Drei Schwerter für Salassar

Die Quelle des Lebens

Band 6

von

Rolf Michael

 

Fantasy

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstauflage Oktober 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Rolf Michael

Lektorat/Korrektorat: Mia Koch

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

ISBN: 978-3-96068-049-9

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Zwergenlist und Riesenkraft

 

»Wir müssen die Grenze von Delyssiolina erreichen! Nur im Wunderwald haben wir eine Chance, zu entkommen!«, vernahm Silas die Stimme seines Bruders Pyctus durch den Wind, der ihnen um die Ohren pfiff.

Die beiden Rennkaninchen, auf denen die Zwerge ritten, streckten sich und gaben alles, was sie hatten. Diese Tiere schienen zu wissen, dass es nicht nur ihren Reitern übel erging, wenn die Verfolger sie erwischten. Denn Kaninchenfleisch ist für Riesen eine wahre Delikatesse.

Unter ihren Pfoten spürten die Kaninchen, wie die Erde leicht unter den Tritten der beiden Riesen dicht hinter ihnen zitterte. Im Laufschritt mit weiträumigen Sprüngen gelang es ihnen, den Abstand zu den beiden Zwergen immer mehr zu verkürzen. Auf die Dauer hatte ein Kaninchen keine Chance zu entkommen. Und schon gar nicht, wenn noch ein Zwerg auf seinem Rücken saß.

Weißpfote und Graufell waren die besten Rennkaninchen, die man jemals in den Steppen von Cabachas aufgezogen hatte. Augerich, der König unter dem Berg, hatte goldene Ringe geben müssen, um diese beiden Kaninchen für Pyctus und Silas zu kaufen. Denn anders als die meisten Zwerge hatten diese beiden Brüder das Handwerk des Kriegers gewählt. Normalerweise gehen Zwerge lieber im Berg dem Schürfen des Erzes nach oder vermögen Metalle kunstvoll zu schmieden und kostbare Juwelen zu schleifen. Pyctus und Silas verspürten jedoch schon sehr früh ein gewisses Abenteuerblut in ihren Adern.

Die Meister in den Werkstätten ließen sie dann auch lieber die Erzeugnisse der Werkstätten ausliefern, was oft genug lange Reise bedeutete und nicht nur in die Städte der Menschen, sondern auch an die Höfe der Herrscher und Fürsten führte. So wurden die beiden ungleichen Brüder dann auch mit Botschaften des Zwergenkönigs losgeschickt und sie genossen sein volles Vertrauen.

Heute waren Pyctus und Silas die Paladine König Augerichs und im ganzen Zwergenvolk geachtet und bewundert. Kein Wunder, dass es sich der Herrscher unter dem Berge etwas kosten ließ, als die beiden Rennkaninchen, welche die Brüder bis dahin geritten hatten, in das »letzte Kleefeld« geführt wurden. Bei den Zwergen bedeutet dies das Gnadenbrot für die Tiere, die ihnen treu gedient hatten.

Und nur der Schnelligkeit, der Ausdauer und der Gewandtheit ihrer Rennkaninchen von der Größe eines Ponys hatten es Pyctus und Silas zu verdanken, dass sie noch nicht in den Fäusten der Riesen zappelten.

Nun aber waren die beiden Ritter des Königs Augerich in höchster Bedrängnis. Am Wutgebrüll der beiden Riesen war zu erkennen, dass sie keinen Spaß mehr verstanden. Denn die beiden Zwerge hatten das größte Heiligtum der Riesen gestohlen, das sie nun im Wunderwald in Sicherheit bringen wollten.

Die Kristallrose!

Eine Rose aus einer durchscheinenden Substanz, die zart und zerbrechlich war wie dünnes Glas. Trotz des wilden Hoppeltempos seines Rennkaninchens balancierte Pyctus die Kristallrose wie ein rohes Ei.

Entamos und Thumolas waren von König Ghoroc mit dem Amt als Wächter der Kristallrose betraut worden. Für die beiden Riesen war es die größte Schmach einzugestehen, dass es den Zwergen gelungen war, die Kristallrose zu stehlen.

»Vorwärts, Graufell!«, feuerte Silas sein Kaninchen an. »Es ist in deinem eigenen Interesse, wenn du dich anstrengst. Was die beiden Riesen mit mir machen, wenn sie mich kriegen, weiß ich nicht. Aber du wirst bei ihnen garantiert am Bratspieß schmurgeln!«

Als hätte das Rennkaninchen seine Worte verstanden, streckte sich Graufell und wurde noch schneller. Eigentlich war er wesentlich behäbiger und bewegte sich nur, wenn es nicht anders ging. Jetzt aber schien es die Worte seines Reiters sehr gut zu verstehen.

Silas, der jüngere der beiden Brüder, war für einen Zwerg sehr zartgliedrig gebaut, hatte ein hübsches Gesicht und verzichtete darauf, sich den für Zwerge typischen Bart stehen zu lassen. Wie sein Bruder Pyctus trug er derbe Kleidung aus braunem Leder und dunkelgrünem Lodenstoff. Er hatte hohe Stiefel und einen breiten Gürtel, an dem verschiedene Taschen hingen. In einer Scheide steckte ein unterarmlanger Dolch. Als Waffe führte Silas einen Säbelspieß, den er vorzüglich zu gebrauchen wusste.

Pyctus dagegen hatte die stämmige, untersetzte Gestalt, wie sie den meisten Zwergen eigen ist. Sein schwarzer Bart war kurz geschoren und das halblange Haar war unter einer einfachen, braunen Lederkappe verborgen. Wie der Bruder hatte Pyctus eisgraue Augen, in denen jedoch die Umsicht eines erfahrenen Kriegers steckte. Silas dagegen war immer ein Draufgänger, der vor allem eine Schwäche für das weibliche Geschlecht jedweden Volkes der Adamanten-Welt hatte.

Als Waffe bevorzugte Pyctus eine mächtige Axt mit doppeltem Blatt und langem Schaft, die ihm Werkzeug und Waffe zugleich war. Sein Rennkaninchen war pechschwarz mit einer weißen Pfote, der es seinen Namen verdankte. Im Gegensatz zu Graufell war Weißpfote ein richtiges Kampfkaninchen. In Bedrängnis kämpfte es an der Seite seines Herrn genauso wie die Pferde in der Kavallerie des Mardonios von Cabachas, die ihre Reiter in der Schlacht durch Auskeilen mit den Hufen und durch Beißen unterstützten.

Vor zwei Tagen war es den beiden Zwergenbrüdern gelungen, sich in Orthenios, der gigantischen Felsenburg der Riesen, einzuschleichen und dort die Kristallrose zu stehlen. Es hatte lange gedauert, bis die Wächter der Riesen ihre Spur aufgenommen hatten. Doch nun waren sie da.

Pyctus verwünschte insgeheim, dass sie für ihre Flucht die Kaninchen genommen hatten. Schwarzschwinge und Himmelsschatten, ihre beiden Krähen, hätten sie, für Riesen unerreichbar, durch die Lüfte erst in den Wunderwald und dann nach Chrysalio, der Stadt unter dem Berge, getragen. Hatten sie mit der Kristallrose dann den Palast des König Augerich erreicht, waren sie in Sicherheit.

So aber hatten sie nach den Regeln des Rosenkrieges nur die Chance, nach Delyssiolina zu fliehen und dort in der Tiefe des geheimnisvollen Wunderwaldes die Quelle von Castalia zu finden. Denn nach den Regeln des »Rosenkrieges« muss die Kristallrose vom Wasser der Quelle benetzt werden, um für die Zeit eines Mondumlaufs den Zwergen zu gehören, wenn es ihnen nicht gelang, sie vorher in die Stadt unter dem Berg zu schaffen. Doch den Weg dorthin hatten ihnen mehrere Riesen abgeschnitten. Und zwei von ihnen hatten sich auf ihre Fährte gesetzt und verfolgten sie wie Jagdhunde das Edelwild.

Erst, wenn die Kristallrose vom Wasser der Quelle von Castalia benetzt war, hatte die Jagd ein Ende. Dann konnten Pyctus und Silas sie ungefährdet durch die Reihen der Riesen nach Chrysalio tragen und niemand würde sie jagen oder gar versuchen, ihnen die Rose abzunehmen.

Das große Volk der Gebirge wusste, dass sie einen Mondumlauf später die Kristallrose zurückgewinnen konnten. Denn weil die Riesen mit ihrer Größe keine Chance haben, in das geheimnisvolle, unterirdische Reich des kleinen Volkes einzudringen und dort die Rose für sich zurückzuerobern, wollen es die Regeln, dass die Kostbarkeit nach einem Monat von dort wieder zur Quelle gebracht wird, um dort erneut gebadet zu werden.

Und zwar auf dem Landweg – die Krähen dürfen von den Zwergen dann erst auf dem Rückweg genutzt werden. Und so gelingt es denn auch immer wieder den Riesen, die Kristallrose im Triumph nach Othenios zu bringen, damit sich auch das raue Geschlecht der Riesen an ihrer Schönheit erfreuen kann.

Diesen Rosenkrieg zwischen Riesen und Zwergen gibt es in Chrysalitas seit ewigen Zeiten. Denn es ist eigentlich kein Krieg, sondern eher ein sportlicher Wettkampf. Werden die Diebe gefasst, kostete es zwar nicht das Leben - aber das Gelächter der Jäger ist eine schlimmere Kränkung als eine gehörige Tracht Prügel, die man meistens noch dazu erhält.

Außerdem ging seit allen Zeiten stets das Eigentum der gefangenen Diebe in den Besitz der Jäger über. Und die Verlierer konnten von Glück sagen, wenn man ihnen wenigstens das Notwendigste an Kleidung und Waffen ließ.

Pyctus und Silas wussten genau, dass es sie wenigstens die kostbaren Rennkaninchen kostete, wenn Entamos und Thumolas erfolgreich waren. Denn das Fleisch von Kaninchen ist für Riesen eine wahre Delikatesse, für die sie sogar Pfannkuchen mit Sirup stehen lassen.

Weit vorgebeugt, den Kaninchen die Last so weit wie möglich erleichternd, saßen die beiden Zwerge im Sattel. Wie der Wind fegten die Tiere über die Steppe, die sich nordwärts von Bareas ausdehnt. Dünne Staubfahnen stoben hinter ihren wirbelnden Hinterläufen auf.

Staubfahnen, die verräterisch waren, weil sie von den Riesen auf weite Entfernung gesehen wurden.

Immer näher kam der grüne Streif am fernen Horizont. Die uralten Bäume und das Dickicht des Wunderwaldes. Nur dort konnte für die beiden Zwerge und ihre Kaninchen Rettung sein. Im dichten Unterholz gab es genug Verstecke.

Für die Riesen war es weit schwieriger, durch Hecken und Gestrüpp zu kommen als für ein Kaninchen. Selbst wenn noch ein Zwerg auf seinem Rücken hockte. Hier in der weiten, grasbewachsenen Ebene waren die Riesen mit ihren mächtigen Schritten im Vorteil.

Außerdem hofften die Zwerge, dass ihnen einige der sonderbaren Wesen dort in der Tiefe des Waldes helfen würden.

Andere dieser eigenartigen Waldbewohner mochten jedoch auch auf der Seite der Riesen sein.

»Achte darauf, dass der Rose nichts geschieht!«, rief Silas dem Bruder zu. So unglaublich zerbrechlich die Kristallrose war - bis zu diesem Tag hatte sie bei den abenteuerlichsten Diebereien und den wildesten Verfolgungsjagden niemals Schaden erlitten.

Die Rose unversehrt zu erhalten war das oberste Gebot des »Rosenkrieges«.

Wenn die Kristallrose zerstört war, dann trauerten Riesen und Zwerge gemeinsam. Und nach der Trauer bestand die Gefahr, dass sie sich wieder wie in den Tagen finsterer Vergangenheit ernsthaft bekämpften.

Der Diebstahl und die Flucht mit der Kristallrose war also in jeder Hinsicht ein gefährliches Abenteuer. Und gleichzeitig für jeden Riesen oder Zwerg auch die größte Herausforderung. Gelang es den beiden Zwergen, die geheimnisvolle Rose zum König unter dem Berg ins unterirdische Reich von Chrysalia zu bringen oder sie im Wunderwald mit dem Wasser aus der Quelle von Castalia zu benetzen, dann gehörte sie für die Dauer eines Mondumlaufs den Zwergen.

Die Quelle von Castalia, die man auch die »Quelle des Lebens« oder die »Quelle des Seins« nennt, liegt im Zentrum des Wunderwaldes.

Im Herzen von Delyssiolina, wie dieser Wald seit den Tagen der Älteren genannt wird.

Die Rose wird dann im Kristalldom aufgestellt und die Zwerge erfreuen sich an ihrer Schönheit. Hat aber der Mond gewechselt, muss sie sorgsam bewacht und die Reise zum Wunderwald in aller Heimlichkeit durch eines der zahlreichen Tore des Reiches unter dem Berge angetreten werden. Denn dann haben die Riesen das Recht, die Kristallrose wieder zu stehlen. Und lauern dann bereits vor den geheimen Ein- und Ausgängen zum Höhlengewirr, wo König Augerichs kleines Volk haust.

Aber bei der Rückeroberung der Rose dürfen sie im »Kampf« gegen die Zwerge nicht von ihren gewaltigen Körperkräften Gebrauch machen. Genau wie das kleine Volk müssen sie mit List und Tücke vorgehen.

Denn der Rosenkrieg ist ein Wettstreit der Geschicklichkeit - nicht des blutigen Kampfes.

 

***

 

»Vorwärts, Graufell! Gleich haben wir es geschafft!«, hörte Pyctus den Bruder rufen. »Mach jetzt bloß nicht schlapp so kurz vor dem Ziel. Sieh mal, da vorn sind schon die Pfähle mit den eingeschnitzten Dämonenfratzen. Das ist die Grenze des Wunderwaldes. Und dort sind wir in Sicherheit!«

Mit seinen feinen Ohren hörte Pyctus den keuchenden Atem des Kaninchens, das den Bruder trug. Sein Maul war weit geöffnet, und die rosafarbene Zunge hechelte nach Kühlung. Kein Zweifel. Graufell war erledigt.

»Reite, Bruder!«, vernahm Pyctus die Stimme des jüngeren Bruders. »Bring die Rose in Sicherheit. Das Kaninchen kann nicht mehr. Ich werde anhalten und mich den Riesen stellen, damit sich Graufell in den Wald retten kann. Mögen mich die Riesen ruhig auslachen, wenn sie mich fassen. Aber dem Kaninchen darf nichts geschehen!«

»Unsinn! Wir werden beide den Wunderwald erreichen!«, Pyctus legte sich im Sattel zurück. Gehorsam bremste Weißpfote seinen Lauf.

Mit der Haselgerte dirigierte Pyctus sein Kaninchen zurück an die Seite des Bruders.

»Hier! Nimm die Rose und halt sie so, dass man sie von weitem nicht sehen kann!«, befahl er. »Ich lenke die Verfolger ab! Wir treffen uns im Wunderwald. Möglichst an der Quelle des Seins!«

»Und was willst du tun?«, fragte Silas. »So dumm sind Riesen nicht, dass sie sich so leicht ablenken lassen. Die haben gesehen, dass du die Rose hast!«

»Ich nehme das hier und halte es hoch!« Mit fliegenden Fingern zog Pyctus ein faustgroßes Juwel aus einer der Taschen, die an seinem Gürtel befestigt waren. Der Edelstein schimmerte in allen Farben des Regenbogens und konnte auf die Entfernung tatsächlich für die Kristallrose gehalten werden. Pyctus benutzte dieses große Juwel in der Welt der Menschen immer als Zahlungsmittel, indem er kleine Splitter davon abschlug und an Juwelenhändler verkaufte. Steine wie diese fand man im Reich unter dem Berge, wie man an der Oberwelt die Bachkiesel findet.

»Und was ist, wenn sie dich fassen?«, fragte Silas und zögerte, die Rose anzunehmen.

»Dann werde ich dir bei unserem nächsten Zusammentreffen einen Teil der Prügel abgeben, die ich von den Riesen bekomme!«, erklärte Pyctus mit grimmigem Lachen. »Aber keine Sorge. Weißpfote hat noch genügend Kraft für ein kleines Läufchen und schlägt schneller Haken, als die Riesen gucken können!«

»Viel Glück, Bruder!«, rief ihm Silas zu, nachdem er vorsichtig die Kristallrose in seine Hand genommen hatte. Die wenigen Augenblicke des gemäßigten Tempos hatten Graufells Kräfte wieder wachsen lassen. »Möge Mano, der Gott aller Diebe, dir gnädig sein!« Damit trieb er das grauweiße Rennkaninchen an.

»Und jetzt, Weißpfote, werden wir mal sehen, was die Riesen sagen, wenn wir sie angreifen, statt vor ihnen davonzulaufen!«, bemerkte Pyctus entschlossen und wandte sein Rennkaninchen den anstürmenden Verfolgern zu ...

 

***

 

»Die müssen vollkommen verrückt geworden sein!«, stieß Entamos hervor und bremste seinen Lauf ab. »Sie trennen sich, bevor sie den rettenden Wald erreicht haben!«

»Noch verrückter!«, grunzte Thumolas. »Sieh nur. Dieser Narr auf dem schwarzen Karnickel reitet genau auf uns zu. Was soll der Blödsinn?«

Die beiden Riesen blieben schwer atmend stehen und versuchten, mit dieser veränderten Situation erst einmal fertig zu werden. Riesen sind zwar nicht dumm, aber ihr Verstand arbeitet doch etwas schwerfällig.

Pyctus hätte am liebsten triumphierend aufgeschrien, als er die Riesen so unschlüssig stehen sah. Silas hatte also genügend Zeit, sich mit seinem erschöpften Kaninchen im Dickicht des Waldes in Sicherheit zu bringen, damit Graufell etwas verschnaufen konnte.

Aber die Jagd war noch nicht zu Ende. Noch lange nicht.

Pyctus wusste, dass er gerade in dieser Situation äußerst vorsichtig sein musste. Hoffentlich gelang es ihm, die Riesen lange genug zu bluffen und ihnen zu entwischen, bevor die beiden mächtigen Gesellen begriffen hatten, dass der Zwerg sie an der Nase herumgeführt hatte.

»Großer Granitblock! Der kleine Wicht reitet genau auf uns zu!«, stellte Entamos inzwischen erschüttert fest. »Wir müssen ihn aufhalten! – Komm mein Freund. Auf zur Hasenjagd! »

»Du Narr! Das ist eine List!«, knurrte Thumolas und durchschaute fast den Plan der Zwerge. »Er opfert sich und gibt seinem Gefährten die Chance zur Flucht in den Wald!«

»Aber sieh doch. Da glitzert etwas in seiner Hand!«, schrie Entamos aufgeregt. »Er hat die Kristallrose und will an uns vorbei. Vielleicht hat der Bursche irgendwo seine Flugkrähe verborgen. Wenn er die erreicht, dann ist es zu spät. Dann fliegt er nach Chrysalio und wir haben keine Chance, ihn zu fassen!«

»Also versuchen wir, ihn zu greifen!«, knurrte Entamos unwillig. »Aber wenn ich Recht habe ...!«

»Dann muss der andere Zwerg noch den halben Wunderwald durchqueren, um zur Quelle zu kommen. Eher ist er nicht in Sicherheit!«, unterbrach ihn Thumolas. »Und vorher schnappen wir ihn. Das schaffen wir - auch wenn wir den halben Wald umgraben müssen! Los jetzt. Gib acht, dass wir diesen Zwerg zu fassen kriegen!«

»Hasenbraten! Ich liebe Hasenbraten!«, knurrte Entamos anstelle einer Antwort und leckte sich genießerisch die Lippen.

»Vergiss das Karnickel! Den Zwerg müssen wir fangen, du Narr!«, grunzte Thumolas. »Da - pass genau auf, was geschieht!«

Die beiden Riesen bückten sich und versuchten, dem heranhoppelnden Kaninchen den Weg zu versperren. Pyctus sah die mächtigen Hände der Riesen wie unförmige Schaufeln vor sich. Die Riesen haben die dreifache Größe eines erwachsenen Mannes, während Zwerge nur so groß wie ein dreijähriges Kind sind. Dafür haben die Rennkaninchen die Größe von Ponys, auf denen die kleinen Kinder der Menschen reiten.

»Die Kristallrose! Der Schimmer da in seiner Hand. Der Halunke hat die Kristallrose!«, schrie Thumolas, als er das Glitzern zwischen den Fingern des Zwerges sah. »Sei vorsichtig. Der Rose darf nichts geschehen!«

»Hasenbraten!«, grunzte Entamos anstelle einer Antwort. Er sah nur den wohlgerundeten Körper des Rennkaninchens und stellte ihn sich schon in gebratener Form vor. Die beiden Riesen waren seit zwei Tagen hinter den Zwergen her und hatten in dieser Zeit nichts Essbares gefunden.

Pyctus hatte die Worte des Entamos vernommen. Blitzschnell erkannte er seine Chance. Weißpfote war ein echter Kämpfer und würde sich auch von einem Riesen nicht so schnell greifen lassen.

Mit einem wilden Schrei trieb der Zwerg das Kaninchen noch einmal an und raste mit ihm genau auf die zupackenden Hände los. Doch ein paar Schritte vorher warf er sich mit einem Sprung aus dem Sattel. Kunstgerecht überschlug er sich und stand wieder auf den Füßen. In seiner rechten Hand schimmerte der Kristall.

Als Thumolas zugreifen wollte, tauchte Pyctus unter seinen Händen hindurch und entwischte durch die Beine des Riesen. Bevor Thumolas begriff, was geschehen war, hatten die scharfen Augen des Zwerges eine Öffnung im Boden entdeckt. Für einen Riesen war es wie für einen Menschen das Loch einer Maus. Für einen Zwerg jedoch groß genug, um darin zu verschwinden.

Thumolas sah, wie Pyctus mutig in das Loch sprang. Er reagierte zu spät. In seinen rasch zupackenden Händen blieb nur die Lederkappe des Zwerges zurück. Für den Augenblick war Pyctus in Sicherheit.

Hätte der Zwerg jedoch geahnt, dass er damit den Schlaf eines Masadras störte, dann hätte er sich lieber von den Riesen greifen lassen. Denn die gigantische Riesenpython, die hier im Sand der Steppe ihre Gänge und Höhlen gräbt, ist ein tödlicher Gegner ...

 

***

 

Entamos hatte nur das Kaninchen im Auge.

»Schwupp! Hase gefangen!«, grölte der Riese triumphierend. Seine mächtigen Pratzen erwischten Weißpfote direkt im Sprung. Für einen Moment war das Kaninchen starr vor Entsetzen.

»Hasenbraten!« Entamos leckte sich genießerisch die Lippen. Doch der »Hasenbraten« begann, sich zu wehren. Bevor der Riese erkannte, was geschah, wirbelten die hinteren Läufe des Kaninchens durch die Luft. Die stumpfen Krallen rissen tiefe Furchen in die Unterarme des Riesen, als er das Kaninchen hochnehmen wollte. Entamos brüllte auf, als er den Schmerz verspürte, und sah, wie ihm kleine Blutbäche am Handgelenk hinab liefen.

Bevor er begriff, dass sich sein »Braten« aus der Umklammerung der Hände herausdrehte, erwischte Weißpfote den Daumen des Riesen. Mit aller Kraft biss das Kaninchen hinein.

Bis auf den Knochen senkten sich die beiden messerscharfen Schneidezähne ins Fleisch. Gleichzeitig rissen die wirbelnden Hinterläufe immer tiefere Wunden in die Hände des Riesen.

Vor Schmerzen aufschreiend, ließ Entamos seine Beute los. Weißpfote fiel zu Boden, überschlug sich und war sofort wieder auf den Läufen. Ehe der Riese wieder zupacken konnte, rannte das Kaninchen in rasendem Zickzack über die Grasebene.

So groß der Riese auch war - dieses Kaninchen war für ihn nicht mehr zu fangen ...

 

***

 

»Bei allen Basaltbrocken des Nebelgebirges!«, knirschte Thumolas und schleuderte wütend die Lederkappe des Zwerges zu Boden. »Nun heißt es graben, damit mir der kleine Wicht nicht entwischt und vor seinem Volk das Riesengeschlecht zum Gespött macht!« Seine Hand fuhr zum Gürtel, an dem ein Spatenpickel hing.

An einem Schaft, der einmal ein richtiger Baum gewesen war, befand sich an der oberen Seite ein Pickel und an der unteren Seite eine leicht in sich gewölbte Schaufel. Diese Gerätschaft ist für die Riesen in ihren Gebirgen das wichtigste Werkzeug, um Steine, Felsen öder Wasseradern aufzubrechen.

Einige schnelle Griffe, dann hatte Thumolas den Spatenpickel vom Gürtel geschnallt. Mit aller Kraft stieß er den Spaten ins Erdreich. Wie ein Besessener begann er zu graben, und auf seinen Ruf hin half ihm Entamos auf der anderen Seite, wo er ein zweites Loch entdeckt hatte. Obwohl Entamos das Blut von der Hand lief, arbeitete der Riese wie ein Wilder. Den Schmerz schien er nicht zu spüren. Die Jagdleidenschaft ließ die beiden Riesen alles andere vergessen.

Schließlich stieß der Spaten des Entamos auf einen Stein. Einige heftige Hiebe mit dem Pickel auf der anderen Seite, dann gähnte ein höhlenartiger Gang, der groß genug für eine Riesenfaust war.

Die scharfen Augen des Riesen erkannten trotz der Dunkelheit im Loch, dass der Zwerg in diesem Gang war. Mehr noch. Er schien so dumm zu sein, genau auf diese eben geschaffene Öffnung zuzulaufen. Bestimmt nahm er an, hier einen Ausgang gefunden zu haben, durch den er ungesehen von seinen Verfolgern flüchten konnte.

Mit höhnischem Lachen streckte Entamos die Hand vor, um den flüchtigen Zwerg zu packen und ihn emporzureißen ...

 

***

 

Das Dunkel des Ganges verwehrte Pyctus für einen Moment die Orientierung. Obwohl die Augen eines Zwerges wie die einer Katze die Dunkelheit durchdringen, benötigte Pyctus doch einen Moment, um sich an die Schwärze zu gewöhnen.

Eine Schwärze, die lebte ...

Das tiefe Aufseufzen aus der Dunkelheit ließ dem Zwerg einen Schauer über den Rücken fahren. Er war nicht allein. Was, bei Augerichs Juwelenkrone, mochte hier unten hausen?

»Wer immer du bist! Ich komme in friedlicher Absicht und erbitte deine Hilfe. Denn ich werde verfolgt!«, wagte Pyctus, in der gemeinsamen Sprache zu sprechen, in der sich die meisten Völker in der Adamanten-Welt verständigen können.

Die Antwort war ein grässliches Zischen aus der Schwärze des Ganges. Pyctus spürte, wie sich etwas Dünnes und Klebriges um seinen linken Arm legte. Und dann erkannte er das kalte Glitzern von zwei kreisförmigen Augen.

Noch ehe der Zwerg zurückweichen konnte, ringelte sich das fremde Etwas um seinen Fuß. In engen Windungen drehte es sich höher und hatte ihn einen Herzschlag später bis über die Hüfte eingewickelt.

Jetzt erst hatten sich die Augen des Zwerges so an die Dunkelheit gewöhnt, dass er den unheimlichen Gegner erkennen konnte. Er erschrak bis ins Mark, als er wahrnahm, welche gnadenlose Bestie er versehentlich im Schlaf gestört hatte.

Der Masadra hatte seinen mächtigen Körper um ihn geschlungen und ihn mit seinem Schlangenkörper gefesselt. Ein spitzer Schädel pendelte mit weit geöffneten Rachen in der Höhe des Zwergenkopfes.

Der Riesenpython lebt zwar hauptsächlich in den Felsregionen, doch einige Arten jagen auch in der Steppe und graben sich für den Schlaf am Tage tiefe unterirdische Gänge. Ein Masadra hat nicht nur enorme Körperkräfte, mit denen er die Opfer zerquetschen kann, sondern auch Giftzähne, die innerhalb weniger Herzschläge den Tod herbeiführen.

Pyctus schrie verzweifelt auf, als er seine ausweglose Lage erkannte. Der Python schien noch nicht richtig erwacht zu sein. Deshalb ließ der tödliche Biss noch auf sich warten. Aber die tödlichen Ringe seines Körpers ließen dem Zwerg keine Chance, sich zu wehren.

Als Pyctus´ Hand zum Gürtel zuckte, um den Dolch zu ziehen, war es zu spät. Der glatte, ledrige Körper der Schlange hatte ihn bereits bis zur Brust eingeringelt. Es war unmöglich, die Waffe aus der Lederscheide am Gürtel zu ziehen und zu versuchen, mit einem verzweifelten Hieb den Schädel des Untiers vom Rumpf zu trennen.

»Dhasor, steh mir bei!«, stöhnte Pyctus, als er in den Augen der Schlange sein grausames Schicksal glitzern sah. Der Masadra schien sich seines Opfers vollkommen sicher. Wenn aber Pyctus versuchte, sich aus den ihn umschlingenden Körperringen des Python zu winden, dann verstärkte das Ungeheuer den Druck.

Die gewaltige Schlange war noch im Halbschlaf und sich noch nicht schlüssig, ob sie den Zwerg erdrücken oder mit Gift töten sollte.

Das gab Pyctus einige Atemzüge Aufschub. Eine Zeit, die er nutzte.

Zwar war er bis zur Brust von den Körperringen eingesponnen, doch seine Arme und Hände waren noch frei.

Pyctus sah den Schädel des Python, den aufgerissenen Rachen und die nadelspitzen Giftzähne, zwischen denen sich eine blaurote, gespaltene Zunge ringelte. Sein Blick fiel auf den schimmernden Kristall in seiner Hand.

Ob Fels oder Edelstein - in den Händen von Zwergen können Steine zu Werkzeugen und Waffen werden.

Pyctus wusste, dass er kühles Blut bewahren musste, wenn er in dieser Situation überleben wollte. Den Kristall mit der Faust fest umklammernd, wartete er den Angriff der Schlange ab.

Und der kam schneller als erwartet ...

 

***

 

Das feine Gehör der Schlange nahm die Grabgeräusche der Riesen wahr. Der Masadra wusste, dass er sein Opfer schleunigst verzehren musste, sollte es ihm nicht von irgendwelchen Wesen der Oberwelt streitig gemacht werden.

Blitzartig raste der Schädel des gewaltigen Python vor. Im gleichen Augenblick aber reagierte auch der Zwerg.

Mit aller Kraft stieß Pyctus den Kristall in den weit geöffneten Rachen des Python. Ein Knirschen wie zerberstendes Glas. Dann zersplitterten die tödlichen Giftzähne des Riesenwurms. Gedankenschnell ließ Pyctus den Kristall los, bevor ihm der herabflutende Giftstrom über die Hand floss.

Der Masadra stieß ein schmerzhaftes Zischen aus. In seinem Rachen hielt er den Kristall. Sein Oberkörper schwang hin und her. Durch den Schmerz wurden die Körperringe, die Pyctus fesselten, für einen kurzen Augenblick schlaff.

Geistesgegenwärtig nutzte der Zwerg die Situation, um sich aus der Fesselung des Schlangenkörpers herauszudrehen. Grünlicher Geifer rann aus dem Rachen der Schlange, als sie erkannte, dass ihre Beute frei war und sich davon machte.

So schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten, rannte Pyctus gebückt den engen Gang in die Richtung, wo er das helle Licht des Tages erkannte. Gleich hatte er den Ausgang erreicht und war in Sicherheit.

So dachte Pyctus jedenfalls ...

 

***

 

»Schwupp! Zwerg gefangen!«, triumphierte Entamos und hielt den sich heftig sträubenden Pyctus in die Höhe. Kaum gerettet sah sich der Zwerg der nächsten Gefahr gegenüber.

»Ha, wir haben es geschafft und können die Kristallrose wieder nach Othenios zurückbringen!«, rief Thumolas vergnügt. »Gib die Kostbarkeit heraus, kleiner Mann. Du und dein Gefährte, ihr wart gute Gegner. Wenn wir über euch lachen, dann nur, weil das Gesetz es vorschreibt, dass die Sieger die Besiegten verlachen dürfen!«

»Ihr Narren!«, heulte Pyctus.« Ich habe die Rose nicht!«

»Ich hab’s gewusst. Und wir Idioten sind auf den Trick hereingefallen!«, fauchte Thumolas, der etwas schneller denken konnte. »Der andere Zwerg mit dem grauen Karnickel hatte sie!«

»Nein, ihr habt das richtig erkannt. Ich habe sie tatsächlich genommen!«, bekannte Pyctus kleinlaut und hatte im gleichen Augenblick einen kühnen Plan, die Situation für sich zu nutzen.

»Dann heraus damit, Zwerg!«, knurrte Entamos.

»Die Rose wurde mir weggenommen - von dem Bewohner dieser Höhle!«, jammerte Pyctus. »Ein mächtiger Riesenwurm ... jedenfalls für mich!«, fügte er kleinlaut hinzu.

»Und wo ist der Wurm?«, grollte ihn Thumolas an.

»Immer noch in der Höhle. Er hat den Gegenstand, den ihr sucht, in seinem Rachen!«, beeilte sich Pyctus, zu sagen. »Wenn ihr mich durchsuchen wollt, habe ich nichts dagegen. Aber wo sollte ich denn die Kristallrose am Körper tragen?«

»Da hat er recht!«, nickte Thumolas. In der Kleidung des Zwerges gab es absolut keine Möglichkeit, die Rose zu verbergen.

»Wenn ihr schnell grabt, dann bekommt ihr den Schlangenwurm sicher noch zu fassen!«, drängte Pyctus.

»Verschwinde, kleiner Wicht!«, knurrte Entamos und setzte Pyctus ins Gras. Sein Gefährte Thumolas fing schon an, den Boden durchzugraben. Der Zwerg wischte sich Dreck und Erdklumpen aus seiner Kleidung, angelte seine Lederkappe vom Boden und pfiff nach seinem Rennkaninchen.

Folgsam kam Weißpfote angehoppelt. Nur die Nase des Tieres mümmelte aufgeregt, als sie die Nähe der Riesen witterte. So schnell es ging, schwang sich Pyctus in den Sattel und ritt in Richtung auf den Wunderwald davon ...

 

***

 

Auf den lichten Höhen des Kristallpalastes vom Jhinnischtan beobachtete die Gemeinschaft der Götter interessiert die Jagd nach der Kristallrose.

Baran, der Gott der Weisheit, hatte die Götter zum Rat zusammengerufen. Er spürte, dass ein neuer Angriff der dunklen Brüder und Schwestern aus der finsteren Höhlenwelt des Jhardischtan bevorstand.

Gebannt beobachteten die Götter und Göttinnen die Jagd der Riesen nach den Zwergen. Verärgert nahm Baran zur Kenntnis, dass die Bewohner des Jhinnischtan Wetten auf die Riesen oder die Zwerge abschlossen. Eigentlich hatte er den Göttern anhand dieses Schauspiels nur klarmachen wollen, wie wichtig es war, in den Völkern der Riesen und Zwerge Verbündete zu haben, wenn die Mächte des Jhardischtan tatsächlich einmal versuchten, die Kristallwelt des Jhinnischtan zu erobern.

Der blanke Spiegeltisch, um den sich die Götter versammelt hatten, wirkte durch Barans Zauberkräfte wie ein Bildschirm. Alle konnten genau sehen, was sich dort unten in Chrysalitas, der Adamanten-Welt, abspielte.

Entamos und Thumolas hatten die Schlange, die für sie weder besonders groß war und durch die herausgebrochenen Giftzähne auch keine tödliche Gefahr mehr darstellt, ausgegraben. Rasch hatten sie den Betrug des Pyctus entdeckt und setzten sich erneut mit lautem Wutgebrüll auf die Fährte der beiden Zwergenbrüder.

Am Rand des Wunderwaldes hatte Pyctus seinen Bruder Silas wiedergetroffen. Niemand hinderte sie, den geheimnisvollen Wald von Delyssiolina zu betreten.

Doch verwehrten die stummen Wächter des Waldes auch nicht den Riesen den Eintritt in die geheimnisvolle Welt der Märchen- und Mythenfiguren.

Die gigantischen Stämme mit den kunstvoll geschnitzten Gesichtern einer absonderlich anmutenden Rasse und den unübersetzbaren Zauberzeichen, die schon alt waren, als die Götter entstanden - sie hatten sich noch niemandem in den Weg gestellt.

Doch die alten Legenden erzählen, dass Leben in den Bildwerken ist und dass sie erwachen werden, wenn für den Wunderwald Gefahr droht. Dann aber gibt es keine Kraft in der Adamanten-Welt, die ihnen standhalten kann.

Nun sahen die Götter auf dem Spiegeltisch, wie die Zwerge geschickt durch den Wald flüchteten. Immer wieder prüften sie die Richtung, um auf dem schnellsten Weg die Quelle zu erreichen. Gelegentlich trafen sie auf verschiedene Wesen, die den Wunderwald bevölkerten.

Durch die Vögel hatte sich bei den Bewohnern des Waldes die Kunde verbreitet, dass hier zwei Zwerge von zwei mächtigen Riesen verfolgt wurden.

Manche Legendengestalten, die hier zwischen Bäumen, Büschen und immer blühenden Pflanzen hausten, halfen den Zwergen bei der Flucht. Andere stellten sich taub, wenn die Zwerge sie um Hilfe baten. Wieder andere hatten auch Sympathie mit den Riesen und machten sie auf die verlorene Spur der Zwerge aufmerksam.

Silenus, der Uralte, hatte die völlig entkräfteten Rennkaninchen der beiden Zwerge in seiner Höhle aufgenommen. Die Zwerge wussten, dass sie dem alten Trunkenbold vertrauen konnten.

Der Silen vermochte es, aus Blättern und Säften von Bäumen einen Wein zu gewinnen, bei dem wenige Tropfen genügen, um einen Menschen in einen Rauschzustand zu versetzen.

Niemand hat jemals vernommen, dass Silenus auch nur die Zeitspanne eines Herzschlages nüchtern war. Denn er pflegt seine Trunkenheit, indem er ständig Wein in seine Kehle nachgießt, wenn die Gefahr besteht, dass seine Gedanken klar werden. In seinem Gefolge befinden sich ständig Faune und Satyrn, die bocksfüßigen und gehörnten Schelme des Waldes, die hoffen, dass ihnen Silenus etwas von seinem süßen Rauschgetränk abgibt.

Auf ihrem Spiegeltisch sahen die Götter, wie die beiden Rennkaninchen von den sonst so nichtsnutzigen Faunen sorgsamer gepflegt wurden, als es die beiden Zwerge vermocht hätten. Sie wurden mit dürrem Laub abgerieben, mit frischen Schösslingen gefüttert und bekamen ausreichend Wasser, das zwei Faune in einem großen Rhabarber-Blatt herbeischleppten.

Obwohl Silenus, wie immer, vom genossenen Rauschgetränk schwankte, beschrieb er den Zwergen den Weg zur Quelle doch sehr genau. Er verriet ihnen auch die Worte, mit denen man die Elfen bitten muss, dass sie einen Fremden zur Quelle lassen. Denn die Elfen sind sehr misstrauisch, weil sie immer eine Heimtücke der Trolle vermuten, die seit dem Anfang dieser Welt versuchen, die Quelle von Castalia zu erobern.

Gebannt verfolgten die Götter des Jhinnischtan, wie Pyctus und Silas durch den Wald liefen. Die beiden Zwerge mussten jedoch vorsichtig sein, um nicht über Baumwurzeln zu stolpern, die heimtückisch unter dem Grasboden einher krochen. Wenn ihr Fuß strauchelte, sie hinfielen und die Kristallrose zerbrach, war alles aus.

Die Dryaden, die hübschen Waldmädchen der Bäume, halfen den Zwergen weiter. Luftikusse, jene kleinen geflügelten Kobolde, für die das Leben ein Spiel ist, wiesen ihnen den Weg. Katzenmädchen zeigten ihnen die Wege durch das dichteste Unterholz. Feen erschienen und richteten hinter den Zwergen mit ihren Zauberkräften das Gras wieder auf, damit die beiden Verfolger die Spur der Flüchtenden verloren.

Doch auch die Riesen hatten ihre Freunde im Wunderwald. Einäugige Zyklopen halfen ihnen, die Bäume wieder aufrecht zu biegen, die sich durch die Zauberei der Feen den Riesen in den Weg legten. Wolfsmänner mit zottigem Fell rannten ihnen voran und erschnüffelten die von den Baummädchen verborgene Fährte. Demiscianus, der monströse Minotaurus, ließ seinen unheimlichen Ruf durch den Wald erschallen und rief so die Riesen herbei, als er die flüchtenden Zwerge erkannt hatte.

Nur die Zentauren wurden durch einen strengen Befehl ihres Oberhauptes davon abgehalten, den Riesen zu helfen. Sabor, den sie den »Verständigen« nannten, wollte seine Gefährten nicht in den »Rosenkrieg« hineinziehen.

Nur Illacis, Interas und Muranis, die drei Sphinxe, sorgten mit ihren rätselhaften Antworten auf die Frage nach dem Weg zur Quelle des Seins dafür, dass Riesen und Zwerge in die Irre gingen und lange Zeit brauchten, um im Wunderwald wieder einen Weg zu finden.

»Eine sehr unterhaltsame Spielerei, die du uns zeigst, Baran!«, unterbrach Watran, der Gott der Gewässer, das Schweigen, mit dem die Götter die Hetzjagd durch den Wunderwald betrachteten. »Aber warum hast du uns deswegen alle zusammengerufen? Mehr als das - du hast uns hierher befohlen! Warum?«

»Damit ihr erkennt, was die Kristallrose für eine Bedeutung hat!«, sagte Baran. »Wir müssen diese Rose haben!«

»Aber warum denn?« Vitana, die Lebensgöttin, sah ihn fragend an. »Hier in der Kristallwelt des Jhinnischtan ist sie nur eine Kostbarkeit von vielen. In den Hallen unseres Überflusses kommt die Schönheit dieser Rose wenig zur Geltung!«

»Die Rose bedeutet Macht! Macht über das Volk der Riesen und der Zwerge!«, sagte Baran ruhig. »Wenn wir die Rose haben, dann können wir Riesen und Zwergen unseren Willen diktieren. Und sie müssen uns gehorchen!«

»Wir Götter setzen uns ins Unrecht, wenn wir den Wesen der Welt etwas wegnehmen!«, warnte Medon, der Gott der Heilkunst. »Unsere Göttlichkeit beruht auf unserer Lauterkeit. Unsere Vettern aus der Höhlenwelt des dunklen Jhardischtan dürfen stehlen, rauben und betrügen. Aber wir dürfen es nicht, weil wir auf der Lichtseite stehen. Tun wir es doch, dann wird ein Schatten der Verderbnis auf uns fallen - und wir werden irgendwann genauso sein wie die Götter des Jhardischtan.

Bedenke das, Baran, bevor du weiter redest«, setzte er mit schwerer Stimme hinzu.

»Was weißt du von der Kristallrose, dass du so düstere Prophezeiungen ausstoßen kannst, Medon!«, grollte Baran. »Diese Rose hat keinen echten Wert - außer dem Wert ihrer Schönheit. Es ist ein Spiel zwischen Riesen und Zwergen, dass sie versuchen, die Rose in ihre Gewalt zu bekommen!«

»Aber woher stammt diese sonderbare Rose und weshalb versuchen Riesen und Zwerge, sie zu erlangen?«, wollte Watran wissen. Die anderen Götter nickten. Auch für sie stellte die Kristallrose einen unbekannten, geheimnisvollen Gegenstand dar.

»Das will ich euch gern berichten, obwohl Fiona eigentlich den Beginn der Geschichte erzählen müsste!«, nickte Baran. »Denn sie war die Ursache, dass diese Rose zur Kristallrose wurde. Nun, Fiona. Willst du uns nicht erzählen, was damals geschah?«

»Die anderen Götter werden mich auslachen, wenn ich die Wahrheit berichte!«, sagte die Herrin über die Pflanzenwelt mit scheuem Seitenblick auf den Gott der Weisheit.

»Niemand wird dich auslachen, Fiona. Aber wir müssen wissen, um was es hier geht, wenn wir uns die Vorschläge Barans anhören sollen!«, erklärte Medon. »Denn ich werde nicht zulassen, dass ein Unrecht geschieht, durch das die lichte Götterwelt des Jhinnischtan in den dunklen Schleier der Schuld gehüllt wird!«

»Du wirst meinen Plänen zustimmen, wenn du alles weißt, Medon!« Die Stimme Barans klang entschieden. »Und nun harren wir deiner Geschichte, Fiona!«

»Es war in den Tagen, als die Welt noch jung war!«, erzählte Fiona leise. »Damals wandelten wir Götter noch selbst durch die Welt von Chrysalitas und lebten fast wie Menschen unter Menschen.

Ich entsinne mich dieses Tages ganz genau. Ich schritt damals auf jener Wiese, auf der, den Blicken der Menschen verborgen, eine der Türen in das geheimnisvolle Reich von Elfgaard liegt, wo König Valderian in seiner Weisheit herrscht. Und wie ihr wisst, ist auch uns Göttern die Welt der Elfen verborgen, wenn es Valderians Volk wünscht.«

»Komm zur Sache, Fiona, und berichte keine Dinge, die wir bereits wissen!«, brummte Croesor, der Gott des Geldes und der guten Geschäfte.

»Es war ein lauer Sommertag und die Gräser und Blumen der Wiese standen so hoch, dass ich wie in einem wogenden Meer dahin wandelte!«, berichtete die Herrin der Pflanzenwelt. »Selten habe ich die Geschöpfe, über die ich gebiete, in solch wunderbarer Vielfalt und Schönheit gesehen. Ein Anblick, der wie Balsam für die Seele war!«

»Wir wollen unsere Zeit nicht mit deinen poetischen Vorträgen vergeuden, Fiona, sondern die Geschichte hören!«, drängte Croesor.

»Ich muss dies alles erzählen, damit ihr verstehen könnt, was damals geschehen ist!«, sagte die Göttin der Blumen und Pflanzen etwas verschämt. »Mitten in dieser wunderschönen Sommerwiese, in deren sattem Grün die Farben der Feld- und Wiesenblumen wie Sterne am Firmament glitzerten, entdeckte ich eine einzelne Rose, die wie eine Königin über dieser Wiese thronte.

Diese Rose öffnete gerade ihre vollen Blütenblätter, auf denen noch der Tau des Morgens perlte. Die Goldstrahlen der Sonne ließen den Tau funkeln wie geschliffene Brillanten. Ich konnte nicht anders. Ich ging zu ihr und beugte mich über diese Rose. Ein feiner, betörender Duft strömte von ihr aus. In dem Augenblick, als ich diese Rose sah, empfand ich eine Glückseligkeit, wie ich sie niemals vorher und auch niemals danach empfunden habe!«

»Wahrlich, für diesen Augenblick nenne ich dich glücklich, Schwester!«, flüsterte Anima, die Göttin der Tiere, selbstvergessen. In den Augen Sabellas, der Herrin über die Schönheit, glänzte es, als stände sie selbst inmitten dieser Sommerwiese vor dieser wundervollen Rose.

»Und ich weinte Tränen vor Glück!«, berichtete Fiona nach einer Weile. »Tränen, die aus der Tiefe meiner Seele zu strömen schienen. Ich konnte und wollte sie nicht zurückhalten, so unglaublich schön war der Anblick dieser Rose. Und meine Tränen benetzten und bedeckten die Rose und umhüllten sie vollständig. Der Tau und meine Tränen aber glichen einem Kristall, der die Rose umhüllte. Dadurch wurde sie noch schöner.

Aber nun beschlich mich auch die Angst, dass diese Schönheit einmal sterben musste. Denn es ist das ewige Gesetz des Werdens und Vergehens, dass blühende Blumen verwelken, wenn ihr Tag gekommen ist.«

»Aber diese Rose im Kristall gibt es noch!«, rief Sabena aufgeregt. »Ich habe genau gesehen, dass ihr Stängel grün und ihre Blüten feuerrot aus dem Kristall leuchten!«

»Lasst mich zu Ende berichten, und ihr wisst alles!«, sagte Fiona. »Denn als mir klar wurde, dass auch diese wundervolle Rose einmal vergehen würde, und ich darum sehr traurig wurde, da erschien aus dem Nichts heraus Valderian, der Vielgestaltige!«

»Der Herr der Elfen!«, flüsterte Sabella. »Er soll Zauberkräfte besitzen, die selbst die Götter bezwingen!«

»Ich weiß es nicht!«, erwiderte Fiona. »Er erschien mir, und wir redeten miteinander. Und er bat mich, ihm diese Rose, benetzt mit meinen Tränen, zu schenken. Er wollte ihre Schönheit für die Ewigkeit bewahren.

Warum sollte ich ihm die Rose verwehren? Valderian nahm die kleine Zauberharfe, die er ständig bei sich trägt, und spielte eine einfühlsame Melodie, wie ich sie niemals zuvor gehört habe!«

»In der Harfen-Musik des Elfenkönigs liegt sein Zauber!«, nickte Medon sinnend. »Valderian hat durch seine mystischen Künste die Kristallrose geschaffen. Wie aber kam diese Rose zu den Riesen und Zwergen?«

»Ich denke, jetzt werde ich weiter berichten!«, mischte sich Baran ein. »Doch um den friedlichen Wettstreit zwischen Riesen und Zwergen zu begreifen, muss ich etwas weiter ausholen.

Ihr wisst um das Geheimnis des Borns von Castalia, der Quelle des Seins mitten im Wunderwald von Delyssiolina?« Die Götter nickten. Nur Watran fühlte sich berufen, was alle wussten, noch einmal zu erwähnen.

»Als Dhasor die Adamanten-Welt erschuf, ließ er diese Quelle des Lebens sprudeln!«, berichtete der Herr der Quellen und Gewässer. »Das Wasser verlängert das Leben eines Menschen um die Zeit, die von den Menschen zehn Jahre genannt wird. In dieser Zeit altert der Mensch auch nicht.«

»Die Heilkundigen wissen auch, dass in dem Wasser Kräfte sind, von denen die Gesundung kranker Körper herbeigeführt wird!«, setzte Medon hinzu. »Das Wasser der Quelle ist zwar kein Allheilmittel gegen jede Krankheit, aber es wirkt belebend und lindert manchen Schmerz!«

»Nur wenige Menschen wissen von der Quelle und ihrer Kraft!«, erklärte Vitana, die Herrin des Lebens. »Doch die Wissenden hüten das Geheimnis, um den Wunderwald zu schützen. Wäre das Geheimnis der Quelle offenbar, dann wären die Menschen in Scharen unterwegs, um sich das Wasser zu beschaffen und so einen Teil ihrer Jugend zurückzuholen. Und sie würden gnadenlos den geheimen Zauberwald zerstören, um an das Lebenswasser zu gelangen.

Wenn aber der Wunderwald stirbt, dann vergehen die Märchen und Mythen. Denn der Wunderwald ist die Zuflucht allen Lebens, das jemals in den Fantasien denkender Wesen im gesamten Universum erschaffen wurde. Es sind die Träume aller Wesen, soweit Dhasor im Traum selbst Welten erschaffen hat. Träume, die nie vergehen und die niemals sterben.

Beim Erwachen der Menschen oder aller anderen Wesen aus dem Schlaf werden die Träume der Nacht verdrängt. Aber hier im Wunderwald leben sie, bis ihre Zeit kommt, erneut im Bewusstsein des Menschen zu erwachen!«

»Ich habe vernommen, dass um die Quelle des Seins seit ewigen Zeiten ein Kampf zwischen den Elfen und den Trollen tobt!« Mano, der Gott aller Diebe, der bisher geschwiegen hatte, wurde nun langsam neugierig. Schon als von der Kristallrose die Rede war, hatte Baran die Augen des Diebesgottes leuchten sehen. Und der Herr der Weisheit war froh darüber - denn Mano war ein wichtiges Glied in der Kette seines Plans.

»Seit den Tagen, als Dhasor die Elfen wie auch die Trolle mit seiner Weltenschöpfung erträumte, schwelt Feindschaft zwischen dem Volk der lichten Höhen von Elfgaard und den Kreaturen von Trollheim.

Begehrlich schielen die Trolle aus ihren düsteren Höhlen und Felsschluchten hinauf zu Valderians Adamanten-Schloss; ohne Hoffnung, es jemals erobern zu können. Den Glanz von Segileya, dem Märchenpalast des Elfenkönigs, können die Augen der Trolle nicht ertragen.

Und deshalb versuchen die Trolle, irdische Reichtümer zu erwerben, um Ghoomar, die Marmorhalle ihres Königs Cynor, mit dunklem Gold und schwarzen Juwelen zu schmücken und zu verzieren. Darum sind sie seit unendlichen Zeiten bestrebt, die Quelle des Seins in ihren Besitz zu bringen!«

»Aber was wollen diese abnormen Kreaturen der Ödwelt denn mit dem Wasser?«, fragte Sabella verständnislos und strich sich ihr Goldhaar aus dem anmutigen Gesicht.

»Sie können das Wasser an die Menschen verkaufen!«, erkannte Croesor, der Gott des Geldes. »Die Menschen zahlen sehr viel Gold oder kostbare Steine für einen frischen Hauch der Jugend. Und das eben brauchen die Trolle, um ihren Königspalast zu schmücken.

Wenn die Trolle den Born von Castalia in ihren Besitz bringen und das Wasser aus der Quelle des Seins in der Adamanten-Welt gegen Gold und Edelsteine feilbieten, machen sie gute Geschäfte. Das ist schon einen Einsatz wert!«

»Es darf niemals geschehen, dass die Trolle den Born von Castalia erobern!«, rief Vitana aufgeregt. »Denn dann gäbe es bei den Menschen unglaubliche Unterschiede durch die Macht des Geldes. Einige von ihnen könnten sich dann fast das ewige Leben kaufen. Mit dem Wasser der Quelle hätten sie vielleicht sogar die Möglichkeit, selbst den Schatten betrügen, der über die Menschen fällt, wenn ich meine Kräfte von ihnen zurückziehe.

Das geregelte Leben der Menschen untereinander wäre in diesem Augenblick zu Ende. Sie würden sich wahllos bekämpfen und töten, nur um an Gold und Edelsteine zu kommen, damit sie den Trollen das Wasser aus der Quelle des Seins abkaufen können.«

»Deine Worte sind wahr, Vitana!«, nickte Baran bedächtig. »So wie du, so dachte auch Dhasor, als er die Elfen zu Hütern der Quelle einsetzte. Nur die Elfen erlauben gelegentlich Fremden, Wasser aus der Quelle zu schöpfen. Doch Valderians Volk achtet sehr genau darauf, dass dieses Wasser nicht leichtfertig vergeudet wird.

Unsichtbar für die Augen von Menschen und Göttern lagern sich bewaffnete Scharen der Elfen um die Quelle und weisen jeden mit guten Worten oder mit Waffen zurück, der sich unwürdig der Quelle naht. Wer Gewalt anwendet, um zum Wasser zu kommen, den bekämpfen sie mit Schwert, Lanze und Bogen!«

»Ich habe vernommen, dass die Elfen unsterblich sind!«, sagte Fruga, die Herrin der Feldfrüchte, langsam. »So unsterblich - wie die Trolle, die das Wasser erobern wollen. Ist das nicht eine schreckliche, ewige Schlacht, die niemals ihr Ende findet?«

»Es stimmt, dass Elfen und Trolle nicht sterben können. Jedenfalls nicht so, wie Menschen sterben!«, gab Baran leise zurück. »Sie gehen hinüber, wenn ihre Zeit gekommen ist, wie ... wie wir Götter!«

Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Nur sehr selten wagte es einer der Herrn des Jhinnischtan zu sagen, dass die Götter zwar unsterblich sind - aber dass auch für sie einmal die Zeit kommt, wo ihr Weg zu Ende ist.

Nur Dhasor und Thuolla sind ewig. Oder Alessandra und Mamertus.

Oder – sind sie nicht vielleicht schon hinübergegangen?

»Aber Elfen wie Trolle empfinden Schmerz, wenn sie von einem Schwert oder einer Lanze getroffen werden!«, erklärte Baran nach einer Weile. »Und wird er dreimal mit der Schneide eines Diamanten verwundet, dann stirbt auch ein Elf und ein Troll - oder besser gesagt, sie gehen hinüber. Vor diesem Übergang in ein anderes Bewusstsein fürchten sich Elfen und Trolle genau so wie die Menschen vor dem Tod!«

»Aber ich habe vernommen, dass die Kämpfe um die Quelle des Seins mit jeder Art von Waffen geführt werden!«, warf Croesor ein.