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Thomas West

Mörder auf dem Trucker Highway

Krimalroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Mörder auf dem Trucker-Highway

Krimi von Thomas West

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 122 Taschenbuchseiten.

 

Die Interstate 44, die alte Route 66, wird seit zwei Jahren zur Todesfalle. Während Trevellian mit dem FBI einer Waffenschmugglerbande auf der Spur ist, häufen sich die Vorfälle von Vergewaltigung und Mord. Als zwei Agenten aus Los Angeles ermordet werden, schaltet sich das New Yorker FBI ein. Was aber hat die aufregende Starreporterin der Daily News damit zu tun? Jesse und Milo gehen in einen Undercover-Einsatz, der sie nichts weniger als ihr Leben kosten kann.

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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1

„This land is your land, this land is my land, from California to the New York Island. From the redwood forest ...‟

Sie sangen nicht – sie grölten. „… to the gulfstream waters, this land was made for you and me ...‟ Ihre Stimmen waren heiser.

„Die letzte Strophe – Teufel auch! - die letzte Strophe ... wie fing die noch mal an?‟ Hendrik blendete auf, setzte den Blinker, und sein schwer bepackter Ford schob sich an einem Sattelschlepper vorbei.

„Maybe you been working just as hard as you′re able ...‟, stimmte Paula an, und Hendrik fiel ein: „And you just got crumbs from the rich man′s table ...‟

Aufgekratzt waren sie, natürlich – drei Wochen keine Versicherungsverträge, drei Wochen keine Unfallstation, drei Wochen fern von St. Louis, drei Wochen Urlaub.

„… maybe you been wondring, is it truth or fable ...‟

Kurz nach Mitternacht hatten sie sich in St. Louis auf den Weg gemacht. Die Interstate 44 – die alte Route 66 – war kaum befahren, und vor Oklahoma City, oder besser noch vor Amarillo, wollten sie keine Rast machen, um zu schlafen. Noch lang genug, der Weg zum Pazifik.

„… this land was made for you and me ...‟

Der Tod, wenn er unerwartet kommt, hat viele Gesichter. Für Hendrik und Paula sah er zunächst aus, wie ein winkender Mann am nächtlichen Straßenrand.

Übermütig brüllten sie den Refrain heraus: „This land is your land ...‟ Zum letzten Mal.

Hendrik verstummte und kniff die Augen zusammen. „Hey – was ist denn da los?‟ Er ging vom Gas und starrte in die Dunkelheit.

Die Umrisse des gewaltigen Trucks wirkten gespenstisch. Paula fühlte sich an ein urzeitliches Monster erinnert. Am liebsten hätte sie weiter gesungen, um die Beklemmung zu vertreiben, die sie plötzlich befiel.

Die Warnblinkanlage des Trucks warf ihr rhythmisch aufleuchtendes Rotlicht auf die Gestalt des winkenden Mannes – viel mehr, als dass er groß war, eine Baseballkappe trug und seine Hosen im Wind flatterten, konnten sie nicht erkennen.

„Fahr weiter‟, sagte Paula.

Hendrik bremste und steuerte an den Fahrbahnrand. „Wenn du nachts an der Interstate stehst und winkst, bist du auch froh, wenn jemand hält.‟

Paula war sich da nicht so sicher. Sie gehörte zu den Menschen – zu den Frauen, die lieber einmal zu viel die Wohnungstür abschlossen oder in der Tiefgarage hinter sich schauten. Die Empfehlungen der State Police erschienen ihr vernünftig: Bei nächtlichen Pannen den Wagen von innen verriegeln und warten, bis die Sonne aufging.

Aber sie sagte nichts. Hendrik war der Mann. Und sie vertraute ihm.

Der Lastwagenfahrer kam auf ihren Wagen zugerannt. Paula drehte das Seitenfenster herunter.

„O verdammt!‟ Die weinerliche Stimme des Mannes überschlug sich fast. „Ich hab′ einen Motorradfahrer erwischt!‟ Er ruderte aufgeregt mit beiden Armen. „O Gott! Allein kann ich ihn nicht wiederbeleben!‟

Sofort übernahm die Krankenschwester in Paula das Kommando. Keine Spur mehr von Misstrauen. Sie drückte die Tür auf und schwang sich aus dem Wagen. „Wo?‟

Er deutete auf eine Baumgruppe etwa zwanzig Schritte vom Fahrbahnrand entfernt im freien Feld. Im Scheinwerferkegel ihres Fords sah Paula die Felgen eines Motorrads aus dem Gras ragen. Sie glitzerten im Kegel des Scheinwerferlichts. Der Trucker setzte sich in Bewegung. Sie rannte ihm hinterher.

Hendrik stieg ebenfalls aus. Er zögerte und holte sein Handy aus der Türablage. Haben Sie die Ambulanz schon verständigt?!‟, rief er dem in die Dunkelheit hastenden Trucker nach.

Der blieb stehen und drehte sich um. „Klar! Und die State Police! Sind unterwegs!‟ Hendrik warf das Handy auf den Fahrersitz und spurtete den beiden hinterher. Nur undeutlich noch sah er die Gestalt seiner Freundin im nächtlichen Schatten der Bäume. Sie beugte sich zu einem schwarzen Bündel im Gras neben den Baumstämmen – der verletzte Motorradfahrer.

Hendrik überholte den Lastwagenfahrer. Mit großen Schritten hastete er auf Paula und das Unfallopfer zu.

Die Enttäuschung tat fast körperlich weh, als er den Motorradfahrer plötzlich aufspringen und über Paula herfallen sah. Hendrik erstarrte. Der Vorschlaghammer, der in diesem Augenblick auf sein Schädeldach krachte, löschte mit seinem Bewusstsein auch den Impuls aus, sich umzudrehen.



2

„Worauf wartest du noch?‟ Leathergate hing in seinem altmodischen Schalensessel wie ein zusammengefallener Käsekuchen und drehte sich ungeduldig hin und her. Seinen kurzen, wurstförmigen, linken Arm über der geschwungenen Lehne des orangenen Acrylsessels, in der fleischigen Rechten seine qualmende Zigarre, beäugte er John misstrauisch.

John Newby verzog sein wettergegerbtes Gesicht zu einem vergnügten Grinsen. „Du findest dich so absolut cool, Fettsack‟, dachte er. Er faltete die Hände über dem nackten Bauch und ließ seine Daumen kreisen. „Du machst mir Spaß, Gene‟, lachte er. „Schickst mich hier auf einen Zweimonatstrip und fragst, worauf ich noch warte!‟

Die wulstigen Lippen des Verlegers öffneten sich, zwischen dem wuchernden Gestrüpp seiner Brauen erschien eine Falte. Jetzt wirkte er mit seinen Hängebacken und Tränensäcken tatsächlich wie ein Exemplar der Hunderasse, deren Namen ihm die meisten Mitarbeiter des kleinen Verlages schon an seinem ersten Tag angehängt hatten: Wie ein Boxer.

John lachte. „Auf Vorschuss warte ich, auf was sonst?!‟

Eugene Leathergate verdrehte seine gelblichen Augäpfel und seufzte.

„Du stellst dir vor, ich gondle sechs Wochen lang zwischen Chicago und Los Angeles hin und her, knipse jeden Tag zehn Filme voll, die ich mir in irgendeinem Supermarkt klaue, schlaf′ im Auto und lebe von Gras und frischer Luft!‟ John war laut geworden – aber er lachte. Es war vor jedem Auftrag das Gleiche: Wenn man Leathergate nicht ordentlich gegen das Schienbein trat, packte er auch nicht einen Dollar auf den Tisch.

Leathergates Unterkiefer schob sich nach vorn. Das Boxergesicht faltete sich zusammen und nahm einen melancholischen Zug an. „Ist ja gut, ist ja gut.‟ Er zog die oberste Schublade seines abgeschabt wirkenden Schreibtisches auf und holte ein Scheckheft heraus. „Ihr würdet mir noch die letzten Haare vom Schädel fressen.‟ Die Zigarre wurde zwischen die Lippen gesteckt und ein Kugelschreiber aus der Hemdtasche gezogen. „Fünfhundert – okay?‟

„Fünfhundert dürften reichen‟, sagte Newby heiter. „Pro Woche – macht zusammen dreitausend.‟

Leathergate riss sich die Zigarre aus dem Mund. Womöglich wollte er etwas Unfreundliches sagen – er beließ es aber bei einem gekränkten Blick. Und füllte den Scheck aus.

„Ich verlass mich auf dich, Johnny‟, knurrte er, als er Newby den Scheck reichte.

Der faltete ihn zusammen und versenkte ihn in der Brusttasche seiner Lederweste, die er auf bloßem Oberkörper trug. Er nickte nur. Jeder im Verlag wusste, dass man sich auf ihn verlassen konnte. Und diesen Ruf verdankte er neben seiner guten Arbeit vor allem dem brummbärtigen Fettsack auf der anderen Seite des Schreibtisches.

John stand auf und streckte Leathergate die Hand hin. „Ich lass zwischendurch von mir hören, Gene.‟ Leathergate brummte einen undeutlichen Abschiedsgruß.

John hatte schon die Klinke in der Hand, als Leathergate ihn nochmal ansprach. „Pass auf dich auf Johnny!‟, rief er. John drehte sich um. Der Verlagschef schwenkte die Los Angeles Times. „Da gibt′s ein paar Mistkerle an der Sixtysix, die jagen Touristen und Trucker.‟

John zog überrascht die Brauen hoch. Leathergate hatte eine rätselhaft Art, einem seine Sympathie zum Ausdruck zu bringen. „Vielleicht posieren sie mir für ein paar Bilder‟, grinste er und winkte. „Danke Gene.‟

Er zog die Tür hinter sich zu und schlenderte durch den kahlen Gang an den wenigen Verlagsbüros vorbei. Die Türen links und rechts standen offen. Frauen und Männer saßen vor ihren PCs und bearbeiteten ihre Tastaturen. John Newby winkte grüßend in die Büros hinein. Vor zwei Räumen, in denen jüngere Frauen hinter den Monitoren saßen, blieb er einen Augenblick stehen und plauderte ein paar Takte.

Er war ein hagerer, aber durchaus athletischer Typ. Seine störrischen Locken hingen wirr bis über die großen, ringgespickten Ohren und waren schon von einem deutlichen Grauschimmer überzogen, obwohl er die Grenze in die Vierziger erst in zwei Jahren überschreiten würde. Seit Neustem trug er einen Schnauzer, und einige Verlagsmitarbeiterinnen nahmen das zum Anlass, ihm ein Kompliment zu machen.

Endlich hatte er sich zum Ausgang des Verlagsgebäudes durchgearbeitet und trat hinaus auf die Orange Grove, eine der Hauptstraßen von Pasadena.

Die Hitze der Augustsonne traf ihn wie ein Fausthieb. Für einen Moment blieb ihm die Luft weg. Er zog die Sonnenbrille aus seiner Weste und setzte sie auf.

Zufrieden blickte er in den wolkenfreien Himmel. Der Auftrag kam gerade recht. Das „San Gabriel Verlagshaus‟ wollte einen alten Reiseführer neu auflegen, ein Buch über die legendäre Route 66. Die Nostalgiewelle um den von Cyrus Stevens Avery konzipierten und 1926 mit der Nummer 66 versehenen US-Highway schwappte aus allen Livestyle-Magazinen, und der Verlag warf sich voll in den Trend, um seinen Teil des Dollarsegens zu ernten.

Johnny sollte es recht sein. Ein kleiner Dollarsegen war genau das, was er brauchen konnte. Sein Konto wies schon seit Ende Juni die alljährlichen Sommerlochsymptome auf. Und glich zur Zeit eher der kargen Steppe Arizonas als den fetten Kornfeldern Montanas.

Auf der anderen Straßenseite stand seine „Zitrone‟. So nannte er seinen knallgelben Molson Special Dodge. Den Kosenamen hatte Johnny von seinem Großvater übernommen, der ihm den Oldtimer vererbt hatte.

Hupen und eindeutige Gesten der Autofahrer, als er die Straße überquerte. Er winkte, ohne den Schritt zu beschleunigen. Zärtlich strich er über die ausladenden, geschwungenen Kotflügel seines Wagens und tätschelte die darauf aufgesetzten, altertümlichen Scheinwerfer.

Der langschnäuzige Pick-up war größer und sperriger als etwa ein GM-Van, aber kleiner als ein Lieferwagen. Die Plane auf der Ladefläche hatte Johnny installieren lassen, nachdem er den Wagen vor zwanzig Jahren, zu seinem achtzehnten Geburtstag, geschenkt bekommen hatte.

„Mein dritter Augapfel‟, hatte sein Großvater damals gesagt. „Behandle ihn entsprechend.‟

Zigmal hatte Johnny sich schon von dem durstigen Oldtimer trennen wollen. Das gelbe Gerät war im Grunde ein gieriges Dollargrab – urzeitlicher Benzinverbrauch, ständig Reparaturen, antiquarische Ersatzteile und horrende Steuern.

Doch immer wieder hatte er den Entschluss, ein modernes Auto zu kaufen, fallen gelassen. Er hing viel zu sehr an dem gutmütig dreinblickenden Oldie, mit der hohen, stupsnasigen Kühlerhaube und den vielen Lüftungsschlitzen an der Frontseite. Dahinter versteckten sich immerhin 990 Ps.

Johnny hatte aufgegeben, das irgend jemandem zu erzählen. Das glaubte doch keiner. Aber sein Großvater, einer der letzten Orangenfarmer Pasadenas, war mit dem gelben Dinosaurier Truck-Rennen gefahren.

Johnny schloss die Fahrertür auf und zog seinen Terminkalender aus dem Wildlederrucksack. Noch zwei Aufträge in dieser Woche. Die Fotos vom Grand Canyon für ein Wochenendbeilage der Los Angeles Times und einen Ausflug ins Silicon Valley. Der „New Yorker‟ wollte Porträts für eine Reportage über Bill Gates. Und dann konnte es losgehen mit den neuen Bildern von der Route 66. In einer knappen Woche würde Johnny Richtung Chicago aufbrechen.

Das Klappern von Pumps auf Asphalt ließ ihn herumfahren. Viele Leute bevölkerten um diese Zeit den Bürgersteig der Orange Grove. Aber Johnny hatte einen siebten Sinn für die Lebenszeichen der Menschen entwickelt, die ihn in erster Linie interessierten. Und der täuschte ihn auch dieses Mal nicht: Eine Mahagoni-haarige Mexikanerin stolzierte am Heck seines Dodge vorbei.

Drei Schritte, und er war auf dem Bürgersteig. Der Anblick ihrer Rückseite trocknete seine Mundschleimhaut aus. Das kurze schwarze Kleid ließ braungebrannte Schulterblätter tanzen, und der straffe Hintern pulsierte bei jedem Schritt wie ein auf den Kopf gestelltes Herz. In Johnnys Leisten kribbelte es.

„Entschuldigen Sie, Miss!‟, rief er und lief ein paar Schritte hinter ihr her. Sie blieb stehen, drehte sich um, und musterte ihn aus großen, schwarzen Augen. „Entschuldigen Sie‟, wiederholte Johnny lächelnd, „wissen Sie zufällig, wie spät es ist?‟

Erstaunt betrachtete sie die rechteckige Uhr mit den römischen Ziffern an seinem Handgelenk – auch sie ein Geschenk seines Großvaters.

„Oh‟, lächelte er und mimte den Überraschten. „Wahrscheinlich wollte ich′s aus Ihrem Mund hören. Aber vielleicht könnten wir ein Eis essen gehen. Oder darf ich Sie zu einer Stadtrundfahrt mit meinem einzigartigen Luxusschlitten einladen?‟ Er wies auf seine „Zitrone‟.

Interessiert sah sie ihn an. „Heute nicht‟, sagte sie. „Und die nächsten Tage bin ich nicht in der Stadt. Aber nächste Woche, am gleichen Tag zur gleichen Zeit wieder. Bis dahin denke ich über ihr Angebot nach.‟ Sprach′s und schwebte davon.

Johnny sah ihr sehnsüchtig hinterher. Nächste Woche – schade. Nächste Woche um die Zeit würde er schon durch die Wüste Arizonas fahren. Auf der Route 66. Eine lange Reise würde dann vor ihm liegen. Die längste seines Lebens. Aber wie hätte er das zu diesem Zeitpunkt ahnen können …