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Arna Aley

Das neue Jerusalem

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

PROLOG

1. Offenbarung I

2. In Knipperdollings Haus

3. Auf dem Marktplatz

4. Bei Matthys Zuhause

5. Die Unruhen im Bischofslager

6. Offenbarung II

7. Die Königin (Fortsetzung der Szene 5)

8. Die Nonnen

9. Matthys’ Tod (Bei Matthys zu Hause)

10. Offenbarung III

11. Weg mit dem Kopf

12. Offenbarung IV

13. Bei Knipperdolling zu Hause

14. Bestürmung der Stadt am Pfingstmontag

15. Beim Bischof zu Hause

16. Am Domplatz

17. Offenbarung V

18. Die Selbstkrönung

19. Beim Bischof zu Hause

20. Trainingslager

21. Offenbarung VI

22. Das Schlafgemach des Königs

23. Auf dem Domplatz

24. Offenbarung VII

25. Warten auf Erlösung / Das Gastmahl des Königs

26. Der Golem

27. Offenbarung VIII

EPILOG (Jenseits von Gut und Böse)

Dank

Quellenangabe

Literaturliste

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Jan Matthys, der oberste Prophet

Jan van Leiden, der Täuferkönig

Divara, die Königin

Elisabeth, die Schwester der Königin

Bernhard Rothmann, der Worthalter des Königs

Bernd Knipperdolling, der Statthalter des Königs

Der Bischof

Der Junge

Anna, auch Das Mädchen Anna, auch Anna HMMG

Corvinus, ein evangelischer Prediger

Mollenheck, Schmied in Münster

Eva, seine Tochter

Heinrich Graes, der Verräter

Bischofssekretär

Jesus

Erste Nonne

Zweite Nonne

Ältere Frau

Erster Wachmann

Zweiter Wachmann

Der Bote

Städter

PROLOG

Der Vorhang öffnet sich. Auf dem Sessel in Weihrauch gehüllt thront der Bischof. Auf der untersten Stufe vor seinen Füßen sitzt Anna, ein junges Mädchen, mit einem Baby in den Armen.

DER BISCHOF
(zu Gott) Glotz mich nicht so an
Du sollst mich nicht anglotzen
Nicht anglotzen
Ich brauche Ruhe jetzt
Lass mich in Ruhe
Wie spät ist es
Die sind so lang
Diese feierlichen Messen
Ich ertrage so viel Musik nicht
Einen ganzen Chor haben sie bestellt
Diese Musik
Dieser Gestank
Die Leute schwitzen so wahnsinnig
Kein intelligentes Gesicht dabei
Alles Stumpfsinnige
Gesichtslose
Ein fürchterliches Gefühl
Schluss jetzt
Dienstag schreibe ich dem Papst
wegen Anna

(Der Bischof schaut von seinem Thron auf Anna mit dem Baby in den Armen herab. Sie senkt ihr Haupt. Er bekreuzt sie. Sie bekreuzigt sich auch. Dann hebt sie das Baby zu ihm hoch. Er malt ihm ein Kreuz auf die Stirn und flüstert ihr zu)

Dienstag

(Anna geht in die Knie. Der Bischof wiegt in einer Hand den Klingelbeutel, die andere legt er unbewusst an seinen Sack.)

Schwer
richtig schwer für eine Messe
(zu Gott) Hör auf zu glotzen
Du hast mir das eingeredet
Du
Ich habe nie dein Diener werden wollen
Du
hast mich gezwungen
Du hast es dir oben gemütlich eingerichtet
Und ich muss hier
(schüttelt den Klingelbeutel) dieses Gestinke hier
mit meinen eigenen Fingern
mit meinen Händen
mit meiner Haut
berühren
anfassen
nachzählen muss ich das
Jedes Mal
nachzählen
Bis zum Erbrechen
nachzählen
In diesem Gewand hier
sitzen
und nachzählen
Glotz mich nicht an
Du hast dir deine Gestalt selbst ausgesucht
Die Wahrheit ist, dass du dir deine Gestalt
selbst ausgesucht hast
während ich gezwungen worden bin
dieses Gewand
dieses Geld
dieses fruchtlose Sublimieren
Gezittert vor Ekel mein Lieber
Gezittert
(Pause)
Die ganze Zeit überlege ich mir
Soll ich das Ganze hinschmeißen oder
soll ich es nicht
Sie quälen mich diese Gedanken
ich bin schwach
schwach
gequält
unfähig
Handlungsunfähig
(zu Gott) Du hast mich ausgenutzt
Erlöser
Die ganze Zeit hast du mich ausgenutzt
Ich bin erschöpft
(Pause. Der Bischof schaut auf Anna mit dem Baby in den Armen herab.)
Was macht die Vernachlässigte
Sie betet
(zu Gott) Betet sie
Die ganze Zeit
hat sie gebetet
nur gebetet
Ich werde dem Papst schreiben
Dienstag
(zu Gott) Sie gehört mir
(Pause)
Du hast sie hierher zu mir geführt
aus ihrem Elternhaus, das sie verfluchte
durchnässt
erfroren
weinend
Ich habe sie
in meiner warmen Stube aufgenommen
sie gehört
Mir
die Anna
Hat sie geweint
laut
geschrien
Sie sollte
schreien
laut
Herr hilf mir
schreien
laut
Ich helfe ihr
so wie ich kann
(zu Gott) Ich kann nicht anders helfen als ich kann
Ich werd ihr helfen
So
Mich friert’s

ANNA
Gott

DER BISCHOF
Sie soll schreien

ANNA
Goott Allmächtiger
Gooott

DER BISCHOF
Sie klingt verängstigt
fürchtet sich
Das Kind ist noch so klein
sie zittert um das Kind
mein Kind

ANNA
Gooooooott

DER BISCHOF
Sie ruft nach dir
Dich ruft sie an
Mich hat sie nicht gerufen
Nicht einmal

ANNA
Gooooooooooooott

Der Bischof streckt seine Arme nach unten, nimmt das Kind an sich.

DER BISCHOF
Schön ist das Kind

ANNA
(nickt)

DER BISCHOF
Hast dich gefürchtet
um das Kind

ANNA
(schaut ihn erschrocken an, nickt)

DER BISCHOF
(zu Anna) Ich schreibe dem Papst
wegen dir
Am Dienstag

ANNA
(nickt)

DER BISCHOF
ob du hier bleiben darfst
bei mir
(wiegt den Klingelbeutel in der Hand)
Schön ist das Kind

ANNA
(nickt)

DER BISCHOF
Wie ekelt mich das an
das Geld
der Beutel
eklig
(schaut sie lange an)
Schön ist das Kind

(Eine tote Taube fällt von oben in Annas Schoß. Sie erschrickt, starrt die Taube an, ohne sich zu bewegen.)

Erkennst du ihn wieder

(Anna schüttelt den Kopf)

Das ist der Heilige Geist

(Anna schüttelt den Kopf)

Gott ist tot

(Anna schüttelt den Kopf)

Zieh dich aus
Los zieh dich aus

ANNA
(schüttelt den Kopf)

DER BISCHOF
(zu Anna) Ich will, dass du dich ausziehst

ANNA
(schüttelt heftig den Kopf)

DER BISCHOF
Ich kann keinen Widerstand ertragen
(greift Anna am Hals, dreht ihr Gesicht nach oben)
Da oben ist nichts
(für sich) Ich bin so aufgeregt
(nach einer Pause, zu Anna)
War ich derjenige
der –
(zeigt auf das Kind) mit dem Geschenk

ANNA
(nickt)

DER BISCHOF
ist das von mir

ANNA
(nickt)

DER BISCHOF
bist nicht die Einzige
alle sündigen
Alle
Los
zieh dich aus
ausziehen

(Anna lässt ihren Überwurf runterfallen.)

Sie ist eine Hexe
Verführerin
Eine Hexe
Das Hexenkind
(Der Bischof wirft das Baby von sich.)
Der Teufel

Der Bischof steht umständlich vom Sessel auf, steigt mühsam die Treppen herunter, nimmt die Mitra ab, schleudert sie zur Seite, verlässt schnaufend den Raum. Anna stopft sich das Baby zurück in den „Bauch“ und setzt sich eine Krone mit zwölf Sternen auf den Kopf.

1. Offenbarung I

Eine neblige Landschaft.

Die schwangere Heilige Maria Mutter Gottes mit einer Krone mit zwölf Sternen auf dem Kopf steht im Nebel.

Und ein großes Zeichen erschien in dem Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt war eine Krone von zwölf Sternen. Und sie war schwanger und schrie in Wehen und Schmerzen der Geburt.

Und es erschien ein anderes Zeichen in dem Himmel: Und siehe, ein großer, feuerroter Drache, der sieben Köpfe und zehn Hörner hatte und auf seinen Köpfen sieben Diademe; und sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels mit sich fort; und er warf sie auf die Erde. Und der Drache stand vor der Frau, die im Begriff war zu gebären, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlänge.

2. In Knipperdollings Haus

ROTHMANN
Jetzt oder nie.

MATTHYS
Ich habe Jan van Leiden nach Münster berufen. Wir sollten seine Ankunft abwarten.

KNIPPERDOLLING
Nicht abwarten. Jetzt.

MATTHYS
Ich halte viel von ihm. Er ist ein Schauspieler. Er beherrscht die Massen, kraft seiner Stimme. Ich habe ihn auf der Bühne erlebt. Kaum zu bändigen.

DIVARA
Ist er einer von uns?

MATTHYS
Er will sich taufen lassen.

ROTHMANN
Jetzt ist die Zeit günstig, aus dem Verborgenen ins Öffentliche zu treten. Aus dem Dunkeln ins Licht. Aus der Stube auf den Marktplatz.

MATTHYS
Die Städter werden sich nicht trauen, sich uns öffentlich anzuschließen.

KNIPPERDOLLING
Die Münsteraner fressen Rothmann aus der Hand. Vertrau ihm.

MATTHYS
Die Täufer werden im ganzen Reich unter Todesstrafe verfolgt. Das wissen alle.

ROTHMANN
Reichsgesetze gelten nur, solange die Menschen ihnen folgen. Sobald die Mehrheit sich zum Täufertum – zum wahren Christentum, zur Erkenntnis der Heiligen Schrift bekennt und durchringt, werden die Reichsgesetze fallen.

KNIPPERDOLLING
Weg mit dem Fürstbischof!

DIVARA
Weg mit dem Antichrist Papst!

MATTHYS
Weg mit dem Klerus!

ROTHMANN
Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. DWWF. Das Wort Wird Fleisch. Hier, jetzt, mit uns.

Rothmann druckt sich den Stempel „DWWF“ auf die Stirn. Ihm folgen alle anderen. Matthys zögert. Divara bemerkt Matthys grobschlächtiges Händezittern.

DIVARA
(flüstert Matthys ins Ohr) Hör auf! Sie dürfen dir das nicht anmerken. Ein Manisch-Depressiver als oberster Prophet? (Divara drückt Matthys den „DWWF“ Stempel auf die Stirn.) DWWF.

Rothmann und Knipperdolling stimmen mit ein: DWWF!

MATTHYS
(flüstert Divara ins Ohr) In meinen euphorischen Phasen bin ich ein feuriger Ehemann –

DIVARA
(spöttisch) Das denkst du.

MATTHYS
und ein rasender Prophet! Dafür liebt mich das Volk!
(euphorisch) DWWF. DWWF. DWWF.

3. Auf dem Marktplatz

Corvinus predigt auf dem Marktplatz vor der versammelten Menge.

Die Bürgerschaft verlangt, dass Rothmann wieder in der Kirche predigen darf.

Corvinus hebt die Bibel hoch, droht mit ihr.

CORVINUS
Hütet euch aber vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Sammelt man auch Trauben von Dornen, oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte, der schlechte Baum aber bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte bringen, und ein schlechter Baum kann keine guten Früchte bringen.

STÄDTER
Wir wollen Rothmann hören! Rothmann muss her! Lasst ihn predigen!

Rothmann mit der Gefolgschaft (Matthys, Knipperdolling, Divara) treten auf.

ROTHMANN
Was sind eure guten Früchte? Zeigt sie uns!

STÄDTER
Verfault sind deren Früchte!

STÄDTER
Ist das eine gute Frucht, dass Klöster den Gilden das Geschäft verderben!

STÄDTER
Sechstausend Webstühle im Schwesternhaus Niesinck!

STÄDTER
Und sie zahlen keine Steuern!

STÄDTER
Und von uns werden noch Abgaben an das Kloster verlangt!

STÄDTER
Pfaffenweiber sind eine Schande!

STÄDTER
Fürstbischof ist eine Schande!

STÄDTER
Klerus ist eine Schande!

STÄDTER
Blutsauger!

STÄDTER
Schmarotzer!

ROTHMANN
Was wir anstreben –

(Die Menge beruhigt sich.)

Das ist die Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie nach Gottes Willen eigentlich sein sollten, aber durch den Verfall der katholischen Kirche verdorben sind.

STÄDTER
Der Papst ist der Antichrist!

CORVINUS
Das sagt Luther auch, das ist nichts Neues.

ROTHMANN
Luther hat den Anfang gemacht, er ist aber nicht weit genug gegangen.

STÄDTER
Luther ist ein Schisser! Ein Arschlecker der Fürsten!

ROTHMANN
Wir fordern die Abschaffung der Ständeordnung! Vor Gott sind alle Menschen gleich.

STÄDTER
Weg mit den Fürsten! Weg mit dem Klerus!

CORVINUS
Luther war der erste, der die Bauern zu der Revolte aufrief.

ROTHMANN
Dann aber forderte er die Fürsten auf, ohne Gnade und Geduld gegen die Bauern vorzugehen: „Gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss. Schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.“ Das ist Luther.

STÄDTER
Weg mit Luther!

STÄDTER
Weg mit seinem Knecht Corvinus!

ROTHMANN
Wir sind keine Allwissenden. Gott ist allwissend. Unser Ziel ist: Was immer wir erkennen, was Gottes Wille ist, das wollen wir umsetzen.

STÄDTER
Rothmann ist unser Mann!

ROTHMANN
Wer Gottes Wort empfängt und es schafft den Willen Gottes zu vollbringen, in dem wird Christus geboren. Das Wort Wird Fleisch. Gottes Wort wird Fleisch in uns. Seid ihr bereit das Wort Gottes zu empfangen?

STÄDTER
Ja!

ROTHMANN
Seid ihr bereit die volle Verantwortung für eure Gedanken und euer Tun zu übernehmen?

STÄDTER
Ja!

ROTHMANN
Ohne, dass einer euch vorpredigt, was ihr zu tun und zu denken habt!

STÄDTER
Wir sind bereit!

ROTHMANN
Wer Gottes Wort empfängt bedarf keinerlei Anleitung. Allein Gott und sein Geist ist der Meister! Der Mensch geht aus sich selbst hinaus und zieht Christus an. Das ist der Weg zur Herstellung des vollkommenen Menschen und der vollkommenen Gemeinde. Das ist das Reich Christi. Das ist das Neue Jerusalem.

KNIPPERDOLLING
Wir sind das Volk Gottes!

STÄDTER
Wir sind das Volk Gottes!

KNIPPERDOLLING
Münster ist das Neue Jerusalem!

STÄDTER
Münster ist das Neue Jerusalem!

CORVINUS
Das ist die falsche Lehre, dass Christus Reich auf Erden sichtlich und leiblich sein soll. Das Reich Christi ist kein leibliches Reich. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt Jesus.