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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-815-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Kampf
ohne Gnade

Die Sturmtrupps waren gelandet – und jetzt ging es um Leben und Tod

Mit sechs Kriegsgaleonen war der spanische Generalkapitän Don Gonzalo de Vallejo in der östlichen Karibik eingetroffen. Die Order, die er von der Admiralität hatte, war klar und knapp: Vernichtung des Piratengesindels. Für diese Aufgabe war er genau der richtige Mann – rücksichtslos, kaltschnäuzig und gewillt, die Karibik mit einem eisernen Besen auszufegen. Daß ihn der erfahrene Capitán Cubera davor warnte, den Gegner zu unterschätzen, fand bei ihm taube Ohren. Wenig später empfing er die Quittung für seine Überheblichkeit – vom Bund der Korsaren: Eine Kriegsgaleone lief im Felsendom der Schlangen-Insel auf das Höllenriff, wurde von der folgenden Galeone Vierkant gerammt, und beide gerieten in das verheerende Feuer der „Caribian Queen“ …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Rings um die Schlangen-Insel war der Teufel los, und das Eiland selber glich einem ausbrechenden Vulkan.

Der dichte, grauschwarze Pulverqualm, der düster über der Wasserfläche hing und die schroffen Felsen der Insel wie ein Leichentuch bedeckte, wurde vom Wind zerfetzt und von Nordost nach Südwesten getrieben. Dazu brüllten und fauchten nahezu pausenlos die Kanonen. Ihre schweren Eisenkugeln rissen gewaltige Steinbrocken und scharfkantige Splitter aus den Felsen. Grelle Feuerblitze, die aus den Geschützrohren hervorstachen, erinnerten an ein schweres Gewitter.

Alle, die an jenem gnadenlosen Kampf um die Schlangen-Insel beteiligt waren, würden jenen 29. Juli im Jahre des Herrn 1594 nicht mehr vergessen – so sie diesen Tag überlebten.

Die restlichen sechs Kriegsgaleonen der Spanier, darunter die beiden letzten Schiffe Capitán Cuberas, lagen gut verteilt um die Insel herum und feuerten auf das, was sie als Geschützstellungen erkannt hatten.

Aber auch die Männer vom Bund der Korsaren sowie Arkanas Krieger und Kriegerinnen, denen die Karibikinsel als Heimat und Stützpunkt diente, waren nicht untätig. Ihre Geschütze spien den Spaniern Tod und Verderben entgegen, und ihre gefürchteten Brand- und Pulverpfeile sorgten unter den Angreifern für blankes Entsetzen. Auf einigen Schiffen hatte man bereits alle Hände voll damit zu tun, Wasser zu pützen und die überall aufflackernde Brände zu löschen.

„Bewegt euch, ihr faulen Hunde! Gebt den Piraten Zunder!“ Don Gonzalo de Vallejo, der Generalkapitän und Befehlshaber des spanischen Verbandes, brüllte mit verbissenem Gesicht seine Befehle.

Als er mit seinen Schiffen, von den Kanarischen Inseln kommend, bei Grand Turk auf den traurigen Rest des von Don Antonio de Quintanilla in Havanna zusammengestellten Verbandes gestoßen war, hatte er es sich wesentlich einfacher vorgestellt, das „Piratengesindel“ der Karibik zu vernichten. Inzwischen aber begriff der skrupellose und übertrieben ehrgeizige Mann immer deutlicher, daß er sich auf einen außergewöhnlich harten und verlustreichen Kampf eingelassen hatte.

In der Nordwestbucht spitzte sich die Lage dramatisch zu. Die Spanier hatten rasch erkannt, daß es sich hier um die einzige Stelle der Insel handelte, an der eine Landung – wenn auch unter großen Schwierigkeiten – möglich war. Deshalb hatten sie zwei Jollen ausgesetzt und mit jeweils zehn Soldaten bemannt.

Die Seewölfe und ihre Kameraden hatten jedoch vorgesorgt und die Buchteinfahrt durch eine starke, unter Wasser verlaufende Eisenkette, abgesichert. So war es nicht ausgeblieben, daß die spanischen Jollen von der Kette aufgehalten wurden. Trotzdem war es den beiden Trupps gelungen, schwimmend und mit trockenem Pulver das Ufer zu erreichen, das als Brücke zwischen dem westlichen Felsberg und dem nördlichen Felsen diente.

Die Dons verkrallten sich mit verbissenen Gesichtern und teils mit angstverzerrten Zügen in den Felsen der Inselaußenseite. Das war alles andere als gemütlich, denn das Drehbassenfeuer, mit dem sie von der „Caribian Queen“ eingedeckt wurden, zwang sie ständig dazu, die Köpfe einzuziehen.

Der düstere und bedrohlich wirkende Zweidecker, der einst der berüchtigten Black Queen gehört hatte und jetzt von Siri-Tong befehligt wurde, lag mit dem Bug nach Westen quer vor dem Innentor des Felsendoms vor Anker – direkt unterhalb des sogenannten Höllenriffs.

Das riesige Schiff glich einer feuerspeienden Festung. Die schweren Culverinen auf den beiden Decks stießen ihre Ladungen mit donnerndem Getöse zu den beiden Galeonen hinüber, die draußen vor der Nordwestbucht lagen, und rollten dann rumpelnd auf den Holzlafetten zurück, bis sie von den Brooktauen aufgefangen wurden.

Bei einer der feindlichen Galeonen handelte es sich um das Flaggschiff de Vallejos. Kein Wunder, wenn es die volle Aufmerksamkeit der „Caribian Queen“ auf sich zog. Siri-Tong war samt ihrer Crew fest entschlossen, die gegnerischen Landungsmanöver zu verhindern.

Barba, der Steuermann der „Caribian Queen“, hatte gerade eine Bugdrehbasse an einen anderen Schützen übergeben und enterte mit grimmigem Gesicht den Niedergang zum Achterdeck hoch.

„Unsere Leute sind ganz schön auf Trab, Madam“, sagte er. „Wenn das so weitergeht, wird den Dons bald der Appetit auf die Schlangen-Insel vergehen.“

„Hoffen wir, daß du recht hast, Barba“, entgegnete Siri-Tong, die das Geschehen vom Achterdeck aus verfolgte. „Aber noch sind sie in der Überzahl, und wir sollten uns davor hüten, allzu optimistisch zu sein.“

Die Rote Korsarin strahlte Ruhe und Entschlossenheit aus. Mit einer lässigen Handbewegung wischte sie sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. Normalerweise zog die exotisch aussehende Frau die Blicke der Männer auf sich, doch jetzt, in diesem brüllenden Inferno, fand niemand die Zeit.

Siri-Tongs dunklen Augen entging nichts, und sie hatte bisher nicht nur ihre Wachsamkeit unter Beweis gestellt, sondern auch ihre Qualitäten als Kämpferin und Kapitän. Alle auf der Schlangen-Insel wußten, daß sie ihren männlichen Kollegen in nichts nachstand.

Mit einer Kopfbewegung in Richtung Kuhl gab sie Henry Scrutton, dem Stückmeister, zu verstehen, daß sie mit seiner Arbeit zufrieden war.

Scrutton, ein kräftiger und wendiger Mann mit einer fingerlangen Narbe über der rechten Augenbraue, hatte sich hauptsächlich auf die Bugdrehbässen konzentriert, die die Landungstrupps der Spanier mit gehacktem Eisen und Blei bestreuten. Die leichten, schwenkbaren Geschütze ließen sich verhältnismäßig einfach auf die Angreifer ausrichten, doch diese fanden immer wieder Deckung hinter dem zerklüfteten Gestein.

„Ich bin gespannt, wie lange sich die Kerle noch in den Felswänden halten“, sagte Barba und verzog das wüste Gesicht zu einem Grinsen. Dem Aussehen nach glich er einem Schläger der übelsten Sorte, doch das täuschte, denn er war ein grundehrlicher und anständiger Kerl.

„Sie müssen auf jeden Fall daran gehindert werden, noch weiter auf die Insel vorzudringen“, sagte Siri-Tong. „Wenn sie nämlich erfolgreich sind, werden sich noch weitere Dons zum Landen ermutigen lassen.“

Ein kurzer Schrei ließ die Rote Korsarin herumwirbeln. Einer der Männer an den Culverinen war durch Steinsplitter verletzt worden. Er wand sich auf den Planken, sein zerfetztes Hemd verfärbte sich mit Blut.

„Ich werde mich darum kümmern, Madam“, sagte Barba. Schon sprang der hünenhafte Mann über den Niedergang auf die Kuhl.

Vom Felsentunnel her drohte zur Zeit keine Gefahr, denn er war immer noch unpassierbar wegen der beiden spanischen Kriegsgaleonen, die dort kollidiert und dann von der „Caribian Queen“ systematisch zusammengeschossen worden waren.

Die Rote Korsarin ließ die gelandeten Soldaten nicht aus den Augen. Die Kerle hatten sich wie Katzen im Gestein verkrallt. Wie sie mit Genugtuung feststellte, gelangten sie im Augenblick nicht weiter. Das Drehbassenfeuer, für das Henry Scrutton vorbildlich sorgte, zwang sie immer wieder in Deckung.

Der eine Trupp lag von der „Caribian Queen“ aus gesehen hinter den Steilfelsen des Westmassivs, der andere klammerte sich dort fest, wo der Kegel des Felsendoms seinen Ausläufer zu der schmalen Landbrücke hatte, die zum Westmassiv hinüberführte.

Barba kehrte auf das Achterdeck zurück.

„Nur einige Fleischwunden“, berichtete er. „Der Mann wird gerade verbunden.“

„Dann hat er Glück gehabt“, sagte Siri-Tong erleichtert. „Steinsplitter können mitunter eine verheerende Wirkung haben.“

Barba legte die rechte Hand über die Augen und blickte angestrengt zur Nordwestbucht hinüber. Auch ihm war aufgefallen, daß das Feuer der Spanier immer spärlicher wurde.

„Was ist denn da los?“ murmelte er. „Den Kerlen geht doch wohl nicht das Pulver aus?“

„Das ist kaum anzunehmen“, sagte Siri-Tong lächelnd. „Wahrscheinlich werden sie das Feuer gleich einstellen, um die Landungstrupps nicht zu gefährden. Die liegen jetzt nämlich dicht bei der Schußlinie. Es würde den Dons nicht gerade gut zu Gesicht stehen, wenn sie ihre eigenen Leute aus den Felsen schießen würden.“

Barba grinste schadenfroh.

„Da sie mit so viel Mühe da raufgeklettert sind, wäre das schlicht und einfach gesagt unverschämt, Madam.“

Die Rote Korsarin lächelte wieder.

„Auf jeden Fall werden wir ihre Feuerpause ein bißchen ausnutzen.“

Barba sah sie erwartungsvoll an, als sie dem Stückmeister ein Zeichen gab.

Henry Scrutton erschien wenige Augenblicke später auf dem Achterdeck.

„Madam?“ fragte er. „Sollen wir den Burschen mal unsere schöne Seite zudrehen? Jetzt, da sie eine Feuerpause einlegen, wäre das gar nicht so riskant.“

„Genau das ist meine Absicht, Henry“, erwiderte Siri-Tong. „Zumal mir nicht entgangen ist, daß das Flaggschiff eine weitere Jolle ausgesetzt hat. Noch wird sie von der Galeone verdeckt, aber ich bin davon überzeugt, daß sie bereits bemannt wurde. Sorge bitte dafür, daß im richtigen Moment sämtliche Steuerbordgeschütze einsatzbereit sind.“

„Kein Problem, Madam, die Lunten brennen schon.“ Mit lachendem Gesicht enterte der Stückmeister wieder ab.

Die Rote Korsarin gab mit wenigen Worten die entsprechenden Befehle.

Wenig später wurde die Bugankertrosse gefiert. Da der Zweidecker vor Bug- und Heckanker lag, konnte der Nordostwind den Bug nach Backbord drücken. Dieses Manöver brachte die „Caribian Queen“ in eine Position, die es ihr ermöglichte, ihre Steuerbordgeschütze über die niedrige Landbrücke hinweg gegen die beiden Kriegsgaleonen einzusetzen.

Die Spanier bemerkten diese Absicht wegen des dichten Pulverqualms viel zu spät. Als die grauschwarzen Wolken etwas aufrissen, hatte Henry Scrutton den Geschützmannschaften längst gesagt, was es jetzt zu tun gab.

„Feuer!“ rief Siri-Tong. In ihren dunklen Mandelaugen blitzte es gefährlich auf.

Die Männer an den Geschützen nahmen ihre Chance wahr. Auf der gesamten Steuerbordseite senkten sich die brennenden Lunten auf das Zündkraut. Das Feuer fraß sich zischend und knisternd durch die Kanäle und dann brach plötzlich und mit Urgewalt das Inferno über die spanischen Galeonen herein.

An den Mündungen der Kanonenrohre blühten mächtige Feuerblumen auf. Der Rumpf der „Caribian Queen“ neigte sich hart um die Längsachse und riß an der Heckankertrosse. Das Schiff wurde bis in die letzten Verbände erschüttert. Dichter, beißender Qualm nahm der Crew eine Zeitlang die Sicht zur Nordwestbucht. Hingegen war das Krachen und Bersten von Holz deutlich zu hören. Wenig später war bereits zu erkennen, was geschehen war.

Das Flaggschiff de Vallejos hatte seinen Bugspriet verloren. Er trieb zerfetzt im Wasser vor der Bucht, begleitet von den Trümmern, die die Kugeln ins Schanzkleid der Back gerissen hatten. Die andere Galeone hatte einige Treffer in den Rumpf der Backbordseite hinnehmen müssen. Leider jedoch über der Wasserlinie, wie Barba mit größtem Bedauern feststellte.

Siri-Tong aber war zufrieden.

„Gut gemacht!“ rief sie den Männern an den Culverinen zu. „Den Dons qualmen jetzt die Hosenböden!“

So war es in der Tat, denn die Wuhling auf den Decks der beiden Kriegsschiffe war weder zu übersehen noch zu überhören. Die Spanier setzten jetzt alles daran, sich schleunigst aus dem Schußbereich des Zweideckers zu verholen.

Lediglich der vor dem Überraschungsangriff abgefierten Jolle war es gelungen, das Feuer des Zweideckers zu unterlaufen und in die Nordwestbucht einzudringen. Dabei war für sie der Pulverqualm, der die Sicht stellenweise stark einschränkte, eine gute Tarnung gewesen.

Barba knirschte laut und vernehmlich mit den Zähnen. Doch niemand an Bord konnte verhindern, daß es dieser dritten Jolle gelang, trotz des sofort einsetzenden Drehbassen- und Musketenfeuers, die Sperrkette zu überwinden.

„Das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir sie nicht am Schlafittchen kriegen würden“, sagte Barba. Aber so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, war den Landetrupps der Dons nicht beizukommen. Im Gegenteil – er und alle anderen, denen die Schlangen-Insel zur zweiten Heimat geworden war, sollten noch eine Menge Ärger mit ihnen kriegen.

2.

Schon kurze Zeit später raufte sich Barba erneut die Haare.

„Verdammt und zugenäht!“ fluchte er. „Die Kerle befinden sich von uns aus gesehen in einem toten Winkel.“

Die Rote Korsarin nickte.

„Wie es aussieht, können wir kaum verhindern, daß sie unterhalb der Steilfelsen landen und sich den anderen Kerlen anschließen.“

So geschah es auch. Die Spanier pullten buchstäblich um ihr Leben und stimmten ein triumphierendes Geschrei an, als sie merkten, daß sie sich nicht mehr im Schußbereich der Kanonen und Drehbassen befanden.

Was immer die Männer auf der „Caribian Queen“ auch versuchten – sie konnten nur am Rand des zum Westmassiv gehörenden Steilfelsens vorbeischießen und damit verhindern, daß sich der jetzt größere Trupp, der ungefähr vierundzwanzig Mann umfaßte, an der Ostseite vorarbeitete, um in den westlichen Innenteil der Insel einzudringen.

„Na schön“, sagte Barba. „Auf ein paar Dons mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an. Wenn es den Burschen Spaß bereitet, können sie meinetwegen bis zum Jüngsten Tag wie die Affen da draußen in den Felsen herumklettern. Ins Innere gelangen sie jedenfalls nicht.“ Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf die übrigen Schiffe des Bundes, die in der Innenbucht vor Anker lagen, weil ein Auslaufen durch die Strömungen im Felsentunnel noch nicht möglich war.

Etwas querab von jener Stelle, an welcher der unterirdische Schlangen-Tempel lag, ankerte die „Isabella IX.“, das Schiff der Seewölfe. In einer Reihenfolge, die von Westen nach Osten verlief, schlossen sich die übrigen Schiffe des Bundes der Korsaren an – der Schwarze Segler des Wikingers, die „Wappen von Kolberg“, die „Pommern“ und die „Tortuga“. Ganz hinten, im westlichsten Zipfel der Bucht, war zudem noch die Schebecke Don Juans vor Anker gegangen.