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Sven Flohr

DIÄT,
NEIN DANKE!

Hinter jedem Dicken
steht ein Schicksal

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© Börsenmedien AG, Kulmbach

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Dieses Buch ist jenen Menschen gewidmet, ohne die dieses Buch nie entstanden wäre. Danke Mama! Du hast mir mein Leben geschenkt, und schon allein deshalb wirst du immer der wichtigste Mensch in meinem Leben sein. Darüber hinaus bist du auch noch die tollste Mutter der Welt. Wem danke ich noch? Im weiteren Sinne haben mir Martin Fletcher und Tim Tuchel ein neues Leben geschenkt, indem sie mir dabei halfen, mein Leben erfolgreich umzustellen. Seitdem ist »sich wie neu geboren fühlen« mehr als nur eine Floskel für mich.

Inhalt

Vorwort

Jede Diät funktioniert – und alle sind sie Mist!

Dann friss nicht so viel, du Dickmops – die Kindheit

Let Me Entertain You – berufliche Erfolge

Wie peinlich – Lügen und Legenden

Meine X Diätversuche

Die vier Säulen

Bewegung

Ernährung

Entspannung

Motivation

Was ist richtig für mich

Und ich? – Die Bilanz nach einem Jahr

Was bleibt übrig?

Das Trainings-Seminar

VORWORT

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Ein unsportlicher Dicker schafft es, ganz ohne sinnlose Diät, dubiose Wunderpillen oder teure und riskante Operationen abzunehmen, schreibt ein Buch darüber und ist fest davon überzeugt, dass andere Menschen mit seinem Konzept ebenfalls erfolgreich sein werden.

Hallo, mein Name ist Sven Flohr, und wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen auf den folgenden Seiten meine Geschichte. Es handelt sich dabei in erster Linie um eine Abrechnung mit einem Teil von mir. Einem Teil, der endgültig der Vergangenheit angehört.

Es hatte keinen Zweck mehr, wir mussten uns einfach trennen. Er hat mich genervt. Er hat mir das Leben schwer gemacht. Er hat mich in vielerlei Hinsicht belastet. Daher war es höchste Zeit, dass wir uns voneinander lösten. Er und ich, wir passten einfach nicht mehr zusammen. Die Rede ist von mir und meinem Speck.

Warum dieses Buch – und für wen?

Ich habe ihm den Laufpass gegeben. Im Laufe von anderthalb Jahren habe ich es geschafft, mehr als 75 Kilogramm abzunehmen und mein Leben komplett umzukrempeln. Und das trotz eines Vollzeitjobs, von dem ich dachte, dass er einfach keine Zeit für Sport und gesunde Ernährung zulässt. Heute weiß ich: alles Ausreden! Ich weiß aber auch: Wenn jemand wie ich es geschafft hat, dann können auch Sie Ihr Fett wegkriegen. Wie das geht, erfahren Sie in diesem Buch.

Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Ich bin kein Fitnessguru, für den zehn Stunden Training am Tag die absolute Erfüllung sind. Und ich stehe dazu, dass ich nie einer sein werde – und das ist auch gut so. Ehrlich gesagt bin ich beim Sport noch nie in Ekstase geraten. Ich habe immer vergeblich auf den Endorphinschub gewartet. Und er wohl auf mich. Zum Sport muss ich mich immer ein klein wenig aufraffen. Ich gehe nicht mit meinen Laufschuhen ins Bett, damit ich – erquickt vom gesunden 5-Stunden-Schlaf – am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aus den Federn emporschnelle und mit verzückter Miene losdüse.

Ein Dicker (kein Durchtrainierter, sondern ein Betroffener) schreibt.

Nein, Sport ist nicht mein erstes und einziges Hobby, obwohl ich mich – das muss ich ja zugeben – hinterher immer wie neugeboren fühle. Aber jetzt mal Ohren auf! Vor einem Jahr konnte ich noch nicht mal fünfhundert Meter am Stück gehen, geschweige denn einen einzigen Liegestütz machen, ohne Seitenstechen zu bekommen. Heute laufe ich den dünnen Heringen davon und kann beim Bankdrücken über 60 Kilogramm stemmen.

Mir kann kein Dicker was vormachen, denn ich habe selbst von Kindesbeinen an das volle Programm durchlebt. Jeden Tag. Ich weiß, wie es ist, dick zu sein. Ich weiß, was man als dicker Mensch denkt. Und ich weiß, wie man sich als dicker Mensch fühlt.

Du bist nicht allein.

Aber mittlerweile habe ich gegenüber den meisten anderen Menschen eines voraus: Seit ich erfolgreich mein Leben umgestellt habe, kenne ich beide Seiten. Ich weiß nicht nur, wie es ist, als Mister Mollig zu leben, sondern ich weiß auch, wie man sich als sportlich trainierter Mensch fühlt und bewegt. Es gibt eine chinesische Weisheit, die sagt, dass man niemanden wirklich verstehen kann, bis man nicht eine Meile in seinen Schuhen gelaufen ist. Ich bin mein Leben lang in den Schuhen eines dicken Menschen gelaufen, bis ich beschlossen habe, den unnötigen Ballast einfach abzuwerfen. Seitdem sind diese Schuhe wesentlich bequemer geworden. Ich glaube, sie passen mir jetzt besser. Es läuft sich nämlich sehr viel leichter darin.

Diät ist Mist. Weil es keine Mammuts mehr gibt?

Egal ob Sie Punkte zählen, Kohlsuppe zubereiten, drei Wochen lang Rezepte aus einer Frauenzeitschrift nachkochen oder sich nur noch von Fleisch ernähren:

JEDE DIÄT FUNKTIONIERT – UND ALLE SIND SIE MIST!

Warum? Weil jede Diät irgendwann zu Ende ist und früher oder später die altbekannten Ernährungsgewohnheiten wieder Einzug in den Alltag halten. Oder wollen Sie etwa Ihr Leben lang Kohlsuppe schlürfen? Oder nach einem Croissant und einem Milchkaffee entsetzt feststellen, dass ihr Tageskontingent an Punkten bereits aufgebraucht ist? Eben.

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Wir alle genießen doch gern die Vorteile der modernen Welt. Um uns zum Beispiel ein leckeres Steak zu besorgen, müssen wir nicht aus der Höhle raus ins Kalte und erst mal ein Mammut erlegen. Aber: Da das längst überfällige kulturelle Update des Menschen auf sich warten lässt und unsere Körper immer noch auf das Zeitalter der Mammuts programmiert sind, passiert bei jeder Diät das Fatale: Unser Körper erkennt, dass er bei einseitiger Ernährung oder reduziertem Speiseplan nicht mehr so viel Nahrung bekommt, wie er es gewohnt ist. Darauf reagiert er, wie es einer längeren Hungerperiode in der Eiszeit angemessen war: Er fährt auf Sparflamme herunter und versucht gleichzeitig, seine letzten Energiereserven (also Ihre Fettpolster) zu verteidigen.

Vor 20.000 Jahren war Nahrungsmangel die Regel. Heute gehen wir – zumindest in unseren Breiten – wie selbstverständlich von einem üppigen Nahrungsangebot aus. Unsere Vorfahren mussten mit Hunger leben, und ihr Körper war darauf eingestellt. Diese Strategie hat die Überlebenschancen der Spezies Mensch deutlich erhöht. Mit Erfolg, denn uns gibt es immer noch.

Wir leben im Wesentlichen noch in den gleichen Körpern, die unsere Vorfahren hatten. Vielleicht haben wir hier und da ein paar weniger Haare und die Stirn flieht nicht mehr so weit nach hinten. Aber der Organismus als solcher funktioniert nach dem gleichen Prinzip, das in der Eiszeit galt. In unserer heutigen Welt, in der kalorienreiche Nahrung jederzeit verfügbar ist, gilt für jede Diät: Ist sie erst beendet, setzt der Körper alles daran, das nachzuholen, was Sie ihm während der Diät verwehrt haben.

Und das Ergebnis? Der Jo-Jo-Effekt schlägt gnadenlos zu, nicht selten sogar über das ursprüngliche Ausgangsgewicht hinaus. Viele Menschen wären nicht so dick, wie sie heute sind, wenn sie nicht so viele Diäten gemacht hätten, darüber sind sich die Ernährungswissenschaftler mittlerweile einig. Diäten sind Mist! Hungern bringt nichts, außer dass unser Körper daraus seine ganz eigenen Schlüsse zieht und das Fett hinterher noch effektiver anreichert und speichert.

Keine Angst, Sie kriegen Ihr Fett schon noch weg. Aber eben nicht mit der hundertsten Diät.

„DANN FRISS NICHT SO VIEL, du Dickmops!”

Das Dicksein begleitet mich durch meine Kindheit und prägt mich auf meinem späteren Lebensweg.

Keine Frage, dicke Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Ich glaube, man könnte sogar so weit gehen und behaupten, es ist mittlerweile die letzte Bastion, wo Menschen nur anhand von Vorurteilen ungestraft über andere Menschen urteilen dürfen. Jeder Dicke kennt das Lied von Marius Müller-Westernhagen über Dicke, das so ziemlich alle Vorurteile über Übergewichtige in konzentrierter Form zusammenfasst. Dass diese Vorurteile immer noch gepflegt werden, liegt zum Teil wohl auch daran, dass trotz gegenteiliger Befunde aus der Wissenschaft immer noch die Meinung vorherrscht, jeder Übergewichtige sei nur aufgrund mangelnder Selbstbeherrschung dick geworden. Ich verabscheue solches Denken, weil es meinem Menschenbild zutiefst widerspricht.

Aus eigener Erfahrung kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass nicht alle dicken Menschen faul und undiszipliniert sind. Als ich das letzte Mal unter 50 Stunden in der Woche gearbeitet habe, bin ich noch zur Schule gegangen. Und Leute wie Rainer Calmund, Luciano Pavarotti, John Candy, Ottfried Fischer, Helmut Kohl, Beth Ditto oder Meat Loaf haben es auch zu einigem Erfolg gebracht.

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Apropos Schule: Spätestens dort machen die meisten dicken Menschen erste negative Erfahrungen mit ihrem Umfeld. Es gibt Studien, die belegen, dass sich sogar Kinder im Vorschulalter schon extrem verunsichert über ihre Figur zeigen. Dieser Trend scheint sich innerhalb der letzten Jahre verschärft zu haben. Vermutlich spielen die Medien dabei eine große Rolle, die den Kindern zum einen vorgeben, dass eine schlanke Körperform erstrebenswert ist, und zum anderen, dass es in Ordnung ist, dicke Menschen zu stigmatisieren. Gerade Kinder können, was gemeine Sprüche angeht, sehr verletzend sein. Ich kann mich glücklich schätzen, dass dieser Kelch in meiner eigenen Kindheit an mir vorübergegangen ist. Auch wenn ich immer schon dick gewesen bin, habe ich es in jungen Jahren anders empfunden. Mein Leben drehte sich nicht um Adipositas. Unbedarft, wie Kinder nun mal sind, nahm ich mich einfach so wahr, wie ich war, und dachte über mein Äußeres nicht weiter nach. Ich war eben einfach ich.

Ich war eben einfach ich.

Sicher gab es hinter meinem Rücken Getuschel oder abfällige Blicke aus der Ferne. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Übergewichtigen, die mit traumatischen Erlebnissen während ihrer Kindheit zu kämpfen haben, bin ich nie angefeindet oder ausgegrenzt worden. Ich bin nie ganz direkt beleidigt worden oder musste mich mit Mobbing im Klassenzimmer auseinandersetzen. Ein Grund dafür ist wohl auch die Tatsache, dass ich einen großen Bruder hatte. Das machte Eindruck und flößte Respekt ein.

Was aber viel entscheidender war: mein loses Mundwerk und mein damit einhergehendes selbstbewusstes, dominantes Auftreten. Und ich habe früh erkannt, dass ich die Wahl habe: Wenn ich als Außenseiter schon nicht mittendrin mitmischen kann, kann ich trotzdem dabei sein, indem ich ein kleines bisschen über den anderen stehe. So kam es, dass ich schon zu Schulzeiten nach Wegen gesucht habe, einflussreich zu sein. Ich wollte die Dinge mitentscheiden – und ein Stück von der Macht. Für die Politik war es noch zu früh, aber zum Klassensprecher hat es schon gereicht. Fast während meiner gesamten Schulzeit hatte ich dieses Amt inne. Ich war in der Schülervertretung aktiv, schnappte mir im Sportunterricht die Trillerpfeife und übernahm beim Fußball den Part des Schiedsrichters. Im Jugendclub organisierte ich die Discoabende und Events. Ich saß außerdem am Einlass, sodass ich darüber entscheiden konnte, wer hineindurfte und wer nicht. So habe ich mir früh meine Nische als »Machertyp« gesucht, was sicherlich meinen weiteren Lebensweg entscheidend geprägt hat. Mit meinem Körperbau hatte das wenig zu tun.

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Ich wollte Macht!

Rückblickend bin ich froh, dass ich den Weg nach oben gesucht habe. Denn viele andere Ausgegrenzte gehen genau in die entgegengesetzte Richtung. Nach unten, immer tiefer hinein in die menschlichen Abgründe, in die Defensive, ins Abseits, in die innere Emigration. Was genau mich von diesen Menschen unterscheidet, kann ich gar nicht sagen. Aber ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich den gesünderen Weg gewählt habe. Dadurch konnte ich mein Dasein als Außenseiter rechtzeitig kanalisieren, sodass etwas Positives daraus entstehen konnte.

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MUTTER HAT ES GUT GEMEINT

Ich lerne früh, dass Süßes die (vermeintliche) Lösung für alle meine Sorgen ist.

Meine Mutter hat es immer gut mit mir gemeint. Aber als allein erziehende, berufstätige Frau hatte sie nicht so viel Zeit für mich, wie ich es mir gewünscht hätte. Mein Bruder war neun Jahre älter als ich, er taugte also auch nicht als Spielkamerad. Ich hatte es schnell raus, dass man mir gern Süßigkeiten in die Hand drückte, um die mangelnde Zeit wiedergutzumachen. Ich musste nur ein wenig Quengelei einsetzen, schon setzte es Naschwerk. Das habe ich gnadenlos ausgenutzt.

Für viele Menschen ist Essen eine Art Kompensation, eine Ersatzbeschäftigung zum Füllen einer inneren Leere, über deren Ursprung man sich als Kind natürlich nicht bewusst ist. Rückblickend glaube ich, dass dies auch auf mich zutrifft. Trotzdem kann ich meiner Mutter keine Vorwürfe machen. Man sagt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Und gut gemeint hat sie es immer mit mir. Sie hat mich stets bedingungslos so akzeptiert, wie ich bin. Wenn ich Unzufriedenheit über mein Gewicht äußerte, ermutigte sie mich zum Sport oder probierte mit mir gemeinsam neue Abmagerungskuren aus. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Der gute Wille war also vorhanden, auch wenn es an der konsequenten Umsetzung haperte.

Aber ich habe noch nie zu den Leuten gehört, die grundsätzlich anderen Menschen die Schuld für ihre eigenen Probleme geben. Niemand außer mir selbst hat sich das viele Essen in den Mund gesteckt. Ergo lag es auch allein in meiner Hand, die vielen Pfunde wieder loszuwerden.

FOOD FOR THOUGHT

Was ist der wahre Grund dafür, dass Sie zu viel, beziehungsweise zu viel von den »falschen« Dingen essen? Ist Essen für Sie ein Ausdruck von Wut oder gibt es Ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit? Hat das Fett für Sie vielleicht sogar eine Schutzfunktion, indem es einen Abstand zwischen Ihrem Inneren und der äußeren Welt schafft?

Es fällt nicht leicht, im Bermudadreieck von Essstörung, Diätversuchen und ständig schwankendem Gewicht die Orientierung zu behalten. Wenn man dann auch noch versuchen soll, sich möglichst objektiv mit der Funktion, die das Essen für einen erfüllt, auseinanderzusetzen, kann es schnell unübersichtlich und kompliziert werden. Versuchen Sie es trotzdem einmal. Hier sind ein paar Vorschläge.

Trifft einer der folgenden Punkte auf Sie zu? Ist Essen für Sie manchmal:

Vorsorge: So richtig Hunger habe ich jetzt gar nicht. Aber wann gibt’s wieder was? Was ist in ein, zwei Stunden? Ich esse besser jetzt ein bisschen auf Vorrat.

Stimmungsaufheller: Wenigstens beim Süßigkeitenverzehr kann ich kurzzeitig selbst über mein Vergnügen bestimmen.

Trost: Heute war echt ein ätzender Tag. Da darf ich mir auch ausnahmsweise mal eine Tafel Schokolade gönnen. Die hab ich mir jetzt wirklich verdient. Unterhaltung: Mir ist gerade total langweilig, und eigentlich habe ich zu nichts so richtig Lust. Wo war doch gleich die Chipstüte?

Soziales Event: Eigentlich habe ich gerade gar keinen Hunger. Aber die Kollegen hauen auch alle rein, und ich will nicht der Einzige am Tisch sein, der nur an seinem Wasser nippt.

Belohnung: Ich hab mich heute bei der Arbeit echt ins Zeug gelegt, und der Chef schien auch zufrieden zu sein. Da kann ich mir heute Abend ruhig mal eine Pizza mit extra viel Käse gönnen.

Orale Befriedigung: Wenn ich schon im Büro nicht rauchen kann, will ich wenigstens auf Gummibärchen herumkauen.

Beruhigungsmittel: Ich weiß gar nicht, wie ich das alles in der kurzen Zeit schaffen soll. Ich brauch jetzt erst mal ein Stück Nervennahrung.

DER KURZATMIGE AUSSENSEITER

Ich gebe mein Bestes, aber Angst und Scham überwiegen trotzdem.

Zu sagen, ich hätte unter meinen Pfunden überhaupt nicht gelitten, wäre eine glatte Lüge. Das hätten Sie mir eh nicht geglaubt. Beim Bodenturnen gab es leider keine Rolle als Schiedsrichter zu vergeben, sodass ich wohl oder übel meinen stattlichen Körper über die muffigen Matten kullern musste, so elegant es irgendwie ging. Ich konnte auch nicht bei jedem Mannschaftsspiel den Schiedsrichter geben, sodass ich regelmäßig mit der Demütigung konfrontiert wurde, als letzter Übriggebliebener in die Mannschaft »gewählt« zu werden.

Für den Sportlehrer wie für meine Klassenkameraden war es ganz normal, dass sich eine Mannschaft das Hemd auszog, um sich von der anderen zu unterscheiden. Der freie Oberkörper: Das waren die Momente, vor denen es mir graute und in denen ich mich am meisten geschämt habe. Mein Bauch waberte bei jeder Bewegung hin und her, meine Brüste waren größer als die meiner pubertierenden Klassenkameradinnen. Und erst die Angst vor dem Duschen danach! Das war auch der Grund, warum mir die Vorstellung, nach der Schule zur Bundeswehr zu müssen, eine Heidenangst einjagte.

Trotzdem war es für mich auch im Sportunterricht immer selbstverständlich, vollen Einsatz zu zeigen. Im Gegensatz zu vielen anderen in meiner Klasse hielt ich den 3000-Meter-Lauf bis zum Ende durch, auch wenn ich hinterher das Gefühl hatte, auf der Stelle tot umfallen zu müssen. Meine Lehrer wussten diesen Einsatz zum Glück zu schätzen: Ich habe im Sport nie eine schlechtere Note als eine Drei gehabt, auch nicht in der Oberstufe, als ich als junger Erwachsener bereits über 130 Kilogramm auf die Waage brachte. Ich weiß, dass viele Sportlehrer Sadisten sind. Ich hatte mit meinen einfach Glück.

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Viel schlimmer als der Sportunterricht waren die Sommerferien. Aufgewachsen bin ich direkt am Meer, auf der schönen Ostseeinsel Rügen. In den vielen Sommermonaten, die ich dort verlebt habe, mit dem Strand direkt vor der Haustür, kann ich die Male, die ich badend im Wasser zugebracht habe, fast an einer Hand abzählen, so sehr habe ich mich für meinen Körper geschämt. Und wenn ich mich doch überreden ließ, behielt ich mein T-Shirt im Wasser an. Es ging sogar so weit, dass ich meinen Freunden irgendwann erzählte, ich hätte eine Sonnenallergie, um mich nicht vor ihnen entblößen zu müssen. So nahm der Teufelskreis seinen Lauf: Meine Freunde verbrachten die Ferien damit, im Wasser herumzutoben oder am Strand Fußball und Volleyball zu spielen. Ich hingegen genoss die Sonnenstrahlen vornehmlich in der Eisdiele oder entspannte bei Kakao und Kuchen unterm Sonnenschirm auf der Terrasse.

GESTÖRTES VERHÄLTNIS ZUM ESSEN

Ich nasche nicht mehr, weil es mir schmeckt,
sondern weil ich es brauche.

Ich bin, seit ich denken kann, eine Naschkatze gewesen. Auch wenn es in der DDR nicht die vielfältigen Leckereien gab, die die freie Marktwirtschaft im Westen bot. Auch »bei uns im Osten« gab es eine breite Palette an süßen Kalorienbomben, an der ich mich ausgiebig bediente. Angefangen bei meiner Lieblingssüßigkeit »Zetti Knusperflocken« über Gummitiere und später nach der Wende dann Pizza und Eiscreme von Häagen Dasz.

Um es auf den Punkt zu bringen: Sie kennen diese nervigen Kinder, die vor Ihnen an der Supermarktkasse so lange den Laden vollquengeln, bis die Mutter ihnen etwas Süßes kauft? Genau, das war ich. Trotzdem würde ich mich selber nicht als Frustesser bezeichnen oder eine andere psychologische Typisierung anwenden. Bei mir war es viel einfacher: Mir hat es einfach immer gut geschmeckt. Allerdings verselbstständigte sich der Dauerkonsum an Süßigkeiten bei mir irgendwann so sehr, dass ich nicht mehr aus Genuss, sondern nur noch aus Gewohnheit aß.

Erst prägen wir unsere Gewohnheiten, dann prägen die Gewohnheiten uns. (John Dryden)

TIPP

Führen Sie einmal das folgende kleine Gedankenspiel durch, um herauszufinden, welche Rolle das Essen in Ihrem Leben spielt beziehungsweise welche Funktion es hat:

• Gab oder gibt es in Ihrer Familie Menschen mit einem gestörten Verhältnis zum Essen?