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… den rufen sie früh zu sich! Das Sprichwort wird dem römischen Dichter Titus Maccius Plautus Plautus, Titus Maccius(254 – 184 v. Chr.) zugeschrieben. Im lateinischen Original lautet es: »Quem dei diligunt, adulescens moritur.« Andere Quellen nennen als Ursprung den griechischen Dichter Menander Menander(342 – 291 v. Chr.). Wer von beiden die Redewendung auch erfunden haben mag, eines steht fest: Das beschriebene Phänomen ist bekannt, seit sich die Menschheit für Kunst und Kultur interessiert. Schon die Griechen und Römer der Antike wussten: Wer von den Göttern so überreich mit Talent, Genie, Schöpfungs- und Schaffenskraft gesegnet wird, dem droht womöglich vorzeitiges Ableben. Auf Erden vollbringt der Held in einer kurzen Zeitspanne übermenschlich viele und große Taten – zum Lohn darf er dann früh in den Olymp aufsteigen und dort mit den Göttern speisen. Ein Schicksal, das dem Nachruhm förderlich ist. Nicht zuletzt, weil der so entstandene Mythos nicht altern kann. Denn er friert unser Bild des jugendlichen Götterlieblings für immer ein. Der Tod konserviert den Mythos in seiner reinsten Form.

Buddy HollyHolly, Buddy (7. 9. 1936 – 3. 2. 1959) war nicht der erste und auch nicht der jüngste Star der Unterhaltungskunst, der früh dahinging: Am 3. Februar 1959 kam er mit gerade einmal 22 Jahren bei einem Flugzeugabsturz jedoch als erster strahlender Held der jungen Rockmusik zu Tode. Wolfgang Amadeus Mozarts Mozart, Wolfgang Amadeus(17561791) Leben währte gerade 35 Jahre, der Dichter Georg BüchnerBüchner, Georg (18131837) verließ diese Welt mit 23, und der Startenor Enrico CarusoCaruso, Enrico (18731921) wurde, wie auch der Ragtime-Erfinder Scott Joplin Joplin, Scott(18681917), nur 48. Vor allem in Hollywood waren von Anfang an zahlreiche viel zu frühe Todesfälle berühmter Leinwandstars zu beklagen. Rudolph ValentinoValentino, Rudolph (18951926) starb mit 31 Jahren, Jean Harlow Harlow, Jean(19111937) mit 26, Carole Lombard Lombard, Carole(19081942) mit 33, Gérard PhilipePhilipe, Gérard (19221955), den sie schon zu Lebzeiten »Liebling der Götter« nannten, mit 33, James Dean Dean, James(19311955) mit 24 und Marilyn Monroe Monroe, Marilyn(19261962) mit 36.

Fast ausnahmslos waren sie schon zu Lebzeiten Weltstars, im Tod aber wurden sie zur Legende. Ihr kurzes, kometenhaftes Dasein erscheint wie ein Feuerwerk aus Glanz und Gloria, das zwar von einem tragischen Ende, nicht aber von den Schatten des Alterns und des

Unabhängig ob auf der Leinwand, auf der Bühne oder in anderen Bereichen der Kunst und nicht zuletzt auch auf den Spielfeldern des Sports: Stars spiegeln die Sehnsüchte unserer westlichen Freizeit- und Konsumgesellschaft – Jugendlichkeit, Schönheit, materiellen Erfolg und nicht zuletzt eine starke, unabhängige Persönlichkeit, die durchaus unangepasst sein darf. Stars sind das Beispiel, sind das Vorbild, das wir idealisieren, das uns inspiriert. Und sie verfügen über ein außergewöhnliches Charisma, dem wir als Publikum erliegen. Der Lohn, den sie für ihre einzigartigen Leistungen einstreichen, ist, so scheint es, ein Dasein jenseits aller Beschränkungen, denen der gewöhnliche Erdenbürger sich ausgesetzt sieht – anders als wir genießen Stars Ruhm, Reichtum, Genuss im Übermaß und eine privilegierte Existenz von nahezu unbegrenzter Freiheit.

Die Kehrseite der glorreichen Medaille: Wer auf Erden einmal einen solchen gottgleichen Status erreicht hat, mag ihn freiwillig kaum wieder aufgeben. Also ist er dazu verdammt, immer weiter zu glänzen, auch im nächsten Film wieder zu überzeugen und die Menschen ins Kino zu locken, auch mit dem nächsten Song einen Hit zu landen und in jedem neuen Spiel den Gegner zu besiegen. Nicht alle halten diesen Druck aus, jedenfalls nicht ohne Hilfsmittel. Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch sind nur allzu oft die Folge. Jenseits der dicken Mauern luxuriöser Privatdomizile, in der Einsamkeit sündhaft teurer Hotelsuiten und in den Künstlergarderoben des Showbusiness werden sie nur allzu leicht zur alltäglichen Begleiterscheinung hinter der glamourösen Fassade.

Wer den Erfolg nach langen Jahren des Sich-Hocharbeitens genießt, ist dabei in der Regel gegen die Fallstricke des Ruhms besser gefeit als ein junger Künstler, der, kaum der Pubertät entwachsen und entsprechend wenig gefestigt, quasi über Nacht zum Star und damit rund um die Uhr auch zum Objekt einer unerbittlichen Beobachtung durch Fans und Massenmedien wird. Nicht jeder ist in der Lage, souverän die öffentliche von der privaten Seite seiner Persönlichkeit zu

Seit jeher hat sich die Popkultur das Motto »Live fast, love hard and die young!« auf die Fahnen geschrieben. Entlehnt ist die Devise dem gleichnamigen 1955er-Hit von Faron YoungYoung, Faron, der es seinerzeit in den Country & Western-Charts auf Platz eins brachte. Zwar hatte Young damit keineswegs die todesverachtende Kompromisslosigkeit im Sinn, die das Leben etwa von Janis JoplinJoplin, Janis (19. 1. 1943 – 4. 10. 1970), Jimi HendrixHendrix, Jimi (27. 11. 1942 – 18. 9. 1970) und Jim MorrisonMorrison, Jim (8. 12. 1943 – 3. 7. 1971) zur ungezügelten Tour de Force am Rand des Abgrundes machte. Der Countrysänger meinte damit eher augenzwinkernd die Lebensfreude des kernigen Westerners und dessen stolze Manneskraft – schließlich lautete eine weitere Textzeile des Songs »I want to leave a lot of happy women«. Dennoch wurde YoungsYoung, Faron Leitsatz im Verein mit einem weiteren, nämlich »hope I die before I get old« aus dem The Who-Hit »My Generation« von 1965, zum Imperativ der klassischen Popkultur und zur Lebensmaxime vieler ihrer Künstler, allen voran der Musiker. Und auf den Punkt brachte es schließlich Neil YoungYoung, Neil in seinem Song »Hey Hey My My (Out of the Blue)«: »It’s better to burn out / than to fade away«!

Da erstaunt es wenig, dass die Popmusik seit den 1950er Jahren Frühvollendete zu Dutzenden hervorgebracht hat. Zum berüchtigten »Club 27«, also dem Kreis der mit 27 Jahren Verstorbenen wie Brian JonesJones, Brian (28. 2. 1942 – 3. 7. 1969), Jim MorrisonMorrison, Jim (8. 12. 1943 – 3. 7. 1971), Jimi HendrixHendrix, Jimi (27. 11. 1942 – 18. 9. 1970), Janis JoplinJoplin, Janis (19. 1. 1943 – 4. 10. 1970), Kurt CobainCobain, Kurt (20. 2. 1967 –5. 4. 1994) und Amy WinehouseWinehouse, Amy (14. 9. 1983 – 23. 7. 2011), zählen da noch die wenigsten. Auch Pophelden mittleren Alters, etwa Michael JacksonJackson, Michael (29. 8. 1958 – 25. 6. 2009) (50), PrincePrince (7. 6. 1958 – 21. 4. 2016) (57), Elvis PresleyPresley, Elvis (8. 1. 1935 – 16. 8. 1977) (42), Whitney Houston Houston, Whitney (9. 4. 1963 – 11. 2. 2012)(48) und Freddie MercuryMercury, Freddie (5. 9. 1946 – 24. 11. 1991) (45), wurden zu Opfern ihres Ruhms und des damit verbundenen Lebensstils – die drei Erstgenannten starben an Tablettenmissbrauch, der Queen-Sänger an den Folgen einer AIDS-Infektion.

Das Dasein als Popidol erfordert nicht nur die nötige Portion Talent und Glück, es verlangt auch eine geradezu teflonbeschichtete und überdurchschnittlich gefestigte Persönlichkeit, die den Widersprüchen, Versuchungen, Illusionen und sonstigen Fallstricken eines solchen Lebens standhalten kann. Und damit sind nicht nur Drogenmissbrauch, die Risiken des Reisens und die, wie im Fall von John LennonLennon, John (9. 10. 1940 – 8. 12. 1980), mitunter todbringende Verehrung eines Massenpublikums gemeint. Genauso verheerend können sich ein betrügerisches Management, eine misslungene Karrierestrategie und der unbarmherzige Druck einer ausschließlich am kommerziellen Ertrag interessierten Musikbranche auswirken. Ganz zu schweigen von Faktoren wie schlichtem Pech und den unberechenbaren Wendungen des Zeitgeistes.

Und was ist mit den allzu menschlichen Sollbruchstellen, die in einer hochtalentierten Künstlerpersönlichkeit quasi per definitionem angelegt sind? Musste ein kindliches Gemüt wie das von Michael JacksonJackson, Michael (29. 8. 1958 – 25. 6. 2009) nicht irre werden an der kalten Wirklichkeit einer, so muss man sagen, geldgeilen Millionenbranche und an den zynischen Spielregeln ihres Starsystems?

Wie ist es auszuhalten, wenn man wie zum Beispiel Janis JoplinJoplin, Janis (19. 1. 1943 – 4. 10. 1970) in dem einen Moment noch seine tiefsten Emotionen vor Zehntausenden von Menschen offenbart hat, die einen dafür auf Händen getragen haben, und im nächsten Moment in einem sterilen Hotelzimmer in einer namenlosen Stadt sitzt, allein mit sich und der Gewissheit, doch kein Gott, sondern nur ein ganz gewöhnlicher, von Selbstzweifeln und Einsamkeit geplagter Mensch zu sein?

Und was, wenn ein solcher Künstler von Natur aus scheu, zurückhaltend und im Umgang mit der Welt eher ängstlich ist? Freddie MercuryMercury, Freddie (5. 9. 1946 – 24. 11. 1991) gehörte zu denen, die eine Kunstfigur schufen, mit der sie das glatte Gegenteil ihres eigentlichen Ichs verkörperten – so wurde

Kurt CobainCobain, Kurt (20. 2. 1967 –5. 4. 1994) dagegen hätte, so scheint es, ab einem bestimmten Punkt in seiner Karriere auf öffentliche Präsenz auch gern verzichtet, wenn er dafür nur ungestört und ohne Druck seinen künstlerischen Visionen hätte weiter folgen dürfen.

Andererseits darf man bei weltweit verehrten Popidolen wie Jim MorrisonMorrison, Jim (8. 12. 1943 – 3. 7. 1971), Brian JonesJones, Brian (28. 2. 1942 – 3. 7. 1969) und Elvis PresleyPresley, Elvis (8. 1. 1935 – 16. 8. 1977) – allesamt Männer, die sich im Rampenlicht wohlfühlten – wohl auch einen fatalen Verlust des Realitätssinns vermuten, der ihr Ende zumindest mitbeschleunigt haben dürfte.

Wie gesagt: Nicht jeder hält das aus. Und viele von denen, die es nicht aushalten, zerbrechen – nicht zuletzt auch an der unerbittlichen Erwartungshaltung, die wir, ihr Publikum, ihnen entgegenbringen: Wir machen Künstler, die zunächst nichts als ihre Kunst im Sinn haben (auch wenn damit oftmals gehöriger Ehrgeiz und ein überdurchschnittlicher Drang zur Selbstdarstellung einhergehen), zu Halbgöttern. Und wir erwarten, dass sie dieser Rolle gerecht werden, dass sie gleichsam stellvertretend unsere Träume von Glück, Ruhm und Erfolg leben, rund um die Uhr und ohne Makel. Erst recht im Zeitalter von Twitter, Facebook und Instagram, wo uns die Stars des Pop näher denn je zu sein scheinen.

Was aber macht das mit uns, den Fans, wenn ein Idol stirbt, noch dazu in jungen Jahren? Wir fühlen uns allein und im Stich gelassen, verraten von unseren Helden: Wie soll das Leben nun ohne sie weitergehen? Entsprechend artikulieren die Fans in den sozialen Netzwerken Gefühle wie Schock, Trauer und Hilflosigkeit, sobald wieder mal ein Prominenter des Popzirkus überraschend das Zeitliche gesegnet hat. Was bleibt, ist ein Märchen, ein Mythos, ein Schatz im Tempel der Erinnerungen.

Dieses Buch erzählt einige der tragischsten und traurigsten Geschichten der Rock- und Popmusik. Dabei sind die prominentesten Fälle ebenso vertreten wie einige nicht ganz so bekannte – etwa die um die walisische Rockband Badfinger, deren Mitglieder Pete HamHam, Pete (27. 4. 1947 – 24. 4. 1975) und Tom EvansEvans, Tom (5. 6. 1947 – 19. 11. 1983) von einem korrupten Management, man muss das wirklich so bezeichnen: in den Tod getrieben wurden. Oder der Fall des jungen amerikanischen R ’n’ B-Sängers Johnny AceAce, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954), der Mitte der 1950er Jahre das unselige Russische Roulette in der populären Musik

Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben die hier vorgestellten Poptragödien keinesfalls. So fehlen Künstler wie Johnny ThundersThunders, Johnny, Duane AllmanAllman, Duane, Cass ElliottElliott, Cass, Paul KossoffKossoff, Paul, Keith MoonMoon, Keith, Gene VincentVincent, Gene, Eddie CochranCochran, Eddie, Jim CroceCroce, Jim, die Rapper Tupac ShakurShakur, Tupac, The Notorious B. I. G., The Notorious B. I. G.der Milli-Vanilli-Darsteller Rob Pilatus, Cliff Burton, Chris Cornell, Chester Bennington sowie der DJ AviciiPilatus, Rob. Sie alle und noch einige mehr ebenfalls zu berücksichtigen, hätte den Rahmen dieses Buchs gesprengt. Verlag und Autor hoffen dennoch, dass Live fast, love hard and die young! dem Leser eine gelungene Mischung aus prominenten und weniger prominenten, in jedem Fall aber spannenden und aufregend bebilderten Geschichten bietet.

Das Ende war traurig. Als es so weit war, hatte der Tod eine gequälte Seele erlöst: In der Neujahrsnacht des Jahres 1953 starb mit dem erst 29-jährigen Hank WilliamsWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953) der Begründer der modernen Countrymusic.

 

Charles CarrCarr, Charles war ein einfacher Junge aus Montgomery, Louisiana. Der 18-jährige Sohn eines Autoverleihers besuchte das College und wollte sich zu Silvester 1952 ein paar Dollar zusätzlich verdienen. Also erklärte er sich bereit, einen Fahrgast zunächst nach Charleston, West Virginia, und dann weiter nach Canton, Ohio, zu chauffieren. Der Job wurde zum Horrortrip.

Der Passagier hieß Hank Williams. In den Jahren zuvor war er zum Star der Country & Western-Szene aufgestiegen. Hits wie »Lovesick Blues«, »Jambalaya« und »Cold Cold Heart« hatten den hageren Mann mit dem verschmitzten Lachen berühmt gemacht. Stars wie Tony BennettBennett, Tony und Jo StaffordStafford, Jo hatten seine Songs gar zu landesweiten Pophits gemacht. So steil jedoch Williams’ Erfolgskurve seit 1946 angestiegen war, so unaufhaltsam hatte sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Von Geburt an litt er unter einer Fehlbildung der Wirbelsäule, die ihm höllische Schmerzen bereitete. Darüber war er zum Trinker und Morphinisten geworden. Im Spätherbst 1952, er war gerade 29 Jahre alt und die Ärzte hatten ihm ein lästiges Korsett verschrieben, ahnte er, dass sein Körper im Begriff war, den Widerstand aufzugeben. Erste Herzprobleme traten auf, nachts konnte er kaum schlafen, er hatte Fieberschübe, Atemprobleme und litt immer öfter unter Inkontinenz. Die Körperpflege vernachlässigte er zusehends, trat mit wirrem Haar und vom Dauerschnupfen geröteter Nase auf, war nur noch Haut und Knochen, im Gesicht aufgedunsen, fahrig in seinen Bewegungen, unkonzentriert und verwirrt: Ein menschliches Wrack. Sein Stolz, seine Würde, sein Esprit – all das war dem schmächtigen, geschwächten Mann restlos abhandengekommen.

Der Vater der modernen Country-Music: Hank WilliamsWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953) 1951 bei WSM, Nashvilles erstem TV-SenderWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953)

Und beruflich schien er trotz seiner Charterfolge am Ende: Sein Manager hatte ihn verlassen, die Grand Ole Opry, wichtigste Bühne und Herzkammer der Country & Western Szene, hatte ihn

Als Hank WilliamsWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953) die Engagements in Charleston und Canton antreten will, ist er ein todgeweihter Mann. Bevor er am Nachmittag des 30. Dezember 1952 in seinem von CarrCarr, Charles gesteuerten Cadillac die Stadt verlässt, holt er sich noch ein Morphium-Rezept. Williams trägt einen blauen Anzug, einen marineblauen Mantel, weiße Cowboystiefel und einen weißen Filzhut. Es ist kalt und regnerisch. Als sie nach einer Übernachtung in Birmingham bei Schneetreiben erst mittags in Knoxville, Tennessee, ankommen, weiß der Sänger, dass er es nur noch mit dem Flugzeug rechtzeitig nach Charleston schaffen kann. Wegen des schlechten Wetters aber fällt diese Option aus. Die Show wird ohne ihn stattfinden. Chauffeur und Sänger mieten sich daraufhin im Andrew Johnson Hotel ein. Carr besorgt im Hotel etwas zu essen und verfrachtet den wieder einmal betrunkenen Williams ins Bett. Im Laufe des Abends bekommt der schwere Schluckbeschwerden, woraufhin Carr Williams’ Leibarzt, einen Quacksalber namens Toby MarshallMarshall, Toby, in Montgomery anruft. Der empfiehlt Morphiumspritzen mit Vitamin-B-12-Beigabe. Anschließend bugsieren zwei Hotelangestellte WilliamsWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953) hinunter zum Auto, wo sie ihn auf den Rücksitz hieven und mit einer Decke und seinem Mantel zudecken. Als Carr losfährt, ist es viertel vor elf Uhr abends. Nach Canton, dem nächsten Auftrittsort nach Charleston, sind es gut 800 Kilometer, und Stagetime für Hank ist schon um 14 Uhr am nächsten Tag.

Irgendwann vor Mitternacht wird der Cadillac in Grainger County, Tennessee, von dem Streifenpolizisten Swan KittsKitts, Swan angehalten, dessen Fahrzeug Carr bei einem Überholmanöver beinahe frontal gerammt hätte. Der Polizist sieht den leblosen Hank auf dem Rücksitz und wird misstrauisch. Er fragt Carr, ob alles in Ordnung sei. Der nickt und erklärt, dass sein Passagier vom Arzt eine Beruhigungsspritze bekommen habe und nun schlafe. KittsKitts, Swan begleitet den Wagen in das nahegelegene Städtchen Rutledge, wo Carr wegen seines Verkehrsvergehens vom Friedensrichter zu einer Geldbuße in Höhe von 25 Dollar verurteilt und dann entlassen wird.

Um ein Uhr setzen die beiden ihre bizarre Fahrt fort. Als Carr in den frühen Morgenstunden an ›Burdette’s Pure Oil Station‹ nahe Oak Hill, Ohio, einen Zwischenstopp einlegt, wird ihm klar, dass

Was tatsächlich in jener Nacht geschah, ist bis heute nicht restlos geklärt. Einer anderen Version der Geschichte zufolge soll CarrCarr, Charles bereits an Burdettes Tankstelle die Polizei benachrichtigt haben, die sofort einen Streifenwagen geschickt habe, der den Cadillac dann zum Hospital nach Black Oak geleitete. Der genaue Todeszeitpunkt jedenfalls konnte nicht ermittelt werden. Der diensttuende Arzt hielt es gar für möglich, dass der Tod bereits im Hotel in Knoxville eingetreten war. Dem steht allerdings entgegen, dass die beiden Hotelbediensteten, die Hank dort ins Auto gebracht hatten, später behaupteten, ihn noch husten gehört zu haben.

Ganz geheuer schien den Behörden der sonderbare Todesfall jedenfalls nicht, sie veranlassten eine Obduktion. Das Ergebnis: Einstichspuren an Hanks Unterarmen, Blutungen am Herzen und im

»I’ll never get out of this world alive«: Williams’ Trauerfeier am 4. Januar 1953 in Montgomery, AlabamaWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953)

Die Beerdigung fand bereits drei Tage später am 4. Januar in Montgomery statt. An diesem Sonntagmorgen hielten sich vor dem Municipal Auditorium, in dem die Zeremonie abgehalten wurde, rund 20 000 Menschen auf. Williams war in seinem weißen Bühnenanzug aufgebahrt worden, in den Händen hielt er eine Bibel. Sein Sarg war geschmückt mit Blumengebinden in Gitarrenform.

In diesem kalten Januar eroberte ein neuer, bei Williams’ letzter Session im November 1952 aufgenommener Song die Charts. Dass MGM ausgerechnet »I’ll Never Get Out Of This World Alive« ins Rennen geschickt hatte, war keine Absicht – die Platte war bereits im Dezember veröffentlicht worden. Der Fahrer Charles CarrCarr, Charles sollte die Nacht, als der Hillbilly-Shakespeare Hank WilliamsWilliams, Hank (17. 9. 1923 – 1. 1. 1953) starb, bis ans Ende seiner Tage nicht vergessen.

Seinen Namen kennt kaum einer. Bob DylanDylan, Bob und Elvis PresleyPresley, Elvis (8. 1. 1935 – 16. 8. 1977) aber coverten seine Hits, und Paul SimonSimon, Paul verewigte Johnny AceAce, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954) in einem seiner Songs. Wer war der Mann, der eine der makabersten Traditionen der Showgeschichte begründete?

 

Die Annalen der Rockmusik halten traurige Legenden bereit, mysteriöse und amüsante. Auch solche, die nicht wahr sind. Und auch viele, die man kaum glauben möchte. Eine der tragischsten stammt aus einer Zeit, als der Rock ’n’ Roll gerade erfunden wurde. Es ist 1954

Down in Houston, Texas, on a Christmas night

With a gun in his hand and his name up in lights

He was young and handsome, the Prince of the Blues

In a sharkskin suit and alligator shoes

Was der US-Singer/Songwriter Dave AlvinAlvin, Dave hier zu einem messerscharfen Bluesgitarrenriff hören lässt, ist die wahre Geschichte des John Marshall Alexander Jr., geboren am 9. Juni 1929 in Memphis, Tennessee. Der Song heißt »Johnny Ace Is Dead«, stammt von Alvins 2011er-Album ELEVEN ELEVEN und berichtet, was sich am Abend des ersten Weihnachtstages 1954 in Houston, Texas, zutrug. Dort nämlich gibt Johnny AceAce, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954), wie sich Alexander als Sänger nannte, ein Konzert.

He was flirting with some women who had come backstage

He said: »Ladies, want to see me play a wild little game?«

But Big Mama Thornton said: »Go, sing your song

And put that damn thing down before something goes wrong!«

In der Pause zwischen zwei Sets kommt es in der Garderobe zu einem folgenschweren Zwischenfall. Big Mama ThorntonThornton, Big Mama ist mit von der Partie. Die schwergewichtige Rhythm ’n’ Blues-Sängerin (»Hound Dog«, »Ball & Chain«) erzählte die Geschichte später so: »Er spielte mit der Pistole, es war aber kein Russisches Roulette. Er hat damit erst auf seine Freundin und dann auf eine andere Frau gezielt, die in

Curtis TillmanTillman, Curtis, Bassist in Big Mamas Tourband, erinnerte sich in einem entscheidenden Detail anders: »Johnny Ace hatte getrunken und wedelte mit der Pistole am Tisch herum, bis jemand sagte: ›Sei vorsichtig mit dem Ding!‹ Und er antwortete: ›Es ist okay, die Waffe

Ob Russisches Roulette oder ein Versehen – am ersten Weihnachtstag 1954 stirbt Johnny Ace. Er ist gerade einmal 25 Jahre alt.

The band leader set his saxophone down and said

»I think I better split before the cops come ’round«

While the crowd in the theater slowly drifted away

With their heads hung low, not sure of what to say

Das Publikum verlässt den Ort des Geschehens mit gesenkten Köpfen. Und so mancher denkt dabei über die kurze, höchst erfolgreiche Karriere des Toten nach. Zum ersten Mal gehört haben die meisten von dem schwarzen Jungen mit dem samtweichen Tenor wohl zwei, drei Jahre zuvor, als ihn die Discjockeys der Rhythm ’n’ Blues-Sender im US-Süden entdeckt hatten. Das Lied hieß »My Song«, und es war eine langsame, zu Tränen rührende Ballade, die JohnnyAce, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954) mit reichlich Herz ins Mikrophon gesungen hatte.

Bis kurz zuvor hatte der Sänger als Soldat im Koreakrieg gedient. Zurück in Memphis, heuerte er dann als Pianist in der Band von B. B. KingKing, B. B. und Bobby BlandBland, Bobby an. King jedoch hatte sich wenig später verabschiedet, um nach Los Angeles zu gehen, und Ace die verbliebene Band übernommen, bei Duke Records unterschrieben und mit »My Song« seine erste Platte gemacht. Im September 1952 hatte das Lied Platz eins der Rhythm ’n’ Blues-Charts erobert und Johnny damit einen Blitzstart ins Plattenbusiness beschert. Don RobeyRobey, Don, der Boss des kleinen Duke-Labels, war zufrieden mit seinem Schützling. Und in den folgenden beiden Jahren hatten die beiden noch genügend Gründe, die eine oder andere Flasche Champagner zu köpfen.

»The Prince of the Blues«: eines der wenigen erhaltenen Fotos von Johnny AceAce, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954)Ace, Johnny (9. 6. 1929 – 25. 12. 1954)

Kurzum: Johnny schien der nächste Big Shot zu werden. Er sah klasse aus, wusste sich zu kleiden und hatte einen ziemlichen Schlag bei den Ladies – nicht nur, wenn er auf der Bühne stand. Und seine weiteren Platten, allesamt nach dem bewährten »My Song«-Strickmuster produziert, schafften es zuverlässig in die R ’n’ B-Charts: Insgesamt acht Hits in Folge, darunter Titel wie »Cross My Heart«, »Never Let Me Go« (später von Bob DylanDylan, Bob gecovert) und »Saving My Love For You«, hat er gelandet. Die US-Discjockeys wählten ihn

But Big Don Robey, the record company man

With big diamond rings on both of his hands

Cause Johnny Ace is gonna make me a million bucks«