image

image

Für Iggy und unseren Laufradhelden Vincent

Tina Zang

Der Karatehamster
STARTET DURCH!

Mit Illustrationen
von Claudia Fries

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Neue Rechtschreibung
© 2019 by Obelisk Verlag, Innsbruck Wien
Coverentwurf: Claudia Fries
Alle Rechte vorbehalten
Druck und Bindung: Finidr, s.r.o. Český Těšín, Tschechien
ISBN 978-3-85197-906-0
eISBN 978-3-85197-942-8

www.obelisk-verlag.at

INHALT

Chan ist rund, Lee ist gesund, nur ich bin ein armer Hund

Nagisan hat’s uns angetan

Die Warterei ist endlich vorbei

Ein Hamster geht baden im Geschenkeladen

Von diesem Shampoo gibt’s Pickel im Nu

Ist der Hamster agil, hat er leichtes Spiel

Mit ’nem riesigen Knall fliegt das Futter ins All

Warten ist öd und Liebe macht blöd

Wer mich verspottet, wird verschrottet

Chan kann heute gar nichts schrecken. Er mag sogar am Blute lecken

Ich bin ja so schlau! Ich kenn den Wauwau

Ketchup oder Hundeblut, beides schmeckt dem Chanchen gut

Spinnen in der Tasche sind eine fiese Masche

Wegen schlechter Manieren will Jan uns kastrieren

Schnell wie ein Pfeil zum Laufrad ich eil

Die Jury spinnt: Der Falsche gewinnt

Um den Menschen was zu sagen, muss ich Lee ein bisschen plagen

Wie kann man Lee dazu bringen, ein Loblied zu singen

Für jeden ist etwas dabei, denn wir sind super – alle drei!

CHAN IST RUND, LEE IST GESUND, NUR ICH BIN EIN ARMER HUND

An einem sonnigen Spätnachmittag, als wir gerade aufgewacht waren, holte Kira mich und meine Mitbewohner aus dem Karnickelkäfig. Nein, wir sind keine Kaninchen! Das hätte noch gefehlt, dass uns lange Ohren wachsen.

Ich bin Neo, der einzige Karatehamster der Welt. Dann wäre da noch Chan. Sein Name wird „Tschann“ ausgesprochen. Da er ständig volle Backen hat und darum meistens nuschelt, passt der Name prima zu ihm. Mein zweiter Kumpel heißt Lee, das spricht man „Lieh“ aus. Wenn er sich nicht gerade eine neue Krankheit einbildet, dann kriegt er vor Angst einen Kreischanfall. Das kann er richtig gut.

Unsere Besitzerin Kira hat den Karnickelkäfig für uns hamstergerecht eingerichtet. Ich habe ein riesiges Laufrad und mein eigenes Schlafhaus mit Westernschwingtür.

Kira holte uns also raus und ließ uns von ihrem Freund Jan untersuchen. Jans Vater ist Tierarzt. Obwohl Jan selbst lieber Stuntman oder Detektiv werden will, kennt er sich mit Haustieren bestens aus und besonders mit Hamstern.

image

„Neo, Lee und Chan sind jetzt ausgewachsen“, stellte er fest.

„Dann sollte ich Chan wohl auf Diät setzen“, meinte Kira. „Wenn er nicht mehr weiterwächst, geht er noch mehr in die Breite und wird womöglich richtig dick.“

Lee und ich sahen uns kurz an, dann prusteten wir los. Noch dicker konnte Chan beim besten Willen nicht werden. Er kaute und nagte von abends bis morgens. Er war inzwischen so rund, dass man nur am Fell erkennen konnte, dass er kein Kugelfisch war.

Auch Jan lachte. „Wenn du ihm keine fetten Nüsse und Sonnenblumenkerne mehr gibst, wird er bestimmt ganz schnell schlank. Du brauchst ihn also nicht hungern zu lassen. Ein bisschen mehr Bewegung könnte ihm allerdings nicht schaden.“

Chan bekam von all dem wieder mal nichts mit, denn er schmatzte laut und hingebungsvoll.

„Ich finde Chan genau richtig“, sagte Heiko. Seine Mutter ist mit Kiras Vater verheiratet, darum nennt sie ihn ihren „Zwangsbruder“. Heiko ist so pummelig wie Chan. Bei ihm liegt es aber nicht an Nüssen und Sonnenblumenkernen, sondern an Keksen und Schokoriegeln.

Kira streichelte Chans breiten Rücken. „Ansonsten sind sie aber alle gesund, ja?“, fragte sie Jan.

„Klar“, sagte er. „Lee strotzt geradezu vor Gesundheit.“

Lee verdrehte die Augen und sackte in den Pfoten etwas ein. „Entweder ist der Junge blind, taub und total verblödet, weil er nicht sieht, wie gebrechlich ich bin, oder er will mir schonend beibringen, dass ich nicht mehr lange zu leben habe.“

Ich hatte es längst aufgegeben, Lee zu widersprechen. Er jammerte und seufzte eben für sein Leben gern.

„Um Neo mache ich mir allerdings ein bisschen Sorgen“, sagte Jan nachdenklich.

Ich schluckte. Wie, was? Ich – der drahtigste, gesündeste, sportlichste, schnellste und überhaupt superstärkste Hamster aller Zeiten – war krank? Das konnte doch nicht sein. Hatte ich vom vielen Laufradlaufen etwa frühzeitigen Gelenkverschleiß?

„Ach du je“, stöhnte Kira. „Ist es sehr schlimm?“

„Es ist ausgesprochen kritisch“, sagte Jan ernst.

Lee sah mich neidisch an. „Pa! Du und krank. Alter Wichtigtuer.“

„Jetzt sag schon, worunter leidet Neo?“, drängte Kira.

„Unter Langeweile“, antwortete Jan.

Bingo! Immer nur Laufrad laufen, Kletterseil klettern, Rutsche rutschen – das war voll öde. Ein Hamster braucht Abenteuer. Ach, wie ich Jan liebte! Heiß und innig und mit aller Kraft, die in meinem kleinen Körper steckte. Zusammen mit Kira hatte er mir sogar Karate beigebracht.

„Langeweile. Na, wenn’s weiter nichts ist“, meinte Kira.

„Du, das ist total kritisch“, meinte Jan. „Viele Tiere in Zoos bekommen aus Langeweile Verhaltensstörungen, das hat mein Dad neulich erst gesagt. Neo braucht mal wieder ein bisschen Abwechslung. Wir müssen mit ihm etwas unternehmen.“

„Lieber nicht“, fand Kira. „Die Sache mit Lukrezia steckt mir jetzt noch in den Knochen. Und überhaupt, warum soll gerade Neo sich langweilen und die anderen nicht?“

„Jeder Hamster hat eine andere Persönlichkeit und andere Ansprüche. Das ist wie bei Menschen. Du bist selbstbewusst und sportlich, Heiko ist unsicher und ungelenkig.“

„Blödkopf“, sagte Heiko, wischte sich die schokoladenverschmierten Finger an seiner Hose ab und verließ Kiras Zimmer.

Kira grinste. „Und schnell beleidigt ist er auch. Aber das mit der Langeweile kann ich schon verstehen. Es gibt Schulstunden, die scheinen nie zu enden. Da kriege ich vor Langeweile fast einen Schreikrampf.“

„Und so geht es Neo auch. Er ist einfach völlig unterfordert.“

„Vielleicht sollte ich öfter mal den Fernseher laufen lassen. Neulich ist mir aufgefallen, dass die drei Hamster wie gebannt zugesehen haben.“

„Dann musst du aber auch ein passendes Programm einstellen.“

„Au ja! Am liebsten Schmeckt nicht, gibt’s nicht“, freute sich Chan.

Hund, Katze, Maus wäre mir lieber“, meinte Lee. „Da kommen immer so schöne Beiträge über erbärmlich kranke Tiere, die nur noch durch ein Wunder gerettet werden können.“

„Ich brauche kein Fernsehprogramm“, schmollte ich. „Ich brauche Bewegung. Auslauf. Abwechslung. Ich brauche ein hamsterwürdiges Leben. Jawohl!“

Obwohl Menschen die Hamstersprache nicht verstehen, schaffte es Jan, einen Sender zu finden, an dem wir alle Spaß hatten: Shop-TV. Dann verabschiedete er sich.

Chan war schon ganz in die Sendung vertieft, in der Pfannen und Rohkostreiben vorgeführt wurden. Kurz darauf gab es Pflegeprodukte und Schmuck zu kaufen. Lee war hin und weg. Ich hatte gar nicht gewusst, dass er so eitel war. Endlich war auch für mich etwas dabei: Bauchwegtrainer und Trimmfahrräder, neben denen selbst mein neonrotes Laufrad popelig wirkte.

„Und nun“, sagte der Moderator am Ende der Sendung, „schalten wir in unsere regionalen Verkaufsstudios. Denken Sie daran: Ob Mann, Frau, Kind oder Maus – Sie bestellen, wir bringen es ins Haus. Schönen Abend noch.“

Eine Frauenstimme sang in den höchsten Tönen: „Schop Teeeeeheeee-Vau.“

„Was jetzt noch fehlt, ist ein Shoppingsender für Tiere“, sagte Lee.

„Ob Hamster oder Ratte – ihr bestellt, wir stellen es euch auf die Matte“, reimte ich.

„Ich wünsche mir zum Geburtstag eine Popcornmaschine“, sagte Chan. „Da sehen die Maiskörner gleich nach viel mehr aus.“

„So ein gefährliches Teil kommt mir nicht in den Käfig“, schimpfte Lee.

Wenn ich die beiden solchen Unfug reden hörte, wurde mir gleich wieder langweilig. Ich achtete nicht mehr auf das, was im Regionalsender lief, sondern stieg auf den Kletterturm und putzte mich. Sollten Lee und Chan doch vor der Glotze verblöden.

Plötzlich rief Kira: „Das ist ja Lukrezia!“

Ich biss mir fast auf die Zunge, als ich den Namen hörte. Ich unterbrach meine Fellpflege und stellte mich auf die Hinterpfoten. Was auch immer Lukrezia hier wollte, ich würde schon mit ihr fertig werden. Lukrezia war ein wuscheliges Hundevieh, das Nele gehörte, einer Klassenkameradin von Kira. Sehr zu Kiras Leidwesen ging Nele auch in den Karatekurs für Anfänger, den Kira mit ihrem Vater betreute. Nele war nämlich eine reinrassige Zicke, jedenfalls sagte Jan das, und als Tierarztsohn musste er es wissen.

Es war weit und breit kein Hund zu sehen. Kopfschüttelnd wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu und fiel vor Schreck rückwärts vom Kletterturm.

image

Der Schreck kam daher, dass Lukrezia im Fernseher war, direkt in Shop-TV.

Ein Skandal! Ich hatte Lukrezia schließlich vor ein paar Wochen des mehrfachen Diebstahls überführt, aber anstatt sie in einen ausbruchssicheren Zoo zu stecken, ließ man sie Karriere machen.

Schnell kletterte ich den Turm wieder hoch, um den Rest der Sendung mitzubekommen. Da war auch Neles Mutter, die selbst zusammengepanschte Fellpflegeprodukte aus ihrem Schönheitssalon für Hunde vorführte. Lukrezia wurde eingeschäumt, geföhnt und mit rosa Schleifchen verziert.

„Sieht aus wie eine Geburtstagstorte“, fand Chan.

Kira begann zu lachen. „Ist das nicht oberpeinlich?“, fragte sie uns. „Ich würde euch Schnuckels so etwas nie antun.“

Ich verstand die Welt nicht mehr. Was wäre denn daran peinlich, wenn wir ins Fernsehen kämen?

Wie eine Geburtstagstorte würde jedenfalls keiner von uns aussehen.

NAGISAN HAT’S UNS ANGETAN

Am nächsten Abend kam Jan wieder zu Besuch. Er war fast täglich hier. Das lag natürlich nur daran, dass er so gerne mit mir zusammen war, auch wenn er immer so tat, als käme er wegen Kira. Dabei war sie schlecht für seinen Blutdruck.

Das hatte Lee festgestellt, denn bei jedem zweiten Satz, den Jan zu Kira sagte, wurde er knallrot im Gesicht.

Kira kündigte an: „Jan, du musst nachher unbedingt Shop-TV mitgucken. Du wirst dich schieflachen darüber, wie Neles Mutter Lukrezia einschäumt und dabei dummes Zeug redet.“

Jan grinste. „Sag bloß, die verkaufen ihren überteuerten Dog-Chic-Krempel jetzt im Fernsehen? Au ja, das muss ich sehen.“

Ich durfte auf Jans Schulter sitzen, was mein allerliebster Lieblingsplatz auf der ganzen Welt ist. Lee und Chan hatten es sich auf Kiras Schoß gemütlich gemacht.

Die Regionalsendung ging mit Limonadenwerbung los. Dann kam etwas über Ferienwohnungen auf irgendwelchen Inseln. Lee murmelte, er bräuchte auch mal Ferien.

Nach der Fellpflegeshow von Dog-Chic, über die Jan und Kira sich gemeinsam amüsierten und lustig machten, kam etwas Neues: eine Sondersendung der Firma Nagi.

Nagi war uns allen ein Begriff, denn in der Zoohandlung hatten wir alle drei immer sehnsüchtig auf die grellgelben Schachteln mit der Kraftfuttermischung Nagisan gestarrt. Chan aus schierer Gefräßigkeit, Lee wegen des angepriesenen Vitamingehalts und ich wegen des protzigen Schriftzugs „Nagisan macht Hamster fit“. Ich war zwar schon fit, aber ich hätte doch gerne getestet, wie fit ich eigentlich noch werden konnte. Nur so aus reiner Neugier.

„Guten Abend, liebe Hamsterbesitzer“, strahlte der Moderator, dessen Schnauzbart beim Reden unter seiner Nase auf und ab hüpfte wie ein zerrupftes Meerschweinchen. „Mein Name ist Siegfried Seifried von der Firma Nagi und ich habe eine ganz besondere Überraschung. Da seid ihr gespannt, was?“

Ein Packung Nagisan wurde eingeblendet, auf der ein Hamster abgebildet war, der satt und zufrieden auf einem Berg Nagisan hockte.

Chan fing an zu trielen und Lee bekam glänzende Augen. Ich spannte meine Muskeln an, denn ich fühlte mich schon beim Anblick der Packung fitter als je zuvor.

„Nagi ist ein weltbekannter Hersteller biologisch einwandfreier, zoologisch anerkannter Futtermischungen für Kleinnager“, protzte Seifried. „Nagisan macht Hamster fit. Und dafür brauchen wir euch, ja euch.“ Er zielte mit dem Zeigefinger auf uns. Konnte er uns etwa sehen? „Euch Kinder da draußen, die possierliche Hamsterchen halten.“

Possierlich? Das ist für mich das Unwort des Jahres. Mit mir hatte es sich der potzdoofe Typ für immer verdorben.

Seifried zwirbelte an seinem Bart herum. Ich rechnete jeden Moment damit, dass der Bart zum Leben erwachte und quiekend davonlief.

„Wenn dein Hamster besonders fit ist, dann schick uns ein Bild von ihm. Einsendeschluss ist der dreißigste Juni. Mit etwas Glück laden wir dich und dein Hamsterchen zum Casting ein. Da geht es dann rund, denn …“ Er holte so tief Luft, dass er fast seinen Schnauzbart verschluckte. „Nagi sucht den Superhamster!“

„Oi weh“, sagte Lee. „Da wird Neo nicht zu bremsen sein.“

„Casting. Au ja, ich will zum Casting“, lärmte ich sofort los. „Jetzt gleich sofort. Ich zeige denen, dass ich Karate kann. Und Kunststücke auf dem Laufrad. Und einen Salto rückwärts vom Kletterturm. Au ja, au ja, au jajaja.“

„Siehst du, Chan, schon flippt er aus“, sagte Lee. „Wir sollten ihn wieder Schraubelocker nennen, der Name hat viel besser zu ihm gepasst.“

„Was heißt hier Neo geht zum Casting?“, schimpfte Chan. „Wenn es um Hamsterfutter geht, bin natürlich ich gefragt. Neo isst doch nur das Allernötigste. Ein Wunder, dass er noch nicht aus seinem Fell gerutscht ist. Ich will zum Casting, ichichich.“