Resi

Resi ist ganzheitliche Ernährungsberaterin, Entspannungstrainerin und Achtsamkeitscoach. Nachdem sie selbst 50 Kilo Gewicht verlor, sich irgendwann in einem Teufelskreis aus Kalorienzählen und Selbstzweifeln wiederfand und schließlich ihren Weg zu einer intuitiven und achtsamen Lebensweise einschlug, entschloss sie sich, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Sie arbeitet als Coach und Beraterin, hält Vorträge zum Thema intuitive Ernährung und Stressmanagement und teilt auf ihrem YouTube-Kanal »Resi Random« mit über 7 Millionen Videoaufrufen regelmäßig Tipps zu einer gesunden Lebensweise.

Mehr Infos zu Terminen, Kursen & Vorträgen findest du auf https://www.instagram.com/resirandom

© 2020 Polarise
Ein Imprint der dpunkt.verlag GmbH
Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg
www.polarise.de

1. Auflage 2020
Autor: Resi Bruch
Lektorat: Steffen Körber
Copy-Editing: Irina Sehling
Cover-Foto: Tamara Thalhammer

Printed in Germany

ISBN (Buch) 978-3-947619-31-3
ISBN (PDF) 978-3-947619-32-0
ISBN (ePub) 978-3-947619-33-7
ISBN (Mobi) 978-3-947619-34-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über https://dnb.d–nb.de abrufbar.

Resi Bruch
Intuitiv – Die Anti-Diät
Fit und gesund ohne Hunger und Verbote

1 Meine Geschichte

Ich war eigentlich mein ganzes Leben lang übergewichtig. Als Kind schon eher pummelig, wurde es später in der Pubertät dann immer mehr. Spätestens als damals in den 2000er-Jahren die megaknappen Hüfthosen à la Paris Hilton angesagt waren und alle meine Freundinnen dazu die knappsten Crop Tops trugen, merkte ich, dass ich anders war. Mit über 100 Kilo konnte ich nicht in den gleichen Läden einkaufen. Ich bin nicht gerne mit zum Baden gegangen, weil ich mich unwohl fühlte. Sport und Bewegung jeglicher Art waren mir ein Graus.

Natürlich habe ich immer mal wieder versucht, abzunehmen. Teilweise, weil ich es ja selbst schon irgendwie blöd fand, übergewichtig zu sein. Na ja, und teilweise auch, weil wieder jemand fand, dass es ja so mit dem Kind (also mir) nicht weitergehen kann, es müsse abnehmen, das sei ja nicht normal. Ich war also nicht normal, okay. Deshalb wurde einiges mit mir ausprobiert. Zum Beispiel die Kohlsuppendiät. Jeder, der das schon mal ausprobiert hat, spürt wahrscheinlich schon bei dem Wort einen leichten Würgereiz. Für alle, die es nicht kennen: der Name ist Programm. Man isst eine Suppe, die weitgehend aus Kohl besteht – und das ist auch schon die Diät. Ja genau, man isst nur die Suppe, sonst nichts. Und wenn einem am ersten Tag die Suppe noch »gar nicht so schlecht« schmeckt – spätestens wenn man am nächsten Morgen aufsteht, die ganze Wohnung nach vergessenem Turnbeutel riecht und man weiß, dass das, was da so müffelt, Frühstück, Mittag- und Abendessen für den folgenden Tag sein wird, dann reicht es einem schon. Okay, du bist sicher nicht hier, um meine Hasstiraden über Kohlsuppe zu lesen. Aber wie du merkst, brachte diese Diät offensichtlich nicht den gewünschten Erfolg.

Als Nächstes versuchte man es mit einem Diätpulver, aus dem ich mir zwei Mal täglich einen Shake anrühren und zum kulinarischen Finale dann am Abend die letzte Ration in einer Schüssel Kräuterquark genießen durfte. Ich hatte Hunger, schlechte Laune und du kannst es dir denken: Außer maximal ein paar Kilo Wasser verlor ich kein Gewicht.

Ich erinnere mich auch an die damals bahnbrechende neue Diät, Trennkost. Ja, man nimmt ganz leicht ab, wenn man erst die Kartoffel isst und vier Stunden später den Spinat und das Spiegelei. Was für ein Vergnügen. Wie du dir schon denken kannst, hielt ich auch das nur ein bis zwei Tage durch. Ich versuchte es mit Light-Produkten, die damals ganz neu auf dem Markt waren – aber trotz so »tollen« Produkten wie fettarmem, geschmacksneutralem Gummikäse oder nach Chemie schmeckendem Süßstoff-Schokopudding nahm ich einfach nicht ab. Im Gegenteil: Je mehr ich das Gefühl bekam, mit mir stimme etwas nicht, und ich den Drang bekam, mich ändern zu müssen, desto mehr habe ich gegessen und zugenommen.

Nach dem Abitur zog ich von zu Hause aus und war in einer neuen Stadt. Ich ließ vieles hinter mir, aber meine ungesunden Essgewohnheiten nahm ich mit. Schlimmer noch – ich eignete mir sogar noch neue an. Ich begann, in der Medienbranche Fuß zu fassen. Lange Arbeitstage, viel Stress. Den ganzen Tag über nichts essen außer Süßigkeiten und dann um zwei Uhr nachts den Feierabend mit Pizza, Lasagne oder Pommes und Burgern einläuten, um danach noch auf ein paar süße Drinks zum Feiern zu gehen. Keine Seltenheit, sondern Alltag.

Ich lernte meinen Freund kennen und obwohl wir uns auch gemeinsam oft noch um Mitternacht eine Tiefkühlpizza in den Ofen schoben, gab es immer öfter auch frische, selbstgekochte Mahlzeiten. Weil ich mir irgendwann blöd vorkam, dass mein Freund so gut kochen konnte und mein Kühlschrank meist nicht mehr als Ketchup und TK-Gerichte hergab, fing ich langsam an, einfache Rezepte auszuprobieren. Ich war glücklich und zufrieden mit meinem Leben wie niemals zuvor. Und trotzdem hatte mein Übergewicht zu dem Zeitpunkt recht ungesunde Ausmaße angenommen. Ich war Anfang 20 und hatte einen besorgniserregend hohen Blutdruck.

Eines Tages war ich bei meiner Ärztin und diese nahm kein Blatt vor den Mund. Ich war erst etwas sauer und empört, wie sie mit mir redete und mir Angst machte, wie meine vermeintliche Zukunft aussehen würde. Ich fragte mich, was der bloß einfällt, und war mir sicher, dass ich da nicht mehr hingehe. Als ich dann auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn saß, kamen mir aber doch ihre Worte immer wieder ins Gedächtnis. Bluthochdruck und die damit verbundenen Krankheiten lagen bei mir in der Familie, ich konnte die von der Ärztin prophezeite Zukunft also quasi vor mir sehen. Und plötzlich machte es klick. Die Ärztin hatte tatsächlich Recht, so ging es nicht weiter. Ich fuhr nach Hause und verkündete meinem Freund, dass ich jetzt abnehmen werde. Er nahm mein Vorhaben natürlich zunächst nicht so ernst und dachte sich wahrscheinlich, dass es sich morgen sicher schon wieder erledigt hätte.

Ich hatte damals absolut keine Ahnung von Ernährung, Kalorien, Makro- oder Mikronährstoffen. Heute weiß ich: Genau diese Unbedarftheit war mein Glück. Ich begann, ganz intuitiv mit dem zu arbeiten, was mir logisch und naheliegend erschien: Anstatt Süßigkeiten gab es Obst zum Nachtisch. Auf Fleisch hatte ich schon immer gerne verzichtet, deshalb gab es einfach mehr Gemüse. Auch Fett und süße Getränke reduzierte ich. Und siehe da, die Pfunde purzelten so unglaublich schnell und ohne dass ich mich groß anstrengen musste. Irgendwann unterhielt ich mich mit einer Arbeitskollegin, die sehr schlank war. Sie machte mir ein Kompliment zu meiner Gewichtsabnahme (zum damaligen Zeitpunkt waren es glaube ich bereits um die 15 Kilo) und fragte, was ich gemacht hätte. So kamen wir ein bisschen ins Gespräch. Sie meinte, dass sie das nicht schaffen würde, so ganz ohne Süßes, und erzählte mir von ihrem Schokokuchen am Vortag und ihrem üppigen Frühstück am Morgen. Ich fragte sie, wie sie es denn trotz dieser Dinge schaffe, so schlank zu bleiben. Und sie antwortete wie selbstverständlich, dass sie einfach nur dann esse, wenn sie wirklich hungrig sei, und nur so viel esse, bis sie satt sei. »Aha, so einfach also«, sagte ich und dachte nicht weiter darüber nach. »Wahrscheinlich hat sie einfach einen guten Stoffwechsel und kann alles essen, ohne zuzunehmen, aber dieses Glück habe ich ja leider nicht«, dachte ich mir und tat es ab. Erst Jahre später sollte ich erkennen, dass genau diese banale Aussage der Schlüssel zu einer langfristig gesunden und intuitiven Lebensweise ohne Verzicht und Verbote ist.

Ich blieb bei meinem relativ einfachen und naiven Ernährungskonzept, die Pfunde purzelten weiter und ich war einfach glücklich in meinem Leben. Heute weiß ich, dass ich nicht plötzlich glücklich war, weil ich abgenommen hatte. Ich hatte überhaupt erst Gewicht verlieren können, weil ich in einer weitaus glücklicheren Ausgangssituation war als in meinem ganzen bisherigen Leben davor. Aber dazu später noch mehr.

Und obwohl ich immer weiter abnahm, sich meine Blutdruckwerte mittlerweile im Normalbereich befanden, hatte ich immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Ständig quälten mich Verspannungen, eingeklemmte Nerven und Rückenschmerzen. Nach unzähligen Spritzen wurde mir Physiotherapie verschrieben, ich freute mich auf Massagen und bekam stattdessen … Sport. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, ich hatte doch Schmerzen, wie soll man denn da noch Sport machen? Aber die nette Physiotherapeutin blieb eisern: Gerätetraining, Crosstrainer und ich schwitzte und strampelte. Ob ich denn in meinem Leben schon mal Sport gemacht hätte, fragte sie mich eines Tages und ich verneinte. Sie schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen und erklärte mir, wie wichtig eine kräftige Muskulatur sei und dass ich nicht umhinkommen würde, Sport zu treiben, wenn ich die Verspannungen langfristig besiegen wollte. Ich nahm also brav meine Termine wahr und irgendwann stellte ich wundersame Veränderungen an meinem Körper fest. Meine Haut, die zum damaligen Zeitpunkt nach ca. 30 Kilo Gewichtsabnahme ziemlich schlaff war, kam mir plötzlich straffer vor. Ich sah Muskeln an einigen Körperstellen und dachte mir, dass die Sache mit dem Sport ja vielleicht doch nicht so schlecht ist. Also meldete ich mich in einem Fitnessstudio an, war hochmotiviert und konnte sehr schnell Erfolge erkennen. Ich ging also regelmäßig hin – zwar nicht gerne, aber ich verlor weiterhin Gewicht, wenn auch sehr viel langsamer als in den Monaten zuvor. Die Verspannungen kehrten jedoch leider immer wieder zurück.

Je mehr ich zum Sport ging, desto ehrgeiziger wurde ich. Warum verlor ich nur noch so wenig Gewicht? Da musste doch noch mehr gehen. Ich fing an, im Internet zu recherchieren – über Kalorien, Trainingsarten und wie viel man essen darf, um abzunehmen. Ich setzte meine Kalorien immer weiter herunter, um meinem Traumgewicht, das ich mir damals auf 50 Kilo gesetzt hatte, näher zu kommen. Dass dieses Gewicht nicht unbedingt einem gesunden Idealgewicht bei einer Körpergröße von 1,78 Meter entsprach, das war mir damals egal. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben so viel Kontrolle über meinen Körper, konnte es allen beweisen, die mich als zu dick bezeichnet hatten. Ich bekam viele Komplimente für meine neue Figur. Ich hatte das Gefühl, endlich die Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen, die ich in meiner Kindheit immer so schmerzlich vermissen musste. Es war wie eine Droge, von der man immer mehr will.

Light-Produkte wurden wieder meine besten Freunde und so habe ich mir mit der Zeit ein Essverhalten angewöhnt, das Lebensmittel in zwei Kategorien einteilte: Kalorienarme Lebensmittel sind gut, alle anderen böse. Und weil man ja mit so viel Verzicht und so wenig Kalorien auf Dauer auch nicht leben kann, kam mir eine wunderbare Erfindung, von der ich auf Instagram von einigen Fitnessbloggern erfahren hatte, wie gelegen: die Cheat Days. Sie wurden damit angepriesen, dass man damit seine strenge Diät besser durchhalten könne. Weil man durch sie die Gewissheit hat, dass an einem Tag der Woche alle Regeln aufgehoben sind und man hemmungslos alles in rauen Mengen essen darf, was man sich vorher die ganze Woche verboten hat. Dass man hier nichts anderes als Binge Eating glorifiziert und zum gesunden Lifestyle erklärt, auch das war mir damals nicht klar.

Ich lebte also einige Jahre in dieser Welt. War nicht wirklich unglücklich, aber es war einfach ein unglaublich anstrengendes Leben. Der erste Schritt am Morgen ging auf die Waage, ein halbes Kilo mehr bedeutete schlechte Laune für den restlichen Tag und endlos quälende Sporteinheiten. Ein halbes Kilo weniger bedeutete Erfolg, den eigenen Körper besiegt zu haben. Es war ein ständiger Kampf zwischen dem Gewicht, das mein Körper ansteuern wollte, und meinem Wunschgewicht.

Eine andere merkwürdige Entwicklung war diese: Je mehr ich merkte, wie sehr ich meinen Körper formen und beeinflussen konnte, umso mehr wollte ich das auch. Plötzlich fielen mir vermeintliche Makel an meinem Körper auf, über die ich mir früher nie Gedanken gemacht hatte. Ist meine Nase nicht viel zu breit? Würde es nicht besser aussehen, wenn ich sie mir operieren lasse? Ich habe schließlich so viel Macht über meinen Körper, ich kann selbst entscheiden, wie ich ihn gerne hätte.

Bis ich ca. 30 war, war mein Leben also durchgehend geprägt von einem Kampf gegen meinen Körper. Meine Gunst ihm gegenüber war abhängig von der Zahl auf der Waage und der Konfektionsgröße, die in meiner neuen Skinny Jeans stand. Vielleicht hast du dir dieses Buch gekauft, weil dir dieser Kampf bekannt vorkommt, und denkst dir jetzt: »Ja, alles schön und gut, das Problem kenne ich selbst, aber was ist denn nun die Lösung? Was brachte denn die entscheidende Wendung, wie bist Du nun zur intuitiven Ernährung gekommen?«

Das alles ist natürlich nicht über Nacht passiert. Ich bin nicht eines Morgens aufgewacht und hatte die Erleuchtung. Sie kam sehr langsam und Schritt für Schritt. Alles begann eigentlich damit, dass ich aufhörte zu rauchen. Es nervte mich schon lange, also hörte ich auf. Kurze Zeit später bekam ich eine Art chronischen Schwindel. Egal, was ich machte, ich fühlte mich ständig benommen, müde, schwindlig. Kein Arzt konnte mir weiterhelfen, ich fühle mich furchtbar, hilflos und traurig. Und plötzlich fiel ich wieder in das Muster, das ich kannte. Ich bekämpfte meinen Kummer mit der einzigen Methode, die ich jemals gelernt hatte: Essen. Ich hörte sogar auf, zum Sport zu gehen. Das Ergebnis kann man sich denken, ich nahm natürlich zu. Sehr schnell, sehr viel. Das tun die meisten Leute, wenn sie aufhören zu rauchen. Aber ich bemerkte es zunächst gar nicht, weil ich zu sehr mit meinem Schwindel beschäftigt war und mir zu dem Zeitpunkt keine Gedanken um mein Aussehen machte. Ich wollte einfach nur wieder gesund sein. Ich dachte oft, wie sehr ich viele Dinge in den letzten Jahren für selbstverständlich gehalten hatte, und schwor mir selbst: Sollte ich jemals wieder diesen furchtbaren Schwindel loswerden, würde ich nichts mehr als gegeben hinnehmen und viel bewusster leben und dankbarer sein. Ich steigerte mich immer weiter hinein, hatte große Angst, an einer schlimmen Erkrankung zu leiden, und durch die damit verbundene Anspannung wurden auch meine Beschwerden immer schlimmer.

Eines Abends hatte ich so furchtbare Schmerzen und Verspannungen, dass ich ziemlich verzweifelt war. Ich suchte auf YouTube nach einem Video zu Nackenverspannungen und einer der ersten Treffer war eines zum Thema Schulter-Nacken-Yoga gegen Verspannungen. Das Vorschaubild wirkte sehr ansprechend, eine hübsche Frau in pastellfarbenem Sportoutfit lächelte mir wohlwollend zu und die Pose, in der sie dasaß, ließ auch eher auf ein entspanntes Video als auf eine anstrengende Sporteinheit hoffen. Nur dieses eine Wort im Titel, das schreckte mich ziemlich ab: Yoga. Davon hatte ich natürlich schon mal gehört. In den hippen Vierteln meiner Heimatstadt München konnte man keine 20 Meter gehen, ohne an einem der Studios vorbeizukommen. Ich sag’s dir ganz ehrlich: Zum damaligen Zeitpunkt dachte ich mir immer, Yoga sei nur was für gelangweilte Hippie-Muttis. – »Kurz noch ’ne Runde Selbstfindung, rumhopsen in bunten, überteuerten Yogaleggings aus recycelten Colaflaschen und danach noch schnell zum neuen Unverpacktladen, um ein paar Dinkelkörner fürs Abendessen abzufüllen.« Hättest du mir damals gesagt, dass ich auch mal so eine Dinkel-Öko-Yoga-Tante werde, ich wäre wahrscheinlich schreiend davongerannt.

Aber gut, ich hatte nichts zu verlieren. Meine Verspannungen und mein Schwindel waren zu dem Zeitpunkt so schlimm, dass ich wahrscheinlich so ziemlich alles ausprobiert hätte.

Also klickte ich das Video an. Ich turnte mit der netten Frau, soweit das eben ging mit meinem steifen Körper. In all den Jahren Fitnessstudio hatte ich mich kein einziges Mal gedehnt. Denn alles, was nicht dem Zweck diente, dünn zu sein, war für mich pure Zeitverschwendung gewesen. Ich merkte also schnell, wie verhärtet meine Muskeln und Faszien waren (ein Wort, das ich bis dato nicht kannte), versuchte, mich mit meinem Atem zu verbinden (was das bedeutete, war mir auch nicht klar), und wurde immer wieder dazu aufgefordert, loszulassen. Ja was denn loslassen? Ich halte doch gar nichts fest, oder doch? Als ich mit dem Video fertig war, waren meine Nacken- und Kopfschmerzen wie weggeblasen. Es war verrückt, sogar der Schwindel war besser.

Keine Sorge! Falls du jetzt schon mit dem Gedanken spielst, das Buch in die Ecke zu werfen, weil du dir doch eigentlich Tipps zum Abnehmen erhofft hattest und nicht noch so eine Öko-Tante bei ihrer Selbstfindungsreise begleiten wolltest, bleib noch ein bisschen mit dabei. Glaub mir: Es lohnt sich. Und außerdem hast du für das Buch schließlich Geld gezahlt, das soll ja nun auch nicht umsonst gewesen sein.

Warum erzähle ich dir das alles? Na ja, weil es Teil meiner Reise ist, die mich Stück für Stück immer näher zu einem intuitiven Leben und einer intuitiven Ernährung gebracht hat. Durch dieses Erlebnis habe ich zum ersten Mal erfahren, dass man sich mit Bewegung auch Gutes tun kann. Dass man eine Art von Bewegung macht, bei der man sich anschließend und vor allem während der Ausführung gut fühlt und die nicht ausschließlich dem Zweck dient, ein optisches Ergebnis zu liefern. Ich fing an, mich über die Zusammenhänge zwischen mentaler und körperlicher Gesundheit zu informieren. Über den Tipp einer Bekannten kam ich zu einem wunderbaren Osteopathen, der mir viel über Faszien, Ver- und Entspannung erklärte. Nach einigen Behandlungen und durch tägliche Yogaübungen war ich nach einiger Zeit komplett beschwerdefrei. Im Nachhinein war ich meinem Körper sogar sehr dankbar, dass er mir diese Signale geschickt hatte, um mir zu sagen: »Hey, halt, stopp! So wie du mit mir umgehst, so geht’s nicht weiter.«

Ich habe in der Zeit ein so gutes Verhältnis wie nie zuvor zu meinem Körper entwickelt. Ich hatte aufgehört, mich ins Fitnessstudio zu quälen, machte ausschließlich Sport, der mir Spaß machte. Ja, das hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben erlebt – ich hatte echt Spaß an Bewegung. Spürte eine Dankbarkeit für einen gesunden Körper. Betrachtete ihn als Wunder, spürte, wie ich immer beweglicher wurde, wie gut ich mich fühlte, während ich mich bewegte, anstatt wie früher einfach nur zu hoffen, dass die Sportquälerei endlich ein Ende hatte. Auch mein Essverhalten hatte sich normalisiert. Ich aß wieder Dinge, die ich mir jahrelang verboten hatte, aber ich war glücklich und dankbar und musste keinen Kummer mehr durch Frustessen kompensieren. Für mich waren diese neu gewonnenen Erkenntnisse bahnbrechend und ich wollte am liebsten jedem davon erzählen. Viele schauten mich komisch an, wenn ich ihnen meine Geschichte erzählte. »Na ja, wenn du meinst, dass Yoga deinen Schwindel geheilt hat …«, lautete oft eine Reaktion darauf. Aber nein, so banal war es ja nicht. Es war mehr als das. Es war ein Gefühl von Selbstliebe, Selbstbestimmtheit und einer Wertschätzung meinem Körper gegenüber, die ich so nie vorher gekannt hatte. Für mich war klar, dass das mein Weg ist. Dass ich anderen helfen möchte, die genau in der gleichen Spirale gefangen sind, wie ich es lange war.

Ich beschloss, mich zur Ernährungsberaterin ausbilden zu lassen, um meine Leidenschaft zu meinem Beruf zu machen. Doch je näher der erste Tag der Ausbildung rückte, desto unsicherer wurde ich. Auch wenn sich mein Essverhalten mittlerweile wieder normalisiert hatte, waren mir doch immer noch gute zehn Kilo mehr auf der Waage geblieben. Was würden die anderen dazu sagen? Ich war nicht mehr so schlank wie früher. Alte Zweifel kamen wieder hoch: Muss man als Ernährungsberaterin nicht superdünn sein? Sonst ist das doch unglaubwürdig, oder? Und was würde man uns überhaupt konkret beibringen? Würde ich mit meinen Erkenntnissen der letzten Monate da überhaupt reinpassen? Die Dozenten stellte ich mir so vor, wie sich wahrscheinlich viele Menschen das klischeehafte Stereotyp der Ernährungsberaterin vorstellen. Eine extrem schlanke, missbilligend dreinschauende, weiß gekleidete Frau mit strengem Zopf, die dir einen Essensplan schreibt, auf dem dann so Dinge stehen wie:

Nichts gegen Magerquark und Nordic Walking, aber ich denke, du weißt, was ich meine.

Ich dachte mir also, ich muss unbedingt vorher noch abnehmen, meine alte Figur wiederbekommen. Natürlich war ich mit zehn Kilo mehr alles andere als übergewichtig, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, es würde von mir erwartet werden, sehr, sehr schlank zu sein.

Ich machte also das, was ich kannte: Kalorien zählen. Puh, diese App, in die ich alle meine Lebensmittel eintrug, hatte ich lange nicht geöffnet. Aber ein anderer Weg, in kurzer Zeit viel Gewicht zu verlieren, fiel mir nicht ein. Ich versuchte zu meiner alten Ernährung und meinem strengen Sportkonzept zurückzufinden. Aber irgendwas war anders als früher. Es ging einfach nicht. Während ich früher jeden Erfolg im Kampf gegen meinen Körper feierte, machte es mich plötzlich eher traurig. Ich wollte meinen Körper einfach nicht mehr so quälen. Es kam mir so falsch vor, Essen abzuwiegen. Meinem Körper die Dinge vorzuenthalten, nach denen er sich sehnte, und ihm andere Dinge aufzuzwingen, die er einfach nicht wollte. Durch die Dankbarkeit und Wertschätzung, die ich in den letzten Monaten entwickelt hatte, war es mir einfach nicht mehr möglich, zurückzugehen und gegen meinen Körper zu arbeiten. Ich beschloss also einfach, dass ich dann eben nicht superschlank in meine Ausbildung gehen würde. Ich nahm mir vor, aus der Ausbildung das Beste zu machen und vielleicht später einfach einen eigenen Weg zu gehen, auch wenn ich vielleicht den ein oder anderen komischen Blick ernten würde.

Der erste Schultag kam und ich hätte mit meinen Erwartungen nicht falscher liegen können. Ich lernte die entspanntesten Menschen in Bezug auf Ernährung kennen. Wir lernten viel über biochemische Vorgänge im Körper; alles, was ich früher im Biologieunterricht so langweilig fand, war plötzlich unglaublich spannend. Wir lernten alles über Makro- und Mikronährstoffe, aber vor allem auch über die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist. Mein Blick auf Ernährung änderte sich grundlegend, als ich langsam zu verstehen begann, dass es ganz andere Kriterien als Kalorien gibt, die ein Lebensmittel ausmachen. Was Vitamine, Mineralstoffe und vor allem sekundäre Pflanzenstoffe für wahre Wunderkräfte haben. Wie wichtig es für unsere Gesundheit ist, unseren Körper mit guten, vollwertigen Lebensmitteln zu versorgen. Wie eng Ernährung, ein positives Mindset und Gesundheit zusammenhängen. Und das Beste war, niemand musste Ernährungspläne mit Magerquark und Nordic Walking schreiben. Die Ausbildung bestätigte also noch mal mit fundiertem Wissen, was ich selbst am eigenen Leib erfahren hatte.