cover
Barbara Kuhn

Wandler des Mondes

Geheimnis des Waldes


Widmung: Für meine Kinder


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Barbara Kuhn







Wandler

 

 

 

 

 

 

 

 

Wandler

des

Mondes

 

Geheimnis des Waldes

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Widmung



Für meine Kinder.





Wandler des Mondes



Alle Figuren

sowie die Handlung selbst,

sind frei erfunden.


















Beschützer der Pflanzen,

der Tiere

sowie der Menschen,

bis zum unvermeidlichen Tod.













Buch





















Buch


Die junge Miriam Jaldesie wird nach einer Verabredung entführt und brutal gefoltert. Nach ihrem Krankenhausaufenthalt will sie sich in einem abgelegenen kleinen Dorf erholen. Doch in dem Wald, wo das Ferienhaus liegt, gehen merkwürdige Dinge vor. Erst sieht sie wolfsähnliche Hunde, hört eine Geisterstimme auf einem verlassenen Friedhof und findet ständig irgendwelche Menhire. Als ihre Entführer dort auftauchen spitzt sich die Lage zu. Kann sie der tödlichen Gefahr entfliehen oder hilft ihr etwas Magisches?



















Inhalt


Kapitel 1 Ankunft

Kapitel 2 Hochsitz

Kapitel 3 Grabstein

Kapitel 4 Narben

Kapitel 5 Schlafende

Kapitel 6 Trank

Kapitel 7 Erwachen

Kapitel 8 Jagdhütte

Kapitel 9 Schlucht

Kapitel 10 Geheimnis

Kapitel 11 Zärtlichkeiten

Kapitel 12 Überfall

Kapitel 13 Versprechen

Kapitel 14 Sechs Tage

Kapitel 15 Gehörnter

Kapitel 16 Opfer

Kapitel 17 Gefährte

Erläuterung

Weitere Bücher / Danksagung

Autorin

Impressum



Eins - Ankunft


Heute ist morgen und morgen ist heute, so stand es jedenfalls in einem Buch. Aber was machte ich heute in diesem verschlafenen Nest? Ein kleines, abgelegenes Dorf, irgendwo im nirgendwo. Wahrscheinlich würden sich, wenn man genau hinsah, Fuchs und Hase dort gute Nacht sagen. Im wahrsten Sinne des Wortes jedenfalls.

Okay, ich hatte eine schreckliche Zeit hinter mir. Einen Monat in der Klinik und weitere Wochen zu Hause, wo mir langsam aber sicher die Decke auf den Kopf fiel. Meine Arbeit hatte mir nahegelegt, meinen Urlaub vom vergangenen Jahr und von diesem Jahr zu nehmen, damit ich wieder völlig gesund zurückkäme. Gesund!

 

Was für ein einfaches Wort und doch sagte dieses Wort alles über mich aus. In den Augen der Ärzte war ich völlig gesund, körperlich. Doch das sagte nicht annähernd etwas über meinen seelischen Zustand aus. Dabei war ich vor neun Monaten noch voller Leben und Zuversicht.

Ich war stellvertretende Geschäftsführerin bei einer noblen Textilfirma, die sich mitten in Frankfurt am Main befand. Hatte ein gutes Gehalt, eine hübsche Wohnung und ein nagelneues Auto. Kurz und gut ich war am Ziel meiner Träume. Dennoch gab es einen Haken, ich konnte das mit niemanden teilen. Mit meinen vierundzwanzig Jahren hatte ich es allerdings weit gebracht.

Meine Haare waren lang und rotbraun, ich hatte grüne Augen und helle, makellose Haut. Zugegeben ich ging nicht wie die meisten auf die Sonnenbank oder ständig zum Frisör. Tatsächlich mochte ich es, wenn meine Haut durch die Sonne etwas gebräunt wurde. Zwei Mal in der Woche jogge ich in einem kleinen Park und sah hin und wieder den Enten auf dem Teich zu.

Ich liebte die Natur, auch wenn ich nicht viel Zeit dafür hatte. Selten ging ich mit Freunden aus und schon gar nicht um Spaß zu haben. Ein echter Workaholic eben. So sah mich jedenfalls mein Freundeskreis und bestimmt hatten sie damit auch recht. Ja, bis vor neun Monaten war das zumindest so und mir war überhaupt nicht bewusst, wie zufrieden ich damit war.

 

Vor über neun Monaten wusste ich auch noch nicht, dass sich mein Leben auf grauenhafte Weise verändern würde. Von Jenny und Kai hatten ich mich überreden lassen, mit ihnen auf eine Vernissage von Marc zu gehen. Nicht, dass es irgendwie seltsam war, dass sie mich einluden, nur dieses Mal ging ich tatsächlich mit. Es waren ungefähr vierzig geladene Gäste. Jeder hatte sich in Schale geworfen, zeigte seinen geheuchelten Kunstgeschmack.

Okay, Marc hatte ein Händchen für Kunst. Ich kannte ihn schon bevor er diese Vernissage überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Ständig musste ich seinen Annäherungsversuchen ausweichen, bis heute jedenfalls. Allerdings heute war er der Star und umringt von jungen, gutaussehenden Frauen. Als Marc mich sah, kam er wie immer auf mich zu und gab mir eine herzliche Umarmung. Seinem südländlichen Charme und seinem Aussehen konnte man sich auch schlecht entziehen.

 

Marc war ein Jahr älter als ich. Seine Eltern hatten eine Reihe von Restaurants sowie eine Villa außerhalb der Stadt. Aber er konnte mich damit nicht ködern. Wir beide waren nur gute Freunde, sehr gute Freunde. Manchmal diente ich ihm als Alibi, wenn er irgendwo auf einer Party versackt war und sein Alkoholpensum dadurch über die Strenge schlug. Seine Eltern hatten in diesem Fall kein Verständnis und so half ich ihm oft aus der Patsche.

An diesem besagten Abend lernte ich Erich kennen. Er war anscheinend ein alter Freund von Marc. Sie hatten sich zwar jahrelang nicht mehr gesehen, dennoch schien er ganz nett zu sein. Nach ein paar Gläsern Champagner verabredeten wir uns beide zum Essen. In einem vornehmen Nobelrestaurant für den kommenden Abend. Ich war ganz aufgeregt. Wann hatte ich mich schon Mal mit einem Mann verabredet?

Vermutlich hatte Erich keine Schwierigkeiten damit. Nicht nur, dass er hervorragend aussah mit seinem kurzen schwarzen Haaren und seinen dunklen Augen. Nein, er hatte auch einen sehr muskulösen Körper. Sicher ging er regelmäßig in ein Fitnessstudio oder war sonst auf die ein oder andere Weise sportlich aktiv. Dazu noch seinen englischen Akzent ließ mich förmlich dahinschmelzen.

 

Erich wartete bereits an einem Tisch und hatte schon eine Flasche Champagner bestellt, die in einem Sektkübel bereitstand. Nach einem ausführlichen Essen machten wir einen Spaziergang im naheliegenden Park. Dieser war jetzt im Sommer gut besucht.

Er erzählte mir von seinen Auslandsreisen und seiner Arbeit als Kunstsachverständiger, bei seinen ausländischen Auftraggebern. Dadurch kam Erich weit in der Welt herum, was ich von mir nicht gerade behaupten konnte. Kein Wunder das Marc ihn eingeladen hatte, mit seinem Fachwissen.

Als wir durch den abendlichen Park gingen, legte Erich wie selbstverständlich seinen Arm um mich und sprach einfach weiter. Ehrlich gesagt störte es mich nicht wirklich, ja ich genoss es sogar. Ich fand es schön das ein Mann so sein Interesse an mir zeigte. Die meisten interessierten sich eher für mein Bankkonto, als für mich. Bei ihm schien es anders zu sein, dachte ich damals jedenfalls.

Eigentlich fand ihn ich sehr charmant sowie witzig. Allerdings glaube ich, dass ich mehr als nur berauscht von ihm und seinem männlichen Charme war. Dies war mir überhaupt nicht wirklich bewusst geworden. Im Nachhinein wusste ich auch warum. Er hatte mir lösliche Psychopharmaka, also K.-o.-Tropfen, verabreicht und dadurch war völlig willenlos.


***


Ein lautes Hupen brachte mich in die Gegenwart zurück. „Bist du blöd da vorne?! Es ist grün! Fahr endlich du dumme Nuss!“ Verdammt, ich sollte nicht nachdenken und gleichzeitig Auto fahren. Vermutlich würde ich gleich in den nächsten Graben landen. Deshalb beschloss ich erst einmal irgendwo anzuhalten und in einem Café etwas zu trinken. Mit wackligen Beinen betrat ich eine kleine Gaststätte und setzte mich an einen Ecktisch.

Nachdem ich einen Kaffee bestellt hatte, vertiefte ich mich in die Straßenkarte, die ich mir extra besorgt hatte. Zugegeben das kleine Dorf, mitten auf einem Berg umgeben von extrem viel Wald, sollte mir meine innere Ruhe wiedergeben. Aber ob ich das auch wirklich durchziehen würde, war eine andere Sache.

Gaby, meine langjährige Freundin, hatte ein hübsches Ferienhaus in der Eifel. Anscheinend lag dieser Ort im westlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges. Ich hatte schon erhebliche Mühe dieses Nest überhaupt auf einer Straßenkarte zu finden. Okay, nach meiner Karte konnte es nicht mehr weit sein. Vielleicht wusste die Kellnerin wie lange ich noch fahren musste?

 

Sofort winkte ich die Bedienung zu mir und fragte: „Entschuldigen Sie bitte. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie weit ich noch zu diesem Ort fahren muss? Nach meiner Karte zu urteilen, kann es nicht mehr weit sein.“

Erstaunt schaute die junge Frau auf die Straßenkarte und musterte mich eingehend. „Das ist hier ganz in der Nähe. Wollen Sie dort jemanden besuchen?“ Verunsichert schluckte ich.

War das so offensichtlich oder passte ich generell nicht hierher? Zugegeben ich hatte meine Nobelsachen, gegen etwas legere Kleidung eingetauscht. Aber scheinbar sah man mir dennoch an wo ich tatsächlich zu Hause war.

 

Die Bedienung, so Mitte Zwanzig, sah mich abwartend an und ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte.

„Ich… ich besuche meine Freundin, Gaby Schoranth. Kennen Sie sie vielleicht?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf und reichte mir wieder die Karte. „Nein, ich kenne nur die Einheimischen aus dem Nachbarort. Ansonsten habe ich keinen Kontakt. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei Ihrer Freundin.“

„Tina! Du wirst nicht fürs schwätzen bezahlt, also mach dich in die Küche!“

„Tut mir leid, ich muss gehen. Möchten Sie noch einen Kaffee oder etwas anderes?“ Ihre ruhige Art machte mir ein wenig Mut, bei der ganzen Sache hier. In diesem seltsamen nirgendwo.

„Bringen Sie mir bitte noch einen Kaffee und die Rechnung.“ Gesagt getan. Kurz danach brachte sie meinen Kaffee und ich bezahlte die Rechnung, mit einem guten Trinkgeld natürlich.

„Vielen Dank, für Ihre Hilfe Tina.“ Wortlos nickte sie und verschwand hinter dem Tresen. Nach einer Weile saß ich erneut im Auto und fuhr eine Straße, eher gesagt einen befestigten Feldweg, entlang. Wenn das die normalen Straßen waren, wie sahen dann erst die Feldwege hier aus?

Irritiert hielt ich an und blickte erneut auf die Karte, anscheinend gab es nur diese eine Straße, also weiter. Nach etwa einer Stunde kam ich endlich an dem besagten Haus an und guckte mich verwundert um. Zugegeben das Haus wirkte von außen wie ein älterer Bungalow aus den Siebzigern. Außerdem war das Gebäude von hohen Tannen umgeben.

Der Bungalow hatte allerdings einen gepflegten Vorgarten, eine Doppelgarage sowie eine Satellitenanlage. Na ja, wenigstens hatten sie Fernsehen, das machte die Sache schon etwas erträglicher. Meinen Wagen stellte ich vor der Garage ab. Erst einmal sehen, ob der Schlüssel überhaupt passt.

Gaby hatte mir einfach den Schlüssel und eine Wegbeschreibung vorbeigebracht. Sie sagte mir, dass sie das Ferienhaus nur selten nutzten, weil es viel zu ländlich war. Sicher hatte sie jemanden, der sich um das Haus und den Garten kümmerte.

Ich fragte mich wie lange Gaby schon nicht mehr hier gewesen war. Nach ihrer Aussage, hatte sie das Haus von ihrer Oma geerbt und wäre zwei- oder dreimal dort gewesen. Was ich ehrlich gesagt, vollkommen verstehen konnte.

Höchstwahrscheinlich würde jeder hier vor Langeweile sterben und ich hatte mir ernsthaft vorgenommen, meinen Urlaub an diesem einsamen Ort zu verbringen. Egal, ich war jetzt an Ort und Stelle und würde das Beste daraus machen.

Langsam stieg ich aus, nahm meinen Rollkoffer, meine Umhängetasche und ging in Richtung Eingang. Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Er passte! Hoffentlich war es wenigstens drin sauber?

 

Mit einem knarrenden Geräusch ging die Tür auf, worauf ich prompt meinen Koffer losließ. Zu meinem Erstaunen, sah ich in einen großen hellen Raum. Es gab keinen engen Flur, sondern man betrat nach wenigen Schritten ein großes Wohnzimmer, mit eichenfarbigen Möbeln. Okay, etwas rustikal für meinen Geschmack, aber alles schien in einem ordentlichen Zustand zu sein. Ich nahm meinen Koffer und zog ihn hastig hinter mir her. Sofort verschloss ich leise die Tür.

Meine Tasche legte ich mit den Schlüsseln, auf einen kleinen Tisch an der Seitenwand, nahe der Eingangstür. Dort stellte ich den Koffer ab und machte mich zu einer Erkundungstour auf.

Als Erstes schaute ich mir das Wohnzimmer an. Man musste drei Stufen abwärts gehen, um in das eigentliche Wohnzimmer zu gelangen. Dort stand eine riesige Couch, die zu einer Rundung gestellt war. Das Sofa gehörte scheinbar eher zu den neueren Gegenständen und wirkte mit dem cremefarbigen Stoff sehr einladend. In der Mitte befand sich ein runder, eichenfarbiger Tisch, mit einem vollen Obstteller darauf. Oh, wie aufmerksam!

Wieder ging ich drei Stufen nach oben, dann nach links und kam in einen abgetrennten Raum. Die Küche. Diese war modern eingerichtet, mit ihrem Heißluftherd und der Spülmaschine. Sicher hatte man dies auf Gabys Geheiß eingebaut. Ich machte den Kühlschrank auf, der bis obenhin gefüllt war. Darunter öffnete ich die Tür zum Gefrierschrank, auch diesen hatte sie, mit Pizza und allerlei Sachen bestückt. Nun ja, verhungern würde ich bestimmt nicht, das war schon einmal beruhigend.

 

Nachdem ich etliche Schränke geöffnet hatte und Kaffeepulver, Tee sowie Fertigprodukte entdeckte, ging ich durch eine weitere Tür, die sich auf der rechten Seite befand. Ich betrat das Esszimmer. An einem alten, verschnörkelten Eichentisch hatten locker acht Personen Platz. Der Raum wirkte, trotz der Größe, sehr einladend auf mich. Seine hellen Tapeten sowie geschmackvollen Bilder, mit den Blumenmotiven, machten dieses Zimmer zu einem einladenden und ruhigen Ort.

Schließlich ging ich an das große Fenster. Schob die Gardine beiseite und blickte hinaus. Anscheinend gab es noch einen großen Garten hinter dem Haus, mit einem Teich. Das würde ich mir aber erst nach dem Auspacken ansehen.

Entschlossen drehte ich mich um und verließ das Esszimmer. Erneut ging ich durch die Küche, in das Wohnzimmer und auf die andere Seite des Hauses. Dort entdeckte ich ein großes Schlafzimmer, völlig in Weiß gehalten und mit modernster Technik ausgestattet. Flachbildschirm, Stereoanlage und vieles mehr. Das war bestimmt das Schlafzimmer von Gaby und ihrem Mann? Hier würde ich bestimmt nicht schlafen.

Ich verschloss die Tür und fand tatsächlich noch ein weiteres Schlafzimmer. Es war zwar etwas kleiner, aber dennoch mit demselben Luxus. Jedes Schlafzimmer hatte ein anliegendes Badezimmer, mit Dusche oder Badewanne.

 

Augenblicklich entschied ich mich für dieses Schlafzimmer, das in einem weinroten Ton gehalten wurde. Weinrot war immer schon meine Lieblingsfarbe gewesen. Nicht nur, dass die Tapeten, Vorhänge und Tagesdecke farblich zusammenpassten, nein, auch die Badezimmerhandtücher und die Einrichtung waren farblich darauf abgestimmt. Okay, vielleicht etwas exzentrisch. Aber was machte das schon?

Inzwischen ging zurück ins Wohnzimmer, schaute noch einmal nach ob ich die Eingangstür verriegelt hatte, und brachte meinen Koffer ins weinrote Schlafzimmer. Das Bett, der Kleiderschrank, ja, sogar der Frisiertisch bestanden aus edlem weißem Holz, was sich sehr angenehm anfühlte.

Mittlerweile war ich meine Sachen am Auspacken, legte sie in den geräumigen Kleiderschrank und nahm eine ausgiebige Dusche. Nachdem ich im Wohnzimmer in einem Barfach Whisky, Wein und andere alkoholische Getränke entdeckt hatte, machte ich mich auf in den Keller.

Dort war neben einem gutbestückten Weinkeller, auch eine Vorratskammer mit weiteren Lebensmitteln. Es gab sogar einen Fitnessraum, eine Waschküche, mit Waschmaschine und Trockner. Okay, so wie es aussah, musste Gabys Oma ziemlich viel Geld gehabt haben. Hätte ich überhaupt nicht erwartet.

Ich ging nach oben ins Wohnzimmer, öffnete eine der drei Terrassentüren und betrat den Garten. Garten war wohl der falsche Ausdruck. Es war mehr eine parkähnliche Anlage, mit direktem Zugang zum nahestehenden Wald.

 

Gerade wollte ich mich über den Fischteich beugen, als ich ein Geräusch sowie eine Bewegung wahrnahm. Abrupt versteifte ich mich und guckte in die entsprechende Richtung, doch nichts war zu sehen. Seltsam, hatte ich mir das alles nur eingebildet?!

Zögernd ging ich zum Haus zurück, öffnete gerade die Terrassentür, als überraschend eine ältere Frau vor mir stand. Lautstark zuckte ich zusammen und rang hörbar nach Luft.

„Oh, das tut mir außerordentlich leid. Sie sind bestimmt Frau Jaldesie, die Ihren Urlaub hier verbringen möchte? Frau Schoranth hat mich über alles informiert. Ich werde einmal in der Woche nach dem Rechten sehen und Ihnen die Vorräte oder Sonstiges auffüllen. Haben Sie sich schon für ein Schlafzimmer entschieden, Frau Jaldesie?“

Schweigend ging ich in Richtung Küche. Verzweifelt suchte ich ein Glas, damit ich mir einen Orangensaft aus dem Kühlschrank einschütten konnte. Die Haushälterin machte automatisch eine Schranktür auf und reichte mir, wie selbstverständlich, ein Glas. Schweigend stellte ich dieses auf die Ablage, gleichzeitig schaute ich sie abwartend sowie zögernd an.

„Oh Entschuldigung, ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Ich bin Agnes Pahlus, ich wohne hier ganz in der Nähe.“ Vorsichtig reichte ich ihr die Hand. „Hallo“, mehr sagte ich nicht.

„Hallo“, erwiderte sie, wobei ein mütterliches Lächeln über ihr Gesicht ging. Sie hatte grau gewelltes Haar, eine dunkle Brille und einen außergewöhnlichen Anhänger, der an einer langen silberfarbigen Kette hing. Warum mir im Nachhinein ihre Kette so ins Auge gefallen war konnte ich noch nicht einmal sagen. Jedenfalls fand ich sie äußerst sympathisch und hatte sofort zu ihr ein wenig Vertrauen gefasst. Was ich eigentlich nicht mehr so leicht tat.

Nachdem wir beide uns einen Kaffee gemacht hatten, unterhielten wir uns über all die Dinge die ich hier benutzen konnte. Ihr Mann, Gustaf, war anscheinend für den Garten und den anliegenden Wald zuständig. „Mein Mann erledigt die meisten Einkäufe und kann Ihnen selbstverständlich alles besorgen was Sie eventuell benötigen.“

 

Erleichtert atmete ich aus und versuchte, meine innere Unruhe weitgehend in den Griff zu bekommen. Jedoch konnte ich nicht verhindern, dass ich sie unsicher ansah. Wie viel wusste sie von mir? Hatte Gaby irgendetwas über mich erzählt?

Laut räusperte ich mich, worauf ich leise sagte. „Das ist sehr nett von Ihnen, aber hauptsächlich bin ich hierhergekommen um mich zu erholen. Ich glaube, der Wald wird mir sicher genug Abwechslung bringen. Kann ich Sie irgendwo erreichen, falls etwas Unvorhersehbares vorfällt? Ich kenne ja sonst hier niemanden. Verstehen Sie meine Bedenken, Frau Pahlus?“

 

Die Frau stellte ihre Tasse in die Spülmaschine und sah mich überrascht an. „Selbstverständlich. Dies ist die Telefonnummer von unserem Zuhause und hier die Nummer von dem hiesigen Arzt. Ich meine natürlich nur, falls Sie vielleicht einmal einen brauchen. Frau Schoranth sagte mir, Sie wären eine ganze Weile im Krankenhaus gewesen und müssten umgehend wieder zu Kräften kommen. Also, wenn Sie sich nicht wohlfühlen, scheuen Sie sich nicht uns anzurufen.“ Eigentlich wollte ich etwas sagen, als man in dem Moment eine Autohupe hörte.

„Oh, das wird mein Mann sein. Ich wünsche Ihnen angenehme Tage. Wir sehen uns dann am Samstag. Auf Wiedersehen, Frau Jaldesie.“ Langsam folgte ich ihr noch bis zur Eingangstür.

„Frau Pahlus, nennen Sie mich doch bitte Miriam. Vielen Dank für Ihr Kommen und auf Wiedersehen.“ Sie winkte mir, auf dem Weg zum Auto, noch einmal zu und verschwand in einem alten, dunkelgrünen Mercedes.

Mit einem mulmigen Gefühl schaute ich ihnen nach und ging gemächlich zum Haus zurück. Als Frau Pahlus und ihr Mann verschwunden waren, rief ich Gaby an. Ich bedankte mich erst einmal für ihre Einladung und versprach ihr, mich in einer Woche spätestens bei ihr zu melden.

Jetzt war es soweit, trotz der ganzen Ablenkung. Der erste Abend allein in einem fremden Haus. Mittlerweile hatte ich mir einen bequemen Jogginganzug angezogen und lief barfuß durch das große Haus. Irgendwann entdeckte ich, in einem Schrank, einen Fernseher und setzte mich, mit einem Glas Rotwein, auf die äußerst bequeme Couch. Doch das hiesige Fernsehprogramm ließ meine Gedanken nicht zur Ruhe kommen und nach einer Weile schlief ich auf der Couch ein.