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Peter Creutzfeldt

(Selbst-)Führen
in der Arbeitswelt 4.0

Coaching und Achtsamkeit
als Erfolgskompetenzen im Digitalchaos

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Copyright: FAZIT Communication GmbH

Umschlag: Julia Desch, Frankfurt am Main

1. Auflage, Frankfurt am Main 2018

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

(Selbst-)Führen in der Arbeitswelt 4.0. – Vorrede des Autors

Vorwort

I.Ausgangssituation

I. 1Being Digital

Eine Revolution

Die digitale Transformation

I. 2Was kommt auf den Einzelnen zu?

Welche Jobs stehen auf dem Spiel und welche neuen Jobs könnten entstehen?

Zur Rolle der Führungskraft im Wandel

Was Mitarbeiter fordern, passt zur modernen Führung …

… aber die Umsetzung lockt uns aus der Komfortzone

So erleben Mitarbeiter die Digitalisierung heute

I. 3Keine Utopie! Was heute bereits bei GE & Co. passiert

Die Bahn – bedroht von der digitalen Revolution?

„The Digital Industrial Company“ – wie der Gigant General Electric die digitale Transformation angeht

Die Sicht eines Forschers für Strategie und Management

Schneller als die Formel 1

Beidhändige Führung

Die kreative Kraft des Konflikts

Best Practice Beispiel Haufe Group

I. 4Skepsis-Test für Leser, die immer noch glauben, das hätte nichts mit ihnen zu tun

Wo die Digitalisierung heute schon greift: einige Beispiele

I. 5Die voraussichtlichen Veränderungen in der Arbeitswelt

Alles wird schneller

Die Digitalisierung ist hier und heute erfolgreich!

Wie führt man die Digital Natives?

Was passiert, wenn wir nicht mehr nach Arbeitszeit bezahlt werden?

Was außer Menschen und Immobilien wird eigentlich nicht digital?

Welche Rolle könnte die lernende Intelligenz konkret im Büro haben?

Werden Führungskräfte demnächst überflüssig?

Wo stehen wir in dem Kontext?

In Kürze

II.Der Mensch mittendrin – was löst die digitale Transformation in uns aus?

II. 1Brücke oder Graben? Unsere Einstellung bestimmt unseren Umgang mit der Welt

Sich der Bilder im Kopf bewusst werden

Unsere Haltung wird schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung

II. 2VUKA – Herausforderung für unser Gehirn

„Ein Führerschein für das Hirn” – Gastbeitrag von Professor Paul Brown

Learnings für unser Buch

II. 3Unsere natürlichen Reaktionen sind oft kontraproduktiv

Die „Leitern der Selbsterfüllung“

Typische Reflexe im Denken, Handeln und Fühlen

In Kürze

III.Lösungen

III. 1 Den Wandel begrüßen: wertschätzende Akzeptanz entwickeln

Wie lernt man eigentlich eine innere Einstellung oder einen „Mindset“?

Mindfulness (Achtsamkeit) als Schlüsselkompetenz in der Arbeitswelt 4.0

„Selbstcoaching“ als Schlüssel

In Kürze

III. 2 Die „Mindful Digital Company“

Das Unternehmen als Organismus: Jeder muss seinen Beitrag leisten

Die Rolle der Führungskraft im Zeitalter der Arbeitswelt 4.0

Vertrauen als Kern

Leadership „Agility“: Sicht eines Coachs

Kernkompetenz für Führungskräfte: eine „Coaching-Haltung“

In Stärken vertrauen heißt nicht blind glauben, dass Menschen alles können

Kernkompetenz für Führungskräfte: Mindfulness

Achtsamkeit, um Herausforderungen als Führungskraft zu meistern

Was heißt eigentlich „Selbstorganisation“?

Reinventing Organisations: ein Ansatz in der Entstehung

Weitere interessante Ideen zur Frage einer zukünftigen Zusammenarbeit: Lernfähigkeit und Kreativität über einen Schritt aus der Komfortzone heraus

Weitere interessante Ideen zur Frage einer zukünftigen Zusammenarbeit: kreativen Dissens fördern

Resumee zur Führung in der Zukunft

In Kürze

IV.Das Praxishandbuch

IV. 1„Crashkurs“ Coaching: Wie eine Führungskraft die Coaching-Haltung umsetzen kann

Was ist Coaching?

Verhalten folgt Haltung oder umgekehrt?

Warum die Führungskraft nie ein Coach der eigenen Mitarbeiter werden kann

Führung in der Coaching-Haltung

Abschied von der Idee der Schwächen als Entwicklungsfelder

Mindfulness als Kernkompetenz für die Coaching-Haltung

Der einfachste Prozess: von hinten anfangen

Ein kraftvolles Ziel formulieren

Hilfreiche Fragetechniken

Weitere wertvolle Kompetenzen für die Coaching-Haltung

Persönliche Selbsteinschätzung Coaching-Haltung

Coaching: Ihr persönlicher Plan zur Umsetzung

Mindful Coaching: eine Idee

In Kürze

IV. 2 Crashkurs Selbstcoaching: Wie Sie sich in der Arbeitswelt 4.0 selbst „führen“ können

Was ist Selbstcoaching?

Eine Coaching-Haltung in Bezug auf sich selbst entwickeln

Wie coacht man sich selbst?

Das begrenzende Muster als „Teilaspekt”

Techniken des Selbstcoaching

Selbstcoaching: eine Frage der inneren Haltung

Reflektion der eigenen Stärken und Talente

Persönliche Einschätzung der eigenen begrenzenden Muster

Sich von der Dominanz begrenzender Muster befreien

Energiebalance

Selbstcoaching: Ihr persönlicher Plan zur Umsetzung

In Kürze

IV. 3 Crashkurs Achtsamkeit

Mindfulness kultivieren und üben

Erste Schritte: mit dem Körper beginnen, ist leicht

Entmystifizierung

Prinzipien, die Sie bei der Übung im Kopf behalten sollten

Vier Übungsschritte von Mindfulness

Achtsamkeit des Körpers: weitere Techniken

Mindfulness in den Alltag integrieren

Mindfulness in Handlungen integrieren

Weiterführende Empfehlungen

Achtsame Beziehungen

Die achtsame Arbeitswelt 4.0

In Kürze

Literaturverzeichnis

Der Autor

(Selbst-)Führen in der Arbeitswelt 4.0

Vorrede des Autors

Es war in einem Frankfurter Café, als ich mit meiner Verlegerin Gedanken über ein neues Buchprojekt austauschte. Wir kamen sehr schnell auf die Themen Digitalisierung und Achtsamkeit, da mich deren Verknüpfung immer mehr in meiner Arbeit als Coach beschäftigt. Gerade das Führen bzw. Leadership in der durch Digitalisierung „disruptierten“ neuen Arbeitswelt (4.0) ist bereits in einigen Büchern Thema – allerdings meist in Verbindung mit Theorien und Geschäftsmodellen. Doch wir stellten uns bei einem Milchkaffee die Fragen, wie die einzelne Führungskraft ihre Mitarbeiter in Zukunft so führen kann, damit diese ihr Bestes geben (können), und wie der Einzelne sich selbst so „führen“ oder „coachen“ kann, um in einer Zeit extremen Umbruchs, radikaler Veränderungen und Anforderungen, nicht auf der Strecke zu bleiben. Gerade mit Blick auf das Wegbrechen ganzer Berufszweige – wie etwa Bürokräfte inklusive einiger hochbezahlter Jobs wie Junior Consultants sowie Lagerkräfte und langfristig auch Taxi- und LKW-Fahrer – scheint jeder Job auf dem Prüfstand, womit wir bei einem Thema sind, das wirklich jeden von uns betrifft. Da die Digitalisierung in der radikalen Form, wie ich sie für dieses Buch recherchiert habe, gerade beginnt, war dieses Projekt für mich ein echtes Abenteuer. Die digitale Revolution ist schließlich für uns alle neu.

Dieses Buch ist durch drei Aspekte des „Crowdsourcing“ (um mir einen Begriff aus der Digitalisierung zu borgen, der bedeutet, dass ein Werk nicht nur von einer Person, sondern von einer Menge von Menschen geschaffen wurde) ganz besonders aufgewertet worden: Allen voran möchte ich die Experten, Vordenker und Betroffenen aus Wirtschaft und Wissenschaft hervorheben, die sich mir für intensive Gespräche zur Verfügung gestellt und damit ganz besonders geholfen haben, die Perspektive des Buchs entscheidend zu erweitern: Prof. Dr.-Ing. Guido Baltes, Direktor des IST Instituts für Strategische Innovation und Technologiemanagement an der Hochschule Konstanz, Dr. Carlos Härtel, Direktor des europäischen Forschungszentrums von GE und CTO für GE in Europa, Bill Joiner, Gründer und CEO von ChangeWize in den USA, Hans-Peter Kleitsch, Senior Vice President HR bei der MTU Aeroengines, Franz Kühmayer vom Zukunftsinstitut, Markus Reithwiesner, CEO der Haufe Group und Petra Tengel von DB Training Learning & Consulting.

Ebenso entscheidend ist der Gastbeitrag des Hirnforschers Paul Brown, da ich für dieses Fachgebiet einen Experten seines Kalibers brauchte. Wie können wir uns selbst verstehen, ohne unser Gehirn zu verstehen? Vielen Dank, Paul, für die kollaborative und unterstützende Haltung und für die Sensitivität, den Ansatz und den Bedarf des Buchs so klar zu verstehen!

Und letztlich danke ich drei Menschen, die mich im kreativen Prozess begleitet haben und ohne deren kritisch-wertschätzende Fragen, ihr Feedback und ihre Empfehlungen das Buch noch im „Fail Fast“-Stadium (um mir einen weiteren Modebegriff aus dem Zeitalter der Digitalisierung zu borgen, der so viel sagt wie: das Produkt so schnell wie möglich in einer Form produzieren, in der wir bereits Feedback vom Kunden erhalten können, es aber mit Sicherheit noch nicht für den ganzen Markt reif ist) wäre: Dr. Sören Fischer, Manfred Fleckenstein und Frank Ostoff.

Wenn Sie mich besser kennenlernen möchten, empfehle ich Ihnen einen Besuch meiner Website www.workinginthezone.com/de.

Vorwort

Welche Bilder und Gefühle entstehen bei der Vorstellung der Arbeitswelt im Jahr 2025 in Ihrem Kopf? Stellen Sie sich menschenleere Produktionshallen vor? Massenweise entlassene Manager in langen Schlangen bei der Agentur für Arbeit? Computer (fast unsichtbar, da sie jetzt so klein sind), die Projekte und die Leistung der Mitarbeiter managen? Vielleicht sogar menschenleere Bürogebäude? Wo nur noch der Vorstand und die „digitalen Assistenten“ zusammenarbeiten und Entscheidungen fällen, die dann von Armeen von Robotern und Software umgesetzt werden? Treibt Ihnen schon die Vorstellung davon den Angstschweiß auf die Stirn? Haben Sie angefangen, für den Fall zu sparen, dass sie dann keine Arbeit mehr finden? Sind Sie eher jemand, der sagt: „Das ist doch alles Quatsch, es wird alles nicht so schlimm, ohne Menschen können die Unternehmen auch in der Zukunft nicht zurechtkommen, das haben sich alles irgendwelche irren Berater ausgedacht?“ Geht Ihnen all das „Geschwätz“ um die „neue Arbeit“ auf den Wecker? Finden Sie, dass wir uns mal wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren und unsere Arbeit tun sollten, anstatt dauernd vor Utopien zu zittern? Oder tendieren Sie eher dazu, fasziniert und neugierig auf diese große Wandlung zu schauen, kaufen sich immer die neuesten Gadgets und jede Woche die passenden Tech-Magazine? Stoßen Sie sogar selbst bei Ihren Kollegen und Vorgesetzten Diskussionen über eine eigene „digitale Strategie“ für das Unternehmen an?

Eins vorweg: Ich bin selbst kein Digital Native. Ich weiß über die Technologie wahrscheinlich nicht viel mehr als mein durchschnittlicher Leser – die Recherche zum Thema war daher ein spannender Lernprozess. So habe ich mir etwa die Fähigkeit des Menschen vorgenommen, die Zukunft zu prognostizieren, und festgestellt, dass wir nicht gerade gut abschneiden. Sogar die Experten eines US-Tech-Giganten wie IBM lagen meilenweit daneben, als sie 1943 einen weltweiten Bedarf an Computern von fünf Stück vorhersagten; auch in den 1980er Jahren gaben sie für den frisch entwickelten Personal Computer einen weltweiten Marktbedarf von lediglich 300.000 an. Über die Prognosen für den Aktienmarkt brauchen wir gar nicht zu sprechen. Und selbst unsere Wirtschaftsweisen korrigieren manchmal während des laufenden Jahres ihre Prognosen um Werte, die übersetzt schon mal eine Anpassung von 50% bedeuten (wenn etwa das Wachstum von einem halben Prozentpunkt auf einen viertel Prozentpunkt reduziert wird, umgekehrt ist es sogar eine Verdoppelung). Nun sind Dinge wie das Wirtschaftswachstum natürlich komplex und es gibt Unwägbarkeiten, die nicht vorhersehbar sind. Je komplexer das Vorhaben, desto schwerer die Vorhersage. Und das lässt sich für das Thema digitalisierte Welt mit Sicherheit mehrfach unterstreichen. Vorhersagen sind aus diesem Grund extrem schwer zu treffen, und auf zehn Jahre wohl schier unmöglich. Ich habe keine Illusionen, irgendeinen Beitrag in diese Richtung zu leisten. Und doch gibt es einige Faktoren, die erstaunlich konsistent vorhergesagt wurden, allen voran die Entwicklung von Computern im Sinne des Mooreschen Gesetzes. Es besagt, dass sich die Anzahl an Transistoren, die auf einen Mikrochip passen, alle zwei Jahre verdoppelt. Wenn diese Regel sich auch nur noch einige Jahre bewahrheitet, wird die Digitalisierung schlicht unvorstellbare Dimensionen annehmen.

Aber gerade deshalb finde ich das Thema umso spannender! Und daher interessiert es mich persönlich, was diejenigen, die am wahrscheinlichsten die Trends mitprägen werden, dazu sagen. Deshalb habe ich mich mit einigen von ihnen zum Thema unterhalten, um sie hier zu Wort kommen zu lassen. Mich, der den Menschen im Fokus seiner Arbeit sieht, interessiert insbesondere auch, was nun diese unsichere, volatile Situation in uns auslöst, wie sie sich auf unsere Leistung, auf unsere Potentiale, unser Verhalten und letztendlich auf die Arbeit unseres Gehirns auswirkt. Denn unter solchen VUKA-Umständen ganz cool das Beste aus sich selbst rauszuholen wäre fast übermenschlich. Deshalb sind das Anliegen und der Anspruch dieses Buchs, gemeinsam mit dem Leser zu reflektieren, welche Reaktionen natürlich sind, wie diese natürlichen Reaktionen unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit einschränken können und was Sie aus eigener Kraft tun können, um in eine Haltung zu kommen, die Ihnen Kraft, die Klarheit und die Einsicht gibt, sich mit allen „PS“ mutig auf die Brücke zwischen alter und neuer (Arbeits-)Welt zu begeben und Ihren Weg nach „drüben“ zu finden. Auch darüber habe ich mit namhaften Wissenschaftlern und Experten gesprochen.

Im ersten Teil des Buchs beschreibe ich die derzeitigen Rahmenbedingungen und lasse Experten, Vordenker und Führungskräfte zu Wort kommen, deren Sicht Sie lesen sollten, wenn Sie den Kontext beurteilen können wollen. Hier erfahren Sie auch, was manche Unternehmen konkret im Bereich der Digitalisierung und der Transformation in eine andere Form, miteinander zu arbeiten, bereits tun. In Teil II werfen wir einen tieferen Blick in die Mechanismen, die ein solches Umfeld bei uns Menschen ganz natürlicherweise auslöst, um dann im dritten Teil Lösungen anzubieten. Bei diesen Lösungen geht es nicht um digitale Geschäftsmodelle oder technologische Strategien, und nur ganz am Rande um Organisationsmodelle. Vielmehr geht es mir schwerpunktmäßig darum, Ihnen Ideen anzubieten, wie Sie sich als Einzelner oder auch als Manager eines Teams oder eines Unternehmens ein- und umstellen können.

Den Kern der Lösung, die ich anbiete, nenne ich „Coaching“. Das ist ebenso wenig im Sinne eines Sport-Trainers zu verstehen wie im Sinne eines professionellen Business-Coachs, der als externer Berater Führungskräfte oder Teams unterstützt. Ich bin davon überzeugt, dass sich Führungskräfte in der Wirtschaft neu, aber nicht komplett neu erfinden werden: erstaunlicherweise werden sie eben nicht ausschließlich mit Robotern und mit Software kommunizieren, sondern sie werden sogar mehr als heute mit Menschen sprechen – doch auch dies in einer überarbeiteten Rolle: nicht mehr in einer klar definierten Hierarchie, in der Entscheidungen und Informationen auf- und ab-„kaskadiert“ werden. Führungskräfte werden genau das verstärkt machen, was Menschen eben besser können als Maschinen. Und dafür ist eine „Coaching-Haltung“ eine unbezahlbare Kompetenz. Was genau ich unter einer „Coaching-Haltung“ verstehe, erfahren Sie in Teil III. Nicht nur Führungskräfte können das mit ihren Mitarbeitenden und Stakeholdern umsetzen, sondern wir alle können diesen Ansatz und diese Werkzeuge nutzen, um uns selbst zu „coachen“.

Damit Sie nicht nur wissen, was Coaching ist und wie ich mir das in der Umsetzung vorstelle, sondern Sie selbst auch lernen können, wie das in der Praxis funktioniert, gibt es Teil IV: das „Praxishandbuch“. Hier können Sie die einzelnen Techniken lernen, Selbsteinschätzungen vornehmen und konkrete Umsetzungspläne machen. Eine Coaching-Haltung lässt sich wunderbar mithilfe von Achtsamkeitstraining lernen, da Mindfulness (Achtsamkeit) ein radikaler Bruch mit unserem „normalen“ Kommunikations- und Denkstil ist. Achtsamkeit ist zudem aus meiner Sicht die zweite Kernkompetenz, die Sie auf der Brücke zwischen der alten und neuen Welt brauchen. Achtsamkeit hilft uns, die eigenen Mechanismen zu beobachten, die uns im Denken, Fühlen und Handeln immer wieder in automatischen Mustern – auf „Autopilot“ – halten. Sie hilft uns, zu diesen Mustern die nötige Distanz aufzubauen, die wir brauchen, um uns aus dem Automatismus zu lösen, und gibt uns letztlich die Flexibilität, um dann, wenn es darauf ankommt, neue Handlungsalternativen entwickeln zu können. Deshalb erhalten Sie auch hierzu einen „Crashkurs“, denn ich möchte Sie auch damit ein Stück weit für Ihre Praxis ausrüsten. Wenn Sie während der Lektüre der ersten drei Teile die Begriffe „Mindfulness“ oder „Coaching-Haltung“ so neugierig machen, dass Sie es nicht mehr aushalten, dann springen Sie auch gern mal zum Teil IV und schnuppern in einige der praktischen Übungen hinein, um dann wieder zu mehr theoretischer Diskussion zurückzukehren. Übrigens, „Mindfulness“ und „Achtsamkeit“ verwende ich austauschbar. Lassen Sie sich aber nicht in die Irre führen, denn „Sei achtsam“, sagt man einem Kind, wenn es eine Straße überquert. In diesem Buchkontext ist allerdings eine andere Bedeutung, eine andere Qualität von Aufmerksamkeit gemeint. Daher hilft mir der englische Begriff, eine neue Bedeutung zu prägen, der für uns Deutschsprachige meist neu ist.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis auf die Art, für die ich mich entschieden habe, um mit dem Thema Geschlechter sprachlich umzugehen. Ich habe im Interesse der Lesbarkeit darauf verzichtet, jedes Mal die weibliche und männliche Form einer Begrifflichkeit zu verwenden, auch wenn ich mich mit der größtmöglichen Wertschätzung immer stellvertretend auf beide Geschlechter gleichbedeutend beziehen möchte. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Viel Spaß beim Lesen und auf der Reise in die „neue Welt“!

I.Ausgangssituation

I. 1Being Digital

Im Jahr 1996 war ich auf der Multimedia-Messe in Cannes in Südfrankreich – Milia hieß sie damals. Ich war seinerzeit bei uns im Unternehmen für den Verlag und die internationalen Urheberrechte zuständig. Damals sprach man noch darüber, wie man ein Kartenset auf eine CD-ROM oder eine CDI (CD Interactive) bringen könnte, wie Autoren für interaktive Medien schreiben könnten, und man diskutierte, ob das World Wide Web ein vorübergehender Modetrend sei oder Bestand haben könnte. Die Eröffnungs-Keynote, an die ich mich bestens erinnern kann, kam von einem US-Amerikaner namens Nicholas Negroponte, der das MIT Media Lab mitbegründet hatte. Der Titel des Vortrags war wie der des Buchs, das ich gerade von ihm gelesen hatte: „Being Digital“. Von in unserer Kleidung integrierten Computern und 100 %iger digitaler Währung sprach er.

Fast forward nach 2017: „History repeats itself“, sagt man ja, und tatsächlich geht es heute wieder um „Being Digital“, und darum, ob das jüngste Derivat des Internets (das „Internet der Dinge“) und die daraus entstehenden Konsequenzen (Industrie 4.0), die Gesellschaft und die Arbeit wirklich so tief durchdringen werden, wie es aus dem Silicon Valley verlautet. Diskussionen um Massenarbeitslosigkeit oder um feste Grundeinkommen, weil wir nicht mehr arbeiten müssen (da Maschinen uns für die Wertschöpfungskette reichen) heizen die Spekulationen an. Wenn Arbeit nicht ganz wegfällt, wird sie sich in jedem Fall radikal verändern, heißt es. Aus meiner Sicht ist es aber nicht eine „Wiederholung“ der Geschichte, sondern eine Fortsetzung. Negroponte war seiner Zeit voraus, da die Mehrheit der Bevölkerung einfach nicht „am eigenen Leib gespürt“ hat, wie stark sich die Welt in Richtung Being Digital bewegt. Die Digitalisierung ist bisher mehr oder weniger am Rande verlaufen. Das scheint sich aber jetzt zu ändern. Sie wird bis in den letzten Winkel unseres Lebens eindringen.

Eine Revolution

Markus Reithwiesner, CEO der Haufe Group, die den von der Wirtschaftswoche und der Telekom gemeinsam ausgeschriebenen „Digital Champions Award für den Mittelstand“ gewonnen hat, stellt eine faszinierende Perspektive dar, was da noch auf uns zukommen könnte: „Die Digitale Revolution wird grundsätzlicher und brutaler sein als die Industrielle Revolution. Die Transformation wird mit extrem hoher Veränderungsgeschwindigkeit weitergehen. Und durch diese enorme Geschwindigkeit werden irgendwann selbst die sogenannten ‚Digital Natives‘ feststellen, dass sie das Land, in dem sie geboren sind, nicht mehr verstehen. Wo geht es hin? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Reise gerade eben erst begonnen hat. In der Analogie zur Industriellen Revolution haben wir gerade mal die erste Dampfmaschine Funken sprühen sehen.“

Um sich vorstellen zu können, was das im Bereich von Rechenkapazitäten von Computern bedeuten könnte, kann man einen Blick auf das schon erwähnte Mooresche Gesetz werfen, das auf Gordon Moore, Mitgründer der Firma Intel, zurückgeht. Seit 1965 bewahrheitet sich dieses „Mooresche Gesetz“. Wenn es nur zehn Jahre weiterhin Gültigkeit behält, wird die Computing Power im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar groß werden. In den letzten 52 Jahren hat sie sich etwa 26 Mal verdoppelt. In zehn Jahren wären es weitere fünf Mal. Um sich das anschaulich zu machen, stellen Sie sich bitte ein Schachbrett vor. Es hat für jeden Spieler 32 Felder, also eins mehr als die 31 Verdoppelungen, von denen wir sprechen. Jetzt stellen Sie sich vor, dass auf dem ersten Schachfeld ein Reiskorn liegt, auf dem zweiten zwei, auf dem dritten vier, und die Verdoppelung immer so weitergeht, bis zum 31. Feld. Wie viele Reiskörner liegen nach Ihrer Schätzung auf dem 31. Feld? Nach fünf Feldern sind es 32, nach zehn sind es 1.024, nach 20 sind es 1.048.576, nach 30 Feldern sind es über eine Milliarde und nach 31 über zwei Milliarden. Wir stehen heute auf dem 26. Feld bei 67.108.864. Innerhalb von zehn Jahren würde alle bisher dagewesene Rechenleistung um das 30fache übertroffen.

Die digitale Transformation

Das Mooresche Gesetz ist ein zentraler Faktor in der digitalen Transformation. Aber um die derzeit diskutierten Konsequenzen der Digitalisierung umzusetzen, bedarf es mehr als nur Computer. Eines der Schlagworte ist das „Internet der Dinge“: nicht nur Computer und Smartphones sind über das Internet vernetzt, sondern auch Geräte, die bisher nicht mit Internet assoziiert waren: Wir kennen es schon von Heizungssystemen, die sich über Apps steuern lassen, oder von Autos, die ihre (Verkehrs-)Daten teilweise aus dem Internet beziehen (oder, wie bei Uber, dem Kunden über das Internet verfügbar gemacht werden). Es können aber auch Kleidungsstücke sein oder Inventare, Operationssäle, Turbinen oder Kühlschränke, die zu unterschiedlichen Zwecken wie der Gesundheit, einem effizienten Management, einem Zusammenführen hochspezialisierter Expertise, einer vorausschauenden Instandhaltung oder einfach der Bequemlichkeit dienen. Das Internet der Dinge braucht zu seiner globalen Implementierung den Kommunikationsstandard LTE 5, die neueste Generation des Mobilfunks, damit so viele Daten so schnell wie benötigt übertragen werden können. Vor zehn Jahren mögen wir den Eindruck gehabt haben, die ständige Beschleunigung des Datennetzwerks sei mehr Spielerei als Notwendigkeit. Heute ist der Business Case dermaßen stark, dass niemand mehr den Sinn solch gewaltiger Investitionen in Zweifel stellen kann. In der Version des „Industriellen Internet der Dinge“ (Industrial Internet of Things) sind nicht nur Dinge, sondern ganze Werke oder Fertigungsketten miteinander vernetzt. Hierzulande spricht man in diesem Kontext von „Industrie 4.0“. Konkret könnten dadurch in Zukunft industrielle Komponenten über den Fertigungsprozess und die Logistik bis zur Instandhaltung „von der Geburt bis ins Grab“ digital nachverfolgt und analysiert werden.

Die unglaubliche Rechenkapazität von Computern hat schon heute Quantensprünge in der Art der Datenverarbeitung hervorgebracht. Dazu gehören die Künstliche Intelligenz und „Cognitive Computing“: Maschinen beginnen zu lernen. Wenn wir es schaffen, diese Maschinen optimal zu programmieren, können sie Dinge tun, die uns enorm entlasten. Sie bedrohen aber dadurch auch dramatisch unsere Arbeitswelt und unsere Jobs. Globalisierung wird immer leichter und komplexer.

All diese Entwicklungen haben vor allem eine Auswirkung auf den Menschen: es verändert sich alles viel schneller, und dadurch auf eine kaum vorstellbare Art. Dies erzeugt bei uns Unsicherheit. Wenn schnell viel Neues passiert, können wir uns nicht mehr so leicht an Bekanntem orientierten. Dadurch sind Dinge oft nicht mehr so eindeutig. Außerdem wird die Welt immer komplexer. Wir leben in einer „VUKA“-Welt, einer Welt der Volatilität, der Unsicherheit, der Komplexität und der Ambiguität.

Kein verfliegender Trend

Auch wenn mancher es noch so sieht: hier sprechen wir nicht von einer Mode, einem Trend oder einer Phase. Nein, wir stehen am Anfang einer digitalen Transformation – ein Begriff, den ich in diesem Buch immer wieder verwende, wenn ich von dem Gesamtphänomen spreche, dem wir ins Auge sehen und mit dem wir uns alle intensiv befassen sollten, nicht in Panik, nicht unter Druck, sondern in Ruhe, am besten mit faszinierter Neugier. Denn mit Sicherheit liegen Chancen in dieser Transformation, wenn auch nicht für jeden.

In einer solchen Welt der Industrie 4.0, sagt man, würde dann eine „Arbeitswelt 4.0“ entstehen – die Welt also, in der sich Arbeit so gestaltet, dass die Innovationen der digitalen Transformation umgesetzt werden können. Dazu muss sich in der Arbeitswelt einiges ändern – Prozesse und Arbeitsweisen, vielleicht aber auch unsere innere Einstellung oder sogar unsere Beziehung zur Arbeit generell. Ich möchte an dieser Stelle den Begriff von den aktuellen Diskussionen der Politik trennen und mich darauf fokussieren, wie die digitale Transformation die Arbeitswelt beeinflusst und welche Chancen und Risiken für den Einzelnen als Führungskraft, Mitarbeiter oder Unternehmer entstehen.

I. 2Was kommt auf den Einzelnen zu?

Welche Jobs stehen auf dem Spiel und welche neuen Jobs könnten entstehen?

Um es vorweg zu sagen: niemand weiß wirklich genaue Antworten darauf. Es gibt beklemmende Prognosen: 59 % aller Jobs in Deutschland, sagt man, wären bedroht, im OECD Durchschnitt seien es 57 %, in China sogar 77 %! Bis vor Kurzem waren dabei immer die gewerblichen Arbeitnehmer im Blickfeld. Man nahm an, die Digitalisierung der Fertigung würde Armeen von Robotern fabrizieren, die dann in menschenleeren Hallen arbeiten. Falsch ist das nicht: Der taiwanesische iPhone-Zulieferer Foxconn, einer der größten Arbeitgeber weltweit, setzt derzeit ein Konzept um, das für die Fertigung überhaupt keine Menschen mehr benötigt. Heute wissen wir allerdings, dass durch „Data Analytics“ (die intelligente Auswertung der Datenberge aus dem Internet der Dinge), durch Natural Language Processing (die Fähigkeit von Maschinen, fehlerfrei unsere natürliche Sprache zu erkennen und etwa in Dokumente zu transkribieren) und durch andere Digitalisierungsmethoden auch viele Jobs von Angestellten auf dem Spiel stehen: Ein großer Anteil der Arbeit von Anwälten ist das Durchforsten und Zusammenfassen von Schriftverkehr und Unterlagen. Künstliche Intelligenz wird dies Schritt für Schritt schneller, zuverlässiger und günstiger können als der Mensch. Viele der Routine-Jobs von Consultants und Wirtschaftsprüfern fallen ebenso weg. Die Verfügbarkeit von Daten und die erleichterte virtuelle Zusammenarbeit könnten zahllose Workshops ersetzen. Consultants werden heute nach Zeit bezahlt – vielleicht in Zukunft nach Ergebnis? In diesem Fall würde ein Großteil des Geschäftsmodells von Beratern obsolet. Auch in meinem Hauptgeschäft, der Entwicklung von Menschen, wird spannend zu beobachten sein, wie lange Führungskräfte und Spezialisten es noch vorziehen werden, sich zwei oder drei Tage in Seminaren und Workshops weiterzubilden, wenn nachweislich mit kontinuierlichem Lernen mehr Nachhaltigkeit und oft auch mehr Lerneffizienz erreicht werden kann – wie etwa durch Lernplattformen. Warum soll ich einen externen Trainer beauftragen, wenn mich eine Künstliche Intelligenz mit einem Kollegen irgendwo in der Welt vernetzen kann, der mir konkret helfen kann, mein Problem so zu lösen, dass ich mich dabei bestens entwickeln kann?

Schon heute sprechen wir in Livechats mit „Chatbots“. Aber auch Callcenter haben mithilfe der teils schon erwähnten linguistischen Datenverarbeitung (Natural Language Processing) Sprachbots im Einsatz. Manche dieser Algorithmen können wir bereits heute nicht von Menschen unterscheiden. Eine große Herausforderung in der nahen Zukunft wird allerdings sein, Kunden dafür zu gewinnen, einen Mehrwert in der Technologie zu sehen. Die Gefahr ist, dass Kunden den Eindruck gewinnen, dass nur Geld gespart wird und der Service dadurch immer „unpersönlicher“ wird. Die Sprachsteuerung schreitet auch im Bereich dessen, was wir bisher „personal Computing“ genannt haben, immer weiter voran: persönliche Assistenten-Systeme wie Cortina (Microsoft), Alexa (Amazon) und Siri (Apple) werden bald solche Kapazitäten haben, dass wir mit ihrer Hilfe nicht nur unsere Computer und Smartphones steuern, sondern fehlerlos Texte diktieren und übersetzen lassen können. Komplexe Aufgaben wie etwa: „Recherchiere für mich die Trends im Bereich neue industrielle Geschäftsmodelle auf Basis von Digitalisierung, und gib mir eine Zusammenfassung des entstandenen Wachstums der Produktivität“ werden dann ein Kinderspiel für sie sein. Die Wichtigkeit dieses Felds erschließt sich, wenn man bedenkt, dass derzeit der Begriff „Internet of Voice“ entsteht.

In Gesundheit und Medizin reduziert ein Roboter etwa die Zeit zur Vorbereitung eines neurochirurgischen Eingriffs, für die ein Arzt zwei Stunden braucht, auf 2,5 Minuten. Die von IBM „Watson“ getaufte Künstliche Intelligenz zeigte sich zuverlässiger und viel schneller als jeder Arzt in der Auswertung von Millionen von klinischen Studien und der daraus abgeleiteten exakten Diagnose. Von solchen Fähigkeiten profitiert auf Kosten von menschlichen Fachkräften auch bereits die Versicherungsbranche.

In den USA wirken hingegen einige digitale Produkte gerade in die andere Richtung: Hier studieren etwa viele Frauen Medizin, die ihren Beruf später aber nicht ausführen, weil sie sich um die Familie kümmern. Mittels einer App können Bedürftige, die sich keine adäquate medizinische Versorgung leisten können, durch diese Fachkräfte „at home“ nun Hilfe erhalten. Die digitale Transformation schafft also auch neue Möglichkeiten.

Weniger gefährdet sind Tätigkeiten wie die Bedienung von Maschinen, personalisierte Dienstleistungen in Hochlohnländern, Kreativität und unternehmerische Skills. Manche Trendbeobachter sagen auch einen Boom unabhängiger Arbeitnehmer voraus: Freelancer oder sogenannte „Permalancer“ (zu Deutsch etwa „permanente Freiberufler“, Menschen, die bei einem Unternehmen arbeiten, aber ohne die Rechte eines Arbeitnehmers), von denen es bereits mehr als 50 Millionen in den USA (also ein Drittel der Berufstätigen) gibt, und die ständig neue Beschäftigungsverhältnisse eingehen, könnten den Arbeitsmarkt dominieren.

In der industriellen Produktion werden Möglichkeiten einer Herstellung, die keine aufwendigen Installationen für Massenfertigung benötigt (etwa durch 3D-Druck) und den Weg von der Massenfertigung hin zur Herstellung nach Maß ebnet, untersucht und ausgeschöpft. Bereits heute kann man bei Sportartikelherstellern spezialangefertigte Schuhe bestellen, die dann vor Ort 3D gedruckt werden. Adidas hat sogar bereits eine Sohle in Massenanfertigung im Programm.

Der Österreicher Franz Kühmayer ist Zukunftsforscher beim Zukunftsinstitut. Er sieht tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt auf verschiedenen Ebenen auf uns zukommen: „Für mich ist der Ausgangspunkt die Frage, wie Digitalisierung die Arbeitswelt revolutioniert. Das tut sie aus meiner Sicht erstens dadurch, dass sie bestehende Berufsbilder verändert. Das sieht man an Begriffen wie ‚Automechaniker‘, der längst nicht mehr ein mechanischer Beruf, sondern ein softwaretechnischer Beruf ist. Oder ein Trendscout, ein Begriff aus der Musikindustrie. Ein Trendscout sucht für Musikverlage nach Künstlern, die gerade angesagt sind. Diese sind früher in Clubs gegangen, heute sitzen sie ohne Gehörschaden hinter Monitoren und werten die Millionen Datensätze pro Tag der App Shazam aus. Zweitens verändert Digitalisierung die Art, wie Arbeit eingekauft wird. Wir brauchen auch heute schon nicht mehr ins Büro gehen, um zu arbeiten. In Zukunft wird Arbeit aber fragmentierter eingekauft werden. Der Mitarbeiter wird sagen können: ‚Diesen Teil meiner Arbeit kann ich auslagern‘, während früher ganze Arbeitspakete organisatorisch ausgelagert wurden. Und letztlich wird Künstliche Intelligenz in Zukunft auch Komponenten von hochqualifizierten Jobs übernehmen. Die besten Radiologen der Welt etwa haben bei der Bilderkennung im Vergleich zu Maschinen keinerlei Chance. Dabei ersetzt der digitale Teil allerdings nicht den Arzt, sondern nur eine Komponente seiner Arbeit. Diese Form der Automatisierung hatten wir immer, nur wird sie fortan mehr und mehr hochqualifizierte Jobs ersetzen.

Dadurch verändert Digitalisierung den Mehrwert in der Arbeit: Unser Reflex auf eine Bedrohung unserer Jobs durch Automatisierung war immer der Schutz durch Bildung, und damit waren wir bislang immer erfolgreich. Auch in naher Zukunft wird das bereits anders, weil wir in vielen Bereichen von kognitiver Arbeit anerkennen müssen, dass Maschinen schneller lernen als wir. Der Sektor hochqualifizierter Routinetätigkeiten – wie bei Anwälten, Steuerberatern, im Gesundheitswesen, ist neuerdings besonders gefährdet (siehe Tabelle 1).

Wir müssen also darüber nachdenken, was in Zukunft hochwertige Arbeit bedeutet: Alles, was Maschinen nicht können und auch in Zukunft nicht können werden, wird an Bedeutung gewinnen. Wir Menschen sind soziale und kreative Wesen, und beides können Maschinen auf absehbare Zeit nicht nachbilden. Deshalb ist es sogar eine gute Nachricht, dass ‚Roboter unseren Job stehlen‘. Denn der Umgang mit Menschen und die Kreativität begeistern uns Menschen und machen uns mehr Freude. In Studien sieht man immer wieder, dass der beliebteste Arbeitstag der Woche eindeutig der Freitag ist. Für einen guten Teil der Menschen ist Arbeit immer noch eine Fron, eine Belastung. Das wird sich mittelfristig verändern. Wenn Maschinen Arbeit übernehmen, die uns heute keine Freude macht, aber Tätigkeiten, die uns natürlicherweise mehr motivieren und begeistern in Zukunft stärker nachgefragt und höher bezahlt werden, dann werden Menschen auch mehr Verantwortung übernehmen und bessere Ergebnisse liefern. Wir müssen uns aber heute schon auf den Weg dorthin machen. Ein Schlüssel dafür ist für mich das Bildungswesen. Unser Bildungssystem zielt stark auf Industrie ab. Wir fördern nach wie vor Einzelproduktivität: abschreiben in der Schule ist verboten. Später versuchen wir dann Teamspirit und Kommunikation über Seminare und Fortbildung zu fördern. Das muss sich ändern, Bildung sich auf die neue Welt einstellen und mehr Eigenverantwortung fördern.“

 

Bildung niedrig

Bildung hoch

Routine hoch

Schon lange gefährdet

Neuerdings gefährdet

Routine niedrig

Weniger gefährdet

Am wenigsten gefährdet

Zur Rolle der Führungskraft im Wandel

In einem Umfeld, das sich extrem schnell verändert, das unglaublich komplex und vernetzt ist und in dem die Konkurrenz so schnell mit einem neuen Geschäftsmodell um die Ecke kommen kann, dass man keine Chance mehr zum Reagieren hat (siehe Uber und die Taxi-Industrie oder AirBnB und das Hotelgeschäft) kann es sich ein Unternehmen immer weniger leisten, Monate für einen Entscheidungsprozess zu brauchen oder viele Jahre mit einer Produktentwicklung zu verbringen. Alles muss schneller gehen, und dadurch müssen die „bürokratischen“ Prozesse verschlankt werden. Dies geht etwa dann gut, wenn Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Dazu muss Verantwortung an die Arbeitsebene delegiert werden, und dafür braucht es mehr Vertrauen in die Mitarbeiter. Die Führung muss sich umstellen. Es geht auch nicht mehr, dass man eine strenge Vorstellung von Kompetenzen hat und den Einzelnen mit seinen Kompetenzen rigide in einem Bereich festhält, von dem aus er sich nicht in andere Bereiche bewegen darf. Gefragt ist mehr „Agilität“ in der Nutzung von Ressourcen. Beides passt gut zusammen, denn Agilität benötigt zum einen reduzierte Bürokratie und zum anderen Vertrauen, damit die Verwaltung nicht die Arbeit verlangsamt. Aus den mehr denn je vernetzten und autonomen Einheiten entsteht dadurch mehr Kreativität und Innovation. Wenn alles gut läuft, verstärkt sich all dies gegenseitig, und wir haben eine neue Arbeitswelt.

Was Mitarbeiter fordern, passt zur modernen Führung …

Bei dem deutschen Consulting Unternehmen Dark Horse gibt es die Rolle der Führungskraft überhaupt nicht. Beim schweizerischen Software Unternehmen Haufe-Umantis, das nach demokratischen Prinzipien fungiert, werden tatsächlich die Führungskräfte von den Mitarbeitern gewählt. Die St. Gallener sind davon überzeugt, dass alle Unternehmen in diese Richtung denken müssen. Falls sie es nicht tun, sei es schwierig, das Engagement der Mitarbeiter zu erhalten und wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei einem recht kleinen Software-Unternehmen ist es vielleicht nicht so überraschend, von solchen Formen der Zusammenarbeit zu hören. Doch auch im Airbus-Werk im französischen St. Nazaire wählen die Mitarbeitenden ihre Führungskräfte selbst! Im globalen Umfeld gibt es große und kleine Unternehmen, die Erfahrung mit den Prinzipien einer weniger hierarchischen und mehr vertrauensorientierten Führung gemacht haben. Berühmte Beispiele sind Semco in Brasilien und Zappos in den USA. Aber auch bei der Deutschen Bahn und General Electric wird mit neuen, radikalen Formen der Zusammenarbeit experimentiert. Und es entspricht den Wünschen der Mitarbeitenden: Eine Haufe-Studie von 11.880 Befragten in Deutschland kam zu dem Ergebnis, dass 84 % der Mitarbeitenden mehr Einbezug und Mitsprache bei Entscheidungen wünschen; 77 % sagen, sie wären dann motivierter; und 73 % glauben, das Unternehmen wäre dann erfolgreicher. Mitarbeiter erwarten von ihrer Führungskraft heute vor allem mehr Offenheit und regelmäßiges Feedback sowie die Förderung von Selbststeuerung.

… aber die Umsetzung lockt uns aus der Komfortzone

Ein erster Eindruck bildet sich schon jetzt heraus, wie das Zusammenspiel von Technologie, Geschäftsmodellen und neuer Arbeitswelt/Führung passen könnte: Es wird sich alles schneller verändern, Dinge werden schwerer vorhersehbar und wir können uns nicht mehr auf starre, langwierige Prozesse verlassen. Neue Geschäftsmodelle können entstehen, wenn wir uns fragen, wie die Technologie uns in Zukunft erlauben wird, dem Kunden Dienstleistungen und Produkte leichter, schneller und nach seinen sich ändernden Anforderungen zur Verfügung zu stellen. Daraufhin muss ein Unternehmen sich so organisieren, dass die dort Arbeitenden schnell genug erkennen, was der Kunde heute will und wie man das zeitnah und leichter liefern kann. Deshalb sollten mehr Verantwortung und Vertrauen an die Arbeitsebene delegiert, den Mitarbeitenden mehr Entscheidungsbefugnisse gegeben sowie die Hierarchie und Prozesse möglichst schlank und flexibel werden. Hört sich also eigentlich an wie eine ausgemachte Sache: Mitarbeiter wollen genau das, was die Arbeitswelt 4.0 verlangt – in der Realität dürfte sich das aber nicht so einfach darstellen. Denn wir sprechen hier für alle Betroffenen von Veränderungen, die unsere tiefsten emotionalen Bedürfnisse herausfordern. Michael Leitl, Redakteur des Harvard Business Managers, weist in der Mai-2016-Ausgabe des Magazins auf eine Untersuchung des Roman-Herzog-Instituts hin. Sie analysiert, wie Mitarbeiter aufgrund der durch die radikale Umstellung ausgelösten Unsicherheit in einen Widerstand genau zu dem Führungsstil gehen, den sie sich eigentlich gewünscht hatten – ein klassisches Phänomen in Veränderungssituationen. Neues fordert uns, aus unserer Komfortzone herauszukommen und Dinge zu tun, von denen wir meist nicht wissen, wie sie ausgehen. Die Unsicherheit, die das bringt, ist eine sogenannte „Vermeidungsemotion“: sie führt uns dazu, die Emotion dadurch loswerden zu wollen, dass wir etwas tun, was uns zurück in die Komfortzone führt. In welchem Maß dies jeweils der Fall ist, hängt davon ab, welcher Typ wir sind und in welcher Organisationskultur die Veränderung stattfindet: Haben die Mitarbeiter in früheren Veränderungssituationen immer gelitten, werden sie umso unsicherer sein und entsprechend in den Widerstand gehen; haben sie früher profitiert, sind sie natürlich offener und leisten weniger Widerstand.

Dabei ist das Rezept, das die Mitarbeiter für Erfolg und die eigene Zufriedenheit eigentlich gefordert hatten, jahrzehntelang bewährt: Leitl diskutiert in seinem Artikel „Lost in Transformation“ den Fall einer britischen Kohle-Lagerstätte, wo kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bereits autonome, selbstorganisierte Gruppen sich so organisierten, dass sie bessere Bedingungen für die Arbeit schufen. Sie stimmten ihre Kompetenzen so miteinander ab, dass sie die Qualität erhöhen und die Kosten senken konnten. Wie das Tavistock-Institut viele Jahre später in einer Analyse feststellte, sanken als Folge auch die Fluktuation und die Unfallzahlen, während die Motivation stieg. Der Führungsansatz, der heute im Zusammenhang mit der Arbeitswelt 4.0 gefordert wird, ist also nicht wirklich neu. Er ist auch nicht erst jetzt erfolgversprechend. Nur ist es ein Ansatz, der dem Menschen schwerfällt – denn wir tendieren natürlicherweise zu dem Glauben, dass die Menschen besser zu organisieren und motivieren sind, wenn man so führt, wie wir es überwiegend in den letzten Jahrzehnten getan haben – es hat ja einigermaßen funktioniert.

So erleben Mitarbeiter die Digitalisierung heute

In einer Studie von 2017 zur Auswirkung der Digitalisierung auf die Arbeit zeigt andererseits der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), dass die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer in der Digitalisierung keinen Vorteil sieht und mehr Zeitdruck sowie höheren Leistungsdruck durch sie erwartet. Über die Hälfte der Befragten gab an, Multitasking und die Arbeitsmenge insgesamt haben sich durch bereits eingeführte Technologien erhöht.

In einer gemeinsamen Studie von 2017 der Techniker Krankenkasse, des IFBG (Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung) und der Haufe Group zur Frage der Förderung von Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt sind 88 % der Befragten der Meinung, die Führungskraft sei die wichtigste Stellschraube für die Gesundheit der Mitarbeiter. Deshalb seien in den nächsten fünf Jahren neben Wissensmanagement und digital Leadership die Themen „gesundes Führen“, eine gesunde Unternehmenskultur sowie eine gute Konflikt- und Feedbackkultur von besonderer Bedeutung. Unternehmen entdecken dabei auch immer mehr die Methodik der Achtsamkeit: sie erhält den größten inhaltlichen Bedeutungszuwachs.

Während die Mitarbeiter auf der einen Seite immer mehr Zeit- und Leistungsdruck, Multitasking und Unterbrechung, ständige Erreichbarkeit, Hektik und Stress erfahren und einen noch weiteren Anstieg all dessen erwarten, wird auf der anderen Seite immer deutlicher, dass in diesem Stil keine guten Leistungen erbracht werden können. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr, die Leistungsfähigkeit nachhaltig zu schwächen. Mitarbeiter, die regelmäßig Pausen machen und sich „Luft verschaffen“, sind produktiver. Die Sehnsucht nach Pausen, „Entschleunigung“ und mehr „Balance“ spiegelt sich in Bestsellern zu Themen wie „Digital Detox“ von Tanya Goodin und „Unplug“ von Taylor Moore wieder. Die Idee, sich der Digitalisierung irgendwie zu entziehen, scheint menschlich, greift aber zu kurz. Meine Empfehlungen zu diesem Thema finden Sie in den Teilen II bis IV dieses Buchs.

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