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STAR TREK

RISE
OF THE
FEDERATION

Interferenz

Christopher L. Bennett

Based on
Star Trek
created by Gene Roddenberry
and Star Trek: Enterprise
created by Rick Berman & Brannon Braga

Ins Deutsche übertragen von
Bernd Perplies

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Original English language edition copyright © 2017 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

Für die Verteidiger der Wahrheit

Inhalt

2165

PROLOG

2166

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

EPILOG

DANKSAGUNGEN

»Es ist unser oberstes Gebot,
uns nicht in fremde Kulturen einzumischen.«
– Jean-Luc Picard, 2366

»Es kann keine Gerechtigkeit geben,
solange Gesetze absolut sind.«
– Jean-Luc Picard, 2364

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2165

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9. Dezember 2165
San Francisco

Diesmal hatte es keine Paraden gegeben.

Zweimal zuvor in seinem Leben war Malcolm Reed von ausgedehnten Tiefraummissionen heimgekehrt und mit Feiern begrüßt worden, die die erfolgreiche Arbeit würdigten, die er und seine Mannschaftskameraden von der Enterprise zur Verteidigung der Menschheit geleistet hatten. Das erste Mal war 2154 nach dem Ende der Xindi-Mission gewesen, das zweite Mal sechs Jahre später, nachdem die Schlacht von Cheron den Triumph im Krieg gegen die Romulaner herbeigeführt hatte. Beide Male war sein Schiff in der finalen Konfrontation stark beschädigt worden, und es hatte heldenhafte Opfer gegeben. Aber immerhin hatten Reed und seine Kameraden, als sie wieder einen Fuß auf die Erde setzten, das deutliche Gefühl gehabt, dass ihre Mühen den Preis wert gewesen waren – denn allein die Tatsache, dass es noch eine Erde gab, auf der man stehen konnte, und eine freie Menschheit, mit der man sie zu teilen vermochte, bedeutete, dass ihre Mission erfolgreich gewesen war.

In diesem Fall allerdings hatte es keine jubelnden Mengen und keine Trauben an Reportern gegeben, die sie begrüßten, als Captain Reed und die Besatzung der U.S.S. Pioneer gemeinsam mit Captain T’Pol und der Mannschaft der Endeavour zur Erde heimgekehrt waren. Es hatte bloß Fragen und Schuldzuweisungen gegeben – tagelange Einsatznachbesprechungen im Sternenflottenhauptquartier, während denen jede Handlung der Einsatzgruppe, die Reed gegen die räuberische, autonome Technologie genannt die Ware ins Feld geführt hatte, hinterfragt und seziert worden war, um herauszufinden, warum die Mission derart schiefgelaufen war.

»Eine Feier hätte ich ja gar nicht gewollt«, sagte Reed nun zu der rothaarigen Frau, die neben ihm am Tresen des 602 Clubs saß. »Ich wollte immer nur meine Pflicht gegenüber der Sternenflotte erfüllen.« Er nahm einen Schluck seines jüngsten Bieres, das Schaum auf seinem ergrauenden Bart zurückließ.

Die große, gut aussehende Frau nickte verständnisvoll, und Reed war noch nüchtern genug, um sich daran zu erinnern, dass sie sich ihm als Sternenflottencommander vorgestellt hatte, obwohl ihm der Name, der dem Rang gefolgt war, partout nicht mehr einfallen wollte. »Es hat Ihnen einfach nicht gefallen, daran erinnert zu werden, dass es diesmal nicht so gut gelaufen ist«, sagte sie.

»Die Einsatzgruppe hat vielen Leuten geholfen«, brummte er. »Wir haben Dutzende von Welten und Völkern vor der Ausbeutung durch die Ware bewahrt. Die Menaik, die Vanotli, die Balduk und mehr. Sie alle können jetzt frei leben und sind nicht länger der Gnade geistloser Maschinen ausgesetzt, die ihre Hirne als Ersatzteile verwenden.«

»Und jetzt ist die Ware fort. Sie wird nie wieder für jemanden eine Gefahr darstellen.« Die Rothaarige zuckte mit den Schultern. »Schön, am Ende haben die Klingonen dafür gesorgt, und sie sind nicht gerade zimperlich vorgegangen.

Jetzt haben sie den ganzen Sektor erobert, der vorher von der Ware kontrolliert wurde. Aber das alles ist beileibe nicht Ihr Fehler. Als die Klingonen kamen, hatten Sie keine andere Chance, als sich zurückzuziehen.«

Reed schüttelte den Kopf. »Nein, Sie verstehen das nicht. Es war alles viel komplizierter. Wir haben Fehler gemacht. Wir handelten in guter Absicht, keine Frage, aber wir haben uns in etwas eingemischt, das wir nicht verstanden haben, und so diese ganze Kette an Ereignissen ausgelöst.« Er wollte noch mehr sagen, doch selbst eingehüllt in den Nebel einer leichten – na schön, mehr als leichten – Trunkenheit erinnerte er sich an seine Pflicht. Er vergaß nie seine Pflicht. Es gab viele Details des Zwischenfalls, über die nicht öffentlich gesprochen werden durfte, nicht einmal in der Lieblingsbar der Sternenflottenelite.

Die Frau schien trotzdem zu begreifen, worum es ging. »Ich verstehe. Deshalb begeistert sich Admiral Archer plötzlich dermaßen für diese vulkanisch anmutende Nichteinmischungspolitik und erzählt allen, wir sollten unsere Finger von den Problemen anderer Leute lassen, um sie nicht noch schlimmer zu machen.«

Reed musterte sie – eine durchaus angenehme Tätigkeit. »Sie klingen nicht überzeugt.«

»Das bin ich auch nicht. Aber mein Captain war noch nie ein Fan von Archers Philosophie der Zurückhaltung. Er glaubt, dass es unsere Pflicht ist zu helfen, wo wir können.«

»Und was denken Sie?«

»Ich denke, dass wir auf diese Weise einer Menge Welten geholfen haben. Aber ich will nicht leugnen, dass es ein paar Fälle gab, bei denen sich die Dinge nicht ganz wie erhofft entwickelt haben. Auf Sauria beispielsweise.« Sie blickte zur Decke. »Als meine Besatzung dabei half, diplomatische Beziehungen herzustellen, hatten wir keine Ahnung, dass ein zweitklassiger Diktator wie Maltuvis unser Handelsabkommen keine drei Jahre später ausnutzen würde, um einen planetaren Eroberungsfeldzug zu starten.«

»Oh, richtig«, sagte Reed, der sich nun erinnerte. »Sie sind von der Essex – Bryce Shumars Schiff.«

»Sie haben mir schon zugehört, oder?«

»Absolut, Cath… Caroline.« Gemeinsam mit der Erinnerung an die Essex war auch das Wissen zurückgekommen, dass der Erste Offizier des Schiffs Caroline Paris hieß. »Aber ich glaube, Sie haben mir nicht erzählt, was Sie hier auf der Erde machen. Habe ich nicht irgendwo gehört, dass Ihr Schiff in die Nähe der klingonischen Front versetzt wurde?«

Paris grinste. »Das stimmt: Sternenbasis 12. Aber wir haben bei der Evakuierung von Ardan IV ganz schön was abgekriegt. Die Reparaturen dauern eine Weile, sodass uns Admiral Narsu über die Feiertage freigegeben hat.«

»Ardan«, wiederholte Reed kopfschüttelnd. »Ich dachte, meine Einsatzgruppe hätte schon eine Menge Zerstörung im Raum der Ware gesehen, aber das …«

»Ja. Zeuge zu sein, wie ein ganzer Planet zu Schlacke geschossen wird …« Sie schauderte. »Ich habe noch immer Albträume davon. Wir haben die Bevölkerung zwar rechtzeitig vom Planeten runtergeschafft, aber, nun ja, Tiere können auch leiden. Ein ganzes Ökosystem, einfach so ausgelöscht.« Einen Augenblick lang schwieg sie verbittert, dann nahm sie einen Schluck ihres Drinks, um sich zu sammeln. »Glücklicherweise haben die Klingonen eingelenkt, ansonsten hätten sie vielleicht noch versucht, der Erde oder Alpha Centauri das Gleiche anzutun.«

Reed unterdrückte jede Reaktion. Er gehörte zu den wenigen, die wussten, dass die Klingonen ihre Invasionspläne nur deshalb auf Eis gelegt hatten, weil hinter den Kulissen ein fragwürdiger Handel mit einer geheimen Gruppierung ehemaliger Sternenflottenangehöriger geschlossen worden war, die ohne offizielles Mandat agierte – und sich kein bisschen für den furchtbaren Preis interessierte, den eine andere Zivilisation für die Sicherheit der Föderation hatte zahlen müssen.

Paris streckte die Hand aus und berührte die seine. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht noch mehr runterziehen. Wissen Sie was? Lassen Sie uns über etwas Angenehmeres reden.«

Er lächelte. Die Wärme ihrer Hand auf der seinen bewirkte wahre Wunder, was seine Stimmung anging. »Einverstanden. Mal sehen. Hm. Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche guten Filme angeschaut?«

»Tatsächlich bin ich ein großer Filmfan. Aber ich war eine ganze Weile nicht mehr auf der Erde, deshalb hatte ich keine Gelegenheit, mir die neusten Werke anzusehen.«

»Geht mir genauso«, erwiderte Reed. »Ich wollte unbedingt noch Die singenden Schwerter von S’harien sehen.«

Paris’ Griff um seine Hand verstärkte sich einladend. »Dieses neue Bollywood-Epos über das vorreformatorische Vulkan?«

»Genau das.«

Sie lachte. »Antike vulkanische Krieger, die sich in ausufernden Gesangs- und Tanznummern ergehen. Ich habe gehört, dass Kommissar Soval den Film absolut hasst.«

»Das klingt für mich nach einer echten Empfehlung.«

»Meinen Sie, wir erwischen irgendwo noch eine Spätvorstellung?«

»Finden wir es heraus!«

Reed folgte Caroline aus dem Club, seine Hand noch immer leicht in der ihren. Er hatte nicht erwartet, dass so etwas in dieser Nacht passieren würde – oder überhaupt in irgendeiner Nacht in absehbarer Zukunft. Doch da war es, und er nahm sich vor, den gemeinsamen Moment voll und ganz auszukosten.

12. Dezember 2165
U.S.S. Pioneer NCC-63

Als Samuel Kirk das Quartier von Valeria Williams betrat, war sie gerade damit beschäftigt, eine mittelgroße Reisetasche zu packen. »Hey!«, begrüßte er sie. »Du nimmst nicht viel mit, hm?«

»Sternenflottenkind. Ich reise mit leichtem Gepäck.« Die drahtige Waffenoffizierin zog ihn mit einer Kraft in ihre Arme, die Sam gleichermaßen einschüchterte und erregte, und binnen Sekunden verlor er sich in ihrem innigen Kuss. »Abgesehen davon«, sagte sie, als sie ihm Gelegenheit zum Luftschnappen gab, »dachte ich, dass es ganz in deinem Sinne wäre, wenn wir während unseres Landurlaubs so wenig wie möglich am Leib tragen.«

»Grundsätzlich habe ich da absolut nichts gegen«, erwiderte der blonde Historiker grinsend, »aber es dürfte ein recht langer Landurlaub werden, nun, da die Generalüberholung ansteht. Wir können ihn nicht komplett nackt verbringen.«

»Wir können es versuchen«, sagte sie und zog ihn für einen weiteren Kuss an sich. Doch nur Augenblicke später überraschte er sie mit einem herzhaften Gähnen. »Hey!«

»Entschuldige. Das sollte kein Kommentar zu deiner Technik sein«, sagte er und strich ihr eine Locke ihres kastanienbraunen Haars aus der Stirn. »Diese Nachbesprechungen sind dermaßen ermüdend. Sie haben mich eine Ewigkeit reden lassen. Über all die Welten, die wir dort draußen entdeckt haben, wie die Ware sie beeinflusst hat, was ich über ihre Geschichte vor und nach …« Er brach ab.

»Es ist nicht gerade angenehm, sich daran erinnern zu müssen, nicht wahr?«

»Und wir sind noch nicht mal bis zur Partnerschaft gekommen. Das wird richtig übel werden.«

»Ich weiß.« Val hielt ihn fester. Sam entspannte sich in ihrer Umarmung. Er konnte sein Glück immer noch kaum fassen. Seit er sie vor zweieinhalb Jahren kennengelernt hatte, hatte er davon geträumt, mit Val Williams zusammen zu sein. Sie war schön und stark, tapfer und heldenhaft und umwerfend sexy – und, so hatte er zumindest gedacht, komplett außerhalb seiner Liga. Es kam einem Wunder gleich, dass sie aus irgendeinem Grund begonnen hatte, seine Zuneigung zu erwidern, und das auf eine Weise, die genauso wild, aufregend und schweißtreibend war, wie er es sich erträumt hatte. Doch es waren diese stilleren Momente, in denen sie ihn mit ihrer sanften Stärke umsorgte und behütete, die ihm wichtiger als alles andere geworden waren. Denn ungeachtet all ihrer puren Leidenschaft und Aggressivität, all ihrer Talente im Kampf, war es Vals unendliche Fähigkeit zur Empathie und Güte, die sie als Sicherheitsoffizier und Mensch ausmachte.

Eine Weile lang hielt ihn Val einfach fest und nahm seine Erschöpfung hin. Doch dann wurde sie frecher und bat ihn, ihr dabei zu helfen, ihre Dessous für die Reise einzupacken. Das führte dazu, dass Val ihm verschiedene Dessous präsentierte, was wiederum dazu führte, dass Sam ihr dabei half, diese an- und auszuziehen, und zuletzt bloß noch, sie auszuziehen, und die darauffolgende Stunde gestaltete sich wild, aufregend und schweißtreibend. Als sie fertig waren, kuschelten sie sich auf einem hoffnungslos zerwühlten Haufen ihrer Kleider aneinander. »Das ist keine effiziente Art zu packen«, bemerkte sie trocken, und sie lachten beide.

»Also, wen möchtest du zuerst besuchen?«, fragte er. »Deine Leute oder meine?«

Sie zögerte. »Sind wir schon in der Leute-treffen-Phase angelangt?«

Sam blickte sie besorgt an. »Gibt es einen Grund, warum du mich Captain Williams nicht vorstellen willst?«

»Oh! Nein, es ist bloß … Entschuldige, Sam, das kam falsch rüber. Ich bin bloß überrascht, wie schnell das alles gegangen ist.«

»Du warst diejenige, die gesagt hat, sie sei es leid, auf mich zu warten«, rief er ihr lächelnd in Erinnerung. »Und ich bin sehr froh, dass du mir den nötigen Anstoß gegeben hast.«

»Ich weiß. Ich bin es auch. Ich meine nur … Ich bin eher lockere Romanzen gewöhnt. Kurze Affären oder Freundschaften mit einem gewissen Bonus.« Sie lachte leise. »Die meisten Männer, mit denen ich in der Vergangenheit zu tun hatte, waren … nun ja, ihre Stärke lag nicht im emotionalen Bereich. Deshalb ist das alles irgendwie neu für mich.«

Nun war es an Sam, leise zu lachen.

Sie sah ihn an. »Was?«

»Ich bin bloß überrascht, dass ich nicht der Einzige bin, der sich von dem hier überwältigt fühlt. Oder vielleicht ist überrascht das falsche Wort. Es beruhigt mich. Das bringt uns gewissermaßen auf eine Ebene.«

Val kuschelte sich enger an ihn. »Da stecken wir nun beide drin, hm?«

»So sieht es aus. Und ganz egal, wie weit du gehen willst, ich bin dabei.«

Sie bedachte ihn mit einem nervösen Lachen, dann schubste sie ihn verspielt von der Bettkante. »In dem Fall solltest du besser noch mal anfangen, mir packen zu helfen.«

15. Dezember 2165
Sternenflottenhauptquartier

»… und hatte, Captain T’Pol, die Partnerschaft der Zivilisationen Ihrer Meinung nach tatsächlich eine funktionierende Koexistenz mit der Ware zustande gebracht?«

Die Frage kam von Soval, dem Föderationskommissar für diplomatische Angelegenheiten, einem der hochrangigen Regierungsvertreter, die neben Admiral Jonathan Archer an dem breiten Tisch an der Stirnseite des Anhörungsraums saßen. Normalerweise wurden Nachbesprechungen wie diese allein von Sternenflottenoffizieren durchgeführt und dann auch nicht gerade von Stabschefs wie Archer oder Admiral Thy’lek Shran, der ebenfalls an dem Tisch Platz genommen hatte, sondern eher von Offizieren niedrigeren Ranges. Aber das Ware-Debakel mochte Auswirkungen auf die Politik der Sternenflotte und der Föderation an sich haben, deswegen wurde diese Untersuchung auf höchster Ebene geführt. Archers eigene Vorgesetzte, Verteidigungskommissarin Vinithnel sh’Mirrin, war ebenfalls zugegen.

T’Pol zeigte sich von der versammelten Führungsriege unbeeindruckt. Stoisch saß sie in ihrer kommandogrünen Ausgehuniform da und antwortete mit der für sie üblichen ruhigen Präzision. »Unsere Gelegenheit, die Partnerschaft zu beobachten, war zu kurz, um in dieser Frage eine eindeutige Aussage treffen zu können, Kommissar. Oberflächlich betrachtet schienen sie eine stabile Symbiose mit der Technologie erreicht zu haben. Sie boten ihr Freiwillige, die als Hilfsprozessoren der Ware dienten und jeweils nach ein paar Monaten ausgetauscht wurden, um den auf diese Weise erlittenen neurologischen Schaden zu minimieren. Es gab allerdings einige Partner, die sich während unserer Zeit bei der Partnerschaft die Frage gestellt haben, ob sie die Ware tatsächlich beherrschten oder lediglich ihren Hunger stillten. Als wir das Angebot einer Alternative unterbreiteten, eine Methode, um die Ware so zu modifizieren, dass sie nicht länger auf lebendige Gehirne angewiesen wäre, um zu funktionieren, waren eine ganze Reihe Partner der Ansicht, dass sie dies von einer Bürde befreien würde, die sie seit dem Beginn ihrer Zivilisation hatten tragen müssen.«

»Und doch haben wir Aussagen gehört, dass andere Partner dies als Gefährdung der Kernprinzipien ihrer Zivilisation verstanden haben«, entgegnete Soval. »Für sie war der Akt der freiwilligen Unterwerfung und des Dienstes die Essenz ihrer kulturellen Einheit. Tatsächlich wäre vermutlich keine der Mitgliedsspezies ohne die Hilfe der Ware zu einer technologisch entwickelten Zivilisation oder zu Weltraumreisen imstande gewesen.«

»Das ist korrekt. Wie in jeder Zivilisation gab es eine Vielzahl an Meinungen.«

»Doch als die Klingonen das Selbstzerstörungsprotokoll der Ware in die Hände bekamen und es gegen die Partnerschaft zum Einsatz brachten, nannten Captain sh’Prenni und ihre Besatzung von der Vol’Rala ihr Angebot, die Partnerschaft zu verteidigen, eine Buße für den auf Etrafso angerichteten Schaden, jener Partnerschaftswelt, deren Ware sie deaktiviert hatten. Ihrer Ansicht nach war diese Einmischung ohne vorherige Einladung dazu ein Fehler gewesen – ja, sogar ein Verbrechen.«

»Ich verbitte mir diese Darstellung, Soval«, mischte sich Shran aufbrausend ein. »Wir sind nicht hier, um über die Besatzung der Vol’Rala zu urteilen. Sie ist nicht mehr unter uns, um sich zu verteidigen. Diese Männer und Frauen haben ihr Leben gegeben, um die Völker der Partnerschaft zu beschützen!«

»Das bestreitet niemand, Shran«, sagte Archer in beruhigendem Tonfall. »Es geht uns hier darum zu verstehen, was passiert ist, damit wir eine weitere Tragödie dieser Art in der Zukunft verhindern können.«

Der Stabschef der Andorianischen Garde war damit nicht zufrieden. »Das impliziert immer noch, dass sh’Prenni und ihre Besatzung falsch gehandelt haben. Was, wenn sie nicht interveniert hätten? Wenn wir die Ware einfach in Ruhe gelassen hätten, die Finger davon gelassen hätten, aus Angst, dass wir Fehler machen könnten? Dann wäre sie noch immer dort draußen und würde ganze Welten infizieren und versklaven. Irgendwann hätte sie uns erreicht! Manchmal muss man intervenieren!«

»Admirals«, sagte sh’Mirrin. »Muss ich Sie daran erinnern, dass wir hier sind, um Captain T’Pols Version der Ereignisse zu hören?«

Unter dem tadelnden Blick der andorianischen shen verfielen beide Admirals in Schweigen. Während der Captain der Endeavour mit der Aussage fortfuhr, verspürte Archer einen erneuten Anflug von Bedauern über die Spannungen, die nach den jüngsten Ereignissen zwischen Shran und ihm selbst aufgekommen waren. Ihre Beziehung war schon immer turbulent gewesen – genau genommen hatte Shran Archer gefangen genommen und gefoltert, als sich die beiden als Raumschiffcaptains vor beinahe fünfzehn Jahren im Kloster von P’Jem kennengelernt hatten. Doch im Laufe der Zeit waren alle Missverständnisse zwischen ihnen ausgeräumt worden, und sie hatten sich beide langsam das Vertrauen des jeweils anderen verdient. Aus großem Respekt hatte sich zwischen den zwei Captains schließlich eine enge Freundschaft entwickelt – und Shran war seinen Freunden gegenüber extrem loyal.

Doch letztlich war genau dies das Problem hier. Reshthenar sh’Prenni war ein Schützling und eine enge Freundin von Shran gewesen, und ihr Tod hatte ihn, gemeinsam mit dem Tod der beinahe kompletten Besatzung der Vol’Rala, schwer getroffen. Archer glaubte, dass sie und ihre Mannschaft seinen Vorschlag einer offiziellen Sternenflottendirektive der Nichteinmischung begrüßt hätten. So wie Soval es eben gesagt hatte, war sh’Prenni der Ansicht gewesen, dass sie unbedacht gehandelt hatte, als sie die Ware von Etrafso ohne die Einwilligung der Planetenbewohner deaktiviert hatte – bevor sie genug über das Leben dort in Erfahrung gebracht hatte, um zu verstehen, dass man dort eine symbiotische Beziehung mit der Ware eingegangen war und dass die Bevölkerung ohne diese ihre Zivilisation nicht würde aufrechterhalten können. Tatsächlich hatten viele Lebewesen dort ohne die Ware nicht einmal überleben können. Archers Meinung nach hätte sh’Prenni es gewollt, dass die Sternenflotte aus ihrem Fehler lernte. Daher hielt er seinen Vorschlag einer entsprechenden Direktive für einen Beitrag zu sh’Prennis Andenken.

Doch in Shrans Augen handelte es sich stattdessen um einen Verrat daran, eine Anklage, die ihren Ruf auf ewig beschmutzen würde. Aus diesem Grund war er bis heute nicht willens gewesen, Archers Vorschlag einer fairen Prüfung zu unterziehen. Der menschliche Admiral hoffte, dass sein andorianischer Freund sich mit der Zeit genug beruhigen würde, um sich Archers Sicht wenigstens anzuhören. Aber er wusste leider, wie lange Shran einen Groll mit sich herumtragen konnte.

Jonathan Archer war überzeugt, dass eine Nichteinmischungspolitik der richtige Weg war. Aber um sein Ziel zu erreichen, musste er womöglich eine seiner engsten Freundschaften opfern.

18. Dezember 2165
Sapporo, Japan

»Warum heiraten wir nicht … einfach jetzt?«

Hoshi Sato unterdrückte ein Zusammenzucken, während sie sich mit Takashi Kimura unter das schmale Vordach eines Souvenirstandes drängte. Sie hatten den für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmen Abend für eine gute Gelegenheit gehalten, um im Odori-Park das Lichterfestival und den jährlichen Münchener Weihnachtsmarkt, mit dem Sapporo seine Partnerstadt ehrte, zu besuchen. Beide Traditionen fanden bereits seit mehr als anderthalb Jahrhunderten in der Hauptstadt der Präfektur Hokkaido statt, und Kimura hatte sie seiner Verlobten unbedingt zeigen wollen, nun, da sie dazu endlich die Möglichkeit hatten.

Aber ihr Plan war nach hinten losgegangen. Die warme Luft hatte einen heftigen Schauer zur Folge gehabt, der über ihnen eingesetzt hatte, als sie sich gerade an dem prachtvollen Farbenspiel der Feiertagsbeleuchtung erfreut hatten, die Block um Block des langen, schmalen Parkstreifens im Herzen der Stadt schmückte. Sie hatten nicht daran gedacht, Schirme mitzubringen, sie befanden sich fünf Blocks von der unterirdischen Ekimae-dori-Einkaufsmeile entfernt, und Takashis Mobilitätsprobleme schränkten ihre Laufgeschwindigkeit ein. Daher hatten sie sich unter das nächstbeste Standvordach geflüchtet, um dort auf eine Regenpause zu warten. Doch der eisige Wind und das winzige Vordach sorgten dafür, dass sie trotzdem klatschnass wurden.

»Du weißt doch, dass wir das nicht können, Takashi«, erwiderte sie über den Regen hinweg. »Ich tue nach wie vor Dienst auf der Endeavour

»Ach, richtig. Ich könnte mit dir kommen … ach nein, denn … sie brauchen nur körperlich fitte Leute. Und geistig.«

Der Unterton in Kimuras Stimme, der anfangs bittere Frustration gewesen war, hatte sich mittlerweile zu einer Mischung aus Müdigkeit und Resignation gewandelt. Es war nun beinahe sieben Monate her, seit er im Kampf gegen V’Las’ Aufständische auf Vulkan seinen linken Arm, die Lunge und die Niere verloren sowie schwere Verletzungen des frontalen und seitlichen Hirnlappens erlitten hatte. Das war genug Zeit für Kimura gewesen, um sich so weit an seine körperlichen und geistigen Einschränkungen zu gewöhnen, dass er halbwegs damit klarkam, aber auch genug Zeit, um zu begreifen, dass seine Genesung mittlerweile höchstwahrscheinlich abgeschlossen war. Besser würde es nicht werden. Die Nervenschäden und Vernarbung an seiner linken Schulter machten es unwahrscheinlich, dass sein Arm jemals durch ein Biotransplantat oder eine vollresponsive Prothese ersetzt werden konnte, seine Feinmotorik war dahin, und er hatte Schwierigkeiten, sich verbal auszudrücken. Dazu kamen Einschränkungen seiner Fähigkeiten im Problemlösen und Vorausplanen – was der Grund dafür war, dass er nicht daran gedacht hatte, sich die Wettervorhersage anzuschauen, bevor er Hoshi hier raus in den Park geschleppt hatte.

Hoshi wusste, dass Takashi noch immer der warme, kluge, starke und sanfte Mann war, in den sie sich verliebt hatte, aber seine Karriere als Waffenoffizier in der Sternenflotte hatte an jenem Tag auf Vulkan sein Ende gefunden. Die Endeavour zu verlassen, hatte ihm die Freiheit geschenkt, um ihre Hand anzuhalten, ohne dass irgendwelche Fragen bezüglich eines Konflikts mit ihren Pflichten an Bord aufkamen. Sie hatte seinen Antrag jedoch nur unter der Voraussetzung angenommen, dass sie mit der eigentlichen Heirat warten würden, bis die Zeit reif dafür war. Und genau diese Art von Langzeitplanung war für Takashi unglaublich schwer im Gedächtnis zu behalten. Aus diesem Grund hatten sie Varianten dieses Gesprächs bereits mehr als ein Dutzend Mal geführt.

Eine Böe blies eisigen Regen in ihre Gesichter, und Takashi drehte sich ein wenig, um sie mit seiner kräftigen Gestalt abzuschirmen. Sein einzelner Arm lag um ihre Schultern. »Entschuldige«, sagte er. »Mein Fehler, dass wir bei dem Wetter hier sind.«

Sie lachte leise. »Ich war erst vor Kurzem während der Monsunzeit auf Denobula. Das hier ist gar nichts.«

Ihre Antwort vermochte ihn nicht aufzumuntern. Erst verspätet fiel ihr ein, dass das vielleicht ein schlechtes Beispiel gewesen war, denn sie hatte Denobula besucht, um der Hochzeit von Doktor Phlox’ Tochter beizuwohnen, und Takashi hatte die Einladung des Doktors wegen seiner laufenden Therapien zur Verbesserung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten ablehnen müssen. »Solltest mich nicht verhätscheln«, sagte er. »Ich bin nicht schwach. Du darfst wütend werden.«

»Aber das bin ich nicht«, gab sie zurück. »Wenn du tatsächlich etwas tust, das mich wütend macht, wirst du es erfahren, das verspreche ich dir.« Sie legte ihm eine Hand auf die Brust. »Es ist okay. Es ist wunderschön hier draußen, selbst bei Regen. Und der ist eine gute Ausrede, um ganz nah zusammenzurücken.« Sie ließ ihren Worten Taten folgen, aber sie küsste ihn nicht, denn sie hatte den Verkäufer des Souvenirstandes wie auch die anderen Gäste, die sich mit ihnen hier untergestellt hatten, nicht vergessen. »Vertrau mir – ich genieße die Zeit mit dir.«

Nach einem kurzen Zögern nickte er. »Ja. Wir sollten … das Beste aus jedem Moment machen. Bis du wieder hinausfliegst. Und dann, wenn du wiederkommst.«

Er runzelte die Stirn, während er nachdachte. Pläne zu schmieden, fiel ihm nicht mehr leicht, aber er besaß noch immer einen scharfen Verstand. »Es gibt ein Hotel mit einem onsen. Nur zwei Blocks entfernt. Halb so weit wie die … Einkaufsmeile. Wenn wir dem Regen zwei Blocks lang trotzen … können wir uns aufwärmen. Den Sturm gemütlich aussitzen. Gut?«

Sie lächelte und nickte. Ein schönes heißes Bad in einem öffentlichen Badehaus klang in diesem Augenblick wundervoll. »Sehr gut.«

Sie begannen in Richtung des Hotels zu rennen. Hoshi widerstand der Versuchung vorauszueilen – vor allem deshalb, weil Takashis größere Gestalt einen guten Windschutz für sie abgab. Zu seinen Bestzeiten hätte Takashi sie mit seinen längeren Beinen und dem Militärtraining weit hinter sich gelassen. Selbst mit seinen heutigen Behinderungen war er nur geringfügig langsamer, als sie unter diesen Witterungsbedingungen hätte laufen können. Doch das etwas geringere Tempo hatte auch seinen Vorteil, denn es ermöglichte ihnen, die atemberaubenden Lichter zu bewundern. Tatsächlich wurden sie durch die Lichtkränze, die sich im dichten Regen bildeten, nur noch schöner.

Glücklicherweise bot das Hotel ein konyoku-Bad an, sodass Hoshi und Takashi zusammen baden konnten – wenn auch nicht allein, denn eine ganze Reihe weiterer Touristen, die das Festival besucht hatten, waren auf den gleichen Gedanken gekommen. Hoshi bemerkte, dass sich die anderen Gäste im furo Mühe gaben, ihren Verlobten nicht anzustarren, als er sich, nachdem sie beide sich entkleidet und im benachbarten Waschbereich gründlich gesäubert hatten, in das heiße, mineralisierte Wasser sinken ließ. Natürlich wäre Starren so oder so unhöflich gewesen, aber in diesem Fall schien das Abwenden des Blickes eine bewusstere Geste als sonst zu sein. Dank der modernen Medizinwissenschaft war der Anblick eines Amputierten auf der Erde heutzutage eher selten, und die großflächigen Narben auf der linken Seite von Takashis Körper waren noch nicht vollständig verheilt, da seine bisherigen Behandlungen vor allem seine Gesundheit und Funktionsfähigkeit zum Ziel gehabt hatten. Kosmetische Belange waren bis jetzt hintenangestellt worden.

Doch Takashi entschied sich merklich, auf diese Begrüßung nicht zu achten. Stattdessen tauchte er sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne voll und ganz in die sinnliche Erfahrung der künstlichen heißen Quelle ein. Hoshi seufzte laut, als sie sich neben ihm ins Wasser sinken ließ. Der Schock der Hitze trieb ihr praktisch auf der Stelle alle verbliebene Kälte aus den Knochen. »Oh, das war eine wundervolle Idee!«

Eine Weile lang genossen sie einfach nur die Wärme, doch dann, als die beiden zami-rigelianischen Frauen, die zu ihrer Linken gesessen hatten, gegangen waren, ergriff Kimura erneut das Wort. »Ich weiß, du musst bald wieder fort … aber wir könnten trotzdem heiraten. Nur eine kleine Zeremonie. Schnell. Bevor du gehst.«

Sie lachte. »Es ist süß von dir, dass du das möchtest, Taka-kun. Aber unsere Eltern würden uns das nie verzeihen! Ganz zu schweigen von meiner kleinen Schwester. Mitsuki würde nie mehr ein Wort mit mir reden, wenn ich heiraten würde, während sie nicht auf dem Planeten ist!«

»Mitsuki würde niemals zu sprechen aufhören. Egal mit wem. Egal aus welchem Grund.«

»Dann würde sie mir bis zum Ende meiner Tage mit ihrem Gejammer in den Ohren liegen. Das weißt du.«

»Na gut. Schon okay. Nur ein Gedanke.«

Sie lehnte sich an seine rechte Seite. »Ein schöner Gedanke. Immer. Keine Angst – wir werden den richtigen Zeitpunkt finden.«

Er sagte nicht: »Ich hoffe es.« Aber sie hörte die Worte in seinem Schweigen.

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2166

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4. Januar 2166
U.S.S. Pioneer

Caroline Paris legte den Kopf in den Nacken, um durch die zwei Sichtfenster in der geschwungenen Decke über ihr zu blicken. »Unglaublich«, sagte sie. »Außerhalb einer Inspektionsfähre habe ich noch nie einen Bussard-Kollektor aus solcher Nähe gesehen.« Die rötlich-braune Cabochon-Halbkugel am vorderen Ende der Steuerbordwarpgondel der Pioneer hing dunkel außerhalb des Fensters. Sie war heruntergefahren, aber trotzdem war es ein bemerkenswerter Anblick, sie nur wenige Meter über dem eigenen Kopf schweben zu sehen.

»Ja, es ist eindrucksvoll«, bestätigte Malcolm Reed. »Und dank der verbesserten Kühlung und der Vibrationsdämpfung, die Commander Tizahr versprochen hat, sollte es hier drin auch während Warp-Operationen recht angenehm bleiben.« Der Raum, von dem er sprach, war ein kleiner Aufenthaltsund Beobachtungsraum auf dem C-Deck, oberhalb des Steuerbordfrachtraums.

»Ich verstehe gar nicht, warum es hier überhaupt Fenster gibt«, bemerkte Paris. »Außer der Spitze der Gondel gibt es doch gar nichts zu sehen.«

»Ich gebe zu, dass die Intrepid-Klasse ein bisschen missraten ist«, gestand Reed. »Sie war ein Ableger der NX-Klasse, wobei die Bauteile enger zusammengesetzt wurden, um eine effizientere Warpdynamik zu erzeugen, nur für den Fall, dass der Warp-fünf-Antrieb nicht wie erhofft funktionieren sollte.«

»Entschuldige dich nie für dein Schiff, Captain«, sagte Paris. »Verglichen mit der Antiquität, auf der ich die letzten fünf Jahre gedient habe, ist das hier ein heißer Ofen.«

Reed gluckste. »Mir scheint, dass ein Großteil unserer Konversation für Leute, die keine Fans alter Filme sind, vollkommen unverständlich ist.«

Sie tätschelte seine Wange und beugte sich näher. »Umso besser«, flüsterte sie in verschwörerischem Tonfall. »So können wir unsere Geheimnisse bewahren.«

Paris hatte nie damit gerechnet, dass ihr Flirt mit Malcolm Reed länger als ein paar Abende dauern würde. Er entsprach eigentlich nicht ihrem normalen Beuteschema. Tatsächlich erinnerten sie seine förmliche, etwas steife englische Art, die Gesichtsbehaarung und die militärische Haltung an Captain Shumar – und das hätte das absolute Gegenteil von antörnend sein sollen. Andererseits war »normal« seit dem Zwischenfall auf Delta IV im letzten April sowieso hinfällig. Erst seit Kurzem fühlte sie sich wieder bereit, diese Seite ihrer Persönlichkeit näher zu erforschen, und vielleicht hatte sie sich Malcolm Reed zugewandt, weil er ein ungefährlicher Kandidat zu sein schien. Obwohl er eindeutig an ihr interessiert war, schien es in seiner Natur zu liegen, reserviert zu sein – und diese Art innerer Hemmung gegenüber Intimitäten erinnerte Paris an sich selbst. Sie hatten nicht darüber gesprochen, aber vielleicht war der Umstand, dass sie die Hemmungen des jeweils anderen spürten, der Grund dafür, dass sie das Gefühl hatten, eine lockere Beziehung wagen zu können, ohne den Druck, mehr daraus werden lassen zu müssen.

Doch während sie ihre Zeit damit verbrachten, Filme zu schauen, Tennis zu spielen und über ihre Karrieren zu reden, hatte Paris festgestellt, dass es noch andere Dinge gab, die Reed und sie gemeinsam hatten. Sie liebten beide das klassische Kino, obwohl es Paris nicht gelungen war, Reed ihre Liebe für alte, für Jugendliche produzierte Abenteuerserien wie Flash Gordon oder Captain Proton verständlich zu machen. Sie interessierten sich beide für Antiquitäten, wenngleich Paris’ Vorliebe bei alten Spielzeugen und Spielen lag, während Reeds Steckenpferd Militaria und Waffen waren. Sie beide stammten aus Offiziersfamilien mit einem ausgeprägten Sinn für Erbe und Tradition – obwohl Malcolm seine eigene Familientradition gebrochen hatte, indem er sich entschieden hatte, lieber in der Sternenflotte als bei der Royal Navy zu dienen. Paris dagegen war bereitwillig dem Beispiel ihrer sternfahrenden Mutter Argonne gefolgt, einer Veteranin der United Earth Space Probe Agency, die nach der Gründung der UE-Sternenflotte in den 2130ern einer der ersten Flaggoffiziere geworden war, sowie dem Vorbild ihres älteren Bruders James, der im Irdisch-Romulanischen Krieg eines der alten Marshall-Klasse-Schiffe kommandiert hatte.

Nicht, dass es zwischen ihnen nicht trotzdem noch genug Differenzen gegeben hätte. Paris war immer der Klassenclown gewesen, die kleine Schwester, die über die Stränge schlug, um sich gegen den familiären Druck, Leistung zu erbringen, zu wehren. Selbst als sie ihre Begabung im Familiengeschäft schließlich akzeptiert hatte, hatte sie ihre respektlose Art beibehalten, um allen klarzumachen, dass sie nur deshalb Sternenflottenoffizier geworden war, weil es ihr selbst gefiel, nicht, weil sie damit anderen gefallen wollte.

Reeds reservierte, disziplinierte Art hätte nicht weiter davon entfernt sein können, zumindest oberflächlich betrachtet. Doch während sie ihn besser kennenlernte – insbesondere an diesem Tag, an dem sie seinen Umgang mit den Mitgliedern der Pioneer-Besatzung mitbekam, die im Rahmen der Schiffsüberholung Dienst taten –, da begriff sie, dass er Bryce Shumar nicht so ähnlich war, wie sie anfangs gedacht hatte. Shumar konnte arrogant, stolz und voreingenommen sein. Er war ein Perfektionist, der nicht weniger als Perfektion von allen um ihn herum erwartete. Paris durfte sich nur deshalb ihre lockere Art auf der Brücke leisten, weil sie ihm bewiesen hatte, dass diese ihren vorbildlichen Einsatz nicht im Geringsten schmälerte. Reeds Perfektionismus dagegen richtete sich stärker gegen sich selbst. Sie hatte das Gefühl, dass er aus einer tiefen Unsicherheit herrührte, aus Reeds Bedürfnis, sich und anderen seinen Wert zu beweisen. Aus diesem Grund hielt er sich damit zurück, über andere zu urteilen, so als fühle er sich dazu nicht berechtigt. Er führte sein Schiff entspannter, als sie es erwartet hatte, und ließ seinen Leuten eine Menge Freiräume – wie Paris einmal mehr feststellte, als Reeds Tour sie zum Hauptmaschinenraum führte, ihrem nächsten Halt nach der Gondelspitze.

»Nein, nein, nein!«, schrie eine Frau gerade, als sie durch die schwere vordere Schleuse in den Maschinenraum kamen. »Sie müssen das Magnetfeld parallel zu den Unreinheiten der Kristalle polarisieren, um die ungenutzten Reaktanten zu reduzieren! Kalibrieren Sie jede Kammer einzeln, genau so.« Die Sprecherin, die auf einer erhöhten Kontrollplattform vor dem Warpreaktor stand, stieß ihren Ingenieurkollegen mit dem Ellbogen beiseite, um die Einstellungen selbst vorzunehmen. Sie war eine Jelna-Rigelianerin mit zerfurchtem Gesicht und Pergamenthaut – eine Exofrau, wenn sich Paris an das Vier-Geschlechter-System dieser Spezies korrekt erinnerte –, aber ihr gestreiftes, grau-weißes Haar war kurz geschnitten, und es fehlten ihm die schmückenden Perlen, die ihr Volk für gewöhnlich trug.

Sie hatte eine rotbraune Jacke an, auf der die Streifen eines Lieutenant Commanders und das Missionsabzeichen der Pioneer an der Schulter befestigt waren. Paris musste sich noch immer daran gewöhnen, diese zweiteiligen Uniformen bei der Besatzung der Pioneer zu sehen. Flottenweit wurden sie bereits seit mehreren Jahren genutzt. Die Klasse-A-Uniformen sollten für die Föderationsflotte als Ganzes stehen, aber die individuellen Uniformen der verschiedenen Mitgliedsflotten waren noch nicht ganz in der Versenkung verschwunden. Shumar gehörte zu einer Reihe menschlicher Captains, die es vorzogen, dass ihre Besatzungen nach wie vor die grauen Einteiler der Erddivision trugen, wie auch Paris gerade einen anhatte. Ohne Zweifel zog Reed die flottenweiten Uniformen vor, weil in seiner Besatzung eine größere Diversität herrschte.

Nachdem sie die Rekalibrierung beendet hatte, befahl die rigelianische Ingenieurin dem Ensign neben ihr, eine Reihe Leistungstests am Kern vorzunehmen. Das Ergebnis nahm sie mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis. »Nein, sagte ich Ihnen nicht, dass Sie zur Kompensation den Injektordruck anpassen müssen? Hier, so!« Sie kletterte von der Plattform herunter und eilte zum Backbordinjektorrahmen. Der Crewman, der sich um die Injektoren kümmerte, trat hastig beiseite, um ihr Platz zu machen. »Da. Sehen Sie?«, fragte sie einige Augenblicke später. »Versuchen Sie es jetzt noch mal.«

»Commander Tizahr«, meldete sich Reed zu Wort und zog damit die Aufmerksamkeit der Exofrau auf sich. »Könnte ich Sie bitte kurz sprechen?«

»Captain, ich bin mir sicher, dass Sie glauben, etwas Wichtiges hierzu beitragen zu können, aber lassen Sie mich einfach das hier fertig machen und …«

»Jetzt, Commander.« Der Schärfe in seiner Stimme sorgte dafür, dass Tizahr sich versteifte. Sie gab nach und kam zu ihnen herüber, auch wenn ihr Körper praktisch vor Ungeduld zitterte. Paris fiel auf, dass sie, ungeachtet des oberflächlichen Eindrucks, den ihre fahle Haut und die zerfurchten Züge erzeugten, ungewöhnlich jung für einen Offizier ihres Rangs war.

»Lieutenant Commander Kivei Tizahr«, fuhr Reed fort. »Das ist mein Gast, Commander Caroline Paris, der Erste Offizier der Essex. Caroline, Commander Tizahr ist die neue Chefingenieurin der Pioneer

Paris streckte eine Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Tizahr ergriff die Hand mit einem schiefen Lächeln. »Was bedeutet, dass Sie entweder bereits meine Arbeit kennen oder nichts über mich persönlich wissen. Bleiben Sie noch ein wenig, und Sie werden von Moment zu Moment weniger erfreut sein. Also, Captain, gibt es etwas von tatsächlicher Bedeutung, das Sie zu sagen haben? Ich versuche hier, jedes bisschen an Effizienz aus diesen zusammengeschusterten Antriebsaggregaten von Ihnen herauszukitzeln, und Ihrer Besatzung meine Techniken zu erklären, macht mich nur langsamer. Diese Leute sind nachlässig geworden, während sie so lange unter zivilen Übergangschiefs gedient haben.«

»Meine Ingenieure wissen, wie sie ihre Arbeit zu tun haben, Commander.«

»Sie wissen, wie es früher gemacht wurde, und wenn das ausreichend gewesen wäre, hätten Sie mich nicht angefordert. Ihr Doktor Dax hat ein paar effektive Notlösungen gefunden, um die Technologien der verschiedenen Spezies zum Laufen zu bringen, aber im Vergleich zu uns Rigelianern sind Sie in diesem Feld Anfänger.«

»Was die Methoden angeht, haben Sie sicher einen Vorsprung, Kivei. Aber all diese Leute haben ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken, die Sie niemals herausfinden werden, wenn Sie damit weitermachen, deren Arbeit für sie zu tun. Lassen Sie zu, dass sie Ihnen zeigen, was sie können. Vielleicht hilft Ihnen das, besser zu verstehen, wie Sie sie einsetzen können, um das zu erreichen, was Sie von ihnen wollen.«

Man musste Tizahr zugutehalten, dass sie nur ein paar Sekunden brauchte, bevor sie sagte: »Sie haben recht, Captain. Wenn ich diese Besatzung in eine wie geschmiert laufende Maschine verwandeln will, muss ich die exakten Parameter und Toleranzen aller Komponenten kennen. Wenn Sie gestatten, Sir?«

»Bitte, fahren Sie fort.«

»In Ordnung, Leute«, rief Tizahr und klatschte die Hände über dem Kopf zusammen, »lasst alles stehen und liegen! Es ist Zeit für ein paar Notfallübungen! Zeigt mir, was ihr draufhabt!«

Reed und Paris zogen sich klugerweise zurück, bevor das Chaos ausbrach. »Sie wirkt … anstrengend«, meinte Caroline, nachdem sie auf den Gang zurückgekehrt waren.

»Sie ist sehr ehrgeizig. Im Äquivalenzalter von zweiundzwanzig gehörte sie bereits zu den Top-Warpingenieuren von Grennex Aerospace. Mit achtundzwanzig erhielt sie von der Rigelianischen Handelskommission ein besseres Angebot, und so wurde sie eine Chefingenieurin in deren Verteidigungsflotte, das heißt, sie wurde in die Sternenflotte übernommen, als Rigel der Föderation beitrat. Sie ist die Beste – aber die Besten sind nicht immer angenehm im Umgang.«

»Ich bin dennoch beeindruckt davon, wie du ihr begegnet bist, Malcolm. Captain Shumar wäre vermutlich mit ihr zusammengestoßen und hätte sie lautstark daran erinnert, wer hier das Sagen hat. Und später hätte ich dann als guter Cop vorbeischauen müssen, um sie mit Feingefühl dazu zu bringen zu kooperieren. Aber du hast bereits all das Feingefühl bewiesen, das nötig war – und das, obwohl Bryce und du aus ähnlichen Verhältnissen stammen.«

»Alles, was ich über Feingefühl weiß, habe ich von Jonathan Archer gelernt. Er hat verstanden, dass die meisten Sternenflottenangehörigen eher Wissenschaftler als Soldaten sind. Ich hatte jahrelang Schwierigkeiten, das zu begreifen, aber ich schätze, dass ich den Dreh mittlerweile raushabe.«

»Das würde ich auch sagen. Du arbeitest wirklich gut mit deiner Mannschaft zusammen. Und vermutlich hast du Tizahr dabei geholfen, zukünftig das Gleiche zu tun.«

Er senkte den Kopf. »Es freut mich, dass du das sagst. Als ich diesen Posten übernahm, war ich der Besatzung gegenüber zunächst distanziert. Ich verließ mich auf Travis – Mister Mayweather –, der mein Bindeglied zu den anderen darstellte. Aber wir sind einander nähergekommen … vor allem, weil wir uns gemeinsam Gefahren gestellt haben.«

Paris zögerte einen Moment lang. »Wo wir gerade vom Einander-Näherkommen sprechen, Malcolm … wann erreichen wir endlich den wichtigsten Teil dieser Tour?«

»Der da wäre?«

Sie trat näher – deutlich näher. »Dein Quartier.«

Reed wurde rot, überrascht, aber alles andere als unglücklich. »Du meinst … du willst …«

»Ich will.«

»Bist du sicher?«, fragte er. »Ich meine … nicht, dass ich nicht wollte. Aber du hast dich bislang immer ein wenig zurückgehalten …«

»Das hat nichts mit dir zu tun. Ich habe nur …« Sie seufzte. »Können wir darüber an einem privateren Ort sprechen? In deinem Quartier?«

Gleichzeitig erregt und verwirrt, führte Reed sie dorthin. Als sie allein waren, begann Paris in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen, um ihre Gedanken zu ordnen. »Vor etwa neun Monaten führte ich einen Landetrupp der Essex an, die den ersten offiziellen Kontakt zwischen der Föderation und dem Planeten Delta IV herstellte.«

Reeds Augen weiteten sich. »Die Deltaner. Ich habe von Travis Geschichten über sie gehört. Es war das Schiff seiner Familie, das den eigentlichen Erstkontakt herstellte.«

»Ich weiß. Die Galaxis ist klein.«

»Und ich hörte, dass es einige … Schwierigkeiten … während des Besuchs der Essex gab. Dass die sexuellen Talente der Deltaner überwältigender – und gefährlicher – waren als selbst in den Geschichten der Raumnomaden geschildert. Ähnlich den Pheromonen der orionischen Frauen.« Besorgt sah er sie an. »Haben sie … dir etwas angetan?«

»Nein, nicht so, wie du denkst. Die Deltaner sind ein bemerkenswertes, offenes, mitfühlendes Volk. Genau das ist das Problem. Die Verbindungen, die sie mithilfe ihrer empathischen Kräfte herstellen, sind so tief, so umfassend … Es fällt einem Menschen leicht, sich darin zu verlieren. Der deltanische Mann, mit dem ich Sex hatte … Was er mir anbot, war eine zwanglose, nette Geste unter seinen Leuten, und ich war …« Sie lachte. »Nun, ich war bloß eine gute Diplomatin und habe die Gastfreundschaft der Eingeborenen angenommen. Aber ….« Rasch wurde sie wieder ernst. »Ich hätte beinahe meinen Sinn für mich selbst als Individuum verloren. Das andere Mitglied meiner Besatzung, das mit ihnen geschlafen hat – mit mehreren von ihnen auf einmal –, ist noch immer in einem katatonischen Zustand. Es wird nicht erwartet, dass er sich jemals erholen wird. Ich hatte Glück.«

Sie brauchte einen Moment, bevor sie fortfahren konnte. »Aber es war ein Kampf. Es hat mich Monate gekostet, um die Sehnsucht nach mehr zu überwinden, die Depression, die Zurückgezogenheit. Ich hatte Angst davor zu versuchen, mit einem normalen Menschen Sex zu haben … obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich Angst davor habe, mich selbst erneut zu verlieren, oder ob ich befürchte, dass ich es unbefriedigend finden könnte im Vergleich zu der Erinnerung an … jenes Erlebnis.«

Reed räusperte sich unbehaglich. »Nach dem Geständnis bin ich jetzt ja ganz entspannt.«

Sie lachte. »Nein, ist schon in Ordnung. Denn es geht ja nicht nur um das Körperliche. Die emotionale Verbindung war das, was so überwältigend war. Die Art, wie sie dafür sorgte, dass ich mich fühlte, als sei ich Teil einer anderen Person. Wahrscheinlich kann kein Mensch diese Intensität bieten. Aber das ist auch gar nicht nötig. Ich fühle mich dir wirklich nah, Malcolm. Ich habe dich hereingelassen, weil du mich nicht gedrängt hast, weil du meine Grenzen respektiert und uns die Gelegenheit gegeben hast, uns zunächst besser kennenzulernen. Deshalb weiß ich, dass die Verbindung, die ich zu dir spüre, nicht bloß irgendein Echo dessen ist, was ich auf Delta erlebt habe. Sie hat sich organisch zwischen uns entwickelt. Und egal wohin es uns führen mag: Ich denke, ich bin nun bereit, den Weg zu gehen.«

Sie zog seinen Kopf näher zu dem ihren – leicht in die Höhe, denn sie war drei Zentimeter größer als er – und küsste ihn leidenschaftlich. Als sich ihre Lippen schließlich voneinander trennten, fühlte sie sich befreit und befriedigt. Sie holte tief Atem. »Nachdem das geklärt wäre … Es gibt da ein paar Dinge, die ich auf Delta gelernt habe, die ich dir mit Vergnügen beibringen würde.« Grinsend zog sie ihn in Richtung des Betts.

5. Januar 2166
Oakland, Kalifornien

»Dein Zug.«

»Ich denke nach. Ich denke nach.«

Val Williams versuchte, nicht zu ungeduldig zu wirken, während sich Sam Kirk übers Kinn strich, das Schachbrett im Wohnzimmer ihres Vaters betrachtete und über seine Optionen nachdachte. Normalerweise war sie geduldiger mit seinen Abwägungen, aber Captain Marcus Williams blickte ihr über die Schulter, und er hatte seine kräftigen Arme auf eine Weise vor der Brust verschränkt, die andeutete, dass Sam keinen so guten Eindruck machte, wie Val gehofft hatte.