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Der neue Dr. Laurin
– 15 –

Kannst du mich noch lieben?

Daniel verliert den Glauben an sein Glück

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-012-4

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Konstantin Laurin und Daniel Huber mochten sich sofort, als sie sich zum ersten Mal begegneten. Oliver Heerfeld, der Regisseur des Films, in dem sie beide mitspielten, stellte sie einander vor. Für Daniel sollte die Arbeit an diesem Film erst jetzt beginnen, denn er hatte eine kleinere Rolle mit wenigen Drehtagen. Er spielte Konstantins älteren Bruder. Da er bereits ein vielbeschäftigter Schauspieler war, hatte die Produktionsleitung seine Drehtage zusammenlegen müssen, sieben waren vorgesehen.

Die Dreharbeiten hatten schon vor Wochen begonnen, Konstantin, der die Hauptrolle spielte, war von Anfang an dabei gewesen. Deshalb übernahm er es jetzt, Daniel herumzuführen und ihm die Fragen zu beantworten, die dieser hatte.

»Und du?«, fragte Daniel schließlich. »Wie gefällt es dir beim Film? Du gehst doch noch zur Schule, oder?«

»Ich habe noch zweieinhalb Jahre bis zum Abitur.«

»Das willst du noch machen?«

»Ja, will ich, aber ich muss auch. Meine Eltern hätten mich sonst diesen Film nicht machen lassen, und ohne ihre Zustimmung ging es ja nicht.«

»Verstehe.«

»Ich … ich wollte eigentlich Medizin studieren, zusammen mit meiner Zwillingsschwester. Unsere Eltern sind beide Ärzte.«

»Sie waren natürlich entsetzt, als du ihnen gesagt hast, dass du sich deine Pläne geändert haben.«

»Ich glaube schon, obwohl sie sich sehr bemüht haben, sich das nicht anmerken zu lassen. Sie machen sich Sorgen um mich.«

»War bei meinen Eltern auch so, mittlerweile sagen sie nichts mehr, weil ich gut im Geschäft bin. Wir haben nie viel Geld zuhause gehabt, mein Vater hat vor zwei Jahren seine Arbeit verloren, das war echt hart. Jetzt hat er wieder einen Job, aber der Schreck sitzt ihm und meiner Mutter immer noch in den Knochen, sie haben in der Zeit Schulden machen müssen, ich habe nämlich noch vier Geschwister. Aber jetzt kann ich sie unterstützen, auch wenn sie das eigentlich nicht wollen. Aber es ist natürlich eine große Erleichterung, dass man nicht mehr jeden Euro umdrehen muss, bevor man ihn ausgibt. Jedenfalls: Ich habe die Schule mit sechzehn verlassen und seitdem pausenlos gedreht.«

Daniel war zehn Jahre älter als Konstantin, sah aber deutlich jünger aus. Im Film spielte er einen Zweiundzwanzigjährigen. Er hatte fast für jede seiner Rollen gute Kritiken bekommen und bereits mehrere Preise gewonnen. Konstantin und er sahen sich sogar ein bisschen ähnlich, wahrscheinlich hatte das bei der Besetzung auch eine Rolle gespielt.

»Wie ist die Arbeit mit Oliver?«, fragte Daniel. »Ich kenne ihn bisher nicht, aber ich habe natürlich seinen ersten Film gesehen und habe mir danach gewünscht, einmal mit ihm zu arbeiten.«

»Ich hatte es am Anfang sehr schwer«, erwiderte Konstantin freimütig. »Ich war wie gelähmt, plötzlich konnte ich nichts mehr von dem, was mir bis dahin leichtgefallen war. Alle dachten, dass ich eine totale Fehlbesetzung bin – ich dachte das auch. Aber dann hatte ich ein langes Gespräch mit meinem jüngeren Bruder, der mich daran erinnert hat, wie ich mich auf der Bühne gefühlt habe, und ich habe mit Oliver gesprochen und ihm gesagt, was mit mir los ist. Ich war starr vor Angst, alles falsch zu machen, zumal ich gemerkt habe, dass er mich schont. Er hat mich nicht hart kritisiert, aus Angst, es dadurch noch schlimmer zu machen. Aber nachdem wir uns ausgesprochen hatten, wurde es besser. Nicht schlagartig, aber Stück für Stück.«

»Die meisten Schauspieler, die ich kenne, haben Angst, besonders zu Beginn von Dreharbeiten«, erwiderte Daniel. »Das war bei mir nicht anders. Über dich wird außerdem viel geredet, das erhöht den Druck bestimmt auch.«

»Über mich?«, fragte Konstantin überrascht. »Wieso denn? Mich kennt doch überhaupt niemand.«

»In der Branche wird viel geredet, gewöhn dich besser frühzeitig daran. Du bist das neue große Talent, auf das jetzt alle gespannt sind. Ich war das auch mal, und ich gebe dir den guten Rat: Achte nicht drauf. Es macht dich nur verrückt.« Daniel unterbrach sich. »Wenn du das noch nicht wusstest, hätte ich es dir wohl besser nicht erzählt.«

»Ich vergesse es wieder«, erklärte Konstantin. »Ich bin sowieso nicht der Typ, der rund um die Uhr im Rampenlicht stehen möchte. Bei meiner Schultheatergruppe fand ich den Moment, wenn der Vorhang fiel und der Beifall aufbrandete, immer ganz toll. Ich habe mich auch gern verbeugt und mich ein bisschen feiern lassen, aber danach wollte ich meine Ruhe haben. Das ist jetzt immer noch so. Rummel um meine Person gefällt mir nicht.«

»Da sind wir uns ähnlich, aber die meisten Schauspieler sind anders. Wer ist übrigens die Frau da drüben? Die vor dem Wohnwagen steht und uns nicht aus den Augen lässt?«

»Das ist Mara Tobler, die Schwester unseres Regieassistenten Sven Tobler – und meine Lehrerin.«

»Deine Lehrerin?«

»Ja, ich werde in den Drehpausen unterrichtet, und ich muss sagen, sie nimmt mich ganz schön ran.«

»Sie sieht viel zu jung aus für eine Lehrerin«, stellte Daniel fest.

Konstantin musste lachen. »Das sagst ausgerechnet du! Du könntest immer noch Teenager spielen, das würde dir jeder abnehmen.«

»Hör bloß damit auf, du ahnst nicht, wie mich das nervt. Ich kriege nämlich mehr Jugendlichen- als Erwachsenenrollen angeboten, dabei sage ich es in jedem Interview, dass ich allmählich gerne das Fach wechseln würde. Aber niemand scheint Interviews zu lesen, jedenfalls bieten mir die Regisseure immer noch die gleichen Rollen an wie vor fünf Jahren.«

»Mara wartet auf mich, ich glaube, sie wird allmählich ungeduldig«, sagte Konstantin. »Ich habe ihr gesagt, dass ich dich begrüßen und etwas mit dir reden will und dann brav zurückkomme – jetzt bin ich doch länger weggeblieben als geplant.«

»Du meinst, sie schimpft dich jetzt aus?«

»Kann schon sein. Komm mit, das stimmt sie vielleicht gnädig, dann stelle ich dich ihr auch gleich noch vor.«

Daniel nickte zustimmend, und so standen sie wenig später vor Mara Tobler, die Konstantin in der Tat mit einem strafenden Blick bedachte. »Du hast von zehn Minuten gesprochen«, bemerkte sie. »Aber jetzt warst du länger als eine halbe Stunde weg. So geht das nicht, Konny, wir haben viel Stoff durchzugehen.«

»Tut mir leid«, sagte Konstantin. »Darf ich dir Daniel Huber vorstellen? Er spielt im Film meinen großen Bruder. Daniel, das ist Mara Tobler, meine Lehrerin während der Dreharbeiten.«

»Ihr könntet tatsächlich Brüder sein«, erwiderte Mara überraschend. »Freut mich, dich kennenzulernen, Daniel. Aber halte dich in den nächsten Tagen bitte von Konny fern, wenn er nicht drehen muss. Wir haben echt viel zu tun.«

»Du bist echt streng«, stellte Daniel fest. »Wann seid ihr denn fertig mit der Schule?«

»Noch längst nicht«, teilte Mara ihm mit, dann scheuchte sie Konstantin in den Wohnwagen, folgte ihm, lächelte Daniel noch einmal höflich, aber sehr distanziert zu und schloss die Tür hinter sich.

Er blieb noch einen Moment stehen. So gleichgültig hatte schon lange keine Frau mehr auf ihn reagiert, dabei wurden seine Fans geradezu hysterisch, wenn sie ihn auf der Straße erkannten. Er fand das wahlweise lächerlich oder peinlich, es gelang ihm nur selten, locker damit umzugehen. Aber bei dieser jungen Frau hätte es ihm gefallen, wenn sie wenigstens ein bisschen beeindruckt gewesen wäre, den bekannten Schauspieler Daniel Huber kennenzulernen.

Na ja, als Schwester eines Regieassistenten hatte sie vermutlich ständig mit deutlich prominenteren Leuten zu tun … Er musste über sich selbst und seine Inkonsequenz lachen. Was war denn in ihn gefahren? Endlich einmal reagierte eine Frau gelassen auf ihn, und dann war es ihm auch wieder nicht recht! Dabei war das doch genau das, was er sich angeblich immer wünschte.

Noch immer über sich selbst den Kopf schüttelnd, wandte er sich ab und machte sich auf die Suche nach Oliver Heerfeld. Die Drehpause war sicher bald zu Ende, er würde am späten Nachmittag seine erste kleine Szene drehen. Besser also, er fing an, sich darauf vorzubereiten.

*

»Ich kann ihn keinen Moment aus den Augen lassen, Frau Doktor«, sagte Svenja Mauritz. Die fünfundzwanzigjährige Verkäuferin zog ihren Sohn Nico alleine groß und war, wie alle Mütter in ihrer Situation, ständig erschöpft. Zudem plagten sie Geldsorgen.

Im Augenblick freilich war Nico vorne bei Carolin Suder. Die junge Frau hatte für Antonia Laurin und ihre Kollegin Maxi Böhler die Praxisorganisation übernommen, während sie an ihrer Masterarbeit schrieb, und bis jetzt war noch kein Geschrei bis ins Sprechzimmer gedrungen. Carolin war nicht nur klug und umsichtig, sondern auch ein Wunder im Umgang mit Kindern. Offenbar war es ihr gelungen, den wilden Nico zu beschäftigen, so dass seine Mutter in Ruhe ihr Gespräch führen konnte.

Antonia Laurin war recht gut im Bilde über die Situation von Nicos Mutter, denn die trug das Herz auf der Zunge. Zudem empfand sie große Zuneigung zur Kinderärztin ihres Sohnes, und so wusste Antonia schon nach drei Praxisbesuchen, was in Svenjas Leben bislang schiefgelaufen war und was immer noch nicht so lief, wie sie es sich wünschte.

Es störte Antonia nicht, im Gegenteil, so konnte sie sich die Umstände, unter denen der kleine Nico aufwuchs, gut vorstellen, und sie ahnte auch, warum der Junge so nervös war und Schwierigkeiten hatte, sich in eine Gruppe einzufügen. Er fiel im Kindergarten ständig unangenehm auf, weil er andere Kinder anrempelte oder ihnen ihr Spielzeug wegnahm. Er konnte nicht stillsitzen, und ständig forderte er Aufmerksamkeit.

»Er hat ja schon die Kita wechseln müssen«, fuhr Svenja fort, während sie sich nervös das blonde Haare aus dem Gesicht strich. »Und jetzt drohen sie mir schon wieder, dass sie ihn nicht behalten können, wenn er sich nicht endlich anpasst. Sie sagen, ich soll es mal mit diesen Tabletten versuchen, die würden ihn ruhiger machen.«

Antonia hielt nichts davon, Kinder mit Medikamenten ruhig zu stellen, und das sagte sie der jungen Mutter auch. »Sie haben mir doch neulich erzählt, dass er ein berühmter Fußballspieler werden will, Frau Mauritz«, sagte sie.

»Ja, klar, das wollen doch fast alle kleinen Jungs – oder nicht?«

»Melden Sie ihn in einem Sportverein an und lassen Sie ihn sich dort austoben«, sagte Antonia.

»Mit fünf?«

»Ja, natürlich. Dort werden sie schon herausfinden, was ihm besonders liegt – ob Fußball oder etwas anderes. Vielleicht würde er auch gern schwimmen. Oder rennen. Oder turnen. Finden Sie es heraus. Ich verstehe, dass Sie Ihre Ruhe haben wollen, wenn Sie müde nach Hause kommen, aber Nico braucht das Gegenteil. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Er sitzt zu oft vor dem Fernseher, das sieht man ihm mittlerweile auch an.«

Svenja Mauritz hätte nicht erschrockener sein können. »Sie finden auch, dass er zu dick ist? Das hat neulich schon eine Erzieherin gesagt. Ich mag so klapperdürre Kinder nicht, deshalb …« Sie stockte. »Na ja, von klapperdürr ist Nico weit entfernt, das stimmt schon. Also, bis jetzt fand ich ihn eigentlich nicht zu dick, aber etwas weniger Gewicht könnte er haben.«

Antonia stimmte ihr mit einem Lächeln zu. Svenja Mauritz war klug, nur war ihr Alltag so anstrengend, dass sie manchmal Wichtiges und Unwichtiges nicht mehr unterscheiden konnte. Eine junge Frau in ihrer Situation war natürlich mit einem anstrengenden Arbeitsalltag, einem anstrengenden Kind und chronischer Geldknappheit dauerhaft im Stress, ohne dass eine Besserung ihrer Lage in Sicht gewesen wäre.