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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-806-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Auf Kriegsmarsch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Das Glasen von zehn Schiffsglocken tönte fast gleichzeitig über die Decks und zeigte das Ende der sogenannten Geisterstunde an. Demnach war es genau eine Stunde nach Mitternacht, man schrieb bereits den 19. Juli im Jahre des Herrn 1594.

Der Kriegsschiffsverband, den der spanische Gouverneur auf Kuba, Don Antonio de Quintanilla, zusammengestellt hatte, war am Spätnachmittag des Vortages aufgebrochen und stand jetzt auf der Höhe der nordkubanischen Siedlung Matanzas.

Der Wind wehte aus Nordosten und ermöglichte es den sechs Kriegsgaleonen und den vier Kriegskaravellen, knapp, den Kurs Ost anzuliegen. Die Nacht war klar und mondhell, so daß es für die Schiffe des Verbandes nicht schwierig war, dem Flaggschiff „San José“, an dessen Großtopp die prunkvolle Gouverneursflagge wehte, in Kiellinie zu folgen.

Trotz der vorgerückten Stunde schien Don Antonio de Quintanilla keine Ruhe zu finden. Der dicke Mann mit dem feisten Gesicht, den auffallenden Hamsterbacken und der gepflegten Puderperücke saß dem Kapitän des Flaggschiffes, Don Garcia Cubera, in der Kapitänskammer gegenüber.

Auf dem kunstvoll geschnitzten Eichentisch stand eine wertvolle Glaskaraffe, die mit Rioja gefüllt war. Das dunkelrote Getränk funkelte im Licht der zahlreichen Öllampen.

Don Antonio, einer der meistgehaßten Männer in Havanna, war ziemlich aufgekratzt – jetzt, da er es endlich geschafft hatte, einen Verband gegen den Bund der Korsaren und die geheimnisumwitterte Schlangen-Insel in Marsch zu setzen.

Er schob Don Garcia seinen Glaskelch entgegen.

„Sie dürfen gern nachfüllen, mein Lieber“, sagte er jovial. „An, ich liebe diesen Wein, er gehört wirklich zu den edelsten Sorten Spaniens. Am meisten jedoch mundet er mir zu Fleisch, Wildbret und Käse. Mit seinem würzigen Geschmack bildet er genau den richtigen Rahmen für solcherlei Genüsse.“

O ja, ein großer Genießer war er, der Gouverneur, das bewiesen schon seine grandiose Leibesfülle und sein schmales, aufgeworfenes Genußmündchen. Und da er von Fleisch, Wildbret und Käse sprach, zogen vor dem inneren Auge Don Garcias die zwei gebratenen Fasane vorüber, die sich der erlauchte Gouverneur Seiner Allerkatholischsten Majestät zum Nachtmahl hatte zubereiten lassen. Dennoch befürchtete der Kapitän der „San José“, daß Don Antonio recht bald wieder Gelüste auf eine erlesene Mahlzeit verspürte, wenn er sich nicht endlich dazu bewegen ließ, sein gewichtiges Haupt in der Koje zur Ruhe zu betten.

Jetzt, in der Nacht, war es der dunkle und vollmundige Rioja, der aus den Weingärten um den nordspanischen Provinzort Logroño, im Flußgebiet des Ebro, stammte. Tagsüber war es meist schwerer Portwein, mit dem Don Antonio de Quintanilla die Unmengen kandierter Früchte hinunterspülte, denen er wohl in erster Linie seine Körperfülle zu verdanken hatte.

Don Garcia Cubera, ein straffer Mann mit eisgrauen Haaren, war von der plötzlichen Leutseligkeit des Gouverneurs nicht gerade begeistert, aber er kam nicht umhin, das ihm zugeschobene Glas erneut mit Rotwein zu füllen. Im stillen wünschte er Don Antonio zum Teufel, denn die ölige Freundlichkeit des Dicken konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß alles nach seiner Pfeife tanzen mußte, auch wenn er, Cubera, der Verbandsführer war und die Befehlsgewalt über die zehn Kriegsschiffe hatte.

Der Capitán war ein gradliniger Mann. Menschen vom Schlage des Gouverneurs lagen ihm nicht. Er bildete sich auch nicht im geringsten etwas darauf ein, daß er der einzige war, den Don Antonio über die genaue Position der Schlangen-Insel, jenem Schlupfwinkel der berüchtigten Seewölfe, informiert hatte. Die Kommandanten der neun anderen Schiffe hatten hingegen Order, jeweils der Hecklaterne des Vordermannes zu folgen.

Don Garcia Cubera war kein junger, unerfahrener Mann mehr, der sich von einigen überfreundlichen Worten einlullen ließ, o nein, er hatte eine gehörige Portion an Lebens- und Kriegserfahrung als Seeoffizier der spanischen Krone. Deshalb war er sich auch von Anfang an darüber im klaren gewesen, daß Don Antonio durch die Information nicht etwa Vertrauen und Wertschätzung zum Ausdruck brachte, sondern irgendwelche hinterhältigen Ziele damit verfolgte. Nur konnte die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand durchschauen.

Der Capitán vermutete jedoch, daß es Don Antonio weniger um die Ausschaltung des Seewolfs, Philip Hasard Killigrews, ging, als um die auf der Schlangen-Insel gehorteten Schätze der englischen Freibeuter. Daß er sich darin nicht getäuscht hatte, sollte er zu einem späteren Zeitpunkt erkennen. Der spanischen Krone allerdings war in erster Linie daran gelegen, den gefürchteten Seewolf und seine Mannen zur Strecke zu bringen.

Der von der englischen Königin zum Ritter geschlagene Korsar Philip Hasard Killigrew galt in Spanien als gefährlicher Staatsfeind, weil er sich gegen das rücksichtslose Ausplündern der Neuen Welt und ihrer Bewohner wandte und – versehen mit einem königlichen Kaperbrief – die spanischen Schatzgaleonen, die vollbeladen nach Spanien segelten, gewaltig rupfte. Und das würde nicht aufhören, solange sich dieser Mann in Freiheit befand.

Don Garcia Cubera hatte ein klares Feindbild vom Seewolf, aber er konnte sich auch eine gewisse Bewunderung dieses Mannes nicht versagen, denn der Name Killigrew war eng verknüpft mit jener fürchterlichen Armada-Schlacht, die ihm noch deutlich in Erinnerung war.

Er selber war Ende August 1591 unter Admiral Alonso de Bazán mit dabeigewesen, als die „Revenge“, das frühere Flaggschiff Sir Francis Drakes, gegen eine Übermacht von mehr als fünfzig Schiffen von drei Uhr nachmittags bis drei Uhr morgen kämpfte, ohne daß es seinen Landsleuten gelang, die „Revenge“ zu entern oder gar zu versenken. Die Engländer hatten gekämpft, bis das gesamte Pulver verschossen war. Den wenigen Überlebenden hatte man eine ehrenvolle Übergabe angeboten, und so war es gekommen, daß der englische Kommandant der „Revenge“, Sir Richard Greynville, schwer verletzt an Bord des spanischen Flaggschiffes starb. Die „Revenge“ aber sank erst fünf Tage später in einem Sturm.

Von diesem schweren Gefecht her, bei dem von der „Revenge“ vier spanische Schiffe versenkt worden waren, hatte Cubera einen sehr gesunden Respekt und eine ziemliche Hochachtung vor den englischen Kämpfern zur See. Und dieser Killigrew hatte, so wußte er, bei der Armada-Schlacht ebenfalls kräftig mitgemischt.

Es war deshalb nicht verwunderlich, daß der Capitán im Gegensatz zu dem fetten Gouverneur, für den die „englischen Piraten“ schon so gut wie vernichtet waren, eher von zurückhaltender Skepsis war, die er auch nicht verhehlte. Schließlich war dieser Kriegsmarsch nicht der erste Versuch, El Lobo del Mar das Handwerk zu legen, und gar mancher, der es bisher versucht hatte, war mit blutigem Kopf zurückgekehrt.

Neu beim jetzigen Unternehmen war lediglich die Tatsache, daß der Gouverneur von Havanna auf krummen Wegen einen Hinweis über die genaue Lage der Schlangen-Insel erhalten hatte. Aus diesem Grund war geplant, den legendären Stützpunkt der englischen Korsaren, der sich irgendwo in der Nähe der Turks- oder Caicos-Inseln befinden sollte, direkt anzugreifen.

Das war gewiß kein leichtes Unterfangen, darüber war sich Cubera im klaren, aber gerade deshalb konnte er als erfahrener Seemann nicht verstehen, daß man die ganze Sache so überstürzt in Angriff genommen hatte. Der Verband war nicht aufeinander eingestimmt, es gab keine Konzeption, und man wußte noch nicht einmal genau, wie stark der Gegner war. Lediglich der Gouverneur hatte behauptet, es seien fünf Schiffe.

Don Garcia Cubera ärgerte sich darüber, daß er sich um diese mitternächtliche Zeit den Kopf über diese Dinge zerbrach, während Don Antonio einen Glaskelch Rioja nach dem anderen in sich hineinsoff und dabei tat, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.

Als sich der Dicke ein weiteres Mal das Glas nachfüllen ließ, platzte dem Capitán beinahe der Kragen. Befand er sich nun auf Kriegsmarsch, oder geruhte der erlauchte Gouverneur eine Lustfahrt zu unternehmen? Er verspürte jedenfalls nicht die geringste Neigung dazu, dem feisten Kapaun rund um die Uhr als Gesellschafter zur Verfügung zu stehen.

Don Antonio störte die schlechte Laune des Verbandsführers nicht im geringsten.

„Ich hoffe, Sie haben Ihre Vorräte dieses edlen Tropfens nicht zu knapp bemessen, mein lieber Cubera“, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. „Der menschliche Gaumen gewöhnt sich rasch an einen solchen Schluck.“

„Die Vorräte sind natürlich begrenzt, Don Antonio“, erwiderte Cubera steif. „Anders geht das nun mal nicht auf einem Schiff, wie Sie wissen. Und ob der Vorrat an Rioja ausreicht“, fügte er diplomatisch hinzu, „hängt einerseits von der Dauer unserer Mission ab, andererseits natürlich auch von dem Zuspruch, den der Wein findet.“

Der Gouverneur kicherte amüsiert.

„Das war eine sehr kluge Antwort, Don Garcia, aber ich kann Sie beruhigen. Unsere Mission wird bald beendet sein, und diesmal werden dieser englische Verbrecher und sein übles Piratenpack keine Chance mehr haben, das verspreche ich Ihnen.“

Capitán Cubera konnte sich eine kühle Entgegnung nicht verkneifen.

„Ich bin mir da nicht so sicher“, sagte er. „Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß wir in der Übermacht sind, aber ich muß dennoch daran erinnern, daß wir es mit äußerst schlagkräftigen und intelligenten Gegnern zu tun haben, die den Schiffen der Krone schon so manches Schnippchen geschlagen haben.“

„Papperlapapp!“ Der Dicke winkte ab. „Sie sollten etwas mehr Zuversicht an den Tag legen, Don Garcia. Außerdem scheinen Sie vergessen zu haben, daß es nicht zum offenen Kampf auf See kommen wird. Das Gesindel wird ganz einfach in seinem Schlupfwinkel überrascht. Bis die begreifen, was geschieht, haben wir das Nest schon ausgeräumt.“

„Ich hoffe sehr, daß Ihre Worte in Erfüllung gehen, Don Antonio“, sagte Cubera kühl. „Das Überraschungsmoment dürfte unbestreitbar auf unserer Seite sein.“

Daß er sich mit dieser Annahme genauso irrte wie der Gouverneur, das konnte Capitán Cubera zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Ja, niemand auf Kuba ahnte auch nur im entferntesten, daß die Bewohner der Schlangen-Insel über sämtliche Einzelheiten des Unternehmens unterrichtet worden waren. Der Türke Jussuf, der zu Arne von Manteuffels Faktorei in Havanna gehörte, hatte die Ereignisse durch den zuverlässigen und bewährten Brieftäuberich Achmed zur Schlangen-Insel gemeldet. Insofern konnte auf Seiten des Schiffsverbands von einem Überraschungsangriff keine Rede mehr sein.

Es gab jedoch noch weitere Ereignisse, von denen weder Don Antonio noch Don Garcia etwas ahnten.

Niemand hatte etwas davon bemerkt, daß sich nach dem Auslaufen des Verbands aus Havanna die Schebecke Don Juan de Alcazars „angehängt“ hatte. An Bord befanden sich außer dem Kapitän und der Crew auch Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn.

Außerdem folgte den Kriegsschiffen die gekaperte Zweimast-Schaluppe der berüchtigten Black Queen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, nach ihrem Verrat der genauen Position der Schlangen-Insel vom Kriegszug der Spanier zu profitieren.

Don Antonio de Quintanilla unternahm noch immer keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Statt dessen zerkaute er genüßlich eine weitere kandierte Frucht und trank dann einige Schlucke Wein.

Cubera war daher froh, als das „traute Beisammensein“ eine plötzliche Unterbrechung erfuhr.

Einer der Offiziere klopfte an das Schott der luxuriös ausgestatteten Kapitänskammer und trat ein.

„Was gibt es?“ fragte Don Garcia knapp.

„Die ‚Gaviota‘ segelt zu uns auf, Señor Capitán. Offenbar hat sie eine Meldung zu überbringen.“

Er meinte damit eine Kriegs-Karavelle, die am Ende des Verbandes segelte.

„Ich komme“, sagte Cubera und erhob sich. Zu Don Antonio gewandt sagte er: „Sie müssen mich leider entschuldigen, Don Antonio, aber ich muß mich um diese Sache kümmern. Gewissermaßen ruft die Pflicht, Sie verstehen?“

Der Dicke lächelte verständnisvoll.

„Aber natürlich, mein Lieber. Niemand hält Sie auf. Ich hatte ohnehin vor, mich zurückzuziehen. Wahrscheinlich steht uns auch morgen ein anstrengender Tag bevor.“ Er entließ den Kapitän der „San José“ mit einer gnädigen Geste.

Cubera aber schoß die Zornröte ins Gesicht. Am liebsten hätte er den feisten Kapaun gefragt, wieso der vergangene Tag für ihn anstrengend gewesen wäre und warum es der morgige Tag gleichfalls werden sollte. Außer seiner hemmungslosen Genußsucht hatte der Kerl ohnehin nichts im Sinn. Während für ihn, Cubera, die Meldung des Offiziers Arbeit und Wachsamkeit bedeutete, geruhte der Gouverneur gähnend in die Koje zu steigen.

Der Capitán folgte dem Offizier zum Achterdeck.

In der Tat, die „Gaviota“, was soviel wie Möwe bedeutet, befand sich bereits auf gleicher Höhe mit der „San José“. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen betrug weniger als eine halbe Kabellänge.

Don Garcia Cubera befand sich kaum auf dem Achterdeck, da wurde er auch schon von dem Kommandanten der Karavelle angepreit.

„Zweimaster an der achteren Kimm gesichtet“, lautete die kurze Meldung. „Das fremde Schiff folgt dem Verband. Erwarte entsprechende Weisungen.“

Cubera befahl dem Kommandanten, die Identität des Zweimasters zu überprüfen und dann wieder Meldung zu erstatten. Danach ließ er Segel wegnehmen, um die Fahrt der „San José“ zu verlangsamen. Dieses Manöver sollte der „Gaviota“ nach Insichtnahme des fremden Zweimasters beim Wiederaufschließen behilflich sein.

Während der Capitán die Ausführung seiner Befehle überwachte, zerzauste ihm der kühle Nachtwind das eisgraue Haar. Der Mond stand wie eine riesige gelbe Kugel am Himmel und überschüttete die kabbelige Wasserfläche mit fahlem Licht. Irgendwie hatte Cubera das Gefühl, sich an diesem Platz wesentlich wohler zu fühlen, als in der Gesellschaft des Gouverneurs von Havanna.

2.

Die „Gaviota“ wendete über Backbord und ging dann auf Gegenkurs. Der Nordostwind, der jetzt raumschots einfiel, füllte die Segel und schob die Karavelle rasch voran.

Der Capitán, ein ehrgeiziger und energischer Mann, setzte alles daran, dem mysteriösen Zweimaster, den er an der Kimm gesichtet hatte, so schnell wie möglich zu begegnen. Laute Kommandos brüllend, scheuchte er seine Männer an die Brassen und Schoten, damit der Wind bis zum letzten Quentchen ausgenutzt wurde.

Er selbst wich nicht von seinem Platz auf dem Achterdeck und setzte immer wieder das reichverzierte Messing-Spektiv ans Auge. Das war jedoch trotz der mondhellen Nacht vergeblich, so daß er sich voll und ganz auf den Mann im Ausguck verlassen mußte.

Die nächste Meldung ließ nicht lange auf sich warten. Sie erfolgte, nachdem die Kriegskaravelle das Ende des Verbandes hinter sich gelassen hatte.

„Deck!“ brüllte der Ausguck im Großmars. „Der Zweimaster hat ebenfalls gewendet und liegt Kurs West an!“

„Verstanden!“ rief der Capitán zurück. Gleichzeitig wunderte er sich über die plötzliche Veränderung der Situation. Was hatte es mit diesem fremden Schiff auf sich? Warum wendete es und ging auf Gegenkurs? Das alles sah ganz danach aus, als habe der Segler etwas zu verbergen. Aber das war für ihn um so mehr ein Grund, sich dranzuhängen.