Kiss of Fay

Kiss of Fay

Das Geheimnis der Feentochter - Band 2

Maria M. Lacroix

Für alle Träumerinnen & Träumer,

Weltenreiserinnen und Weltenreiser,

Optimisten, Idealisten,

an-das-Gute-Glauber und niemals-Aufgeber.

Dieses Buch ist für euch, denn ihr macht die Welt

zu einem besseren Ort.

Inhalt

Namensregister und Aussprache

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Ein etwas anderes Glossar …

Danksagung

Über die Autorin

Bücher von Maria M. Lacroix

Namensregister und Aussprache

(alphabetisch geordnet)

Bansheegesprochen wie Bänschie

Cathal Ca-Hal (Betonung liegt auf der zweiten Silbe)

Clíodhna Kliothna (th wie in Englisch ›the‹)

Emma Emma

Jada englische Aussprache (J wie in Englisch ›Jungle‹, 

erstes a wie ay, zweites a wie das deutsche ›a‹)

Krystal Krys-tAl (Betonung liegt auf der zweiten Silbe)

Nessya Nässi-Ja (Betonung liegt auf der zweiten Silbe)

Nassaïr Nass-Air (Betonung liegt auf der zweiten Silbe)

Síd Schie

SeelieSchii-li (Betonung liegt auf der ersten Silbe)

Königin Siobhànn  Königin Scha-Wuan 

(Betonung liegt auf der zweiten Silbe)

Sluagh  Sluu-ach (langes u; ch wie in Rache)

Tadhg  Tath (th wie in Englisch ›the‹; g bleibt stumm)

Uisdean  Ischdan

UnseelieAn-schii-li (Betonung liegt auf der ersten Silbe)

Liebe Leserin, lieber Leser:

Das ›etwas andere Glossar‹ befindet sich am Ende des Buches. Du kannst also ruhig die letzte Seite lesen, haha. Aber bitte nur vom Glossar!

Illu

Prolog

Aus Emmas Tagebuch.

In der Wüste,

Sah ich ein Geschöpf, nackt, bestialisch,

Welches, am Boden kauernd,

Sein Herz in Händen hielt

Und davon .


Ich sagte, »Ist es gut, Freund

»Es ist bitter-bitter«, antwortete es.

»Aber ich mag es,

Weil es bitter ist

Und weil es mein Herz ist.« 


Stephen Crane, irgendwann vor dem 05. Juni 1900


Früher, in der Schule, habe ich nie kapiert, was dieses Gedicht bedeuten sollte. Jetzt verstehe ich es besser, als mir lieb ist.

1

Emma sog tief Luft ein, sobald sie wieder Atem holen konnte. Was zum Teufel war eben passiert

Gerade hatte sie sich noch vor dem Badezimmerspiegel in ihrer kleinen Studenten-Wohnung in Dublin abgeschminkt, jetzt saß sie auf einem spiegelglatten, dunklen Steinfußoden – das musste grauer Marmor oder Ähnliches sein – und blickte zur Decke hinauf. Sie befand sich hoch über ihrem Kopf und lief wie in einer gotischen Kirche zu einer Kuppel zusammen. Das prachtvolle Zimmer war, bis auf das mit dunklem Stoff verzierte King-Size-Himmelbett, leer und die Wand direkt vor ihr sah aus wie ein riesiger Spiegel, der den ganzen Raum einfing und ihn doppelt so groß wirken ließ, als er ohnehin war. Während sie sich umsah, kamen ihr unwillkürlich die Worte ›erhaben‹ und ›trostlos‹ in den Sinn. Die vielen glatten, grauen Flächen, die hohen Säulen in jeder Ecke des Zimmers und die in den Himmel reichende Decke mochten zwar majestätisch wirken, doch sie waren auch ebenso kühl und unpersönlich. Sie stand vom Boden auf, klopfte sich den kaum vorhandenen Staub ab – der spiegelglatte Boden war picobello sauber – und versuchte sich einen Reim aus dem zu machen, was eben geschehen war

Etwas war mit dem Spiegel nicht in Ordnung gewesen, er hatte vibriert, und als sie ihre Finger auf das Glas gelegt hatte, war es warm gewesen, fast heiß. Dann ging alles sehr schnell. Es fühlte sich an, als würde sie mit einer klebrigen Lackschicht überzogen werden, wie ein kandierter Apfel, bis sie nicht mehr atmen konnte. So schnell, wie es begann, war es auch wieder vorbei, und sie fand sich auf dem Boden dieses kalten, majestätischen Raumes wieder

Das Bild des kleinen weißen Kaninchens aus Alice im Wunderland erschien in ihrem Kopf, doch statt in einen Kaninchenbau zu fallen, war sie von ihrem Spiegel verschluckt worden. Das musste ein Traum sein.

Nur, wieso fühlte es sich nicht wie ein Traum an?

Bevor sie sich darüber nähere Gedanken machen konnte, öffnete sich die Tür am anderen Ende des Raumes und ein junger, attraktiver Mann trat ein, der freundlich und etwas verwegen lächelte. Wow, Badboy-Charme hoch fünfundneunzig. Mann, dafür hatte sie eine Schwäche. Er kam ihr bekannt vor. Uni? Nein. Aus dem Yoga-Kurs? Auch nicht … 

Dann fiel es ihr wieder ein. Sie war ihm vor einigen Nächten in dem neuen Club begegnet. Sie hatten miteinander geflirtet, bevor Nessi sie von ihm weggezogen hatte. Was zum Teufel machte er in ihrem Traum?

»Ich habe dich schon erwartet, Emma«, grüßte er mit einem schiefen Lächeln, als er vor ihr stand und sie in die Arme nahm. Er senkte seine Lippen zu ihren, doch bevor sie sich berührten, stemmte sie ihre Hände auf seine Brust und beugte sich nach hinten.

»Woah, immer langsam. Auch wenn das ein Traum ist. Willst du mir nicht wenigstens deinen Namen verraten oder so

»Selbst wenn ich ihn dir verraten würde, könntest du nichts mit ihm anfangen, Emma, meine Süße. Genieße doch einfach die Dinge, die ich mit dir tun werde

Okay, normalerweise stand sie nicht auf Männer, die dermaßen von sich selbst überzeugt waren, aber … ach, es war ein Traum und er war echt heiß. Auch wenn sie sich über diesen kalten Gothic-Ort, den ihr Verstand entworfen hatte, etwas wunderte, konnte sie sich doch einfach fallen lassen und aufhören, alles zu hinterfragen.

Aber war es nicht ungewöhnlich, dass ihr dermaßen viele Details in dem Zimmer auffielen? Waren Träume sonst nicht verwaschener? Eher wie Eindrücke und Gefühle, weniger präzise? Normalerweise spürte man im Traum nicht, ob es einer war oder nicht. In der Realität wusste man aber für gewöhnlich genau, dass es … keiner war. Sie studierte das Gesicht ihres Gegenübers. Die sinnlich geschwungenen Lippen, die halb geschlossenen Augen. Der Kerl sah geradezu unverschämt gut aus, dunkelbraune Haare, Dreitagebart, um die Mitte zwanzig wie sie selbst, athletischer Körperbau

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. War das überhaupt ein Traum? Oder war sie betäubt und entführt worden? Konnte sie sich deshalb nicht erinnern, wie genau sie hierhergekommen war?

Als sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, hielt er sie wie in einer Schraubzwinge, was ihre Befürchtungen nur bestätigte

Sie riss die Augen auf. »Das ist kein Traum«, flüsterte sie. »Lass mich los!« 

Mit dem Knie versuchte sie ihm zwischen die Beine zu treten, doch mit einer geschickten Bewegung wirbelte er sie herum, sodass sie mit dem Rücken gegen seine Brust gepresst wurde.

»Hmmm«, raunte er in ihr Ohr, »nur zu, wehr dich, Menschenmädchen. Das gefällt mir

Angst überflutete die Verwunderung und ließ sie in kurzen, scharfen Zügen atmen. »Menschenmädchen

»Ja, meine Süße. Ich bin ein Fay-Prinz. Hast du schon von der Welt der Fay gehört

Schwer schluckend schüttelte sie den Kopf, ihre Stimme versagte.

»Na, na, nicht lügen, meine Süße, ich bin sicher, dass du schon von den Sídhe gehört hast

»Aber das sind doch nur alte Legenden oder Gutenachtgeschichten für kleine Kinder.« Ihr Herz hämmerte spürbar gegen ihren Brustkorb. Ihre Stimme klang so dünn, dass sie nicht sicher war, ob er sie gehört hatte.

»Früher war es so viel lustiger, euch Menschen in unsere Welt zu entführen. Jetzt muss man euch erst einmal davon überzeugen, dass es uns überhaupt gibt und was wir sind.« Er seufzte. »Es wird höchste Zeit, dass mein Bruder seinen Plan ausführt, damit ihr euch wieder erinnert. Erzähl mir, was du vom Síd weißt.« Als sie nicht antwortete, bog er eines ihrer Handgelenke nach hinten, bis es mit einem lauten Krachen brach. Sie schrie vor Schmerzen, Tränen schossen ihr in die Augen.

Das Spielerische verschwand aus seiner Stimme. »Ich habe dich etwas gefragt«, grollte er. »Antworte mir. Was weißt du vom Síd, Emma

»Der … der Síd ist eine Bezeichnung für die Feenhügel«, wimmerte sie, um ihn nicht noch mehr zu verärgern. »Im Volksglauben heißt es, dass die Welt irgendwann einmal in zwei Bereiche aufgeteilt wurde. In den der Menschen und den der Sídhe oder Fay. Die Menschen können den Síd nur an bestimmten Orten oder zu bestimmten Tagen betreten, wie am 31. Oktober, an Samhain. Die Fay können aber jederzeit hinaus

»Braves Mädchen. Dann bist du doch nicht so unwissend, wie ich befürchtet hatte.« 

Der verspielte Tonfall war zurück, doch er jagte ihr mehr Angst ein als sein Zorn. Sein stinkender Atem strich über die Haut ihres Nackens und sandte Übelkeitsstöße durch ihren Körper

»Erzähl mir, was du über die Seelie- und die Unseelie-Fay weißt

»Nicht viel, ehrlich nicht«, wimmerte sie, »nur, dass die Seelie wohl zu den guten und hilfsbereiten Feen gehören und die Unseelie Schaden und Unheil bringen. Lässt du mich jetzt gehen, bitte? Das ist alles, was ich weiß. Wirklich

»Was weißt du über uns Prinzen

Die Antwort lautete ›nichts‹. Sie versuchte ihm das zu sagen, doch mehr als ein Schluchzen bekam sie nicht heraus. Zu groß war ihre Angst, dass ihn das verärgern würde.

»N-Nicht viel«, wimmerte sie schließlich.

»Wir sind die Schlimmsten von allen«, flüsterte er in ihr Ohr und strich liebevoll über ihr Haar. »Wir können so viel Spaß miteinander haben. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du hättest es noch länger für einen Traum gehalten. Ich hätte das Spiel dann etwas hinauszögern können.« 

Er wirbelte sie wieder zu sich herum und hielt sie fest an sich gedrückt. Ihr Handgelenk schmerzte so stark, dass ihr davon übel und schwindelig wurde

Nessi hatte völlig recht gehabt, ihm zu misstrauen. Sie hatte einen sechsten Sinn für solche Dinge. Hatte sie etwa gewusst, was er war? Wie konnte das sein? Nessi hatte als Teenager-Ausreißerin eine turbulente Vergangenheit, doch eine Verbindung zu der Welt der Feen erschien Emma völlig absurd. Aber was dachte sie da für einen Quatsch … die Welt der Feen gab es nicht, das waren nur Märchen und Sagen

Oder? 

Sie war bisher nie in gefährliche Situationen geraten. Ihr Leben war ein ruhiger, gleichmäßig strömender Fluss gewesen. Sie würde hier mehr oder weniger unbeschadet herauskommen. Ganz bestimmt. Es gab keinen Grund, ihr weitere Schmerzen zuzufügen, wenn sie sich kooperativ verhielt, nicht wahr? Sein verwegenes Badboy-Lächeln verwandelte sich in eines, das ihre Furcht noch mehr schürte

»Ich hätte zunächst die Vorspeise genießen können«, fuhr er fort, und der Klang seiner Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. »So muss ich gleich zum Hauptgericht übergehen.« 

Mit den Worten presste er seinen Mund auf ihren. Sie wehrte sich gegen den Kuss, doch ihre Zähne drückten schmerzhaft gegen ihre Lippen, sodass sie nachgeben und sie für ihn öffnen musste. Nach wenigen Augenblicken überzog ein seltsames Kribbeln ihre Haut, und ihre Lippen fühlten sich taub an. Je länger er sie küsste, desto schwieriger wurde es, klar zu denken, beinahe so, als wäre sie betrunken. Längst wehrte sie sich nicht mehr und hing schlaff in seinen Armen.

»Schon besser, meine Süße«, sagte er

Eine merkwürdige Freude überkam sie, weil er zufrieden war. Sie wollte ihm gefallen, wollte sich so benehmen, dass seine Bedürfnisse befriedigt wurden und er sie lobte. Nachdem er sich von ihr gelöst hatte, streifte ein kühler Luftzug ihre Lippen, und sie fühlten sich kalt und taub an. Sie streckte sich ihm entgegen, um den Abstand zu seinem Mund zu überbrücken und seine Zunge wieder in sich zu spüren. Sie wollte es, brauchte es, hielt es nicht länger ohne seine Berührung aus

»Es ist so einfach, euch Menschen faysüchtig zu machen«, sagte er und lachte laut. »So leicht, wie einen kleinen Brownie zu treten. Du, meine Süße, scheinst besonders empfänglich dafür zu sein.« 

Sie lächelte, weil sie offenbar alles richtig machte. Er schien zufrieden mit ihr. Während sie sich an ihn schmiegte, veränderte sich sein Aussehen. Seine Erscheinung fiel von ihm ab, als würde er sich wie eine Schlange häuten. Seine Haut wurde fahl und gelblich, die erotisch geschwungenen Lippen wichen Hundelefzen, hinter denen eine Reihe säbelartiger Zähne zum Vorschein kam, die so lang waren, dass er die Lefzen nicht um sie herum schließen konnte. Die Haare verschwanden und hinterließen eine Glatze, und seine dunkelbraunen Augen wurden spiegelglatt und milchig in der Farbe. Sie wich einen Schritt zurück, weil er so eklig und widerwärtig aussah.

»Nein, meine Süße«, sagte er und hielt sie fest, als könne er ihre Gedanken lesen. »Dich stört mein Aussehen nicht. Du hältst mich für den bestaussehenden Mann, den du je gesehen hast.« 

Natürlich. Wie konnte ihr das vorher nicht aufgefallen sein? Aber etwas in ihrem Innern versuchte gegen diese honigsüße Stimme anzukämpfen. So sah doch kein gut aussehender Mann aus. Ihr Verstand klärte sich langsam, und sie konzentrierte sich auf diese Gedanken. Sie kämpfte gegen seine Worte an. Wirklich. Bis er seinen Mund mit diesen langen Zähnen wieder auf ihren presste und sie mit einem tiefen Kuss belohnte. In seinen Armen schmolz sie dahin. Sie schmeckte Blut, dann erst spürte sie den Schmerz an ihrer Lippe. Er hatte sie mit seinen säbelartigen Zähnen verletzt, doch das machte nichts.

»Du liebst mich«, sagte er zwischen zwei Atemzügen. »Nein, mehr noch, du vergötterst mich.« 

Ja, sie liebte ihn. Sie liebte ihn mehr, als sie je jemanden geliebt hatte, und es entsprach der Wahrheit. Sie ergab sich seiner Umarmung, seinem Kuss voll und ganz, bis er seine Hand auf ihren Kopf legte und sie hinunterdrückte

»So, meine Süße«, sagte er und löste den Gürtel seiner Hose. »Jetzt will ich deine Lippen woanders spüren

Vor ihm kniend nahm sie ihn in den Mund, als er ihn ihr grob hinein schob und seine Hüften vor und zurück bewegte. Was immer er von ihr verlangte, wollte sie ihm geben. Dazu war sie da, das war ihre Bestimmung. Seine Bewegungen wurden schneller, heftiger, und er hielt ihren Kopf fest gegen seinen Schoß gedrückt, bis sie keine Luft mehr bekam und würgen musste. Aber das war nicht schlimm, denn seinen Lauten nach zu urteilen, gefiel es ihm. Eine zähe, schleimige Flüssigkeit ergoss sich in ihren Mund. Süßer Nektar aus seinen Lenden, und er befahl ihr zu schlucken, obwohl sie kaum atmen konnte. Das war falsch, das wollte sie nicht. Tränen schossen ihr in die Augen, weil er noch immer ihren Kopf fest gegen seinen Schoß gedrückt hielt. Kurz bevor ihr Magen revoltierte, ließ er sie endlich los. Sie löste sich von ihm, und frische Luft strömte in ihre Lungen. Ihre Kehle schmerzte. Trotzdem verzehrte sie sich nach seiner Berührung, seinen Liebkosungen auf ihrem Körper.

»Leg dich auf das Bett«, befahl er, und sie tat es, doch nicht mehr ganz so euphorisch wie zuvor. »Du willst mich. Sag es«, grollte er. »Sag es

Selbstverständlich wollte sie ihn. Es gab nichts, was sie mehr ersehnte, und Begierde und Lust ließen ihren Körper schlaff werden. Geradezu teilnahmslos. Als er über sie kletterte, versuchte sie sich auf die Ellenbogen zu stützen und ihre gesunde Hand um seinen Nacken zu legen, um ihn an sich zu ziehen, seinen Körper zu küssen, doch er stieß sie grob zurück. Sie blieb ruhig liegen. Er schien die Nähe nicht zu mögen, und sie wollte ihm doch so gerne gefallen, wollte alles richtig machen.

Oder?

Wollte sie das wirklich? Ihre Gedanken fühlten sich nicht mehr ganz so betäubt an. Etwas blitzte durch all den Nebel in ihrem Kopf hindurch, doch es war, als würde der Funke diffus herumfliegen und sich außerhalb ihrer Reichweite befinden.

»Sag, dass ich dich hart nehmen soll«, knurrte ihr Geliebter über ihr.

»Nimm mich hart«, kam sie seiner Bitte tonlos nach.

Als er sie schlug, flog ihr Kopf zur Seite, doch sie spürte die Schmerzen kaum. »Nicht so! Es muss so klingen, als würdest du es wirklich wollen.« Er fletschte die gewaltigen Zähne. »Was beim Síd stimmt mit dir nicht, dummer Mensch? Du vergötterst mich, du vergötterst mich!« 

Speichel tropfte auf sie herab, als er in sie eindrang und fest zustieß, aber auch das bemerkte sie kaum, denn ihr Verstand driftete davon

»Du wirst mir dankbar sein, es gefällt dir, so von mir genommen zu werden

»Ja.« Sie sah zur Seite, während er sich in ihr bewegte und über ihr grunzte. Es kam ihr jedoch so vor, als würde sie unterhalb der Zimmerdecke schweben und alles von oben betrachten. Als hätte sie sich von ihrem Körper gelöst und gehörte nicht mehr dazu. Was er dort unten mit ihrem Körper tat, war ohne Bedeutung, denn sie war nicht mehr ein Teil dessen

»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du wissen, dass du dich nie wieder so fühlen wirst, wie du dich vorher gefühlt hast, ist das klar

Er hatte recht, das spürte sie. Dort, wo sich vorher ihre Liebe, Freude und Hoffnung befunden hatte, entstand ein Loch. Ein großes, leeres Loch.

»Sobald ich mit dir fertig bin und gehe, wirst du dich allein und verlassen fühlen. Nicht nur von mir, von jedem«, sagte er, während seine schnellen, unerbittlichen Stöße sie wund rieben, bis ihr Unterleib brannte. Sie ignorierte die Schmerzen. Ihm schien es zu gefallen

Etwas stimmte nicht. Das war ihr klar, doch ihr Verstand weigerte sich, den Gedanken weiter zu verfolgen. Bald war es vorüber. Bald

»Verdammtes eigensinniges Menschenmädchen.« Er schlug sie wieder. Ihr Kopf flog zur anderen Seite. »Nie wieder wird dich jemand lieben, weil du dich nie wieder lieben wirst. Du wirst dich verabscheuen, so sehr, dass du dir wünschst, tot zu sein. Aber du wirst dich nicht umbringen. Nicht, solange ich mit dir spielen will. Hast du verstanden

Sie nickte. Ja, sie hatte verstanden, und sie wusste mit schrecklicher Gewissheit, dass es so sein würde, wie er sagte. Als sich sein Gewicht von ihrem Körper hob, er seine Hose hochzog und den Gürtel schloss, war der letzte Funken Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Worte ausradiert.

»Du wirst hier auf mich warten und mir dienen, klar? Ganz gleich, was ich von dir verlange, wirst du mir geben

Sie nickte wieder.

»Beim Síd!« knurrte er. Offenbar war er wütend. Weshalb war er wütend? Gefiel sie ihm nicht? Hatte sie nicht alles getan, um ihn zufriedenzustellen? »Wenn ich gewusst hätte, dass du dermaßen leicht zu brechen bist, wäre ich die Sache langsamer angegangen. So macht das Ganze ja überhaupt keinen Spaß

Er packte sie schmerzhaft beim Schopf, zog sie auf die Beine und warf sie dann auf das Bett zurück. Sie ließ es mit sich geschehen, was sollte sie auch machen, um ihn daran zu hindern?

Kopfschüttelnd betrachtete er sie mit einem angewiderten Blick. »Ich fürchte, dass du zu nichts mehr zu gebrauchen bist. Ein bisschen mehr Kampfgeist hätte mir gefallen. Aber so …« Schulterzuckend wandte er sich von ihr ab und verließ das Zimmer. Und etwas in ihr zerbrach

Sie war der Liebe nicht würdig. Wie sollte sie noch irgendwer lieben können, nachdem sie das hier zugelassen, ja sogar gewollt hatte? Sie hatte das Recht auf Liebe verwirkt. Warum sollten andere Achtung für sie empfinden, wenn sie die nicht einmal für sich selbst aufbringen konnte?

Nachdem er sie verlassen hatte, lag sie zusammengerollt auf dem Bett und starrte in die Laken. Irgendwann kehrte er zurück und zerrte sie fort. Weg vom Bett, raus aus dem erhabenen Zimmer. Stattdessen verfrachtete er sie in eine Ruine, grau, verkommen und trist. Wie sie selbst

Sie kauerte sich mit dem Rücken gegen eine Wand, schlang die Arme um ihre Beine und wiegte sich vor und zurück. Vor und zurück

Ihr Geist schwebte neben ihrem Körper, Zeit und Raum wurden bedeutungslos, bis jemand sie fand und fortbrachte.

2

Kalt. Ihr ist unendlich kalt. Sie friert unter den dicken Decken, friert immerzu. Nichts kann sie wärmen. Nie wieder.

Die Wände, Decke und Möbel ihres Zimmers sind blütenweiß, doch auf sie wirken sie dunkel und trostlos. Wie alles andere auch.

Sie bekommt oft Besuch. Die junge Frau, die mit der hellen Haut und den dunklen Haaren wie Schneewittchen aussieht, erzählt ihr etwas über eine Welt, die sie nicht kennt, eine Welt, die sie nicht versteht. Die Welt ›da draußen‹. Davon will sie aber nichts hören. Wenn Schneewittchen sonst nichts zu sagen hat, redet sie über das Wetter. Es ist kalt geworden, vielleicht wird es diesen Winter schneien, sagt sie heute.

Doch Emma hat vergessen, was Schnee ist. Ihre Welt besteht nur aus Finsternis.

Irgendwann kommt Schneewittchen nicht mehr allein. Sie hat einen Mann dabei. Nein, keinen Mann. Ihre Sinne erwachen zum Leben, blitzen durch ihr Gehirn wie schmerzhafte Stromschläge. Sie schreit, als das Wesen näher kommt. Es ist groß, mit silberweißer Haut und monströsen Schwingen, die bis zur Decke reichen.

Er ist einer von ihnen

Seine Anwesenheit verursacht das Gefühl von brennender Säure, die durch ihre Adern rauscht, sie vergiftet und von innen aufzehrt

Sie sehnt sich nach ihrem Prinzen. Ihre Existenz hätte wieder einen Sinn und sie eine Bestimmung zu existieren. Die unendlich andauernde Trostlosigkeit fände ein Ende. Nur dafür ist sie gut. Ihrem Fay-Prinzen zu dienen. Dunkel schwebt der Begriff durch ihren Verstand. Fay

Sie streckt ihre Hand nach dem silberweißen Monster aus. Und verbrennt sich. Es fühlt sich an, als würde sie neben einem Lavastrom stehen, der sie bei lebendigem Leib brät. Sie schreit. Versucht zu fliehen, doch sie ist in dieser kleinen, blütenweißen Zelle gefangen. Dieses Monster darf ihr nicht näher kommen, darf sie nicht kriegen, während sie sich gleichzeitig nichts sehnlicher wünscht, als die Nähe zu ihm und allem, was er verkörpert. Nicht er ist es, den sie will. Sie will ihren Prinzen

Sie sehnt sich nach dem Fay. Nach der Magie

Sie will das, was er zu geben fähig ist. Sie braucht den Rausch.

»Verschwinde!«, schreit sie und streckt doch sehnsüchtig die Hände nach ihm aus. Schneewittchen hält sie mit aller Kraft zurück, verhindert, dass sie zu ihm gelangt. Sie braucht die Magie, braucht sie.

»Cathal! Ich glaube, dass sie deine Magie fühlen oder sehen kann«, ruft Schneewittchen, während sie versucht, sie an den Schultern gegen die Wand zu drücken. Das silberne Monster antwortet. Mit einer betörenden Stimme, die prickelnde, schmerzhafte Schauer über ihre Haut sendet, redet es von ›Blendzauber‹ und ›komplett hochgefahren‹, doch sie versteht nicht, was das bedeutet. Es spielt auch keine Rolle. Sie hält es nicht mehr aus. Qual, Schmerzen und Sehnsucht zugleich, so stark, dass es sie fast zerreißt. Heiße Tränen laufen über ihre Wangen.

Schreiend krümmt sie sich, doch nichts lindert das Verlangen nach diesem Geschöpf. Sie schlägt sich den Kopf gegen die Wand, damit es aufhört, endlich aufhört. Menschen in Weiß strömen wie eine Lawine in ihr Zimmer, halten sie davon ab, sich den Schädel weich zu schlagen, fesseln sie an ihr Bett und geben ihr Mittel, die sie in erlösendes Nichts befördern. Bald ist sie wieder allein. Schneewittchen und das Wesen sollen gehen, sagen die Menschen, sie bräuchte Ruhe. Schneewittchen weint

»Ist sie faysüchtig?«, fragt Schneewittchen leise, bevor sie das Zimmer verlassen.

»Schlimmer«, antwortet das silberne Monster. »Sie ist gebrochen

Dann gleitet sie in die Leere.

3

Neue Zelle. Sie ist ebenfalls blütenweiß, aber die Wände, Möbel und die Tür sind gepolstert. Keine Möglichkeiten mehr, den Kopf dagegenzuhämmern und sich in Bewusstlosigkeit zu schlagen. Sie driftet davon, an einen anderen Ort in ihrem Kopf. Einen Ort, an dem nichts ist

Nur wenn Schneewittchen und das silberne Monster kommen, schleudert ihr Verstand sie in die Realität zurück. Weil ihr Schneewittchen von Dingen erzählt, die sie nicht hören will. Schneewittchen packt sie an den Schultern, schüttelt sie und spricht von Menschen, die sie lieben und vermissen. Ihre Familie, ihre Freunde.

»Ich habe keine Freunde!«, schreit sie und heult. Sie zerrt an ihren Haaren, bis sie diese büschelweise ausreißt. »Niemand liebt mich, ich bin es nicht wert

»Blödsinn!«, sagt Schneewittchen und hält sie davon ab, weiter an ihrem Haar zu reißen

Das Monster, das sonst mit verschränkten Armen bei der Wand stehen bleibt, kommt näher und droht ihr, sie festzuhalten, wenn sie nicht aufhört. Weinend hält sie sich die Hände über die Ohren. Der Klang seiner Stimme weckt Gelüste und Sehnsüchte in ihr, die sie nicht fühlen will, die sie hasst und sie anwidern. Erst als das Monster wieder zurücktritt, beruhigt sie sich, nimmt die Hände von den Ohren und hört zu, als Schneewittchen von der anderen Welt erzählt

Eine Welt voll von diesen Monstern, von den Seelie – den Schönen – und den Unseelie – den Grausamen. Ihr fällt auf, dass Schneewittchens Augen so rein und leuchtend blau sind wie bei keinem der anderen Menschen, mit denen sie hier zu tun hat

»Bist du eine Seelie?«, fragt sie Schneewittchen.

Schneewittchen wirkt überrascht. »Nein, ich bin ein Mensch. Wie kommst du darauf

Das Monster räuspert sich.

»Na ja, nicht wirklich jedenfalls«, korrigiert sich Schneewittchen. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.« Das silberne Monster mit den Schwingen sei auch ein Fay, fährt Schneewittchen fort, doch er sei nicht hier, um ihr zu schaden, sondern um zu helfen.

Sie blickt zum silbernen Monster. Sie traut ihm nicht.

Aber sie vertraut Schneewittchen. Weshalb, weiß sie nicht, nur dass es so ist. Die Unseelie könnten nicht zu ihr gelangen, erklärt Schneewittchen, weil sie die Zelle mit Schutzzauber gegen sie versiegelt hat. Nur wenn sie sie besuchen kommt, öffnet sie die Siegel, damit das silberne Monster die Zelle betreten kann

»Ist er einer von ihnen?«, fragt sie. »Ist er auch ein Unseelie

»Er ist ein Mischling«, antwortet Schneewittchen. »Von beiden Welten

»Ich will ihn aber nicht hier haben«, jammert sie. »Mach, dass er weggeht. Es tut so weh.« Sie fängt an zu weinen. »Es tut so weh

»Ich weiß, Emma«, erwidert Schneewittchen sanft und streicht über ihr Haar.

»Mach, dass er weggeht. Mach, dass er von hier verschwindet

»Er muss hierbleiben, Emma. Durch ihn wissen wir, wie es dir geht und ob du«, kurz zögert sie, »gesund oder noch süchtig bist. Kein Fay würde das normalerweise tun

Das Monster seufzt gelangweilt. »Glaub mir, mir bereitet das auch keine Freude

Sie ignoriert ihn. »Aber es tut so weh. Er könnte mir doch geben, was ich brauche, aber er tut es nicht. Es tut so weh

»Du wirst dich daran gewöhnen. Du reagierst schon viel besser als am Anfang, weißt du?« Dann schaut Schneewittchen hoch zum Fenster, das weit oben und unerreichbar in die Wand eingelassen ist. »Draußen blüht alles. Es ist Frühling.« Jetzt redet Schneewittchen wieder über das Wetter, wie immer, wenn sie nicht weiterweiß.

Emma wippt vor und zurück und summt, um nichts mehr zu hören.

»Meinst du, dass sie es schafft, die Sucht zu überwinden?«, fragt Schneewittchen das Monster, als sie in der Tür stehen

Kurz hört sie auf zu wippen. Sucht? Lange hält sie sich mit diesem Gedanken nicht auf. Sie verfällt wieder in ihr Wippen und Summen, flüchtet in das Nichts ihrer Gedanken.

»Schwer zu sagen«, antwortet das Monster.

»Bye, Emma. Bis bald«, sagt Schneewittchen, bevor beide gehen.

4

Sie kauert, nackt, auf dem Fußboden ihrer gepolsterten Zelle.

Einsam.

Nachts ist es ruhig.

Sie starrt auf ihre Hände und sieht, dass sie blutbesudelt sind. Sie hält ihr herausgerissenes Herz in ihnen

Es schlägt schwach, noch ein- oder zweimal, bevor es für immer verstummt. Und in ihrer Brust ist ein klaffendes Loch

Ihr Prinz steht neben ihr und beobachtet sie

»Keine Sorge«, sagte er. »Du wirst nicht sterben. Nicht, solange ich mit dir spielen will

Ihre Brust bleibt leer und still. Innerlich ist sie längst gestorben. Das Blut ihres toten Herzens tropft von ihren Händen auf den weißen Boden. Einen Tropfen fängt sie auf und leckt ihn vom Finger

»Wie schmeckt es?«, fragt er

»Bitter«, antwortet sie. »Nach Schmerzen und Trauer.« 

Ihr Prinz grinst und entblößt die ganze Reihe seiner monströsen Fangzähne. »Reizend

5

Nur Träume, sagen die Ärzte. Doch was spielt es für eine Rolle? Für sie sind sie echt. Jedes Mal. Jede Nacht

»Schau mal, Emma«, sagt Schneewittchen. »Ich habe dir Halloween-Deko mitgebracht.« Sie fängt an, ihre blütenweiße Zelle mit dummen orangenen Plastikgirlanden zu dekorieren. Das silberne geflügelte Monster steht mit verschränkten Armen in der Ecke und beobachtet sie. Sie starrt zurück, doch nicht mehr aus Sehnsucht. Sie spürt Feindseligkeit in sich aufsteigen. Sie faucht ihn an. Überrascht hebt er eine Augenbraue

Allmählich gewöhnt sie sich an seine Anwesenheit. Die Schmerzen, die seine bloße Präsenz in ihr verursachen, werden jedes Mal erträglicher. Es hat sich wie eine Sucht nach einer Droge angefühlt. Jetzt aber nicht mehr.

»Schöne Dekoration«, sagt sie zu Schneewittchen und lächelt. Es kostet sie Kraft, ihren Blick von dem silbernen Monster abzuwenden. Wenn auch schwächer als ganz am Anfang, geht von ihm noch immer ein starker, zerstörerischer Sog aus. Sie hasst dieses Gefühl. Verdammter Fay.

Während der letzten Monate hat sie gelernt, damit umzugehen. Sie befindet sich noch immer in der Zelle mit den gepolsterten Wänden, doch ab und zu darf sie diese in Begleitung verlassen. Sie war sogar schon in dem großen Aufenthaltsraum mit anderen Menschen, wo sich alle aus den unterschiedlichen Stationen treffen können. Dort hat sie es geschafft, einer anderen Patientin unbemerkt ein kleines Parfümfläschchen abzuluchsen.

Schneewittchen und das Monster verabschieden sich, nachdem sie die Zelle fertig dekoriert und ihr wieder unnützes Zeug von der Welt da draußen erzählt haben. Wie das Laub von den Bäumen fällt und es allmählich kälter wird. Dass sich Schneewittchen an der Uni eingeschrieben hat und jetzt studiert. »Aha« und »toll« hat sie gesagt, weil das gut ankommt. Lächelnd winkt sie ihr zum Abschied. Nur ihr. Den Fay mag sie nicht

Lächeln. Menschen reagieren positiv auf dieses Zähne zeigen und inzwischen hat sie die Bewegung perfektioniert.

Endlich allein. Sie holt das Fläschchen hervor, zerbricht es und … die rechte Hand mit der Scherbe schwebt über ihrem linken Handgelenk. Sie zögert

Er hatte es ihr verboten. Sie darf das nicht tun, nicht, solange er noch mit ihr spielen will, hatte er gesagt.

Wieder brennen ihre Wangen von salzigen Tränen. Sie will endlich frei sein. Frei von seinem zerstörerischen Einfluss, frei von der Leere, die er in ihr hinterlassen hat. Er hat ihr mehr als nur ihren Willen genommen, er hat ihr ihre Freiheit geraubt. Selbst jetzt, obwohl sie sich nicht mehr in seiner Gefangenschaft befindet, ist sie noch immer seine Sklavin

Sie will das nicht mehr. Es hat doch auch mal eine Welt ohne ihn gegeben.

Und auf einmal erinnert sie sich.

An alles.

An ihre Welt von früher, bevor sie von den Fay wusste. An den Moment, als sie aus ihrem Leben gerissen und in seine Welt gezogen wurde. An die Spiegel. An die letzten Monate. An alles, was Nessi ihr in den Momenten des Deliriums von der Welt der Fay erzählt hat

Nessi. Schneewittchen.

Schneewittchen heißt in Wirklichkeit Nessi.

Alles ist zurück.

Die Erinnerungen sind wieder da. Woher so plötzlich? Spielt es eine Rolle

»Du hast keine Macht mehr über mich, du hässliche Kreatur«, flüstert sie, bevor sie sich die Scherbe in ihren Arm rammt und durch die Haut zieht. Endlich frei

Es fließt nicht gleich, zunächst bildet sich bloß eine dünne rote Linie. Doch als das Blut anfängt, aus der Wunde zu treten, strömt es unaufhörlich, sodass sich innerhalb kürzester Zeit eine dunkelrote, nass glänzende Lache auf dem weißen Boden bildet. Auf einmal begreift sie, von welch kurzer Dauer ihre Freiheit sein wird.

Nein! 

Sie will nicht sterben.

Gerade noch rechtzeitig schafft sie es, den Notfallknopf zu drücken. Mit dem letzten Atemzug flüstert sie in die Leere ihres Zimmers: »Du hast keine Macht mehr über mich, mein Prinz.« 

Als Menschen in das Zimmer stürmen und Schritte sowie lautes Rufen den Raum erfüllen, wird die Leere verbannt

Sie lächelt, bevor Dunkelheit sie umgibt.

6

Frei.