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Anonymus

Die frühreife Rosine

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

I.

An einem schönen Frühlingsnachmittage schritt eine Dame die Avenue des Champs-Elysees hinunter in Begleitung eines reizenden Backfisches, der nach der Ähnlichkeit zu schließen ihr Töchterchen war. Die Kleine konnte nicht über vierzehn Jahre alt sein, die Mutter war ebenfalls noch jung, eine leichte Fülle ihrer schön geschwungenen Taille und eine gewisse Reife ihres klassisch schönen Gesichts deuteten auf die Frau von etwa dreißig Jahren.

Die wundervolle Figur und die geschmackvollen Kostüme der beiden Damen lenkten die Blicke der vorübergehenden Herren auf sie, und namentlich einer von denen, die überall ein Abenteuer wittern, verfolgte sie mit unaufdringlicher Hartnäckigkeit bis sie unter dem Torweg eines der vornehmsten Häuser der Rue de Lafayette verschwanden,

Er ging noch eine Zeit lang unauffällig auf der dem Hause gegenüber liegenden Seite der Straße auf und ab und glaubte zu bemerken, wie die schönen braunen Augen der älteren Dame verstohlen durch die Vorhänge eines Fensters der ersten Etage nach ihm ausschauten. Dann verstanden sie plötzlich nach einem tiefen Blicke, der ihm zu verraten schien, daß ein hübscher Junge, wie er, wohl Gnade vor diesen Augen finden könnte.

So war es in der Tat, Georgette d'Avenel — das war der Name der Dame — hatte Gefallen an dem schneidigen Kavalier gefunden, dessen Treiben sie schon auf der Straße nicht ohne Interesse wahrgenommen hatte.

Frau d’Avenel war erst seit kurzem in Paris, von wo aus sie die Scheidung von ihrem Gatten betrieb. Durch vorläufiges Urteil waren ihr bereits ihre Tochter Rosine und ein beträchtlicher Teil des Vermögens ihres sehr reichen Gatten zugesprochen. Sie hoffte aber in Rosines Interesse, noch eine weitere Summe zu erhalten.

Im Alter von sechzehn Jahren hatte Georgette Herrn d'Avenel geheiratet, zwar etwas jung, aber gerade noch zur rechten Zeit, um einen mit ihm während der Brautzeit begangenen Fehltritt zu verbergen, dem die reizende Rosine ihr Leben verdankte. Den lüsternen Wünschen des in der Liebe wohlbewanderten Gatten bereitwilligst nachgebend, war sie ihm vertrauensvoll auf allen Eskapaden des Liebeslebens gefolgt und so mehr seine Maitresse als seine, im spießbürgerlichen Sinne ehrbare

Ehefrau geworden. Sie hatte sich überzeugen lassen, daß das Kinderkriegen nicht der vornehmste Zweck des Ehelebens ist, und mit entzückendem Eifer sich besonders dem Studium derjenigen Variationen des Liebesgenusses hingegeben, bei denen schreiende Folgen nicht zu befürchten sind.

Die wundervolle Geschicklichkeit, die sie sich infolge einer glücklichen Veranlagung in diesen süßen Spielen allmählich aneignete, zeitigte aber leider den Erfolg, den die meisten jungen Frauen, die gar zu willfährig den Wünschen des geliebten Gatten nachkommen, nicht voraussehen. Sobald Herr d’Avenel merkte, daß er seine Schülerin nichts Neues mehr lehren konnte, verlor der Unterricht für ihn den Reiz, und er begann seine Frau zu vernachlässigen.

Das verdroß Georgette so sehr, daß sie beschloß, sich von ihm scheiden zu lassen. Ihr Antrag hatte den gewünschten Erfolg und, durch vorläufigen Spruch von ihrem Gatten getrennt, wandte sie sich mit ihrer Tochter nach Paris, wo sie in der Rue de Lafayette eine geschmackvoll ausgestattete Wohnung bezog.

Rosine hatte beim Verlassen der Schule ihrer Heimatstadt ein ganz vorzügliches Zeugnis erhalten, jedoch hatte die alte Institutsvorsteherin Frau d’Avenel darauf aufmerksam gemacht, daß die außerordentliche Begabung ihres Kindes sich auch in einer ungewöhnlichen Frühreife äußere, die eine sorgfältige Beaufsichtigung geboten erscheinen lasse.

Das war nun eigentlich nicht nach dem Geschmack der lebenslustigen jungen Frau, die bei allem Stolz und aller Freude über die glänzende Veranlagung ihres Kindes doch fürchtete, daß der frühreife Backfisch gewissen Plänen, die sie hatte, unliebsam im Wege sein könnte. Sie beabsichtigte nämlich keineswegs, das Leben einer Heiligen zu führen, sondern wollte im Gegenteil doppelt und dreifach alles nachholen, was sie in den letzten Jahren an der Seite des sich ihr immer mehr entfremdenden Gatten versäumt zu haben glaubte.

Bei ruhigerem Nachdenken kam sie indessen zu der Überzeugung, daß das Töchterchen schließlich nur der Mutter nacharte, die ja auch schon im zartesten Alter der Venus die ersten illegitimen Opfer brachte. Immerhin war Vorsicht nötig, einerseits, um dem Prozeßgericht keine Veranlassung zu einem ungünstigen Spruch zu geben, andererseits um das Kind vor ähnlichem Mißgeschick zu bewahren, wie es ihr selbst widerfahren war. Das Geratenste schien eine vernünftige Aufklärung, durch welche Rosine die ihr in der Großstadt drohenden Gefahren vermeiden und vielleicht sogar — die löblichen Absichten ihrer liebebedürftigen Frau Mama verstehen lernen konnte.

Das letztere mochte wohl auch der junge Kavalier denken, der die beiden Damen bis an ihre Wohnung verfolgt hatte. Vielleicht dachte er noch etwas weiter; denn seine Blicke hatten mit besonderem Wohlgefallen auf dem Backfisch geruht, auf dem schönen blonden Haar, das von einem blauen Bande gehalten in reicher Fülle über seinen Rücken floß, und auf den hübschen, schon ganz nett gerundeten Waden, die das kurze Kleid oberhalb der zierlichen Stiefelchen sehen ließ.

„Wer weiß?“ hatte er träumerisch vor sich hingemurmelt.

Das hübsche Gesicht Rosines, ihr lebhaftes Auge mit dem halb treuherzigen, halb kecken Blick, ihr schon leicht gewölbtes Mieder und die schön geschweifte Taille über den wohlgeformten Hüften konnten wohl Ideen in ihm entstehen lassen. Aber die Besitznahme der Reize, welche sich seine Einbildungskraft unter den Unterröckchen des Backfisches ausmalte, schien ihm doch schwer durchführbar und recht ungewiß.

Gleichwohl ließ er den Mut nicht sinken, sondern begab sich aus der Rue de Lafayette geradenwegs zu einem Juwelier, bei dem er eine kostbare Brosche kaufte. Er trug sie, um die Damen nicht zu kompromittieren, selbst an den Ort ihrer Bestimmung und händigte sie unter der Maske eines Angestellten des Juweliers dem Pförtner zur Weiterbeförderung an die Dame im ersten Stock aus. Um diesen Tugendwächter alleinstehender Frauen völlig zu düpiren und unauffällig den Namen seines Idols zu erfahren, erkundigte er sich geheimnisvoll nach der Kreditfähigkeit der Empfängerin.

Frau d’Avenel ist schwer reich und hochanständig, da laufen Sie nicht die geringste Gefahr, entgegnete der Pförtner mit der diesen Leuten eigenen Wichtigkeit. —

Frau d’Avenel öffnete überrascht das Paket und las auf einer beiliegenden Karte:

„Avenue Montaigne.

Oberst de Serrigny.

Zur Erinnerung an die Promenade in den Champs- Elysees.“

„Du, das ist gewiß der Herr, der uns hierher folgte und uns immer so angesehen hat“, sagte Rosine, die beim Auspacken zugeschaut hatte.

„Welcher Herr?“

„Ach Muttchen, nun spiel nicht die Unschuldigste, Du hast doch ebenso gut wie ich merken müssen, daß er hinter uns herkam. Du kennst ihn also?“

„Aber nein, Liebling, warum denn?“

„Weil er dir Schmuck schickt. Die Herren schicken Schmuck doch nur Damen, die sie kennen.“

„Aber Du hörst doch, daß es nicht der Fall ist.“

„Ich wette aber, daß Ihr schon zusammen geflirtet habt. Du kannst mirs doch ruhig sagen, Mutti ich bin doch kein Baby mehr. Ich ahnte schon so was; denn Du wurdest ein paarmal rot, als er Dich ansah.“

„Nun sei aber still“ rief die Mutter, in leichte Verwirrung geratend.

Aber die Kleine fuhr unbekümmert in ihrer Inquisition fort und schlug vor, dem Spender in der Avenue Montaigne eine Fensterpromenade zu machen.

„Du kennst das Haus sicher schon“, fügte sie lächelnd hinzu, gesteh’ es nur, ich verrate nichts.“

Frau d’Avenel glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. So vorgeschritten hatte sie sich ihr Töchterlein trotz der Warnung der lnstitutsvorsteherin doch nicht gedacht. Aber sie gewann rasch ihre Fassung wieder und überlegte, daß diese Frühreife auch ihre guten Seiten haben und aus Rosine statt der in Unwissenheit gehaltenen Tochter eine verständnisinnige, den verliebten Neigungen der Mutter möglicherweise Vorschub leistende Vertraute machen konnte.

Oberst de Serrigny, der schon fürchtete, bei seiner Angebetenen nicht zu reüssieren, war auf das höchste entzückt, als er an einem der nächsten Nachmittage - von einem Fenster seiner Wohnung aus bemerkte, wie Mutter und Tochter vorübergingen und erstere, scheinbar ganz zufällig, einen lächelnden Blick nach oben warf. Durch diesen Erfolg ermutigt sandte er ihr mit ein paar verbindlichen Zeilen zwei Logenplätze für die nächste Oper.

„Wir werden doch hingehen?“ fragte Rosine. „Kind, das ist eine delikate Sache.“

„Aber Du hast doch den Schmuck angenommen, das verpflichtet Dich doch nicht weiter, denn schließlich kannst Du doch jetzt flirten, mit wem Du willst. Du bist doch nicht mehr verheiratet. Ich heirate bestimmt nicht, dann läßt sichs viel bequemer flirten.“

Diese für ein junges Mädchen vom Alter Rosines reichlich übermütige Bemerkung wurde nach Gebühr getadelt, aber sie ließ die Mutter doch erkennen, daß sie sich vor dem Töchterlein, dessen Verschwiegenheit den Mangel an kindlicher Unschuld reichlich aufwog, keinen allzu großen Zwang mehr anzutun brauchte.

Die Damen nahmen also am nächsten Abend in der Loge Platz, von wo aus sie Herrn de Serrigny im Parkett sitzen sahen. Sie hatten Muße ihn heimlich zu betrachten und fanden, daß er ein ausnehmend schöner und stattlicher Mann war. Während der Vorstellung hatte er keine Gelegenheit, sich ihnen zu nähern. Erst nach derselben konnte er ein paar ganz formelle Worte mit ihnen wechseln, indem er ihnen seinen Wagen anbot, den sie bei dem strömenden Regen mit Dank annahmen.

Die Theatherbesuche wiederholten sich von nun an gemeinschaftlich. Die Damen waren von dem gentlemanliken Wesen ihres neuen Freundes entzückt und ließen sich seine zarten, nie aufdringlichen Huldigungen gern gefallen. Als Herr de Serrigny vorschlug, auch einmal ein Varieté zu besuchen, meinte Rosine:

„Aber dann bitte ich sehr darum, daß ich mitgehen darf. Hoffentlich ist man hier in Paris nicht so spießbürgerlich, wie zu Hause, wo es immer hieß, ‚das dürfen junge Mädchen nicht sehen’. Ich bin jetzt wirklich groß genug, um überall mit hingehen zu können.“

„Ich fürchte nur“, warf die Mutter ein, „man sieht und hört da Sachen…“

„Du kannst mir ja rechtzeitig Bescheid sagen, wann ich Augen und Ohren zuhalten muß.“ „Um durch die Fingerchen recht genau zu sehen und zu hören“, ergänzte der Oberst, belustigt durch die Schelmerei der Kleinen.

Rosine war am nächsten Abend in der Varietévorstellung von dem neuen Milieu und den Darbietungen entzückt, besonders von den Schattenbildern, die sie mit größtem Interesse beobachtete. Eines derselben zeigte ein Modell, welches sich vor dem Maler vollständig entkleidete, sodaß man durch die dünne Leinwand die Silhouette einer völlig nackten Frau deutlich sah. Beim Zurechtstellen des Modells machte der Maler scheinbar zufällig einige so unzweideutige Bewegungen nach dem Mittelpunkte der Reize des Modells, daß das Publikum, namentlich der weibliche Teil desselben, in ein Kichern ausbrach.

Herr de Serrigny sah nicht ohne inneres Behagen, wie Rosine unruhig auf ihrem Platze hin und herrückte. Als der Vorhang fiel, fragte sie verwundert: „Ist das Bild schon zu Ende?“

„Ja mein gnädiges Fräulein, was erwarteten Sie noch?

„Ich weiß nicht“, antwortete sie träumerisch. Beim Verlassen des Theaters hörten die Damen, wie man Bemerkungen über ihre Schönheit austauschte, und wie ein eleganter Herr zu einem andern sagte:

„Das sind gewiß Mutter und Tochter. Die Kleine ist süß, ich glaube, zwischen den beiden würde man sich nicht langweilen.“

Frau d’Avenel schrak bei diesen Worten unmerkbar zusammen und war froh, als sie neben Herrn de Serrigny im Wagen saß.

Man beschloß, in einem kleinen vornehmen Restaurant noch einen Imbiß zu nehmen, und während der Wagen seinem Ziel entgegen rollte, floß die Unterhaltung munter dahin. Als Frau d’Avenel sich ein wenig vorbeugte, um zu sehen, in welcher Gegend man sich befände, benutzte der Oberst die Gelegenheit, seine Lippen auf ihren schönen Hals zu pressen.

„Aber Sie Böser, doch nicht vor meiner Tochter!“ wehrte sie seine etwas kühne Liebkosung ab.

„O, die schläft ja.“

Bei diesen Worten fing die kleine, die in der Tat die Augen geschlossen hatte, an zu lachen.

„Ich schlafe nur mit einem Auge und passe sehr genau auf Euch auf.“

Im Restaurant angekommen ließen sie sich ein einzelnes Zimmer geben, und während Herr de Serrigny dem Kellner seine Befehle gab, musterten Mutter und Tochter den behaglich ausgestatteten Raum. Letztere war vor einem Spiegel stehen geblieben, in den verschiedene Sätze eingekritzelt waren. ‚Agnes, ich liebe Dich’, Mario, Dein für ewig’ usw. Plötzlich entdeckte sie in einer Ecke folgende Inschrift ‚Soeben habe ich hier die reizende Komtesse Yvonne gev. g . lt.’

„Was heißt das, Mutti, g, e, v, Punkt, g, Punkt, 1, t?“

Noch ehe die Gefragte antworten konnte, machte der Kellner dieser, der tief errötenden Mutter anscheinend recht peinlichen, dem Oberst aber um so reizender und verheißungsvoller dünkenden Szene ein Ende.

II.

Das geschickt zusammengestellte Souper und der Champagner ließen bald die fröhlichste Stimmung entstehen, und die Unterhaltung wurde unmerklich freier. Der Oberst und seine schöne Partnerin tuschelten hinter dem Fächer der letzteren, und Rosine, welche die ersten Rauchversuche machte, schien ganz in diesem Geschäfte aufzugehen, in Wirklichkeit spitzte sie aber die Ohren und warf ab und zu Bemerkungen in die Konversation oder stellte Fragen so bedenklichen Inhaltes, daß die Mutter immer nur antworten konnte, sie werde das erfahren, wenn sie größer sei.

„Und wann werde ich endlich groß genug sein?“ „Mit fünfzehn Jahren. Vorher braucht ein junges Mädchen nicht alles zu wissen.“

„Aber ich habe in den ‚Demi-vierges‘ von jungen Mädchen gelesen, die nicht älter waren, als ich und schon alles wußten. Man genierte sich durchaus nicht so vor ihnen, wie Ihr vor mir.“

„Sollten wir nicht von dieser freundlichen Einladung Fräuleins Rosine Gebrauch machen?“ raunte der Oberst Frau d’Avenel zu, indem er seinen Arm um ihre Taille legte und seine Lippen auf die ihrigen pressend versuchte, die Zunge zwischen ihre Perlenzähne zu schieben und gleichzeitig ihre Bluse aufzuknöpfen.

„Aber nein, doch nicht vor dem Kind.“ „Fräulein Rosine hat’s uns doch ausdrücklich erlaubt.“

„Ich will aber nicht, man kann uns ja von der Straße aus sehen.“

Kaum hatte sie das gesagt, als Rosine sich erhob und die schweren Vorhänge zuzog.

„Sie sind ganz dicht, das gibt kein Schattenspiel, wenn ihr jetzt flirtet.“

„Willst Du wieder aufmachen, Du Schlingel!“