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Alexander Dumas

 

Der Pechvogel

 


 

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Covergestaltung: Olga Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

Übersetzung: Dr. G. Fink


2016 andersseitig.de

ISBN: 9783961181452


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I. Genealogie, Geschichte und Physiologie des Franz Guichard, genannt Pechvogel.

Ehe die Marne sich bei Charenton in die Seine ergießt, macht sie allerlei Wendungen, Drehungen und Biegungen, wie eine Schlange die sichs in der Sonne wohl sein läßt; sie streift am Ufer des Flusses hin der sie verschlingen soll, springt aber dann plötzlich ab und entflieht fünf Meilen weit. Endlich nähert sie sich ihm zum zweiten Mal, entfernt sich aber von Neuem, gleich als ob die keusche Najade nur schwer zu dem Entschluß käme ihre schattenreichen grünenden Ufer zu verlassen und ihre Smaragdenen Wasser mit der großen Pariser Gosse zu vermengen.

In einer der bezeichneten Krümmungen bildet sie eine vollkommene Halbinsel deren Landenge den Flecken Saint-Maur einnimmt, und an welcher entlang die Dörfer Champigny, Chenueviere, Bonoeil und Creteil mit ihren Gebieten sich hinziehen.

Im Jahr 1831 gehörte diese Halbinsel beinahe ganz dem erlauchten Hause Condé. Sie war, wie schon der Name la Varenne (das Gehäge) anzeigte, einer der zahlreichen Vergnügungsorte dieser kriegerischen Familie, in welcher sich eine beinahe wahnsinnig; Liebhaberei für die Jagd vorn Vater auf den Sohn vererbte.

Diese ganz specielle Familienneigung hatte zur Folge das; die Halbinsel Saint-Maur, trotz der starken Zunahme der Bevölkerung und der zahlreichen Neubauten in der übrigen Bannmeile, bis zum Jahr 1772 gänzlich verödet blieb. Die Hasen, Fasanen und Rebhühner lebten da, durch diesen breiten und tiefen Wassergürtel gegen Fallen, Schlingen und andere Wilddiebsapparate geschützt, lange Zeit in einer Ruhe die einige Aehnlichkeit mit dem friedsamen Dasein ihrer Stammesgenossen in den Urwäldern gehabt haben würde, wenn nicht von Zeit zu Zeit die prinzliche Flinte sie daran erinnert hatte daß sie, wenn, auch königlicher Wildpret, doch immerhin Wildpret waren.

1793 wurde Varenne als Nationalgut verkauft; aber sein sandiger Boden, seine Wälder von verkrüppelten Birken und Eichen hatten für die Speculanten so wenig Reiz, das; der letzte Condé, als er 1814 ans der Emigration zurückkehrte, es noch verödeter als früher fand, denn wenn die Menschen es nicht in ihren colonisatorischen Wanderungen gestürmt hatten, so war dagegen die kleine befiederte und befellte Welte die einst in seinen Ebenen und Forsten herumgekrabbelt unbarmherzig dein Niveau der Gleichheit unterworfen worden.

Also im Jahr 1831 — mit diesen: bereits angeführten Datum beginnt unsere Geschichte — bildeten zwei oder drei vereinzelte Häuser, etliche Meierhöfe, verpachtet an einfältige Bauern die Getreide säten, Kaninchen wachsen sahen und Entschädigungen ernteten — sowie die Hütten der Forstwarte und des Fährmanns von Chenneviére die einzigen Wohnungen auf der Halbinsel.

Ueberdieß fristete eines dieser Häuser sein Dasein nur durch eine ganz besondere Gnade des Herrn Prinzen von Condé.

Wir meinen das Haus des Franz Guichart, genannt Pechvogel

Bevor wir erzählen auf welche Art Franz Guichard sich Grundbesitz an der Marne erworben, müssen wir ein paar Worte von seiner Person sprechen und einige Zweige seines Stammbaumes hinanklettern, denn Franz Guichard besaß einen solchen.

Allerdings war derselbe nicht auf Pergament verzeichnet, nicht mit Arabesken geschmückt, er lief nicht in Blumen von Wappenschilden aus, er war weder von Cherin noch von Hozier beglaubigt. Nein, der Stammbaum des Franz Guichard beruhte recht und schlecht auf der Ueberlieferung, wie das Geschlechtsregister Abrahams; aber er war darum nichtsdestoweniger authentisch, denn er war gewissenhaft vom Vater auf den Sohn fortgepflanzt worden, mit der Aufgabe für den Letzteren jeder Generation ein neues Capitel beizufügen, und Alle hatten sieh dieser frommen Pflicht so getreulich entledigt, daß (Franz Guichard sagte es mit einem gewissen Stolz) gar viele Edelleute in große Verlegenheit kämen, wenn sie, was er mit der größten Zuversicht thun konnte, angeben müßten wie ihre Ahnherren seit nicht weniger als elf Menschenaltern gestorben sind.

Ferner ist wahr daß die Guichards eine besondere Vorliebe für eine exceptionelle Todesart gehegt und ihr ganzes Leben hindurch so geschickt hantiert hatten, daß es ihnen sammt und sonders gelungen war auf die eine und selbe Manier aus dieser Welt zu scheiden; wenn man daher Franz Guichard über das eben erwähnte Problem fragte, so antwortete er unveränderlich: Gehängt! Gehängt!! gehängt! Denn in der That waren alle gehängt worden, von Cosimus Guichard an, der 1473, unter der Regierung des guten Königs Ludwig XI., am Kreuz von Trahoir verschied, bis auf Joseph Peter Guichards, der ohne den Marquis von Favras, welchem das Unglück diesen eigenthümlichen Ruhm vorbehielt, der letzte Franzose gewesen wäre den man an einem Galgen aufhißte.

Inzwischen darf man wegen des tragischen Endes dieser elf Menschenleben nicht allzu streng über die Grundsätze und Gewohnheiten der Guichards urtheilen: wenn man einen Guichard hing, so hatte das Gesetz sich dessen weit mehr zu schämen als der arme Sünder; dieser konnte mit vollem Recht an die Nachwelt appellieren.

Die Guichards waren gebotene Wilddiebe, wie wir bereits von den Condés bemerkt haben sie seien geborene Jäger gewesen. Zwischen seinem vierten und fünften Jahre schielte ein kleiner Guichard bereits mit lüstern funkelnden Augen nach den Kaninchen des Königs die seinem Vater den Kohl wegfraßen; zwischen dem siebenten und achten begann er sich zu fragen ob er nicht, in Anbetracht der Menge von Gemüsen die in den Bauch des Thieres gekommen, einiges Recht auf das Thier selbst habe; zwischen dem achten und neunten gelangte er zur festen Ueberzeugung von diesem Recht, sowie zu dem Entschluß seinen Kohl überall wieder zu nehmen wo er ihn fände, und er legte eine kleine Schlinge von Roßhaar oder Messingdraht, zwischen dem neunten und zehnten wurde er, Gott weiß wie, Besitzer irgend einer Feuerwaffe; mit zwölf Jahren stellte er Garne auf; mit zwanzig tödtete er, den Fortschritten in der Waffenindustrie gemäß, Alles was in den Bereich seines Bogenrs, seiner Armbrust oder seiner Flinte kam; endlich zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Jahr kletterte der Henker ihm auf die Schultern.

Man darf indeß nicht wähnen daß die harte Lection welche die Guichards, einer um den andern, empfingen, für die Nachkommenschaft der unverbesserlichen Wilderer verloren gewesen sei. Die Hinrichtung hinterließ einen heilsamen Eindruck der während der folgenden Generation ausdauert. Der Sohn des Gehängten verabscheute die Kaninchen ordentlich, und beim Anblick dieser harmlosen Thiere fiel er in Ohnmacht, gerade wie Heinrich von Valois beim Anblick einer Katze oder Cäsar beim Anblick einer Spinne; er war nicht im Stand irgend ein Geschoß von Bogen, Armbrust oder Flinte auf dasselbe zu richten oder ihm mit einem Messingdraht irgendwie nachzustellen. Das dramatische Hinscheiden seines Vaters hatte für den jungen Menschen alles behaarte oder befiederte Wild mit dem Bann des Tabou belegt, wie die Bewohner von Neucaledonien sagen; aber da es ihm dabei unmöglich war sich der Marodeursinstincte zu entschlagen die dem Guichardschen Blut innewohnten, so rächte er sich an den Fischen.

War sein Vater Wilddieb gewesen, so wurde er selbst Flußdieb, und wenn sich in Flüssen oder Bächen nicht Beute genug vorfand, so suchte er die Teiche, sodann die Fischweiher und endlich die Schloßgräben heim, deren ungeheure, zwei bis dreihundertjährige Karpfen auf seine Einbildungskraft so mächtig wirkten wie der Diamant auf das Eisen; und er mochte es nun mit Haaren, Federn oder Schuppen zu thun haben, zuletzt fügte es sich immer so daß eines Tags irgend ein Richter, Vogt oder Amtmann dem Sohne das zukommen ließ was er von der Erbschaft seines Vaters noch einzuziehen hatte, nämlich den Strick an welchem man den Letzteren aufgehäuft.

So hatten es die Guichards, von Waldräubern zu Süßwasserräubern geworden, bis auf Franz geruht, der 1831 lebte, und mit dem wir uns sofort beschäftigen wollen.

Sein Vater war, wie wir bereits beiläufig bemerkt, der letzte Vertreter gewesen welchen das steuer- und frohnpflichtige Volk an den Galgen geschickt, wofür die Feudalität seiner Familie großherzig das Privilegium geschenkt hatte. Dieser hatte dem Haar und der Feder, den Vierfüßlern und dem Gevögel den Krieg erklärt. Allerdings hatte er sich, obschon die Verordnungen über die Jagdpolizei seit der Thronbesteigung Ludwigs XIV. um ein Gutes milder geworden waren, genöthigt gesehen seinen befellten und befiederten Opfern einen armen Teufel von Zweihändler beizufügen, unter dem Vorwand daß derselbe, ein Kerl der ein Blechlein und einen Dreispitz trug, ihn ins Gefängniß zu führen drohte; aber die erste Ursache dieses Unglücks war jedenfalls dieselbe gewesen, und deßhalb schwur Franz, der Ueberlieferung getreu, sich vor einer so unheilbringenden Sünde wie das Wildern und einer so gefährlichen Waffe wie die Flinte wohl zu hüten. Wir finden ihn also an den Ufern der Marne unfähig, statt daß wir ihn in des Waldes düsteren Gründen suchen müßten, wenn sein Vater sich zum Fischfang und nicht zur Jagd berufen gefühlt hätte.

1794, d.h. ungefähr vierthalb Jahre nach dein tragischen Ende seines Vaters, pflanzte Franz Guichard sein Zelt in Varenne auf.

Durch die Conscription von 1796 fortgenommen, kam er von Mainz, nachdem er diese Stadt gegen die Truppen Friedrich Wilhelms verteidigt hatte; er war in die Capitulation einbegriffen welche den französischen Soldaten freien Abzug mit allen Kriegsehren gestatten, ohne daran eine andere Bedingung zu knüpfen als daß sie ein Jahr lang nicht mehr dienen sollten. Der Convent, der damals gegen die Meute der verbündeten Aristocratien und Könige Front machte; glaubte seine Verpflichtungen gegen Preußen nicht zu verletzen wenn er die Mainzer gegen die furchtbare, wuthknirschende Vendee schickte.

Um von Mainz nach Saumur zu gelangen, mußte man durch Frankreich ziehen.

Wenn die Trommel wirbelte, wenn die Trompete ertönte, wenn die Marseillais erscholl, befand sich Franz Guichard, diese Gerechtigkeit müssen wir ihm widerfahren lassen, auf der Höhe seiner Waffenbrüder; aber Leider kann man, so hartnäckig auch ein Krieg sein mag, nicht immer dreinschlagen, und und die Ueberlegung der Rasttage that seinem Feuereifer Eintrag.

Dazu kamen Geistererscheinungen die sich in diesem schwachen Hirn leicht. Er sah im Traum die Gespenster aller seiner Ahnen in ihrer letzten Erscheinungsweise; die waren Skelette deren Gebeine im Wind klapperten, wie hölzerne Lichter die vor einer Krämerstube ausgehängt; die Anderen waren besser bei Fleisch sahen aber nur um so schauerlicher aus; ihre Köpfe mit den zerbrochenen Wirbelbeinen wackelten auf den Schultern herum; die Augen traten blutig aus den Höhlen hervor, die Zungen hingen veilchenblau aus dem Munde.

Unter der Herrschaft solcher Gesichte schwand bei Franz Guichard seine Begeisterung für Scharmüzel, Hinterhalte und Gefechte mit jedem Tage mehr.

Als daher die Mainzer Bataillone nach Lagny kamen, da warf Franz Guichard auf der Brücke einen Blick voll von Verzweiflung und Lüsternheit zugleich über dir Brustwehr hinab

Es war sieben Uhr Abends, und, um uns eines Fischerausdrucks zu bedienen, die Fische thaten groß, d. h. sie zeichneten spielend und schmausend auf der Oberfläche des Flusses allerlei kleine Kreise, deren Menge eine hohe Idee von der Anzahl derjenigen erregte welche sie hervorbrachten.

Franz Guichard stieß einen Seufzer aus.

Ja Folge dieses Seufzers kam ihm ein Bedenken dessen Ursache seinen Character gewiß noch in der fernsten Nachwelt ehren muß.

Er fand daß der Convent die Capitulationsangelegenheit etwas leichtfertig behandelte, er schloß daß die Lage weit dringender gewesen sei als die berühmte Versammlung dafür hielt; er beschloß seinen Chef, den General Kleber, von einem Zehntausendstel der Verantwortlichkeit zu befreien die auf ihm lastete; er that als ob er einige farb- und formlose Lumpen die ihm als Fußbekleidung dienten zurechtmachen wollte; er ließ die Colonne vorbeimarschieren, versteckte sich unter dem Brückenbogen, blieb bis der letzte Nachzügler seinen Blicken entschwunden war, warf seine Finte und sein mit rothen Flammen geschmücktes Hütchen in den Fluß, schnitt mit seinem Messer seine Rockschöße ab, zog ein linnenes Hemd über diese Art von Camisol an und ging so ziemlich vermummt am Wasser hinab, einzig und allein damit beschäftigt beim Mondschein die Stellen auszukundschaften die fischreich sein mochten.

In jenen critischen Zeiten war die militärische Polizei nicht streng und nahm es besonders mit Deserteuren und Widerspenstigen nicht zu genau; andere Sorgen verschlungen ihre Aufmerksamkeit; überdieß füllten die freiwilligen Anmeldungen und der patriotische Enthusiasmus so rasch die in den Reihen entstandenen Lücken aus, daß man mit der Einschreibung der Neueingetretenen genug zu thun hatte und keine Zeit mehr bekam auf die Ausreißer zu achten.

Franz Guichard beunruhigte sich über die Folgen seiner Fahnenflüchtigkeit so wenig, daß er schon am Tage nach seinem Abschied von seinen heldenmüthigen Genossen unter der Weide saß die man noch heute bei der Fähre von Varenne erblickt, und mit beiden Händen einen Rohrstock von mittlerer Länge umfaßt. hielt, während seine Augen auf einem Pfropf hafteten, auf der Oberfläche des Wirbels zu tanzen schien welcher hier den Hafen ausmacht. Dieser Pfropf diente als Wegzeiger für eine Angelleine die er mittelst eines Bindfadens gefertigt hatte. Franz schien so ruhig, so arglos, als wäre er ein Spießbürger aus dem Faubourg Saint-Antoine gewesen der sich seinen Sonntagsergötzlichkeiten hingab.

Es scheint daß der Pulvergeruch, womit die Hände des Exhelden nothwendig geschwängert sein mußten, den Fischen nicht allzu sehr zuwider war, denn in einigen Stunden hatte Franz Guichard eine colossale Schüssel voll Weißfische, Gründlinge, Brachsen und Rothaugen beisammen, die er noch am selben Abend an einen Wirth in Vincennes verkaufte.

Dieser Fang war für ihn dasselbe was der Milchtopf für Perrette hätte sein sollen.

Wir sagen sein sollen,weil Franz Guichard, weniger unvorsichtig als das Bauernmädchen des guten Lafontaine — wir unterstreichen das Prädikat gut und aus Gründen — seinen schuppigen Schatz nicht über die Straße ausschüttete. Er verkaufte ihn im Gegentheil per Bausch und Bogen, und zwar um so besser als in jener theuern Zeit die Lebensmittel hoch im Preise standen. Vom Erlös kaufte er sich einige hundert Angeln und etliche Knäuel Bindfaden. Er legte bei Nacht seine Leinen woran sich Barben, Karpfen und Aale zu Dutzenden verfingen. Bei Tag beschäftigte er sich mit der Herrichtung seiner Geräthschaften. Er holte Weiden ans den nahen Gebüschen, Magre Reusen daraus und vervielfältigte mit deren Hilfe die Erzeugnisse seines Gewerbfleißes so rasch, daß er schon zwei Monate nach seinem Austritt aus dem Dienst eine kleine Fähre zu kaufen vermochte.

Eine Fähre war das Ziel des ganzen damaligen Ehrgeizes unseres Franz; erstens weil er mittelst einer solchen bald Geld genug verdienen konnte um Alles anzuschaffen was er Fischer sein Handwerkszeug nennt, d. h. Garnsack, Wurfgarn und Netze aller Art; sodann weil der Herbst herannahte und es ihn nach einer andern Lagerstatt verlangte als nachdem hohlen Weidenstamm welcher ihm bisher Schutz gewährt hatte; ein prächtigeres Obdach konnte er sich natürlich nicht denken als ein tüchtiges Schiff aus Eichenholz, auf dessen Bank er, in einen warmen Wollteppich eingehüllt, sich strecken und schlafen konnte.

Drei Jahre hindurch besaß Franz Guichard kein anderes Dach, kein anderes Schlafzimmer, kein anderes Bett.

Aber er war glücklich! Warum hätte er es nicht sein sollen?

Es lag klar am Tage daß das alte celtische Blut Jahrhunderte hindurch rein und unvermischt in den Adern aller Männer dieses Stammes fortgeflossen war. Es bewahrte jene Instincte stolzer Unabhängigkeit und scheuer Freiheitsliebe die aus ihrem tiefsten Herzen gegen die Civilisation protestierten und nur durch Rückkehr zum ursprünglichen Leben Befriedigung finden konnten. Die Vorsehung hatte allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz, im vollen achtzehnten Jahrhundert dem letzten der Guichards das gewährt wonach seine Ahnen so vergeblich gestrebt hatten; vier Stunden von Paris hatte sie ihm eine Einsiedelei beschieden wo er sich mit ebenso vollem Recht als König betrachten durfte wie Robinson auf seiner Insel.

Und in der That stieß Franz Guichard während dieser drei Jahre kaum von Zeit zu Zeit auf einen Bürgersmann aus St. Maur oder Charenton der ihm für einen Tag eine unmächtige Concurrenz auf dem Fluß machte. Er war dessen einziger und alleiniger Herr und Gebieter, von Champigny bis Creteil. Und so lange die Republik das Directorium und das Consulat währten, dachten die Gemeinden, die aus Mangel an Liebhabern auf die Verpachtung ihrer Fischereien verzichtet hatten, so wenig daran den Eindringling in seinem Genuß zu stören, daß dieser an der Ewigkeit des letzteren nicht zweifeln konnte.

Eines Tags als er zwischen den Inseln nach Gründlingen fischte, richtete er seinen Kopf empor und bemerkte unter den Weiden ein hübsches Mädchen das am Ufer niedergekauert emsig wusch und ein fröhliches Lied dazu sang.

Die schönen Arme, das lachende Gesicht und die K- herausfordernde Stimme der jungen Wäscherin verursachten Franz Guichard Zerstreuungen die er bisher nicht gekannt hatte. Er wußte nicht mehr was er that: er nahm seine Störstange verkehrt, stieß mit dem Stiel in sein Netz hinein und zerriß es so gründlich, daß, als er es aus dem Wasser zog, die Fische einer um den andern durch die breite Bresche die seine Ungeschicklichkeit ihnen bereitet hatte hinausfielen und zappelnd ihre feuchten Wohnungen wieder erreichen.

Die Größe und Wirklichkeit dieses Verlustes erinnerten Franz Guichard an seine materiellen Instincte. Er setzte sich in sein Schiff, zog Faden und Spule aus seiner Tasche und begann zu flicken.

Das junge Mädchen sang beharrlich weiter und schlug mit ihrem Waschbläuel den Takt dazu; dadurch aber wurde die Aufmerksamkeit des Fischers gegen seinen Willen allmählig so gänzlich in Beschlag genommen, daß seine Spule, in Ermanglung einer methodischen Behandlung, gar phantastische Arabesken in dem Netz hervorbrachte.

Franz Guichard ließ jetzt seine Geräthschaften liegen.

Er trieb die Fischerei weit mehr aus erblicher Leidenschaft, wenn wir diesen Ausdruck wagen dürfen, als aus Gewinnsucht; aber die Aufregung die er in diesem Augenblick empfand, und die ihm bisher ganz fremd gewesen, trug über beide den Sieg davon. Franz Guichard, der ungeleckte Fischer für welchen bisher der Fang eines Karpfen oder Hechtes den Inbegriff der größten Genüsse gebildet, versank bei den Tönen des jungen Mädchens in tiefe Träumereien. Mit einer Art von Schüchternheit bog er die Zweige auseinander um Etwas vom Gesicht der Sängerin zu erhaschen, wenn diese während des Draufklopfens mit dem Waschbläuel ihren Kopf in die Höhe richtete, der vom Feuer der Arbeit geröthet war, während ihre Lippen und Augen vollständig den Ausdruck ihres Liebchens wiedergeben.

Die Extase währte bei Franz Guichard so lange bis das Mädchen ihr letztes Tüchlein ausgewunden hatte.

Jetzt legte sie die Arbeit des Tages wieder in ihre Butte und machte sich bereit dieselbe auf ihre Schultern zu laden.

Dieses Weggehen paßte Franz Guichard nicht in fernen Kram; er wäre gerne die ganze Nacht da geblieben um derjenigen zu lauschen deren Klänge ihn bezaubert hatten, und er begriff nicht daß eine Person die so schön sang eine andere Beschäftigung haben konnte als zu singen.

Er fuhr sachte mit seinem Haken ins Wasser hinunter, gab seinem Schiffchen einen tüchtigen Stoß und machte es mit solcher Kraft und Geschwindigkeit dahingleiten, daß er mit einem einzigen Ruderschlag über den Flußarm hinüber kam.

Die Wäscherin ihrerseits, als sie sich umdrehte um ihren Bläuel aufzuheben, bemerkte den jungen Mann der sie mit offenem Mund und erstaunten Blicken anstarrte und so geräuschlos herangekommen war, daß sie eine Erscheinung zu sehen glaubte.

Sie stieß einen kurzen Schrei aus; sie wollte ihre Butte ergreifen und entfliehen; aber ihre Aufregung war von der Art daß sie schwankte, und daß die rothen, blauen, grauen, weißen und bunten Lappen aus der Butte über den Uferrand hinrollten.

— Da seht her was Ihr angerichtet habt, sagte die Wäscherin zu Franz Guichard, der so eben ans Ufer gesprungen war. Recht angenehm das!... Meine Wäsche ganz verdorben.

Franz Guichard zeigte jetzt eine so bestürzte Miene, er schien über den Unfall den er unwillkürlich veranlaßt dermaßen betreten, daß der Ausdruck im Gesicht des jungen Mädchens, nachdem sie ihn einen Augenblick angeschaut, sich allmählig ganz veränderte.

Die Thränen die ihr im ersten Augenblick des Aergers in die Augen getreten waren, blieben darin stehen; aber ihre Lippen, die bei dieser Gelegenheit zweiunddreißig Perlen enthülltem öffneten sich zu einem lustigen Lachen, so daß man glauben konnte sie weine ans übertriebener Heiterkeit.

Diese Heiterkeit des Mädchens brachte Frau Guichard vollends ganz aus dem Concept. Er sah so unglücklich aus daß sie Mitleid mit ihm faßte, und indem sie ihm die Strafe auferlegte das angestellte Unheil gutmachen zu helfen, gab sie ihm einigen Muth zurück.

Er kniete in den Sand nieder und begann die Wäsche so geschickt abzuschwämmen wie nur die hübsche Wäscherin selbst hätte thun können.

Aber diese sang nicht mehr; sie plauderte, und Franz Guichard hätte gerne die vierfache Arbeit auf sich genommen um das Almosen eines armseligen Liebchens zu erlangen.

Als er dasselbe nicht kommen sah, beschloß er es hervorzurufen.

— Sag einmal, Bürgerin, wie kommt es daß Du, da Du doch die schönsten Lieder kennst die je aus einer Mädchenkehle hervorgedrungen sind, nicht auch das kennst:

O Richard, o mein König,

Dich verläßt die ganze Welt.

Und er begann einen Refrain zu trällern.

— Wer hat Dir gesagt daß ich es nicht kenne? antwortete die Wäscherin.

— Ei, ich habe Dir zwei Stunden lang zugehört, ja vielleicht noch länger, denn die Zeit ist so schnell vergangen, daß ich unmöglich sagen kann wie lang ich dasaß, und doch habe ich es nicht gehört.

— Wenn Du es nicht gehört hast, Bürger, so kommt dieß daher daß ich es nicht singen wollte.

— Nun wohl, Bürgerin, da ich seit dem Tod meiner armen Mutter dieses Lied nicht mehr gehört habe das mir als kleinem Jungen so wohl gefiel, so würde ich, wenn Du mirs singen wolltest, gerne einen Handel mit Dir abschließen daß ich Dir Deine Butte bis auf die Höhe von Chennevière trüge.

— Ich schließe keine solche Handel ab, Bürger Franz Guichard.

— Du kennst mich also?

— Ei warum denn nicht? Fischer und Wäscherinnen sind Geschwisterkinder, wie ich denke.

— Also das Lied.

— Nein, ich danke schön! Ein aristocratisches Lied wegen dessen man mich einsperren würde, wenn man nur die Melodie hörte. Hilf mir jetzt meine Butte wieder aufladen. Ein Lied wie dieses da singt man nur bei verschlossener Thüre, im Bette, ganz leise seinem Manne ins Ohr. Auf Wiedersehen Bürger Guichard!

Der Fischer sah das Mädchen zwischen den Stämmen der Pappeln verschwinden. Als sie an die Rebberge kam, drehte sie sich um und warf ihrem Zuhörer einen schalkhaften Blick zu. Dieser stand noch immer auf demselben Fleck.

Er blieb hier lange, und obschon er etliche hundert Angeln vollständig in Bereitschaft gesetzt, so begab er sich doch nicht, wie er beabsichtigt hatte, nach dem Loch von Faviot, um sie auszuwerfen. Er ruderte Vielmehr nach dem Platze zurück wo er so lange Halt gemacht hatte um dem jungen Mädchen zuzuhören. Sobald es dunkelte, legte er sich zur Ruhe; aber er schlief nicht, sondern hielt die ganze Nacht, den Nachtigallen lauschend die ihre verliebten Triller in die Finsterniß und Stille hineinwarfen, seinen Kopf über den Rand seiner Fähre empor, gleich als wollte er die Wäscherin am Ufer suchen.

 

 

II. Wo wir, nachdem wir uns mit der Genealogie des Franz Guichard beschäftigt, zu seinen Liebesgeschäften und ihren Folgen übergehen.

An den folgenden Tagen war Franz Guichard äußerst zerstreut. Er vergaß seine Angeln zu spicken, und ein Fisch hätte kein Atem von Hirn haben müssen, um an dem nackten spizigen Eisen sich anzuhängen womit er sie in Versuchung zu führen sich einbildete.

Ganze Stunden lang brütete er über all die Melodien die er von der schönen Wäscherin gehört hatte, und während dieser Zeit glitt sein Schiffchen ganz sachte den Bach hinab, das Wurfnetz müßig über den Rand hingelegt; erst an der Mühle von Bonoeil bemerkte er daß er sein Garn auch nicht ein einziges Mal ausgeworfen hatte.

Er nahm Pfeilkraut für die Anzeiger seiner Köder, und während er das Flußbett so genau kannte wie ein Bauer sein Ackerfeld, warf er sein Netz manchmal auf Schollen oder Baumstämme, von denen er es ganz zerfezt zurückzog.

Je weiter er fuhr, um so häufiger wurde seine Geistesabwesenheit.

Eines Abends, als er ausgefahren war um seine Garnsäcke zurückzuziehen, hatte er sich wieder unvorsichtiger Weise diesen gefährlichen Gedanken hingegeben, und vermochte diejenige Fähigkeit seines Gehirnes die ihm in diesem Augenblick am nothwendigsten war, nämlich das Gedächtniß, nicht wieder zu finden. Von sechzehn Garnsäcken die er ausgeworfen hatte, verlor er vierzehn, und von diesen zog er noch einen ganz verkehrt aus dem Wasser heraus so daß ein prächtiger Karpfen der sich darin verfangen hatte entwischte und ins Wasser zurückfiel.

Franz Guichard warf einen entsetzten Blick um sich, ob doch Niemand seine schülerhafte Ungeschicklichkeit gesehen habe; er brüllte laut auf vor Zorn, zerbrach seine Netzstange in tausend Stücke und warf die Trümmer weit von sich. Dann sank er auf seine Bank nieder und blieb einige Augenblicke ganz vernichtet sitzen; aber er war nicht von dem Teig aus welchem der liebe Gott die verzagten Liebhaber geschaffen hat. Er begriff daß er einen entscheidenden Entschluß fassen mußte, und zwar auf der Stelle.

Mit einem wüthenden Ruderschlag drehte er sein Fahrzeug, landete am Ufer des Departement Seine und Marne, warf seinen Haken aus, band sein Schiffchen daran fest und schritt, mit jener verhängnißvoll entschlossenen Physiognomie die Wilhelm der Eroberer gehabt haben muß als er den Boden Englands betrat, nach Chennevière hinauf. Nur ersparten die Feinde des normännischen Herzogs ihrem künftigen Ueberwinder die Mühe und den Verdruß sie suchen zu müssen, indem sie seiner Armee entgegenzogen, während Franz Guichard das junge Mädchen das diese unglaubliche Verwirrung in seiner Seele angerichtet erst aufzufinden hatte.

Er durchstreifte der ganzen Länge nach die Straße des Dorfes, wo seine Gegenwart einen gewissen Eindruck hervorrief; denn nicht sehr vertraut mit den, Regeln sogar bloß ländlicher Höflichkeit, öffnete der Flußwolf ohne Scheu alle Hausthüren an denen er vorüberkam, steckte seinen wilden Kopf hinein, besichtigte den ganzen Inhalt jeder Wohnung und entfernte sich dann wieder, ohne auf die Fluche der Männer, die Schimpfreden der Weiber und die Angstschreie der Kinder die mindeste Antwort zu geben.

Er kam bis an die letzte Hütte ans der Straße von Champigny, ohne daß seine Hausuntersuchungen ein anderes Resultat gehabt hätten, als daß sie ihm ein Gefolge Von kleinen Jungen und Mädchen verschafften die ihm aus der Ferne nachzogen und ihr Interesse an seiner Narrheit durch ein verworrenes Geschrei kundgaben.

Franz Guichard kam auf den Einfall einen von den neugierigen Burschen auszufragen; er war jedoch über die Art und Weise in Verlegenheit; er wußte nicht wie er den Gegenstand seiner Nachforschungen bezeichnen sollte: ein hübsches Gesicht ist kein Signalement.

Nichts desto weniger ging er auf die kleine Truppe zu; diese aber hatte nicht so bald seine Absichten geahnt, als sie sich in wilder Unordnung auflöste: die Vorderen warfen sich auf die Hinteren, die Großen stießen die Kleinen um, die Einen fielen, die Andern brachten zu Fall, Alle entflohen als hätten sie Flügel, wie ein Schwarm Spatzen die beim Marodiren ertappt werden.

Diese Wirkung. welche Franz Guichard gar nicht erwartet hatte, vollendete seine üble Laune: er ergriff Einen von denen die auf dem Pflaster liegen geblieben waren und schüttelte ihn so heftig, daß der arme Teufel in lautes Schluchzen ausbrach und flehend seine Händchen zu ihm emporstreckte.

Franz Guichard versuchte vergebens ihn zu beruhigen; je freundlicher er zu dem Jungen sprach, um so, mörderischer schrie derselbe. Er mußte ihn zuletzt auf den Boden stellen; aber nun brach der kleine Schlingel in ein boshaftes Gelächter aus und lief aus Leibeskräften seinen Kameraden nach.

Franz Guichard hatte seinen Gefangenen kaum losgelassen, als er es auch schon bereute; die Physiognomie des Jungen hatte, sobald er, nicht vor Angst Grimassen schnitt, eine Aehnlichkeit die ihm sehr aufgefallen war. Diese großen schwarzen Augen« die feucht unter den zerzausten Haaren strahlten welche ihm über die Stirne hereinhingen, hatte er schon irgendwo gesehen; das Lächeln das auf seinen Wangen spielte, welche fest wie ein Apfel und roth wie eine Kirsche waren, dieß war das Lächelnder hübschen Wäscherin.

Der Fischer verfolgte seinen Gefangenen; aber, wenn Franz nicht übel lief, so war der keine Schlingel noch flinker. Er wandte sich in ein Gäßchen das sich längs der Kirche hinzog, warf am Ende desselben ein Karrenthor auf, sprang hinein und schloß es hinter sich zu; sodann verbarg er sich aus lauter Angst im Gemüsekeller.

Dem guten Franz pochte sein Herz vor Hoffnung, denn dieses Gäßchen und dieses Hans hatte er nicht untersucht.

Er trat entschlossen da ein wo er den Jungen verschwinden gesehen, und nun befand er sich in einem Hof mit einer großen Miste, auf welcher Hühner gackerten und Enten schnatterten.

Aber es waren nicht blos Hühner und Enten in diesem Hof. Es befand sich auch ein Wagen da, und neben diesem ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren der aus einem Schober Heu nahm um Bündel daraus zu machen; überdieß stand auf dem Wagen selbst ein junges Mädchen welches diese Bündel, symmetrisch zwischen die Leitern des Wagens legte, je nachdem der Mann sie ihr hinbot.

Als das junge Mädchen Franz Guichard bemerkte, wurde sie roth; aber der Fischer wurde noch röther, denn er hatte die hübsche Wäscherin erkannt.

— Guten Tags sagte der Mann mit dem Heu, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

— Guten Tags antwortete Franz Guichard, indem er sich an den Schober feststellte, denn sein Rennlauf hatte ihn ganz außer Athem gebracht.

Es entstand ein Stillschweigen, denn der Herr des Hauses als ein echter pfiffiger Bauer wollte seinem Gast den Gefallen nicht erweisen ihn zu fragen, und wartete bis er selbst den Zweck seines Besuches erklären würde.

— Ich komme um mit Euch über ein Geschäft zu sprechen, sagte endlich Franz Guichard mit einem bedeutungsvollen Blick auf das junge Mädchen, das mit verdoppeltem Eifer am Heu arbeitete um seine Verlegenheit zu verbergen.

— Ah! Ihr kommt um Wein zu kaufen? das wird heuer eine theure Waare werden, mein Junge; nicht als ob die Reben erfroren oder die Trauben abgefallen wären; nein, es war weder zu trocken noch zu naß, aber der Teufel hat es gesehen, die Trauben geben nicht aus: es wird schwer halten bis man nur eine Tonne bekommt.

— Nein, ich komme nicht um Wein bei Euch zu holen, antwortete Franz Guichard, der wohl einsah daß seine Erklärung, wenn er sie nicht vom Zaun herunterreiße, immer schwerer werde. Ich wollte Euch um die Hand Eurer Tochter bitten.

Der Weingärtner schaute nicht auf, sondern musterte bloß den Liebhaber mit ganz besonderer Lebhaftigkeit vom Wirbel bis zur Zehe.

— Ah! Das ist etwas Anderes, sagte er, obschon es sich auch hören läßt. Sie ist eine tüchtige Arbeiterin, meine Luisa Da schaut her. Sie hält Euch einen Zentner Heu in die Höhe und mäht, daß es eine wahre Lust ist. Ihr müßt es einmal sehen. Aber hört einmal, fuhr der Winzer fort, welcher nicht der Mann zu sein schien der eines gute Gelegenheit hinaus ließ, wenn Ihr zur Familie gehören wollt, so müßt Ihr Euch zeigen, mein Junge, und statt daß Ihr wie ein Taugenichts an diesem Schober stehen bleibt, müßt Ihr uns den Wagen ausladen helfen. He, he, he! Die Thaler die ich morgen in der Stadt dafür erhalte, werden eines Tags vielleicht in den Schrank meiner Tochter kommen. Vorwärts, vorwärts an die Arbeit!

Diese Worte waren ein Peitschenhieb welcher die Exaltation unseres Franz bis zum Poroxismus trieb. Er stürzte sich über das Heu her wie über einen Feind den er zu Boden schlagen müßte, er drückte es zusammen und rollte es mit rasendem Eifer in Bünde; er arbeitete so rasch, daß der gewaltige Schober zusehends abnahm und in Bälde vollständig auf den Wagen geladen war.

Luise betrachtete ihren Liebhaber lächelnd; ihr Vater lächelte ebenfalls; aber diese beide Lächeln hatten einen sehr verschiedenen Ausdruck.

Als das Geschäft vollendet war, dankte der Winzer dem Fischer mit einer Erkenntlichkeit die eine gewisse spöttische Schattierung hatte; dann lud er ihn zu sich auf den alten Stamm eines Vogelkirschenbaums ein, der eine der Hauptzierden des Hofes bildete, und fragte ihn allerlei über seine Stellung, nachdem er Luise aufgefordert hatte ihrem Gast ein Glas Wein anzubieten.

Franz Guichards der in diesem Augenblick nicht mit dem ersten Consul getauscht hätte, und keine noblere Stellung in der Welt kannte als die seinige, antwortete ohne Bedenken daß er ein Fischer sei.

Bei diesem Bekenntniß runzelte der Winzer seine Brauen, und als seine Tochter ihm den Weinkrug brachte; damit er ihrem Gast einschenken sollte, zeigte er sich so karg, daß er ihm das Glas kaum zum dritten Theil füllte.

Auf diese Art wollte Luisens Vater seine Mißachtung gegen die gesellschaftliche Stellung des Liebhabers an den Tag legen.

Als jedoch dieser Letzte darauf bestand eine für sein Schicksal entscheidende Antwort zu erhalten, entschloß sich der Winzer noch nicht zu einer Weigerung, die er sich gleichwohl bereits fest vorgenommen hatte, sondern wie erholte fünf bis sechs Mal: Wir wollen sehen, Junge! wir Fallen sehen.

Es lag klar am Tag daß die Muskelkraft des Fischers einen tiefen Eindruck aus ihn gemacht, und daß der schlaue Bauer bereits etliche Pläne auf ihn gebaut hatte.

Franz Guichard entfernte sich voll von verwegenen Hoffnungen. Als er die Anhöhe hinab ging, sang er aus voller Kehle, mit einer ebenso Falschen als unharmonischen Stimme, den Refrain den er Luisen abgelernt hatte, als er sie im Weidenbusch verborgen beauscht.

Am folgenden Tage ging er wieder nach Chenenvière und brachte seinem zukünftigen Schwiegervater die Elemente eines Matrosen-Ragout, einer sogenannten matelote, mit. Der zukünftige Schwiegervater dankte ihm, ließ ihm a er nicht Zeit Luisen guten Tag zu wünschen, sondern nahm ihn sogleich in seinen Rebberg mit um da zu arbeiten.

Franz Guichard verrichtete bei der Umwühlung der Erde dieselben Wunder wie bei der Berarbeitung des Heues.

Tags darauf erschien er mit einem Korb voll schönen perlmutterartiger Gründlinge.

Dießmal handelte es sich um die Ausladung eines Wagens voll Mist.

Der Verkehr war eingeleitet: der Winzer fand täglich ein neues Geschäft für den jungen Mann. Er benützte seinen Schwiegersohn in spe zur Verbesserung seines Gütchens. Dieser ersparte ihm täglich zwei Taglöhner; denn Franz Guichard fuhr fort für zwei Mann zu arbeiten, und dieß Verfahren hatte; den Vertheil, daß es den Vater Luisens nicht einmal die Unterhaltung kostete; denn wenn der Fischer sich als Familienglied betrachten konnte so lang von Mühe und Arbeit die Rede war, so verhielt es sich, ganz anders sobald man sich zu Tische begab. Der Winzer zeigte sich bei der Vertheilung des Getränken noch immer eben so karg wie das erste Mal.

Franz Guichard empörte sich nicht über die Anforderungen die man an ihn stellte; Luisens Lächeln, das Anfange einladend gewesen, war zärtlich, sogar mitleidig geworden, und diesen Lächeln hatte dem Liebhaber gesagt: »Mein Herz wird der Lohn Deiner Mühen sein.«

Ihr Vater dagegen blieb bei seinem Grundsatz: wenn Franz Guichard, der sich allmählig an den Frohndienst gewöhnt hatte und dadurch schüchtern geworden war, ein bescheidenes Drängen wagte antwortete er nur mit seinem ewigen »Wir wollen sehen.«

So ging's einen Monat lang fort.

Franz Guichard, bei Nacht ein Fischer, war den Tag hindurch ein wahrer Weingärtner geworden.

Aber nach der Weinlese kam der Winter; die purpurnen Blätter der Reben bedeckten das Thal; die Stöcke nahmen ihre trostlose todte Physiognomie an, die Pfähle wurden bin zum kommenden Frühjahr auf einen Hausen gelegt.

Der Winzer gebrauchte zwar einige Zeit Franz Guichard zum Dreschen, aber es kam ein Augenblick wo dem Stroh sein letztes Kernchen ausgeklopft war, und an diesem Tag ging der Fischer müßig. Da näherte er sich Luisen und die Brauen ihres Vaters nahmen einen drohenden Ausdruck an.

Tags darauf, als Franz Guichard wieder nach Chenenvière kam, bemerkte er daß die Augen des jungen Mädchens roth waren. Sie hatte geweint. Der Winzer beantwortete den Morgengruß nicht den sein Ehrenarbeiter ihm bot; es war klar daß, obschon der Hof des Häuschens mit Schnee bedeckt war und das Dach von einem Rauhreif funkelte, so daß die Eisspitzen herabhingen, ein furchtbares Gewitter den armen Fischer bedrohte. Dasselbe kam bald zum Ausbruch.

Mit gebieterischen Geberden befahl der Alte seiner Tochter hinauszugehen, deutete dem Fischer auf einen niedrigen Stuhl neben dem seinigen, in der Ecke des großen Kamins, worin zwei Pappelwurzeln rauchten bis sie in Feuer geriethen, und erklärte ihm, seine Anwesenheit gebe der Nachbarschaft viel zu reden, weßhalb er ihn auffordern müsse Besuche einzustellen welche der Zukunft Luisens schaden könnten.

Hätte Franz Guichard einen Elefanten in seinem Wurfnetz gefunden, er hätte nicht verblüffter sein können.

Mit seinen Arbeiten für den Vater seiner Geliebten hatte er das Draufgeld für das Geschäft zu erwerben geglaubt das er mit ihm abzuschließen wünschte.

Er wurde bald roth, bald blaß, er stammelte; aber auf einmal erwachte die angeborne Heftigkeit der Guichards wieder, und nun stieß er einen so furchtbaren Fluch aus, daß der Winzer auf seinem niedrigen Stuhl erzitterte.

Er wollte antworten, aber der Fischer ließ ihm keine Zeit dazu, sein Zorn schaffte sich in wüthenden Schimpfreden Luft. Der Winzer hütete sich wohl diesem Strome einen Damm entegenstellen zu wollen. Während der junge Mann sprach, blieb er gegen den Herd vorgebeugt sitzen und beschäftigte sich scheinbar damit die zwei Holzscheite zusammenzulegen, was er mit der ängstlichen Sorgfalt eines Mosaikarbeiters that, indem er die hervorspringenden und zurücktretenden Ecken der zwei gewundenen Klötze in einander zu fügen versuchte, in der That aber bloß einen gewissen Unmuth zu verbergen wünschte der unwillkürlich auf seinem Gesicht zum Vorschein kam.

Als Franz Guichard geendet hatte, antwortete Luisens Vater:

— Mein Junge, wenn Du für mich gearbeitet hast, so thatest Du das weil es Dir so gefiel, und da die Sache Dir so gefiel, so wollte ich Dir nicht in den Weg treten. Im Leben leistet man einander solche kleine Dienste, ohne daß es weitere Folgen hat; aber Dir meine Tochter zu geben, das müßte ich schon bedenklicher finden. Du hast nichts als ein Handwerk das eigentlich eine bloße Faullenzerei ist.

— Faulenzerei! rief der Fischer, dem die Erinnerung an lange schlaflos in Regen und Wind verbrachte Nächte einen Ton der Entrüstung gab.

— Ich will nicht gerade von Faulenzerei sprechen; ich gebe zu daß Du einen ordentlichen Weingärtner hättest abgeben können, aber Du hast Deine Sache ungeschickt angegriffen. Was ist denn das für eine Profession, die ihrem Manne nicht einmal das bietet was die geringsten Thiere bei uns haben, ein Dach und vier Wände! Du willst eine Frau, wo willst Du sie hinlegen? In Dein Schiff? Eine hübsche Wohnung die Du meiner Tochter bietest!

— Vater Pommereuil, sagt mir was ich Eurer Tochter zubringen soll, und müßte ich wie ein Galeerensclave arbeiten, so schwäre ich daß ich es in kurzer Zeit verdient haben werde.

Die Stimme des Fischers hatte einen flehenden Ton angenommen, um diese Worte auszusprechen; aber statt den Winzer zu rühren, befreiten sie ihn von der Unruhe worein der Anfang der Unterhaltung ihn versetzt hatte, und das Gesicht des Bauern wurde wieder spöttischer als je.

— He, he! mein guter Junge, sagte er, ich habe zweiundzwanzig Morgen Reben und zwei Kinder; das macht also elf Morgen für den Jungen und elf Morgen für das Mädchen; 500 Franken den Morgen, das ist wohl nicht zu theuer, nicht wahr?

— Nein, antwortete Franz Guichard mechanisch.

— Also bekommt jedes von ihnen nach meinem Tod 5500 Franken. Außerdem noch was ihnen bei der Theilung meines Sparpfennigs zufällt, denn es ist auch ein Sparpfennig vorhanden, mein lieber Mann.«

— Mein Gott! mein Gott! rief Franz Guichard voll Betrübniß dazwischen.

— Ha, ha! das erschreckt Dich; zum Henker, man hat gearbeitet, siehst Du und der Weinberg ist einträglicher als der Fluß; man hat zu leben, fügte der Bauer mit einem Stolz hinzu der über seine gewöhnliche Vorsicht den Sieg davon trug. Nun wohl, sag' jetzt, willst Du daß ich Dir Gelegenheit geben soll das Ziel Deiner Wünsche zu erreichen?

— Ob ich es will? Ich glaube wohl daß ich es will!

Der Winzer nahm vom Kaminsims ein Buch, dessen Schnitt eben so schwarz war als seine Decke. Es war die Bibel.

— Ich habe, sagte er, da drinnen gelesen daß Jakob dem Laban zwanzig Jahre um seine Tochter Rahel diente. Füge Dich in die Bedingungen die Jakob eingegangen, und wenn Luise in zwanzig Jahren keine andere Wahl getroffen hat, nun wohl, so können wir sehen.

Vater Pommereuil begleitete seinen ewigen Refrain mit einem so boshaften Gelächter, daß Franz Guichard an der spöttischen Absicht desselben nicht zweifeln konnte. Er erhob sich barsch, ging hinaus und schlug die Thüre heftig zu.

Mitten im Hof spürte er eine Hand die ihn von hinten sacht am Kamisol zupfte. Es war Luise, die wahrscheinlich die Unterhaltung zwischen ihrem Vater und ihrem Liebhaber gehört hatte, denn ihr Gesicht schwamm in Thränen.

Guichard wollte ihr von seiner Verzweiflung vorsprechen; aber der Vater Pommereuil ließ sich an den Riegeln seiner Thüre vernehmen.

— Geh, geh! rief Luise indem sie ihre Worte mit einem Händedruck begleitete.

— Du kommst doch an den Fluß? fragte Franz Guichard.

— Ja, antwortete Luise mit einer Festigkeit welche den Fischer so vollkommen beruhigte, daß, als er die Anhöhe hinabging, trotz der schlimmen Absichten aus denen Vater Pommereuil keinen Hehl gemacht hatte, seine Stimme heller und klangvoller als je unter den Bäumen erscholl.

Von diesem Tag an kam Franz Guichard nicht mehr nach Chennevière, was nicht besagen will daß die Liebenden sich nicht mehr gesehen hätten; sie sahen sich im Gegentheil oft, und der Fischer sehnte sich nicht nach seinen Besuchen im Dorfe zurück, wo die Anwesenheit des Winzers, der früher stets die dritte Person bei ihren Unterhaltungen gewesen, eine Kälte um sich verbreitete die so schlecht zum Zustand ihrer Seelen paßte.

Eines Tages bemerkte Vater Pommereuil, der in seinem Weinberg arbeitete, auf der andern Seite des Flusses, just gegenüber der Spize der großen Insel von Varenne, vier armselige Mäuerchen die bereits zwei Fuß über die Erde emporragten, und an deren Erhöhung ein Mann mit unerhörtem Eifer arbeitete, indem er unverdrossen Stein auf Mörtel und Mörtel auf Stein legte.

Trotz der Entfernung erkannte der Edle den Fischer dessen Liebe zu seiner Tochter er so vortheilhaft ausgebeutet hatte.

— He! he! sagte er zu dieser, die ihm seine Pfähle einstecken half, der Dummkopf da drunten hat doch endlich eingesehen daß man sich ein Nest bauen muß bevor man eine Familie haben will. Wie er drauf los arbeitet! Sieh nur, Luise, und sieh auch was das für ein hübscher Käfig für den Vogel wird den er hineinsetzen will. Noch beinahe dem Erdboden gleich, hält das Mäuerchen schon nicht mehr recht das Gleichgewicht! Wenn ich daran denke daß Du, wenn Du einen so gescheiten Vater gehabt hättest, im Stande gewesen wärest Dich von diesem lumpigen Weißfischhändler beschwatzen zu lassen! Aber ich hielt die Bütte fest im Auge, und als ich sah daß es zu stark kochte, da machte ich der Gährung schnell ein Ende. Du wirst mirs gewiß danken, wenn Du siehst wie es dem armen Weibe geht das einmal da unten wohnen muß.

Zum Glück für das Mädchen war der Pfahl den ihr Vater in die Erde bohrte auf einen Stein gestoßen; er mußte sich bücken um ihn herauszureißen, und so konnte er Luisens Verwirrung und Verlegenheit nicht bemerken.

Von diesem Augenblicke an ließ Vater Pommereuil nicht einen einzigen Tag vergehen ohne daß er die Arbeiten des Fischers besichtigte. Die Mauern wuchsen empor; die Thüre wurde dem Fluß gegenüber angebracht; die Fenster öffneten sich auf beiden Seiten des Giebels, so daß Franz, ohne sein Haus zu verlassen, Alles sehen konnte was auf dem Flusse vorging, indem er vom einen Fenster aus den ganzen Lauf der Marne bis hinauf zur Insel Tire-Vinaigre, vom andern bis hinab zum Loch von Faviot beherrschte.

Als die Mauern aufgeführt waren, zimmerte Franz Guichard seine Sparren und Balken, bedeckte das Ganze mit einem Dach von Schilfrohr, und eines Tages sah Vater Pommereuil, der jeden neuen Fortschritt in diesem Bauwesen mit immer beißenderen Spöttereien empfing, wie der Fischer auf den Gipfel des Häuschens stieg und an das Kamin einen prächtigen Strauß von allen Frühlingsblumen heftete welche die Ufer seines vielgeliebten Flusses ihm zu liefern vermocht hatten.

Der Winzer lachte sich halb krank über ein Gebahren worin er eine unverzeihliche Anmaßung von Seiten eines so geringen Maurers erblickte. Er beschleunigte seine Arbeit um recht bald nach Chennevière zurückzukommen und Luisen von dieser neuen Lächerlichkeit ihres alten Liebhabers zu erzählen.

Das Mädchen schien die Fröhlichkeit des Vaters nicht zu theilen; sie erblaßte und blieb stumm; sie saß den Rest des Tages ganz nachdenklich da, und als der Abend kam, verschloß sie sich unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit in ihr Stübchen.

Um Mitternacht hatte sie sich indeß noch nicht schlafen gelegt; sie ging barfuß in dem schmalen Zimmerchen auf und ab; sie weinte, sie wand ihre Arme, sie befand sich augenscheinlich in einer gewaltsamen Aufregung; zuweilen sank sie auf ihre Kniee und betete inbrünstig.

Ein kleiner Kieselstein der an ihr Fenster flog unterbrach ihre Gebete; sie erhob sich hastig, öffnete das Fenster und sah Franz Guichard rittlings auf der Mauer sitzen die nach der Straße zu sah.

— Ach mein Gott! murmelte sie, wenn mein Vater erwachte! Wenn er ihn sähe! Er würde ihn vielleicht tödten!

Dieser Gedanke schien über alle unschlüssige Bedenken obzusiegen.

Sie gab ihrem Liebhaber ein Zeichen er solle sich gedulden und ja nicht in den Hof herabkommen; dann hob sie ein Päckchen auf nahm ihre Schuhe in die Hände, schlich behutsam durch die Kammer wo ihr Vater schlief, öffnete das Hofthor und reichte Franz Guichard ihre Hand dar; dieser hob sie in seine Arme, trug sie wie eine Mutter ihr Kind trägt, eilte, ohne sie die Erde berühren zu lassen, mit ihr den Hügel hinab und machte erst dann Halt als er seine kostbare Last in sein Schiff niedergelegt und die Ruder ergriffen hatte um das andere Ufer zu erreichen.

Es war Frühling; die Nacht war lau und duftig; ein sanfter Wind kräuselte leicht die Oberfläche des Wassers und spielte in den spitzen Blättern des Pfeilkrauts; der Mond warf seinen hellen Silberschein über den Fluß; in jedem Busche sang eine Nachtigall eine Liebeshymne.

Luise gab sich dem allmächtigen Einfluß dieses Schauspiels hin, ihre Thränen trockneten.