Gunter Pirntke

 

Der Jesus-Prozess

 

Fakten – Tatsachen – Hintergründe

 

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung und Druckvorbereitung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


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Inhaltsverzeichnis

 

Impressum

Einleitung

Einzug im Jerusalem

Verrat und Festnahme

Der Prozess

Das Grab von Jesus – Weitere wissenschaftliche Aufarbeitung

Wie ging die Geschichte mit Maria Magdalena weiter – war sie die erste Päpstin?

Quellen

 

Einleitung

 

Wer war der Mann, über dessen Prozess wir hier berichten wollen?

 

Jesus selbst hat seine Lebensgeschichte nicht aufgeschrieben: Alles was wir über ihn zu wissen glauben, stammt aus den vier Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes im Neuen Testament. Jeder erzählt auf seine Sicht aus dem Leben von Jesus. Dabei wird allerdings auch viel ausgeschmückt und gedeutet. Was aber ist über die Person Jesus historisch belegt?

 

Ein britischer Theologe hat 2017 zusammengetragen, was alles dafür spricht, dass Jesus existiert hat. Die ersten schriftlichen Quellen sind Briefe seines Anhängers Paulus – keine neutralen Berichte, aber der Apostel hatte alles aufgeschrieben bis spätestens 26 Jahre nach der Hinrichtung. Nah dran also, da lebten noch viele, die das Geschehen und die Orte gekannt haben müssen. Hätte Paulus die Gestalt frei erfunden, er wäre damit nicht weit gekommen.

 

Der erste nicht christliche Zeuge ist der jüdische Historiker Flavius Josephus, der im Jahr 93 diesen Jesus – „der Christus genannt wird“, wie er distanziert schreibt – an zwei Stellen erwähnt. Und er nennt einen Bruder, den Jesus gehabt haben soll. Von diesem Jakobus ist auch im Neuen Testament die Rede.

 

20 Jahre später erwähnten schließlich die römischen Politiker Tacitus und Plinius den Namen Jesus, sie bestätigten zum Beispiel Zeitangaben der Evangelisten und handelnde Personen. Sie schrieben, dass der Aufrührer hingerichtet wurde, als Tiberius Kaiser war (14 bis 37) und ein Pontius Pilatus Präfekt von Judäa (26 bis 36). Das passt, dabei konnten die beiden Römer Christen nicht ausstehen.

 

Historiker gehen davon aus, dass Jesus um das Jahr 4 oder 6 vor unserer Zeitrechnung in Nazareth zur Welt kam, der größten Stadt im Nordbezirk Israels in der historischen Landschaft Galiläa. Heute hat Nazareth gut 75.000 Einwohner. Die Verlagerung des Geburtsortes nach Bethlehem im judäischen Bergland, das heute zu Palästina gehört, soll vermutlich nur die Weihnachtsgeschichte ausschmücken, denn auch im Johannes-Evangelium heißt es: „Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazareth, den Sohn Josefs.“

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Die Geburt des Jesuskindes im Stall von Bethlehem ist nicht den Fakten, sondern eher der Legende zuzuordnen.

Von Bethlehem als Geburtsort ist hingegen nur im Lukas-Evangelium die Rede. Hier heißt es, Josef habe aufgrund einer Volkszählung zurück in seine Heimat ziehen müssen, „von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt“. Der Hintergrund dieser möglichen Erfindung liegt darin, dass Galiläa mit seinen griechischen Städten strenggläubigen Juden suspekt war und der Messias im besten Fall aus der Stadt Davids, des legendären Königs, stammen sollte. Besagte Volkszählung gab es vermutlich erst elf bis zwölf Jahre später.

 

Jesus wurde als erster Sohn seiner Eltern in Nazareth geboren und nicht in Bethlehem, ebenso wenig in einem Stall, wie es die Weihnachtsgeschichte erzählt. Mit seinen Eltern Joseph und Maria und Geschwistern wuchs er dort vermutlich auch auf. Namentlich erwähnt sind die Brüder Jakobus, Joses, Judas und Simon, auch Schwestern soll es gegeben haben, auch wenn ihre Namen nicht bekannt sind. Jesus' Muttersprache war aramäisch und er wuchs wie die ganze Familie im jüdischen Glauben auf. So wurde er nach jüdischer Sitte sicherlich auch beschnitten.

 

Seine Schullaufbahn war eher kurz, nimmt der Historiker an, dennoch lernte Jesus lesen und schreiben – auch wenn er kein von ihm selbst geschriebenes Wort hinterließ. Hebräisch und Griechisch soll er ebenfalls gelernt haben. Bevor er sich einen Namen als Wanderprediger machte, erlernte er allerdings zunächst den Beruf seines Vaters als Bauhandwerker, wie im damaligen Palästina üblich. Jesus' Beruf als „Zimmermann“, wie es in der christlichen Tradition heißt, ist also nicht ganz zutreffend, denn ein Bauhandwerker verstand sich eher auf die Bearbeitung von Holz und Stein sowie andere handwerkliche Fertigkeiten.

 

Jesus muss sich allerdings geweigert haben, den Beruf seines Vaters dauerhaft auszuüben, eine Familie zu gründen und für die Großfamilie da zu sein, denn es wird in den Evangelien übereinstimmend von großen Konflikten gesprochen. Stattdessen scheint Johannes der Täufer eine zentrale Rolle für ihn gespielt zu haben, möglicherweise als Mentor. Er beeinflusste seinen Schüler dahingehend, seine Familie zu verlassen und sich einem Leben für die Religion zu widmen. Johannes selbst begann im 15. Regierungsjahr von Kaiser Tiberius, die Menschen im Jordan zu taufen, heißt es in der Bibel. Dies entspricht dem Jahr 28 oder 29 n. Chr.

 

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Johannes, der Täufer

Jesus ließ sich in seinem Glauben von Johannes beeinflussen und begann, zu Menschen zu predigen. Dabei muss er eine beeindruckende Eloquenz und Überzeugungskraft entwickelt haben, denn schon bald wurde er zu einer Art lokaler Berühmtheit. Er trennte sich von Johannes dem Täufer und machte sich als Wanderprediger auf den Weg. Seine freie Interpretation der jüdischen Schriften sprach die Menschen an. Er stellte sich auf eine Ebene mit ihnen und fand schnell einen Zugang, indem er gemeinsam mit seinen Jüngern aß und trank. Schon bald war über die Grenzen Galiläas hinaus bekannt.

 

Dass Herodes Antipas den Täufer hinrichten ließ, war Jesus wahrscheinlich bekannt. Ein ermordeter Prophet galt in biblischer Tradition als von Gott legitimiert. Demgemäß kündigte Jesus mit seinem Täuferzeugnis sein eigenes Leiden an, erwartete für sich ein analoges gewaltsames Ende und stellte sich in die Reihe der verfolgten Propheten Israels. Später legitimierte Jesus später seinen Vollmachtsanspruch zur Sündenvergebung wie zur Tempelreinigung gegenüber Jerusalemer Gegnern mit seiner Taufe durch Johannes. (Bericht der Evangelisten)

 

Seine charismatische Art und seine Fähigkeiten, die Massen zu begeistern, wurde Jesus von Nazareth leider auch zum Verhängnis. Vermutlich wurde er wegen seiner revolutionären Ansichten von der konservativen jüdischen Gemeinde als Bedrohung betrachtet.

 

Unzweifelhaft wurde Jesus aber von den meisten Menschen als Spinner abgetan und er wäre sicherlich unbehelligt geblieben, wenn er sich nicht nach Jerusalem begeben hätte.

 

Das Neue Testament ist als Glaubensdokument der Urchristen zugleich die wichtigste Quelle der historischen Jesusforschung. Danach hat Jesus Nachfolger berufen, den Juden seiner Zeit das nahe Reich Gottes verkündet und sein Volk darum zur Umkehr aufgerufen. Seine Anhänger verkündeten ihn nach seinem Tod als Jesus Christus, den Messias und Sohn Gottes. Daraus entstand eine neue Weltreligion, das Christentum. Auch außerhalb des Christentums wurde Jesus bedeutsam.

 

Fassen wir zusammen: Jesus wurde also zwischen 4 und 6 v. Chr. in Nazareth geboren, auch wenn in der christlichen Weihnachtsgeschichte von Bethlehem die Rede ist. In Nazareth wuchs er als erstgeborener Sohn im jüdischen Glauben auf und erlernte den Beruf seines Vaters als Bauhandwerker. Beeinflusst von Johannes dem Täufer weigerte er sich jedoch, eine bodenständige Laufbahn einzuschlagen, und verließ seine Familie, um Wanderprediger zu werden. Seine revolutionäre Auslegung der jüdischen Lehre und seine charismatische Art als Redner ließen ihn zur Gefahr für die jüdische Führungsschicht werden.

 

Einzug im Jerusalem

 

Es ist Sonntag, als Jesus mit seinen Jüngern von Bethanien nach Jerusalem zieht. Kurz vor Bethphage, dass ebenfalls auf dem Ölberg liegt, sagt er zu zwei seiner Jünger:

 

„Geht in das Dorf, das man von hier aus sieht, und ihr werdet sofort eine angebundene Eselin mit ihrem Jungen finden. Bindet die beiden Tiere los und bringt sie zu mir. Wenn jemand fragt, sagt einfach: ‚Der Herr braucht sie.‘ Er wird sie dann auf der Stelle mit euch gehen lassen“.

 

Die Jünger begreifen nicht, dass Jesu Anweisungen mit einer Prophezeiung zu tun haben. Erst später geht ihnen auf, dass dadurch eine Prophezeiung Sacharjas erfüllt wurde. Er hat Gottes verheißenen König bei seinem Einzug in Jerusalem wie folgt beschrieben: „[Er] ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem jungen Esel, dem Fohlen einer Eselin“.

 

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Jesus zieht auf einem Esel in Jerusalem ein

 

Als die Jünger nach Bethphage kommen und den jungen Esel und seine Mutter wegführen wollen, werden sie gefragt: „Was macht ihr da? Warum bindet ihr den jungen Esel los?“. Doch als sie sagen, dass die Tiere für den Herrn sind, dürfen sie sie mitnehmen. Bei Jesus angekommen legen die Jünger ihre Obergewänder auf die beiden Tiere und Jesus setzt sich auf den jungen Esel.

 

Während er auf Jerusalem zureitet, sammeln sich immer mehr Menschen um ihn. Viele breiten ihre Obergewänder auf der Straße aus. Andere schneiden auf den Feldern grüne Zweige ab und breiten sie vor Jesus aus.

 

„Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“

 

Der Anruf „Hosanna“ („Gott, rette doch!“) war bei hohen jüdischen Festen und der Inthronisation eines Königs üblich. „Der kommt im Namen Gottes“ meinte den erwarteten Messias auf dem Thron König Davids, als den die Evangelien Jesus verkündigen. Mit ausgestreuten Palmzweigen, einem antiken Triumphsymbol, feierten Juden ihre Siege über Nichtjuden.

 

Jesu Eselsritt sollte zeigen, dass ein machtloser Messias angekündigt wird, der die Kriegswaffen in Israel abschaffen und allen Völkern Frieden gebieten werde. Diese nachexilische Zusage hielt die frühere Verheißung universaler Abrüstung fest, die in Israel beginnen sollte (Schwerter zu Pflugscharen). Sie widersprach also der Erwartung der Bevölkerung an einen Davidnachfolger, die Fremdherrscher zu vertreiben und das Großreich Israel zu erneuern.

 

Im damaligen Judentum war die Messiashoffnung mit der Sammlung aller exilierten Juden, gerechten Rechtsprechung im Innern und Befriedung der Völkergemeinschaft verbunden. Einzüge jüdischer Thronanwärter waren jedoch oft Signal für Aufstände. So strebte der Zelot Schimon bar Giora laut Josephus1 um 69 das jüdische Königtum an:

Josephus beschreibt ihn als einen in Judäa marodierenden Räuber, Banditen und Mörder, bevor er die Verteidigung der Ringmauer um Jerusalem übernahm. Nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels versteckte er sich in einer Höhle unter dem Tempelberg, wo er versucht haben soll, einen Tunnel durch den Belagerungsring zu graben. Das Unternehmen scheiterte, weil der Fels zu hart gewesen sei. Bar Giora musste sich so den römischen Legionären ergeben, nachdem ihm und seinen Gefährten Nahrung und Wasser ausgegangen waren. Er wurde mit 700 weiteren Gefangenen via Ägypten mit einem Schiff nach Rom transportiert und dort in einem Triumphzug der römischen Bevölkerung vorgeführt.

Er sei dazu mit seinen Anhängern als charismatischer „Retter und Beschützer“ der Juden triumphal in Jerusalem eingezogen, aber von den Römern in einem Purpurmantel gefangen, nach Rom überführt und dort hingerichtet worden.

 

Auch Jesus weckte messianische Hoffnungen der Landbevölkerung, etwa indem er den Armen den Landbesitz zusagte, seine Heiltaten als anfängliche Realisierung dieser Zusagen erklärte und sich auf dem Weg in die Tempelstadt von Armen als Sohn Davids anreden ließ. Daher bedeutete Jesu Jerusalembesuch zum Pessach eine Konfrontation mit den dortigen Machteliten der Sadduzäer und Römer, bei der ihm das Todesrisiko bewusst gewesen sein muss. Das gewaltlose Messiasbild entspricht für echt gehaltenen Aussagen Jesu: Er sei gekommen, als Menschensohn allen wie ein Sklave zu dienen, um der Unterdrückung durch Gewaltherrscher seine herrschaftsfreie Vertrauensgemeinschaft entgegenzustellen.

 

Sozialhistorische Untersuchungen erklären solche Texte aus damaligen Lebensumständen: Juden litten unter Ausbeutung, steuerlichen Abgaben für Rom und den Tempel, täglicher römischer Militärgewalt, Schuldversklavung, Hunger, Epidemien und sozialer Entwurzelung. Manchmal wird die Armentheologie in der ältesten Jesusüberlieferung aus dem Einfluss kynischer Wanderphilosophen erklärt, meist aber aus biblischen, besonders prophetischen Traditionen.

 

Wolfgang Stegemann2 zufolge strebten Jesus und seine Anhänger mit ihrer Reich-Gottes-Predigt keine „Aushandlungsprozesse über ein bestimmtes Gesellschaftsmodell“ an, sondern erwarteten die Durchsetzung einer anderen Ordnung allein von Gott. Ihre Botschaft konnte nur angenommen oder abgelehnt werden. Sie habe die Gottesherrschaft nach dem Modell eines wohltätigen, von Reichen meist vergeblich erwarteten Patronats gegen aktuell erfahrene Herrschaftsformen gestellt. John Dominic Crossan zufolge verbreitete die Jesusbewegung durch „kostenloses Heilen und gemeinsames Essen“, ohne sesshaft zu werden, einen radikalen Egalitarismus. So habe sie die Gottesherrschaft unmittelbar erlebbar werden lassen und die hierarchischen Wertmaßstäbe und Gesellschaftsstrukturen angegriffen, um sie zu entkräften. Ähnlich meint Martin Karrer, Jesus habe eine „subversive“ Bewegung der Abweichler von religiösen und gesellschaftlichen Normen bewirkt.