Ricarda Huch

Liebesgedichte

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066110291

Inhaltsverzeichnis


Cover
Titelblatt
Text
"
Der Becher klingt; mein Herz ist der Becher!
Trink Liebe, trinke dich satt!
Es zittert; o berauschter Zecher,
Der fest in bebenden Händen es hat!
Wer hat wie du ein Meer zum Pokale?
Ein Meer voll wachsender Glut!
Es saugt aus eurem feuchten Strahle,
Ihr trunkenen Augen, die himmlische Flut.
Ich werde nicht an deinem Herzen satt,
Nicht satt an deiner Küsse Glutergießen.
Ich will dich, wie der Christ den Heiland hat:
Er darf als Mahl den Leib des Herrn genießen.
So will ich dich, o meine Gottheit, haben,
In meinem Blut dein Fleisch und Blut begraben.
So will ich deinen süßen Leib empfangen,
Bis du in mir und ich in dir vergangen.
Wo hast du all die Schönheit hergenommen,
Du Liebesangesicht, du Wohlgestalt!
Um dich ist alle Welt zu kurz gekommen.
Weil du die Jugend hast, wird alles alt,
Weil du das Leben hast, muß alles sterben,
Weil du die Kraft hast, ist die Welt kein Hort,
Weil du vollkommen bist, ist sie ein Scherben,
Weil du der Himmel bist, gibt's keinen dort!
Was für ein Feuer, o was für ein Feuer
Warf in den Busen mir der Liebe Hand!
Schon setzt es meinen zarten Leib in Brand
Und wächst an deiner Brust noch ungeheuer.
Zwei Fackeln lodern nun in eins zusammen:
Die Augen, die mich anschaun, sind zwei Kerzen,
Die Lippen, die mich küssen, sind zwei Flammen,
Die Sonne selbst halt ich an meinem Herzen.
Eine Melodie
Singt mein Herz, die du gesungen.
Still auf deinem Knie
Lag mein Haupt, von deinem Arm umschlungen.
Schwerer Duft der Nacht
Zog mit müdem Hauch vorüber.
Bang hab ich gedacht:
Sterben müßt ich, hätt ich dich noch lieber.
Liebst du auch so sehr?
Warum singst du solche Lieder?
Aus verhülltem Meer
Läuten Glocken auf und tauchen nieder.
Tief im dunklen Dom
Schwanken Weihrauch und Choräle …
Wie ein Tränenstrom
Zieht es einsam jetzt durch meine Seele.
Wie liebten wir so treu in jenen Tagen,
Fest wie die Sonne stand das Herz uns da.
Getrennt, wie hatten wir uns viel zu sagen,
Und sagten stets nur eines: Liebst du? Ja!
O Liebe, kannst du wie ein Traum der Nächte
Vorübergehn, die du unendlich scheinst?
Mir ist, als ob er fernher mein gedächte
Und fragte: Liebst du mich? Sag ja wie einst!
Still vom Frühlingsabendhimmel
Schwebt ein Wolkenkahn zu mir hernieder;
Durch das irre Weltgetümmel
Zieht er lautlos wie auf Traumgefieder.
Mein Geliebter lenkt den Nachen,
Gram und Inbrunst in den schönen Zügen.
»Heim ziehn alle, die noch wachen.
Komm und laß uns Seel an Seele schmiegen.«
Langsam schwer in Abgrundsferne
Sinkt erlöschend der begrünte Hügel,
Und das Himmelreich der Sterne
Taucht aus seiner Augen dunklem Spiegel.
Ein Engel hat den vollen Kranz der Liebe
Einst auf dies töricht junge Haupt gesetzt,
Und daß er Rosen überschwenglich triebe,
Mit seiner Tränen Flut ihn reich benetzt.
Die Sonne sank, seit wir uns Treu gelobten.