiff mußte er haben!

Die Hauptpersonen des Romans:

Verduro – Der desertierte Sargento zieht sich ein Paar Stiefel an, die ihm um mehrere Nummern zu groß sind.

Muddi – Er ist zwar das Stinktier an Bord des Schwarzen Seglers, aber bei der Nachtwache paßt er auf wie ein Luchs.

Batuti – Der Riese aus Gambia paßt sich dem Urwald an, doch das menschliche Wild entgeht ihm.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf und seine Männer versuchen, den Isthmus zu überqueren – bis sie auf Spanier stoßen.

Edwin Carberry – Von dem Profos und drei Arwenacks hängt es ab, die Niederlage ins Gegenteil zu verwandeln.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Verduro wandte sich seinem Unterführer zu, der neben ihm kauerte und das fleischige Grün der Blattpflanzen mit beiden Händen zu einem Sehschlitz teilte.

„He, Japato! Was hältst du von diesen beiden Schiffchen?“

Japato wandte den Kopf. Pockennarben ließen sein Gesicht rauh und zerklüftet aussehen. Er versuchte, das meiste davon mit einem Vollbart zu verbergen, doch es ließ sich nicht verheimlichen, welche tückische Krankheit ihn einmal befallen hatte.

„Spanier sind das nicht“, sagte er leise und grinste dazu.

Verduro grinste zurück und richtete sich langsam auf, wobei er den Sichtschutz einer Mangrove nutzte. Er war ein stämmiger, breitschultriger Mann – nur mittelgroß, doch von strotzender Kraft.

Das harte Gesicht hatte er glattrasiert, den kantigen Schädel bedeckte schwarzes Haar, das ungewöhnlich kurz geschnitten war. Verduro, das wußten seine Vertrauten, haßte nichts so sehr wie die Hochwohlgeborenen mit ihren langen Haaren, in denen sich seiner Überzeugung nach nur Läuse ansiedelten.

„Nein, keine Spanier“, entgegnete er und rückte seinen Gurt mit dem Säbel und der doppelläufigen Offizierspistole zurecht. Die kostbaren Stulpenstiefel, die er trug, stammten ebenfalls von jenem Schiffsoffizier, den er hatte töten müssen, um desertieren zu können. „Und wenn wir mit unserer Vermutung recht haben, Amigo, dann wird auch kein anständiger Spanier diese Leute vermissen – wenn sie spurlos verschwinden.“

Der pockennarbige Unterführer lachte.

„Anständige Spanier! Gibt’s die?“

Verduro sah ihn mit gespielter Entrüstung an.

„Natürlich! Es gibt doch uns!“

Japato brüllte los, krümmte sich und schlug sich vor Heiterkeit auf die Schenkel. Die anderen, die zu beiden Seiten im Dickicht ausharrten, blickten erstaunt herüber. Verduro gab das Zeichen zum Rückzug. Dem Unterführer befahl er, zwei Mann als Beobachtungsposten einzuteilen.

Eine halbe Stunde später trafen sie am Rand der weiter südlich gelegenen Bucht ein, in der ihre flachgehenden Schaluppen am Ufer vertäut lagen und von überhängendem Baummoos und Schlingpflanzen gut getarnt wurden. Der Lagerplatz befand sich auf einem schmalen Stück Strand, war aber von See her ebenfalls nicht zu erkennen.

Eine sichelförmig gekrümmte Landzunge verwehrte den Blick in die Bucht. Selbst aus der Entfernung von nur einer halben Seemeile hob sich der Schlupfwinkel der Deserteure nicht von der grünen Wand ab, die der Dschungel in diesem Küstenabschnitt westlich der Halbinsel Yucatán bildete.

Zwei Männer wollten sich um die Feuerstelle kümmern, wie sie es gewohnt waren. Verduro rief sie mit einem scharfen Pfiff zurück.

„Seid ihr verrückt?“ herrschte er sie an. „Was hattet ihr auf euren Augen, daß ihr nichts mitgekriegt habt? Oder fehlt euch was unter der Schädeldecke?“

Beide starrten ihn an und hatten den Mund dabei offen.

„Aber – wir – wir brauchen doch was zwischen die Zähne“, stotterte der eine. „Was zum Beißen, meine ich.“

Verduro griff sich an die Stirn und scheuchte die beiden mit einer wütenden Handbewegung in den Halbkreis der anderen, die sich bereits in den weichen Sand gehockt hatten. Er legte die Hände auf den Rücken. Japato nahm neben ihm Aufstellung, wie Verduro es bei einer Befehlsausgabe wünschte. Seine militärischen Gepflogenheiten hatte er nicht ablegen können, obwohl er der spanischen Seestreitmacht mit Freuden den Rücken zugekehrt hatte.

„Männer“, sagte Verduro forsch, „das Warten hat sich gelohnt. In einer Stunde, schätze ich, werden wir es genau wissen. Aber es scheint mir schon jetzt sicher: Diese beiden Schiffe da draußen halten auf die große Bucht zu. Ich will es mal so ausdrücken: Die gebratenen Tauben fallen uns sozusagen in den Schoß.“

Er bemerkte bei einigen der Kerle Stirnrunzeln und verstörte Blicke. Natürlich kapierten sie mal wieder nicht, um was es ging. Seesoldaten Seiner Allerkatholischsten Majestät wurden zum überwiegenden Teil ihrer Muskelkräfte wegen dienstverpflichtet. Verduro wußte aus Erfahrung, daß es mit dem Denken bei den meisten auch nicht weit her war.

„Wir werden ab sofort kein Feuer mehr machen“, fuhr er geduldig fort, bereit, es ihnen nun haarklein auseinanderzusetzen. „Durch den Rauch würden die Fremden uns entdecken. Ebensogut könnten wir aus der Bucht segeln, ihnen zuwinken und sie freundlich einladen, uns gefangenzunehmen.“ Die Kerle grinsten und kicherten. Ihre einfachen Gemüter brauchten solche dämlichen Beispiele. Verduro hatte sich immer wieder vorgenommen, das zu beherzigen, und jetzt bestätigte es sich erneut.

„Natürlich“, setzte er seine Ansprache fort, „können wir nicht zwei Schiffe dieser Größe segeln. Wir sind fünfzig Mann, das reicht für den Dreimaster, der sowieso der bessere Segler ist.“

Einer der Kerle sprang auf. Cerco, ein hitzköpfiger Andalusier. Sein Unterkiefer war eine krebsrote Hautmasse, auf der kein Bart mehr wachsen konnte. Eine Pistolenkugel hatte ihm vor Jahren das halbe Kinn weggeschlagen.

„Was soll denn das heißen?“ schrie er. „Fünfzig Mann reichen für den Dreimaster! Wie soll ich denn das verstehen, he?“

Japato stemmte die Fäuste in die Hüften. Breitbeinig stehend beugte er sich vor.

„Nicht diesen Ton!“ brüllte er. „Verduro ist unser Anführer. Wir haben ihn alle gewählt. Wer ihm keinen Respekt entgegenbringt, wird bestraft. Ist das klar?“

Bevor der aufgebrachte Andalusier zurückschreien konnte, winkte Verduro gelassen ab. Die Taktik hatte sich gegenüber den Einfaltspinseln bewährt. Japato spielte den harten Einpeitscher, damit er, Verduro, als Vorgesetzter Gelegenheit hatte, scheinbare Güte zu zeigen.

„Wir sind eine verschworene Gemeinschaft“, sagte er mild, „und aufeinander angewiesen. Wir sollten uns nicht gegenseitig an die Gurgel springen. Ich wiederhole, was ich euch schon ein paarmal erklärt habe. Mit unseren vier Schaluppen sind wir zwar beweglich und können uns in Schlupfwinkel verkriechen, die anderen unzugänglich sind. Aber es sind Küstenfahrzeuge, mit denen wir eine Ewigkeit brauchen, bis wir ferne Gewässer erreichen. Außerdem werden wir den spanischen Sicherheitseinrichtungen vor den größeren Hafenstädten nicht ausweichen können. Im übrigen verrate ich euch kein Geheimnis, wenn ich sage, daß überall in der Karibik und vor allem auch auf Yucatán die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden. Das Leben in dieser Gegend wird ungemütlich. Wir brauchen ein großes Schiff, Amigos, um uns weit in den Süden zurückzuziehen. Dort gibt es Land, das von Menschen noch unerforscht ist. Dort soll es die Goldene Stadt geben – und anderen unermeßlichen Reichtum. Männer, wir haben alle Chancen!“

Die meisten nickten in begeisterter Zustimmung. Doch da gab es auch die Zweifler und die Ängstlichen. Der schlimmste von ihnen war Cerco. Sein entstelltes Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze.

„Das ist Wahnsinn!“ schrie er. „Zwei so große Segler haben ihre Besatzung. Dagegen sind wir ein lächerlich kleiner Haufen! Ebensogut können wir uns selbst erschießen oder erstechen! So einen Wahnsinn mache ich nicht mit. Und ich rate euch allen“, er warf flammende Blicke in die Runde, „euch nicht dazu verleiten zu lassen, wenn euch euer Leben lieb ist. Sind wir vielleicht von der Fahne gegangen, um nun erst recht Kanonenfutter zu werden?“

Die Unentschlossenen schüttelten heftig die Köpfe.

Verduro begriff, daß seine Güte-Taktik in diesem Fall nicht funktionierte.

„Ich erteile einen klaren Befehl“, sagte er schneidend. „Wenn die beiden großen Segler in der Bucht ankern, kapern wir den Dreimaster und versenken den Viermaster. Verstanden?“

„Niemals!“ schrie Cerco, der nun endgültig in Rage geriet. „Wir sind keine Befehlsempfänger mehr, und wir brauchen uns das nicht gefallen zu lassen!“

Verduros Stimme klirrte eiskalt. Plötzlich lag die schwere Doppelläufige in seiner Rechten.

„Tritt vor, Andalusier!“

Cerco erstarrte. Die hinter ihm oder unmittelbar neben ihm hockten, sprangen auf und entfernten sich geduckt, als müßten sie einer Kugel entrinnen.

„Das wagst du nicht!“ keuchte der Mann aus dem Süden Spaniens.

Verduro schüttelte mitleidig den Kopf.

„Nimm deine Befehlsverweigerung zurück“, entgegnete er. „Andernfalls muß ich dich auf der Stelle bestrafen.“

Die Schläfenadern des Andalusiers schwollen an.

„Wer bist du denn?“ brüllte er. „Wer glaubst du denn zu sein? Ich werde deinen närrischen Befehl nicht befolgen. Niemals! Und alle anderen, die noch ein bißchen Verstand im Kopf haben, werden es auch nicht tun!“ Beifallsuchend blickte er in die Runde.

Doch niemand wagte, ihn auch nur anzusehen.

Wütend wandte sich Cerco wieder, dem Anführer zu. Im selben Moment drückte Verduro ab.

Das Krachen des Schusses löschte alles aus – jede Bewegung, jeden Laut. In der glühend rot stechenden Lanze des Mündungsfeuers starb Cerco von einem Atemzug zum anderen. Die Wucht des Einschusses schleuderte ihn drei Yards weit zurück. Der Länge nach schlug er auf den weichen Sand.

Die übrigen Männer erstarrten zur Reglosigkeit. Niemand riskierte es, auch nur ein Flüstern von sich zu geben. Japato zog seine Pistole und richtete sich unmißverständlich auf jene, die für die aufrührerischen Worte des Andalusiers empfänglich gewesen waren.

Verduro begann unterdessen seelenruhig, den abgefeuerten Lauf seiner kostbaren Waffe nachzuladen. Jeder konnte sehen, daß seine Finger nicht zitterten, als er den Füllstutzen des Pulverhorns auf die Laufmündung hielt und anschließend die Kugel mit wenigen Stößen des Ladestocks in den Lauf trieb.

Dann, als könne er sich nach einer intensiven Nebenbeschäftigung nun erst wieder dem eigentlichen Geschehen zuwenden, hob er den Kopf und blickte in den stummen Halbkreis der Männer. Jene, die ihn lange genug kannten, wußten indessen, daß er sie keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte.

„Ich sehe, ihr seid vernünftig“, erklärte er so leise, daß sie die Ohren spitzen mußten, um ihn zu verstehen. „Japato sagte es vorhin. Ihr habt mich gewählt. Darüber kann sich keiner hinwegsetzen, wie ihm das gerade paßt. Wenn ihr einen anderen als Anführer wollt, dann findet eben wieder eine Wahl statt. Nicht anders. Ist das endlich klar?“

Sie brummten zustimmend und hielten die Köpfe gesenkt. Keiner wagte, Verduro anzusehen. Seine Härte war so überragend wie seine Körperkraft. Man durfte ihn nicht durch eine Bewegung herausfordern, die er vielleicht falsch deutete.

„In Ordnung“, sagte Verduro mit lauterer Stimme, nachdem er eine Weile gewartet hatte. „Bringt den Aufrührer unter die Erde. Irgendwo im Dickicht, wo er auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Die Ehre, der See übergeben zu werden, hat er nicht verdient.“

Japato teilte sechs Mann ein, die das Grab auszuheben und zuzuschaufeln hatten.

2.

Die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ hatten während der letzten zwölf Stunden einen stetigen Wind ausnutzen können, der aus nordöstlichen Richtungen wehte. Unter Vollzeug waren die beiden Schiffe des Bundes der Korsaren auf Kurs Westsüdwest gelaufen. Der Wikinger hatte bereits vor einer Viertelstunde Tuch wegnehmen lassen.

Nun begannen sie auch drüben auf dem Schiff des Seewolfs, die Fahrt zu verringern. Flink und geschickt wie Arwenack, der Schimpanse, enterten die Männer in den Luvwanten auf, um Bram- und Focksegel aufzumachen.

Zeternd und kreischend stieg ein buntschillerndes Federvieh vom Fockmars der „Isabella“ auf und nahm Direktkurs auf den Viermaster Thorfin Njals.

Wie ein schwirrender Pfeil schoß der Papagei in Marshöhe über die kristallklare Wasserfläche zwischen den Seglern.

Beim Großmast des Schwarzen Seglers blickte der Stör von der Nagelbank auf, die er soeben klariert hatte. Bevor er richtig begriffen hatte, was da heransauste, breitete Sir John schon die Schwingen aus und stemmte sich regelrecht gegen die Luft. Dabei streckte er die Krallen aus und landete zielgenau auf der rechten Schulter des Störs.

Der Mann mit dem ungewöhnlich langen Gesicht riß die Augen weit auf, was sein Gesicht noch länger erscheinen ließ.

„Paß auf!“ rief Eike, der mit der Nagelbank an Backbord beschäftigt war. „Gleich setzt er dir ein Andenken aufs Hemd!“