Anhang

›Nichts klappt, wie ich es mir vorstelle, aber ich halte wenigstens durch‹ (Christoph Kolumbus); trotz aller Versuche gelang es mir nicht, folgende Information über Muttersöhne einer der Figuren beizugeben. Sie lehnten alle dankend ab.

Ich möchte daher doch zuletzt auf die Melvillesche Technik zurückgreifen und diese Information anfügen, die sonst so verwaist auf meinem riesigen, nierenförmigen, höhenverstellbaren Schreibtisch zurückbleiben würde.

Ihr Verständnis vorausgesetzt und im vollen Bewusststein, dass der Schöpfer von Bartleby und Moby-Dick verarmt, verlacht, vereinsamt verstarb:

Von den Rowdys werde der Peter Pan ignoriert, weil er zu wenig Kontra gebe. Von den Chauvies werde er abgelehnt, weil er sensibler als sie selbst sei. Die Paradiesvögel werden von ihm auch nichts halten, weil er nicht in ihre Glitzerwelt passe. Auch die Streber werden ihn nicht zur Kenntnis nehmen, weil ihm Ehrgeiz fehle. Es bleibe also nur die Rauschgiftszene, aber da werde man ihm einfach nicht trauen, weil er sich so wenig offenbare.

Der Pubertierende werde Mädchen wahrnehmen und neue Verhaltensmuster ausprobieren. Aber schnell werde er dabei an seine Grenzen stoßen. Seine Unsicherheit werde ihn zurück zur Mutter treiben, weil sie doch der einzige Mensch sei, dem er vertrauen könne. Einen Vater gebe es ja nicht, der hier helfend einspringen könne. So werde aus dieser Unsicherheit eine Untätigkeit werden. Dieser Junge werde seinen sexuellen Rollenkonflikt aussitzen wollen. Seine Sexualität werde ihn nicht euphorisieren, sie werde ihn aber auch nicht hemmen. Er werde nur einfach nicht mit ihr fertig werden. Er werde in der Entwicklung stehen bleiben. Sein Reifungsprozess werde sich extrem verlangsamen, weil er weiter am Rockzipfel der Mutter kleben bleibe und weil er kaum ein Mädchen finden werde, das ihn als eine erfahrene Frau leiten könne. Das ihn von der Mutter weglocken, ihm Vertrauen einflößen und sein männliches Ego zum Erblühen bringen könne. Und wenn er viel Glück habe, dann werde ihm irgendein Typ von der Straße raten, eine Hure aufzusuchen. Bei ihr lerne er dann zwar viel über sich, aber eines werde er nicht erleben: Liebe. Er werde die Liebe nicht kennen lernen als Jugendlicher, und so stehe dieser Peter Pan auf dem Weg zum Erwachsenen vor einem riesigen Problem. Mädchen und andere Jungs werden dieses Problem überwinden, aber Peter Pan werde davor zurückschrecken und sitzen bleiben. Er werde sagen: ›Ich möchte lieber nicht!‹

Sicherlich, alle Jugendlichen haben Probleme, wenn sie herausfinden, was es heißt, sexuelle Triebe zu haben. Ein unheimliches aber eben auch erregendes Abenteuer. Und in den letzten Jahrzehnten hat dieser Konflikt zugenommen. An Häufigkeit und Intensität. Sicherlich, Mädchen haben auch große Schwierigkeiten damit, aber gerade Jungs erfahren doch einen Konflikt zwischen Angst und Verlangen, der sie geradezu lähmt. Mädchen können emanzipiert sein, sie haben einen neuen Text in die Hand bekommen, aber dummerweise haben die Jungs noch das alte Drehbuch! Niemand hat ihnen einen neuen Text gegeben! So werden für die Peter Pans unter den Jungs die Gefahren nur noch größer, abgelehnt zu werden. Und Ablehnung ist gerade das, was sie unter allen Umständen vermeiden. Dann lieber gar nichts tun! Heute verfügen Mädchen zwar auch über männliche Verhaltensmuster, aber den Jungen ist nicht gesagt worden, was sie tun sollen, wenn sie weibliches Terrain betreten, um den neuen Mädchen und Frauen Platz in ihrem Gebiet zu geben. Mädchen, die sich selbstbewusst und fordernd geben, verhalten sich konform, Jungs, die sich abwartend und gebend verhalten, werden verschrien und verlacht. Das alles ist zu einseitig, auch Jungs müssen sich emanzipieren von den Erwartungen der Frauen. Gerade dann, wenn es Peter Pans sind. Solche Jungs werden sich immer für Wendys entscheiden, weil die Wendys sie vor den eigenen Konflikten beschützen. Diese Art Mädchen geben jeder Laune Peter Pans nach, sie bemitleiden ihn für seine emotionale Schwäche, obwohl sie enttäuscht über seine Unreife sind, halten sie zu ihm. Sie vermeiden es ängstlich, den Peter Pan wegen seiner Sprunghaftigkeit zur Rede zu stellen, der Sprunghaftigkeit der Gefühle ihnen gegenüber.

Ein Peter Pan weigere sich, die männliche Rolle zu übernehmen, weil er nicht wisse, was auf ihn zukommt. Das Problem auf seinem Wege werde er als Ende einer Sackgasse begreifen, in der er bleiben werde. So falle er für die Gesellschaft aus, falls nicht eine Frau von der anderen Seite mühsam über das Problem hinwegklettere, das doch eigentlich seines sei.

Man könne keine Menschen ändern, schon gar nicht könne eine Frau einen Mann ändern, er sei eben kein Junge mehr, auch wenn ein Peter Pan das von sich selbst ja glaube.

Ein Peter Pan spiele als ewiger Junge einen Mann, der einen Jungen spiele, und so beiße der Hund sich fortwährend selbst in den Schwanz: ›Geh nicht in den Wald, wenn du Angst vor Wölfen hast.‹

Auch wenn die Fischer der Saudade das südfranzösische Geheimnis um die Kostbarkeit der Kurznasenseefledermaushaut mit ins Grab genommen haben, selbst der portugiesische Reeder kannte es nicht, denn wie sich herausstellte, verkauften die Seeleute diese Haut schwarz und nahmen ihr Geheimnis also mit in ihr nasses Grab, bin ich in meiner Funktion als Schriftsteller oft gefragt worden, wie uns diese Haut denn retten könne?

Ehrlich, ich weiß nur, es ist die letzte Haut, die es überhaupt noch kann.

Diese Haut wird die Menschheit vor dem Untergang bewahren, wir wissen nur noch nicht wie.

Darum sollten wir besser alle Fische beschützen, selbst die hässlichsten und faulsten.

Wenn sich Mitstreiter fänden, könnten wir eine Stiftung gründen: ›Verein der hässlichen Tiere und Pflanzen e.V.‹

Sind Sie interessiert, Gründungsmitglied zu werden, so schreiben Sie eine kurze Nachricht an: Volker Harry Altwasser, c/o Verlag Matthes & Seitz Berlin, Göhrener Straße 7, D-10437 Berlin.

Verwendete Bücher (ungeordnet)

Paare, Passanten. / Besucher. / Grashalme. / Beowulf. / Tender Bar. / Schiffe gehen gelegentlich unter. / Weiße Wasser. / Der Atlantik schweigt nicht. / Die Frau in den Dünen. / Seemann, Tod und Teufel. / Salzwasser. / Insel 34. / Meeresrand. / Kielwasser. / Bolek und Lolek am Orinoko. / Über dem Kliff. / Unmittelbare Unwirklichkeit. / Hundert Jahre Einsamkeit. / Selim oder Die Gabe der Rede. / Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer. / Nagaoka. / Arnes Nachlass. / Pragmatismus. / Emmanuelle oder Der Garten der Liebe. / Emmanuelle oder Die Schule der Liebe. / Emmanuelle oder Die Liebe zur Kunst. / Was braucht mein Sohn. / Männerängste in der Literatur. / Vatersöhne. / Geburt einer Mutter. / Muttersöhne töten leichter. / Was sagt der Tiger? / Bushido. / Kalevala. / Der letzte Pirat der britischen Krone. / Himmelbesen über weiße Hunde. / Terror auf See. / Die praktische Knotenfibel. / Bartleby. / Knoten. / Ein Rostocker Hochseefischer erzählt. / Aus dem Bordbuch des Christoph Kolumbus. / Schiffbruch mit Zuschauer. / Piratinnen! Das Meer gehört uns! / Meeresfische. / Katastrophen auf See. / Auf Kollisionskurs. / Der Untergang der Essex. / Trawler. / Der alte Mann und das Meer. / Gran Sol. / Moby-Dick. / Der Atem des Meeres. / Elpenor. / Die letzte Heuer. / Hochseefischer. / Fänger und Gefangene. / Der Seewolf. / Auf hoher See. (Bildband.) / Kontinent der Wale. (Langgedicht.) / Inseln. Eine Faszination. / Das Peter-Pan-Syndrom. / Warum Söhne ihre Väter brauchen. / MannsBilder. Von Männern. / Bullshit Nights. / Rimbaud – Die späten Verse. / Sehnsucht nach dem Vater. / Letztes Schweigen. / Hinterm Horizont. (Reportagen über das Meer.) / Runge in seiner Zeit. (Katalog.) / Elf Arten der Einsamkeit. / Geliebte Lügner. / Die Ersten und die Letzten. / Männer ohne Frauen. / Der Sieger geht leer aus.

Verwendete Zeitungsartikel (ungeordnet)

Astreine Detektive. Wie Hamburger Holzforscher Betrügern auf die Schliche kommen. / Lied der Hochseefischer. / »Wir wollen einfach nur Geld.« Sie sind die Schrecken am Horn von Afrika. / Das ist die perfekte Welle. / 17jähriger segelt einmal um die Welt. / Kapitän verlangt Sicherheitsräume. / Seebären mit langen Haaren und Makeup. Frauen an Bord sind immer noch Minderheit. / Ein stinknormales Sterben. / Die Knoten sterben langsam aus. / Walfang in Deutschland in den dreißiger Jahren. / Fische aus dem Rinderstall. Landwirte stellen um auf Fischzucht. / Zukunft Aquakultur. Die Ozeane sind überfischt, die Ausbeutung an Wildfang stagniert. / 11,2 Millionen für Fischwirtschaft. / Intensivierung der Aquakultur schafft gravierende Probleme. / Wie sterben Fische? / Gammelfisch in Rostock. 300 Tonnen verdorbene Lachsforelle wollte eine norwegische Firma auf den Markt bringen. / Männersachen. Über Adams Söhne und die Probleme mit ihrer Rolle in der Gesellschaft. / Der Geschmack von Freiheit und Mündigkeit. Eine Antwort auf die Frage: Was ist eine gute Religion? / Piraten mit Hightechwaffen vor Afrikas Küste. Marine machtlos gegen Angriffe. / Studie: Seeleute fühlen sich wie Gefangene an Bord. / Luxus-Yacht von Piraten gekapert. Überfall auf französisches Segelschiff. / Die Schrecken der Meere. / Gekaperte Luxus-Yacht: Paris setzt auf Verhandlungen mit den Kidnappern. / Tanker gekapert: Piraten schwimmen im Öl. / Hier entert die deutsche Marine ein Piratenboot. / Angriff auf See: Indische Fregatte versenkt Piraten. Die Lage am Horn von Afrika eskaliert. /»Mecklenburg-Vorpommern« schlägt Piraten in die Flucht. / Warum Ausgrenzung weh tut. Im Gehirn sind Körperpein und Seelenqual eins. / Weiterentwickelte Wasserkanone soll Piraten auf Distanz halten. / Segler nach 17 Stunden aus gekenterter Yacht gerettet. / Toter Pirat mit 153 000 Dollar Lösegeld angespült. / Deutsche Marinesoldaten überwältigen Piraten. Soldaten der Fregatte »Karlsruhe« schützten ein ägyptisches Handelsschiff. / Sprachlos vor Entsetzen: Der Umgang mit dem seelischen Beben. / Wandern und Bergsteigen von Hütte zu Hütte. / Zwischen Ammer und Lech. / Der Seekrieg gegen die Piraten beginnt. Die Marine steht vor der ersten Kampfmission ihrer Geschichte. / Gesellenstücke 2008: 616 259 Ausbildungsverträge abgeschlossen, 305 in der Seeschifffahrt. / Enorm viel Kapital auf den Meeren. / Mit 17 die Welt umsegelt. / Lilli Marleen. (Liedtext der Bordhymne der Fregatte »Bremen«.) / Vaterlose Mäuse leben länger. / Walfänger rammt erneut Schiff von Tierschützern. / Rätsel in der Tiefe. Neues von ›Atlantik‹. / Experten warnen vor Kollaps bei Fischbestand. / Umweltbundesamt: Großteil der Fangflotte stilllegen. / Israel stürmt Hilfs-Flotte: 19 Tote. / Kleine Königslibelle taucht wieder auf. / Hilfe für Opfer von Missbrauch. Landtagsgrüne fordern bessere Angebote speziell für Buben.

Weiteres verwendetes Material (ungeordnet)

Diverse Bücher und Artikel aus den Beständen der Bibliotheken Berlin-Moabit, Greifswald, Leipzig und Rostock, wo ich zeitweise wohnte. Eine Rekonstruktion war nicht mehr möglich.

Die Herkunft der Gedichte »Kastrieren«, »Der kleine Sklave« und »Ans Meer« konnte nicht mehr ermittelt werden, da sie nur als Kopien vorliegen. Ein Hoch auf die Verfasser!

Dank (ungeordnet)

Ohne die niedersächsische Stipendienstätte in Schreyahn wäre dieses erste deutschsprachige Hochseeepos niemals fertig geworden. Ein Hoch auf Christiane und Axel Kahrs und die Gemeinde in Lüchow-Dannenberg!

Neunzehnhundertachtundneunzig hatte ich zum ersten Mal die Idee zu diesem Werk, im Jahre zweitausendzehn schloss ich die endgültige Fassung ab, wobei die anderen zwei Variationen über das gleiche Thema parallel verfasst wurden: Die Rahmenhandlung aus ›Letzte Haut‹ und der Roman ›Letztes Schweigen‹, Sie werden das Thema schnell herausfinden können. Wem Roberts Vergangenheit hier zu kurz gekommen ist, dem sei ›Letztes Schweigen‹ empfohlen, als Robert noch Volker hieß.

Ich schrieb diese drei Variationen auf ein Thema mit der Erzählhaltung des Pragmatikers, die heute wenig verbreitet ist: Inszeniere das Böse, um an das Gute im Menschen zu appellieren.

In diesen zwölf Jahren der Flucht und der Suche waren mir viele Kollegen wichtige Gesprächspartner. Ein (ungeordnetes) Hoch auf eure starken Nerven:

Anke Stelling, Robby Dannenberg, Paula Schneider, Juli Zeh, Kristof Magnusson, Claudia Klischat, Axel Schöpp, Beatrix Haustein, Steffen Popp, Clemens Meyer, Patricia Schwan, Stefan Müller, Jörg Menke-Peitzmeyer, Sebastian Unger, Franziska Gerstenberg, Stefan Finke, Tobias Hülswitt, Burkhard Spinnen, Katja Lange-Müller, Hans-Ulrich Treichel, Thomas Hürlimann, Christiane und Axel Kahrs, Katja Oskamp, Josef Haslinger, Sebastian Guggolz, Dagmar Leupold, Ilma Rakusa, Ursula Krechel, Herta Müller, Harald Hartung, Hans Michael Speier, Ricarda Junge, Georg Klein, Jörg Jacob, Markus Orths, Andreas Rötzer, Günter Grass, Klaus Modick, Björn Kuhligk, Jan Christophersen, Mareike Krügel, Wolfgang Gabler, Konrad Reich, Ferdinand Schmatz, Jörg Feßmann, Jan Volker Röhnert, Hans-Gerd Koch, Marion Poschmann, Achim Stegmüller, Tilman Rammstedt, Jens Sparschuh, Karin Graf, Olaf Petersenn, Björn Kern, Antje Strubel, Julia Schoch, Thomas Lang, Ron Winkler, Lucy Fricke, Marianne Freidig, Sarah Weight, Matthias Senkel, Thomas Hettche, Meike Feßmann und Hans-Jürgen Schumacher.

Zurück bleibt der Aberglaube des Seemanns – denn Aberglaube ist noch immer die sympathischste Ausrede für Leerfang –, erscheint dieses Werk doch im dreizehnten Jahr seiner Fertigstellung. Klopf auf Holz, spuck gegen den Wind über die Schulter: Gib alles.

Teil 1

Als würde die Haut der Kurznasenseefledermaus atmen, als hätte er sich einen lebenden Handschuh übergestreift, so umhüllte dieses kostbare Gut seine Hand. Robert Rösch trug sie vor der Brust, vorsichtig, durch die Verarbeitungshallen, durch die Längs- und Niedergänge und vorbei an den Kammern, Lasten und Tanks des portugiesischen Fang- und Verarbeitungsschiffes Saudade.

Er ging, bis er vor dem Schott stand, durch das er aufs Außendeck gelangte. Mit einem kräftigen Ruck der rechten Hand zog er den schweren Hebel nach oben, die zwölf Riegel sprangen zurück, Robert Rösch trat ins eisige Blau von Labrador und verschloss das Außenschott sofort wieder, damit der Innendruck der Luftversorgung nicht abfiel.

Wie lange hatte er die Sonne nicht gesehen? Drei Tage? Vier? Seine letzte Kurznasenseefledermaus hatte er an einem Sonntag gehäutet, das wusste er noch, aber in welchem Monat? Es hatte eine Flaute geherrscht. Es waren die Wochen einer dieser gefährlichen Flauten gewesen, in denen es nichts zu arbeiten gab, nichts zu lachen, nichts zu denken.

Und nun war es auch noch Mai! Dieser für ihn so gefährliche Monat. Robert Rösch ging, die Haut vor sich hertragend, vorsichtig zur Reling und sah einen Moment lang übers Meer. Er durfte gar nicht daran denken.

Der siebenunddreißigjährige Rösch spuckte in die See, ging mit seiner Ausbeute zur Außentreppe, die zur Nock führte, und setzte sich auf die unterste Stufe. Vorsichtig zog er sich die Haut von der Hand, stülpte sie um, so dass das nach Amber duftende Purpur innen war, und legte sich die nun unscheinbar wirkende Fischhaut auf die flache rechte Hand. Robert Rösch hielt diesen gräulichen Lappen hoch, legte den Unterarm auf den Schenkel und nahm sich mit der Linken den ersten der Auswüchse vor, in denen sich Stacheln mit Giftdrüsen befunden hatten, die er unter Deck provisorisch abgekniffen hatte.

Er massierte den harten Knubbel, bis er sich verflachte und von selbst den Rest des Stachels freigab, den er schnell auf die Metallplanken pustete, ehe er sich den nächsten vornahm. Liebte er Mathilde nun oder hatte er sie aus Mitleid geheiratet? Aus Selbstmitleid?

Verbrachte er darum die Hälfte des Jahres auf der Saudade? Immer die Hälfte, in der sich auch der Mai befand? Erholte er sich nur auf dieser ›letzten Insel der alten Männerwelt‹ vom Eheleben und von dem ewigen Gerede? Aber nein, er liebte sie doch während der Abwesenheit viel inniger! Hier, mitten auf See, war er ihr doch so unsagbar nahe, hier hatte er doch so viel Angst um sie.

Konnte ein Mann nicht sowieso viel besser aus der Ferne lieben?

Robert Rösch sah auf seine Hände.

Achtundzwanzig Zentimeter wurden diese Kurznasenseefledermäuse lang. Sie lebten auf flachem, sandigem Grund, auf Korallensand, aber auch auf Schlamm und Tang.

Langsam schoben sie sich mit Hilfe von Brustflossen und Schwanz über den Boden, ernährten sich von Weichtieren, kleinen Fischen, Krustentieren und Würmern, und nur wenn er ihnen mit eben dieser Langsamkeit auf den Leib rücke, hatte Robert Rösch begriffen, könne er ihnen die harte, stachlige Haut abziehen, die in der Umgebung von Bordeaux mit Gold aufgewogen wurde.

Hier habe er eine Aufgabe, eine echte und einzigartige Arbeit, sei er an Bord doch der Mann mit den schmalsten Händen. Musikerhände. Robert Rösch habe die Kurznasenseefledermaus verstanden und häute sie wie kein anderer. Er sei ein echter Facharbeiter geworden. In der ganzen Fischereiflotte finde sich kein zweiter Mann, der die Fledermaus so sauber häuten könne, hatte der Kommandant einmal während eines Bordappells gesagt. Ihm, diesem schmalen Rösch da, sei es zu verdanken, dass die Heuer der einhundertsechsundsiebzig Besatzungsmitglieder mit einem Bonus von tausendsechshundert US-Dollar aufgestockt werde könne. Der Kommandant sei stolz auf ihn, auf seinen Filigranen!

Robert Rösch lächelte, während er einen weiteren Stachelrest wegpustete. Seit jenem Appell wurde er von den Männern beinahe auf Händen getragen. Keiner der Seebären, die mit den unterschiedlichsten Religionen aus den verschiedensten Regionen der Welt aufs Schiff gekommen waren, machte sich seitdem mehr über ihn lustig. Er war nicht länger der Halbstudent. Robert Rösch war der Filigrane.

Und der mächtigste Mann an Bord war also stolz auf ihn. Ausgerechnet auf ihn. Er sah kurz hoch, musterte den Horizont und sagte leise: »Aus dem Schwachen erwächst der Starke, denn Stärke ist die Fähigkeit zum Verzicht.«

Er sah auf das Gold in seinen Händen, mit dem er nun seine Familie ernährte, begutachtete die geschmeidige Seefledermaushaut ausgiebig, ehe er sie zum Kommandanten brachte, damit der sie in seiner Kajüte trocknen lassen konnte, um sie später in den Tresor einzuschließen.

»Und sonst?«, fragte der Kommandant und war erstaunt, als sein Spezialist sich mit einem Stöhnen in einen der rotbraunen Ledersessel fallen ließ und den Kopf schüttelte.

»Was gibt’s?«, fragte der Kommandant. Er sah unwirsch auf die Wanduhr, dann wieder zu seinem Arbeiter, der immer noch schwieg. Hatte er es doch gewusst! Lobe man den falschen Mann, fasse dieser ein blindes Vertrauen und rücke einem nicht mehr von der Pelle.

»Es ist Mai!«, sagte Filigraner.

»Erst in zwei Tagen, aber wir machen hier keinen ›Tag der Arbeit‹, falls es das ist, was du willst.«

Filigraner schüttelte den Kopf und sah zum Bullauge.

Rösch solle einfach mit dem Reden anfangen, viele Möglichkeiten habe er nicht, ermunterte ihn der Kommandant. Er wisse doch, dass er an Land erst recht nicht reden könne, er sei ein Seemann, ob er das nun gewollt habe oder nicht. Er sei ein Mann der See, das stehe fest, ein Seesüchtiger, der nur hier frei sei. Er sei ein Süchtiger unter Süchtigen, meinte der Kommandant und befahl: »Rede!«

Filigraner nickte, sah seinem Vorgesetzten fest in die Augen, der seinem Blick standhielt, und sagte nach einem Räuspern: »Meine Frau. Mathilde versucht, sich umzubringen.«

»Versuche zählen nicht«, sagte der Kommandant sofort und sah zum Bullauge.

»Schon drei Mal.«

»Drei Mal? Das ist viel.«

»Immer im Mai.«

Wieder sah der Kommandant zur Wanduhr, ging zum Schreibtisch, drückte einen Knopf und gab den Befehl, ihn in den nächsten zwanzig Minuten nicht zu stören. Er setzte sich zu seinem Arbeiter, goss zwei Single Malt, fünfzehn Jahre, ein und sagte: »Pack aus, Junge, erzähl schon!«

Robert Rösch nippte am Whisky und nickte: »Das erste Mal in den Bergen. Vor acht Jahren waren wir dort.«

»Ein Seemann gehört nicht in die Berge. Ganz gewiss nicht. Ein Seemann hat sich von den Bergen fernzuhalten. Erst recht, wenn er ein Fischer ist. Ein Hochseefischer.«

»Das weiß ich jetzt auch, aber Mathilde lag mir seit Monaten in den Ohren, sie wolle in die Berge!«

»Und dann hast du nachgegeben, weil du deine Ruhe haben wolltest. Keine gute Ausgangslage. Ein Mann, der nur nickt, um seine Ruhe zu haben, wird die nächsten Stürme nicht überleben.«

»Ja, Kapitän, Sie verstehen mich gut.«

Der Kommandant nickte und goss nach: »Und nach der Ruhe kam der Orkan?«

»Wegen dieser verdammten Fernsehberichte. Ich meine, da wird man doch verrückt im Kopf, wenn man immer diese Berichte aus der ganzen Welt sehen muss! Weiß doch jeder, dass es nie so ist, wie es gezeigt wird. Weiß doch jeder! – All die schönen Berge. Sonnenaufgang mit Frühnebel im Tal. Grelles Strahlen auf den Bergspitzen. Sah ja gut aus! Aber war doch nur Fernsehen! Heutzutage glauben die Leute dem Fernseher mehr als dem Nachbarn.«

»Erzähl endlich, halte mich nicht hin! Zehn Minuten habe ich noch für dich, dann muss ich wieder zum Kartentisch.«

»Bergkämme mit Schnee, der nie taut! Der noch nie getaut ist. Niemals, ich meine, was weiß so ein Schnee schon vom Schmelzen? Was weiß so ein Berg schon vom Tal? Kindischer Angeber! Der kennt doch gar nichts, keine Gefahr, keine Tücken, nichts, und wir aber hin da! Mit dem Auto.«

»Ausgerechnet mit dem Auto von der Ostsee in die Berge, sag mal, seid ihr bekloppt? Da gibt’s schöne Nachtzüge und alles.«

»Aber mit dem Auto hast du den Vorteil, jederzeit umkehren zu können. Jederzeit, das war ja mein Plan. Drei Mal verfahren und mit großem Tamtam: Jetzt reicht es mir aber! Jetzt kehren wir um! – Blöder Süden, macht einen ganz verrückt! – Und ich hatte vergessen, meine Frau stammt ja aus Bayern! Und Mathilde kannte sich da noch gut aus, sehr gut sogar, obwohl sie mit achtzehn Jahren in den Norden gekommen war. Meine Frau hatte wohl einfach Sehnsucht, als wäre die Erinnerung an die Kindheit die Kindheit selbst. – In München habe ich sieben verdammte Sackgassen ausprobiert, aber Mathilde hat uns durch die Stadt gelotst, als wäre sie da tatsächlich zu Hause. – Als wir aus München raus waren, immer noch Richtung Süden, da saß ich dann plötzlich auf dem Beifahrersitz! Damit hatte ich nicht gerechnet. Ab diesem Moment war die Sache gelaufen. Mathilde fuhr unsere alte Kutsche, diesen uralten Mercedes, und der war ja viel zu breit für die schmalen Bergwege da. Ich saß auf dem rechten Sitz und musste bald mit einer verdammten Seekrankheit kämpfen. Die schmalsten Wege hoch und runter, wieder hoch und wieder runter, Sechzig-Grad-Kurven, Neunzig-Grad-Kurven, steuerbord der Abgrund, backbord die Felshänge und alle zweihundert Meter entgegenkommende Fahrzeuge, ich meine, es ist doch Todessehnsucht, die einen in die Berge lockt. Ich meine, auf den Bergkämmen sitzen all die Tode zusammen und spielen Skat, und wenn es einem von ihnen mal langweilig wird, dann lockt er seinen Menschen hoch, um ihn dann im Gelächter hinunter zu stoßen. Ich hab es selbst gehört, Kapitän, dieses Grollen, kurz bevor die Lawinen sich losmachen. Steinlawinen! Laut wie tauende Eisberge! – Himmelangst wird einem da bei den Wegen, die man Straßen gar nicht nennen kann, gar nicht. Viele hatten nicht einmal Teer auf dem Buckel, einfach Schotter, der die Tausende von Metern hinunterrieselte, sobald wir auf ihm fuhren. Kapitän, ich hab’s doch gesehen! – Zum Glück kamen uns nur Einheimische entgegen, die die Wege zu nehmen wussten. Was die da oben herumkurvten! Und vom Bremspedal hatten sie auch noch nie etwas gehört. Zuerst ging ja alles gut, kam uns einer entgegen, Mathilde rechts ran, Warnblinker raus und abgewartet, bis die Einheimischen das Umschiffen schon irgendwie gemeistert hatten. Ich meine, nicht wenige, die anhielten und fragten, ob unsere alte Kutsche defekt wäre. – Und als die Frager dann immer durch das Fahrerfenster sahen – Mathilde beruhigte sie mit einem Lächeln –, da wurden sie immer ganz mitleidig. Sie brauchten bloß meine blasse Fresse sehen, schon war ihnen alles klar. Richtiggehend fürsorglich wurden sie dann, aber ich hatte immer nur abgewunken, war still geblieben, schweigsam, wie es sich in der Fremde für einen Hochseefischer gehört. – Nicht vorzustellen, wenn uns ein Kennzeichen HH oder HWI entgegengekommen wäre, nicht vorzustellen. – Wir fuhren in die Nacht rein, ich sagte, wir sollten lieber in einer Pension einkehren und uns am nächsten Tag den Gipfel vornehmen, aber Mathilde wollte unbedingt zur Großen Klammspitz, unbedingt! Sie meinte, da befände sich eine Berghütte, da könnte man übernachten. Sie wollte am Morgen die Sonne am Gipfelkreuz begrüßen, das selbst wie eine Sonne gebaut wäre. – Ich meine, was soll man dagegen schon sagen? – Schließlich sind wir in Oberammergau. Fahren durch den Ort, und jetzt war da wirklich eine Sackgasse vor uns, aus der auch Mathilde nicht mehr herauskommt. Diese Sackgasse ist aber unser Ziel. Sie mündet in einen Parkplatz, wir ziehen den Parkschein, und dann gehen wir den Weg an, er führt steil hoch. Zuerst noch stabile Steinstufen, dann Holzstufen, dann nur noch Lehm, Steinchen und Sand. Mathilde mit der Taschenlampe in der Hand voran, immer dem Weg hinterher, der sich hochschlängelt, der einfach nicht aufgeben will. Genau wie Mathilde, auf einmal ist sie ganz und gar Einheimische. Ich keuche hinter ihr her. Sie wartet an manchen Kurven und grinst mich in der Dunkelheit an, aus der eine Kälte steigt, die einen fast lähmt. Mathildes Atem vor ihrem Lächeln, und das Einzige, was sie sagt: ›Zurück geht nicht, wir müssen zur Berghütte, die haben die ganze Nacht auf.‹ – ›Na, wenn du meinst‹, sage ich, und dann sage ich nichts mehr. Jedes Wort zieht ja doch nur ein anderes nach sich, und was am Ende bei rumkommt, das ist ein handfester Streit, mitten in den Bergen, über den die Tode sich dann köstlich amüsieren. Ruckzuck ist da dann eine Steinlawine im Anmarsch; nein, nein, da heißt es, besonnen bleiben und die Schnauze halten, wenn man überleben will. Überleben in fast zweitausend Metern Höhe, Kapitän, das ist nicht leicht. Oberammergau liegt auf achthundert Metern, nach drei Stunden bist du über die Sonnenspitze drüber und bei den Pürschlinghäusern, die sich auf tausendsechshundert Metern am Pürschlingkopf befinden. Wir haben achthundert Meter Höhenunterschied überwunden, aber Mathilde will unbedingt noch über den Hennenkopf zur Brunnenkopfhütte, die sich auf tausendsiebenhundert Metern beim Brunnenkopf befindet. Nicht mehr so steil, aber du weißt ja, Kapitän, die Länge trägt die Last. Noch mal sechs Kilometer, die wir kurz vor Mitternacht auch geschafft haben. Zum Glück leuchten uns der Vollmond und die Sterne, es ist zum Glück nicht so dunkel. Ich falle sofort ins Bett, Mathilde trinkt noch ein Selbstgebrautes mit den Wirtsleuten, ich schnarche schon im Rhythmus der anderen Wanderer. Am Morgen holt mich Mathilde aus dem Bett, wir waschen uns draußen unter der Brunnenpumpe. Das kalte Wasser tut uns gut. Obwohl es immer noch dunkel ist, sind wir mit einem halben Dutzend Lunchpaketen schon auf dem Weg zur Großen Klammspitz, die Mathilde unbedingt bezwingen will. Weiß der Teufel, wieso, der weiß es! Obwohl, es gibt ja gar keinen Teufel, es gibt ja nur Gott, wenn er betrunken ist. – Und an diesem Morgen war Gott betrunken! – Kaum haben wir die Hütte hinter uns, sind gerade in einem Tal angekommen, da stehen wir auch schon vor einer Felswand! Ich frage: ›Spinnst du?‹ Mathilde schüttelt den Kopf und fängt an zu klettern! Wir sollen klettern! Eine Wand, so steil wie die Außenhaut unseres Schiffes! Von Einkerbung zu Einkerbung und mit jedem Schritt an diesem Kalkfelsen werden die Grasbüschel und das Gestrüpp weniger. Schließlich nur noch Stein und Fels. Noch etwa zehn Meter, da bleiben wir plötzlich auf den Steinchen stehen, die schnell ins Rutschen kommen. Ich schiebe mich an Mathilde vorbei, weil mir die Sache zu gefährlich wird. Ich will mich auf diesen verdammten Kamm setzen und meinem Tod sagen, er solle sich ein anderes Hobby suchen, wenn ihm die Skatspiele zu langweilig werden. – Doch Mathilde ist immer noch an der gleichen Stelle und reagiert nicht mehr auf meine Rufe. Ich bin oben, lege mich auf den Bauch, strecke den Arm aus, sie braucht nur zuzufassen, so dicht ist sie, aber sie tut es nicht. Sie dreht sich um, in diesem Augenblick steigt die Sonne über einen anderen Kamm, noch ganz rot vom gestrigen Saufen mit Gott, und Mathilde nimmt die Hände vom Berg! Mit den Sohlen rutscht sie, erst ein paar Zentimeter, dann Meter! Sie hält sich nicht fest, ihr Körper kommt ins Rollen, sie überschlägt sich, ihre ganzen schönen Lunchpakete gehen über Bord! Mathilde rollt runter, das begreife ich jetzt erst. Ich sehe ihrem Rollen zu, keine Anstalten, sich festzuhalten, ich schwöre es, keine Anstalten! – Schließlich knallt sie nach fünfzig Metern auf einen Felsvorsprung, zum Glück, macht noch ein paar Umdrehungen, bleibt aber auf dem Vorsprung liegen, zum Glück! Auf dem Rücken, Arme ausgebreitet, Gesicht in den Himmel, aufgeplatzte Tomaten um sie herum, und ich höre ihren Tod feixen! Lawinenlachen, Kapitän, du weißt, was ich meine. – Mir wird sowas von schwindlig! Ich kann mich nicht mehr bewegen, da auf diesem Grat. Ich starre nach unten, und alles dreht sich mir vor Augen. Keine Bewegung, keine von mir, keine von Mathilde. Ich rufe, Mathilde macht gar nichts. Ich brülle sie an, ich mache sie richtig fertig mit Worten, ohne dass sie sich bewegt, als von der anderen Bergseite einheimische Kletterer kommen und fragen, was los sei. Ich deute nach unten. Der eine kümmert sich um mich, meint, ich habe Bergkoller, Höhenangst. Er hilft mir, Schritt für Schritt runter von dieser verdammten Klammspitz, auf der ein Seemann nichts zu suchen hat, und die anderen beiden Männer kümmern sich um Mathilde. Sie bringen sie dazu, sich hinzusetzen. Sie legen die aufgeplatzten Tomaten ordentlich auf einen Haufen und setzen sich neben meine Frau. Sie sehen mir und meinem Helfer zu, und als wir endlich auch auf dem Felsvorsprung stehen, da hänge ich in den Armen dieses Fremden und frage Mathilde wieder: ›Spinnst du?‹ Ich frage sie, ob das geplant gewesen sei, ob das von Anfang an so geplant gewesen sei, aber zum Glück antwortet Mathilde mir nicht. Sie sieht mich mit großen Augen an und sagt: ›Es ist doch Mai.‹ – Es sei doch Mai, und diesen Monat habe sie immer geliebt, immer, bis zu jenem Mai, in dem sie von hier weg auf die Insel Rügen gekommen sei, und da weiß ich, was los ist mit ihr. Und ich nicke, höre mit dem blöden Gemecker auf, ich setze mich neben sie, nehme sie in den Arm, und leise wippen wir hin und her. – Ich verstand sie, und ich begriff, dass ich vor diesem verfluchten Mai nie wieder Ruhe haben werde. Nie wieder, egal, wo ich gerade sein werde. – Eintausendneunhundertvierundzwanzig Meter über dem Meeresspiegel, da ist die Große Klammspitz, Kapitän«, endete Robert Rösch und sah den Kommandanten an, der nicht zu fragen wagte, was Roberts Frau auf Rügen passiert sei. Er goss erneut nach und sah auf die Wanduhr. Eine ganze Stunde war vergangen! Eine ganze Stunde! Der Kommandant schüttelte den Kopf, stand auf und fragte: »Und die anderen beiden Male?«

»Die waren nicht mehr so schlimm, weil ich vorbereitet war«, antwortete Robert Rösch und erhob sich ebenfalls: »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meinem Kram so belästigt habe. Entschuldigen Sie bitte, Herr Kapitän. – Ich weiß, man bringt die persönliche Scheiße nicht mit an Bord.«

»Kein Thema«, sagte der Kommandant, und als Robert Rösch schon am Schott war, da fragte er doch: »Und warum? Was war auf Rügen?«

Robert drehte sich halb um, hielt die Metalltür auf und winkte ab.

Und der Kommandant der Saudade nickte, war es ihm doch auch lieber so.

Er zog sich die Jacke über, während Filigraner den Niedergang hochstieg, um vor der Schicht noch eine Mütze Frischluft zu nehmen.

Als schnitten der unerbittliche Sturm und das mit Eissplittern gespickte Salzwasser, das in Böen übers Oberdeck fegte, die Gesichtshaut in Fetzen. Die Kordel des Fischerhuts würgte Robert Rösch, so dass er sie vom Kehlkopf weg auf die beiden Knochen ziehen musste, die aufeinander zuliefen. Der Orkan raubte ihm den Speichel, er musste aber den Mund offen halten, um überhaupt noch atmen zu können. Doch trotz allem mochte er die Georgebank, auf der sie sich befanden, schmolzen hier die mächtigen Eisberge des Nordens doch geradezu majestätisch vor sich hin. Robert Rösch meinte, hier, wo der Golfstrom den Labradorstrom schneide, sei der größte Eisbergfriedhof der Welt, und sich auf einem solchen zu befinden, das Wrack der Titanic unter sich zu wissen, das sei schlicht das Erhabenste. Geduckt stand er. Breitbeinig. Mit beiden Händen hielt er sich am stählernen Vierkant des Schanzkleides der Nock fest. Ließ die See sich über ihn ergießen, ließ das Salz die Haut ausbrennen, ließ die Sturmwellen sich an ihn brechen. Er trotzte dem Orkan und dachte: ›Lern schwimmen und verarsch die Haie.‹

Ein paar Seemeilen weiter westlich waren Boston und New York, ganz in der Nähe befand sich Nuntucket Island, die Heimat des legendären Walfängers Ahab, doch was kümmerte ihn das alles? Nicht viel. Robert Rösch grinste und genoss den Schauder, der ihn durchfuhr, als die Stimme des Kommandanten durch die Bordlautsprecher den neuen Kurs befahl und mit den Worten endete: »Hiev ab in vier Minuten. Deck besetzen. Deckbesatzung: Netze aufklaren!«

Sturmstärke neun, Tendenz steigend, doch Robert Rösch wollte auf dem Außenbalkon der Trawlbrücke bleiben und dem Hieven zusehen, ehe er wieder nach unten zu den Fließbändern musste. Er schlug einen Gordingstek an einen Schekel. Auch wenn dieser Never-open-again-Knoten sich bei Last stark bekniff und dann nur noch mit einem Marlspieker wieder gelöst werden konnte, Robert Rösch schlug ihn, war doch ein sicherer Knoten der dritte Arm des Seemanns. Er wusste, der Gordingstek sei treuer als jede Katze und diese Treue würde ihn an Bord halten, auch wenn der Kaventsmann noch so riesenhaft daherkäme.

Nirgends fand sich auch nur der Schimmer eines Sterns. Gischt und Schaumkronen waren das einzige Hell in der Weite, und nur die vierzehn Starkstromlampen auf dem Fangdeck unter ihm waren eine wirkliche Lichtquelle, wenn die roten und grünen Lämpchen der Trawlbrücke nicht galten, die sich neben Robert Rösch befanden und die er nicht gelten ließ. Und auch nicht den grünlich bläulichen Schimmer der Hauptbrücke über sich. Gischt, von überall her Gischtkronen, zwar nur für Sekunden auftauchend, kamen sie ihm aber doch schaurig schön wie weiße Schatten des Todes vor.

Der Trawler machte langsame Fahrt, den Orkan so gut wie möglich abwetternd, aber gut ging es nicht. Auch Rösch spürte das Ankämpfen des Schiffes gegen die See. Wellenberg um Wellenberg erklomm es, um sich sofort in die Tiefe zu stürzen, und obwohl der Orkan sich verstärkte, plättete er die See. Der Seegang ließ nach, doch immer mehr Wasser wurde wie Staub durch die Luft geschleudert. Schließlich lagen die weißen Schatten des Todes selbst bei Robert Rösch auf der Nock. Er hörte den Sturm kreischen und grinste abfällig. Er dachte an die These des uralten Richards, der sich schon seit weit über fünfzig Jahren an Bord des Trawlers befand. Die Möwe kreische nur deshalb, weil sie die Fische in Panik versetzen wolle, denn ihr Kreischen erinnere den Fisch an die Geräusche der Stürme. So komme der verstörte Fisch der Oberfläche zu nahe und sei eine leichte Beute für die Möwe, die noch ganz andere Sachen könne, ganz andere!

Vom Kreischen der See umgeben und vom nassen Schwarz überrannt, fiel die alte Saudade ins Tal und hob Robert Rösch aus dem Stand, der sich an den Handlauf des Schanzkleides klammern musste und in die Knie ging, als das Schiff aufs Wasser aufschlug, ehe es sich in der Längsachse nach steuerbord drehte und den nächsten Berg hochgescheucht wurde. Was waren das doch für Gebirge! Wie lebendig! Wie tot waren dagegen die Berge der Alpen; Robert Rösch trat gegen einen zappelnden Rotbarsch, der sich auf der Nock verklemmt hatte.

Zwölf Meter über dem Fangdeck stand Rösch, aber der Barsch hatte trotzdem zu ihm gefunden.

Ein Knall schoss ihm durch den Kopf, Rösch hing an der verknoteten Leine, blickte neben sich, sah das zertrümmerte Fenster, schaute dem sich aufrappelnden Windenfahrer und dem Bootsmann zu, bemerkte die tief in der Holzvertäfelung steckenden Glassplitter.

Rösch warf einen Blick auf den Krängungsmesser, der bei siebenundfünfzig Grad stehen geblieben war, als sich das Schiff langsam wieder aufrichtete. Wie knapp sich der Zeiger doch vor dem dicken, dem roten, dem Unheil verkündenden Strich befand, auch Robert Rösch wusste, dass bei sechzig Grad alles aus war. Alles vorbei. ›Das ist keine Übung: Klarmachen der Rettungsinseln‹, wäre dann der nächste Befehl gewesen, so aber hörte er nur die Stimme des Kommandanten über die Lautsprecher sagen: »Achtung, sofortige Schadensmeldung über Funk aus allen Bereichen!«

»Brücke! Hier Fangdeck, das Netz schleppen wir noch, aber es wird langsam brenzlig.«

»Brücke! Hier Trawlbrücke, Sicherheitsglas Totalschaden, Wassereinbruch, aber wir kriegen es abgedichtet.«

»Brücke! Maschinenraum, keine besonderen Vorkommnisse.«

»Brücke! Verarbeitungsabteilungen, keine besonderen Vorkommnisse.«

»Brücke! Hier ist die Kombüse, es gibt heute keine Suppe als Vorspeise.«

»Brücke! Funkraum dicht und trocken.«

»Trawlbrücke! Hier Fangdeck, wir sollten den Hol jetzt retten, lange macht die Monroe das nicht mehr.«

Monroe hatten die Deckarbeiter also ihr Netz diesmal getauft, Robert Rösch grinste und sah unter sich alle zwanzig Deckmänner der Steuerbordwache am Heck stehen. Sie waren bereits mit den Laufseilen vertäut, an die sie sich immer wieder heranzogen, wenn die See sie nach steuerbord geschleudert hatte.

»Hier Trawlbrücke, Aufkommen in zwei Minuten!«

Da standen sie wieder, die zwanzig Männer wie einer, dieses Gemisch aus allen Religionen und Regionen der Welt, Robert Rösch wusste, dass nur ein einziger Gedanke sie jetzt durchströmte: Man überstand das Abschlagen des Eises von den Decksaufbauten bei vierzig Grad unter Null, man überstand das Abdichten von Lecks unter Wasser, das wochenlange Lenzen, und man überstand das tagelange Ausnehmen des Rotbarsches, weil die Gewissheit blieb, dass es zu Hause eine Frau gebe, eine treue Ehefrau, für die zu arbeiten und zu sterben sich lohne. Die Frau bleibe dem Seemann treu, und diese Treue sei ihm der feste Boden unter den Füßen, da könne die See noch so sehr wanken und wackeln. Die Frau bleibe treu, sie stehe zu ihrem Mann, der all das Leiden aushalte. Darauf könne die Frau zu Hause bauen, dass der Seemann auch die nächsten Stunden überstehe, mit einem abfälligen Lächeln. Dass er auch die kommende Zeit überlebe, mit einem frechen Grinsen. Dass er verlässlich bleibe, schweigsam und gelassen.

Erst recht, wenn er ein Deckarbeiter war! Robert Rösch nickte ihnen zu, die sich da unten Zentimeter um Zentimeter am Tau zurück auf ihre Positionen zogen, die im Eiswasser lagen und verächtlich lachten, diese Männer vom alten Schrot und Korn, deren Art allmählich ausstarb und die nur mit den Händen redeten, Robert Rösch wusste zwar, auch diese ›letzte Insel der alten Männerwelt‹ würde bald verschrottet sein, aber noch sah er sie auf ihrer Stahlinsel kämpfen: gegen die See und um jeden Fisch!

Alle vierzehn Starkstromscheinwerfer des Fangdecks flackerten, und Robert Rösch brüllte mitten in den Sturm hinein: »Wozu Licht, wenn unsere Frauen uns leuchten!«

»Ein Sturm verebbt, Treue niemals«, brüllte der neuseeländische Windenfahrer zurück, und Rösch nickte ihm grinsend zu, auch wenn seine eigene Frau sich da anders verhielt, solange es diesen verfluchten Monat Mai gab. Doch was soll’s? Der Kommandant hatte gesagt, erst in zwei Tagen sei es Mai! Heute war sie ihm treu! Ganz bestimmt. Heute Nacht war kein Selbstmordversuch zu befürchten, keine plötzliche Durchsage, Fischverarbeiter Robert Rösch solle sofort in den Funkraum kommen. Heute nicht. Heute werde Fisch gefangen und verarbeitet, meinte er. Heute werde mit den Händen geantwortet. Und gleich könne auch er loslegen.

Der Bootsmann nahm das Funkgerät in die Hand und sagte: »Bestmann, hörst du mich?«

»Klar und deutlich«, kam es vom Vorarbeiter der Deckmannschaft zurück, der auf dem Fangdeck die Bewegungen der zwanzig Männer koordinierte.

»Gebete beendet, fluchet und ziehet!«, sprach der Bootsmann die uralte Formel der Hochseefischer, die nun schon seit Jahrhunderten das Hieven einläutete.

Robert Rösch sah den blonden Iraner, der sich zum Heckende kämpfte, um die Heckklappen auszuhaken. Er sah ihn für Sekunden im einströmenden Eiswasser verschwinden, als er das Eis von den Heckklappenquerstangen abschlug. Er sah ihn ausrutschen und mit dem Hinterkopf auf die Eisenplanken schlagen, aber schon sah Robert Rösch ihn wieder stehen als der Teil des einen Mannes, zu dem sie da unten geworden waren. Wie prachtvoll sich der blonde Iraner am Tau wieder auf die Beine zog, ein Lächeln im Gesicht, war er doch gerade Vater von Drillingen geworden. Da stand der blonde Iraner wieder, und Robert Rösch sah ihm nickend zu, wie er die Handschuhe auszog und mit bloßen Händen ins Meerwasser griff, um die Bolzen der Fangleinenverankerung herauszuziehen. Nichts sei groß genug, um einen Mann, dem die treue Ehefrau gerade Kinder geboren habe, in die Knie zu zwingen, Robert Rösch brüllte einen Gruß, der aber vom Sturm weggerissen wurde, so dass er ihn selbst nicht verstand.

Wenn nur dieser vermaledeite Monat Mai nicht wäre!

»Aufkommen in einer Minute!«, sagte der Windenfahrer zum Bootsmann, der neben ihm stand. Robert Rösch sah zu ihnen, keine fünf Meter von ihm entfernt, und da der Sturm von backbord kam, brachte er ihm jedes Wort mit. Er sah den Bootsmann nicken und ins Funkgerät sprechen: »Bestmann, hiev up in einer Minute!«

»Verstanden, eins null. – Arschlöcher, legt an!«

Die Deckmänner nahmen die beiden Netzseile auf, Robert Rösch sah ihnen weiter vom Balkon der Trawlbrücke zu, und obwohl der Orkan ihn von einer Ecke in die andere warf – um nichts in der Welt wäre er jetzt gewichen.

Für einen Moment herrschte im ganzen Schiff Regungslosigkeit. In den Maschinenräumen, in den Verarbeitungshallen, in der Navigation, auf der Hauptbrücke, auch in der Kantine und im Büro des Wachtmeisters, und selbst der Funker schaltete für diesen Moment die Verbindung zu den anderen Trawlern ab, um sich auf die Bordlautsprecher zu konzentrieren. Alle einhundertsechsundsiebzig Männer hielten den Atem an, der Kommandant stand still im Orkan, die Füße fest auf den Planken. Allein Daumen und Zeigefinger des Windenführers bewegten sich jetzt auf dem einhunderteinundvierzig Meter langen Schiff. Jetzt galt alle Elektronik nichts. Jetzt galt einzig das Tasten des Windenführers.

Rösch harrte mit seinen Kollegen in stummem Bangen aus.

Noch dreißig Sekunden. Er hielt den Atem an, als könne in diesem Sturm ein einziger, unbeherrschter Atemzug das Netz von den Leinen reißen. Die Hände des Windenführers hielten still. Endlich, langsam atmete Robert Rösch aus.

»Kapitän, das Heck drückt!«, erklang die Stimme des Bootsmanns durch die Lautsprecher. Mürrisch klang sie, der Mann jedoch grinste, und auch Rösch lächelte.

»Hier Brücke, Maschinenraum! Alle Maschinen stopp! Vorschiffluken eins bis fünf fluten. Sechs bis acht halb fluten! Ende«, sagte der Kommandant.

Und aus brach der Jubel auf dem gesamten Hochseeschiff!

Wild schrien sich die Männer an, endlich, endlich sei die fanglose Zeit zu Ende. Endlich gebe es wieder Arbeit für die Hände, Robert Rösch wusste sie alle im Taumel vereint und jaulte vor Freude mit.

Unterhalb der Trawlbrücke versammelte sich nun die halbe Mannschaft, um den Hol mit eigenen Augen zu sehen. Alle Freigänger der Backbordwache drängelten sich unter Robert Rösch, um dem Hieven beizuwohnen, doch er, Robert Rösch, hatte als erster den Riecher gehabt und sich den besten Platz gesichert.

Er grinste und sah zum Windenfahrer und zum Bootsmann, die sich weiter auf der Trawlbrücke befanden, ehe er sich auf die Deckbesatzung konzentrierte, die nun gelbe Gummijacken trug. Sie stand in Formation auf dem Fangdeck, die Leinen in der Hand. Vermummt und mit großen, schwarzen Zahlen auf den Rücken, deren Ränder reflektierten, so hielten sie im eisigen Spritzwasser der Wellenberge aus. Ganz hinten, an der Slip, stand der Bestmann zwischen den beiden sich aufwickelnden Kurrleinen.

Neben Rösch wartete der Windenfahrer auf den entscheidenden Befehl, die Netzwinde wieder in Gang zu setzen, nachdem die Luken geflutet waren, und prompt kam die Meldung auch aus den Lautsprechern: »Maschinenraum an Brücke, Fluten gelukt; sorry, Luken geflutet!«

»Brücke an Trawlbrücke: Hiev up!«

»Aye, aye, Käpt’n«, sagte der Bootsmann und nickte dem Windenfahrer zu, der die Winsch sofort los brachte.

Die Schwimmkörper des Netzes tauchten auf, die Deckleute hielten die Kurrleinen straff.

Schwärme von Möwen kamen aus dem Nichts über das Schiff, aus allen Richtungen fielen sie ein. Schreiend und lachend stürzten sie sich auf die dicht unter der Oberfläche zappelnden Rotbarsche.

Ein gigantischer roter Teppich, der mit jeder Faser das Meer aufzupeitschen schien. Der Fisch kämpfe, aber er hatte bereits verloren, Robert Rösch schätzte den Teppich auf anderthalb Kilometer. Er jubelte in eine Böe hinein und schlug mit der Faust aufs Schanzkleid.

Die Netzbeschwerer krachten bereits die Slip hinauf, der Teppich wurde zusammengezogen, und Rösch sah den Bestmann wild gestikulieren. Die Deckmänner verstanden und begannen, das schwere Vornetz an Bord zu hieven.

Sie waren der eine Mann mit den zwei Armen, die die beiden Kurrleinen Stück um Stück an Bord zogen. Auf vereisten Planken. Zwischen aufkommenden Böen der Windstärken neun und zehn. Vom Seegang von einer Seite auf die andere geschleudert. Von Orkanwellen umgeworfen. Kniend, liegend, kriechend, doch niemals die Leinen loslassend, niemals! Und niemals den Takt verändernd, in dem sie zogen, niemals! Vor sich die Bilder der Heimat, zogen und schrien sie im Rhythmus gegen den Rhythmus der See.

Und auch Robert Rösch schrie den Takt lauthals mit, die Hände fest um den Vierkant der Reling. Er ließ sich die Worte von den Lippen reißen, ließ den Sturm sie zerfetzen, schrie ununterbrochen Sätze heraus, von denen er plötzlich im Überfluss hatte, Sätze, die zum Dialog wurden, in dem alles ausgesprochen wurde, was einem Hochseefischer wichtig war; Sätze, die in zwei Worte passten: »Hiev? – Up!«

»Hiev!«

»Up?«

»HIEV?«

»UP!!!«

Die Stahlplatten, die das Schleppnetz am Meeresgrund offen hielten, schleiften übers Fangdeck, der Dialog der Männer setzte sich ohne Unterbrechung fort: »Hiev? – Up!«

Das Vornetz lag auf dem Heck, das Hauptnetz dehnte sich mehr und mehr. Das Nylon zog sich in die Länge, aber reißen werde es nicht, oder?: »Hiev? – Up!«

Der eine Teil des Netzes war schon an Deck, der andere befand sich noch immer im Wasser und wurde schwerer, schwerer und schwer. Erneut schlug ein Kaventsmann die Deckleute nach steuerbord gegen die Reling, aber den Rhythmus der Fänger konnte auch er nicht verändern: »Hiev? – Up!«

Die gequälte See schien zu ächzen, glaubte Robert Rösch, als wolle sie ihren Reichtum nicht opfern, aber ein Fischer heiße nun mal Fischer, weil er fischt: »Hiev? – Up!«

Und nicht, weil er sich den Raub wieder rauben lasse: »Hiev? – Up!«

Noch war die Größe des Fangs das Geheimnis der gepeinigten See, doch hatten die vorderen Kammern geflutet werden müssen, damit das ganze Schiff beim Hieven nicht nach hinten überschlug. So mächtig also war der Hol! So gewaltig der Schwarm, den sie sich da geholt hatten: »Hiev? – Up!«

Sie hievten eisern, der Windenfahrer ließ die Kurrleinen weiter über die Slip aufrollen, immer weiter gehe das Schiff trotz allem mit dem Heck nach unten, bemerkte Robert Rösch und sah lahmen Michel ausrutschen. Sich am Seil festhalten. Noch im Rutschen den Takt halten. Jeden Moment musste der Fang auftauchen. Lahmer Michel lag auf dem Rücken, das abfließende Wasser über sich, doch er zog weiter im Takt der Hochseefischer.

Robert sah lahmen Michel wieder auf die Knie kommen, schwerfällig, langsam, aber dann war er doch wieder Teil einer Größe, Faser eines Muskels. Robert Rösch atmete durch.

»Winde stopp!«, sagte der Bestmann durch die Funke, und sofort nahm der Windenfahrer die Hände von den kurzen, schwarzen Hebeln mit den Kugelenden.

Das Vornetz wurde zusammengezogen und an den Rand gebracht, der Bestmann hielt die Steertleine straff in der Hand, mit der durch einen Knoten die Netzöffnung zusammengehalten wurde, und Robert Rösch beugte sich über das Schanzkleid und wusste, der Moment war da.

Alle zweihundert Finger des einen Mannes schlugen in die Maschen der Monroe und hievten das Hauptnetz mit vibrierenden Armen aufs Heck.

»Winsch auf!«, schrie der Bestmann durch die Funke, und wieder gehorchte der Windenfahrer sofort.

Dem Wasser entstieg der bereits zur Hälfte aufs Eisen gezogene Fisch nun zur Gänze.

Taumelnd hing er in der Luft, umkreist von den leuchtenden Vögeln der See.

Lotrecht hing der Fisch über dem Schiff, das schwankte und pendelte und dem Fang fast unterlegen war.

Saudade