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Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

[Jacques le fataliste et son maître]

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Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

Aus dem Französischen und mit einem
Nachwort von Hinrich Schmidt-Henkel

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Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

Nachwort

Anmerkungen

WIE WAREN sie einander begegnet? — Durch Zufall, wie alle. — Wie hießen sie? — Was schert Sie das? — Wo kamen sie her? — Vom nächstgelegenen Ort. — Wohin gingen sie? — Wer weiß schon, wohin er geht? — Was sagten sie? — Der Herr sagte nichts, und Jacques sagte, sein Hauptmann habe gesagt, alles Gute oder Schlechte, das uns hienieden widerfährt, stehe dort oben geschrieben.

DER HERR: Das ist mal ein großes Wort.

JACQUES: Mein Hauptmann sagte außerdem, jede Kugel, die einer abfeuert, ist bereits mit einer Adresse versehen.

DER HERR: Und er hatte recht.

Nach einer kurzen Pause rief Jacques aus: »Der Teufel hole diesen Wirt und seine Wirtschaft!«

DER HERR: Warum seinen Nächsten zum Teufel schicken? Das ist nicht christlich.

JACQUES: Weil ich mich an seinem schlechten Wein berauschte und dabei vergaß, unsere Pferde zur Tränke zu führen. Mein Vater sieht das; er ärgert sich. Ich zucke mit den Schultern; er greift einen Stock und lässt ihn nicht eben sanft auf ihnen tanzen. Ein Regiment zog vorüber auf dem Weg zum Lager vor Fontenoy; aus Verdruss lasse ich mich anwerben. Wir kommen dort an; schon geht die Schlacht los.

DER HERR: Und du bekommst eine Kugel an deine Adresse.

JACQUES: Sie haben es erraten; einen Schuss ins Knie; und Gott weiß, welche guten und üblen Abenteuer dieser Schuss nach sich gezogen hat. Sie hängen nicht mehr und nicht weniger zusammen als die Glieder der Kinnkette an einem Halfter. Ohne diesen Schuss zum Beispiel wäre ich wohl nie verliebt gewesen und würde nicht humpeln.

DER HERR: Du warst verliebt?

JACQUES: Und wie!

DER HERR: Wegen eines Schusses?

JACQUES: Wegen eines Schusses.

DER HERR: Davon hast du nie ein Wort erzählt.

JACQUES: Das glaube ich wohl.

DER HERR: Und warum?

JACQUES: Weil davon weder früher noch später erzählt werden konnte.

DER HERR: Und jetzt ist der Moment gekommen, von dieser Liebesgeschichte zu erfahren?

JACQUES: Wer weiß?

DER HERR: Dann fang doch auf gut Glück an…

Jacques begann die Schilderung seiner Liebesgeschichte. Es war nach dem Abendessen: das Wetter war drückend; der Herr schlief ein. Die Nacht überraschte sie inmitten der Felder; schon waren sie in die Irre geraten. In großem Zorn fällt der Herr mit der Peitsche über seinen Diener her, und der arme Teufel sagt bei jedem Hieb: »Der stand sicher auch dort oben geschrieben…«

Sie sehen, werter Leser, ich bin auf einem guten Wege, und jetzt läge es ganz bei mir, Sie ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre auf den Bericht von Jacques’ Liebesdingen warten zu lassen, indem ich ihn von seinem Herrn trenne und beide sämtlichen Zufällen unterwerfe, die mir so in den Sinn kämen. Was hindert mich daran, den Herrn zu verheiraten und zum Hahnrei zu machen? Jacques übers Meer auf die westindischen Inseln zu schicken? seinen Herrn ebenfalls dorthin zu verfrachten? beide auf demselben Schiff nach Frankreich zurückzubringen? Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden! Aber ich lasse die beiden mit einer schlechten Nacht und Sie mit dieser Verzögerung davonkommen.

Der Morgen dämmerte. Da sitzen sie wieder auf ihren Pferden und reiten weiter. Wohin? Das fragen Sie mich jetzt schon zum zweiten Mal, und zum zweiten Mal antworte ich Ihnen: Was kümmert Sie das? Wenn ich erst auf das Ziel ihrer Reise zu sprechen komme, dann ist es mit Jacques’ Liebesdingen vorbei… Sie ritten eine Weile schweigend dahin. Als sich beide ein wenig von ihren Zwistigkeiten erholt hatten, fragte der Herr seinen Diener: »Na, Jacques, wie weit waren wir mit deiner Liebesgeschichte?«

JACQUES: Ich glaube, wir waren bei der Flucht vor der feindlichen Armee. Alles rennt und wird verfolgt, jeder will seine Haut retten. Ich bleibe auf dem Schlachtfeld zurück, begraben unter einem beträchtlichen Haufen von Toten und Verwundeten. Anderntags warf man mich mit einem Dutzend weiterer auf einen Karren, um uns zu einem unserer Lazarette zu schaffen. Ah, Monsieur, ich glaube, es gibt keine grausamere Verletzung als die des Knies.

DER HERR: Na, na, Jacques, du übertreibst.

JACQUES: Nein, beileibe nicht, Herr! Da drin gibt es weiß Gott wie viele Knochen, Sehnen und allerlei anderes, von dem ich nicht weiß, wie es genannt wird…

Ein bäuerisch wirkender Mann, der ihnen auf seinem Pferd folgte, eine junge Frau auf der Kruppe hinter sich, und ihnen zugehört hatte, ergriff das Wort: »Monsieur haben recht…«

Es war unklar, an wen dieses »Monsieur« sich richtete, doch nahmen Jacques und sein Herr es beide übel auf, und Jacques sagte zu diesem aufdringlichen Redner: »Was mischst du dich ein?«

»Mein Handwerk berechtigt mich dazu, ich bin Chirurg, zu Diensten, und ich werde Euch vorführen…«

Die Frau auf der Kruppe hinter ihm sagte: »Herr Doktor, reiten wir unseres Weges und lassen diese Herren in Ruhe, die es nicht mögen, dass ihnen vorgeführt wird…«

»Nein«, antwortete der Chirurg, »ich will und ich werde ihnen vorführen…«

Und indem er sich zu ihr umwendet, um vorzuführen, stößt er seine Gefährtin an, bringt sie aus dem Gleichgewicht und wirft sie zu Boden, ihr einer Fuß bleibt in seinem Rockschoß hängen, und die Röcke fallen ihr über den Kopf. Jacques steigt ab, befreit den Fuß des armen Geschöpfs und zieht ihr die Röcke wieder herunter. Ich weiß nicht, ob er zuerst die Röcke herunterzog oder den Fuß befreite; aber aus den Schreien dieser Frau zu schließen, hatte sie sich schwer verletzt. Und Jacques’ Herr sagte zum Chirurgen: »Das hat man vom Vorführen.«

Und der Chirurg: »Das hat man davon, sich dem Vorführen zu sperren.«

Und Jacques zu der gefallenen oder wieder aufgerichteten Frau: »Trösten Sie sich, Werteste, weder Sie sind schuld noch der Herr Doktor, noch auch ich oder mein Herr: Es hat eben dort oben geschrieben gestanden, dass heutigen Tages, auf diesem Wege und zur gegenwärtigen Stunde den Herrn Doktor die Lust zum Plaudern ankommt, mein Herr und ich uns stur stellen, Ihr Euch eine Beule am Kopf zuzieht und man Euren Hintern zu sehen bekommt…«

Was könnte nicht alles unter meinen Händen aus dieser Geschichte werden, wenn mich die Lust ankäme, Sie zur Verzweiflung zu treiben! Ich würde diese Frau eine wichtige Person sein lassen, die Nichte des Pfarrers des Nachbardorfs; würde die Bauern dieses Dorfes zusammenlaufen lassen, würde Kämpfe und Liebschaften anzetteln, denn man muss schon sagen, diese Bäuerin war hübsch unter ihrer Wäsche. Jacques und sein Herr hatten das bemerkt; der Liebe wird nicht immer eine derart verführerische Gelegenheit beschert. Warum sollte Jacques sich nicht ein zweites Mal verlieben? Warum sollte er nicht zum zweiten Mal der Rivale, und zwar der Lieblingsrivale seines Herrn sein? — Ach, das hat es schon einmal gegeben? — Immer diese Fragen.

Sie wollen also nicht, dass Jacques von seiner Liebesgeschichte weitererzählt? Erklären Sie sich ein für alle Mal; würde es Ihnen gefallen oder nicht? Wenn es Ihnen gefallen würde, setzen wir die Frau wieder hinter ihren Reiter aufs Pferd, lassen sie ziehen und widmen uns wieder unseren beiden Reisenden. Diesmal ergriff Jacques das Wort und sagte zu seinem Herrn:

»Das ist der Lauf der Welt; Sie, der Sie im Leben nicht verwundet wurden und nicht wissen, was das ist, so ein Schuss ins Knie, Sie wollen mir erzählen, mir, dem mir das Knie zerschmettert wurde und der ich seit zwanzig Jahren hinke…«

DER HERR: Da könntest du recht haben. Aber allein dieser vorlaute Chirurg ist schuld, dass du immer noch auf dem Karren liegst, fern des Lazaretts, fern der Heilung und fern des Verliebtseins.

JACQUES: Denken Sie, was Sie wollen, der Schmerz in meinem Knie war maßlos; er steigerte sich noch, weil das Gefährt so hart war und der Weg so unsanft, und bei jedem Rumpeln stieß ich einen schrillen Schrei aus.

DER HERR: Weil dort oben geschrieben stand, dass du schreien würdest?

JACQUES: Ganz bestimmt! Ich war am Verbluten, ich wäre ein toter Mann gewesen, hätte unser Karren, der letzte in der Reihe, nicht vor einer ärmlichen Hütte gehalten. Dort verlange ich abzusteigen; man setzt mich auf den Boden. Eine junge Frau, die in der Tür der Hütte stand, ging hinein und kam sofort mit einem Glas und einer Flasche heraus. Ich trank hastig ein oder zwei Schlucke. Die Karren vor dem unseren fuhren weiter. Man wollte mich schon wieder zu meinen Schicksalsgenossen werfen, doch ich klammerte mich an den Kleidern dieser Frau und an allem, was in meiner Reichweite war, fest und protestierte, ich werde nicht wieder einsteigen, und wenn ich schon sterben müsse, dann doch lieber hier, wo ich mich befand, als zwei Meilen weiter. Bei diesen Worten schwanden mir die Sinne. Als ich aus dem Zustand erwachte, lag ich ausgekleidet in einem Bett, das in einer Ecke der Hütte stand, zu meiner Seite ein Bauer, der Herr des Hauses, und seine Frau, eben diejenige, die mir zur Hilfe gekommen war, sowie ein paar kleine Kinder. Die Frau hatte ihren Schürzenzipfel in Essig getaucht und betupfte mir damit Nase und Schläfen.

DER HERR: Ah! Unglücklicher! ah! du Schelm… Du Schuft, ich sehe schon, wohin das führt.

JACQUES: Mein Herr, ich glaube, Sie sehen gar nichts.

DER HERR: Wirst du dich nicht in diese Frau verlieben?

JACQUES: Und wenn ich mich in sie verlieben würde, was gäbe es dagegen zu sagen? Ist man Herr darüber, ob man sich verliebt oder nicht? Und wäre man es, wäre man dann frei zu handeln, als ob man es nicht wäre? Sollte es dort oben geschrieben gestanden haben, so hätte ich mir alles sagen können, was zu sagen Sie sich jetzt anschicken; doch ob ich mich geohrfeigt hätte, mit dem Kopf an die Wand gerannt wäre, mir die Haare ausgerissen hätte: Es hätte keinen Deut daran geändert, und ich hätte meinen Wohltäter zum Hahnrei gemacht.

DER HERR: Wenn man so argumentiert wie du, könnte man ohne schlechtes Gewissen jede Schandtat begehen.

JACQUES: Dieser Einwand hat mir schon mehr als einmal das Hirn gepeinigt, doch trotz aller Einwände, die auch ich habe, komme ich doch immer wieder auf das Wort meines Hauptmanns zurück: Alles Gute oder Schlechte, das uns hienieden widerfährt, steht dort oben geschrieben. Kennen Sie, Herr, ein Mittel, diese Schrift auszulöschen? Kann ich nicht-ich sein? Und da ich ich bin, kann ich anders handeln als ich? Kann ich in einem Anderen ich sein? Und gab es, seit ich auf der Welt bin, auch nur einen Augenblick, in dem das nicht stimmte? Ach, predigen Sie, so viel Sie wollen, Ihre Gründe mögen sogar gut sein; aber wenn in mir oder dort oben geschrieben steht, dass ich sie schlecht finde, was soll ich Ihrer Meinung nach dagegen tun?

DER HERR: Ich sinne über eines nach: Und zwar, ob dein Wohltäter zum Hahnrei gemacht würde, weil es dort oben geschrieben steht, oder ob es dort oben geschrieben stünde, weil du deinen Wohltäter zum Hahnrei machtest?

JACQUES: Beides stünde dort nebeneinander. Alles ist auf einmal geschrieben. Es ist wie eine große Rolle, die nach und nach entrollt wird.

Sie erkennen wohl, lieber Leser, bis wohin ich diese Debatte über ein Thema treiben könnte, zu dem seit zweitausend Jahren unendlich viel geredet und geschrieben wurde, ohne dass man auch nur einen Schritt weitergekommen wäre. Sie mögen mir für das, was ich Ihnen erzähle, nicht sehr dankbar sein, aber danken Sie mir wenigstens recht herzlich für das, was ich Ihnen erspare.

Während unsere beiden Theologen disputierten, ohne einander zu verstehen, wie es in der Theologie ja vorkommt, nahte die Nacht. Sie ritten durch eine Gegend, die von jeher unsicher war, und jetzt umso mehr, als wegen Armut und schlechter Verwaltung die Zahl der Übeltäter gewaltig gewachsen war. Sie kehrten in der armseligsten Herberge ein. Man schlug ihnen in einer ringsum von löchrigen Bretterwänden umgebenen Kammer zwei Feldbetten auf. Sie baten um ein Abendessen. Man brachte ihnen Pfützenwasser, Schwarzbrot und sauer gewordenen Wein. Der Wirt, die Wirtin, die Kinder, die Diener — keiner wirkte geheuer. Aus dem Nebengelass hörten sie das maßlose Gelächter und die lautstarke Fröhlichkeit eines Dutzends Strauchdiebe, die vor ihnen eingetroffen waren und sich sämtliche Vorräte unter den Nagel gerissen hatten. Jacques war ziemlich gelassen, sein Herr bei weitem nicht. Er führte seine Kümmernisse lang und breit spazieren, während sein Diener ein paar Brocken Schwarzbrot hinunterwürgte und unter Grimassen einige Gläser des schlechten Weines schluckte. So standen die Dinge, als an ihre Tür geklopft wurde; es war ein Knecht, den ihre unverschämten und gefährlichen Nachbarn gezwungen hatten, unseren beiden Reisenden auf einem ihrer Teller sämtliche abgenagten Knochen eines von ihnen verzehrten Geflügels zu bringen. Empört greift sich Jacques die Pistolen seines Herren.

»Wohin gehst du?«

»Lassen Sie mich machen.«

»Wohin gehst du, frage ich!«

»Dies Gesindel zur Räson bringen.«

»Du weißt, dass sie ein Dutzend sind?«

»Und wenn sie Hundert wären, täte die Zahl nichts zur Sache, wenn dort oben geschrieben steht, dass es nicht genug sind.«

»Der Teufel soll dich holen mit diesem ewigen Spruch!«

Jacques schlüpft zwischen den Händen seines Herren hindurch und betritt das Zimmer der Halsabschneider, in jeder Hand eine geladene Pistole. »So, marsch ab ins Bett«, sagte er. »Dem ersten, der sich muckst, brenn ich eine über den Bregen.« Jacques’ Tonfall und Miene waren so überzeugend, dass diese Spitzbuben, die ebenso am Leben hingen wie anständige Leute auch, aufstehen, sich entkleiden und hinlegen. Sein Herr, ungewiss über den Ausgang dieses Abenteuers, erwartete ihn schlotternd. Jacques kam an, die Kleidung dieser Leute in den Armen; er hatte alles an sich genommen, damit sie nicht auf die Idee kamen, wieder aufzustehen. Er hatte bei ihnen das Licht gelöscht und die Tür doppelt abgeschlossen; den Schlüssel hielt er zusammen mit einer der Pistolen in der Hand. »Jetzt, Monsieur«, sagte er zu seinem Herrn, »brauchen wir nur noch die Tür mit unseren Betten zu verbarrikadieren, dann können wir ruhig schlafen«; und er machte sich an die Arbeit, wobei er seinem Herrn die Einzelheiten seiner Expedition kühl und knapp schilderte.

DER HERR: Jacques, du bist ja ein verteufelter Kerl! Du bist also im Glauben…

JACQUES: Weder im Glauben noch im Unglauben.

DER HERR: Und wenn sie sich geweigert hätten, ins Bett zu gehen?

JACQUES: Das war unmöglich.

DER HERR: Warum?

JACQUES: Weil sie es nicht getan haben.

DER HERR: Und wenn sie wieder aufstehen?

JACQUES: Gleichviel, umso schlimmer, umso besser.

DER HERR: Und wenn… wenn… wenn… usw.

JACQUES: Und wenn das Meer kochen würde, gäbe es, wie man so sagt, viel gekochten Fisch. Zum Teufel auch, Monsieur, vorhin dachten Sie, ich wäre in großer Gefahr, und nichts hätte falscher sein können, jetzt sehen Sie sich selbst in großer Gefahr, und vielleicht ist wieder nichts falscher als das. Alle in diesem Haus haben wir Angst vor allen anderen, was beweist, dass wir alle Dummköpfe sind;

— und während er solche Reden hält, ist er auch schon ausgezogen, liegt im Bett und schläft. Sein Herr aß nun selbst ein Stück Schwarzbrot und trank einen Schluck üblen Wein, wobei er das Ohr in alle Richtungen spitzte, den schnarchenden Jacques betrachtete und sagte: »Was für ein verteufelter Kerl!«

Dann machte sich der Herr ebenfalls auf der Pritsche lang, dem Beispiel seines Dieners folgend, schlief aber nicht wie er. Gleich, als der Tag graute, spürte Jacques eine Hand, die ihn rüttelte, es war die seines Herren, der ihn leise rief.

DER HERR: Jacques! Jacques!

JACQUES: Was ist?

DER HERR: Es wird hell.

JACQUES: Mag sein.

DER HERR: Steh schon auf.

JACQUES: Warum?

DER HERR: Um hier so schnell wie möglich wegzukommen.

JACQUES: Warum?

DER HERR: Weil wir hier nicht sicher sind.

JACQUES: Wer sagt, dass es woanders besser ist?

DER HERR: Jacques?

JACQUES: Mein Gott, Jacques, Jacques. Was für ein verteufelter Kerl sind Sie doch.

DER HERR: Du bist ein verteufelter Kerl!… Jacques, mein Freund, bitte.

Jacques rieb sich die Augen, gähnte wiederholt, reckte die Arme, stand auf, zog sich ohne Hast an, schob die Betten zurück, ging aus der Kammer und hinunter zum Stall, sattelte die Pferde und zäumte sie auf, weckte den Wirt, der noch schlief, beglich die Rechnung, behielt die Schlüssel der beiden Kammern; und schon ritten unsere beiden los.

Der Herr wollte in raschem Trabe von dannen, Jacques wollte Schritt reiten, seinem System gemäß. Als sie schon recht weit von ihrer tristen Unterkunft entfernt waren, hörte der Herr etwas in Jacques’ Tasche klimpern und fragte, was das sei. Jacques sagte, das seien die Schlüssel zu den beiden Kammern.

DER HERR: Und warum hast du sie nicht zurückgegeben?

JACQUES: Weil man jetzt erst zwei Türen eintreten muss, die von unseren Nachbarn, um sie aus ihrem Gefängnis zu befreien, unsere, um ihre Kleidung wiederzubeschaffen, und so gewinnen wir Zeit.

DER HERR: Hervorragend, Jacques, aber wozu Zeit gewinnen?

JACQUES: Wozu? Woher soll ich das wissen?

DER HERR: Und wenn du Zeit gewinnen willst, warum reitest du dann Schritt?

JACQUES: Nun, man weiß ja nicht, was dort oben geschrieben steht, und so weiß man weder, was man will noch was man tut, daher folgt man seinen Launen und nennt sie Vernunft, oder seiner Vernunft, die oft nichts anderes ist als eine gefährliche Laune, die mal gut, mal schlecht ausgeht.

DER HERR: Kannst du mir eigentlich sagen, wer ein Narr ist und wer ein weiser Mann?

JACQUES: Warum nicht? Ein Narr… warten Sie mal… ein Narr ist ein unglücklicher Mann, folglich ist ein glücklicher ein Weiser.

DER HERR: Und welcher Mann ist glücklich oder unglücklich?

JACQUES: Das ist jetzt leicht. Ein glücklicher Mann ist einer, dessen Glück dort oben geschrieben steht; folglich ist derjenige, dessen Unglück dort oben geschrieben steht, ein unglücklicher Mann.

DER HERR: Und wer hat dort oben das Glück oder Unglück eingeschrieben?

JACQUES: Und wer hat die große Rolle gemacht, auf der alles geschrieben steht? Ein gewisser Hauptmann, Freund meines Hauptmanns, hätte durchaus einen kleinen Écu1 gegeben, um das zu erfahren; mein Hauptmann hingegen hätte keinen roten Heller dafür gezahlt, und ich auch nicht; denn wozu wäre es mir nutze? Würde es mir helfen, dem Loch aus dem Weg zu gehen, in dem ich mir den Hals brechen soll?

DER HERR: Ich glaube schon.

JACQUES: Und ich glaube nicht, denn dann müsste ja eine falsche Zeile auf der großen Rolle stehen, welche Wahrheit enthält, nichts als Wahrheit enthält und alle Wahrheit enthält. Wie denn, auf der großen Rolle soll stehen: »Jacques bricht sich an dem und dem Tag den Hals«, und dann bricht Jacques sich nicht den Hals? Denken Sie, das wäre möglich, egal wer der Verfasser der großen Rolle auch sein mag?

DER HERR: Dazu gäbe es so manches zu sagen…

JACQUES: Mein Hauptmann glaubte, Vorsicht sei eine Annahme, in welcher die Erfahrung uns erlaubt, die Umstände, in denen wir uns befinden, als Grund für gewisse künftige Wirkungen anzusehen, die wir erhoffen oder befürchten.

DER HERR: Und davon hast du irgendetwas verstanden?

JACQUES: Freilich, mit der Zeit hatte ich mich an seine Redeweise gewöhnt. Wer hingegen, so sagte er, kann sich schon genügender Erfahrung rühmen? Hat einer, der sich schmeichelt, über die größte Erfahrung zu verfügen, sich denn nie geirrt? Und gibt es überhaupt einen, der fähig wäre, die Umstände, in denen er sich befindet, zutreffend zu deuten? Die Berechnung, die wir im Kopf anstellten, und die auf der Rolle dort oben festgehaltene Berechnung sind sehr verschieden. Lenken wir das Schicksal, oder lenkt das Schicksal uns? Wie viele klüglich geplante Vorhaben sind gescheitert, und wie viele werden künftig noch scheitern! Wie viele unsinnige Vorhaben sind geglückt, und wie viele werden noch glücken! Das sagte mein Hauptmann immer wieder zu mir nach der Einnahme von Berg-op-Zoom und der von Port-Mahon;2 er fügte hinzu, Vorsicht garantiere durchaus nicht einen guten Ausgang, sondern tröste und entschuldige uns bei einem schlechten: So schlief er am Abend vor einem Angriff in seinem Zelt ebenso ruhig wie in der Garnison und ging ins Feuer wie zum Ball. Bei ihm hätten Sie ganz gewiss ausgerufen: »Was für ein verteufelter Kerl!«

An dieser Stelle hörten sie in einiger Entfernung hinter sich Lärm und Schreie; sie wandten den Kopf und sahen einen Trupp mit Stangen und Forken bewaffneter Männer, die mit weit ausholenden Schritten hinter ihnen herkamen. Jetzt werden Sie glauben, das waren die Leute aus der Herberge, ihre Knechte und die Räuber, von denen wir sprachen. Sie werden glauben, man habe mangels Schlüssel am Morgen ihre Tür eingetreten, und diese Räuber hätten sich gedacht, unsere beiden Reisenden seien mit ihrer Kleidung auf und davon. Jedenfalls dachte Jacques das, und er sagte zwischen den Zähnen: »Verflucht seien die Schlüssel und die Laune oder die Vernunft, die mich sie haben mitnehmen lassen! Verflucht sei die Vorsicht! usw., usw.«

Sie werden glauben, dass diese kleine Armee über Jacques und seinen Herren herfallen und es eine blutige Auseinandersetzung geben wird, Stockhiebe, Pistolenschüsse; und dass es nur von mir abhinge, das nicht passieren zu lassen; und schon Adieu der Wahrheit der Geschichte, Adieu dem Bericht von Jacques’ Liebesdingen. Unsere beiden Reisenden aber wurden durchaus nicht verfolgt; ich weiß nicht, was sich nach ihrem Aufbruch in der Herberge ereignete. Sie folgten ihrem Wege weiter, wussten immer noch nicht, wohin sie ritten, indes, wohin sie reiten wollten, das wussten sie schon mehr oder weniger; Langeweile und Müdigkeit vertrieben sie sich mal mit Schweigen, mal mit Geplauder, wie es Brauch ist bei denen, die wandern, und bisweilen auch bei denen, die sitzen.

Es ist offenkundig, dass ich keinen Roman verfertige, denn ich vernachlässige alles, was ein Romanschreiber unfehlbar nutzen würde. Wer das, was ich schreibe, für die Wahrheit hält, befindet sich vielleicht weit weniger im Irrtum als derjenige, dem es fabuliert scheint.

Diesmal ergriff der Herr wieder als Erster das Wort und begann mit der alten Leier. »Nun also! Jacques, wie war das mit deiner Liebesgeschichte?«

JACQUES: Ich weiß nicht mehr, wo ich war. Nach all den Unterbrechungen könnte ich genauso gut von vorn anfangen.

DER HERR: Nein, nein. Du kamst nach dem Schwächeanfall, den du auf der Schwelle der Hütte erlitten hattest, wieder zu dir, in einem Bett liegend, umgeben von den Bewohnern.

JACQUES: Sehr gut! Am Dringendsten war es nun, einen Wundarzt aufzutreiben, aber im Umkreis von über einer Meile gab es keinen. Der gute Mann schickte eines seiner Kinder zu Pferde in den nächstgelegenen Ort, während seine Frau einfachen Rotwein erhitzte und ein Hemd ihres Mannes zerriss; so wurde mein Knie heiß abgetupft, mit Kompressen belegt und verbunden. Man gab einige den Ameisen entwendete Stück Zucker in eine Portion desselben Weins, der zu meiner Behandlung gedient hatte, und ich trank ihn; danach mahnte man mich zur Geduld. Es war spät; diese Leute setzten sich zu Tisch und aßen. Rasch war das Abendessen beendet. Das Kind indessen kam nicht zurück, und auch kein Arzt. Der Vater wurde missmutig. Er war überhaupt ein verdrießlicher Geselle; er schmollte mit seiner Frau, nichts war ihm recht. Unwirsch schickte er seine übrigen Kinder zu Bett. Seine Frau setzte sich auf eine Bank und nahm ihren Spinnrocken zur Hand. Er wanderte auf und ab; und auf und ab wandernd suchte er mit ihr Streit über alles und nichts. »Wärst du zur Mühle gegangen, wie ich dir gesagt hatte, dann…«, und er beendete seinen Satz mit einer Kopfbewegung zu meinem Lager hin.

»Wir gehen morgen.«

»Heute hättest du gehen sollen, wie ich es dir gesagt hatte… Und der Rest Stroh in der Scheune, wann willst du den holen?«

»Den holen wir morgen.«

»Was wir haben, geht zur Neige, und es wäre sehr viel besser gewesen, es heute zu tun, wie ich es dir gesagt hatte… Und der Haufen Gerste, der auf dem Kornboden liegt und verdirbt, ich wette, du hast nicht daran gedacht, ihn zu wenden.«

»Die Kinder haben es getan.«

»Du hättest es selber tun müssen. Wenn du auf deinem Kornboden gewesen wärst, wärst du nicht an der Tür gewesen…«

Nun aber traf ein Wundarzt ein, und dann ein zweiter, und dann ein dritter zusammen mit dem Jungen.

DER HERR: Jetzt hattest du so viel Ärzte wie der heilige Rochus Hüte.

JACQUES: Der erste war nicht zu Hause gewesen, als der Junge bei ihm vorsprach, doch seine Frau hatte den zweiten benachrichtigt, und der dritte hatte den Jungen begleitet. »Sieh da! Guten Abend, werte Kollegen, Ihr hier?«, fragte der erste die beiden anderen… Sie hatten sich nach Kräften beeilt, sie waren erhitzt, sie waren durstig. So setzen sie sich an den Tisch, auf dem noch das Tischtuch liegt. Die Frau geht in den Keller und bringt eine Flasche herauf. Der Mann grummelt zwischen den Zähnen: »Bah! Was zum Teufel hatte sie an der Tür zu schaffen?« Man trinkt, man unterhält sich über die Krankheiten im Landkreis, man schildert einander seine verschiedenen Methoden. Ich wimmere, man bedeutet mir: »Gleich sind wir für Sie da.« Nach dieser Flasche verlangen sie eine zweite, die Rechnung sei meiner Behandlung zuzuschlagen; dann eine dritte, und eine vierte, immer noch auf dieselbe Rechnung, und bei jeder Flasche brachte der Mann wieder seine erste Bemerkung: »Bah! Was zum Teufel hatte sie an der Tür zu schaffen?«

Wer weiß, wie ein anderer das alles ausgeschlachtet hätte: Diese drei Wundärzte, ihr Gespräch bei der vierten Flasche, all ihre Wunderheilungen, Jacques’ Ungeduld, die Übellaunigkeit des Hausherren, die Erörterungen der Land-Äskulape um Jacques’ Knie, ihre widerstreitenden Meinungen — einer fände, Jacques sei dem Tode geweiht, schnitte man ihm nicht eilends das Bein ab, ein anderer, man müsse die Kugel und die Kleidungsfetzen, die sie mitgerissen habe, entfernen, um das Bein des armen Kerls zu retten. Unterdessen könnte man Jacques auf dem Bett sitzen sehen, wie er mitleidsvoll sein Bein betrachtet und schon einmal Abschied von ihm nimmt, wie einst einer unserer Generäle zwischen Dufouart und Louis.2a Der dritte Heilkünstler würde Maulaffen feilhalten, bis zwischen den beiden anderen ein Streit entbrennt und sie von Worten zu Tätlichkeiten übergehen.

Ich erspare Ihnen all diese Dinge, die Sie in Romanen finden können, in alten Komödien und in der Gesellschaft. Als ich hörte, wie der Hausherr bezüglich seiner Frau aufseufzte: »Was zum Teufel hatte sie an der Tür zu schaffen?«, fiel mir Molières Harpagon ein, wo er von seinem Sohn sagt: »Was wollte er nur auf dieser Galeere?« Da wurde mir klar, dass es nicht nur darum geht, die Wahrheit zu schreiben, sondern auch noch auf vergnügliche Weise, und dass man daher stets sagen wird: »Was wollte er nur auf dieser Galeere?«, während der Ausspruch meines Bäuerleins, »Was hatte sie an der Tür zu schaffen?«, es nie zum Sprichwort bringen wird.

Jacques wahrte vor seinem Herrn nicht dieselbe schonungsvolle Zurückhaltung wie ich Ihnen gegenüber; er ließ nicht das geringste Detail aus, auf die Gefahr hin, ihn ein weiteres Mal einzuschläfern. Zwar nicht der geschickteste, aber immerhin der kräftigste der drei Ärzte nahm sich am Ende des Patienten an.

»Sie wollen doch jetzt nicht etwa«, so höre ich Sie sagen, »vor unseren Augen die Skalpelle zücken, ins Fleisch schneiden, Blut fließen lassen und uns eine ganze Operation vorführen?« Das fänden Sie geschmacklos?… Also gut, überspringen wir die Operation, doch werden Sie wenigstens Jacques erlauben, zu seinem Herrn zu sagen, wie er es auch tat: »Ah! Monsieur, ein kaputtes Knie zu richten, das ist eine fürchterliche Sache!«, und seinem Herrn, ihm zu antworten wie schon zuvor einmal: »Na, na, Jacques, du übertreibst.« Nicht für alles Gold der Welt jedoch würde ich Ihnen dies hier vorenthalten: Kaum, dass Jacques’ Herr ihm diese freche Antwort gegeben hat, strauchelt sein Pferd und geht in die Knie, und sein eigenes Knie stößt äußerst unsanft auf einen spitzen Stein, so dass er gellend aufschreit: »Ich muss sterben! Ich habe mir das Knie gebrochen!«

Obgleich Jacques, der beste Kerl der Welt, seinem Herrn innig zugetan war, wüsste ich nur zu gern, wie es jetzt tief in seiner Seele aussah, wenn nicht im ersten Augenblick, so doch, als er feststellte, dass dieser Sturz keinerlei böse Folgen hatte, und ob er sich eines leichten Anflugs von Schadenfreude erwehren konnte angesichts dieses Unfalls, der seinen Herrn lehren würde, wie eine Knieverletzung sich anfühlt. Ein Weiteres, das ich von Ihnen, verehrter Leser, gern wüsste: Ob sein Herr sich nicht lieber an einer anderen Stelle als ausgerechnet am Knie verletzt hätte, womöglich sogar schlimmer als jetzt, und was ihn wohl mehr zwickte, Schmerz oder Scham?

Als der Herr sich ein wenig von seinem Sturz und dem Schrecken erholt hatte, stieg er wieder in den Sattel und verpasste seinem Pferd fünf, sechs Hiebe mit den Sporen, so dass es losschoss wie ein Blitz; ebenso Jacques’ Klepper, denn zwischen den beiden Tieren bestand dieselbe Verbindung wie zwischen den Reitern: Es waren zwei Freundespaare.

Als die beiden Pferde, atemlos, wieder in normalen Schritt gefallen waren, fragte Jacques seinen Herrn: »Nun, was meinen Sie dazu?«

DER HERR: Wozu?

JACQUES: Zu der Knieverletzung.

DER HERR: Ich bin deiner Meinung; das ist eine der schlimmsten.

JACQUES: An Ihrem Knie?

DER HERR: Nein, nein, an deinem, an meinem, an allen Knien der Welt.

JACQUES: Mein Herr, mein Herr, das haben Sie noch nicht recht bedacht; glauben Sie mir, uns tun immer nur wir selbst leid.

DER HERR: So ein Unsinn!

JACQUES: Ach, wenn ich nur ausdrücken könnte, wie ich es denke! Leider steht dort oben geschrieben, dass ich die Dinge in meinem Kopf habe, aber die Wörter dazu nicht kommen sollen.

Hier verwickelte sich Jacques nun in eine sehr feinsinnige und vielleicht sehr wahre Metaphysik. Er versuchte, seinem Herrn klarzumachen, das Wort »Schmerz« bewirke nicht automatisch eine Vorstellung und beginne erst dann etwas zu bedeuten, wenn es in unserem Gedächtnis eine Empfindung wachrufe, die wir zuvor einmal erfahren haben. Daraufhin fragte ihn sein Herr, ob er schon einmal entbunden habe.

»Nein«, antwortete ihm Jacques.

»Und glaubst du, dass so eine Entbindung große Schmerzen bereitet?«

»Natürlich!«

»Tun dir Frauen leid, die gebären müssen?«

»Sehr.«

»So tut dir doch manchmal jemand anderer leid als du selbst?«

»Mir tun alle leid, die schreiend die Hände ringen und sich die Haare raufen, denn ich weiß aus Erfahrung, dass man das nicht tut, ohne zu leiden; doch die Gebärende selbst bedauere ich nicht wegen des damit einhergehenden Schmerzes: Ich weiß nicht, wie der sich anfühlt, Gott sei Dank! Aber kommen wir auf einen Schmerz zurück, den wir beide kennen, die Geschichte meines Knies, die durch diesen Sturz auch zu Ihrer geworden ist…«

DER HERR: Nein, Jacques, deine Liebesgeschichte, die wegen meiner früheren Kümmernisse auch meine ist.

JACQUES: Gut, da bin ich also verbunden, ein wenig erleichtert, der Arzt ist weg und meine Wirtsleute sind zu Bett gegangen. Ihre Schlafstatt war von meiner nur durch Bretter mit großen Spalten getrennt, auf die man graues Papier geklebt hatte und darauf ein paar bunte Bilder. Ich schlief noch nicht, und da hörte ich, wie die Frau zu ihrem Mann sagte: »Lassen Sie mich, ich habe keine Lust. Ein armer Unglücklicher, der auf unserer Schwelle im Sterben liegt!…«

»Frau, das kannst du mir alles nachher erzählen.«

»Nein, nichts da. Wenn Sie nicht aufhören, stehe ich auf. Wie soll ich Spaß daran haben, wenn mir das Herz schwer ist?«

»Oh! Wenn du dich so bitten lässt, gehst du leer aus.«

»Es ist nicht, weil ich mich bitten lassen will, aber Sie sind manchmal dermaßen hart!… Sie… Sie…«

Recht bald danach ergriff der Mann wieder das Wort: »So, Frau, jetzt gib schon zu, dass du uns mit deinem überflüssigen Mitleid in die Klemme gebracht hast, und wie sollen wir aus der wieder herauskommen? Es ist ein schlechtes Jahr, wir wissen kaum, wie wir uns und unsere Kinder durchbringen sollen. Das Korn ist derart teuer! Und kein Wein mehr da! Wenn wir uns wenigstens verdingen könnten, aber die Reichen halten sich zurück, und die Armen bringen es zu nichts, auf einen Tag mit Arbeit kommen vier ohne. Niemand zahlt, was er schuldig ist, die Gläubiger sind so hart, es ist schier zum Verzweifeln: Und da gibst du einem Unbekannten Obdach, einem Fremden, der so lange hier bleiben wird, wie es Gott gefällt oder auch dem Arzt, der keine Eile haben wird, ihn zu heilen, weil diese Ärzte die Krankheiten so lange hinaus zögern, wie sie nur können; der Mann hat keinen roten Heller, und er wird unsere Ausgaben aufs Doppelte und Dreifache bringen. So, Frau, wie willst du diesen Mann wieder loswerden? Rede schon, Frau, sage etwas Vernünftiges.«

»Mit Ihnen kann man nicht reden.«

»Du sagst, ich habe schlechte Laune, ich schimpfe, ha, wer hätte keine schlechte Laune, wer würde nicht schimpfen? Wir hatten noch ein bisschen Wein im Keller, Gott weiß, wo der geblieben ist! Die Ärzte haben gestern Abend mehr getrunken als die Kinder und wir zusammen in einer ganzen Woche. Und der Wundarzt kommt nicht umsonst, das kannst du dir doch denken, wer soll ihn bezahlen?«

»Ja, wohl gesprochen, und weil wir so viel Not leiden, machen Sie mir noch ein Kind, als hätten wir nicht schon genug.«

»Aber nein!«

»Aber ja, ich bin sicher, dass ich schwanger werde.«

»Das sagst du jedes Mal.«

»Und es hat noch immer gestimmt, wenn mir hinterher das Ohr juckt, und es juckt wie noch nie.«

»Dein Ohr weiß nicht, was es will.«

»Fass mich nicht an! lass mein Ohr in Ruhe! lass los, Mann, bist du verrückt? Das wird dir übel bekommen.«

»Nein, nein, das habe ich seit Johanni nicht mehr gehabt.«

»Du passt wieder nicht auf… und in einem Monat tust du so, als ob ich schuld wäre.«

»Nein, nein.«

»Und in neun Monaten ist es noch viel schlimmer.«

»Nein, nein.«

»Du willst es nicht anders?«

»Ja, ja.«

»Du denkst auch daran? redest anders als alle anderen Male?«

»Ja, ja…«

Und von nein, nein zu ja, ja hat dann dieser Mann, der seiner Frau eben noch übelnahm, dass sie einer menschlichen Regung nachgegeben hatte…

DER HERR: Das dachte ich auch gerade.

JACQUES: Dieser Mann war wirklich nicht sehr konsequent, aber er war jung, und seine Frau war hübsch. Man macht nie so viele Kinder wie in Notzeiten.

DER HERR: Keiner vermehrt sich so wie die Armen.

JACQUES: Ein Kind mehr ist für sie nichts, die Mildtätigkeit wird es schon nähren. Außerdem ist das ihr einziges Gratisvergnügen, man tröstet sich nachts über die Misslichkeiten des Tages, ohne dass es etwas kostet… Allerdings waren die Vorhaltungen des Mannes nicht weniger berechtigt. Als ich das dachte, spürte ich einen bösen Schmerz im Knie und rief: »Ah! Mein Knie!« Und der Mann rief: »Ah! Meine Frau!…« Und die Frau rief: »Ah! mein Mann! Aber… dieser Mann ist da!«

»Na und? Was soll mir dieser Mann?«

»Er hat uns vielleicht gehört!«

»Soll er!«

»Morgen wage ich nicht, ihm ins Gesicht zu sehen.«

»Warum denn? Du bist schließlich meine Frau! Und ich dein Mann! Wozu hat ein Mann schließlich eine Frau, und eine Frau einen Mann?«

»Ah! Ah!«

»Was ist denn?«

»Mein Ohr!…«

»Was ist mit deinem Ohr?«

»Schlimmer denn je.«

»Schlaf, dann geht es vorbei.«

»Ich glaube nicht. Ah! Mein Ohr! ah! mein Ohr!«

»Dein Ohr, dein Ohr, was du nur redest…«

Ich werde Ihnen nicht erzählen, was zwischen ihnen vorging, aber nachdem die Frau mehrmals leise und hastig »mein Ohr, mein Ohr« wiederholt hatte, brachte sie nur noch stoßweise »mein Oh…, mein Oh…« hervor, und da auf dieses »mein Oh…« dann Stille folgte, kam ich irgendwie zu dem Schluss, dass sich ihr Ohr auf diese oder jene Weise beruhigt hatte, egal: Ich freute mich. Und sie sich erst!

DER HERR: Jacques, Hand aufs Herz, schwören Sie, dass sie sich nicht in diese Frau verliebt haben.

JACQUES: Ich schwöre.

DER HERR: Dein Pech.

JACQUES: Pech oder kein Pech. Sie glauben wohl, Frauen, die so ein Ohr haben wie sie damals, die schenken gern Gehör?

DER HERR: Ich glaube, genau das steht dort oben geschrieben.

JACQUES: Ich glaube, gleich danach steht dort oben geschrieben, dass sie nicht lange demselben Gehör schenken und durchaus dazu neigen, ihr Ohr bald einem anderen zu leihen.

DER HERR: Gut möglich.

Und schon steckten sie mitten in einem endlosen Disput über die Frauen; der eine fand sie gut, der andere böse: und sie hatten alle beide recht; der eine dumm, der andere geistreich: und sie hatten alle beide recht; der eine falsch, der andere ehrlich: und sie hatten alle beide recht; der eine geizig, der andere freigebig: und sie hatten alle beide recht; der eine hübsch, der andere hässlich: und sie hatten alle beide recht; der eine schwatzhaft, der andere verschwiegen; der eine offen, der andere verschlossen; der eine unwissend, der andere gebildet; der eine gesittet, der andere liederlich; der eine närrisch, der andere besonnen; der eine klein, der andere groß: und sie hatten alle beide recht.

Ganz in dieses Streitgespräch vertieft, bei dem sie einmal um den Erdball hätten reiten können, ohne je zu verstummen oder sich zu einigen, wurden sie von einem Gewitter überrascht, das sie zwang, den Weg nach… — Wohin? — Wohin? Leser, Ihre Neugier ist wirklich lästig! Was zum Teufel schert Sie das? Ob ich jetzt sage, nach Pontoise oder nach Saint-Germain, nach Notre-Dame-de-Lorette oder nach Santiago de Compostela, was hätten Sie davon? Gut, wenn Sie darauf bestehen, dann sage ich Ihnen, dass die beiden den Weg nach… ja, warum nicht?… nach einem riesigen Schloss nahmen, an dessen Frontgiebel zu lesen stand: »Ich gehöre niemandem, und ich gehöre allen. Ihr wart in mir, bevor ihr eintratet, und ihr werdet weiter in mir sein, wenn ihr mich verlassen habt.« — Und betraten sie das Schloss? — Nein, denn die Inschrift war falsch, oder sie waren schon darin, bevor sie eintraten. — Aber sie verließen es doch wieder? — Nein, denn die Inschrift war falsch, oder sie waren weiter darin, nachdem sie es verlassen hatten. — Und was taten Sie darin? — Jacques sagte, was dort oben geschrieben stand, und der Herr sagte, was er wollte: und sie hatten alle beide recht. — Was für eine Gesellschaft fanden sie dort vor? — Eine gemischte. — Was wurde dort geredet? — Ein paar Wahrheiten, viele Lügen. — Waren dort geistreiche Leute? — Wo waren die nicht? außerdem verflixte Herumfrager, die man mied wie die Pest. Was Jacques und seinen Herrn am meisten schockierte in der Zeit, da sie dort herumspazierten… — Ach, man spazierte dort herum? — Man tat nichts anderes, es sei denn, man saß oder lag… Was Jacques und seinen Herrn am meisten schockierte, waren rund zwanzig freche Gesellen, die sich der prunkvollsten Zimmer bemächtigt hatten und sich dort fast immer vergnügt aufhielten, die entgegen dem allgemeinen Recht und dem wahren Sinn der Inschrift behaupteten, das Schloss sei ihnen und ihnen allein rechtmäßig übereignet, und die mit Hilfe einer gewissen Anzahl von Nichtsnutzen in ihren Diensten eine große Anzahl anderer Nichtsnutze in ihren Diensten eben davon überzeugt hatten, welche nun allesamt bereit waren, für ein kleines Entgelt einen jeden gefangen zu nehmen oder totzuschlagen, der das Gegenteil zu behaupten gewagt hätte; zu Jacques’ und seines Herrn Zeiten allerdings wagte man das bisweilen. — Ungestraft? — Mal so, mal so.

Jetzt werden Sie mir sagen, ich triebe Späße, wisse nicht mehr, was ich mit meinen beiden Reisenden anfangen soll, und verlegte mich daher auf eine Allegorie, das übliche Hilfsmittel einfallsloser Geister. Nun will ich Ihnen gern meine Allegorie samt sämtlicher Herrlichkeiten, die sie mir bescheren könnte, opfern, Sie sollen haben, was Sie wollen, unter der Bedingung, dass Sie mir wegen Jacques’ und seines Herren letztem Quartier nicht weiter zusetzen. Mir soll alles recht sein: Dass sie eine Stadt erreicht und die Nacht mit Mädchen verbracht haben; dass sie bei einem alten Freund gewesen sind, der nach Kräften mit ihnen feierte; dass sie bei Bettelmönchen Obdach gefunden haben, wo sie um der Liebe Gottes willen schlecht beherbergt und schlecht beköstigt wurden; dass sie im Hause eines hohen Herren aufgenommen wurden, wo es ihnen inmitten des größten Überflusses am Notwendigsten fehlte; dass sie des Morgens aus einem großen Gasthaus kommen, wo man sie empfindlich teuer bezahlen lässt für ein schlechtes, auf silbernen Tellern serviertes Abendessen und für eine hinter damastenen Vorhängen in feuchten, zerknitterten Betttüchern verbrachte Nacht; dass sie die Gastfreundschaft eines bitter armen Landpfarrers genossen haben, der erst einmal in den Hinterhöfen seiner Pfarrkinder den Zehnten zusammenjagen musste, um ihnen ein Omelett und ein Hühnerfrikassee auftischen zu können; oder dass sie in einer reichen Bernhardinerabtei groß getafelt, sich am besten Wein berauscht und gründlich den Magen verdorben haben. All das mag Ihnen gleichermaßen möglich erscheinen, Jacques hingegen sähe das nicht so: Für ihn war nur möglich, was dort oben geschrieben stand. Eines jedenfalls ist wahr, nämlich egal, woher es Ihnen gefallen mag, die beiden aufbrechen zu lassen, waren sie keine zwanzig Schritte weit geritten, bis der Herr, nachdem er seiner Gewohnheit gemäß seine Tabaksprise geschnupft hatte, zu Jacques sagte: »Nun also! Jacques, wie war das mit deiner Liebesgeschichte?«

Statt einer Antwort rief Jacques: »Zum Teufel mit meiner Liebesgeschichte! Jetzt habe ich doch…«

DER HERR: Was hast du?

Statt einer Antwort drehte Jacques seine sämtlichen Taschen um und durchsuchte sich erfolglos überall. Er hatte seine Reisebörse unterm Kopfende seines Betts vergessen, und kaum hatte er das seinem Herren gestanden, da schrie der auch schon auf: »Zum Teufel mit deiner Liebesgeschichte! Jetzt habe ich doch meine Uhr am Kamin hängenlassen!«

Jacques ließ sich nicht lange bitten, sogleich wendet er sein Pferd und reitet im Trott, denn eilig hatte er es ja nie, zurück zu… — Zu dem riesigen Schloss? — Nein, nein. Wählen Sie einfach unter den verschiedenen möglichen Nachtlagern, die ich hiervor aufgezählt habe, dasjenige, das Ihnen am besten zu den waltenden Umständen passt.

Sein Herr hingegen ritt weiter voraus: Doch sind jetzt Herr und Diener getrennt, und ich weiß nicht, bei welchem von beiden ich verweilen soll. Falls Sie Jacques folgen mögen, seien Sie gewarnt; die Suche nach Börse und Uhr könnte derart lang und umständlich werden, dass es lange dauert, bis er wieder zu seinem Herrn aufschließt, dem einzigen, dem er seine Liebesgeschichte anvertraute, und dann Adieu, Jacques’ Liebesgeschichte. Lassen Sie ihn jedoch allein nach Börse und Uhr ausziehen und beschließen, seinem Herrn Gesellschaft zu leisten, so büßen Sie diese Höflichkeit mit Langeweile; Sie kennen diesen Menschenschlag noch nicht. Er hat wenig Ideen im Kopf, wenn er mal zufällig etwas Gescheites sagt, dann weil er es aufgeschnappt hat oder es ihn so anfliegt. Er hat Augen wie Sie und ich, doch weiß man meist nicht, ob er sie auch gebraucht. Er schläft nicht noch wacht er, er lebt so vor sich hin; das ist seine übliche Funktionsweise. Dieser Automat ritt so dahin und blickte sich von Zeit zu Zeit um, ob Jacques denn nicht nachkam; er stieg ab und ging vor seinem Pferd her; dann stieg er für eine Viertelmeile wieder auf, um dann abermals aus dem Sattel zu steigen und sich auf den Boden zu setzen, den Zügel um die Arme gewickelt und den Kopf in die Hände gestützt. Dieser Haltung irgendwann müde, stand er auf und hielt Ausschau, ob Jacques nicht in der Ferne zu sehen war. Weit und breit kein Jacques zu sehen. Da wurde er ungeduldig, und ohne recht zu wissen, ob er es laut aussprach oder nicht, sagte er: »Zum Henker! Der Mistkerl! Der Spitzbube! wo bleibt er nur? was treibt er? Wer braucht denn so lange, um eine Börse und eine Uhr zu holen? Den haue ich windelweich, oh! darauf kann er sich verlassen, ich haue ihn windelweich.« Dann griff er in die Westentasche nach seiner Uhr und fand sie nicht, was ihn vollends verzweifeln ließ, denn er wusste nicht, was aus ihm werden sollte ohne seine Uhr, seine Tabaksdose und seinen Jacques: Auf diese drei stützte sich sein Dasein, das er damit verbrachte, Tabak zu schnupfen, nach der Uhrzeit zu schauen und Jacques zu befragen, und zwar in allen denkbaren Kombinationen. Da er seine Uhr entbehren musste, war er auf seine Tabaksdose zurückgeworfen, die er jetzt jede Minute auf- und wieder zuklappte, wie ich selbst es auch tue, wenn ich mich langweile. Wie viel Tabak des Abends noch in meiner Dose bleibt, ist direkt proportional zu den Vergnügungen des Tages und umgekehrt proportional zur Langeweile. Ich rate Ihnen dringend, lieber Leser, sich mit dieser der Geometrie entlehnten Begrifflichkeit anzufreunden, denn ich finde sie erfreulich präzise und werde sie häufig verwenden.

So weit, so gut — haben Sie jetzt genug vom Herrn, und da Jacques nicht zu Ihnen kommen will, sollen wir ihm entgegengehen? Der arme Jacques! Im Augenblick, da wir von ihm sprechen, rief er schmerzlich aus: »Dann stand also dort oben geschrieben, dass ich an ein und demselben Tag als Straßenräuber festgenommen, beinahe ins Gefängnis geworfen und dann auch noch beschuldigt werde, ein Mädchen verführt zu haben!«

Als er sich gemächlich im Schritt reitend dem Schloss näherte, nein… dem Ort, an dem sie die letzte Nacht verbracht hatten, kommt einer jener fliegenden Händler an ihm vorbei, die man Hausierer nennt, und ruft ihm zu: »Hoher berittener Herr, Strumpfbänder, Gürtel, Uhrenbänder, Tabaksdosen nach der letzten Mode, echtes Jaback-Geschmeide,3 Ringe, Siegel als Uhrenanhänger. Und eine Uhr, der Herr, eine Uhr, eine schöne goldene Uhr, ziseliert, mit doppeltem Gehäuse, wie neu…« Jacques antwortet ihm: »Ich suche tatsächlich eine, aber nicht deine…« und reitet weiter, immer noch im Schritt. Wie er sich entfernte, meinte er jedoch dort oben geschrieben zu sehen, dass die Uhr, die jener Mann ihm angeboten hatte, die seines Herren sei. So macht er kehrt und sagt zum Hausierer: »Guter Freund, lass mal diese Uhr mit dem goldenen Gehäuse sehen, irgendwie ist mir, als könnte sie mir gefallen.«

»Warum auch nicht«, meinte der fliegende Händler, »das würde mich nicht überraschen, sie ist hübsch, sehr hübsch, Julien Le Roy4 hat sie gemacht. Gerade erst vorhin ist sie in meinen Besitz gekommen; ich habe sie für einen Apfel und ein Ei erhandelt und kann sie günstig weitergeben. Ich mag es, wenn so einer nach dem anderen seinen kleinen Vorteil hat; aber wir leben in unglücklichen Zeiten: Von heute aus gerechnet ein Vierteljahr lang werde ich nicht wieder so ein hübsches Geschäft zu bieten haben. Sie scheinen mir ein feiner Herr zu sein, und ich würde mich freuen, wenn Sie die Gelegenheit nutzen würden und nicht ein anderer.«

Während er sprach, hatte der Krämer sein Bündel zu Boden gelegt, es geöffnet und die Uhr hervorgezogen, die Jacques auf Anhieb erkannte, ohne sich weiter darüber zu wundern; er hatte es nie eilig, und er staunte selten. Ja, sagte er sich, das ist sie… Und zum Hausierer: »Sie haben recht, sie ist schön, sehr schön, und ich weiß auch, dass sie gut geht…« Dann steckte er sie sich in seine Westentasche und sagte: »Lieber Freund, vielen Dank!«

»Wie, vielen Dank?«

»Ja, das ist die Uhr meines Herrn.«

»Ich kenne Ihren Herrn nicht, diese Uhr gehört mir, ich habe sie gekauft und dafür bezahlt…«

Er griff Jacques beim Schlafittchen und wollte ihm die Uhr wieder abnehmen. Jacques tritt zu seinem Pferd, nimmt eine der beiden Pistolen, setzt sie dem Händler auf die Brust: »Zurück«, sagt er, »oder du bist ein toter Mann.« Angsterfüllt lässt der Krämer ihn los. Jacques steigt wieder in den Sattel und reitet gemächlich auf die Stadt zu, wobei er sich sagt: »So, die Uhr hätten wir schon mal, jetzt wollen wir noch nach unserer Börse schauen…« Hastig schnürt der fliegende Händler sein Bündel, lädt es sich wieder auf die Schultern und läuft Jacques schreiend hinterher: »Haltet den Dieb! haltet den Dieb! den Mörder! Zur Hilfe! hierher! hierher!…« Es war gerade Erntezeit und die Felder voller Arbeiter. Alle lassen ihre Sicheln fallen, sammeln sich um den Mann und fragen ihn, wo dieser Dieb, dieser Mörder sei.

»Da, da hinten.«

»Wie? Der da so gemächlich zum Stadttor reitet?«

»Genau.«

»Ach Unsinn, so reitet kein Dieb.«

»Er ist aber einer, er ist einer, ich sag’s euch, er hat mir eine goldene Uhr gestohlen…«

Die Leute wussten nicht, woran sie sich halten sollten, an das Geschrei des Krämers oder an Jacques’ geruhsame Gangart. »Außerdem«, fuhr der Hausierer fort, »bin ich ruiniert, wenn ihr mir nicht helft, gute Leute, sie ist nicht weniger als dreißig Louisdors wert. Helft mir, er trägt meine Uhr fort, und wenn er dem Pferd die Sporen gibt, ist sie verloren…«