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Andreas Tögel

Schluss

mit

LUSTIG

Wie die Babyboomer die
Zukunft der Jugend ruinieren

„Der Wohlfahrtsstaat ist eine Methode,
die Leute mit ihrem eigenen Geld
vom Staat abhängig zu machen.“

Gerd Habermann

Das vorliegende Buch enthält erstmals veröffentlichte Gedanken, eine Kompilation von Texten, die bereits in verschiedenen anderen Publikationen seit 2015 erschienen sind, und die Zusammenfassung einiger vom Verfasser gehaltenen Vorträge.

Inhalt

Vorwort von Werner Reichel

Geleitwort von Rahim Taghizadegan: Eine Anthropologie des Wohlfahrtsstaates

Einleitung

1.Der Wohlfahrtsstaat infantilisiert die Gesellschaft

2.Populismus – ein missbrauchter Begriff

3.Die totale Verwirrung – die EU-Querschnittspolitik des Gender Mainstreamings

4.Eskapismus – Vermassung, Vereinzelung und die Folgen

5.Zurück in die Vormoderne

6.Demokratie und politische Parteien – Wer sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann, hat gar keine Wahl

7.Das Elend des Wohlfahrtsstaates

8.Zur Frage von links und rechts

9.Die „Flüchtlingswelle“ – ein Brandbeschleuniger

10. Tit for Tat – Gedanken zur „Todesstrafe“

11. Vom Elend politischer Anmaßung am Beispiel des Euro

12. V wie Vendetta – Es lebe die Anarchie!

Schlusswort

Die Autoren

Verwendete und weiterführende Literatur

Impressum

Vorwort von Werner Reichel

Wer Antworten auf die drängenden Fragen und Probleme der Gegenwart sucht, wird in unserer politisch korrekten Gesellschaft in der Regel mit den immer gleichen und gut vorgekauten Erklärungen abgespeist. Sozialistische Dogmen sind in weiten Teilen Europas längst zu unumstößlichen Wahrheiten geworden, obwohl es die ranzigen, linken Rezepte und Utopien sind, die unseren Kontinent dorthin geführt haben, wo er heute steht: direkt am Abgrund.

Davon lässt sich der gemeine europäische Bürger wenig beeindrucken, er will, ja, er muss fest daran glauben, dass alles wieder gut oder sogar besser wird, wenn man nur die Dosis des kollektivistischen Giftes weiter erhöht. Das predigen in weitgehender Eintracht Vertreter aus Politik, Medien, Kultur und Wissenschaft Tag für Tag. Unterm Strich sind es stets die Kapitalisten, die Neoliberalen, die Amerikaner oder der freie Markt, die schuld an allem Unheil auf diesem Planeten sind. Da sind sich die Sozialisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums weitgehend einig. Es sind immer dieselben Sündenböcke, mit denen sie von ihrem eigenen politischen Versagen ablenken wollen. Darin erschöpft sich die rezente politische und intellektuelle Debatte. Entsprechend traurig ist das Niveau an Universitäten, Schulen, Theatern, in Literatur, Film, Unterhaltung und Medien. Die direkten Folgen dieses geistigen und kulturellen Kahlschlages kann man zudem in den großen und mittlerweile auch weniger großen europäischen Städten hautnah miterleben.

Dass es abseits dieser eingefahrenen Denke, abseits der simplen Weltsicht und des kollektivistischen Wohl- und Sicherheitsgefühls noch andere und weitaus gewinnbringendere Standpunkte gibt, ist den Bewohnern der europäischen Meinungswüste nicht bewusst. Unter anderem deshalb, weil es im deutschsprachigen Raum keine liberale Tradition gibt, obwohl sich die herrschende linke Klasse und diejenigen, die ihr angehören wollen, gerne als „liberal“ ausgeben, einschließlich der Wähler der Grünen oder der linksextremen Liste Pilz. Man schmückt sich mit dem Attribut „liberal“, weil alleiniges Linkssein, doch irgendwie armselig wirkt und nach Loser klingt, und sehnt sich in Wahrheit nach einem starken Obrigkeitsstaat, der sich um alle wichtigen Dinge des Lebens kümmert. Von der Wiege bis zur Bahre.

Dem freien Markt, dem Leistungsprinzip, der Eigenverantwortung, kurz: der Freiheit, misstrauen all die Möchtegern- und Viertelliberalen zutiefst, sie haben Angst vor ihr. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Freiheit haben keinen hohen Stellenwert in unseren Breiten. Man begibt sich lieber in die Obhut des Nanny-Staates, auch wenn das bedeutet, wie Kind behandelt zu werden. Letztendlich vertrauen Durchschnittseuropäer dem Staatsapparat mehr als den eigenen Fähigkeiten. Das würde man aber nie zugeben, weshalb all die Etatisten, Kollektivisten und anderen Staatsgläubigen vorgeben, die Freiheit zu lieben, obwohl sie die trügerische Sicherheit, die ihnen die Sozialisten aller Parteien versprechen, vorziehen. Diese politische Verantwortungslosigkeit der Bürger ist ein Freibrief für die Herrschenden. Die Macht, die ihnen die ängstlichen Kinder freiwillig übertragen, nutzen sie schamlos für ihre eigenen Zwecke und Interessen aus.

Vor allem die Intellektuellen und Künstler sind in hohem Maße vom Staat, seinem Wohlwollen und seinen finanziellen Zuwendungen abhängig, weshalb es auch so wenige Geister im Kultur- und Medienbetrieb gibt, die aufrecht für Freiheit und Individualismus kämpfen. Andreas Tögel ist einer von ihnen. Er gehört zu der äußerst seltenen Gattung der liberalen oder besser gesagt der libertären Geister und Denker. Er steht fest auf dem Boden der „Österreichischen Schule“, von der die meisten Österreicher - Politiker inklusive - nicht einmal wissen, worum es sich dabei überhaupt handelt. Als Vertreter dieser Denkrichtung hat er es als Autor nicht leicht, er sitzt zwischen allen Stühlen. Sozialisten, egal ob nationale oder internationale, mögen keine Liberalen. Seit vielen Jahren schreibt er gegen den politisch korrekten, linken Zeitgeist an – in konservativen, rechten, liberalen und libertären Medien. Und das aus purem Idealismus, denn in diesem abgelegenen und kleinen Teil des publizistischen Spektrums fließen keine Werbegelder.

Wer in Österreich kein bekennender Linker ist, wird vom tiefen Staat gerne als Menschenfeind und böser „Rechter“ denunziert. Nichts könnte falscher sein. Andreas Tögel ist, er verzeihe mir dieses mittlerweile versaute Wort, eine Bereicherung für dieses Land. Das beweist er unter anderem mit diesem Buch. Es enthält neben neuen Texten auch welche, die er in den vergangenen Jahren veröffentlicht hat, auch bei Frank&Frei. Für Menschen, die im sozialistischen Europa groß geworden sind und auch nie einen Blick über den ideologischen Tellerrand gewagt haben, eine schwer verdauliche Lektüre. Ja, es gibt abseits sozialistischer Trampelpfade auch Wege, die man beschreiten kann, und die uns nicht in dunkle, vormoderne Zeiten zurückführen.

Werner Reichel

Verlag Frank&Frei

Geleitwort von Rahim Taghizadegan
Eine Anthropologie des Wohlfahrtsstaates

Seit Anbeginn des Wohlfahrtsstaates warnen Ökonomen vor Finanzierungsproblemen und einer Verschuldungsspirale. Warum konnten diese Argumente bislang nicht überzeugen? Für die meisten Menschen ist der Wohlfahrtsstaat eine anthropologische und moralische Notwendigkeit, daher beeindrucken ökonomische Argumente kaum. Der Mensch kommt als das lebensunfähigste Tier auf die Welt und erfährt von klein auf Abhängigkeit und Fürsorgeverantwortung. Als soziale Wesen empfinden wir instinktiv, dass es gelegentlich nötig ist, als Individuen materiell zurückzustecken, um das Überleben der Gruppe zu gewährleisten. Unser Hirn ist, wie schon Friedrich A. von Hayek erkannte, denkbar schlecht auf das Leben außerhalb einer engen Sippengemeinschaft ausgelegt. Der Wohlfahrtsstaat ist ein Antwortversuch auf dieses unbewusst empfundene Dilemma in modernen, anonymen Gesellschaften. Hegel brachte diesen Zwiespalt am besten auf den Punkt, als er die Kernaufgabe des modernen Staates und damit des Wohlfahrtsstaates darin erkannte, eine Synthese zwischen Liebe und Freiheit zu bilden: das heißt, die Fürsorglichkeit der Sippe zu erfahren, ohne den Beschränkungen der Sippe ausgeliefert zu sein. So kommt es, dass der Wohlfahrtsstaat schon früh auch liberal begründet wurde: als Mindestmaß institutionalisierter Fürsorge, die erst die anonyme Freiheit einer großen Gesellschaft erlaube.

Es sind im Wesentlichen drei anthropologische Prämissen, die den Wohlfahrtsstaat als notwendiges Projekt erscheinen lassen, das grundsätzlich jeden Preis wert sein müsse – und damit über der Ökonomie stehe. Am Anfang steht die These, dass eine plötzliche Häufung von Not freiwillige Strukturen, die eher dezentral und gemeinschaftlich sind, überfordere. In der Neuzeit nehmen solche Häufungen durch die wachsende Tragweite politischer und ökonomischer Wechselfälle zu. An der Geburtsstunde des Wohlfahrtsstaates steht vielfach die politische Aufhebung der Klöster, der bis dahin größten Nothilfestrukturen jenseits der engen Sippenkontexte. Natürlich lässt sich hier einwenden, dass da wohl der Staat die Bedürftigkeit vielfach erst geschaffen hatte, mit der er seine spätere Fürsorge legitimierte. Doch das wird die wenigsten Menschen überzeugen: Das moralische Gebot, Menschen in Not in größtmöglichem Maße – und daher eben auch systematisch von Staats wegen – zu helfen, wird durch die gegensätzliche Bewertung politischer Ursachen nicht aufhoben.

Gemeinhin wird die exponentielle Erhöhung der Sozialausgaben als Indiz der sich rapide verschlechternden sozialen Lage vieler Menschen interpretiert. Von dieser Korrelation ausgehend, läge es aber auch nahe, auf eine paradoxe Kausalität zu schließen. Könnte es sein, dass der Wohlfahrtsstaat selbst Bedürftigkeit produziert? Eine ökonomische Anreizanalyse motiviert dies, wie eine Anekdote aus Vietnam verdeutlicht: Um einer Rattenplage Herr zu werden, bot die Regierung Prämien für die Schwänze toter Ratten. Damit stieg aber der Wert von Ratten, die daraufhin von den Rattenfängern zwar ihres Schwanzes entledigt, aber tunlichst nicht an der Vermehrung gehindert, geschweige denn getötet wurden. Die Zahl der Ratten wuchs dadurch noch weiter an.

Ist es zynisch davon auszugehen, dass als Folge bedarfsabhängiger Förderung die Bedürftigkeit gezielt erhöht wird? Krankt die Ökonomie schlicht an einem negativen, allzu pessimistischen Menschenbild? Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch nicht um ein einseitig negatives Bild vom Menschen, sondern um ein realistisches: Der Mensch war schon immer von Natur aus darauf angewiesen, ein Opportunist zu sein. An Kraft oder Schnelligkeit können wir es mit den Tieren nicht aufnehmen. Der Mensch ist, wie sich an Naturvölkern noch zeigt, ein beobachtender, wartender und verfolgender Jäger, der den kleinsten Vorteil zu seinen Gunsten ausnutzen muss. Eine plausible These zur evolutionären Entwicklung unseres Gehirns geht noch weiter: Unser Intellekt könnte direkt an der Notwendigkeit gewachsen sein, Tiere und unsere Mitmenschen zu überlisten. Da unser Überleben darauf beruhte, kann man dies dem Menschen schwerlich anlasten.

So ist es naheliegend, dass bedarfsabhängige Sozialleistungen die Pauperisierung nicht mindern, sondern verstärken. Unter Pauperisierung versteht man nicht unmittelbar Verarmung, sondern die Überhandnahme eines Bettlerdaseins, welches vom Wohlstandsniveau gänzlich unabhängig und eher psychologischer Natur ist: hohe Zeitpräferenz, geringe Sparneigung, geringe Eigenverantwortung. Ayn Rand schilderte diese psychologische Dynamik besonders klar anhand der Umstellung der Entlohnung in einem fiktiven Unternehmen, nach der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Bedürfnissen bezahlt werden sollte:

„Wissen Sie, was dieser Plan bewirkte und was er den Leuten antat? Versuchen Sie einmal, in einen Kessel Wasser zu schütten, aus dem ein Rohr das Wasser schneller abfließen lässt, als Sie es hineingießen können, und mit jedem Kübel Wasser wird das Rohr weiter, und je härter Sie arbeiten, desto mehr verlangt man von Ihnen […]. Es bedurfte einer einzigen Versammlung, um zu erkennen, dass wir zu Bettlern geworden waren – erbärmlichen, heulenden, winselnden Bettlern, jeder einzelne von uns, weil keiner seine Bezahlung als seinen rechtmäßigen Verdienst ansehen konnte, weil keiner Rechte oder Einkommen hatte, nicht ihm gehörte seine Arbeit, sondern der ‚Familie‘, und die ‚Familie‘ schuldete ihm nichts dafür, und der einzige Anspruch, den er an sie stellen konnte, waren seine ‚Bedürfnisse‘.“

Neben der Politik scheint in der Neuzeit auch die Ökonomie selbst die Häufung von Not zu verstärken. Es hat sich das Phänomen eines Konjunkturzyklus bemerkbar gemacht, das eine plötzliche, zyklische Häufung von Firmenzusammenbrüchen und Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Allerdings ist die Rezession eine Phase der Bereinigung und Aufdeckung nicht nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen; das eigentliche Unheil ist die Blasenwirtschaft, die davor Ressourcen verschwendet und gerade die Ärmsten in ein inflationäres Hamsterrad zwingt. Der Versuch einer bloßen Linderung der Rezessionsfolgen kann also die Korrektur künstlich hinausschieben und damit die Grundlage späterer, noch größerer Bedürftigkeit schaffen. Tatsächlich sind es eher die zentralistischen Fürsorgesysteme, die im Konjunkturzyklus an ihre Grenzen stoßen. Die These, dass die freiwilligen Strukturen mit der zyklischen Häufung von Not nicht fertig würden, trägt auch historisch nicht. Mangels fester Rechtsansprüche und dank persönlicher Beziehungen waren die „friendly societies“ oder Gewerkvereine wesentlich flexibler. Sie verschwanden nicht, weil sie überfordert waren, sondern wurden im Moment ihrer größten Leistungsfähigkeit zwangsweise dem Staat einverleibt.

Die zweite anthropologische Prämisse des Wohlfahrtsstaates ist, dass nur dieser den Teufelskreislauf durchbrechen könne, dass arme und ungebildete Eltern wiederum arme und ungebildete Kinder haben – was auf alle Zeiten eine unüberbrückbare Kluft zwischen den Klassen schaffe. Viele Liberale wurden im Namen einer Chancengleichheit zu Fürsprechern einer begrenzten Wohlfahrt. Nassau Senior etwa schrieb 1861:

„Wir können auf eine Zeit hoffen, in der der Arbeiterschaft die Bildung ihrer Kinder selbst anvertraut werden kann; doch kein protestantisches Land glaubt, dass diese Zeit schon angebrochen ist, und ich sehe keine Hoffnung, bis nicht Generation nach Generation besser ausgebildet wurde.“

Diese Perspektive überschätzt allerdings sowohl institutionalisierte Bildung als auch die Wirkung des Elternhauses. Zwillingsstudien zeigen, dass maximal zehn Prozent der Variation der Charaktereigenschaften und Lebenswege von Kindern durch das Elternhaus erklärt werden können. Diese beschränkte Prägung ist aber vermutlich wesentlich paradoxer und indirekter, als die meisten glauben. Das reichste Prozent der USA begann im Schnitt mit 15 Jahren zu arbeiten – eine wichtigere Fördermaßnahme als Schule und elterliche Zuwendung? Wenn man den Lerneifer, Fleiß und die Leistungsbereitschaft von jungen Asiaten als Vergleich heranzieht, mag man in unseren Breiten eher Wohlstandsverwahrlosung denn materiellen Mangel im Elternhaus als Entwicklungshemmnis ansehen. Sollte der Wohlfahrtsstaat also, anstatt Kindergeld auszuzahlen, Verarmungsprämien bei der Geburt eines Kindes abziehen, um es vor einer gefährlich sorglosen Existenz zu bewahren? Hinter der Logik des Wohlfahrtsstaates steckt im Kern ein Behaviorismus, wie ihn etwa John B. Watson formulierte:

„Gebt mir ein Dutzend gesunde, gut gebaute Kinder und meine eigene, spezifizierte Welt, um sie darin großzuziehen, und ich garantiere, dass ich irgendeines aufs Geratewohl herausnehme und es so erziehe, dass es irgendein beliebiger Spezialist wird, zu dem ich es erwählen könnte – Arzt, Jurist, Künstler, Kaufmann, ja sogar Bettler und Dieb, ungeachtet seiner Talente, Neigungen, Absichten, Fähigkeiten und Herkunft seiner Vorfahren.“

Der Behaviorismus bildet in seiner auf das Materielle reduzierten Form auch die dritte anthropologische Prämisse des Wohlfahrtsstaates, nämlich, dass die Menschen durch ein schlechtes Umfeld schlechter würden und daher nur die möglichst schnelle materielle Verbesserung der Lebensverhältnisse kriminelles und asoziales Verhalten unterbinden kann. Den Grundgedanken dahinter formulierte Rousseau: Der Mensch sei von Natur aus gut und nur durch die Verhältnisse korrumpiert.

Doch der materielle Aspekt ist hierbei der unwesentlichste. Das erkannte schon die sozialistische Sozialforscherin Marie Jahoda, die die Verhältnisse von Arbeitslosen untersuchte: Viel schwerwiegender als materieller Mangel wären das Fehlen einer Zeitstruktur, von sozialen Kontakten und einer gemeinsamen Aufgabe, die Identität stiften kann. Deshalb greifen alle realisierten Menschenverbesserungsversuche im Zuge einer Umfeldgestaltung tief in den Lebensalltag ein: ob die „reducciones“ der Jesuiten, Klöster im Allgemeinen oder Resozialisierungsprogramme in Eingeborenenreservaten (siehe etwa die bezeichnende australische Devise der „tough love“ nach schweren sozialen Problemen in davor rein wohlfahrtsstaatlichmateriell versorgten Siedlungen). In größerem Maßstab bleibt da von der Freiheit nichts übrig. So erstaunt es nicht, dass Totalitäre oft behavioristische Losungen bemühten: Mao meinte, auf leeren Blättern würden die schönsten Gedichte geschrieben, und die roten Khmer postulierten, nur Neugeborene seien unbefleckt. Die Folge ist im schlimmsten Fall Massenmord oder – unter „freiheitlicheren“ Verhältnissen – ein indirekter Massenselbstmord. Tiere, die nicht artgerecht gehalten werden, hören auf, sich zu vermehren. Ähnlich scheint es beim Menschen zu sein: Versorgte Reservate neigen zu demographischen Schieflagen. Demnach könnte die demographische Falle weniger ein Zeichen von Wohlstand sein, wie gemeinhin angenommen, sondern eines der Pauperisierung - der Entmenschlichung des Menschen im Zuge einer „Stallfütterung“, wie es Wilhelm Röpke scharf ausdrückte.

Der Wohlfahrtsstaat ist im Gegensatz zu den sozialistischen Experimenten mit millionenfacher Todesfolge eine „permissive“ Spielart des Behaviorismus, die sich selbst Freiheitlichkeit bescheinigt. Die Reduktion auf anonym-materielle Interventionen ist zwar für die Versorgten angenehmer, doch ihre Wirksamkeit muss bezweifelt werden. Strenger Paternalismus, der auf der These beruht, dass Politiker für ihre Untertanen bessere Entscheidungen treffen können als diese für sich, könnte immerhin theoretisch eine tatsächliche Verbesserung der Menschen in solchen Erwachsenenerziehungsanstalten erlauben (was praktisch unwahrscheinlich und selten den Freiheitsverlust wert ist). Permissiver Paternalismus hingegen wirkt anthropologisch notwendigerweise auf eine Verschlechterung der Menschen hin: Ein Beispiel dafür wäre, ein quengelndes Kind stets mit einem Bonbon abzuspeisen – was das Kind darauf konditioniert, nur durch die Anmeldung eines niederen Bedürfnisses Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erlangen. Der Hauptleidtragende einer solchen vermeintlich freiheitskompatiblen Abspeisung ist offensichtlich das Kind.

Demnach liegt die These nahe, dass die Hauptleidtragenden des Wohlfahrtsstaates dessen Klienten sind: die Unterschicht. Die Nutznießer sind gewisse Teile der Oberschicht, die die breite Bevölkerung mit Stillhalteprämien abspeisen können. Ohne Wohlfahrtsstaat wäre etwa die Bereicherung von wenigen im Zuge der inflationären Blasenwirtschaft der letzten Jahrzehnte politisch kaum tragbar gewesen. Doch die Logik der Stillhalteprämien hat einen wiederum anthropologischen Haken: Die zuteilende Klasse erwartet sich die Zuneigung ihrer Klienten, tatsächlich erntet sie langfristig Hass. Wie im Fall der permissiv-paternalistischen Fehlerziehung können die Zuteilungsempfänger ihr Selbstwertgefühl nur durch Herabsetzung der Zuteiler aufrechterhalten, was den wachsenden Hass der Unterschicht gegen den „therapeutischen“ Staat erklärt, der bislang am sichtbarsten in französischen Vorstädten ausbrach. Wie bei allen Substituten muss bei Stillhalteprämien laufend die Dosis erhöht werden, da Gewöhnungseffekte eintreten. Allein aufgrund dieser anthropologisch-psychologischen Dynamiken ist der Wohlfahrtsstaat ein schwerer Angriff auf die Menschenwürde und nicht bloß eine ökonomische und politische, sondern vor allem eine anthropologische und moralische Katastrophe. Diesen in Frage zu stellen, ist demnach nicht ein Ausfluss unsolidarischen Geizes, sondern die notwendige Folge einer Mitmenschlichkeit, die sich nicht an theoretischen oder ideologischen Modellmenschen orientiert, sondern auf einem realistischen Verständnis der menschlichen Natur beruht.

Einleitung

„Stärker als die Wahrheit schwankt die Fähigkeit des Menschen, sie zu erkennen.“ Nicolás Gómez Dávila

Bei aller berechtigten Kritik an vielen der dieser Tage in Mitteleuropa herrschenden Missstände ist doch jede Idealisierung der Vergangenheit unangebracht. Stets sollte bedacht werden, dass es eine „gute, alte Zeit“ niemals gab. Die Welt war nämlich - auch in der oft romantisierten und idealisierten Vergangenheit - nie etwas anderes als ein von Not, Krieg, Seuchen, Hunger und Ungerechtigkeit erfülltes Jammertal. Lediglich die jetzt in Deutschland und Österreich nach und nach aus dem Berufsleben scheidende Generation der Babyboomer kann von einigem Glück reden. Diese Kinder der Nachkriegszeit hatten im historischen Vergleich die mit Abstand besten Karten. Sie erlebten weder Kriege noch Hungerkatastrophen, keine Vermögensverluste durch galoppierende Inflationen, dafür aber das Wirtschaftswunder, genossen eine allgemein herrschende Sicherheit und eine berechtigte Aussicht darauf, dass es in ihrem Leben nur eine Richtung geben kann: aufwärts.

Die Eltern der Babyboomer dagegen erlebten den bis dahin schlimmsten aller Bombenkriege und hatten mit dessen Folgen sowie mit der Besatzungszeit fertigzuwerden, die in Österreich, anders als im noch heute von den Siegern besetzten Deutschland, bereits im Jahre 1955 wieder endete. Deren Eltern wiederum erlebten mit dem Ersten Weltkrieg zudem auch noch die europäische Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, die damit verbundenen Hungerjahre, eine verheerende Grippeepidemie im unmittelbaren Anschluss daran, eine Hyperinflation, die die Vermögen des Bürgertums vernichtete, und schließlich den Aufstieg und die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Nichts also, was man sich von Herzen wünschen würde.

Die Generation der Urururgroßeltern der heute Jungen erlebte zwar die scheinbar heile Welt der Monarchie und jenen kurzen Moment, in dem auch in Deutschland und Österreich eine Spur von Liberalismus aufblitzte, und ein damit einhergehendes hohes Maß an Freiheit. Der Lebensstandard lag damals, verglichen mit dem der Babyboomer, dennoch auf einem mehr als bescheidenen Niveau. Seit vielen Generationen geht es in Europa also – allen Kriegen, Seuchen, Bedrohungen und Krisen zum Trotz – aufwärts. Für die Gegenwart und Zukunft der heue Jungen, der „Genration Y“, sieht es indes anders aus. Bei den „Millennials“ handelt es sich um die seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten erste Generation, der es nicht besser gehen wird als den Eltern. Mit den Babyboomern war/ist der Zenit im Hinblick auf Wohlstand, Freiheit und Sicherheit in der Alten Welt erreicht und überschritten. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen, die im vorliegenden Buch beleuchtet werden sollen.

Ursprung der meisten, wenn nicht aller beschriebenen Phänomene ist die wachsende Geringschätzung privater Rechte, ein sich mehr und mehr in den europäischen Gesellschaften ausbreitender linker Kollektivismus und die daraus resultierenden Konsequenzen. Die unentwegte Beschwörung der „Solidarität“ unter Verwendung von Parolen, wie „Das Wir entscheidet“ oder „Gemeinnutz vor Eigennutz“, treffen im Euroland des beginnenden 21. Jahrhunderts auf breiteste Zustimmung. Wer sich hingegen allein um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, seinen Beruf ausüben und die Früchte seiner Arbeit genießen will, wird schnell als Egoist, rücksichtloser Ellbogentyp oder gar als Asozialer denunziert. Lebenslang auf Kosten anderer lebende Politiker und Funktionäre, die sich unentwegt anmaßen, sich in fremder Leute Angelegenheit einzumischen, ihnen vorschreiben, was sie zu tun und zu denken haben und ihnen maximale Steuerlasten zwecks „sozialen Ausgleichs“ aufbürden, dürfen sich im Gegensatz dazu als philanthropisch veranlagte Lichtgestalten feiern lassen. Hand in Hand mit dem ständigen Schrumpfen der Privatrechtssphäre nimmt der Staat immer totalitärer werdende Züge an. Immer unduldsamer wird sein Umgang mit den Bürgern, die mehr und mehr wie unmündige Kinder behandelt werden; immer rigoroser fällt deren Überwachung und Kontrolle durch die herrschende Dressurelite aus.

Unter anderem diese bedenkliche Entwicklung bildet den Grund dafür, weshalb es den Jungen heute kaum noch gelingt, Eigentum zu bilden, also etwa ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung zu erwerben oder ein Unternehmen zu gründen, ohne sich dabei faktisch und auf Jahrzehnte hinaus zu Leibeigenen der Banken zu machen. Denn der allseits gerühmte „soziale Ausgleich“ basiert auf der konsequenten Bestrafung von Leistung, begünstigt den Müßiggang und bedarf darüber hinaus einer sündteuren und unentwegt wachsenden Bürokratie. Konnte es bis in die 70er-Jahre hinein ein Alleinverdiener noch mit ehrlicher Arbeit schaffen, für seine Familie bescheidenen Wohlstand zu schaffen, ist das heute selbst für gut verdienende Zweipersonenhaushalte („DINKs“ - double income, no kids) kaum noch möglich. Steigende Abgabenlasten und explodierende Immobilienpreise zwingen die Jungen entweder dazu, dauerhaft zur Miete zu leben oder bei Mama im Nest hocken zu bleiben. Trotz historisch niedrigster Zinsen sorgen die Begehrlichkeiten des Fiskus und die auf dem Immobiliensektor sichtbar werdenden, preistreibenden Konsequenzen der exzessiven Geldpolitik der Zentralbanken dafür, dass Eigenheime – zumindest die in einigermaßen attraktiven Lagen - zunehmend unerschwinglich werden. Ohne Unterstützung durch wohlhabende und –meinende Eltern oder einen Lottogewinn geht für die heute Jungen mehrheitlich nichts mehr. Da aber privates Eigentum Unabhängigkeit vom Gutdünken Dritter oder von einer übergriffigen Sozialbürokratie, und damit die Basis der Freiheit bedeutet, geht es auch mit der Freiheit bergab.

Doch zunehmende Schwierigkeiten beim Vermögensaufbau sind nur eine schlimme Folge der räuberischen Zugriffe des Fiskus. Die möglicherweise übelste Konsequenz hoher Abgabenlasten ist, dass – anders als früher - auch die meisten Frauen in die Erwerbstätigkeit (und damit zur Steuerleistung!) gezwungen werden, weil das Einkommen des Mannes nicht mehr ausreicht, um den Lebensunterhalt einer Familie zu bestreiten. Frauen die „nur“ Hausfrauen sind und sich um den Nachwuchs kümmern, sind daher längst zur aussterbenden Art geworden, was von progressiven Feinden der traditionellen Familie als großartiger Fortschritt bejubelt wird. Ihrer Meinung nach ist es nämlich erstrebenswerter, in materieller Hinsicht von Dienstgebern und/oder der Sozialbürokratie abhängig zu sein als vom Ehepartner. Da viele berufstätige Frauen die Doppelbelastung von Erwerbstätigkeit und Haushalt inklusive Kindeserziehung nicht auf sich nehmen wollen, ziehen sie es vor, auf Mutterglück zu verzichten. Deshalb gehen die Geburtenraten in modernen Wohlfahrtsstaaten dramatisch zurück – und zwar weit unter das Maß, das zum Erhalt der Bevölkerungszahl nötig wäre. Mit rund 1,3 Geburten pro Frau geht derzeit pro Generation rund ein Drittel der Population verloren. Dass das recht bald zu einem Kollaps der Gesellschaft führen muss, liegt auf der Hand.

Die vom politischen System gesetzten Anreize gehen also in so gut wie jeder Hinsicht in die falsche Richtung – auch mit Blick auf die akademische Bildungselite. „Wer in Österreich studiert hat, will Beamter werden“, kommentiert der Zeithistoriker Lothar Höbelt treffsicher. Das bedeutet aber, dass ausgerechnet viele der Bestausgebildeten für die produktive Wirtschaft und damit für die Wertschöpfung im Lande unwiderruflich verlorengehen: einmal Beamter, immer Beamter. Staatsbürokraten, Radfahr- und Gleichbehandlungsbeauftragte, Internetüberwacher und aus öffentlichen Mitteln bezahlte Kontrolleure, Regulatoren und Blockwarte produzieren nun einmal nichts, was zum kollektiven Wohlstandsgewinn beiträgt – ganz im Gegenteil.

Die „Millenials“ geben sich mehrheitlich, anders als noch die Generationen ihrer Eltern und Großeltern, weitgehend unpolitisch und illusionslos. Kaum einer von ihnen macht sich ernsthafte Hoffnungen, einen nennenswerten Teil der von ihnen zu leistenden Sozialbeiträge in Form eigener Pensionen je wiederzusehen. Allerdings nehmen sie das erstaunlich gelassen hin. Denn immerhin rauben ihnen die extreme Abgabenbelastung einerseits und die Nullzinspolitik andererseits jede Möglichkeit zur Eigenvorsorge. Es ist unbegreiflich, dass sie dem großteils zu ihren Lasten gehenden – Treiben der politischen Klasse und der Sozialbürokratie absolut widerstandslos zusieht.

Sosehr es aus moralischer Sicht grundsätzlich für die Jugend spricht, wenn sie sich von den ekelerregenden Niederungen der Politik fernhält, sosehr ermutigt es die auf das Stimmverhalten der Alten schielenden Politiker, ausschließlich deren Interessen zu dienen. Die demographische Schieflage führt dazu, dass ohne die Stimmen der Rentner heute keine Wahl mehr zu gewinnen ist. Die paar Jungen fallen in einer rücksichtslosen Mehrheitsdiktatur nicht ins Gewicht. Die Umverteilung von den Jungen - ja sogar den noch Ungeborenen - zu den Alten nimmt daher unentwegt zu. Kaum einer der Rentenbezieher der Gegenwart hat Beiträge in einer Höhe geleistet, die den tatsächlich bezogenen Leistungen entsprechen würde, was in besonderem Maße für Politiker, Beamte und andere im Dunstkreis des Leviathans aktiv gewesene Privilegienritter gilt. Wachsende Pensionszuschüsse aus dem Budget sprechen eine klare Sprache.

Viele gut ausgebildete, ambitionierte und ehrgeizige Junge reagieren auf ihre unfaire Belastung und den vom Wohlfahrtsstaat gebotenen Mix negativer Anreize mit einer Emigration ins leistungsfreundlichere Ausland: Brain-drain. Die Mehrheit der Bürger tritt indessen den Rückzug ins Private an, verachtet die moralisch bankrotte politische Klasse, von der sie paradoxerweise aber dennoch Hilfe in allen Lebenslagen erwartet, verzichtet darauf, Kinder in die Welt zu setzen, und fügt sich, zunehmend devot oder gleichgültig, in ihr Schicksal. Ein neues, von Kinderlosigkeit gekennzeichnetes Biedermeier ist allerdings nicht der Stoff, aus dem sich künftige Höhenflüge unserer Zivilisation entwickeln werden. Im Gegenteil. Die „westlichen“ Gesellschaften der Alten Welt befinden sich im kollektiven Niedergang, wenn nicht im letzten Moment noch ein Wunder geschieht, insbesondere angesichts einer kontrafaktisch als „Flüchtlingswelle“ bezeichneten Masseninvasion aus der unserer Zivilisation feindlich gesinnten Kultur des Halbmonds.