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Adrian Naef

Brot statt Spiele. Am Beispiel Trump

Ein Journal

© Weissbooks GmbH Frankfurt am Main 2018

Alle Rechte vorbehalten

Konzept Design

Gottschalk+Ash Int’l

Satz

Publikations Atelier, Dreieich

Umschlaggestaltung

Julia Borgwardt, borgwardt design

Zeichnung Adrian Naef

© Klaus Engelhardt

Erste Auflage 2018

imageISBN 978-3-86337-146-3

weissbooks.com

adriannaef.ch

Adrian Naef
Brot statt Spiele.
Am Beispiel Trump

Einige Gründe, warum wir heute mit Spielern seinesgleichen in höchsten Ämtern das Schlimmste befürchten müssen, warum wir Politik mit Unterhaltung verwechseln und was wir um nichts weniger als unserer physischen Existenz willen umgehend lassen sollten. Ein Journal.

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Adrian Naef, geboren 1948 in Wallisellen (Schweiz), lebt in Zürich. Nach dem Studium der Ökonomie und der Philosophie arbeitete er in der Jugend- und Erwachsenenbildung, als Religionslehrer, Musiker und Bildredakteur. Er ist Autor mehrerer Bücher, u.a. Gott ist krank, sein Sohn hört Punk, Lagebericht und Nachtgängers Logik (beide Suhrkamp), sowie Ein schamloser Blick auf die Dame in Schwarz (Elster, 2011). Bei weissbooks.w erschienen Die Städter (2011), die Gedichtbände An der Scheibe mit dem Fisch (2011), Mohn (2013), Raben (2014) und Moonshiner (2017).

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Brot statt Spiele

Gewidmet den verdienstvollsten Menschen wie dem Marineoffizier Wassili Alexandrowitsch Archipow, der sich während der Kubakrise am 27. Oktober 1962 weigerte, auf den »Roten Knopf« zu drücken, und damit aller Wahrscheinlichkeit nach den terminalen Dritten Weltkrieg verhinderte.

INHALT

Eine Art Vorwort

TEIL I NACH DER WAHL AM 8./9. NOVEMBER 2016

Drôle de Guerre

Danke Trump?

Neben Hitler stellen

Noch keinen sich verändern gesehen

Was soll Gewaltenteilung sein?

Ein Pistolenschuss in Sarajevo

Elefantenbaby im Glashaus

Ein Tower mehr

Hillary war nicht die falsche Kandidatin

Totale Auslöschung um ein Haar

Schiessbefehl an der Mauer

Der zwangsläufige Fall von Schneeballsystemen

Was will die Frau

Da drüben

Einen Trump kann man nur glauben

Ein Lügner sieht lauter Lügner

Auch der Papst wird ihn nun eingemeinden

Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an

Nur hundert Tage

Was tun?

Would you buy a used car from this man?

Etwas Neues, egal was

Die dümmsten Kälber

Es müsse auch hier »ein Chlapf« her

Lassen schon genügte

Auch da in der Mehrzahl sprechen

Mittelalter

Gretchen fragt

Trump ist ein Glücksfall

Clown an unseren Fäden

Populisten sind Feiglinge

Nie wieder – schon wieder

Pyrrhussiege

Google Earth ist beim Millimeter angekommen

Ich werde an diesem Tag Tierfilme schauen

In Erwägung ziehen

TEIL II DIE ERSTEN HUNDERT TAGE

21. Januar 2017

22. Januar 2017

24. Januar 2017

25. Januar 2017

28. Januar 2017

1. Februar 2017

3. März 2017

4. Februar 2017

6. Februar 2017

11. Februar 2017

14. Februar 2017

15. Februar 2017

16. Februar 2017

17. Februar 2017

2. März 2017

3. März 2017

12. März 2017

16. März 2017

18. März 2017

29. März 2017

31. März 2017

4. April 2017

6. April 2017

8. April 2017

13. April 2017

29. April 2017

1.Mai 2017

30. Mai 2017

5. Juni 2017

7. Juni 2017

16. Juni 2017

25. Juni 2017

1. Juli 2017

2. Juli 2017

11. Juli 2017

12. August 2017

15. August 2017

28. August 2017

3. September 2017

19. September 2017

22. September 2017

16. Oktober 2017

18. Oktober 2017

21. Oktober 2017

7. November 2017

26. November 2017

26. November 2017

1. Januar 2018

Zweites Amtsjahr

7. März 2018

14. März 2018

30. April 2018

Eine Art Vorwort

Es geht hier nicht um Trump. Auch wenn es mir unumgänglich sein wird, ihn ständig beim Namen zu nennen. Es geht auch nicht darum, ob man ihn als Irren, Kranken oder bloß »bösen Menschen« sehen soll, selbst wenn davon die Rede sein muss. Dieser um jeden Preis nach Aufmerksamkeit gierende Mensch ist vor allem ein Kind geblieben und für mich nicht mehr und nicht weniger als nur das aktuellste Beispiel in einer langen Reihe von Kindmännern, die bis zurück zu Nero oder Caligula reicht, dem »Stiefelchen«, wie ihn die römischen Soldaten nannten. Es geht hier vielmehr um die Frage, ob wir, die wir auf einem unvergleichlich größeren gesellschaftlichen und technologischen Pulverfass sitzen als alle Generationen vor uns, uns noch heimlich rauchende Kinder in power leisten können, und warum wir sie immer wieder in Führerstände heben, in die Kinder nicht gehören. Und vor allem geht es hier darum, warum wir das Spektakel wählen, das sie uns zwangsläufig durch ihr chaotisches Verhalten im Glashaus der Politik garantieren, und nicht die bestmögliche Versorgung für uns alle.

Warum wählen wir immer wieder das Spiel statt das »Brot«? Weil der Mensch nicht von Brot allein lebt, wie es die Bibel beschreibt?

Ungefragt leben zu müssen auf einem Planeten des »Fressens und Gefressen-Werdens« ist tatsächlich kein Schleck. Ohne Drogen und anderweitige Ablenkungen würden wir vor der wohl nur von uns Menschen erkannten Gewissheit unseres sicheren Endes verzweifeln. Nicht wenige ziehen sich auf die eine oder andere Weise vorzeitig aus dem Verkehr – der offenkundige, statistisch relevante Suizid ist nur eine von vielen, vielleicht sogar die unwichtigste. Darum kam nach dem Fressen schon immer nicht die Moral, sondern das Spiel, die Moral sollte es allerdings in die Schranken weisen. Doch tut sie das noch?

Uns steht heute ein Drogen- und Spielwarenladen zur Verfügung, der mit nichts in der Geschichte vergleichbar ist, selbst im Mittelalter musste man sich mit saurem Wein und bunten Kirchenfenstern zufriedengeben. Doch heutzutage, im sogenannten digitalen Zeitalter, werden uns Spiel und Spektakel geradezu körperlich aufgedrängt: gedopter Hochleistungssport rund um die Uhr, Infotainment rund um die Uhr, Tausende Werbekanäle und Radiosender bedrängen uns, Musik schamlos allüberall, sogar an den Orten, die wir mit »Stille« verbinden – es sind nicht mehr nur gelegentliche Tropfen, nein, wir hängen am Tropf, alle, immer. Und als sei das noch nicht genug, muss auch noch die Börse mit unserer aller Versorgung Roulette spielen. Die Folgen sind bekannt und schon vergessen, man zockt wieder, wilder als zuvor. Von den Kindern des Silicon Valley ganz zu schweigen, denen wir unsere Daten in die Hände legen wie Trump unser Schicksal.

Angesichts unserer Spektakel wären die römischen Bürger auf den Rängen des Kolosseums und des Circus Maximus vor Neid erblasst. Warum müssen unsere Politiker dann auch noch Clowns sein, Verwaltung von Bürgerwillen Zirkus? Es sollte doch genügen. Schreit der öffentliche Drogenspiegel nach immer noch mehr, weil wir uns gegenseitig einen Stress machen, den die Geschichte auch noch nicht gesehen hat? Aber musste wirklich auch noch ein Trump sein? Brauchen wir Erdogans, Orbans, Wilders, die für mich nicht weniger Kinder sind? Brauchen wir Blochers, hinter deren Landesvaterattitüde und Machtanspruch nichts weiter als spätpubertäre Egozentrik steckt? Die »Land« sagen, aber »Ich« meinen? Ja gar nie anders denken gelernt haben? Setzen wir diesen Kindern keine Grenzen, weil wir heute schon im Privaten darin versagen, unseren Kindern Grenzen zu setzen? Ist die vaterlose Gesellschaft am äußersten Ende angekommen?

Die Römer hatten neben zwei Brettspielen bloß ihre Arenen – da ist es zu verstehen, dass sie Blut sehen wollten, Raubtiere, die sich zerfetzen; die allzu schreckliche conditio humana – vorgeführt, aber gebändigt. Die Kelche sollten gezeigt, aber noch einmal vorübergehen – der Tatort am heiligen Sonntag ist nichts anderes. Doch ob auch unsere Kelche wohl noch einmal vorübergehen?

Im Jahr 2018 sollte uns die ein oder andere Ablenkung eigentlich genügen – warum genügt sie uns nicht? Warum nur lassen wir Kinder wie Trump nicht einfach in den Wrestling-Ring steigen oder die Berlusconis dieser Welt ihre Bunga-Bunga-Partys feiern? Warum schenken wir ihnen auch noch Regierungsämter? Ist unser Alltag so furchtbar langweilig, dass wir sogar auf der Ebene der höchsten Exekutive das »Spiel mit dem Feuer« wählen, das uns Trump in beispielloser Offenheit vorführt? Zu Zeiten Caligulas und Neros war es die Fackel, die eine Stadt in Schutt und Asche legen konnte, zu Zeiten des ewigen Bubenkaisers Wilhelm II. war es die »Dicke Bertha«, die eine ganze Kompanie junger Franzosen zerfetzen konnte, heute jedoch ist es die Atomtechnologie – womit das Leben dann zu Ende wäre. Zwei bereits nicht mehr besiedelbare Areale in der Ukraine und in Japan sollten als Warnung genügen, dass wir definitiv in einer anderen Liga angekommen sind. Zweiunddreißig Jahre nach Tschernobyl muss das Fleisch von Wildschweinen im Tessin noch immer auf zu hohe Dosen Radioaktivität untersucht werden, bevor es zum Konsum freigegeben wird. Und Tschernobyl ist eine Knallerbse verglichen mit den atomaren Potenzialen, die heute in der Welt sind. Bei allem Respekt für das schreckliche Leid der Bevölkerung Hiroshimas und Nagasakis – doch auch die Bomben, die auf diese beiden Städte fielen, waren Knallerbsen. Ein einziger Sprengkopf der Tausenden von Mehrkopfraketen, die heute rund um den Globus installiert sind, würde ein Mehrfaches anrichten.

Sind diese Zeichen, diese toten Brachen zu eindrücklich, dass wir sie so verdächtig schnell ausblenden? Rührt daher unsere Naivität und Schläfrigkeit beim Thema Abrüstung, von der heute kaum mehr die Rede ist? Gestern hat der Bundesrat beschlossen, den Vertrag zum Atomwaffenverbot nicht zu unterschreiben, weil sich die Schweiz damit in einem Konfliktfall den Schutz verspiele, den die Abschreckung durch die Atommächte gewährleiste. Was für ein Schutz bei einem atomaren Konfliktfall sollte das sein?

Oder ist es Panikmache, was ich hier schreibe? Meine private Paranoia? Koketterie mit der Apokalypse? Die Geschichte der Möglichkeit ultimativer Vernichtung seit dem Kalten Krieg lehrt leider unmissverständlich etwas anderes. Es ist allein einer glücklichen Serie von Zufällen zu verdanken, dass es belegbare zwanzig Mal nicht schon geschehen ist. Die Kubakrise im Oktober 1962 ist nur eine davon. Fehlte nur noch ein Zufallsgenerator als Chef der US-Streitkräfte, fehlte nur noch ein Trump!

Und hat tatsächlich keiner der Fans von rabiaten Populisten wie Trump schon davon gehört? Dass Kindmänner vor allem im Echoraum der populistischen Lager zu finden sind, ist leicht einzusehen, wollen sie doch die Welt so einfach haben wie «mein und nicht dein«, und wollen sie doch stets nur ihren eigenen Namen hören – wenn nicht mehr von Mama und Papa, dann eben von uns allen. Und da wir Wähler selbst Kinder geblieben sind, wollen wir uns fortwährend vergewissern, dass sie noch da sind, Mama und Papa, sie können nicht oft genug Laut geben. Insofern werden wir gut bedient. Ist Trump also ein Produkt unserer Verkindlichung während dieser anhaltend »fetten Jahrzehnte«, wo die Einkommensschere zwar aufgeht, aber selbst am unteren Ende noch Spielraum übrig lässt für Spekulationen? Ist Trumps bizarre Darstellung lediglich die Einladung zum »totalen Comic«? Mit Donald im Disneyland? Soll alles nicht so ernst gemeint sein, gerade weil es ernster nicht sein könnte?

Mit diesem protokollartigen Text – ausgehend vom Wahltag eines dieser Kindregenten ein Stück weit die Strecke hinab zu dessen politischem Ende – wollte ich mir zunächst einmal selbst klar darüber werden, warum es in der Nacht vom 8. auf den 9. November 2016 allen Ernstes heißen konnte: »Gewählt ist Donald Trump.« Das war der vielleicht folgenreichste Satz der Menschheitsgeschichte. Denn mit der Absetzung dieses Kindes wäre das Unheil noch lange nicht abgewendet, die finsteren und dubiosen Claqueure seines Hofes warten nur darauf, ihm nachzufolgen. Doch wenigstens hätten wir es dann mit dem berechenbaren »Bösen« zu tun, nicht mit einem unbeherrschten Kind.

Vor 1945 hätte ich wohl gedacht, Ideologen wie Hitler, Stalin und Konsorten, also bösartige Menschen mit einem Plan, seien schlimmer als ein konzeptloses Kind wie Trump, das sich immerhin von einer bislang nicht aushebelbaren starken Verfassung in die Schranken gewiesen sieht. Mein Gott, ja, man hat schon andere Präsidenten erlebt, und die Vereinigten Staaten gibt es immer noch. Richtig. Nur heute ist die Gefahrenlage, wie zweifelsfrei zu beweisen ist, eine fundamental andere. Auch wenn die alltäglichen Lebensumstände der Amerikaner nach anderthalb Jahren Trump vermutlich nicht so anders sind wie unter dem verständnisvollen Obama – zufällig und teilweise dank diesem vielleicht sogar besser –, kann ich Beschwichtigungen nicht gelten lassen. Die Vorstellung eines Kindes an den Knöpfen des Cockpits lässt mich trotz Entertainmentpakets nicht in Ruhe Passagier sein. Wir diskutieren über Blumenkistchen und über den neu anzuschaffenden Fernseher, und im Keller des Hauses spielt ein Kind mit Zündhölzchen an der Gasleitung herum.

Wenn wir es wenigstens nicht wissen könnten! Aber wir wissen es! Und das Kind hat es sogar angekündigt! In Max Frischs Stück Biedermann und die Brandstifter sagt einer der letzteren sinngemäß: Am besten du sagst die Wahrheit, die glaubt niemand. Nicht nur glauben wir sie nicht, wir wollen sie gar nicht wissen. Wir haben natürlich das Recht, gewisse Dinge nicht wissen zu wollen. Wollen wir aber wirklich so weit gehen, wenn nachweisbar Sein oder Nichtsein davon abhängt? Trump lügt rund um die Uhr, aber in einem ist er authentisch und wahr: in seiner kindlichen Unberechenbarkeit. Anlässlich seines Englandbesuchs im Juli 2018 ließen Demonstranten einen riesigen Ballon steigen: Trump als Baby mit Handy. Stimmt, mehr ist er nicht. Er zeigte sich als Kind vor der Nomination zum Präsidentschaftskandidaten, er zeigte sich als Kind während des Wahlkampfes, es wurde das Kind gewählt und mit Zündhölzchen ausgestattet, es wurde ihm der Gaskeller gezeigt und erklärt, es wurden ihm die Schlüssel ausgehändigt, und nun spielt es herum, mal im Haus, mal im Garten, mal im Gaskeller und twittert beliebig in die Welt hinaus, an was es gerade so herumspielt. Wäre es doch bloß eine Metapher …

»Gewählt ist Donald Trump« – nach all dem, was man über diesen schillernden Egomanen seit Jahrzehnten hätte wissen können! Man kann sich nicht genug wundern. Er war ja nicht das bislang unbekannte Kind einer Herrscherdynastie, das Familienmitglieder oder korrupte Minister zwecks Machterhalt von einem Tag auf den anderen auf den Thron hievten, je unmündiger, desto besser. Dem Gebaren dieses spielsüchtigen Kindes hätte man seit Langem zusehen können: auf Schönheitswettbewerben, bei Wrestling-Shows, im Fernsehen, wo es nur darum ging, erst hoffnungsvoll gemachte junge Leute brutal wieder zu feuern, werde aus ihnen, was wolle – eine römische Arena der psychischen Art, Menschen werden in Trash-Formaten schamlos vorgeführt wie Zootiere, ja, diese leben in ihren Gehegen sogar noch würdiger. Sind wir so stumpf geworden, dass alles geht, Hauptsache, die Quote stimmt? Schon eine Liste der Stationen seines Aufstiegs zur Berühmtheit hätten doch genügen müssen, um Trump jegliche moralische Kompetenz für ein politisches Amt abzusprechen, diesem Kind des Anfängerglücks, diesem Großmaul, diesem Weltmeister des Schuldenmachens, diesem Prototyp des ugly american. Aber nein, genau der soll unser Schicksal bestimmen! Unser aller Schicksal.

Leider unser aller Schicksal. In der heutigen Welt der Vernetzung gibt es kein Sie und Wir, keine unberührten Areale mehr. Ob im Zentrum oder an der Peripherie – wo immer man das Netz antippt, es erzittert als Ganzes. Wo immer heute ein Kind ins Cockpit gelassen wird, taumeln wir alle. Washington ist Bern, Wallisellen, Tokio, Bellinzona, Helsinki. In vielem hat das jedes Kind schon begriffen, nur erkennen wir offenbar Kinder nicht, wenn sie im Nikolauskostüm daherkommen und lauter Süßigkeiten versprechen, bis die Rute der Ernüchterung auf uns niedersaust.

Man muss ein gestandener Politiker sein, kreuzdumm oder größenwahnsinnig, um sich für den Job als Präsident der Vereinigten Staaten zu bewerben. Und der Hindernislauf namens Wahlkampf, wie bizarr und durchsichtig auch immer, bietet wenigstens die Gelegenheit, sich die Kandidaten hinlänglich anzuschauen. Es ist nicht einfach dumm gelaufen, wie es eben in einer Demokratie passieren kann. »Kinder wählen« muss augenscheinlich System haben. Wählen doch Argentinier nach jeder Staatspleite zuverlässig wieder Schönheitsköniginnen und Playboys, die es richten sollen, Venezolaner ihre Robin Hoods, die Philippiner einen Lucky Luke, der schneller schießt als sein Schatten, werden ständig Fußballspieler und Bodybuilder aufgestellt, wird selbst nach den Erfahrungen mit dem Clown Berlusconi der Clown Beppe Grillo auf den Schild gehoben. Haben uns alle guten Geister verlassen? In einem politischen System wie dem der Vereinigten Staaten mit seinen vielen Hürden muss es erst recht Kalkül gewesen sein, explizit ein Kind statt eine erwachsene Frau ins höchste Amt zu heben. Schon darum geht es nicht um Trump allein. Jeder extreme Egomane, noch der offensichtlichste, würde erreichen wollen, was er erreichen kann.

Man hat nicht einen Präsidenten gewählt, sondern Unterhaltung auf Alarmstufe Rot. Und Trump heißt nicht Trump, sondern Wählerwille. Die bekannten Fehler, die man der erfahrenen Gegenkandidatin mit Recht anlasten konnte, hätte man wenigstens gekannt, der Schaden, den ein Kind mit Vorschlaghammer in einem Glashaus zwangsläufig anrichten muss, wird jedoch mit Schadenfreude und Häme erwartet.

Also muss es Spielsucht sein – aufgrund materieller Verelendung und bodenloser provinzieller Langeweile, allen Arrivierten im urbanen Schonraum zur Strafe. Spielsucht, nun eben auch noch auf der höchsten Ebene, wo Spielereien definitiv nicht mehr hingehören. Aber nein, es ist egal, was passiert, solange immer wieder eine weitere Runde folgt, eine weitere Eskalation, ein neuer Tweet: »Wollt ihr das totale Spiel? Spannender als ihr es euch überhaupt vorstellen könnt? Hauptsache, es geht den Eliten an den Kragen? Durch einen, der elitärer nicht hätte aufwachsen können?« Man hätte in dieser Wahlnacht, als es immer enger wurde, meinen können, dem Land seien die Drogen ausgegangen, Las Vegas hätte die Kontrolle übernommen. Tatsächlich soll der Drogenkonsum in den letzten Jahren in Gebieten der unbeirrbarsten Trump-Fans epidemisch angestiegen sein. Warum sollten entsprechende Lobbys auch etwas dagegen haben, solange die Kohle stimmt. Auch Gefängnisaktien sind begehrt. Und wer darf die Zäune und Mauern bauen, die Populisten welchen Lagers auch immer so lieben? Wer die zerbombten Brachen wiederaufbauen? Die Geschäftslogik ist eine andere. Populisten werden beileibe nicht nur von Verlierern gewählt.

Nicht einer der bisherigen Politiker, lieber ein neuer, wenn auch noch wenig erfahren – das kann man verstehen. Aber doch kein Kind, dass nichts anderes im Sinn hat, als Schaden anzurichten, wahllos fragile Strukturen zu zerstören, für die man eben noch einstand und die Generationen von mutigen, gescheiten Leuten unter Einsatz ihres Lebens geschaffen haben, damit dank der Gewaltenteilung Despotie endgültig der Vergangenheit angehört!

Es sind viele einleuchtende Gründe genannt worden, warum dieser Donald Trump ins Amt kam, Statistiken und Analysen gibt es zuhauf. Und trotzdem will mir scheinen, kam und kommt in den beispiellos kindlichen Wahlkämpfen in den USA und in vergleichbaren Situationen auf der ganzen Welt ein Element ins Spiel, das sträflich zu wenig gewürdigt wird, weil es nicht nur unter der Maske des Kindes, sondern tief im Dunkeln von uns allen lauert, und auf den ersten Blick vielleicht fremd anmutet: etwas wie »Vorwegnahme des immer möglichen Schrecklichsten«, etwas wie »Mitnahme in den zwangsläufigen Verlust«, etwas wie »Wenn schon ich, dann alle«, etwas wie »Im allgemeinen großen Desaster wird meines nicht erkannt werden«, etwas wie »Wenn das Ziel in die Luft fliegt, muss ich mich gar nicht erst aufraffen« – um nicht das zu vermuten, was Freud mit seinem umstrittenen »Todestrieb« gemeint haben mag. Man könnte es auch Koketterie mit Mitnahmesuizid nennen. Das haben wir alles schon gehabt, nicht nur in den Jahren nach 1933, umso erstaunlicher, dass es ausgeblendet wird. Oder gerade darum?

Fürchten sich Kinder vor Clowns, und faszinieren Kinder Clowns, weil sie ihnen wie der Struwwelpeter und Grimms Märchen ihre eigenen Ambivalenzen und Schatten vorführen? Schrecken Märchen nicht vor Morden zurück, weil das Böse nicht grausam genug abgestraft werden soll? Warum schaffen es gerade gewisse Staaten der angeblich Vereinigten nicht, die archaische Hinrichtung abzuschaffen, und mit ihr die Koketterie mit Lynchmorden? Wie oft benutzen auch wir das kostbare Wahlrecht viel mehr um pauschal abzustrafen, als um zu wählen? Warum können auch wir nur selten das Bessere im Sinne des Gemeinwohls vorziehen, auch wenn es von einer anderen Partei angeboten wird? Wie lange hält uns das pauschale Links-Rechts-Denken noch gefangen, wann geben wir dem kompetenteren Kandidaten den Vorzug, egal welcher Couleur? Warum haben so viele üblicherweise besonnene Republikaner der vormals stolzen Grand Old Party trotz allem ihren eigenen Kasper gewählt, statt das Kreuz einfach mal bei der Kandidatin der anderen Partei zu machen, was null Courage abgefordert hätte? Hinter dem Vorhang hätte es ja nicht einmal jemand gemerkt. Warum haben die Demokraten es nicht geschafft, ihre eitlen Grabenkämpfe zu beenden und dieses Kind auf seinen Kindersitz zu verweisen?

Wie haben Frauen diesen offensichtlich Frauen verachtenden Rüpel wählen können? Bibeltreue diesen garantiert uneinsichtigen Sünder? Muss man spätestens hier nicht stutzig werden und die Gründe für seine Wahl auf einer tieferen Etage suchen? Warum hat diese Wahl anfänglich selbst die Lobbys erschreckt, die Börsianer in Panik geraten lassen, die Generäle entsetzt? Was verrät uns diese insgeheime Affinität zum Dunkeln, zum Risiko, auch wenn sie unseren so heiligen Überzeugungen diametral widerspricht? Und wo anders soll man den Schlüssel suchen, wenn er im Licht nicht zu finden ist? Wie viel stärker ist das Stammhirn als der Denklappen, den wir so eloquent abzuquälen verstehen, der ganze Bibliotheken füllt, ohne dass ihre Besitzer weiser werden? Könnten wir unseren Verstand nicht wenigstens dann bemühen, wenn es um unsere wichtigsten Bedürfnisse geht? Warum verfallen selbst Intellektuelle, Philosophen, Redaktoren so leicht dem Charisma primitiver Populisten aus aller Welt? Nibelungentreue bis zum Vernichtungskrieg? Als ob nicht ein blindes Huhn, gerade weil es blind ist und nicht pickt, wo Hühner picken würden, zufällig den dicksten Wurm ergattern könnte. Selbst wenn Trump aufgrund von Zufallserfolgen ein zweites Mal gewählt würde, was würde das ändern? Selbst wenn er als der zwar skurrilste, aber auch erfolgreichste Präsident der Vereinigten Staaten in die Geschichte einginge, würde das nichts ändern. Im Gegenteil, es würde andere Amateure und Egomanen ermuntern, es ihm nachzutun, und ihre Wähler noch mehr verblenden, als sie ohnehin schon sind.

Tatsache ist, wir wählen zweitausend Jahre nach den Dekadenzkaisern Roms immer noch »Stiefelchen« und »Raketenmänner« statt besonnene, von mir aus langweilige Verwalter größtmöglichen Bürgerwohls. Allein herrschen wollen, wie Kinder in der ersten Phase der Pubertät, ist ein Zeugnis der Unreife. Erwachsene wissen um die Relativität von Entscheidungen und hören auf Berater. Das intelligenteste Instrument der Geistesgeschichte, die Gewaltenteilung, verachtende, nach Alleinherrschaft strebende Popanze haben doch im Kindesalter einfach zu wenig Sand im Kasten gehabt. Das ist bedauerlich. Aber wir sollten uns zu schade sein, ihre Nacherziehung zu übernehmen. Dafür sollten uns die mit größter Mühe und Courage errungenen demokratischen Instrumente zu kostbar sein.

Erdogans, Berlusconis, Trumps gehören in eine Therapiegruppe oder auf harmlosere Spielplätze verwiesen. Eine derart komplexe und fragile Weltgemeinschaft, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten in schwindelerregendem Tempo herausgebildet hat, gehört von verantwortungsbewussten Fachleuten geleitet. Politiker sollten ihren Job tun und nicht Clowns sein wollen. Für Zirkus bezahle ich gern extra, andersherum kommt es teurer. Es kann sogar das Leben kosten.

Um nicht weniger geht es heute bei der Politik als Unterhaltung, als Abrechnung, sie liefert eben Spiel statt Brot. Klimawandel, Vernichtungskriege, drohende Handelskriege, digitale Manipulation, all das darf nicht weiter Pokerspielern wie Trump überlassen werden, die bei Projekten unabsehbarer Tragweite allein nach der eigenen Quote schielend den Daumen nach oben oder nach unten zeigen, obwohl sie rein gar nichts verstehen.

Soll die Spannung etwa noch weiter steigen? Ich kann zu keinem anderen Schluss kommen.

Bis zum 16. Juli 1945, dem Tag des ersten Atombombentests der Geschichte unseres Heimatplaneten Erde, waren die Launen und Spektakel der Kindregenten immerhin zu überleben, ihr Einfluss war regional begrenzt, ihre Unreife einigermaßen zu kanalisieren. Die Spiele verliefen vergleichsweise harmlos, sie waren als eine Gratisablenkung vom monotonen Alltag zu verstehen – man pilgerte zu öffentlichen Hinrichtungen oder lauschte den Drohungen der selbst ernannten Priesterkaste, um vor dem Höllentor wohlig zu erschaudern. Caligula verspottete den Senat, indem er vorschlug, seinem Lieblingspferd Incitatus, mit dem er in den intimsten Räumen seines Palastes zusammenlebte wie mit einer Frau, auch noch die Konsulswürde zu verleihen. Der Senat war bloßgestellt, die Massen jubelten – und Rom gibt es immer noch. Wenn jedoch heute die Trumps und Berlusconis Models und Teenager in die heiligsten Räume der Nation berufen statt gestandene Frauen und Männer, steht weit mehr auf dem Spiel, insofern erleben wir sogar noch groteskere Zeiten als die Römer damals mit Incitatus. Denn wer wird das zu Empathie unfähige, mächtigste Kind der Weltgeschichte ausbremsen, wenn es in seinem Stolz gekränkt und rot vor Wut vollends den Verstand verliert und selbstverliebt die »Roten Knöpfe« streichelt, so wie Charlie Chaplin 1940 in seinem legendären Film Der große Diktator Hitler imitierend mit der Weltkugel spielte?

Seit dem 16. Juli 1945, und erst recht nach dem Abwurf der Little Boy getauften Atombombe über Hiroshima und dem Grauen, das sie brachte, hätte es nicht noch einmal passieren dürfen, nicht ein einziges Mal, dass Kinder auch nur annähernd an einen der »Roten Knöpfe« herankommen. Für Trump, der sie freudestrahlend nukes nennt, sind sie Spielzeuge, nicht mehr, ihre Konsequenzen hat er nicht im Blick.

Heute haben wir den größten Kindskopf der letzten hundert Jahre vor Augen, der vor Kurzem aus einer beliebigen Morgenlaune heraus um ein Haar eine atomare Konfrontation herangezwitschert hat. Ich biete euch Twitter und nukes – warum macht ihr nicht alle mit? Und siehe da, wir tun es! Wir würden es auch bei jedem anderen Spieler tun. Es geht nicht um Trump, es geht darum, warum wir Politik mit einem Comic verwechseln, es geht um ein reales Damoklesschwert, dessen Faden in einer Geschwindigkeit ausfranst, dass wir schon gar nicht mehr nach oben sehen wollen.

Statt die uns vielleicht noch verbleibende Zeit mit Spielen zu verplempern, sollte es doch eigentlich nichts Dringlicheres geben, als alles in unserer Macht Stehende zu unternehmen, diese größte menschengemachte Gefahr aller Zeiten abzuwenden. Oder wird es etwa allein von einer Pornodarstellerin abhängen, ob Trump fällt oder nicht? Von einem Spermafleck? Von einem war for Monica wie bei Clinton, der Bomben auf beliebige Ziele in Sudan und Afghanistan abwerfen ließ, um von der unendlichen Peinlichkeit seiner Sex-Affäre abzulenken? Ließe uns das zuversichtlicher in die Zukunft blicken?

Was diskutieren die Parlamente, was diskutiert der Weltsicherheitsrat Wichtigeres als die Notwendigkeit, Kindern die Atomtechnologie aus der Spielkiste zu nehmen? Gehörten Debatten über Kopftücher im öffentlichen Raum oder über Häute von Nationalwürsten, wie sie die Schweizerischen Parlamente und Fernsehrunden bereichern, nicht in die Kantinen verwiesen? Der Vorwurf, dies seien bewusste oder insgeheime Ablenkungsmanöver von den größeren Zugriffen auf unser Eingemachtes, wie sie die mächtigen Lobbys und Player in den Wandelhallen der Parlamente betreiben, sei dahingestellt. Der Effekt ist derselbe: Es wird nicht das Wichtigste debattiert, weder in der UNO noch in Kongress und Senat noch in der Duma noch im Nationalen Volkskongress noch in der Knesset noch im Parlament von Burundi noch im Schweizerischen Bundeshaus: Nämlich wie die Verfassungen zu ändern wären, damit einzelne Menschen nie mehr über Sein oder Nichtsein biologischen Lebens zu bestimmen haben.

»Was ist das Wichtigste in ihrem Leben?«, wurde bei einer Umfrage kürzlich ein Passant gefragt: »Nicht sterben«, sagte dieser und ging weiter. Das ist doch auf Anhieb zu verstehen! Wir haben die Syphilis, die Tuberkulose, die Pest weltweit hinreichend unter Kontrolle gebracht, sind aber unfähig, einem halben Dutzend Männern das Belieben zu verbieten, die Auslöschung des gesamten Menschengeschlechts inklusive des größten Teils der Flora und Fauna einzuleiten. Kaum etwas anderes würde dereinst Archäologen eines fremden Planeten mehr erstaunen als dieses Paradoxon: die Selbstauslöschung der eigenen Population ohne jede Notwendigkeit. Alles, was kreucht und fleucht, ja sogar die tote Materie windet sich mit aller verfügbaren Energie aus Gravitation und Abhängigkeiten heraus, nur der Mensch legt sich allen nicht zu verstehenden Ernstes selbst Fesseln an, quält sich sinnlos, sogar im Liebesspiel, provoziert unnötig seine eigene Auslöschung und nennt es auch noch Freizeit, ergötzt sich an Mord und Totschlag, Film genannt, als würde er es am liebsten selbst tun, wenn er dürfte.

Es muss »gute Gründe« geben, warum Menschen in ihrem »Geworfen-Sein« auf diesen eher unwirtlichen Planeten einen gewissen Hang zu Masochismus und Selbstauslöschung entwickeln. Es muss mit unserer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis zu tun haben, die allem Anschein nach nur uns Menschen in einem Maß gegeben ist, dass wir an uns selbst verzweifeln können und wohl deshalb –von der Masse mitgerissen erst recht – immer wieder irrational handeln, auch wenn es unseren vitalen Bedürfnissen diametral widerspricht.