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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-821-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Geusenblut

Die Männer der Fleute kämpften wie die Löwen

Die Fleute „Zeehond“ hatte der allmächtige Gouverneur im Hafen von Havanna mit einem Akt brutaler Gewalt beschlagnahmen und die ungebärdigen Holländer kurzerhand in den Stadtkerker werfen lassen. Aber so leicht gaben die Holländer unter Kapitän Wim de Bruijn nicht auf. Diese „Zeehonders“ waren zähe, salzwassergetränkte Kerle, und von den Olivenfressern ließen sie sich schon gar nicht auf die Holzpantinen treten. Daß ein Negerweib, das man die Black Queen nannte, dabei eine sehr merkwürdige Rolle spielte, brachte sie erst recht in Grimm. Als sie ihre „Zeehond“ gegen die Schergen des Gouverneurs verteidigt hatten, waren vier Kameraden gefallen – schon einer wäre zuviel gewesen. Die Spanier sollten sich noch wundern …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Nacht hatte sich über Havanna gesenkt. Don Antonio de Quintanilla, seines Zeichens Gouverneur von Kuba, lag satt und zufrieden in seinem warmen, weichen Bett und schlief sorglos ein. Was sollte ihm jetzt auch noch Kummer oder Kopfzerbrechen bereiten? Er war wieder daheim und machte es sich in seiner Residenz so bequem wie möglich. Vor allem brauchte er nicht mehr um sein Leben zu zittern und zu bangen.

Das war noch bis vor wenigen Tagen der Fall gewesen. Kaum hatte er sich von dem Verband des Don Garcia Cubera heimlich getrennt und war somit dem vernichtenden Untergang entronnen, hatte das Schicksal gewollt, daß er mit seinen Kumpanen auf der Insel Great Inagua festsaß. Jemand hatte ihnen die Schaluppe entführt, und er wußte bis heute nicht, daß es Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, gewesen war.

Schließlich hatte er seine Flucht doch mit Vargas, dem Bootsmann, fortgesetzt, sich aber dieses Vargas’ unter Verwendung einer Pistolenkugel entledigt und war in Baracoa an Bord eines anderthalbmastigen Handelsseglers gegangen, der ihn nach Havanna mitgenommen hatte. Doch es war einem ungeheuerlichen Zufall zuzuschreiben, daß Caligula und zwei Spießgesellen diesen Segler hatten kapern können.

Aber auch dieses Problem hatte Don Antonio zu lösen gewußt. Die Piraten hatten die reguläre Besatzung des Anderthalbmasters getötet – ihn aber hatten sie verschont, obwohl Caligula ihn aus Haß und Rache hatte erstechen wollen. So war das neue Bündnis geschlossen worden: Don Antonio „arbeitete“ jetzt mit der Black Queen zusammen, und er hatte ihr versprochen, ihr so viele Schiffe zu beschaffen, wie sie haben wollte. Nicht nur das: Er hatte ihr auch bereits ein hübsches Sümmchen „Betriebskapital“ übergeben, das sie an Bord des Anderthalbmasters hatte schaffen lassen.

Ein Schiff war nun auch requiriert, und zwar die „Zeehond“, eine holländische Fleute, die seit ein paar Tagen an einer der Piers vertäut hatte.

Ein weiteres Schiff hatte das Interesse der Queen erregt: die „Wappen von Kolberg“, die an der Pier vor dem Handelshaus von Manteuffel lag. Aber die war ihr entgangen. Die Deutschen waren unvermittelt wieder ausgelaufen, ehe Don Antonio die Galeone kaufen konnte, wie er es Arne von Manteuffel vorgeschlagen hatte.

Sie hatten nun mal Angst, diese Deutschen. So jedenfalls hatte es Arne von Manteuffel bei seinem Besuch in der Residenz dargestellt. Und Don Antonio hatte nicht den geringsten Grund, an seinen Worten zu zweifeln, denn bisher waren sie immer prächtig miteinander ausgekommen. Welchen Grund hatte der deutsche Handelsherr schon, ihm etwas vorzuschwindeln? Nicht den geringsten. Und er hatte auch diesmal ein kostbares Geschenk mitgebracht, ein wunderschönes Stück Bernstein, das „Gold der Ostsee“.

Angst hatten sie, diese biederen deutschen Handelsfahrer, und zwar vor den englischen Piraten, die nach der Niederlage des Kriegsschiffverbandes leicht von ihrem Schlupfwinkel aus nach Havanna vordringen konnten. So dachten sie, und keiner schien sie davon abbringen zu können.

Don Antonio indes glaubte nicht an einen englischen Angriff auf Havanna. Die bleiben auf ihrer verfluchten Schlangen-Insel und räumen erst einmal auf, dachte er noch, bevor er friedlich einschlummerte, und die haben vom Kämpfen vorläufig auch die Nase voll.

Was nun die „Wappen von Kolberg“ betraf, so war auch das kein Problem. Die Queen würde sich damit abfinden müssen. Außerdem würde Don Antonio ihr sehr schnell ein anderes Schiffchen besorgen. Arne von Manteuffel hatte sogar angekündigt, daß er bei der Suche nach passenden Seglern behilflich sein würde. Wobei er allerdings annahm, daß der Gouverneur plane, eine Art „Reederei“ zu eröffnen, zu welchem Zweck auch immer. Er ahnte nichts, so schien es, und es bestand kein Grund, ihn in die Pläne einzuweihen, die er, Don Antonio, bezüglich der Queen hatte.

Gründlich waren diese Deutschen ja, und sicherlich würde von Manteuffel mit Eifer und Ehrgeiz bei der Sache sein. Don Antonio brauchte im Prinzip keinen Finger zu rühren. Er konnte beruhigt in seinem Palast weilen, kandierte Früchte essen und süßen, klebrigen Portwein trinken.

Was draußen vor sich ging, interessierte ihn nicht. Was ging es ihn an? Er war froh, daß er wieder mal sein Schäfchen im trockenen hatte. Die Queen würde für ihn arbeiten, und wenn sie die Sache mit der Schlangen-Insel in die Hand nahm, war ihm sein Anteil an dem großen Schatz bereits jetzt sicher. Also: Was scherte es ihn, was sich in Havanna tat? Solange sein wertvolles Gouverneursleben nicht in Gefahr geriet, hatte er damit nichts zu tun.

Von dem, was sich derzeit abspielte, ahnte er also nichts. Er träumte von der Black Queen und ihren großen, schwarzen Brüsten. Sie saß auf einem Berg von kandierten Früchten und Zuckerguß, breitete die Arme und Beine aus und lächelte ihm aufmunternd und einladend zu. Ihr einziges Kleidungsstück war eine gewaltige Kette, geschmiedet aus dem Gold der Schlangen-Insel.

Eine schönere Art von Traum, so fand Don Antonio, konnte es nicht geben – und fast jeder andere an seiner Stelle hätte ihm das bestätigt.

Der holländische Kapitän Wim de Bruijn stellte einen krassen Gegensatz zu Don Antonio de Quintanilla dar, sowohl äußerlich als auch innerlich. Er war ein stämmiger Mann mit wasserhellen Augen und einem von Wind und Wetter gegerbten, kantigen Gesicht. Vor allem war er ein aufrichtiger, geradlinig denkender Mann, dem man aus den Zügen jederzeit ablesen konnte, was gerade in ihm vorging.

Er war nicht fett und aufgedunsen und weder hinterlistig noch verschlagen und korrupt. Und er schlief auch nicht. Wie in den vergangenen beiden Nächten tat er kein Auge zu. Unablässig befaßte er sich mit seinen Flüchtplänen und ließ sich selbst keine Ruhe.

Er hockte mit dem Rücken gegen die feuchte Steinwand gelehnt auf dem Boden des Kerkers und blickte zu dem winzigen quadratischen Fensterloch auf. Hinter den Eisenstäben waren die Sterne zu erkennen, die wie silbrige Tupfer auf einem samtenen Umhang wirkten.

„Wir schaffen es“, sagte de Bruijn. „Wir kommen hier raus, keine Sorge. Und sie werden sich wundern, diese verfluchten Hunde. Diese feigen, dreckigen Hunde.“

„Du solltest dir aber doch ein wenig Schlaf gönnen“, sagte Jost Heineken, sein Erster Offizier und Bootsmann, der rechts neben ihm saß und die Beine an den Leib gezogen hatte. „Hau dich endlich hin.“

„Nein. Später, wenn wir wieder an Bord sind, kann ich genug pennen“, brummte de Bruijn.

Ja, das war sein Plan: Er wollte ausbrechen und sein Schiff zurückerobern – sein rechtmäßiges Eigentum.

Heineken ließ aber doch nicht locker. „Ich meine nur – du solltest dich nicht zu sehr verausgaben. Du brauchst doch deine Energien noch.“

„Ich bin so frisch und munter wie ein Fisch“, sagte der Kapitän mit grimmiger Miene. „Und du, Jost Heineken, brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen. Ich kann eine Woche lang auf Schlaf verzichten, das weißt du.“

„Ja, natürlich.“

„Wir sitzen jetzt seit drei Tagen und zwei Nächten hier fest, und das ist bereits entschieden zuviel.“ De Bruijn lauschte den Schritten des Postens. Sie bewegten sich an der Bohlentür der Zelle vorbei, entfernten sich und verklangen dann ganz. Der Posten war seine gewohnte Runde gegangen und wieder ins Wachlokal zurückgekehrt.

Die Männer hatten sich an diese Kontrollgänge gewöhnt. Sie legten eine Verschnaufpause ein, wenn der jeweilige Wächter vorbeimarschierte. Gleich danach begaben sie sich wieder an die Arbeit.

De Bruijn richtete sich auf. Heineken, der Profos, der Segelmacher und die meisten anderen folgten seinem Beispiel. Sie waren sechsundzwanzig Männer, doch sie waren dreißig gewesen, als sie sich noch an Bord ihres Schiffes befunden hatten. Aber vier von ihnen waren gefallen, als sie sich gegen die Besetzung der „Zeehond“ durch die Gardisten unter der Führung von Don Alonzo de Escobedo zur Wehr gesetzt hatten.

Die „Zeehond“ war erobert und beschlagnahmt worden. De Escobedo hatte die Holländer abführen und in das Stadtgefängnis sperren lassen. Es hatte de Bruijn nichts genutzt, daß er Protest eingelegt hatte. De Escobedo hatte ihm sogar angedroht, ihn in Ketten zu legen, wenn er keine Ruhe gäbe.

Die Verwundeten hatten sie mit primitivsten Mitteln versorgen müssen. Kein Feldscher oder Arzt hatte sich ihrer angenommen. Ein halbes Dutzend klagte noch immer über Schmerzen, aber de Bruijn konnte nichts mehr für sie tun – und auch das setzte ihm zu. Ein Mann hatte ein gebrochenes Nasenbein, ein anderer eine Fleischwunde im linken Oberarm. Die anderen hatten ähnliche Blessuren, aber de Bruijn konnte noch von Glück sprechen, daß keiner von ihnen fieberte. Ein Kerl wie de Escobedo hätte jeden Kranken mitleidlos verrecken lassen.

„Käp’ten“, sagte einer der Seeleute mit dunkler Stimme. Er hieß Hendrik. „Warum locken wir den Wachtposten nicht unter einem Vorwand rein und hauen ihm was über die Rübe, den Marlspieker beispielsweise?“

„Hendrik, das habe ich dir schon mal erklärt“, erwiderte de Bruijn. „Er sitzt nicht allein in dem Wachlokal. Das Stadtgefängnis ist nicht gerade klein, und die Zellen sind alle voll, wie du weißt. Wir würden auf diesem Weg nicht rauskönnen, verlaß dich drauf.“

„Das mit dem Fenster dauert zu lange.“

„Wir sind schon ein gutes Stück weiter.“

„Ich meine, wenn wir zu lange brauchen, dann hauen diese Halunken mit unsrer ‚Zeehond‘ ab, das ist es, was ich sagen will“, brummte Hendrik. „Und das wäre dann der größte Dreck für uns, nicht wahr?“

„Noch laufen sie nicht aus“, entgegnete de Bruijn ruhig. „Das habe ich dir doch schon dreimal erklärt. Sie suchen noch andere Schiffe. Sie wollen, wie es scheint, einen Verband zusammenstellen.“

Er hatte das von einem der Wächter erfahren. Durch Zufall hatte er in seiner Hosentasche einen Silberling gefunden, der bei der flüchtigen Leibesvisitation nicht entdeckt worden war. Die Münze hatte ihren Besitzer gewechselt, und de Bruijn, der als einziger Mann der holländischen Schiffsbesatzung die spanische Sprache beherrschte, hatte zumindest ein paar Kleinigkeiten vernommen, die er unbedingt wissen wollte.

In Havanna hatten die Wände Ohren, und so hatte die Kunde von den Neuigkeiten rasch ihren Lauf genommen. Am späten Nachmittag des 4. August war Don Antonio zurückgekehrt. Inzwischen wußte man, daß er den Kampf gegen die englischen Piraten verloren hatte, obwohl offiziell nichts darüber bekannt war. Indessen hatte er sich mit der Black Queen und ihrer Piratenmeute verbündet – wohl, um erneut zu einem Schlag gegen die Engländer auszuholen.

„Was ist, wenn es nicht stimmt?“ fragte Hendrik. „Wenn der Wächter gelogen hat?“

„Er hat keinen Grund dazu“, erwiderte de Bruijn. „Ich habe ihm mein Messer versprochen, wenn er mich weiterhin auf dem laufenden hält. Und gewisse Dinge kann man ja sogar von hier aus nachprüfen.“

„Käp’ten“, sagte Hendrik. „Diese Suppe habe ich uns eingebrockt, und ich würde sie am liebsten allein auslöffeln.“

„Fängst du wieder damit an?“

„Ich bin bereit, für alles geradezustehen.“

„Hör auf“, sagte der Profos. „Hier gibt’s für dich keine Suppen auszulöffeln, aber du kannst hier auch nicht alles kurz und klein schlagen. Die Steine sind viel zu hart.“

„Ich hab’ keinen Grund, Witze zu reißen“, sagte Hendrik. „Es ist alles meine Schuld gewesen, verdammt noch mal.“

„Ist es nicht“, sagte Heineken. „Du hast das Negerweib angequatscht, und sie hat dich niedergeschlagen, aber das war nicht der eigentliche Anlaß für das Eingreifen der Stadtgarde. Sie haben den Vorfall nur als Vorwand benutzt, um sich unsere ‚Zeehond‘ unter den Nagel zu reißen.“

„Hätte ich diese Hure nicht so blöd angehauen, wäre gar nichts passiert.“

De Bruijn schüttelte den Kopf. „Sie hatte unser Schiff längst ausgesucht. Und jetzt Schluß mit dem Thema, Hendrik, wir haben noch genug zu tun und können keine Zeit mit unnützem Gerede vergeuden. Ich will diese Selbstvorwürfe auch nicht mehr hören.“

„Ist das ein Befehl, Käp’ten?“

„Ja.“

„Gut“, sagte Hendrik, dann bewegte er sich mit schweren Schritten auf die Außenmauer zu. Er bückte sich ein wenig, und Wim de Bruijn kletterte auf seine Schultern, richtete sich auf und begann an dem vergitterten Fenster zu arbeiten.

Grillo, der Mischling, bewegte eine weiße Perle zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.

„Seht mal“, sagte er und grinste. „Mir hat sie die größte gegeben.“

Escobar, der Mulatte, schüttelte den Kopf. „Quatsch. Meine ist die größte.“

„Ihr täuscht euch beide“, sagte Mantilla, der Kreole. „Meine ist die dickste. Aber ich will mich mit euch nicht streiten, nicht schon wieder.“

Grillo hob seine Muck und stieß mit den beiden Kumpanen an. Sie tranken von dem dunkelroten, herben Wein und lachten. Sie saßen auf Freiwache im Logis der „Zeehond“, und besser hätten sie es nicht haben können.

Ja, gestritten hatten sie sich, aber das war gewesen, als sie noch im Kabelgatt der Fleute gehockt hatten. Caligula hatte sie ganz schön gepiesackt und kujoniert, weil sie sich so störrisch und aufsässig benommen hatten. Sie hatten sich nicht pressen lassen wollen, aber er hatte damit gedroht, daß er ein Exempel statuieren und einen von ihnen bis aufs Blut auspeitschen würde.

Schließlich hatten sie klein beigegeben. Die Black Queen hatte sie dafür mit je einer Perle belohnt und ihnen auch noch ein paar Silberlinge versprochen, wenn es keinen Grund zu Klagen über den Borddienst gab. Für die Freiwachen spendierte sie großzügige Extrarunden Wein und Bier, um die Kerle bei Laune zu halten, und zu tun gab es ja im Prinzip sowieso nicht viel, solange der Kahn im Hafen von Havanna an der Pier lag.