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Markus Brand · Frauke Ion (Hrsgg.)

Die 16 Lebensmotive
in der Praxis

Das Reiss Profile in Training,
Coaching und Beratung

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http//dnb.d-nb.de abrufbar

Lektorat: Friederike Mannsperger, GABAL Verlag GmbH
Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Reiss Profile® ist eine eingetragene Wortmarke der Reiss Profile Europe B.V.

©2011 GABAL Verlag, Offenbach

©2015 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2011 erschienenen Buchtitel „Die 16 Lebensmotive in der Praxis“ von Markus Brand und Frauke Ion, ©2011 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-239-7
ISBN epub: 978-3-86200-968-8

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,
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MARKUS BRAND/FRAUKE ION

Das Reiss Profile und die 16 Lebensmotive

»Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.« ARTHUR SCHOPENHAUER

Ganz im Sinne dieser berühmten These von Arthur Schopenhauer machen die 16 Lebensmotive eines Menschen sichtbar, was er in seinem Leben wirklich will. Aber um zu erkennen, was wir mit diesen Motiven in unserem Alltag tun können, helfen uns Trainer, Coachs oder Berater. Sie sind die Experten, die durch ihre Erfahrungen die Chancen und Möglichkeiten aufzeigen können, die sich aus einer Kenntnis der eigenen Motivstruktur ergeben. Dieses Praxiswissen geben führende Reiss Profile Master in den späteren Beiträgen dieses Sammelbands an Sie weiter. Wir machen den Anfang mit einer Einführung in die Theorie der 16 Lebensmotive und des Reiss Profiles.

Die Idee

»Manchmal sind wir von unserem Alltag so in Anspruch genommen, dass wir das Gesamtbild aus den Augen verlieren und vergessen, uns zu fragen, wer wir eigentlich sind und was wir im Leben anstreben. […] Oft bedarf es erst eines einschneidenden Ereignisses, wie z. B. einer lebensbedrohlichen Erkrankung, […] damit wir über den Sinn unseres Lebens nachdenken« (Reiss 2009a, 11). Steven Reiss spricht aus eigener Erfahrung. Im Jahr 1995 wurde der Professor für Psychologie und Psychiatrie so krank, dass lange nicht klar war, ob er überleben würde. Im Krankenhaus dachte er viel über sich, das Leben allgemein und sein Leben im Speziellen nach. Als eine Krankenschwester seine Temperatur maß, stellte er sich die Frage, warum sie nicht etwas tat, was ihr eine größere Freude machte. Wenn wir nur aufgrund dessen handeln, was uns die meisten positiven und die wenigsten negativen Gefühle bringt, wie die Vertreter des Pleasure Principle behaupten – wer würde dann freiwillig in einem Krankenhaus arbeiten wollen? Mit all den kranken und sterbenden Menschen (vgl. Reiss 2009a, 16)? Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wuchs in Reiss die Überzeugung, dass Freude und Schmerzen unser Verhalten nicht halb so stark beeinflussen, wie viele Psychologen in der Vergangenheit angenommen haben. Freude ist vielmehr ein »Beiprodukt«, wenn wir bekommen, was wir uns wünschen. Zum Glück konnte Steven Reiss wieder vollständig genesen. Aber die Krankheit hatte seine Sicht auf die Welt verändert. Als er das Krankenhaus verließ, war er entschlossen, eine neue Theorie über menschliche Bedürfnisse zu entwickeln, die auf Sinnstiftung statt auf Wohlbefinden basiert (vgl. Reiss 2009a, 17).

Forschung

Nur wenige wissen, dass eine große Zahl von Analysen über das menschliche Verhalten gar nicht auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht. Steven Reiss hingegen hatte den Anspruch, seine Theorie von A bis Z auf wissenschaftlich gültige Untersuchungen mit objektiven Messkriterien zu stützen. Im Gegensatz zu anderen Forschern hatte er auch keine Hypothese im Hinterkopf, die er mit seinen Studien beweisen oder widerlegen wollte. Vielmehr entwickelte er ein Test-design, mit dem er Menschen in den verschiedensten Lebensstadien und aus unterschiedlichen Kulturen zunächst offen fragte, was ihrem Leben einen Sinn verliehe. Die Liste mit 328 Werten, die er nach seiner Umfrage erhielt, reduzierte er gemeinsam mit seiner Kollegin Susan Havercamp über statistische Verfahren wie die Faktorenanalyse immer weiter. Sie identifizierten anfangs 15, später 16 voneinander unabhängige Variablen und damit die 16 Lebensmotive, die uns als fundamentale Werte motivieren: Macht, Unabhängigkeit, Neugier, Anerkennung, Ordnung, Sammeln / Sparen, Ehre, Idealismus, Beziehungen, Familie, Status, Rache / Kampf, Eros, Essen, Körperliche Aktivität und Emotionale Ruhe.

Jeder Mensch besitzt jedes Lebensmotiv, allerdings ist sein jeweiliges Bedürfnis danach im Vergleich zu anderen unterschiedlich ausgeprägt. Dabei sind die Ausprägungen eines Lebensmotivs niemals wertend zu betrachten: Es gibt keine guten oder schlechten, sondern nur unterschiedliche Prägungen. Über das Reiss Profile als Diagnostik-Instrument kann man die individuellen Ausprägungen der Lebensmotive eines Menschen im Verhältnis zur landestypischen, jeweils nach Geschlecht und Altergruppe differenzierten Vergleichsgruppe erheben.

Das Reiss Profile

Die persönliche Motivstruktur eines Menschen wird über einen Fragebogen mit 128 Aussagen ermittelt, wie z. B.: »Ich übernehme gerne eine dominierende Rolle« oder »Ich ärgere mich sehr, wenn ich in aller Öffentlichkeit einen Fehler mache«. Die Antworten werden von einem zertifizierten Reiss Profile Master über ein Onlinetool ausgewertet und in einem Balkendiagramm zusammengefasst. Dieses Diagramm stellt jedes Motiv in seiner individuellen Ausprägung als Balken zwischen den Werten - 2 und +2 dar (siehe Abb. 1).

Der mittlere Bereich »Durchschnitt« beinhaltet die Motive mit einer Ausprägung von - 0,8 bis +0,8. Das bedeutet, dass diese Motive ausgewogen ausgeprägt sind und situationsabhängig empfunden werden. Menschen mit dieser Motivausprägung kennen in der Regel beide Pole und leben das Motiv in unterschiedlichen Lebensbereichen und Situationen verschieden aus. Die Bezeichnung »Durchschnitt« bezieht sich auch auf die Verteilung dieser Motivausprägung in der Vergleichsgruppe, in der 68 Prozent eine Lebensmotivausprägung in diesem Bereich besitzen.

Der rechte Bereich »hoch« stellt die Spanne zwischen +0,8 und +2,0 und damit die stark ausgeprägten Motive dar. Zieht man die Auswertung der repräsentativen Vergleichsgruppe heran, zeigt sich: Nur 16 Prozent zeigen hier eine so starke Ausprägung. Liegt das Motiv über +1,7, so sind es sogar nur noch 3 Prozent der Bevölkerung.

Der linke Bereich ist mit »niedrig« überschrieben: Liegt die Ausprägung zwischen - 0,8 und - 2,0, ist das Motiv gering ausgeprägt. Das bedeutet, dass man nach dem Gegenteil des Motivs strebt – wer wie Bastian Beispiel (siehe Abb. 1) ein niedrig ausgeprägtes Unabhängigkeitsmotiv besitzt, hat das Bedürfnis, die Zugehörigkeit zu einem Team, Konsens und emotionale Verbundenheit mit anderen zu leben. Analog zu einer hohen Ausprägung besitzen nur 16 Prozent der Vergleichsgruppe eine niedrige Ausprägung, einen Wert von - 1,7 oder weniger weisen nur 3 Prozent der Bevölkerung auf.

Die Bipolarität der Lebensmotive

Die unterschiedlichen Ausprägungen eines Lebensmotivs geben an, wie oft und wie stark man das Bedürfnis verspürt, das durch das jeweilige Motiv ausgedrückt wird. Das Lebensmotiv Macht steht beispielsweise für die Eigeninitiative in der Entscheidungsfindung. Bei einer niedrigen Ausprägung wird man seltener Impulse für eigene Entscheidungen verspüren, bei einer hohen Ausprägung deutlich häufiger Entscheidungen treffen und Lösungen finden wollen. Liegt eine durchschnittliche Ausprägung vor, wird man in Abhängigkeit von der Situation selbst den Impuls zur Entscheidung verspüren oder sich lieber an den Entscheidungen anderer orientieren. Je höher bzw. je niedriger ein Lebensmotiv ausgeprägt ist, desto stärker dominiert die jeweilige Motivation gegenüber dem gegenteiligen Bedürfnis (siehe Abb. 2).

Überträgt man diese Bipolarität nun auf alle 16 Motive, wird deutlich, wie unterschiedlich und einzigartig jedes Reiss Profile ist. Es ergeben sich mehr als eine Million mögliche Motivkonstellationen. Damit ist jedes Reiss Profile so individuell wie ein Fingerabdruck.

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Abb. 1: Reiss Profile von Bastian Beispiel

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Abb. 2: Bipolarität des Lebensmotivs Macht

Gütekriterien

Die Theorie der 16 Lebensmotive ist eine der wenigen Persönlichkeitstheorien, die testtheoretisch vollständig empirisch überprüft wurde. Die Testtheorie untersucht vor allem die Gütekriterien Validität und Reliabilität. Die Validität gibt an, ob der Test auch tatsächlich das Persönlichkeitsmerkmal misst, das er zu messen vorgibt. Für alle 16 Skalen des Reiss Profiles wurden hohe Validitätswerte ermittelt (vgl. Reiss 2008, 25 f.). Die Reliabilität gibt an, wie genau das Instrument misst. Kriterien hierfür sind beispielsweise die vierwöchige Test-Retest-Reliabilität sowie die interne Konsistenz der Fragen, also inwiefern die Probanden Fragen zu ein und demselben Motiv ähnlich beantworten. Die Test-Retest-Reliabilität des Instruments liegt im Durchschnitt bei .83, ebenso wie die durchschnittliche interne Konsistenz. Mit diesen hohen Reliabilitäts- und Validitätswerten hebt sich das Reiss Profile positiv von anderen gängigen Instrumenten ab. Zudem zeichnet sich das Reiss Profile durch eine geringe soziale Erwünschtheit aus. Diese bezeichnet die Tendenz von Probanden, falsche Antworten zu geben, um einen positiven Eindruck zu vermitteln. Dieses Verhalten tritt beim Reiss Profile nur in etwa 3 Prozent aller Fälle und damit äußerst selten auf.

Test-Versionen

Es existiert in Deutschland auch eine Business-Version des Reiss Profiles, bei der die Fragen zur Sexualität, die das Erosmotiv definieren, durch Fragen zur Schönheit ersetzt werden. Außerdem wird das Motiv Ehre in Ziel- / Zweckorientierung sowie das Motiv Unabhängigkeit in Teamorientierung umbenannt. Das Motiv Schönheit ist in dieser Form testtheoretisch nicht validiert, während die Motive Ziel- / Zweckorientierung und Teamorientierung in ihrer Kernbotschaft unberührt bleiben: Lediglich die Pole der niedrigen und hohen Ausprägung sind gedreht. Die Beiträge in diesem Buch beziehen sich je nach der im Praxisfall verwendeten Version des Reiss Profiles auf die Business- oder auf die Original-Version des Instruments.

Die 16 Lebensmotive

Im Folgenden stellen wir Ihnen die 16 Lebensmotive mit ihren jeweiligen Ausprägungen im Detail vor. Wenn Sie noch kein individuelles Reiss Profile erstellt haben, kann eine Selbsteinschätzung ein erster Schritt zum besseren Verständnis Ihrer Persönlichkeit werden. Auf Seite 25 finden Sie eine Grafik, in die Sie Ihre Einschätzung eintragen können.1 Um eine wissenschaftlich fundierte Auswertung zu erhalten, die frei von Tendenzen sozialer Erwünschtheit ist, empfehlen wir Ihnen die Durchführung eines Reiss Profiles. Zugang dazu bekommen Sie durch einen Reiss Profile Master, z. B. durch die Autoren dieses Buchs.

Macht: Dieses Lebensmotiv steht für den Wunsch nach Einfluss, Führung, Kontrolle und Dominanz. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Machtmotiv übernehmen gerne Verantwortung. Sie suchen Herausforderungen, sind ehrgeizig und überzeugungsfähig. Sie treffen gerne Entscheidungen, die Mitarbeiter oder Prozesse beeinflussen, und übernehmen gerne Führungspositionen. Wer hingegen ein niedriges Machtmotiv besitzt, ist eher personen- und dienstleistungsorientiert. Er operiert lieber im Hintergrund und fühlt sich mit Verantwortung weniger wohl. Er lässt sich gern anleiten. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Machtmotiv fühlen sich häufig dort wohl, wo der Servicegedanke im Vordergrund steht.

Unabhängigkeit (Business-Version: Teamorientierung): Unabhängigkeit meint das Streben nach Freiheit und Autonomie. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv leben gerne eigenverantwortlich und sind ungern auf andere angewiesen. Nach dem Motto »Verlass dich auf andere und du bist verlassen« erreichen sie ihre Ziele am liebsten allein und bringen Privates nur selten zur Sprache. Auf der anderen Seite werden Personen mit einem gering ausgeprägten Bedürfnis nach Unabhängigkeit durch Gemeinsamkeit motiviert. Für sie gilt: »Lieber gemeinsam als einsam«, denn sie haben ein starkes Streben nach emotionaler Verbundenheit und sind gerne Teil eines Teams. In der Business-Version des Reiss Profiles wird dieses Lebensmotiv Teamorientierung genannt. Die inhaltliche Aussage ist gleich, aber die Pole sind gedreht: Eine hohe Ausprägung des Motivs Teamorientierung beschreibt den Wunsch nach Gemeinschaft und Konsens, während eine niedrige Ausprägung das Bedürfnis nach Unabhängigkeit ausdrückt.

Neugier: Neugier steht für Wissbegierde und den Wunsch, etwas über die Welt und sich selbst zu erfahren. Dabei überwiegt bei einem hoch ausgeprägten Neugiermotiv die Lust am Lernen an sich. Im Vordergrund steht der Wunsch nach kognitiven Herausforderungen und danach, den Dingen auf den Grund zu gehen. Im Vergleich dazu wertet jemand mit einem niedrigen Neugiermotiv Wissen als Mittel zum Zweck. Nach dem Credo »Just do it« erlebt er sich als handlungsorientierten Umsetzer mit gesundem Menschenverstand.

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Abb. 3: Arbeitsblatt zur Reiss-Profile-Selbsteinschätzung

Anerkennung: Das Anerkennungsmotiv sagt aus, ob eine Person ihre Selbstsicherheit eher vom Feedback anderer oder aus sich selbst heraus bezieht. Ist das Anerkennungsmotiv hoch ausgeprägt, wird das Selbstbild dieses Menschen stark durch andere definiert, sodass nach positivem Feedback gesucht und negative Kritik vermieden wird. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Anerkennungsmotiv beschreiben sich hingegen als selbstsicher und kritikfähig. Sie werten Fehler als Quelle des Lernens und wirken nach außen sehr direkt und manchmal auch unsensibel.

Ordnung: Das Motiv Ordnung beschreibt das Streben nach Struktur, guter Organisation, Planung sowie Sauberkeit und Hygiene. Menschen mit einem hohen Ordnungsmotiv leben das Motto »Ordnung ist das halbe Leben«, denn sie planen gerne und beschreiben sich als ordentlich, exakt und detailorientiert. Ist das Ordnungsmotiv dagegen niedrig ausgeprägt, steht für den entsprechenden Menschen ein Streben nach Flexibilität und Spontaneität im Vordergrund. Vorgegebene Prozesse werden hier als einengend empfunden, es wird gerne spontan und pragmatisch entschieden.

Sammeln / Sparen: Das Lebensmotiv Sammeln/Sparen zeigt, wie gern ein Mensch Dinge besitzt, aufhebt und bewahrt. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Sammeln/Sparen-Motiv fällt es schwer, Dinge wegzuwerfen. Stattdessen werden unnötige Ausgaben vermieden, das Eigentum gepflegt und Wirtschaftlichkeit hoch gewertet. Die gegenpolige Ausprägung des Sammeln / Sparen-Motivs hingegen steht für Großzügigkeit. Nach dem Motto »Das letzte Hemd hat keine Taschen« können Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Sammeln/Sparen-Motiv materiellen Besitz sogar als unnötige Belastung empfinden, die mit Inflexibilität und Gebundenheit gepaart ist.

Ehre (Business-Version: Ziel- / Zweckorientierung): Ehre steht für die Orientierung an einem festen Wertesystem. Personen mit einem hohen Ehremotiv orientieren sich ganz nach dem Prinzip »Ehrlich währt am längsten« und beschreiben sich als verantwortungsbewusst und integer. Bei Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Ehremotiv hingegen erfolgt ein stärker situations- und kontextbedingtes Bewerten und Handeln. Durch die geringere Orientierung an Wertesystemen handeln sie meist ziel- und zweckorientiert, pragmatisch und flexibel. In der Business-Version des Reiss Profiles wird dieses Lebensmotiv Ziel- / Zweckorientierung genannt. Wie beim Lebensmotiv Unabhängigkeit ist die inhaltliche Aussage gleich, aber die Pole sind gedreht: Eine hohe Ausprägung des Lebensmotivs Ziel- / Zweckorientierung drückt das Bedürfnis nach einem pragmatisch-zweckorientierten Umgang mit Regeln aus, während eine niedrige Ausprägung den Wunsch nach gelebter Integrität beschreibt.

Idealismus: Das Idealismusmotiv steht für das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Weiterentwicklung. Wer ein hoch ausgeprägtes Idealismusmotiv besitzt, ist altruistisch motiviert, möchte etwas zum Wohle der Menschheit und der Gesellschaft beitragen und spendet und/oder engagiert sich häufig. Ist das Idealismusmotiv dagegen niedrig ausgeprägt, überwiegt eine realistische und pragmatische Lebenseinstellung und eventuell sogar eine Orientierung am persönlichen Vorteil.

Beziehungen: Mit dem Beziehungsmotiv wird der Wunsch beschrieben, mit anderen zusammen zu sein und Spaß zu haben. Im Unterschied zum Lebensmotiv Unabhängigkeit steht dieses Motiv für das Streben nach Kontakt und Gesellschaft, weniger für die emotionale Verbundenheit mit anderen. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Beziehungsmotiv suchen Kontakt, Begegnungen und Nähe mit anderen. Sie beschreiben sich selbst als aufgeschlossen, lebendig und humorvoll. Ein niedrig ausgeprägtes Beziehungsmotiv hingegen weist auf den Wunsch nach sozialer Zurückgezogenheit hin.

Familie: Das Motiv Familie ist mit Blick auf die eigene gegründete oder zu gründende Familie zu sehen. Es umfasst das Streben nach Fürsorge gegenüber dem Partner und den eigenen Kindern: Wer ein hoch ausgeprägtes Familienmotiv besitzt, mag das Gefühl, gebraucht zu werden, und verbringt gerne viel Zeit mit seiner Familie. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Familienmotiv zeichnen sich im Unterschied dazu eher durch einen partnerschaftlichen Umgang mit ihren Kindern aus und möchten sich unabhängig, frei und unbelastet fühlen.

Status: Mit Status wird der Wunsch nach Prestige in der sozialen Hierarchie bezeichnet. Wer ein hohes Statusmotiv besitzt, möchte mehr haben oder können als andere und damit wahrgenommen werden. Er mag das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und lebt sein Statusbedürfnis materiell (Haus, Auto, Kleidung) oder immateriell (z. B. durch den Gebrauch eines Titels) aus. Auf der anderen Seite wollen Menschen mit einem niedrigen Statuswunsch als egalitär und bescheiden wahrgenommen werden. Sie bleiben von Statussymbolen anderer unbeeindruckt und bewerten diese Menschen als eher snobistisch und eingebildet.

Rache / Kampf: Der Wunsch nach Rache oder Kampf bedeutet, den Vergleich mit anderen aktiv zu suchen und dabei gewinnen zu wollen: »Auge um Auge« und »Rache ist süß« sind mögliche Glaubenssätze. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Bedürfnis nach Rache / Kampf sind dagegen eher harmonisierend und ausgleichend. Sie bezeichnen sich als kooperativ, friedliebend und nicht nachtragend.

Eros (Business-Version: Schönheit): Das Erosmotiv steht für das Streben nach einem erotischen Leben, Sexualität, Schönheit, Ästhetik und Design. Es umfasst nicht nur die körperliche Liebe, sondern das ganzheitliche Streben nach Schönem. Menschen mit einem stark ausgeprägten Erosmotiv haben meist ein ausgeprägtes Liebesleben und einen gut ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Zusammen mit Essen ist Eros eines der beiden Lebensmotive ohne Bipolarität. Ergibt das Reiss Profile eine niedrige Ausprägung dieses Lebensmotivs, beschreibt es keine Motivation zu einem asketischen Lebensstil. Es drückt lediglich aus, dass jemand nur einen gering ausgeprägten Wunsch nach Sinnlichkeit besitzt. In der Business-Version des Reiss Profiles wird das Lebensmotiv Eros durch den Platzhalter Schönheit ersetzt, da es unter Umständen kritisch sein kann, in einem Business-Kontext Aussagen zu Sexualität zu erheben. Die zugehörigen Items im Test sind jedoch wissenschaftlich noch nicht geprüft.

Essen: Dieses Lebensmotiv bezeichnet die Freude am Essen und das Streben, sich mit Nahrung in gedanklicher und realer Form zu beschäftigen. Für hoch ausgeprägte Esser ist Nahrungsaufnahme nicht nur eine biologische Notwendigkeit, sondern hat eine mit Genuss verbundene Bedeutung: Essen ist »Seelennahrung«. Wie Eros ist auch das Motiv »Essen« nicht bipolar. Wer dieses Lebensmotiv niedrig ausgeprägt hat, strebt nicht nach einem hungerstillenden Essverhalten. In diesem Fall ist Essen lediglich eine Nebensache, kein Selbstzweck.

Körperliche Aktivität: Mit Körperlicher Aktivität wird der Wunsch nach dem Spüren des eigenen Körpers ausgedrückt. Wer ein hoch ausgeprägtes Motiv der Körperlichen Aktivität besitzt, führt in der Regel einen aktiven Lebensstil und mag es, den eigenen Körper zu fordern. Menschen, die dieses Lebensmotiv hingegen niedrig ausgeprägt haben, leben ganz nach dem Motto »Sport ist Mord«, eher gemütlich und bequem.

Emotionale Ruhe: Dieses Lebensmotiv bezeichnet die Stärke des Wunsches nach emotionaler Sicherheit und Stabilität, die meist mit Angst vor Ungewissheiten und Risiken gepaart ist. Ein hoch ausgeprägtes Motiv der Emotionalen Ruhe steht für ein Streben nach Vorausschaubarkeit, daher werden Veränderungen in diesem Fall eher als Risiko denn als Chance betrachtet. Bei einem niedrigen Bedürfnis nach Emotionaler Ruhe dagegen liegt meist eine höhere Stresstoleranz vor. Menschen mit dieser Ausprägung des Lebensmotivs sind Abenteurer, die Abwechslung und Nervenkitzel suchen: »No risk, no fun.«

Self-hugging

Unsere Lebensmotive drücken nicht nur unsere Motivation aus, sie sind auch ein »Wahrnehmungsfilter«, der uns die Dinge so sehen und annehmen lässt, wie es uns entspricht. Denn unbewusst gehen wir meistens davon aus, dass unsere eigene Sichtweise auf die Welt, andere Menschen oder Situationen die richtige ist. Diese natürliche Tendenz, die Welt gemäß der eigenen Wünsche und Interessen wahrzunehmen und die Bedürfnisse und Handlungen anderer Menschen entsprechend umzuinterpretieren oder sogar misszuverstehen, bezeichnet Steven Reiss als Self-hugging (Selbstbezogenheit oder Selbstverliebtheit). Dabei können grundsätzlich drei Ebenen des Self-hugging voneinander unterschieden werden:

Selbstillusion meint die Selbstverständlichkeit, mit der man davon ausgeht, dass man die »besseren« Werte und Motive hat.

Missverstehen bezeichnet das Unverständnis darüber, dass andere Menschen sich anders verhalten.

Wertetyrannei bezeichnet den ständigen Versuch, andere davon zu überzeugen, ihre »falschen« Motive fallen zu lassen und stattdessen die »richtigen« Motive anzunehmen.

Auf zwischenmenschlicher Ebene ist die Neigung zum Self-hugging also für viele Missverständnisse verantwortlich, denn »blinde Flecken« in unserem Verständnis für andere beeinträchtigen die Art und Weise, wie wir Mitarbeiter, Arbeitskollegen, Partner usw. einschätzen und behandeln. Insbesondere bei einem Wert unter - 1,7 bzw. über +1,7 kann dies zu »Wahrnehmungslücken« führen. Denn selbst wenn uns bewusst ist, dass es auch Menschen mit einer gegenteiligen Motivation gibt, können wir uns nur rational erklären, wie sich das Motiv »auf der anderen Seite« im täglichen Leben äußert. Wirklich nachempfinden können wir es kaum, da es uns selbst so fremd ist.

Das Zwiebelmodell der menschlichen Persönlichkeit

Aber warum genau beeinflussen uns die Lebensmotive so stark? Und wo genau setzen Training, Coaching und Beratung mit dem Reiss Profile im Vergleich zu anderen Instrumenten an? Um dies zu verstehen, möchten wir Ihnen eine Metapher an die Hand geben: Stellen Sie sich die menschliche Persönlichkeit als Zwiebel mit mehreren Schichten vor.

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Abb. 4: Das Zwiebelmodell der menschlichen Persönlichkeit

Nach dem Modell der Neurologischen Ebenen von Robert Dilts beeinflusst jede Ebene die darüberliegende:

16 Lebensmotive: Die 16 Lebensmotive sind gemäß der Theorie von Steven Reiss der Kern unserer Persönlichkeit, sie bestimmen das »Warum« und das »Wofür« unserer Person. Sie sind das Wertesystem, mit dem wir durch unser Leben navigieren und machen uns zu dem einzigartigen Individuum, das wir sind.

Glaubenssätze: Glaubenssätze sind an den von Jeffrey Young entwickelten Schemabegriff angelehnt: »Schemata sind fest verankerte Überzeugungen, die uns selbst und die Welt betreffen […]. Schemata sind für unser Selbstgefühl von zentraler Bedeutung. Gäben wir den Glauben an ein Schema auf, würden wir die Sicherheit opfern, zu wissen, wer wir sind und wie die Welt beschaffen ist« (Young / Klosko 2010, 22). Young geht davon aus, dass unsere Schemata durch unser genetisches Erbe und frühen Umgebungseinfluss ausgebildet werden. Roediger (2009, 17 f.) beschreibt als Grundlage eines Schemas die Erregungsbereitschaft von neuronalen Gruppen, da das Gehirn neue Informationen bevorzugt in bereits angelegte Bahnen ablegt, sodass sich stabile Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten ausbilden. In Anlehnung an Steven Reiss gehen wir jedoch davon aus, dass durch unsere Gene und Erfahrungen in der Kindheit zunächst die Ausprägungen der 16 Lebensmotive bestimmt werden – die dann wiederum die Entwicklung unserer Glaubenssätze prägen (vgl. Reiss 2009, 35 f.). So ist »Ich muss perfekt sein« beispielsweise ein Glaubenssatz, den ein Mensch aus einem hoch ausgeprägten Anerkennungsmotiv heraus für sich entwickeln kann (»überhöhte Standards« nach Young).

Wahrnehmung: Die Ebene »Wahrnehmung« lehnt sich an den Begriff »Paradigma« von Steven Covey an. Nach seinem Ansatz ist ein Paradigma ein Bezugsrahmen, der sich allgemein auf die Art bezieht, wie wir die Welt aufnehmen, verstehen und interpretieren. Er vergleicht Paradigmen mit Landkarten: »Wir alle wissen, dass die Landkarte nicht das Land ist. Eine Karte ist einfach eine Erklärung gewisser Aspekte eines Territoriums. Und genau das ist auch ein Paradigma. Es ist eine Theorie, eine Erklärung oder ein Modell von etwas anderem« (Covey 2000, 18). Er sagt weiter: »Wir interpretieren alles, was wir erfahren, anhand dieser mentalen Landkarten. Dabei stellen wir ihre Genauigkeit selten in Frage. Meist sind wir uns nicht einmal bewusst, dass wir sie benutzen. Wir nehmen einfach an, dass die Art, in der wir die Dinge sehen, auch die Art ist, wie sie sind oder wie sie sein sollten« (Covey 2000, 19). Die 16 Lebensmotive und die daraus entwickelten Glaubenssätze wirken wie ein solcher Wahrnehmungsfilter. Stellen Sie sich zur Verdeutlichung folgende Situation vor: Sie haben für Ihre Chefin in langer Arbeit eine Präsentation für den Vorstand vorbereitet. Auf dem Weg in den Feierabend steckt sie den Kopf in Ihr Büro und sagt: »Danke für das Konzept. Inhalt und Aufbau passen, aber an die Grafiken müssen wir morgen nochmal gemeinsam ran.« Worauf konzentriert sich Ihre Aufmerksamkeit? Jemand mit einem hoch ausgeprägten Anerkennungsmotiv und dem Glaubenssatz »Ich muss perfekt sein« hört mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas wie »Sie haben nicht einwandfrei gearbeitet« heraus und wird sich an diesem Abend gedanklich noch länger mit der Frage beschäftigen, was an den Grafiken noch nicht zufriedenstellend war. Jemand mit einem gering ausgeprägten Anerkennungsmotiv hingegen wird z. B. einen Glaubenssatz wie »Nur durch Fehler kann ich mich weiterentwickeln« aufgebaut haben. Entsprechend würde er in die Aussage seiner Chefin etwas wie »Sie haben eine gute Grundlage geschaffen – morgen machen wir die Sache perfekt« hineininterpretieren und zufrieden in den Feierabend gehen.

Fähigkeiten: Auf dieser Ebene wird das »Wie« der Kompetenzen beschrieben, die wir uns angeeignet haben, um unsere Ziele zu erreichen. Viele andere Persönlichkeitsinstrumente wie z. B. der Strengths Finder der Gallup Organization setzen auf dieser Persönlichkeitsstufe an. Mithilfe eines Fragebogens werden die fünf dominierenden Talent-Leitmotive eines Menschen, die sogenannten Signatur-Talente, offenbart (vgl. Buckingham / Clifton 2007, 23). Diese Talente repräsentieren das Potenzial für verschiedene Stärken wie Anpassungsfähigkeit, Bindungsfähigkeit, Kontaktfreudigkeit oder Wissbegierde. Aber während die Gallup Organization lediglich beschreibt, wo die Stärken eines Menschen liegen, ermöglicht das Reiss Profile einen ganzheitlicheren Blick darauf, warum wir diese Stärken überhaupt besitzen. Denn welchen Sinn hätte es für einen Menschen, beispielsweise eine Stärke in Wissbegierde aufzubauen, wenn er durch ein gering ausgeprägtes Neugiermotiv gar nicht nach Wissen und Wahrheit strebt? Andere Tools, wie z. B. die Verhaltenspräferenzanalyse Insights Discovery oder DISC, gehen einen Schritt weiter und verbinden die Identitätsebene der Fähigkeiten bereits mit der Verhaltensebene: Die Ergebnisse des Testverfahrens geben neben den Stärken auch einen Einblick in die bevorzugten Verhaltensweisen.

Verhalten: Die Ebene des Verhaltens beschreibt die Handlungen eines Menschen, die von außen beobachtbar sind. Sie gibt nicht nur eine Antwort auf das »Wann« und »Wo« eines Verhaltens, sondern beschreibt mit einem »Was genau« auch die spezifischen Handlungsschritte. Auch auf dieser Identitätsstufe setzen verschiedene Diagnostik-Instrumente an, wie z. B. der Myers-Briggs-Typindikator (MBTI), der über die vier Funktionen Denken / Fühlen und Sensorik / Intuition sowie die vier Attribute introviertiert / extraviertiert und rational / irrational den Umgang von Menschen mit der Welt beschreibt. Auch hier gehen wir in Anlehnung an die Forschung von Steven Reiss davon aus, dass das beobachtbare Verhalten in den darunterliegenden Persönlichkeitsstufen des Zwiebelmodells begründet ist. Nach der MBTI-Funktion »Fühlen« handelt ein fühlender Typ beispielsweise spontaner als der denkende Typ. Doch er benötigt zunächst einmal eine grundlegende Fähigkeit zu Flexibilität. Diese Kompetenz wird jemand nur dann entwickeln, wenn er auf der Wahrnehmungsebene die Situationen registriert, in denen er Flexibilität leben und von ihr profitieren kann. Die Voraussetzung für diese spezielle »Brille« wiederum ist ein Glaubenssatz wie »Ich muss flexibel sein, um meinen Nutzen zu maximieren«. Dieser Glaubenssatz kann beispielsweise in den gering ausgeprägten Lebensmotiven Ordnung und Ehre angelegt sein.

Beispiel

Besitzt ein Mensch ein hoch ausgeprägtes Ordnungsmotiv, strebt er nach Struktur, guter Organisation, Planung sowie Sauberkeit und Hygiene. Bedingt durch dieses Motiv trägt er Glaubenssätze wie »Ich muss alles planen, um erfolgreich zu sein« in sich. Diese Glaubenssätze wiederum beeinflussen seine Wahrnehmung: Er wird beispielsweise im Projektmanagement immer einen sehr guten Blick dafür haben, was nach Plan läuft oder was gerade nicht. Durch die Wichtigkeit, die er Struktur beimisst, wird er auf der Ebene der Fähigkeiten auch die entsprechenden Skills entwickeln, die es ihm ermöglichen, seinen Wunsch nach Organisation im Alltag zu leben, wie z. B. Projekt- und Zeitmanagement-Kompetenz oder Excel-Kenntnisse. Entsprechend lassen sich auf der Verhaltensebene Handlungen wie »ausführliche Excel-Dokumente anlegen« oder »einen Kalender führen« beobachten.

Motivation und Wille

Das Zwiebelmodell der Persönlichkeit verdeutlicht, dass wir Ziele auf der Fähigkeiten- und Verhaltensebene am leichtesten erreichen können, wenn sie mit unseren Lebensmotiven vereinbar sind. Diesen Zusammenhang zwischen Motivation und Zielen beschreibt auch Professor Hugo Kehr in seinem Schnittmengenmodell von Motivation und Wille (vgl. Kehr 2009, 17 f.). Er unterscheidet zwischen impliziten Motiven und expliziten Zielen. Implizite Motive sind eher dem emotionalen und unbewussten Bereich zuzuordnen (»Bauch«). Ein implizites Motiv kann beispielsweise ein starkes inneres Bedürfnis danach sein, mit anderen zusammen zu sein. Auf der anderen Seite stehen explizite Ziele, die eher dem rationalen Bereich zuzuordnen sind (»Kopf«). Dieser Bereich umfasst alle Ziele und Absichten, die wir uns bewusst setzen oder die unser Umfeld an uns stellt, wie beispielsweise »befördert werden« oder »ein Projektteam zusammenstellen«.

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Abb. 5: Das Schnittmengenmodell von Motivation und Wille nach Kehr (2009)

In der Schnittmenge aus impliziten Motiven und expliziten Zielen sind wir intrinsisch motiviert – wir erledigen also eine Aufgabe, weil sie uns Spaß macht und wir mit ihr ein verfolgtes Ziel erreichen können. Bewegt man sich innerhalb dieser Schnittmenge, benötigt man keine besondere Willenskraft, um die Aufgabe zu erledigen, und fällt eventuell sogar in einen »Flow«.

Je stärker unsere impliziten Motive und expliziten Ziele voneinander abweichen, umso mehr Kraft kostet uns ein Verhalten. Nach einer Studie von Nicola Baumann, Rainer Kaschel und Julius Kuhl können bedürfnisferne Ziele sogar zu psychosomatischen Beschwerden wie Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen, Schlafproblemen, Angst und / oder Hilflosigkeit beitragen.2 Das Reiss Profile bietet also eine Möglichkeit, frühzeitig ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln und sich selbst zu Flow- statt Stresserlebnissen zu führen.

Fazit: Training, Coaching und Beratung mit dem Reiss Profile

Klassische Trainings-, Coachings- und Beratungsansätze setzen meist kurzsichtig auf der Ebene der Kompetenzen oder des Verhaltens an. Diese Maßnahmen können zwar vorläufig durchaus das gewünschte Ergebnis bewirken. Eine stabile Verhaltensänderung setzt aber voraus, dass die individuellen Motive und Einstellungen des Menschen berücksichtigt werden, da diese gemäß des Zwiebelmodells der menschlichen Persönlichkeit letztlich unser Verhalten bestimmen. Das Reiss Profile ermöglicht den Durchblick bis zum eigentlichen Kern der Persönlichkeit eines Menschen. Ein motivorientierter Trainings-, Coachings- und Beratungsansatz setzt daher an dem an, was bestehen bleibt: unseren individuellen Werten und Bedürfnissen, die sich auf alle anderen Ebenen unserer Persönlichkeit auswirken.

In der Arbeit mit dem Reiss Profile wird mit den individuellen Ausprägungen der 16 Lebensmotive zunächst ein Bewusstsein für die Motivstruktur eines Menschen geschaffen. Darauf aufbauend können in einem zweiten Schritt Glaubenssätze aufgedeckt und z. B. mit den aus der Schematherapie nach Young abgeleiteten Methoden hinterfragt und bearbeitet werden. Auf der Ebene der Wahrnehmung können Self-hugging-Tendenzen besprochen und in positivem Sinne genutzt werden. Denn Andersartigkeit ist keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung – vorausgesetzt, Unterschiedlichkeit wird nicht nur respektiert, sondern auch wertgeschätzt und ins eigene Leben integriert. Die notwendigen Fähigkeiten dafür werden auf der nächsten Ebene bearbeitet. Je nach Motivstruktur können Lernfelder abgesteckt und individuell-passgenaue Methoden und Maßnahmen für eine gesteigerte Leistung und mehr Zufriedenheit abgeleitet werden. Und diese können letztlich auf der Verhaltensebene auch von anderen beobachtet werden.

In den folgenden Beiträgen geben Ihnen zahlreiche Experten einen detaillierten Einblick in die verschiedenen Anwendungsgebiete des Reiss Profiles in Training, Coaching und Beratung. Denn wenn wir uns schon nicht aussuchen können, was wir wollen, so können wir uns über das Reiss Profile in den verschiedensten Kontexten zumindest bewusst machen, was wir brauchen. Und darauf aufbauend ist es nur noch ein weiterer kleiner Schritt, unser Tun noch besser auf unser Wollen abzustimmen.

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Markus Brand

ist Diplom-Psychologe, Trainer, Coach, Speaker und Autor. Seit 2002 ist er Gründer und Geschäftsführer der b2 consulting GmbH. 2006 gründete er gemeinsam mit Frauke Ion die Institut für Lebensmotive GmbH, die er seitdem leitet. Er ist einer der erfahrensten Reiss Profile Master weltweit und Mitinhaber der Lizenz für das Reiss Motivation Profile in Großbritannien. Markus Brand ist Erfinder des MasterClubs für Reiss Profile Master und von der Reiss Profile Europe B. V. als Instructor qualifiziert, auch andere für die Nutzung des Tools auszubilden.

Image E-Mail: info@institut-fuer-lebensmotive.de
Image Web: www.institut-fuer-lebensmotive.de

 

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Frauke Ion

ist seit 1988 als Consultant, Trainerin und Business-Coach tätig und blickt auf langjährige Führungserfahrung zurück. Seit 2005 leitet sie ihr eigenes Beratungs- und Trainingsunternehmen ion international, seit 2006 ist sie Gründerin und Mitinhaberin der Institut für Lebensmotive GmbH sowie Lizenznehmerin für das Reiss Motivation Profile in Großbritannien. Sie ist ausgebildete Trainerin und Business-Coach und u. a. für die Programme von FranklinCovey, Insights Discovery und das Reiss Profile zertifiziert.

Image E-Mail: info@institut-fuer-lebensmotive.de
Image Web: www.institut-fuer-lebensmotive.de

 

1 Sie können das entsprechende Arbeitsblatt auch auf unserer Website herunterladen: http://www.institut-fuer-lebensmotive.de/item/die-16-lebensmotive.html

2 Vgl. den Artikel Selbst, bitte melden! aus der Zeitschrift Psychologie Heute, Januar 2004.

RALF TEICHGRÄBER

Teamentwicklung mit dem Reiss Profile

Der nachfolgende Beitrag bietet praxis- und umsetzungsrelevante Hinweise für die Konzeption, Gestaltung und Durchführung von Teamentwicklungsprozessen. Nach der Einführung geht es um die Frage, zu welchen Anlässen sich das Reiss Profile als Basis für eine Teamentwicklung eignet (Kapitel 2). Anschließend werden begleitende Methoden zum Einsatz des Reiss Profiles in Teamentwicklungsworkshops vorgestellt und den jeweiligen Workshop-Zielen zugeordnet (Kapitel 3). Welche Konsequenzen die Ergebnisse des Teamprofils für die Workshop-Gestaltung und -Moderation haben (welche Inhalte, welche Lernformen, welches generelle Setting), wird in Kapitel 4 anhand eines konkreten Beispiels erörtert.

1. Einführung

Die Idee dahinter

Das Reiss Profile bietet die Möglichkeit, die individuelle Bedürfnisstruktur von Teammitgliedern abzugleichen und daraus Optimierungen im Team abzuleiten. Dies betrifft die generelle Zusammenarbeit in Teams, aber auch spezielle Anlässe wie »Neue Teammitglieder«, »Veränderung der Aufgabenstellungen in Teams«, »Konflikte« etc. Durch den Austausch über individuelle Bedürfnisse wächst das Verständnis für ungewöhnlich scheinende Absichten, Kommunikationsimpulse und Verhaltensweisen des Einzelnen. Zusätzlich ermöglicht das Reiss Profile dem Trainer1, den Workshop motivorientiert auf die Bedürfnisse der Teilnehmer auszurichten und damit gleichzeitig das Verstehen der Motive in der Praxis sichtbar zu machen.

Ich habe mich ausdrücklich dafür entschieden, bei der geläufigen Begrifflichkeit der »Teamentwicklung« zu bleiben, auch wenn heute im Zuge der zunehmenden Verallgemeinerung und der Übertragung von trendigen Begriffen aus dem Bereich der Personalentwicklung z. B. das Wort »Teamcoaching« (Alf-Jähnig et al. 2010) ähnlich verwendet wird.

Ein persönliches Wort vorweg: Auch ich als Autor bin von Motiven geprägt Image. In meinem Beitrag kommen besonders mein hohes Ordnungsmotiv und meine ausgeprägte Ziel- und Zweckorientierung (Business-Version) zum Tragen. Auch mein eher praktisch (also niedrig) ausgerichtetes Neugiermotiv hat beim Schreiben eine Rolle gespielt mit der Idee, Ihnen viele praxisrelevante, aber nicht allzu theoretische Informationen über den Einsatz des Reiss Profiles in Teamentwicklungen zu geben.

Teamentwicklung gestern und heute

Ein neues Team zusammenstellen? Die Strategien und Ziele für Ihr Team entscheidend verändern? Ein virtuelles Team zu echter Teamarbeit bringen? Klar, eine Teamentwicklungsmaßnahme muss her. Doch wie gestalten? Indoor und / oder Outdoor? Mit Diagnose-Tools? Mit Vorbesprechungen? Mit Erwartungsabfragen? Oder …?

Die Zeit, in der die Qualität der Teamentwicklung an der Höhe der abendlichen Getränkerechnung abzulesen war, ist endgültig vorbei. Denn das Reiss Profile zeigt: Nicht jedes Teammitglied ist gleich interessiert an Geselligkeit und Kommunikation (Motiv Beziehungen), an Grenzerfahrungen im Outdoor-Bereich (Motiv Emotionale Ruhe), und auch nicht am 5-Gang-Gourmetmenü mit Weinbegleitung (Motiv Essen).

Die Möglichkeit, über das Reiss Profile sowohl individuelle Motivationstrends zu erkennen als auch gemeinschaftliche Interessen auszumachen, hat die Konzeptionswelt der Teamentwicklungsworkshops verändert. Während mit den klassischen Diagnose-Tools (z. B. Belbins Teamrollen, MBTI) individuelle Profile erstellt werden können und ein Verständnis für Gemeinsamkeiten und Unterschiede erreicht werden kann, bietet das Reiss Profile weit mehr Möglichkeiten. Vom Erkenntnisgewinn bezüglich der eigenen Motivationslage der Teammitglieder mal ganz abgesehen:

Einerseits lassen sich ein Teamprofil erstellen und Schwerpunkte individueller Bedürfnisse im Team erarbeiten. Konflikte werden minimiert, Leistung und Ergebnis mithilfe motivationsspezifischer Funktions- und Aufgabenverteilung maximiert.

Andererseits kann auch die Workshop-Konzeption motivbasiert auf ganz andere Füße gestellt werden. Das bietet mir als Trainer, Berater und Workshop-Designer neue Möglichkeiten der Treffsicherheit in der Workshop-Gestaltung. Und es zeigt Auftraggebern und Kunden, wie sowohl in der Workshop-Durchführung als auch in der Gestaltung der Arbeitsumgebung leistungs- und teamfördernde Akzente zu setzen sind.

2. Fragestellungen zur Teamentwicklung mit dem Reiss Profile

Teamentwicklungen mithilfe von Diagnose-Tools

Auf dem Markt steht heute eine ganze Reihe von Diagnose-Tools zur Verfügung, die den Anwender in der Vorbereitung von Teamentwicklungen unterstützen. Zu erwähnen sind zunächst Unternehmensberatungen, die häufig mit eigenen, teilweise abgewandelten Diagnose-Tools arbeiten. Die Gütekriterien (Reliabilität und Validität) dieser Messverfahren lassen oft zu wünschen übrig. Die Tests selbst sind zudem meist wenig verbreitet und erfordern für Anwender spezifisches Einarbeiten. Sucht man nach verbreiteteren und wissenschaftlich erforschten Diagnose-Tools, so lassen sich drei Arten von Tools unterscheiden:

Tools, die sich der Situation im Team widmen. Anhand verschiedener Faktoren wird ein Überblick über den augenblicklichen Entwicklungsstand des Teams gegeben; zudem werden die Stärken und Schwächen des Teams beleuchtet sowie Einflussfaktoren auf das Teamklima untersucht. Dazu zählen z. B. der »Fragebogen zur Arbeit im Team« (F-A-T, Kauffeld 2004) oder das »Teamklima-Inventar« (TKI, Brodbeck et al. 2000).

Eine zweite Gruppe von Verfahren befasst sich mit den augenblicklichen Rollen im Team sowie der Verhaltensausrichtung der einzelnen Teammitglieder. Das bekannteste dieser Verfahren, wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen zu den Gütekriterien, ist das der Belbin Teamrollen (Belbin 2003). Diese bieten den Vorteil, teamspezifisch zu untersuchen, welche Rollen im Team zur Zielerreichung vorhanden sind, welche fehlen oder ausgebaut werden sollten. Auch das Team Management Profil (TMP) nach Wagner / Tscheuschner (2008) konzentriert sich auf die Teamrollen bzw. persönlichen Arbeitsstile (z. B. Entdecker, Berater, Controller …).

Die dritte Gruppe von Verfahren konzentriert sich auf die Persönlichkeitsstruktur der Teammitglieder. Hierbei kommen Verfahren wie der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), DISC, Big-Five-Varianten für den beruflichen Kontext (z. B. der Reflector Big Five Personality, Howard / Howard 2008) zum Einsatz. Einen guten Überblick über diese Verfahren bietet Simon (2007). Ursprünglich für den Einzelnen konzipiert, lassen sich diese Persönlichkeitsfragebögen auch für Teams verwenden. Hier werden die Ergebnisse zunächst individuell erhoben und ausgewertet und dann für das gesamte Team sichtbar gemacht. Durch die Reflexion der Unterschiedlichkeit der Profile und Persönlichkeitsstrukturen kann ein erhöhtes Verständnis für unterschiedliche Vorgehensweisen und Verhaltensweisen der Teammitglieder erreicht werden.

Das Reiss Profile als Diagnose- und Entwicklungs-Tool für einen Teamentwicklungsprozess heranzuziehen, scheint im ersten Augenblick »nur« einer Verwendung der Diagnose-Tools aus Gruppe 3 gleichzukommen. Und bietet doch neben seinen fundierten statistisch-psycho-metrischen Daten eine Reihe von zusätzlichen Vorteilen, die das Reiss Profile für viele Fragestellungen der Teamentwicklung besonders geeignet macht.

Nutzen des Einsatzes des Reiss Profiles in einem Teamentwicklungsprozess

Das Reiss Profile untersucht die individuelle Motivstruktur von Individuen. Es gibt damit Antworten auf die Frage, was Menschen letztlich glücklich und zufrieden macht im Leben. Der Einsatz des Reiss Profiles als Tool in einem Teamentwicklungsprozess bietet eine Reihe von Vorteilen.

Im Vorfeld des Workshops:

Jedes Teammitglied hat die Möglichkeit, über seine individuelle Motivstruktur nachzudenken. Das Ausfüllen des Fragebogens und das spätere Feedbackgespräch zum Reiss Profile zeigen individuelle Vorlieben auf und ermöglichen Rückschlüsse auf die Zufriedenheit und Energiebalance in der derzeitigen beruflichen Aufgabe. Gleichzeitig wird hiermit die Basis für das Verstehen der Motive und der Unterschiedlichkeit von Menschen in ihrer Motivstruktur geschaffen.

Ein weiterer wesentlicher Vorteil bietet sich dem Workshop-Leiter / Berater. Als ausgebildeter Reiss Profile Master kann er das Teamergebnis für die Workshop-Planung bestens verwenden. Auf der Basis des Gesamt-Teamprofils lässt sich die inhaltliche und methodische Konzeption des Workshops exakt an den Bedürfnissen der Teilnehmer entlang planen. Eine hohe Durchschnittsausprägung beim Motiv Beziehungen z. B. legt eine Veranstaltung mit einer Übernachtung nahe, in der Platz für persönliche Gespräche und Begegnungen ist. Ein niedriger Durchschnitt beim Motiv Emotionale Ruhe lässt vermuten, dass sich die Teilnehmer gerne Herausforderungen stellen und auch einige Überraschungen und eventuell Outdoor-Elemente dabei sein dürfen (Ich komme später darauf zurück, siehe Kapitel 4).

Im Workshop selbst bzw. bei der weiteren Zusammenarbeit des Teams im Alltag:

Die individuellen Auswertungen ermöglichen eine entsprechende Teamauswertung sowie eine individuelle Abweichungsanalyse. Dabei werden die Motivprofile der Teilnehmer zusammengefasst und der Durchschnittswert der einzelnen Motive dem individu-ellen Reiss Profile jedes Teilnehmers gegenübergestellt. Auf diese Weise kann er schnell erfassen, in welchen Dimensionen er sich in Übereinstimmung mit dem Teamdurchschnitt befindet und in welchen Dimensionen er sich davon unterscheidet.

Die Führungskraft des Teams (im Folgenden »Teamleiter« genannt) kann bei der Neuvergabe von Aufgaben und / oder Projekten die Motiv-Schwerpunkte der Teammitglieder berücksichtigen.

Auch das Team selbst kann für die eigenverantwortliche Übernahme und Strukturierung von (Teil-)Aufgaben gemeinsam entscheiden, welche Grundmotive für diese Aufgaben besonders nützlich wären, und entsprechende interne Verantwortlichkeiten festlegen.

Nicht zuletzt kann das Reiss Profile »klassisch« dazu dienen, Verständnis für die Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten im Team zu schaffen. So steigt die Toleranz, die Teammitglieder fühlen sich generell mehr gesehen und bestätigt.

Anlässe für Teamentwicklungsprozesse mit dem Reiss Profile