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Dr. REINHARD POHANKA, geb. 1954, ist Archäologe am Historischen Museum der Stadt Wien. Zahlreiche Veranstaltungen mit den Schwerpunkten Mittelalter und römische Zeit. Über 15 Publikationen.

Zum Buch

Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters

Das Mittelalter, das man traditionell mit dem Ende des weströmischen Reiches im Jahre 476 beginnen und mit der Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 enden lässt, übt mit seiner Vorstellung von düsteren Burgverliesen, geheimnisvollen Ritualen, furchterregend aufgerüsteten Rittern, archaischen Konflikten, Universalansprüchen und ständigen Fehden noch heute eine große Faszination auf die Menschen aus. Wer beeinflusste diese »finstere Epoche«, in der die Jetztzeit ihre fernen Wurzeln hat? Es ist eine Ära der Individualisten, die Unglaubliches erlebten, die in kurzer Zeit von einem Ende Europas zum anderen reisten, Höfe bewohnten, die vor Kultur, Freude und Farbigkeit barsten. Sie lieferten unglaubliche Beispiele an Treue und Glauben und konnten doch die entsetzlichsten Ränke schmieden und ihre Familien verraten. Der vorliegende Band ist ein kompilatorisches Werk, das eine spannende Geschichte des Mittelalters anhand von Biographien der wichtigsten Persönlichkeiten – von Augustinus von Hippo über Karl den Großen bis zu Wilhelm I. von England, den Erorberer – skizziert.

Reinhard Pohanka

Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters

Reinhard Pohanka

Die Herrscher
und Gestalten
des Mittelalters

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8438-0210-0

VORWORT

Die Aufgabe, eine Geschichte des Mittelalters mit den Biografien der wichtigsten Persönlichkeiten dieser Epoche zu schreiben, ist ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Es beginnt damit, dass man sich fragt, wann beginnt und wann endet das Mittelalter. Behält man die alte Periodisierung des 19. Jahrhunderts mit Römerzeit, Völkerwanderung und Mittelalter bei? Oder erkennt man an, dass es die »Dunklen Jahrhunderte« nach dem Ende der Antike nie gegeben hat und sich das Mittelalter direkt an die Antike anschließt. Lässt man das Mittelalter traditionellerweise im Jahre 1492 mit der Wiederentdeckung Amerikas enden oder schon früher, etwa als Gutenberg den Buchdruck einführt oder später, als Maximilian I., der »letzte Ritter«, stirbt.

Und wer beeinflusst das Mittelalter? Sind es wirklich nur die Herrscher mit ihren ewigen Fehden und Kriegen, oder ist es der Koch von Wilhelm dem Eroberer, der für das Wohl seines Herrn am Abend vor der Schlacht von Hastings gesorgt hat? Wer hat die Schlacht letztlich entschieden? Sind es nur die Kaiser und Könige, die Epochen prägen, oder sind es die Menschen, die ihnen die Ideen geliefert haben, etwa die Philosophen und Theologen? Was ist mit den Künstlern, die ihre Zeit geprägt haben, die Maler, Minnesänger und Dichter? Oder waren es die Ehefrauen und Ehemänner, Freundinnen und Freunde oder die Geliebten, von denen wir aber nichts mehr wissen?

Lange Zeit hat man diese Epoche als das »Dunkle Mittelalter« bezeichnet. Betrachtet man aber die hier gesammelten Biografien so wird klar, dass das so nicht stimmen kann. Diese Menschen haben Unglaubliches erlebt, sie reisten in kurzer Zeit von einem Ende Europas zum anderen, sie bewohnten Höfe, die vor Kultur, Freude und Farbigkeit barsten. Sie lieferten unglaubliche Beispiele an Treue und Glauben und konnten doch auch ihre Väter, Schwestern und Brüder verraten und sogar ermorden.

Es ist mir bewusst, dass die Auswahl, die ich hier getroffen habe, eine zwar nicht willkürliche, aber doch auf individuellen Gesichtspunkten basierende ist. Für jeden der hier Beschriebenen hätte man eine andere Persönlichkeit des Mittelalters wählen können, die vielleicht genauso wichtig gewesen ist. Aber wie bewertet man Wichtigkeit? Ich habe den Versuch über die Nachhaltigkeit genommen, wer wirkte über längere Zeit nach, wer beeinflusste so viele Menschen, dass daraus eine Änderung der Geschichte entstand. Wer beeinflusste das Mittelalter so, dass die Konsequenzen seines Handelns oder seiner Gedanken bis heute nachwirken? Dass auch diese Bewertung eine individuelle sein muss, ist verständlich.

Ich habe auch versucht, nicht regional zu denken. Europa ist im Mittelalter ein stark miteinander verflochtener Kontinent, die Entscheidung einer Person an einem Ende hatte Konsequenzen am anderen Ende, vielleicht mehr als dies später der Fall war. Man dachte in größeren Räumen, hatte Universalansprüche und war durch die Klammer der gemeinsamen Religion zusammengehalten. Man hatte durchaus nationale Interessen, aber kannte keinen Nationalismus, man kämpfte um Ruhm und Ehre und auch um Geld, Macht und Land. Man war flexibel, hatte eine »lingua universalis« und noch eine gemeinsame Religion und war gewohnt zu reisen, die Gelehrten verbreiteten ihr Wissen persönlich in ganz Europa, und auch die Kaiser regierten ihre Reiche vom Pferderücken aus. Das Leben war schnell, viele starben jung, viele der Mächtigen starben, weil sie tapfer waren und in der ersten Reihe der Schlachten gekämpft haben. Deshalb war das Leben leidenschaftlicher, weil es es so kurz sein konnte. Mancher Philosoph oder Theologe brannte im wahrsten Sinne des Wortes für seine Lehren, statt dass er sie widerrief.

Wie immer man das Mittelalter betrachtet, es ist eine Zeit der Individualisten, eine Person alleine konnte die Welt bewegen, was ohne Werbemaschinerie, Kommunikationsmittel und Buchdruck viel schwieriger war als heute. Wollte man die Welt bewegen, so musste man gute Ideen haben, die sich schnell verbreiteten, wollte man die Landkarten verändern, so musste man in der ersten Reihe marschieren, statt hinter dem Schreibtisch zu planen. Dies hebt die hier Beschriebenen vielleicht deutlicher aus der Masse heraus als andere der Zeit, sie wagten, ob Künstler, Kaiser oder Philosoph, oft den persönlichen letzten Einsatz um ihr Leben, aber auch um eine Epoche zu formen.

Dies ist ein kompilatorisches Werk. Über viele der hier Dargestellten existieren unterschiedliche Theorien und Meinungen, von Unklarheiten über ihre Lebensdaten bis hin zur Frage, ob sie überhaupt existiert haben. Ich habe versucht, den kleinsten, anerkannten, gemeinsamen Nenner aus all diesen Lebensgeschichten herauszuarbeiten, jede darüber hinausgehende Bewertung, alle Irrtümer, sind Sache des Autors.

Reinhard Pohanka                                                    Mödling, 2006

INHALT

VORWORT

PETER ABAELARD

ALBERTUS MAGNUS

ALEXANDER NEWSKIJ

ALFRED DER GROßE

AUGUSTINUS VON HIPPO

ROGER BACON

THOMAS BECKET

BENEDIKT VON NURSIA

BERNHARD VON CLAIRVAUX

GIOVANNI BOCCACCIO

GEOFFREY CHAUCER

CHLODWIG I.

CHRISTINE DE PIZAN

JACQUES COEUR

COLA DI RIENZO

DANTE ALIGHIERI

ECKHART VON HOCHHEIM

EL CID

ELEONORE VON AQUITANIEN

FRANZ VON ASSISI

FRIEDRICH I. BARBAROSSA

FRIEDRICH II. VON STAUFEN

FRIEDRICH III. VON HABSBURG

JAKOB FUGGER DER REICHE

GILLES DE RAIS

GIOTTO DI BONDONE

ROBERT GUISCARD

GOTTFRIED VON BOUILLON

GREGOR VII.

GUILLAUME DE LORRIS/JEAN DE MEUNG

JOHANNES GUTENBERG

JOHN HAWKWOOD

HEINRICH DER LÖWE

HEINRICH DER SEEFAHRER

HEINRICH I. DER VOGLER

HEINRICH IV.

HEINRICH V. VON ENGLAND

HERMANN VON SALZA

JAN HUS

JACQUES DE MOLAY

JOACHIM VON FIORE

JOHANNA VON ORLÉANS

KARL DER GROßE

KARL DER KÜHNE

KARL IV. VON LUXEMBURG

KARL MARTELL

KNUT DER GROßE

KYRILL/METHOD VON SALONIKI

PETER LOMBARD

MARCO POLO

MAXIMILIAN I. VON HABSBURG

NEIDHART VON REUENTAL

OSWALD VON WOLKENSTEIN

OTTO I. DER GROßE

OTTOKAR II. PRŽEMYSL

FRANCESCO PETRARCA

PHILIPP DER SCHÖNE

PIUS II.

RICHARD I. VON ENGLAND »LÖWENHERZ«

RUDOLF I. VON HABSBURG

SIXTUS IV.

STEPHAN VON UNGARN

SUGER VON ST. DENIS

TASSILO III. VON BAYERN

THOMAS VON AQUIN

URBAN II.

FRANÇOIS VILLON

VLAD TEPES III., DER PFÄHLER

WALTHER VON DER VOGELWEIDE

WIDUKIND

WILLIAM VON OCKHAM

WILHELM I. VON ENGLAND, DER EROBERER

WOLFRAM VON ESCHENBACH

JOHN WYCLIF

PETER ABAELARD

(1079–1142)

Die traurige Geschichte von Abaelard und Heloïse, er wurde entmannt, und sie ging ins Kloster, hat durch die Jahrhunderte Schriftsteller und Moritatensänger inspiriert. Dabei war Peter Abaelard einer der hellsten Geister seiner Zeit, er war umstritten wie streitbar, ein Rebell, der sich mit jedem, der in seine geistige Nähe kam, anlegte, und war dennoch der bedeutendste Vertreter der Früh-Scholastik im Mittelalter.

Als Sohn eines Ritters 1079 in Le Pallet bei Nantes geboren, war er für die militärische Laufbahn bestimmt, fand aber keinen Gefallen am Soldatenleben und widmete sich lieber den Studien. Bereits in jungen Jahren verließ er die Burg der Eltern, schlug sich als wandernder Schüler durch und besuchte die angesehensten Lehrer seiner Zeit. Sein Weg führte nach Paris, wo die besten Schulen seiner Zeit, Universitäten konnte man sie noch nicht nennen, existierten. Abaelard fand Aufnahme in der berühmten Kathedralschule und studierte hier Rhetorik unter dem »scholasticus« William von Champeaux.

Mit William scheint der junge Abaelard nicht gut ausgekommen zu sein, bei mehreren Disputen konnte er ihn widerlegen, und die anderen Studenten kamen lieber zu ihm als zu William. Schon bald dachte Abaelard darüber nach, seine eigene Schule zu eröffnen, vermutlich war William durchaus erleichtert, den ehrgeizigen jungen Mann wieder ziehen zu sehen. Abaelard gründete 1102 eine Schule in Melun, die er anschließend nach Corbeil verlagerte. Sie erfreute sich rasch großer Beliebtheit, Abaelard musste aber von 1105 bis 1108 wieder zu seiner Familie in die Bretagne zurückkehren, sei es wegen Krankheit oder weil William sich mit Erfolg gewehrt hatte und Abaelard nicht mehr unterrichten durfte.

1108 konnte er nach Paris zurückkehren und hier auch lehren, musste aber auf Williams Druck auf den Genovevaberg nahe Paris übersiedeln. 1113 studierte er bei Anselm von Laon Theologie, er unterrichtete auch, und wieder übertraf er seinen Lehrer an Beliebtheit, worauf ihm Anselm die weitere Lehre untersagte. Abaelard unterrichtete als Hauslehrer und traf dabei die liebreizende Heloïse, die Nichte des Kanonikers Fulbert. Heloïse wurde bald von Abaelard schwanger und brachte in Le Pallet den gemeinsamen Sohn Astrolabius zur Welt. Abaelard willigte ein, Heloïse zu heiraten, wenn die Ehe geheim bliebe, da er um seinen Ruf als Lehrer fürchtete. Allerdings machte Fulbert die Ehe bekannt, worauf Heloïse aus Liebe zu Abaelard ins Kloster ging. Fulbert gab die Schuld an dieser Entwicklung Abaelard, ließ ihn überfallen und entmannen, was dieser nur knapp überlebte.

Abaelard zog sich ins Kloster St. Denis zurück, seine Thesen, Vorlesungen und Schriften riefen jedoch seine Gegner auf den Plan, die ihn 1121 zwangen, auf der Synode von Soissons seine Schrift »Theologia Summi boni« eigenhändig ins Feuer zu werfen. Bald danach geriet Abaelard in Streit mit dem Abt seines Klosters St. Denis und zog sich in die Champagne zurück, wo er eine Einsiedelei, Paraclet genannt, gründete. Auch hierher folgten ihm seine Studenten, so dass sich Abaelard einen größeren Ort zum Unterrichten suchen musste. Er ließ sich zum Abt des Klosters Saint-Gildas-en-Rhuys in der Bretagne wählen, während er den Paraclet den Nonnen von Argenteuil, deren Priorin Heloïse war, schenkte.

Auch in St. Gildas war ihm keine Ruhe beschieden. Er versuchte, das Kloster zu reformieren, und brachte die Mönche so gegen sich auf, dass sie mehrere Attentate auf ihn verübten. Abaelard kehrte nach Paris auf den Genovevaberg zurück. Auch hier hatte er Feinde, der bedeutendste war der Kirchenlehrer image Bernhard von Clairvaux. Dieser ließ ihn 1140 auf der Synode von Sens der Häresie anklagen, jeder Versuch Abaelards, sich zu verteidigen, wurde unterbunden, seine Schriften wurden verbrannt, und Papst Innozenz II. verurteilte ihn zum ewigen Schweigen.

Abaelard wollte nun selbst nach Rom gehen, um sich vor Papst Innozenz II. zu verteidigen, eine Krankheit zwang ihn aber zu einem Aufenthalt im Kloster von Cluny. Dessen Abt war der berühmte Peter Venerabilis, Theologe, Kirchenreformator und ein offener Geist, der die erste Koran-Übersetzung ins Lateinische in Auftrag gegeben hatte. Venerabilis, der eine sehr ausgleichende Persönlichkeit gewesen sein muss, konnte die beiden Feuerköpfe Abaelard und Bernhard versöhnen und erreichte, dass das Urteil des Papstes aufgehoben wurde, allerdings starb Abaelard nur wenig später am 21. April 1142 in St. Marcel, einem Priorat von Cluny.

Als Heloïse von seinem Tode erfuhr, erbat sie sich den Leichnam Abaelards, der von Peter Venerabilis nach dem Paraclet überführt und dort bestattet wurde. 22 Jahre später fand Heloïse ihr Grab neben ihrem geliebten Ehemann. In der französischen Revolution wurde der Paraclet verwüstet, und das Grab verschwand, was bleibt, ist die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Lehrer und zwei unglücklich Liebende, die ihre Liebe auch dann weiterlebten, als eine körperliche Vereinigung nicht mehr möglich war.

Was hat aber Abaelard so ausgezeichnet, dass man ihn zeit seines Lebens entweder bewunderte oder verfolgte und er bis heute den Ruf eines Ketzers in der Kirche hat? Abaelard hat sich gegen jede theologische und philosophische Strömung gewandt, welche die Kirche im 11. Jahrhundert beherrschte. Im Universalienstreit, in dem es darum ging, ob Ideen eine eigene Existenz haben, die notwendigerweise auf Gott zurückgeführt werden müsse, schloss Abaelard, dass die Universalien nur Wörter sind, die vom Menschen zur Bezeichnung von Dingen festgelegt werden. Soweit sie sich auf sinnlich konkret Wahrnehmbares beziehen, sah Abaelard in ihnen nur Benennungen, soweit sie sich auf sinnlich nicht Wahrgenommenes beziehen, handelt es sich um echte Allgemeinbegriffe.

Weiteren Ungemach handelte sich Abaelard ein, als er in seiner Schrift »Sic et non« (Ja und Nein) den Kirchenvätern, darunter image Augustinus, zahlreiche Irrtümer nachwies, damit den Dogmatismus der Kirche herausforderte und meinte, dass neues Wissen nur aus der Textkritik entstehen kann, und damit wesentlich zum Entstehen der scholastischen Methode beitrug. In seinen ethischen Ansichten wies Abaelard darauf hin, dass nur die innere Haltung des Menschen wertbar sei und den Maßstab für das Urteil Gottes bilden könne, was allen Formen der kirchlichen Einflussnahme auf das Seelenheil, wie etwa den Verkauf von Ablässen, zuwiderlief.

In seinen theologischen Schriften forderte er zum Dialog zwischen den Religionen Christentum, Judentum und Islam auf und wies die Erbsünde nur Adam und nicht dem einzelnen Christen zu. Für ihn galt, dass, wenn der Mensch seine Vernunft schärfen und einsetzen würde, dann müsste er von selbst zum Glauben finden, da man nur glauben kann, wenn man auch versteht, was man glaubt.

Abaelard war der Hauptgegner der konservativen Kräfte in der Kirche, hatte aber keine langfristige Wirkung im Mittelalter, was durch das Verbot seiner Schriften wie auch durch seinen Ruf als Ketzer begründet werden kann, er hat aber andere Theologen wie image Peter Lombard und image Thomas von Aquin beeinflusst. Manchmal wird Abaelard auch als einer der Gründer der Pariser Universität betrachtet, seine Gedanken der religiösen Toleranz, seine Meinung über den Einzelnen und die Ansicht, dass Vernunft und Zweifel die Wege zur Erkenntnis sind, gelten bis heute als modern. Seine Liebe zu Heloïse hat Schriftsteller wie Jean-Jacques Rousseau, Ludwig Feuerbach und Luise Rinser zu Werken inspiriert.

ALBERTUS MAGNUS

(1193/1200–1280)

Albertus Magnus war der größte deutsche Philosoph des Mittelalters und auch eines der größten Universalgenies seiner Zeit. Seine Kenntnisse umfassten nicht nur die Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaften, die Theologie und die Scholastik.

Geboren wurde Albertus Magnus aus der adeligen Familie der Grafen von Bollstädt zwischen 1193 und 1200 in Lauingen an der Donau im bayrischen Schwaben. Er dürfte schon in seiner Jugend eine umfassende Erziehung erfahren haben, danach ging er an die Universität in Padua und trat dort 1223 dem Orden der Dominikaner bei. Seine Studien vervollständigte er in Bologna, Paris und Köln.

Nach seiner Studienzeit lehrte er Theologie in Hildesheim, Freiburg im Breisgau, Ratisbon, Straßburg und Köln, ehe er 1245 nach Paris ging, um hier seinen Doktortitel in Theologie zu empfangen. Bereits in Köln wurde er zum Lehrer des jungen image Thomas von Aquin, erkannte hier bereits dessen Genie und sagte ihm eine glänzende Karriere voraus. Thomas folgte Albertus nach Paris und ging mit ihm weiter nach Köln, wo die Universität eine neue Form des Studiums, das »Studium generale«, eingerichtet hatte. Albertus wurde zum Rektor der Universität ernannt, Thomas zum Vorsteher der Studentenschaft.

1254 wählte man Albertus zum Provinzial des Dominikanerordens in Deutschland, 1256 finden wir ihn in Rom, um die Bettelorden vor Papst Alexander IV. gegen Angriffe zu verteidigen. 1257 legte er das Amt des Provinzials nieder, um sich ganz seinen Studien zu widmen. 1260 übernahm er das Amt des Bischofs von Ratisbon, das er bis 1262 innehatte, um sich dann wieder nach Köln zu Studien und zur Lehrtätigkeit zurückzuziehen.

In den verbleibenden Jahren widmete er sich theologischen und naturwissenschaftlichen Studien und wurde von den Päpsten als Ratgeber geschätzt. 1274 reiste er auf Bitten von Papst Gregor X. zum Konzil von Lyon und nahm dort an den Beratungen teil.

Der Tod seine Lieblingsschülers Thomas von Aquin im Jahre 1274 war ein schwerer Schlag für Albertus. Als 1277 durch den Pariser Bischof Stephan Tempier Tendenzen auftraten, die Schriften des Thomas von Aquin als häretisch zu verbieten, reiste er trotz seiner 84 Jahre nach Paris, um die Lehren seines Lieblingsschülers erfolgreich zu verteidigen.

1278 erfasste ihn eine schwere Krankheit, sein Gedächtnis ließ ihn im Stich, und seine körperlichen Kräfte, geschwächt durch seine vielen Reisen und die Prinzipien des mönchischen Lebens, die er trotz seiner Erfolge stets einzuhalten versucht hatte, ließen nach. Albertus Magnus starb 1280 in Köln, begraben wurde er in der Krypta von St. Andreas. 1622 wurde er von Papst Gregor XV. selig gesprochen, die Heiligsprechung erfolgte im Jahre 1931.

Das Werk des Albertus Magnus umfasst 70 handschriftlich verfasste Abhandlungen und verschaffte ihm den Ehrentitel eines »Doctor universalis«. Albertus wollte das gesamte Wissen seiner Zeit erfassen und in Lehrbüchern niederschreiben. Eine erste Gesamtausgabe seiner Werke erschien 1651 in Lyon in 21 Bänden, die zweite zwischen 1890-99 in Paris. Die Themen seiner Werke umfassen die Logik, Physik, Biologie, Psychologie, Moral, Politologie, Metaphysik und Theologie sowie Werke über Alchemie. In seinen Arbeiten, die durchaus schon enzyklopädisch zu nennen sind, beschritt er in vielen Teilbereichen als Erster den wissenschaftliche Ansatz einer Klassifizierung, wie in den Arbeiten zur mitteleuropäischen Flora und in seinen Beschreibungen der Geografie der Welt. Bahnbrechend waren auch seine Arbeiten in der Mineralogie, für die er eine erste Systematik entwickelte. Albertus Magnus arbeitete das gesamte Wissen seiner Zeit durch und versuchte, den christlichen Glauben mit den Lehren der naturwissenschaftlichen Philosophie eines Aristoteles zu verbinden. Es gelang ihm allerdings nicht, alle diese Disziplinen in eine geschlossene Systematik zu überführen, dies sollte erst seinem größten Schüler Thomas von Aquin, der ihn in manchen Teilbereichen übertroffen hat, gelingen.

Für Albertus Magnus gab es keinen Unterschied zwischen den Wissenschaften und der Philosophie. Als Wissenschaftler, der sich nicht, wie zu dieser Zeit üblich, auf die Theorie beschränkte, sondern auch praktische Versuche durchführte, scheute er sich nicht zu verkünden, dass auch Aristoteles, der als die unumstößliche Autorität galt, geirrt hatte. Sein für seine Zeitgenossen unglaubliches Wissen ließ Legenden entstehen, dass er mit dunklen Mächten im Bunde und ein Magier gewesen sei.

Gemeinsam mit image Roger Bacon postulierte er, dass die Wissenschaften und die kirchlichen Lehren einander nicht ausschließen, sondern Hand in Hand gehen können. Albertus versuchte aber mit einer gewissen Vorsicht, seine neuen Erkenntnisse mit den kirchlichen Lehren in Einklang zu bringen und die kirchlichen Dogmen nicht allzu radikal in Frage zu stellen. Seine Methode war geschickt, erst sammelte er alles Wissen seiner Zeit, überprüfte es, wo nötig in Experimenten und veröffentlichte seine Ergebnisse in Form von Kommentaren zu den Werken des Aristoteles. Manchmal versagte er sich auch eine eigene Meinung, weil er Angst hatte, sie könnte zu fortschrittlich sein. Albertus vermutete, dass die Erde eine Kugel sei, und sagte die Existenz eines Kontinentes im Westen des Atlantiks voraus.

Seine Leistung für die Philosophie besteht im Kommentar aller Werke des Aristoteles und in der Hinzuziehung weiterer antiker Quellen bei der Interpretation der aristotelischen Philosophie. Damit bereitete er die klare Aufgabentrennung zwischen Philosophie und Theologie vor, die Thomas von Aquin dann ausarbeitete.

Albertus Magnus hebt ausdrücklich die Natur in ihrer Eigenständigkeit hervor und sieht es als Aufgabenbereich der Philosophie an, sie zu untersuchen. In der Natur laufen die Phänomene aufgrund des Wirkens natürlicher Kräfte und Gesetzmäßigkeiten ab, damit hat der Glaube keine Bedeutung für die Vorgänge in der Natur. Albertus betont, dass der Mensch ohne Rückgriff auf theologische Überzeugungen in gewissem Sinne zur Vollendung zu gelangen vermag. Diese Vollendung besteht darin, dass die Vernunft die ihr gemäße Aufgabe erfüllt.

ALEXANDER NEWSKIJ

(1220–1263)

Wenn es heute ein russisches Staatsgebilde gibt, so geht dieses auf einen Mann zurück, der wie kein anderer in der russischen Geschichte als Volksheld gilt, Alexander Jaroslawitsch, mit dem Beinamen Newskij.

Als Alexander am 30. Mai 1220 in Wladimir als Sohn des Fürsten Jaroslaw II. Wsevoldowitsch von Nowgorod zur Welt kam, gab es noch kein russisches Reich. Beherrscht wurde das Land von einzelnen unabhängigen Fürstentümern, an deren Spitze Kiew stand.

Nur wenige Jahre nach seiner Geburt war es mit der russischen Selbstständigkeit vorbei. Die Mongolen der Goldenen Horde, die sich vom Staat des Dschingis Khan unter ihrem eigenen Groß-Khan Batu abgespalten hatten und ein eigenes Reich zu errichten suchten, stießen aus den innerasiatischen Steppen gegen Westen vor und brachten die russischen Teilfürstentümer mit Ausnahme von Nowgorod unter ihre Kontrolle. Nominell blieben die russischen Fürstentümer unabhängig, mussten aber den Groß-Khan als oberste Instanz und mongolische Steuerbeamte dulden.

Die Goldene Horde wurde 1236 von Batu Khan, einem Enkel Dschingis Khans, gegründet. Ihre Hauptstadt war bis 1342 Alt-Sarai im Wolgadelta, danach das weiter nördlich an der Wolga gelegene Neu- oder Berke-Sarai, das heutige Saratow.

Die Mongolen waren nicht die alleinige Bedrohung für die russischen Fürstentümer. Von Norden über Finnland und die Ostsee drängten die Schweden nach Russland und über die Baltischen Staaten die deutschen Schwertritter, der Ritterorden der Brüder der Ritterschaft Christi in Livland.

Als Alexander 16 Jahre alt war, wurde sein Vater Jaroslaw II. von den Mongolen als Herrscher über Kiew bestätigt und überließ seinem Sohn das Fürstentum Nowgorod. Nur vier Jahre später kam Alexanders erste Bewährungsprobe. Die Schweden hatten die Mündung der Newa besetzt und drohten die russischen Fürstentümer von der Ostsee und damit vom lukrativen Handel mit den Hansestädten Nordeuropas abzuschneiden. Dabei wurden sie von Papst Gregor IX. unterstützt, der den Russisch-Orthodoxen skeptisch und feindlich gegenüberstand. Alexander sammelte sein Heer aus den Bojaren – den freien Bauern – und schlug am 15. Juli 1240 die Schweden an der Newa, etwa an jener Stelle, an der später St. Petersburg entstehen sollte. Aus dieser Schlacht an der Newa resultierte sein späterer Beiname »Newskij«, was »Sieger an der Newa« bedeutet.

Nur zwei Jahre später musste er sich dem nächsten Gegner stellen. In einer legendären Schlacht am zugefrorenen Peipussee schlug er ein Ritterheer des Schwertordens, das von deutschen und dänischen Rittern verstärkt war und über estnische Hilfstruppen verfügte, und beendete damit das Vordringen der Ritterorden nach Russland.

Nach der Abwehr der Feinde im Norden und Westen sah Alexander sich zwei weiteren Aufgaben gegenüber, der Klärung des Verhältnisses mit den Mongolen und der Festigung seiner Herrschaft und der seines Bruders Andrej. Letzteres gelang ihnen 1248 als sie Batu, den Groß-Khan der Goldenen Horde, dazu bringen konnten, ihren Onkel Swjatoslaw III., der den Großfürstenthron von Wladimir-Susdal 1246 eingenommen hatte, abzusetzen. Batu wies die Brüder an, gemeinsam über Wladimir zu herrschen, Andrej bekam die Hauptstadt Wladimir und deren Umland, Alexander das Gebiet um Kiew, konzentrierte sich allerdings auf Nowgorod als aufstrebendes Wirtschaftszentrum.

Ab diesem Zeitpunkt trennte sich die Politik der beiden Brüder. Andrej sah die Möglichkeit, die Fremdherrschaft der Mongolen abzuschütteln, da diese in Nachfolgestreitigkeiten nach dem Tode des Groß-Khans der Mongolen Gujuk Khan verwickelt waren. Alexander hingegen erkannte, dass die russischen Ressourcen nicht ausreichten, um die Mongolen dauerhaft zu besiegen, und setzte politisch auf die Goldene Horde in der Hoffnung, damit seinen Bruder Andrej auf die Seite schieben zu können und bei den Mongolen mehr durch Verhandlungen als durch Krieg zu erreichen.

1251 war die Nachfolge bei den Mongolen geklärt und Möngke hatte sich als Groß-Khan durchgesetzt. Alexander nutzte die Gunst der Stunde, am Hofe des Groß-Khans der Goldenen Horde intrigierte er gegen seinen Bruder, erreichte seine Absetzung und erhielt die alleinige Großfürstenwürde. Unterstützt wurde Alexander dabei von der russisch-orthodoxen Kirche, da diese durch eine Annäherung Andrejs an den Papst, von dem er sich Unterstützung gegen die Mongolen erhofft hatte, ihre Stellung gefährdet sah.

Alexander lebte eine Politik des Appeasement gegenüber den Mongolen, die Festigung und langsame Ausdehnung seiner Herrschaft und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung wollte er nicht durch einen Kampf gegen die Mongolen, den er in diesem Stadium als sinnlos ansah, riskieren.

So akzeptierte er, dass die Mongolen mit ihm als Großfürst ihre Herrschaft in Russland konsolidieren konnten. Alexander nahm auch die Einsetzung mongolischer Steuereintreiber hin, obwohl er den Widerstand seiner eigenen Landsleute mit Gewalt brechen und selbst Nowgorod den Mongolen ausliefern musste.

1262 erschlugen in Susdal aufgebrachte Bürger die mongolischen Steuereintreiber und gefährdeten damit die Politik Alexanders. Um den Groß-Khan Berke zu beruhigen, eilte Alexander in die Hauptstadt der Goldenen Horde in Alt-Sarai. Berke, der ihm misstraute, hielt Alexander bis in den Winter 1263 am Hof fest, ehe er abreisen durfte. Auf der Rückreise nach Wladimir starb Alexander am 14. November in Gorodez an der Wolga.

Alexander wurde in seiner Hauptstadt Wladimir begraben, 1380 wurde er von der russischen Kirche heilig gesprochen, Peter der Große ließ seine Gebeine 1729 in das neu gegründete Alexander-Newskij-Kloster nach St. Petersburg überführen.

Die Politik Alexanders sollte für Europa und für Russland weit reichende Folgen haben. Seine Akzeptanz der mongolischen Herrschaft führte dazu, dass er 1251 ein Angebot des Papstes zum gemeinsamen Kampf gegen die Mongolen ablehnte. Gregor IX. hatte ihm eine Wiedervereinigung der beiden christlichen Kirchen angeboten, was Alexander aber ablehnen musste. Er vermutete, dass der Papst die Oberhoheit über eine unierte Kirche anstreben würde, während die Mongolen die orthodoxe Kirche unbehelligt ließen. Für ihn war die russisch-orthodoxe Kirche jene Klammer, die er brauchte, um seine großen Vorhaben, die Entwicklung eines russischen Nationalgefühles und eine Heeresreform, zu unterstützen und durchzusetzen.

Allerdings erreichte die römische Kurie mit ihrem Angebot zumindest, dass Alexander der römischen Kirche die freie Religionsausübung in den russischen Fürstentümern zusagte. Er selbst konnte bei der Goldenen Horde die Einrichtung eines orthodoxen Bistums an der unteren Wolga im Jahre 1261 durchsetzen.

Die Ablehnung des päpstlichen Angebotes machte ihn zum Heiligen der russischen Kirche, die ihn 1380 kanonisierte, verhinderte aber in der Folge weitere europäische Einflüsse in Russland und beförderte damit langfristig eine Abkopplung des Landes in kultureller und geistiger Hinsicht. Dadurch konnten Humanismus und Renaissance in Russland niemals Fuß fassen.

Dennoch hatte seine Politik Erfolg, die russischen Fürstentümer konnten sich ihre Selbstständigkeit, wenn auch nur mit mongolischer Duldung, erhalten. Sein Sohn Daniel gründete 1280 das Großfürstentum Moskau, das zur Keimzelle des Zarenreiches und des russischen Staates werden sollte.

ALFRED DER GROßE

(847/849–899)

England hat in seiner langen Geschichte an seine Könige und Königinnen nur einmal den Beinamen »der Große« vergeben, an einen Mann, der alle politischen Vorzüge, Tapferkeit und Wissensdurst des frühen Mittelalters vereinigte wie kaum ein anderer.

Alfred wurde zwischen 847 und 849 in Wantage in Oxfordshire als der jüngste Sohn des Königs von Wessex, einem der sieben angelsächsischen Königreiche Englands, geboren. Er muss schon als Kind eine eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein und war der Liebling der Familie. Angeblich wurde er bereits im Alter von fünf Jahren zu Papst Leo IV. nach Rom gesandt, den er so beeindruckte, dass ihn dieser zum Konsul von Rom ernannte. Mit Sicherheit war er zwei Jahre später wieder in Rom, diesmal in Begleitung seines Vaters. Er blieb für ein Jahr in der Ewigen Stadt und dürfte hier jene Erziehung und Liebe zu Kultur und Wissen bekommen haben, die ihn sein ganzes späteres Leben begleiten sollten.

In England konnte er nicht viel Erziehung erwarten, sein Vater Ethelwulf von Wessex stand in einem Abwehrkampf gegen dänische Invasoren, die das Land verwüsteten. Die Invasion hatte 835 mit sommerlichen Raubzügen begonnen, 850 und 854 aber kamen große dänische Armeen ins Land, die hier auch überwinterten. Die dänische Taktik war einfach: Man suchte sich einen leicht zu befestigenden Punkt, errichtete eine Festung aus Palisaden und Erdwerken und plünderte von hier aus die Umgebung, bis sie entweder erschöpft war oder man Lösegeld erpressen konnte, um weiterzuziehen.

865 kamen die Dänen mit aller Macht nach England, und es war klar, dass sie diesmal für lange Zeit bleiben würden. In fünf Jahren eroberten sie mit Nordhumbrien, Mercien und Ost-Anglien drei der sieben Königreiche der Angeln, 870 waren sie zum Angriff auf Wessex bereit.

Alfred war der Vizebefehlshaber des Heeres von Wessex unter dem Kommando Aethelraeds, der seinen zwei älteren Brüdern und seinem Vater nachgefolgt war. In Raeding erreichte Alfred einen ersten Sieg gegen die Dänen, obwohl sein Bruder, weil er mit dem Morgengebet nicht fertig war, erst spät am Schlachtfeld erschien.

871 starb Aethelraed, und Alfred wurde König. Seine Regentschaft begann unglücklich mit einer schweren Niederlage gegen die Dänen in Wilton. Alfred musste seine Unterlegenheit anerkennen, für vier Jahre hielt er sich militärisch zurück und versuchte Wessex zu halten, während in dieser Zeit die Dänen Mercien eroberten, ihr Reich aufteilten und in Yorkshire und in Cambridge siedelten. 875 kam es erneut zum Krieg, als Guthrum, der dänische König von Cambridge, in Wessex einfiel. Diesmal traf er aber auf einen gut vorbereiteten Alfred, der ihn nach Norden vertrieb. Guthrum änderte seine Taktik, fiel im Winter in Wessex ein, besiegte Alfred und trieb ihn und die wenigen ihm verbliebenen Männer in das Marschland von Athelney.

Alfred war am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt, aber nun zeigte sich seine wahre Größe. In wenigen Wochen konnte er aus den Resten seiner Herrschaft eine neue Armee aufstellen, sei es durch Überzeugung, Willenskraft oder militärische Führung. Im Frühjahr fiel er überraschend über Guthrum her und schlug ihn bei Eddington vernichtend, so dass sich Guthrum taufen lassen musste und sich nach Ost-Anglien zurückzog.

In den nächsten sechs Jahren herrschte eine Art kriegerischer Friede zwischen den Dänen und Alfred, der die Zeit nutzte. Er ließ eine Flotte bauen, nicht die erste der englischen Geschichte, aber die erste, die den Namen Flotte auch verdiente. Er organisierte das Heerwesen derart, dass er ein stehendes Heer einrichten konnte. Eine Hälfte der Bauern diente als Krieger, während sie von der zweiten Hälfte versorgt wurde, alle halben Jahre wurde gewechselt. Er baute Festungen im Land nach dem Vorbild der Dänen, in die sich die Bevölkerung in Notzeiten zurückziehen konnte und die als Basis für sein Heer dienten.

884 konnte er ein dänisches Heer besiegen und nahm London und den südlichen Teil von Mercien in Besitz. Die Bewährungsprobe kam 892, als ein großes dänisches Heer mit einer neuen Taktik landete. Statt sich in Festungen zurückzuziehen, marschierte die dänische Armee schnell und über große Distanzen und tauchte immer dort auf, wo Alfreds Armee schwach war. Alfred konnte die Dänen immer wieder besiegen, aber niemals vernichten, erst 896 konnte er die dänische Armee auflösen.

Alfred starb 899, begraben wurde er in der Kathedrale von Winchester. Er hatte das Reich seines Vaters bewahrt und vergrößert, dennoch wurde bei seinem Tode noch die Hälfte Englands von den Dänen beherrscht, und das Reich Alfreds war in der Defensive und ohne Möglichkeiten, offensiv gegen die Dänen vorzugehen.

Selbst wenn Alfred unter die großen Heerführer jener Zeit einzureihen ist, den Beinamen »der Große« hat er sich auf kulturellem Gebiet verdient. Bis zu seinem 12. Lebensjahr noch Analphabet, lehrte ihn seine Mutter lesen und schreiben, indem sie ihm einen Gedichtband mit schönen Initialen versprach. Erst mit 36 Jahren lernte Alfred Latein und gewann damit den Zugang zum Wissen seiner Zeit. Er wusste auch, dass er die kulturelle Wiedergeburt seines Landes nicht alleine bewerkstelligen konnte und holte Gelehrte aus Sachsen, Gallien und Wales, darunter den Benediktiner Asser, der später seine Biografie verfassen sollte.

Zur Erziehung seiner Untertanen ließ er lateinische Werke übersetzen, schrieb einige selbst oder zumindest das Vorwort dazu. Das erste Buch, das er in Auftrag gab, war das »Liber Regulae Pastoris« des Papstes Gregor des Großen, welches die Pflichten der Bischöfe regelte, jeder Bischofssitz erhielt davon eine Kopie. Das nächste war die Weltgeschichte des Paulus Orosius, eine Geschichte in Annalenform, wobei Alfred zahlreiche Anmerkungen selbst hinzufügte, darunter die Geschichte von Ohthere und Wulfistan über ihre Expedition in arktische Gewässer.

Dann gab Alfred sein Lieblingsbuch in Auftrag, Boethius’ »Consolatio Philosophiae«, geschrieben von einem römischen Staatsmann der Spätantike. Ein Werk in der Tradition der Stoiker mit christlicher Seele: Wie kann man den Widrigkeiten des Lebens entgehen und dabei seine Seele retten? Ein Buch, das das Leben Alfreds widerspiegelt.

Sein letztes Buch, genannt »Blostmann«, ist das persönlichste und von ihm am stärksten beeinflusste Werk. An die »Soliloquies« von → Augustinus von Hippo angelehnt, verfasste er eine Sammlung von Verhaltensmaßregeln für seine Untertanen, aus denen sich jeder das für ihn Nützliche heraussuchen konnte.

Alfred ließ die Gesetze Englands sammeln und zusammenstellen, wobei er sich nicht scheute, auch die besten Gesetze der benachbarten Königreiche in diese Sammlung aufzunehmen.

Alfred war ein großer Bauherr. Neben seinen militärischen Bauten ließ er eine Anzahl von Palästen und Klöstern errichten und förderte durch die dazu notwendige Ansiedlung von Handwerkern und Künstlern die englische Kunst. Daneben wird ihm noch die Erfindung einer Kerzenuhr, wobei die Länge der abgebrannten Kerzen die Stunden anzeigte, und einer geschlossenen Laterne mit Hornfenstern zugeschrieben.

Bei aller menschlichen Größe war er aber auch ein seltsamer Hypochonder. Sein Leben lang klagte er über Schmerzen, die seinen Körper durchzogen. Er hatte stets Angst, blind zu werden, Lepra zu bekommen oder zu verblöden. Als er das Ende seines Lebens erreichte und ihm klar wurde, dass er sterben müsse, verschwanden die Schmerzen plötzlich, Alfred hatte seine letzte Angst überwunden.

Auch wenn Alfred sein ganzes Leben für sein Land in der Defensive gekämpft hatte, konnte er zwei große Ziele erreichen. Die Bewahrung eines Teiles der angelsächsischen Herrschaft über England als Sprungbrett für seine Nachfolger zum weiteren Kampf und die Bewahrung des Christentums gegen die heidnischen Dänen. Neben seinen militärischen Erfolgen und dem Aufbau von Heer und Flotte erneuerte er mit seinen Büchern die angelsächsische Kultur. Seine Fähigkeiten waren im Einzelnen kaum überragend, aber die Summe seines Interesses, die Breite seiner Wissbegierde, was Erfindungen und Neuheiten anging, und seine starke religiöse Überzeugung ließen ihn zu einer der großen Persönlichkeiten werden, die über England hinaus anerkannt wurden. Sein Kampf gegen die Dänen entlastete den europäischen Kontinent und führte langfristig zur Abwehr dieser Gefahr und letztlich zur Annahme des Christentums durch die Dänen.

In seinem letzten Werk hat er sein persönliches Credo in einem einzigen Satz festgelegt: »Töricht erscheint mir jener Mensch und wirklich sonderbar, der nicht versucht, sein ganzes Leben lang mehr zu verstehen und zu wissen, und der niemals das ewige Leben sucht, das alle Fragen beantwortet«.

AUGUSTINUS VON HIPPO

(354–430)

Unter den Kirchenvätern des frühen Christentums ist Augustinus der herrlichste und auch der schrecklichste. Er legte die Grundlagen zum christlichen Glauben, die heute noch gültig sind. Er schuf das Christentum als Instrument der Repression für Andersgläubige und damit die Grundlagen für Religionskriege und die Inquisition.

Augustinus stammte aus einer gemischt-religiösen Familie. Sein Vater Patricius war Bauer und Regierungsbeamter und Anhänger des römischen Götterglaubens, seine Mutter Monnica war strenggläubige Christin. Geboren am 13. November 354 in Thagaste, einer kleinen Stadt in der römischen Provinz Numidien, die sich im 4. Jahrhundert noch immer einer gewissen Ruhe und Wohlstandes erfreute, erhielt er eine gründliche Ausbildung in Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik in Karthago, musste aber sein Studium mit 16 Jahren aus Geldmangel unterbrechen. Ein Jahr später konnte er nach Karthago zurückkehren und ein Studium der Rhetorik beginnen. Hier dürfte er auch eine Beziehung mit einem Mädchen begonnen haben, das für 15 Jahre an seiner Seite blieb und ihm sein einziges Kind, den Sohn Adeodatus, schenkte.

Augustinus kannte die Bibel, fand sie aber primitiv und fühlte sich weit mehr von dem in Mode stehendem Manichäismus angezogen, der eine strenge Teilung der Welt in Gut und Böse lehrte.

Ab 375 unterrichtete Augustinus Rhetorik in Thagaste. In dieser Zeit versuchte er seine Familie zum Manichäismus zu bekehren, wandte sich aber nach einer Begegnung mit dem manichäistischen Bischof Faustus von Mileve, von dem er intellektuell enttäuscht war, davon wieder ab. 383 berief man ihn nach Rom als Professor für Rhetorik. Hier trennte er sich unter dem Einfluss seiner Mutter von seiner Geliebten und lernte den Mailänder Erzbischof Ambrosius kennen, der ihn faszinierte. 386 hatte er ein Erweckungserlebnis, das ihn zum Christentum brachte, als er eine Kinderstimme hörte, die zu ihm »tolle lege« (Nimm und lies) sagte, was er als Aufforderung, sich der Bibel zuzuwenden, verstand.

387 ließ er sich und seinen Sohn Adeodatus in der Osternacht taufen. Augustinus verließ Rom, kehrte nach Thagaste zurück und zog sich für drei Jahre in die von ihm gegründete klösterliche Gemeinschaft der »servi dei« zurück, die als Urform des abendländischen Mönchtums angesehen werden kann. 390 starb sein Sohn Adeodatus. 391 wurde Augustinus zum Priester geweiht und vier Jahre später zum Bischof von Hippo Regius ernannt. Als Bischof, der sich staatlicher Gewalt in der Verfolgung der Manichäer, Donatisten und Pelagisten bediente, betonte er auch der Kirche in Rom gegenüber die Eigenständigkeit der nordafrikanischen Kirche.

In den nächsten Jahren wirkte er als Bischof und schrieb jene religiösen und philosophischen Werke, die ihn zu einem der größten Theologen der Kirchengeschichte machen sollten und die das Bild und die Ideen der Kirche bis heute prägen.

Augustinus starb 430, als Hippo durch die Vandalen, die nach ihrer Vertreibung aus Italien nach Nordafrika übergesetzt waren, belagert wurde. Im 8. Jahrhundert wurden seine Gebeine von den Langobarden nach Italien gebracht. Sie befinden sich heute in der Kirche San Pietro in Ciel d’Oro in Pavia in Norditalien.

Augustinus ist der »Kirchenvater« schlechthin. Seine Lehren wirken in der Kirche nach und hatten wesentlichen Einfluss auf Martin Luther und Johannes Calvin. Seine »philosophische Karriere« ist erstaunlich. Ursprünglich ein Anhänger des Manichäismus, wandte er sich der Skepsis und schließlich dem Neuplatonismus zu, ehe er sich zum Christentum bekehrte, in das er Ideen Platos einbrachte. Man hat ihm auch eine frühe Art des Existenzialismus zugeschrieben.

Als sein bekanntestes Werk gelten die »Confessiones« (Bekenntnisse), die er um 390 verfasste und in denen er sein frühes Leben und seine Suche nach Wahrheit und Bekehrung beschrieb, die erste Autobiografie der Literaturgeschichte.

Zwischen 413 bis 426 verfasste er sein bedeutendstes Werk »De Civitate Dei« (Vom Gottesstaat) als Antwort auf die Eroberung Roms durch die Vandalen im Jahre 410. Hier postulierte er den Unterschied zwischen dem weltlichem und dem kirchlichen Reich und sah den göttlichen Heilsplan auch durch den Fall Roms nicht in Gefahr. Seiner Ansicht nach ist die Weltgeschichte ein stetig fortlaufender Prozess, der nur ein Ziel haben kann, die Vollendung in Gott. In weiteren Werken beschäftigte er sich mit dem freien Willen des Menschen, mit der christlichen Lehre, mit der Dreieinigkeit Gottes, mit der Taufe, der Erbsünde, der Hölle und dem Fegefeuer sowie mit seinem Kampf gegen die Donatisten.

In der Philosophie ist die Selbstgewissheit des Denkens sein Ausgangspunkt. Selbst wenn ich an allem zweifle, so kann ich nicht bezweifeln, dass ich zweifle, also bin ich. Die Wahrheit liegt für ihn in den ewigen Ideen in Gottes Geist, verfügbar für den Menschen wird sie nur in der vermittelten Erkenntnis des Geistes durch Gott. In der Religion lehnt er die Unterordnung Christi unter Gott Vater ab. Für ihn ist Jesus Gott und Mensch zugleich, der Geist kommt aus Vater und Sohn hervor. Damit steht er im Gegensatz zur griechischen Lehre, bei der der Geist aus dem Vater durch den Sohn hervorgeht. Für ihn besteht Gott aus drei gleichrangigen Personen, in jeder Person ist der ganze Gott anwesend.

Für die Dauer der Welt rechnete er mit einer Zeitspanne von 1000 Jahren zwischen Jesus und dem Jüngsten Gericht, was im Jahre 1000 zur europaweiten Furcht vor dem Ende der Welt führte und danach von der Kirche mühsam uminterpretiert werden musste.

In seiner Lehre von der Prädestination ist der Mensch zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis von Gott vorbestimmt. Der einzelne Mensch kann für ihn nur durch Gehorsam der Kirche gegenüber der Hölle entfliehen. In dieser Interpretation verschaffte er im Mittelalter der Kirche ungeheure Macht über das Leben der Gläubigen.

Augustinus ist der Erfinder der Erbsünde, die von Geburt aus auf den Menschen übertragen ist und der man nur durch die Hilfe der Kirche entkommen kann. Alle anderen, auch diejenigen, die versuchen, christlich zu leben, ohne der Kirche angeschlossen zu sein, sind zur ewigen Verdammnis verurteilt. Damit verknüpfte er die Lehre von einer Hölle, in der man endlose Qualen erleiden muss, und er dachte sich das Fegefeuer aus. Augustinus ist Antijudaist, für ihn sind die Juden bösartig, wild und grausam, sie sind Sünder und Mörder. Er legt ihnen als erster Theologe die Schuld am Tode Christi zur Last, ein Gedanke, der das ganze Mittelalter durchzieht und immer wieder in den Begründungen für Judenhass und Pogromen erscheint.

Gegen Häretiker und Schismatiker erlaubt er die Anwendung von Gewalt und empfiehlt die »Bekehrung durch heilsamen Zwang«. Dies war eine willkommene Rechtfertigung für die Handlungen der späteren Inquisition und auch der Eroberungen und Zwangstaufen der Konquistadoren und Kolonialisatoren des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Seine Lehre vom »gerechten Krieg«, den die »Guten« gegen die »Bösen« führen dürfen, wurde bis in jüngste Vergangenheit als Rechtfertigung für Kriege herangezogen.

Neben seinem theoretischen Werk schuf er die ersten Regeln für das Klosterleben, die später durch die Regeln des Benedikt von Nursia ersetzt wurden, aber noch im Hochmittelalter bei den Bettelorden und den Augustiner Chorherren Beachtung fanden.

Augustinus blieb zeit seines Lebens vom Manichäismus beeinflusst, überall in seinem Werk herrscht der Dualismus von Gut und Böse, alles ist ein Kreislauf. Für ihn ist die Masse der Menschen von Geburt an verdammt. In seinem Gottesbild herrschen Strafen und Verdammnis vor. Gott ist grausam und nicht verzeihend, Christus ist nicht der »Freund der Sünder«. Seine Meinung, dass es ohne Kirche kein Heil geben kann und man dieses Heil auch gewaltsam den Menschen vermitteln kann, darf und muss, haben Millionen Menschen mit Qualen und dem Tode bezahlt.

Dennoch ist Augustinus eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die das Mittelalter beeinflusst haben. Ohne ihn ist die mittelalterliche Kirche mit ihren Lehren, ihrem Machtanspruch und ihren Konflikten mit der Weltlichkeit nicht erklärbar.

ROGER BACON

(1214–1292)

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