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KÖNIGIN GENEVIER

Eine Frau kämpft für das Recht

Band 02

 

AUFBRUCH NACH
BRITANNIEN

 

von

FRANK BRUNS

KÖNIGIN GENEVIER

Eine Frau kämpft für das Recht

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Romantruhe (Bildrechte: shutterstock).

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

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Prolog

 

 

Während Genevier und ihr Orden auf der Gralsburg San Salvador de Verdera in Spanien einigermaßen in Frieden mit der herrschenden Merowinger-Klasse lebt, erschüttern sie Berichte aus Britannien. Von dort, wo sie ehemals Hochkönigin an der Seite des Artus gewesen ist, bringen Kauffahrer die Kunde von einer mit Gewalt das Land regierenden Fürstin. Alles scheint auf Morgan le Fey hinzudeuten.

Geneviers Gefühle geraten völlig durcheinander. Hat die oberste Priestern der Tempelinsel Sena zwei Gesichter?

Die Schweizer Analen wissen von einer Überfahrt der Guinevere aus dem Exil nach Britannien. Die Überlieferung aus dem Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich berichtet von einer Reise der Hohenpristerin der Astarte der Pyrenäen mit Hilfe eines Wikingers nach Angelland.

Untersucht man beide Überlieferungen, so finden sich Gemeinsamkeiten, die den Schluss zu lassen, dass es sich um ein und die selbe Sache dreht. Sowohl Guinevere wie auch die Astarte-/Diana-Priesterin Genevier befreien die Bevölkerung im Bereich der heutigen Grafschaft Kent von einer Bedrohung.

Bei Guinevere ist es ein Mitglied der eigenen Familie – bei Genevier eine Hexe.

Beides passt – denn Morgan le Fey war Guineveres Schwägerin und wurde durch Modreds Intrigenspiel auch als Hexe bezeichnet. Genevier ist die altbretonische Schreibweise von Guinevere.

 

Frank Bruns – Museumspädagoge

Aufbruch nach Britannien

 

 

1

 

»Fowey! «, schrie Boltar durch das Tosen des Meeres.

Die Gischt spritzte seitlich des Drachenkopfes vorbei, sammelte sich in kleinen Lachen, von denen wieder kleine Rinnsale irgendwo zwischen den Planken verschwanden.

Genevier starrte mit zusammengezogenen Brauen hinüber. Immer wenn das Wikingerschiff sich aus einem der tiefen Wellentäler heraus gearbeitet hatte, sah sie die   Befestigungsanlagen der britischen Hafenstadt.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der diese Stadt, und ihr Vogt, Artus das Leben schwer gemacht hatte.

»Die herrschende Schicht ist sich ihrer Wehranlagen sehr sicher«, hatte der Hochkönig damals ernst gesagt.

»Deshalb sollte man es weniger den Waffen, denn vernünftigen Verhandlungen überlassen, eine Einigung zu erzielen«, hatte Gawan damals gesagt und seinen feinen Schnurrbart gezwirbelt. Genevier hatte gewusst, was er damit meinte.

Er hatte bereits ein diplomatisches Auge auf die junge Frau des Vogtes geworfen.

Sie näherten sich immer weiter.

»Wird uns der Hafenmeister Schwierigkeiten machen?«, rief die Königin leicht unsicher nach hinten.

»Nein«, kam Boltars Antwort. »Der Anblick eines Drachenbootes ist hier normal. Childerich hat damals bereits eine Handelsallianz mit den Nordmännern geschlossen.«

Sie wusste, dass Chlodwig zwar nicht gern mit den    Wikingern handelte, aber sie brachten doch viele Neuigkeiten und waren verwegene Erkunder. So hatte der Nachfolger Childerichs den Kontakt einfach laufen lassen.

Bisher gab es keine Schwierigkeiten – bis auf die naturbedingt ab und zu einfallenden Plünderhorden.

Genevier warf einen Blick aus den Augenwinkeln auf Boltar. Neben ihm stand stolz Sanderah. Die Königin wusste, dass dieser Knurrbär auch ganz gerne mal eine Hafenstadt auseinander nahm. Doch das war eben die Natur der Nordmänner.

Das Drachenboot lief unbehelligt in den Hafen ein. Ein buntes Treiben zeigte sich hier. Am Kai und in den Gassen. Kauffahrer aus aller Herren Länder hatten angelegt. Phönizier, Perser, Iberer – ja sogar Sarazenen.

Genevier stieg an Land. Boltar wollte sie begleiten, doch sowohl seine Gattin – Sanderah – wie auch die Königin, bestanden darauf, erst einmal allein zu gehen.

Boltar machte zwar ein bedenkliches Gesicht, doch Sanderah küsste ihn auf seine dicke Nase und gurrte: »Keine Angst, mein Dickerchen. Ich komme mit Genevier schon heil zurück.«

»Dafür sorge Odin und Neptun – oder wie sie alle heißen mögen«, knurrte der Wikinger, der gerne auch mal alle Götter durcheinander warf.

Genevier und Sanderah fielen in den Gassen kaum auf. Zu vielfältig zeigte sich die Aufmachung der Menschen hier. Auf dem Lande wäre es schwieriger gewesen.

Doch auch dafür hatten sie vorgesorgt. Die Erkundungsreise nach Dragonstone würden sie als einfache Bauersfrauen machen.

Während sie so durch die belebten Gassen schlenderten, schaute die Königin zufällig zur Tür eines Wirtshauses.

Plötzlich zuckte sie dermaßen zusammen, dass Sanderah sogleich stehen blieb.

»Was ist?«

Genevier deutete nach vorn.

»Dort! Gawan! An der Tür! Oh Diana! Aber…«

Da wandte sich der Mann um und sie erkannte das gegerbte Gesicht eines alten Mannes.

Die Schultern der Königin sackten nach unten. Sie stieß laut die Luft aus.

»Wie töricht von mir! Es konnte auch nicht sein. Lancelot hat Gawan damals durch einen unglücklichen Umstand erschlagen. Doch von hinten – das Haar, die Haltung…«

Sanderah legte fest den Arm um die Freundin. »Ich weiß, dass du oft an das Schöne der Vergangenheit denkst. An die Pracht vom Hofe Camelots! Doch – so hart es ist, diese Zeiten sind Jahre vorbei. Nichts und niemand holt sie zurück.«

Sie gingen weiter.

»Wo willst du eigentlich mit mir hin? Haben wir nichts anderes zu tun, als uns diese Hafenstadt anzusehen?«

Genevier bog in eine enge, stinkende Gasse ab.

»Ich suche jemanden, von dem ich hoffe, dass er noch lebt. Komm! Dort hinten ist es.«

Sie gelangten an ein verkommenes Haus. Die Balkentür hing schief in den Angeln.

Genevier klopfte.

Es dauerte, bis eine krächzende Stimme von innen rief:

»Verschwindet ! Ich habe nichts! Ihr habt mir schon alles genommen! Wollt ihr nun auch noch mein Leben?«

Geneviers Gesicht umwölkte sich.

»Bert! Hörst du mich?«

»Wer bist du? Verschwinde!«

»Bert – hier ist Genevier.«

Einen Moment war es still, dann kam eine vorsichtige Frage: »Was für eine Genevier?«

Die Königin trat ganz nahe an die Tür heran und rief durch die morschen Spalten:

»Deine einstige Hochkönigin.«

Ein Husten erklang. Dann die Frage – sehr nahe an der Tür: »Weshalb diese Lüge? Die Hochkönigin ist lange tot. Treibt kein Schindluder mit solch einer großartigen Frau. Auch wenn ihr mich zur Hölle wünscht! Respektiert   wenigsten ihr Ansehen und die Unbeflecktheit einer Toten.«

Genevier lehnte sich ganz dicht an die Tür.

»Ich bin’s wirklich. Ich beweise es! Erinnerst du dich an den Osterabend, als wir zum Merlinturm geritten sind? Ich sagte zu dir: Sieh diesen Sonnenuntergang. Er ist wie Gottes Diamant.«

Nichts rührte sich hinter der Tür. Doch dann vernahmen die Frauen ein Schluchzen. Knarrend, nur einen Spalt, öffnete sich die Tür. Was da, halb aus dem Schatten hervorlugte, war erbarmenswürdig.

Ein Gesicht – vielleicht neunzig, vielleicht hundert Jahre alt – ausgemergelt, unter strähnigem grauen, schmutzigen Haar, wässerige Augen und ein blutleerer Mund.

»Oh nein! Bert!«, entfuhr es der Königin.

Der alte Mann bewegte die Lippen wie in Trance.

»G-e-n-e-v-i-e-r..?«, kam es ungläubig. »Nein, nein! Das kann nicht sein!«

Wenig später standen sie in der schmutzigsten und unzumutbarsten Behausung, die Genevier je gesehen hatte.

»Bert«, murmelte sie. »Was ist aus dem so stolzen Mann geworden, der einst des Königs bester Astronom gewesen ist?!«

Der Alte ließ sich auf einen wackligen Schemel fallen. Durch eine Mauerritze fiel ein Sonnenstrahl, der alles noch trostloser erscheinen ließ.

»Die Zeiten ändern sich, Genevier«, kam es mit dünner Stimme. »Es sind schlimme Zeiten.«

»Aber Chlodwig regiert doch sehr human.«

Ein brüchiges Lachen erklang. Den beiden Frauen lief ein Schauer über den Rücken.

»Chlodwig! W a s  weiß er?! Seine Vasallen sind Teufel und diese Hexe von Dragonstone ist die Ausgeburt der Hölle.«

Genevier ging vor Bert in die Hocke. »Von wem sprichst du?«

Der Alte richtete sich halb auf und krächzte: »Von wem ich spreche? Von Morgana – des Teufelsgroßmutter persönlich!«

Die Königin schluckte.

Endlich fragte sie: »Bist du dessen sicher, dass es Morgana le Fey ist?«

»Dragonstone ist ein Höllenpfuhl. Orgien, Tod und Mord regieren dort!«, kam es rau, aber bestimmt aus Berts Mund.

»Man sagt, dass sie sich jeden Tag einen neuen Liebhaber ins Schloss holt und ihn nach der Liebe ermordet. So wie die Tarantel es tut.«

Genevier konnte es nicht glauben!

»Bert«, rief sie eindringlich. »Ist das Hörensagen oder weißt du es?«

Der Alte schaute die Fragende müde an. »Oh Genevier – einst meine Hochkönigin – die beste, die Britannien je erleben durfte… Es ist wahr. Ich habe sie gesehen! Wie sie ausritt und einen jungen Bauernburschen zu Tode foltern ließ, weil er ihr nicht rasch genug Platz machte, als sie heranjagte. Mit ihrer Gesellschaft von Buhlen. Männlichen und weiblichen. Männer aus der Umgebung von Dragonstone haben berichtet, wie entsetzliche Schreie aus der Folterkammer der Burg über die Felder hallten. Oh Genevier – sie ist der Satan in der Hülle einer wunderschönen Frau.«

Die Königin war völlig durcheinander.

 

 

 

Etwas hilflos schaute sie sich in dem Loch um, das dem einstigen Ritter als Behausung diente.

»Bert, du kommst mit uns. Zuerst auf Boltars Schiff. Dann sehen wir weiter.«

Obwohl Bert sich wehrte, duldete die ehemalige Königin keinerlei Widerspruch.

»Wie kommt es überhaupt, dass du hier leben musst«

Bert ergriff die Hand Geneviers und flüsterte:

»Weil Morgana mich töten wird, wenn sie meiner habhaft werden kann.«

Boltar blickte misstrauisch mit zusammengekniffenen Augen, als die beiden Frauen – sie mussten den alten Mann stützen – das Drachenboot erreichten.

Doch dann verwandelte sich seine Miene in Staunen.

»Sir Bert ..?«, knurrte er und machte zwei Schritte vorwärts über die Stegplanken.

In kurzen Sätzen gab Genevier Bericht.

»Bei Thor!«, entfuhr es dem Wikinger.

»Das Weib braucht die Peitsche!«

Doch zu seinem Erstaunen schüttelte Genevier den Kopf. »Warte mit deinem Urteil. Noch ist nichts erwiesen. Ich werde diese Nacht noch nach Dragonstone aufbrechen. Wenn es wirklich Morgana ist, die dies furchtbare Doppelspiel inszeniert, dann wird sie mich um Gnade anwimmern. Aber ich  k a n n  es nicht glauben!«

Es ging auf Mitternacht zu, als Genevier und Sanderah sich auf einem Ochsenkarren aus der Hafenstadt stahlen. Boltar hatte für den Transport mit einigen Goldstücken gesorgt.

Die Reise war mehr als ungemütlich. Die beiden Frauen wurden derb auf dem Karren durchgeschüttelt. Außerdem wurde es um diese Zeit des nachts merklich kalt auf der britischen Insel.

Der Bauer gab sich sehr einsilbig und bald gab Genevier es auf, irgend ein Gespräch zu beginnen. Irgendwann schlief sie ein.

Was sie aufgeweckt hatte, wusste sie später nicht zu    sagen. Sie schaute in einen glitzernden Sternenhimmel. Neben ihr schlief Sanderah. Die Kapuze des Mantels war ihr vom Kopf gerutscht und gab ihr herrliches Haar preis.

Der Ochsenkarren fuhr noch langsamer und hielt. Die Königin vernahm Stimmen. Verstohlen schaute sie über den Gatterrand des Wagens. Ein Trupp Soldaten hatte den Bauern angehalten.

»Was treibst du so spät hier in der Gegend, Alter?«

»Ich war in Fowey und will nach Hause«, kam die Antwort ebenso mürrisch zurück.

»So?«, knurrte wieder die Stimme aus dem Dunkel. Genevier konnte nicht ausmachen, wem von den Soldaten sie gehörte. »Was hast du denn geladen?«

Genevier wartete die Antwort nicht ab. Wenn jemand sie des nachts anhielt, bedeutete das nie etwas Gutes. Sie stieß Sanderah an und hielt ihr gleichzeitig den Mund zu. Mit großen Augen, die das Sternenlicht reflektierten, starrte sie die Gefährtin an. Genevier bedeutete ihr, leise den Wagen zu verlassen.

Beide rutschten von der schrägen Ladefläche und huschten unter den Wagen.

Keinen Moment zu früh, denn zwei Reiter näherten sich der Rückseite und stocherten in den Futtersäcken und zwischen den Fässern herum.

»Da ist wirklich nichts von Wert drauf«, murrte einer der Männer. »Lasst ihn ziehen.«

»Na ja«, kam es, gefolgt von einem rauen Lachen.

»Er soll nur aufpassen, dass ihn nahe Dozmary Pool nicht das Teufelsweib von Dragonstone holt.«

Nun lachten die anderen auch. »Ja – haha – sonst fehlt ihm bald zwischen den Beinen etwas, hohoo!«

Genevier erschauerte. Als der Karren anruckte, schwangen sich die Frauen rasch wieder hinauf und legten sich flach auf den Bauch. Erst als sie einige hundert Yards weg waren, richtete die Königin sich wieder auf und fragte den Bauern: »Wie weit ist es noch bis Dozmary Pool?«

»Etwa drei Meilen, Lady. Doch bis dahin bringt mich kein Gold der Welt. Auch wenn euer Wikinger mir sein ganzes Reich schenken würde. In etwa zwei Meilen biege ich nach Hause ab. Dann seht zu, wie ihr weiterkommt!«

Das waren sehr unfreundliche Worte. Doch Genevier wusste, dass es Furcht war, die den Mann so reden ließ.

Bald war es soweit. Der Bauer hielt den Ochsen an. »Endstation! Wenn ihr dem Weg folgt, erreicht ihr ein kleines Dorf. Von dort wird euch sicher jemand zur Grenze nach Kent bringen. Dort liegt auch Dragonstone.«

Die beiden Frauen machten sich auf den Weg.

Die Sterne verblassten. Drohend zogen sich Wolken vor den Mond. Es war, als wolle die Natur ein Signal geben.

»Morgana ist eine Hexe – eine Dämonin. Sie hat auch damals den Hochkönig umgebracht«, hatte der Bauer noch geknurrt, bevor er seinem Ochsen die Peitsche um die Ohren knallen ließ.

Genevier seufzte. Der Aberglaube war auf der Britischen Insel immer noch tief verwurzelt. Tatsächlich hatte Modred seine Fäden so geschickt gesponnen, dass man Artus’ Schwester als mächtige Zauberin sah. Die einen hielten sie für das Böse allgemein, die anderen sprachen von der Fee.

Sanderah legte Genevier die Hand sanft auf die Schulter. »Wir werden die Wahrheit herausfinden. Komm! Es wird ungemütlich. Wir wollen eine Herberge suchen.«

Der Ort wirkte ebenso schaurig, wie die Nacht selbst. Hohl klang es durch die Gasse, als sie an die Tür Zur Herberge des Schwan klopften.

Der Wirt zeigte sich sehr ungehalten zu dieser Stunde, gewährte aber dann gegen zwei Goldstücke Nachtlager.

Am nächsten Morgen sah schon alles etwas freundlicher aus. Nach dem einfachen Frühstück erkundigte sich die Königin nach dem Weg zur Burg Dragonstone.

Der Wirt – ein dicker gemütlicher Mann – schaute die Frauen zweifelnd an.

»Was haben sie mit dieser Grauensburg zu schaffen? Das ist noch ein gutes Stück. Bis zur Grenze nach Kent.«

Blitzschnell schossen Genevier zahlreiche Gedanken durch den Kopf. Dann sagte sie einfach: »Wir sollen eine Botschaft des Klosters Der Heiligen Dreifaltigkeit überbringen.«

»Aha«, machte der Wirt und musterte die beiden erneut eindringlich. »Wie Nonnen sehen sie beide nicht aus.«

Er zuckte ein wenig mit dem rechten Auge und nahm dann plumpsend auf der anderen Tischseite Platz. »Eher wie…« Er beugte sich weit mit dem Oberkörper über den Tisch. »… wie zwei Ladies, die inkognito reisen.«

»Ihr habt recht«, setzte Genevier sofort ein. Es hatte wenig Sinn, dem netten Dicken etwas vor zu machen. »Wir wollen unerkannt sein. Die Zeiten sind nicht gerade ungefährlich. Trotzdem haben wir eine Botschaft.«

Jetzt hatte die Königin ja nicht gelogen. Trotzdem wusste der Wirt nicht mehr.

Er schaute auf die Tischplatte und nickte dann.

»Gut, gut. Egal! Nur eines – dort oben haust das Böse. Morgana, die Schwester des alten Hochkönigs Artus. Sie jagt Menschen, quält sie und tötet sie. Seid auf der Hut!«

Er lehnte sich zurück. »Etwa sechs Meilen. Wenn ihr den Ort in westlicher Richtung verlasst, könnt ihr die Burg sehen. Sie wirkt erdrückend!«

Er schwieg einen Moment. »Früher – ja – da war Dragonstone erfüllt von Pracht. Wenn die Turniere angesagt waren, dann kamen die Ritter von überall. Als Artus   Camelot zum Glanz des Landes machte, da blühte auch Dragonstone auf. Bis… – ja, bis dieser Bastard erschien. Modred! Da brach die erste Finsternis ein.«

Genevier und Sanderah hörten aufmerksam zu. »Und dann? Erzählt weiter!«

Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Nach dem Tod des Königs zog sich Morgana aus der Burg zurück. Bis vor einem Jahr – da tauchte sie wieder auf und herrscht über das Herzogtum wie eine Furie. Man sagt, die Geräte in der Folterkammer seien niemals vorher so gut geölt gewesen.«

Genevier schaute den Dicken ernst an. »Hört mir zu. Hört genau zu – ich frage es eindringlich, weil es wichtig ist. Seid ihr dessen sicher, dass es sich um Morgana handelt?«

Der Wirt zog die Augenbrauen hoch. »Um wen denn sonst?«

»Jemand anderes kann sich dort eingenistet haben und Morganas Namen missbrauchen.«

Der Wirt schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein! Viele Menschen haben Morgana gesehen. Die Hexe ist es!«

Die Königin atmete tief durch. Irgend etwas stimmte da nicht. Sie würden es feststellen!

Gegen Abend, im Schutz der Dunkelheit, verließen sie den Ort. Mühselig zeigte sich der Weg. Sie waren wohl etwa vier Meilen gelaufen, als sie Hufgetrappel hörten.

»Vielleicht jemand, der uns mitnehmen kann«, mutmaßte Sanderah. Doch Genevier schüttelte den Kopf. »Nein, dass ist kein Wagen. Nur Pferde.«

Rasch nahmen sie ein Versteck hinter dichten wilden Rosenbüschen ein. Da preschte auch schon ein Trupp bewaffneter Reiter heran. Zehn Männer in schwarzen Rüstungen. Auf den Schilden trugen sie als Wappen jeweils einen Totenkopf.

Vor den Wildrosen blieben sie kurz halten, dann schwenkten sie in einen Seitenpfad ab.

Als der Hufschlag verebbte, richtete sich Genevier wieder auf.

»Komm!«, zischte sie zu ihrer Begleiterin. »Ich möchte wissen, was die Burschen vorhaben.«

»Wenn es sein muss«, murmelte Sanderah ergeben. Ihr taten die Füße weh. Sie hatten nämlich – in Anbetracht des langen und schmutzigen Weges – Strohsandalen angezogen. Diese Fußbekleidung waren beide nicht mehr gewöhnt. Genevier beklagte sich zwar nicht, aber Sanderah merkte, dass sie mehrfach wohl versucht war, diese fort zu werfen.

Der Weg wurde steil und unzählige Disteln säumten ihn.

»Autsch!«, entfuhr es Sanderah, als wieder mal so ein Stachelblatt schmerzhaft ihre Fußknöchel berührte.

Bald erreichten sie ein Tal. Dunkel zeichnete sich ein Bauernhof ab. An einem Koppelzaun sahen sie die angebundenen Pferde.

Genevier und Sanderah setzten sich auf den Hang.

Da trat der Mond aus den Wolken heraus und spendete sein silberfarbenes Licht.

Malerisch stellte sich das kleine Gehöft nun dar.

Von den Reitern sah man nichts. Lediglich in dem kleinen Haus flackerte Licht auf. Unruhiges Licht, wie von getragenen Kerzen.

»Was mögen die da unten tun?«, fragte Sanderah.

Da hörten sie den Schrei! Der Schrei einer Frau in Todesangst.

»Diana!«, stieß Genevier hervor und sprang auf.

Sanderah tat es ihr gleich.

Die Stille nach dem Schrei war bedrückend.

Da! – Erneut ein Schrei!

Diesmal langgezogener und winselnder.

»Wir müssen nachsehen!« Mit diesen Worten jagte die Königin den Hang hinab.

Ihre Freundin hatte große Mühe ihr zu folgen.

»Vorsicht!«, rief sie schwer atmend. Da blieb Genevier stehen und ging in die Hocke. Nur etwa dreißig Yards trennten sie von dem Haus.

Genevier deutete auf einen kleinen Vorbau. »Von dort können wir hineinschauen«, raunte sie.

Sanderah hielt sie am Ärmel des Mantels fest. »Wenn man uns erwischt, können wir niemandem helfen«, gab sie zu bedenken.

Doch Genevier war nicht zu halten. Sie erreichten den Vorbau und konnten durch das Fenster in einen Raum schauen, der von einer zentralen Feuerstelle beherrscht wurde – dem Herdfeuer.

Nur spärliches Mobiliar gab es dort. Eine hölzerne Bank, einen Tisch und vier Hocker.

Doch das Herdfeuer zog die Blicke der beiden Frauen magisch an und das Entsetzen in ihren Augen war kaum wiederzugeben.

Es gab keinen Zweifel, wo die fürchterlichen Schreie herstammten.

Sie konnten auf dem Tisch nahe des Feuers nur die Umrisse eines weiblichen, nackten Körpers erkennen. Auf der anderen Seite des Feuers, an einem Stützbalken, stand angebunden ein Mann. Ebenfalls jeglicher Kleidung beraubt.

Mehrere Gestalten standen oder liefen im Raum umher. Einer trug eine Fackel, mit der er sich nun der gefesselten Frau auf dem Tisch näherte.

Die beiden Lauscherinnen hielten sich unwillkürlich die Ohren zu, als der Mann die Fackel unter die Fußsohlen der Frau hielt.

Doch sie schien keine Kraft mehr zum lauten Schrei zu haben. Nur unartikulierte Laute drangen durch das Fenster.

»Wir müssen hinein.«, zischte Genevier und schlich bereits auf die Tür zu. Diese stand einen Spalt offen. Gerade so weit, dass die beiden schlanken Gestalten hindurchschlüpfen konnten. Sogleich vernahmen sie eine tiefe, hohlklingende Stimme.

»Ihr werdet mir sagen, wo die Urkunde verborgen ist. Das schwöre ich euch!«

»Was meint ihr denn, um des Himmels Willen?«, kam es wimmernd aus dem Mund des Bauern.

»Meine Herrin will das Land zurück. Die Schenkung ist erloschen. Aber sie braucht die Urkunde dazu.«

»Morgana hat uns das Land bereits vor zehn Jahren geschenkt«, wimmerte es wieder.

Der folgende Schrei drehte den lauschenden Frauen den Magen um.

Genevier sah durch die Ritzen der Innentür, dass der Sprecher dem Bauern die Fackel genau zwischen die   Oberschenkel hielt.

In diesem Moment knarrte die Bohlentür. Die Augen der Verbrecher richteten sich sogleich in die Richtung des Geräusches.

Jetzt haben sie uns! durchzuckte es Genevier. Diana hilf!

Da brach draußen ein Unwetter los, dass jeder Donnerschlag das Haus erbeben ließ. Der Regen prasselte urplötzlich und Blitze erhellten den Innenraum wie tausend Kerzen.

»Verdammt! Auch das noch«, rief der Anführer der Bande aus und warf seine Fackel ins Feuer. Funken sprühten und die Herdflamme schoss fauchend in die Höhe. »Lasst uns verschwinden. Tot nutzen uns die Leute wenig. Aber wir werden zurückkommen.«

Er wandte sich an den stöhnenden Bauern und griff ihm noch einmal mit aller Macht in die verbrannten Hoden. »Dann ziehen wir euch die Haut ab!«

Genevier und Sanderah pressten sich eng an die Wand hinter der Bohlentür, als die Meute herausstürmte. Als in der Wucht des Unwetters der Hufschlag verklang, rannten die beiden Frauen in das Zimmer.

Der Bauer sah schlimm aus und hing apathisch in seinen Fesseln. Genevier blickte zu der Frau auf dem Tisch. Bei ihr bestand keine Lebensgefahr, wenn auch die Fußsohlen geschwärzt und von Brandblasen übersät waren.

Zuerst banden sie den Bauern los und legten ihn mit vereinten Kräften auf ein Strohlager hinter dem Herd. Eine gnädige Ohnmacht umfing ihn.

Die Königin betrachtete die Verletzung. Der Hodensack und der hintere Teil seines Penis sah schlimm aus. Genevier hoffte, dass sie seine Männlichkeit würde retten können.

Sanderah befreite inzwischen die Bauersfrau. Danach begann sie mit Wasser, das sie in einem Kübel vorfand, die Füße der Gefolterten zu kühlen. Die Verbrennungen sahen schlimmer aus, als sie waren.

»Sanderah – ich brauche kaltes, frisches Wasser. Draußen habe ich einen Brunnen gesehen. Rasch!«

Wenig später kam die Gefährtin – vom Regen nass wie eine Katze – mit dem Kübel angeschleppt. Als Genevier begann, die Hoden des Bauern mit einem Lappen zu kühlen, brüllte dieser auf und schlug um sich. Den beiden Frauen gelang es nur mit aller Kraft, den Verletzten – dem der grausame Schmerz Bärenkräfte verlieh – zu halten und – es ging nicht anders – an Händen und Füßen zu fesseln. Die Enden der Seile wurden an zwei Balken gebunden. Die Beine waren leicht gespreizt, so dass Genevier die Wunden behandeln konnte. Erneute Ohnmacht breitete sich über den armen Mann aus.

»Wie sieht es aus?«, fragte Sanderah ängstlich.

Die Königin zuckte die Achseln. »Ich kann nur erst einmal die Verbrennungshitze fernhalten. Das wird uns die halbe Nacht kosten.«

Irgendwann schlief auch Genevier ein.

Als sie aus unruhigem Schlaf erwachte, der ihr wilde und beängstigende Träume beschert hatte, dämmerte der Morgen bereits.

Sowohl der Bauer, wie auch seine Frau schliefen.

»Diana sei Dank«, murmelte die Königin.

In einer Ecke zusammengekauert hockte Sanderah. Auch sie öffnete gerade die Augen.

»Oh jeh!«, stöhnte sie. »Mein Kreuz.«

Genevier lachte freudlos. »Mir geht es nicht anders. Unsere Patienten liegen im Erschöpfungsschlaf. Kannst du mal nachsehen, ob es etwas Essbares im Hause gibt?«

Tatsächlich gelang es der jungen Frau, eine große Zahl Eier im angrenzenden Stall zu sammeln und bald breitete sich der Duft von Pfannkuchen in der Küche aus.

Der Bauer erwachte eben stöhnend. Dann sah er die Frauen und stellte fest, dass er gebunden war.

Genevier erklärte ihm in kurzen Sätzen die Geschehnisse.

»Es sind keine Menschen! Es sind Dämonen! Grausame Hunde!«, gab der Bauer mühsam von sich. Dann merkte er, dass er völlig nackt da lag und die Schamröte überzog sein zerfurchtes Gesicht.

Genevier lächelte. »Macht euch keine Gedanken. Ich habe schon viele nackte Männer gesehen.«

Sie löste seine Fesseln. Sogleich wollte der Mann seine Blöße mit den Händen bedeckten, doch Genevier hielt sie fest. »Nicht! Es ist eine gefährliche Verletzung. Habt ihr Schmerzen?«

»Es geht«, murmelte der Bauer.

Genevier nahm einen frischen Lappen und tauchte ihn in das kalte Wasser. Dann legte sie ihn um die Hoden. Der Mann zuckte im neuen Schmerz zusammen.

»Es wird bald besser werden.«

Nun erwachte auch die Frau. Genevier betrachtete sie jetzt eingehend. Obwohl sie die Fünfzig wohl bald erreicht hatte, wirkte ihr Körper straff und anziehend.

»Wie geht es eueren Füßen?«, erkundigte die Königin sich.

»Es geht…« Nun bemerkte auch die Bauersfrau ihre Nacktheit.

Genevier streichelte ihre Hand. »Wenn ihr mir sagt, wo ihr etwas frisches zum Anziehen habt, hole ich es euch.«

Auch dem Bauern legte die Königin einen Mantel um, den sie in einem schön gezimmerten Schrank vorfand.

Das kräftige Frühstück, das Sanderah wie mit Zauberhand erstellt hatte, brachte wieder die Lebensgeister der beiden Leute zurück.

Nun wollte Genevier natürlich Genaues wissen, über den Vorfall.

»Die Hexe von Dragonstone hat mir einst das Land geschenkt. Für gute Dienste. Nun fordert sie es zurück.«

Die Königin runzelte die Stirn. »Wenn du ihr gute Dienste geleistet hast – weshalb bezeichnest du sie dann als Hexe?«

Der Bauer fuhr sich über das Gesicht. »Ach, Mylady – sie war nicht immer so.

Doch plötzlich tauchte sie hier auf. Vor einem Jahr. Ihre Augen blitzten böse unter dem Diadem des Teufels.«

»Diadem des Teufels?«, fragte Genevier gedehnt. »Was meinst du?«

Der Mann richtete sich mühsam auf seinem Lager auf.

»Sie war wie verändert. Ihr Gesicht wirkte grober und die Augen dunkler. Das sonst so schöne Haar stand ab wie bei einer Furie. Und auf der Stirn blitzte der grüne Stein Luzifers im goldenen Druidenfuß.«

Genevier zuckte zusammen.

Sie fasste den Bauern bei der Schulter und fragte eindringlich: »Was sagst du da? Beschreibe das Diadem genau!«

Der Mann tat es mit erstauntem Gesichtsausdruck.

Die Königin starrte den Bauern an. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie wankte in der knienden Stellung. Ihre rechte Hand reckte sich haltsuchend nach oben. Sanderah eilte auf die Freundin zu und hielt sie fest.

»Bei allen guten Geistern! Genevier! Was hast du?«

Langsam wandte die Königin den Kopf und blickte Sanderah mit leerem Blick entgegen. »Das Diadem. Der grüne Stein im Siegel Salomons. Es gehörte einst mir.«

Sanderah schluckte. »W i e …«

Genevier richtete sich auf. Sie barg das Gesicht in den Händen. Hohl klang es darunter hervor: »Ich habe es vor langer Zeit verschenkt.«

Endlich nahm sie die Hände wieder herunter. Sie setzte sich auf einen Schemel und brach in hysterisches Lachen aus. Alle im Raum sahen sich erschrocken an.

Sanderah stampfte mit dem Fuß auf.

»Genevier! Himmel – komm zu dir!«

Es dauerte aber noch etwas, bis die Königin sich beruhigt hatte. Sie sank in sich zusammen und atmete schwer.

Sanderah ergriff ihre beiden Hände. »Genevier – sag’ mir was los ist.«

Die Stimme der Königin klang mit einemmal rau und fremd. »Es ist nicht Morgana, die auf Dragonstone ihr Unwesen treibt.«

Sanderah schluckte. »Bei der Göttin allen Seins – wer ist es dann?«

»Ihre Schwester Morgause.«

»Aber… aber…« Sanderah stammelte nur etwas und starrte die Freundin an.

Genevier nickte. »Einst schenkte ich Morgause, der leiblichen Schwester Artus’ dieses Diadem.«

»Was heißt leibliche Schw…– wer ist dann Morgana? Ich denke…«

»Morgana ist seine Halbschwester. Als beide damals in wilder Liebe entbrannt Modred zeugten, wussten sie es nicht.«

Sanderah war sprachlos. Dann meinte sie: »So ist das. Mir werden verschiedene Dinge aus der Vergangenheit klar. Und was hat Morgause im Sinn?«

Genevier wusste es. »Sie war immer schon neidisch auf Morgana. Sie will sie vernichten.«

Sanderah schüttelte bei dieser Eröffnung den Kopf. »Ich bin etwas aus der Fassung. Du meinst also, dass Artus’ wahre Schwester versucht, mit Mord und Folter zu herrschen?«

Genevier zuckte die Achseln. »Sie war immer schon ein kleines Luder. Wenn es darum ging, Vögeln den Hals umzudrehen, war sie die erste dabei. Als Camelot unter ging, bestand ihre größte Sorge darin, wie sie wohl weiter leben würde. Armut stellte für sie ein Gräuel dar.«

»Was hat sie denn die ganze Zeit über gemacht?«

»Sie tauchte irgendwo unter. Man munkelte, sie habe in Wales Zuflucht gefunden.«

Sanderah nickte langsam. »Irgendwann hat sie sich dann in Morganas Burg eingenistet. Sehen sich denn die beiden so ähnlich?«

Genevier lachte hart auf. »Ja – Morgana und Morgause hätten Zwillinge sein können, obwohl sie verschiedene Väter hatten. Morgause ist etwas kleiner. Aber sie war immer schon eine Meisterin der Maskerade. Sie liebte die Schauspielerei und hat uns auf Festen mit ihrem Können oft überrascht.«

Genevier lächelte plötzlich. »Trotzdem bin ich froh, dass es nicht Morgana ist, die hier böses Spiel treibt.«

Sanderah schaute ernst. »Aber was tun wir? Morgause ist doch in ihrem Wahn gefährlich!«

Da musste die Königin zustimmen. Doch zuerst galt es den Bauersleuten zu helfen.

Im nahen Wald fand die heilkundige Priesterin der Diana die Kräuter, die sie zu einer bestimmten Tinktur benötigte. Damit behandelte sie die Brandverletzungen des Bauern.

Vier Tage blieben Genevier und Sanderah auf dem Hof. Die Schergen von Dragonstone tauchten nicht auf.

Tatsächlich zeigten sich die Heilbemühungen der Königin erfolgreich.

Am Abend des vierten Tages nahm Genevier die Bäuerin beiseite. »Die Kräuter haben angeschlagen. Die Schmerzen sind weg und die Wunden sind fast verheilt.«

Sie zwinkerte mit den Augen. »Ich denke, die Funktion der Männlichkeit deines Gatten probierst du selbst aus.«

Beide lachten herzlich.

Am nächsten Morgen verabschiedeten sich die beiden Frauen von den Bauersleuten, die sie mit Dank überschütteten.

 

 

 

2

 

Dragonstone!

Drohend stand die Feste über dem zerklüfteten Hang.

Die schwarzen Wolken unterstrichen die Drohung noch, die von ihr aus zu gehen schien.

Genevier und Sanderah stiegen von dem Fuhrwerk. Sie bedankten sich bei dem Bauern fürs Mitnehmen.

»Seien sie vorsichtig«, riet der gutmütige Mann noch und wendete rasch. Er wollte wohl so rasch wie möglich viel Raum zwischen sich und die Festung bringen.

Genevier schaute nach oben. Sie konnte sich noch erinnern, wie die zahlreichen Wimpel und Standarten dort flatterten. Oh ja – es gab auch eine gute Zeit!

Der Ort unterhalb von Dragonstone wirkte verschlafen.

Sanderah schaute die Freundin an. »Was jetzt?«

Genevier deutete nach unten. »In den Ort.«

Der Eindruck des Ortes veränderte sich, je näher die beiden Priesterinnen ihm kamen. Nicht verschlafen, sondern bedrückend wirkte alles.

Von irgendwo dröhnte eine Glocke.

»Es klingt wie die Totenglocke.«, flüsterte Sanderah und fröstelte.

Nur wenige Menschen sah man. Und wenn, dann huschten sie gebeugt an den Hauswänden entlang und verschwanden rasch wieder irgendwo. Genevier und Sanderah indessen machten sich auf den Weg zum Ortsmittelpunkt. Dort stand die Kathedrale. Sie wirkte sehr verwahrlost. So – als ob sie wenig besucht würde.

Doch etwas anderes erschreckte die beiden Frauen viel mehr. Ein Ding, das vor dem Portal der gewaltigen Kirche stand und sich wahrlich im Bestzustand befand.

Der Pranger.

Und was für einer !

»Diana!«, rief Sanderah aus. »Wer soll das Anschließen an dieses Monster überleben?!«

Auch Genevier stand wie erstarrt und tiefe Falten zeichneten sich auf ihrer Stirn ab. Dies Martergerät zeigte nur zu deutlich, dass Furcht und Gewalt von Dragonstone aus ausgeübt wurden.

»Wer hier hinein muss, dem bricht schon vorher das Rückgrat«, murmelte sie und wandte sich mit Schaudern ab.

Sanderah atmete tief durch, ehe sie der Königin die Stufen zur Kathedrale hinauf folgte.

»Was willst du hier?«

»Nun – wir benötigen Auskünfte und ein Quartier. Der Pfarrer scheint mir hier am vertrauenswürdigsten zu sein. Komm!«

Düster, nur von wenigen kümmerlichen Altarkerzen beleuchtet, bot sich den Augen der Besucherinnen der Innenraum. Genevier wusste, dass diese Kirche der Maria Magdalena geweiht – einst eine schmucke Andachtsstätte war.

»Satan selbst hat uns des Goldes beraubt und zerstörte die Figuren.«

Mit leichtem Aufschrei fuhren Sanderah und Genevier herum. Ein sympathischer junger Priester stand hinter ihnen.

»Verzeiht im Namen des Herrn, wenn ich euch erschreckt habe.«

»Sie taten es, Hochwürden. Sie taten es«, kam es noch fassungslos aus Geneviers Mund. Dann fing sie sich wieder und murmelte fragend: »Was ist geschehen? Ich kenne diesen Gottesort noch aus anderen Tagen.«

Der Priester – er mochte wohl knapp dreißig Jahre zählen – zog ein wenig die Augenbrauen hoch. »Dann müsst ihr vor langer Zeit hier gewesen sein. Denn seit die Herrin von Dragonstone wieder herrscht, ist es ein Ort des Schreckens geworden. Nur wenige Gläubige trauen sich hier her.«

Genevier blickte auf den schmutzigen, einst so wundervollen Mosaikboden.

»Es ist lange her und manchmal glaube ich, es sind Jahrhunderte.«

Der Priester lächelte milde und schritt zwischen den Säulen hindurch zum Altar.

Die beiden Frauen folgten ihm.

Vor dem Kreuz beugte der Kirchenmann das Knie und sagte: »Herr! Jesus, unser Christ! Erlöse uns von der Knechtschaft. Ich bitte nicht für mich, denn meine Aufgabe ist es, Schuld zu tragen. Wie du einst am Kreuz. Doch erlöse die Menschen hier.«

Nach einer Zeit des Schweigens wandte sich der Mann um. Er schaute Genevier ernst an. »Ich kenne euer Gesicht irgendwo her. Doch es fällt mir nicht ein.«

Dann zogen sich seine Brauen leicht zusammen und die Königin merkte, dass sein Blick auf dem Bereich ihres Halses ruhte. Dort trug sie ein Medaillon. Es war aus der Bauerntracht gerutscht.

»Das Medaillon der Heiligen Familie. Bereits vom Hause Davids aus uralter Zeit übernommen«, sagte er.

»Ihr kennt es?«

»Das geflügelte Rad Dianas und Ishtars. Verbunden mit dem Drachen des Pendragon. Ihr kommt von Munsalvache.«

Genevier staunte nun erst recht. Ein Priester des Paulinischen Glaubens kannte das Emblem des Gral? Er musste doch die Existenz der Gralsfamilie leugnen. Schließlich machte diese dem Papst die Nachfolge des Petrus streitig.

Der Priester lächelte nun wieder und sein Gesicht schien das eines großen Jungen zu sein und nicht das eines erwachsenen Mannes.

»Ich kenne es. Ich bin zwar christlicher Priester, aber ein Spross des Josephs von Arimathia. Ich stamme von Glastonbury und dort ist auch die Wahrheit noch lebendig.«

Genevier machte ein paar Schritte auf ihn zu. »Nennt mir euren Namen.«

»Guss de Paigant. Jetzt weiß ich auch euren Namen, obwohl ich euch nie sah – zur Zeit des großen Königs. Ihr seid Genevier. Ich bin ein Neffe von Kaie – dem Seneschall des Hochkönigs.«

»Kaie!« Genevier machte zwei Schritte rückwärts. Dann drückte sie dem Priester herzlich die Hände. »Also doch wieder ein Mensch, der aus dem Kreise des großen Artus stammt. Was könnt ihr mir über den Verbleib eures     Oheims sagen?«

Guss de Paigant machte ein betrübtes Gesicht. »Ich weiß es nur aus Berichten von Rittern, die bis zum letzten   Atemzug Camelot gegen die anrückenden Merowinger verteidigten. Modred, dieser Hund – Gott möge mir verzeihen – hatte Childerich wohl den geheimen Tunnel verraten, den der König als letzten Ausweg für alle Fälle hatte anlegen lassen. Andererseits aber auch, um bei einer Belagerung der Stadt den Menschen eine Zuflucht in die Festung geben zu können, falls die Haupttore dereinst von Feinden besetzt sein sollten.«

»Ich weiß! Merlin hatte es ihm damals so geraten.«

Guss nickte. »Jedenfalls kannte der Feind diesen Zugang und bald war es nicht mehr möglich, die Burg zu halten. Zweidrittel sind verwüstet und verbrannt worden. Die Merowinger wollten das Wahrzeichen des Pendragon zerstören. Kaie fiel am Haupttor. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: >Für Artus, den König der Welt<. Dann hat ihn ein Merowinger niedergestreckt.«

Genevier hielt sich die Hände vors Gesicht.

»Schrecklich!«, stieß sie aus. Doch dann blickte sie Guss wieder fest an. »Was passiert oben auf Dragonstone? Weshalb verbergen sich hier im Ort die Menschen?«

»Kommt mit ins Pfarrhaus. Dort werde ich euch bewirten und alles berichten.«

Das Pfarrhaus war durch einen verwilderten Garten zu erreichen.

»So habe ich Deckung vor Übergriffen. Immer wieder kommen Horden von der Burg, weil sie hoffen, dass ich noch goldene Hostien oder ähnliches verstecke. Aber sie haben bereits alles und auch die Peitsche konnte nichts daran ändern.«

Genevier hielt Guss fest. »So hat man euch gefoltert?«

Der Priester zuckte mit den Schultern. »Gefoltert nicht direkt, aber misshandelt. Doch das ist schon Wochen her. Aber die Menschen kommen nicht mehr zum Gottesdienst. Sie haben Angst. Denn die Hexe dort oben will den Satan verehren.«

»Denkt ihr auch, dass es Morgana ist?«

Der Priester blieb stehen und schaute die Sprecherin erstaunt an. »Ihr etwa nicht?«

Genevier schüttelte den Kopf. »Vieles spricht dafür, dass es sich um ihre Schwester Morgause handelt.«

Guss ging weiter und schloss das Pfarrhaus mit einem großen Schlüssel auf.

Die Wohnung bestand aus einer Wohnküche mit offenem Herdfeuer und einem angrenzenden kleinen Schlafraum. Unzählige Pergamente und Schriften türmten sich in Regalen rund um an den Wänden. Dazu Bilder von Heiligen, Jesus und der Jungfrau Maria.

»Alles paulinisch«, stellte die Königin fest.

»Ich habe die wahre Mutter der Könige abgenommen. Aus Sicherheitsgründen.«

Genevier ließ sich auf einen Schemel fallen. Die Füße schmerzten vom langen Marsch. Sie streifte die Strohsandalen ab und fühlte sich gleich wohler. Sanderah tat es ihr gleich.

Guss zauberte ein einfaches, aber schmackhaftes Essen.

Nachdem sie sich alle gestärkt hatten, fragte er: »Wie kommt ihr auf Morgause? Sie soll immer die Lieblichste der Artusschwestern gewesen sein.«

Genevier lächelte. »Lieblich war sie. Das stimmt. Aber im Innern der Teufel, falls es ihn geben würde.«

Auf den fragenden Blick von Guss, legte Genevier ihm die Hand auf den Arm. »Ihr kommt in den Zwiespalt mit euerer Theologie der Kirche und der Wahrheit. Selbsternannte Nachfolger des Rabbis haben als Gegenstück zu Gott den abtrünnigen Engel zum Bösen ernannt. Denn die Furcht treibt die Menschen in die Kirchen. Wohlgemerkt – in die Kirchen! Nicht zu Gott.«

Guss seufzte. »Ihr verwirrt mich, doch sicherlich habt ihr recht.«

»Habt Ihr Morgana persönlich gesehen, wenn es zu     Übergriffen kam?«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Augenzeugen berichteten mir nur von dem rothaarigen Satan.«