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   Inge Tempelmann– Geistlicher Missbrauch– Auswege aus frommer Gewalt Ein Handbuch für Betroffene und Berater– SCM R.Brockhaus

Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22796-3 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26200-1 (Lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
CPI books GmbH, Leck

3. Auflage 2012

© 2007 R. Brockhaus Verlag Wuppertal
Umschlaggestaltung: Ralph Krauß, Herrenberg
Satz: Breklumer Print-Service, Breklum

INHALT

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1 – Definition

Religiöser (geistlicher) Missbrauch – frommes Modeschlagwort oder ernst zu nehmende Realität?

Missbräuchliche Dynamiken in der Kirchengeschichte

»Geistlicher« oder »religiöser« Missbrauch – einige Gedanken zum Begriff

Wo finden religiös missbräuchliche Dynamiken statt? Und wer kann von ihnen betroffen sein?

Grenzen und Grenzverletzungen

Was ist »religiöser Missbrauch«?

Abgrenzung

Verletzte Menschen verletzen Menschen

Kapitel 2 – Motivation

Die Haltung Jesu

Gott hält seine Meinung zu religiösem Missbrauch nicht zurück

Die Geschichte vom Wolf im Schafspelz

Warum dürfen Christen zu diesem Problem nicht schweigen?

Ziel der Identifikation religiösen Missbrauchs

Kapitel 3 – Gesichter religiösen Missbrauchs in unterschiedlichen Settings

Vermittlung falscher Gottesbilder (verbal oder nonverbal)

Gesetzlichkeit/eigene Leistung/Verhaltensorientiertheit

Elitedenken – und seine unterschiedlichen Stilblüten

Vereinnahmung und Ausbeutung von Menschen

Unangemessene Einflussnahme auf das Privatleben und persönliche Entscheidungen Einzelner (Bevormundung)

Rivalität und Menschen klein halten wollen (Einschüchterung durch fromme Argumentation)

Willkür

Bevormundung und Beschämung von Menschen in ihren Heilungsprozessen

Macht- und Autoritätsansprüche aufgrund eines Amtes/einer Position

Verbot der Kritik an Leiterschaft/Totschweigenmüssen von Problemen in Gemeinden und anderen christlichen Settings

Vernachlässigung bestimmter Fürsorgepflichten bzw. der geistlichen Verantwortung, die man übernommen hat

Übergriffe in Seelsorge und Beratung

Missbrauch der Bibel

Missbrauch von Prophetie oder anderen Geistesgaben

Religiöse Missbrauchsysteme werden nicht unbedingt an ihrer äußeren Fassade erkannt

Kapitel 4 – Warum geraten Menschen in religiös missbräuchliche Situationen hinein und bleiben oft lange dort?

Persönliche, lebensgeschichtliche Erfahrungen

Besondere Lebensumstände

Bewusstseinskontrolle und Prozesse der Gedankenumbildung durch missbräuchliche Systeme

Kapitel 5 – Prozesse der Gedankenumbildung

Wie sich das eigene Denken durch gedankliche Beeinflussung von außen unmerklich verändert

Erläuterung zum Thema in Anlehnung an Steven Hassan

Erläuterungen in Anlehnung an Dr. Robert Jay Lifton

Die acht Kriterien für Gedankenumbildung

Die sechs Bedingungen von Dr. Margaret T. Singer für Gedankenumbildung (thought reform)

Kapitel 6 – Leitung und Unterordnung aus biblischer Sicht – Impulse zum Nachspüren

Gedanken zur Gabe der Leitung in einer Gemeinde

Die anderen Gaben der Mitglieder einer Gemeinde

Leitung angesichts spezifischer Beauftragungen von Gott

Ein- und Unterordnung

Hierarchie in Gemeinden

Dienende Leiterschaft

Kapitel 7 – Verantwortung in der Gemeinde – und warum sie manches Mal ungut gelebt wird

Die Aufgabe der Leitung – keine leichte Herausforderung!

Warum haben es Menschen, die ihre Macht missbrauchen, innerhalb der Gemeinde Jesu so leicht?

Wie kommt es, dass christliche Verantwortungsträger ihre Macht missbrauchen?

Kapitel 8 – Umgang mit Menschen, die ihre Macht missbrauchen – oder: Was tun, wenn wir religiös missbräuchliche Dynamiken entdecken?

Wenn religiöser Missbrauch durch die eigene Gemeindeleitung stattfindet

Wenn religiöser Missbrauch in anderen Zusammenhängen stattfindet

Unguter Täterschutz

Was tun, um aus dem Tätersein auszusteigen?

Prävention und Heilung

Ewigkeitsperspektive und die Furcht des Herrn

Kapitel 9 – Religiöse Sucht

Sucht

Religiöse Sucht im Kontext christlichen Glaubens

Suchterzeugendes Potenzial im Rahmen des Glaubens

Welche Rolle spielt nun die religiöse Sucht im Rahmen des religiösen Missbrauchs?

Glaube, der krank macht?

Kapitel 10 – Die Verwundungen durch religiösen Missbrauch

Geistliche Nöte

Emotionale und psychische Nöte, einschließlich der damit einhergehenden körperlichen Probleme und Befindlichkeiten

Soziale Nöte und Probleme

Folgeverletzungen

Warum ist Heilung wichtig?

Kapitel 11 – Die Verarbeitung der Verwundungen durch religiösen Missbrauch

Schritte der Wiederherstellung

Ziele der Wiederherstellung

Nachwort

Ich habe einen Traum

»Vision in the Valley« (Die Vision im Tal)

Danksagung

Ressourcen-Pool

Fragebogen

Beratungsangebote

Systeme im Vergleich (von Stephen Martin)

Literaturhinweise, Referenzen und Quellen

Dieses Buch widme ich
den unendlich müden und enttäuschten Menschen,
die nicht mehr wissen, was sie glauben sollen.
Deren Seele durch den Missbrauch im frommen Gewand
geschlagen und verwundet wurde.
Ihnen möchte ich sagen,
dass es Hoffnung gibt.

Einleitung

Gibt es innerhalb des christlichen Glaubens nicht erquicklichere Dinge als die Beschäftigung mit der Thematik des geistlichen (religiösen) Missbrauchs? Gibt es nicht viele sinnvollere Aufgaben, die unsere Zeit und Energie eher verdienen als dieses leidliche Thema? Handelt es sich nicht um ein Modeschlagwort, das in den vergangenen Jahren viele unnötige Diskussionen verursachte und eher Probleme schuf, als sie zu lösen?

Fakt ist, dass weltweit und auch in Deutschland die Gemeinden, Seelsorgeeinrichtungen und Beratungsstellen, die sich für dieses Thema geöffnet und sich ehrlich damit auseinandergesetzt haben, mit großer Not konfrontiert sind. Immer größer wird die Zahl derer, die Mut fassen und im Blick auf das, was ihnen im Rahmen christlicher Organisationen widerfahren ist, Hilfe suchen. Die Betroffenen waren oder sind noch mit Dingen konfrontiert, die teilweise unglaublich klingen – zu unglaublich, als dass man sie im »Reich Gottes« vermuten würde. So unglaublich, dass vielen Betroffenen nicht geglaubt wurde. Das macht es ihnen umso schwerer, zu christlichen Gemeinden wieder Vertrauen zu finden. Die Gemeinde, die Schutzraum sein sollte und Ort der Heilung, hat sich für sie als das Gegenteil erwiesen.

Ich persönlich habe die Fähigkeit, Betroffene in ihrem Leid zu verstehen, nicht nur in theoretischen Studien oder der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Thematik erworben, sondern in erster Linie durch das Verschmerzen meiner eigenen Verwundungen, die ich im Kontext geistlichen (religiösen) Missbrauchs im Laufe meiner Lebensgeschichte erfahren habe. Dazu gehören Episoden meiner Kindheit und Jugend, in der mir im christlichen Umfeld falsche Gottesbilder vermittelt wurden. Vorstellungen von Gott, die mich unglaublich viel kosteten. Es gab ein großes Maß an Inkompetenz und »Mangel an Erkenntnis« (Hos 4,6). Dieser Mangel führte auch in meiner Umgebung dazu, dass das Volk Gottes in vielen Bereichen dabei war, »umzukommen«, wie es der Prophet Hosea beschreibt.

Darüber hinaus habe ich Gemeinden kennengelernt, deren Leitung ihre Macht »im Namen Gottes« zur Erfüllung eigener Bedürfnisse vielfältig missbrauchte. Unter ihrem Einfluss ergab sich für mich ein Spagat, der mich zu zerreißen drohte und der auf lange Sicht nicht lebbar war. Der Spagat zwischen dem Wunsch, als Mitverantwortungsträgerin loyal zur Gemeindeleitung zu stehen, und der Entschlossenheit, den missbräuchlichen Grenzüberschreitungen und dem Druck des Systems andererseits widerstehen zu wollen, was manchmal gelang und manchmal auch nicht.

Ich möchte mit diesem Buch meinen Beitrag dazu leisten, dass ein problematisches Phänomen, das innerhalb der Christenheit in den unterschiedlichsten Schattierungen existiert, ernst genommen wird. Ernster als bisher. Es existiert nicht nur hier und da vereinzelt, sondern in einem viel größeren Ausmaß, als die meisten von uns wissen oder wahrhaben wollen. Ich habe vieles von dem zu Papier gebracht, was ich in den vergangenen Jahren zu dem Thema erarbeitet habe … in dem Wissen, dass es noch manches mehr zu entdecken gilt. Aber ich habe die Sehnsucht, dass die bisher zusammengestellten Informationen schon sehr bald zur Unterstützung Betroffener und derer, die sie heilsam begleiten wollen, beitragen können.

Der geistliche (religiöse) Missbrauch im christlichen Lager ist eine Not, vor der wir die Augen nicht verschließen dürfen. Es handelt sich um sehr zerstörerische Dynamiken, die es mit Weisheit und Kompetenz anzugehen gilt. Fakt ist, dass dieses reale Problem im Großen und Ganzen bisher leider noch sehr stark verdrängt und sehr zögernd und ambivalent gehandhabt wird. Dafür gibt es zum Teil nachvollziehbare Gründe, die uns jedoch nicht davon abhalten dürfen, ehrlich zu werden.

Mir ist bewusst, dass wir uns in einem Zwiespalt befinden: Wenn wir wagen, das Problem missbräuchlicher Dynamiken im christlichen Kontext öffentlich zu thematisieren, müssen wir damit rechnen, dass manche Menschen das Thema fälschlicherweise auf sich beziehen.

Deshalb ist es wichtig, klare, differenzierte Orientierungshilfen zu geben. Aber auch damit können wir einen falschen Umgang mit der Thematik nicht völlig ausschließen.

Wenn wir andererseits das Problem in unseren eigenen Reihen nicht öffentlich ansprechen, werden vom Thema wirklich betroffene Menschen ganz sicher weiter missbraucht werden. Sie werden in ihrem zerstörerischen Umfeld bleiben, da sie nicht erkennen, was mit ihnen geschieht. Außerdem werden sie aufgrund des Schweigens der übrigen Christenheit verunsichert und vielleicht erst sehr spät, zu spät oder nie den Ausweg schaffen. Und wenn sie ihn dann schaffen, kann es sein, dass die Beziehung zu Gott, die sie einst hatten, gänzlich zerstört ist.

Statistiken besagen, dass große Zahlen von Christen, die Jesus als ihren persönlichen Herrn und Erlöser kennengelernt haben, heute nicht mehr in offiziellen Gemeinden organisiert sind. Eine Tatsache, die es ernst zu nehmen gilt und die wir nicht einfach mit der viel zu kurz greifenden Stigmatisierung »mangelnde Verbindlichkeit« vom Tisch fegen dürfen. Viele von ihnen haben den Missbrauch im frommen Gewand handfest erlebt. Manche sind trotz allem fest entschlossen, ihr Leben mit Jesus außerhalb »offiziellen« Gemeindelebens weiterzuführen. Andere jedoch sind zu verletzt, um weiter als Christen leben zu wollen.

Der Titel eines Buches, auf den ich vor einigen Jahren stieß, berührte mich sehr und schien für mich eine Sehnsucht auszudrücken, die ich auf dem Herzen unseres Gottes spüre: »Gebt mir meine Gemeinde zurück!« Jesus Christus ist den schweren Weg nach Golgatha gegangen, damit den Menschen wahre Freiheit, ein Leben in Liebe zu Gott und Wertschätzung untereinander ermöglicht wird. Er ging diesen Weg nicht, um sie in neue Gefangenschaft zu bringen.

Gottes Herz schlägt für jeden Verwundeten auf dieser Erde, und ganz besonders für die, die »in seinem Namen« unter religiösen Vorzeichen bedrängt, verbogen, beschuldigt, verklagt, bedroht, beraubt und verletzt wurden … für die die gute Nachricht des Evangeliums zu einer schlechten wurde.

Es ist meine Sehnsucht und mein Gebet, dass Sie im Lesen dieses Buches den engagierten und mit tiefer Liebe erfüllten Herzschlag Gottes wieder oder auch zum ersten Mal für sich schlagen hören können.

Inge Tempelmann

Kapitel 1 – Definition

Religiöser (geistlicher) Missbrauch – frommes Modeschlagwort oder ernst zu nehmende Realität?

Was ist »geistlicher« (oder auch religiöser) Missbrauch? Gibt es ihn wirklich? Lehrinhalte und Dynamiken innerhalb der Gemeinde Jesu, an denen Menschen geistlich Schaden nehmen? Oder handelt es sich hier nur um ein christliches Modeschlagwort, das in den vergangenen Jahren viel unnötige Diskussion bewirkte und eher Probleme schuf, als sie zu lösen?

Missbräuchliche Dynamiken in der Kirchengeschichte

Die Probleme, für die der Begriff steht, sind nicht neu. Es handelt sich um ein altes Problem, das uns in der Kirchengeschichte seit Jahrhunderten bekannt ist, und zwar mit sehr unterschiedlichen Gesichtern. Im Alten sowie im Neuen Testament ist von diesem Phänomen die Rede:

• Im AT spricht Gott die Menschen in Leitungsverantwortung immer wieder an. Sein Wort richtet sich an die, die seine Botschaft und seinen Bund durch ihr Leben verdreht und in den Schmutz gezogen haben. In Hesekiel 34 z.B. finden wir ein ganzes Kapitel, in dem Gott mit den schlechten Hirten Israels scharf ins Gericht geht. Er wirft ihnen unter anderem vor, dass sie sich selbst weiden.

• Im NT finden wir die sehr vehementen Auseinandersetzungen Jesu mit der geistlichen Führungsschicht seiner Zeit: den Pharisäern und Schriftgelehrten, die ihren Job nicht so tun, wie sie sollten. Stattdessen bürden sie den Menschen schwere Lasten auf, setzen sich selbst in Szene und missbrauchen die Schrift, um all dies zu tun.

• Aus dem weiteren Verlauf der Kirchengeschichte kennen wir tragisch weitreichende missbräuchliche Entwicklungen, die so viele Menschen so schrecklich viel kosteten und die ihnen sehr schadeten: die Kreuzzüge oder die Lehre vom Ablass in den Zeiten Luthers. Oder die Jahrhunderte, in denen Hexenverfolgung zur Praxis der Kirche gehörte. Phänomene, die im großen Stil gelebt wurden, die uns gut bekannt sind und die auf der Verdrehung biblischer Aussagen und dem Machthunger von Menschen begründet waren.

• Darüber hinaus gab es unzählige Situationen im Großen und Kleinen, wo die Verdrehung und Fehlinterpretation der Bibel sowie der Machthunger von Menschen die frohe Botschaft der Bibel in eine Geißel der Knechtschaft verkehrten.

Beim Missbrauch im frommen Gewand handelt es sich also um ein Phänomen, das uns nicht gleichgültig sein darf, weil es Gott nie gleichgültig war.

»Geistlicher« oder »religiöser« Missbrauch – einige Gedanken zum Begriff

Der Begriff geistlichen Missbrauchs wird, obgleich er in der Fachliteratur vielfach benutzt wird, von manchem Kritiker – zu Recht – hinterfragt. Kann es geistlichen Missbrauch geben? Bzw. kann Missbrauch geistlich sein?

Der in deutschen Gemeinden kursierende Begriff wurde aus dem Englischen abgeleitet. Die englische Bezeichnung »spiritual abuse« ist sehr viel umfassender als das, was wir mit dem deutschen Wort »geistlicher Missbrauch« ausdrücken können.

Dort, wo man sich für die Bezeichnung geistlicher Missbrauch entschieden hat, verstehe ich den Begriff einerseits als Versuch, den Kontext zu beschreiben, in dem diese Art von Grenzüberschreitung stattfindet, und andererseits als Beschreibung der Folgen. Mit anderen Worten: Geistlicher Missbrauch findet immer inmitten eines geistlichen Umfeldes statt und wird meist dadurch so schwer durchschaubar, weil er fromm aussieht und »im Namen Gottes« gelebt wird. Außerdem führt er bei Betroffenen zu Verwundungen in ihrem geistlichen Leben, was den emotionalen und körperlichen Bereich jedoch in der Regel mitbetrifft.

Der Vorschlag, dass man das zu beschreibende Phänomen besser als »religiösen Missbrauch« bezeichnet, hat seine Berechtigung und trifft meiner Meinung nach eher den eigentlichen Kern der Sache. Denn wahres geistliches Leben unter der Führung und Herrschaft Jesu wird nicht zu Missbrauch führen, während Missbrauch andererseits durchaus im frommen oder religiösen Mantel erscheinen kann, der allerdings wahrer Geistlichkeit entbehrt.1

Wo finden religiös missbräuchliche Dynamiken statt? Und wer kann von ihnen betroffen sein?

Solche Dynamiken können grundsätzlich in jedem religiösen Setting stattfinden. In Sekten, in Gemeinden jeder Denomination, in religiösen Organisationen sowie im Rahmen von Familie, Seelsorge oder Therapie oder anderen Beziehungen, in denen religiöse Inhalte eine Rolle spielen.

Opfer religiösen Missbrauchs kann jeder werden – auch Menschen in einer Leitungsfunktion –, nämlich dann,

• wenn sie inmitten eines frommen Kontextes entweder Personen ausgesetzt sind, die Macht und Einfluss in eigennütziger Weise ausüben,

• oder wenn sie selbst verdrehten Interpretationen der Bibel sowie unbiblischen Gottesbildem Glauben schenken, sich dadurch prägen lassen und, durch sie beeinflusst, sich selbst unter Druck setzen (mit der naheliegenden Konsequenz, dass sie damit auch andere unter Druck setzen) – siehe hierzu die Ausführungen zum Thema der religiösen Sucht (Kap. 9).

Grenzen und Grenzverletzungen

Bevor ich mit der Definition des Begriffes »geistlicher« oder »religiöser« Missbrauch weiter fortfahre, ist es mir wichtig, mit Ihnen noch einen kleinen Exkurs in das Thema Grenzen und Grenzverletzungen zu wagen:

Grenzen im physischen Bereich sind uns sehr bekannt: Grenzen zwischen Ländern, Stadtgrenzen, Grenzen von Grundstücken, die oft entweder durch Zäune, Mauern, Hecken oder andere Bepflanzungen gekennzeichnet sind. Wir wissen, wo unser Garten aufhört und der unseres Nachbarn beginnt. Außerdem gibt es Türen: Haustüren, Wohnungs- und Zimmertüren, durch die nach außen hin signalisiert wird: Hier ist mein Bereich. Und wenn ich möchte, dass du in diesen Bereich hineinkommst, werde ich dich einladen. Die meisten von uns würden es vermutlich als unhöflich und unangemessen empfinden, wenn plötzlich unser Nachbar ungebeten in unserem Wohnzimmer säße.

Darüber hinaus gibt es emotionale und sexuelle Grenzen. Dort, wo diese verletzt und ungebeten überschritten werden, erfahren Menschen Verletzungen, die mit zu den tiefsten und entwürdigendsten Verwundungen menschlichen Lebens gehören.

Doch auch im geistlichen Bereich gibt es Grenzen. Die Fähigkeit, diese zu kennen, wahrzunehmen und ggf. auch zu verteidigen, gehört mit zu den ganz wichtigen Komponenten menschlichen Zusammenlebens. Besonders dann, wenn wir uns wünschen, in einem von Gottes Liebe geprägten Miteinander Gemeinde zu bauen.

Hier einige Thesen zum Thema Grenzen:

1. These: Jeder Mensch ist von Gott geschaffen und ihm ist von seinem Schöpfer ein Lebens- und Gestaltungsraum sowie ein persönlicher Verantwortungsbereich zugedacht.

Grenzverletzungen in diesem Bereich geschehen,

• wenn Menschen beginnen, im Gestaltungsbereich anderer zu agieren und sich einzumischen,

• wenn andere den Lebens- und Gestaltungsraum anderer einengen,

• wenn die Fürsorgepflicht für Menschen in bestimmten Lebensphasen vernachlässigt wird.

2. These: Menschen, die sich innerhalb der Gemeinde Jesu engagieren, haben von Gott bestimmte Dienst- und Verantwortungsbereiche anvertraut bekommen, die es gilt, in seinem Sinne auszufüllen und zu verwalten. (Für Menschen in Verantwortung, und besonders Leitungsverantwortung, hat Gott Qualifikationen in seinem Wort genannt, die erfüllt werden müssen, um aus seiner Sicht für eine solche Aufgabe infrage zu kommen.) Auch in diesem Zusammenhang gibt es Grenzen, die beachtet werden sollten.

Grenzverletzungen in diesem Bereich entstehen,

• wenn Menschen über ihren Verantwortungsbereich hinaus in das Leben anderer hineinwirken (Macht ausüben). Mögliche Hintergründe/unbewusste Motive: Fehlinformation im Blick auf die eigene Aufgabe und Kompetenz und deren Grenzen, egozentrisches Streben nach Bedeutung, Macht, Wert, Ansehen etc.;

• wenn Menschen es Personen, die für bestimmte Dienstbereiche Verantwortung tragen, schwer oder unmöglich machen, ihre Aufgabe auszuführen (Mangel an Ein- bzw. Unterordnung). Mögliche Hintergründe/ unbewusste Motive: mangelnde Information zum Thema gesunder Ein- und Unterordnung und was diese beinhaltet, ungeheiltes Verhältnis zu Autorität im Allgemeinen, egozentrisches Streben nach Macht, Bedeutung etc.

Bei jeder Art von Missbrauch geht es um die Überschreitung von Grenzen, die Gott Menschen zugedacht hat, die Schaden verursacht.

Was ist »religiöser Missbrauch«?

Nachstehend möchte ich einige Definitionen und Gedanken weitergeben, die ich im Laufe meiner Beschäftigung mit dem Thema gesammelt und für hilfreich und wertvoll empfunden habe. Außerdem will ich mich bemühen, auch entsprechende Abgrenzungen zu formulieren.

Dr. Rolf Senst, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, DE’IGNIS-Klinik:2

»Missbrauch (allgemein) geschieht immer dann, wenn ein Mensch einen anderen Menschen dazu benutzt, eigene Bedürfnisse zu befriedigen, ohne dafür das bewusste, freie und entwicklungsangemessene Einverständnis des anderen zu haben. Er bedient sich dabei eines vorhandenen Machtgefälles und vernachlässigt damit verbundene Fürsorgepflichten gegenüber dem anderen.«

Bei religiösem Missbrauch leiten sich das benutzte Machtgefälle und die missachtete Fürsorgepflicht von einem geistlichen Amt/Dienst oder aber einer Rolle der Fürsorge (z.B. Eltern, Seelsorger etc.) ab.

Ken Blue3

»Geistlicher Missbrauch liegt dann vor, wenn eine Leiterpersönlichkeit, die geistliche Autorität über einen anderen hat, diese Autorität benutzt, um Druck oder Zwang auszuüben, und damit dem ihm Untergebenen geistliche Wunden zufügt. Geistlicher Missbrauch (wird) selten mit der Absicht zu verletzen verübt … Menschen, die ihr geistliches Amt missbrauchen, (sind) auf merkwürdige Weise naiv hinsichtlich der Folgen ihrer Ausbeutung. Selten wollen sie ihre Opfer wirklich verletzen. Sie sind für gewöhnlich derart narzisstisch oder darauf fixiert, etwas Großes für Gott tun zu wollen, dass sie es nicht einmal merken, wie weh sie ihren Opfern tun. Deshalb: Auch wenn ich betonen möchte, dass ein solches Verhalten unmoralisch und böse ist, vermeide ich dennoch den Aspekt des ›absichtlichen Verletzens‹ in meiner Definition.«

Ron Enroth4

»Anders als der körperliche Missbrauch, den man meist an den entsprechenden Wunden erkennen kann, hinterlässt der geistliche Missbrauch psychische Wunden tief in der menschlichen Seele. Er wird von denjenigen Menschen zugefügt, denen unsere Gesellschaft normalerweise Respekt und Achtung zollt, weil sie eine Leiterfunktion im geistlichen Amt ausüben und als Vorbilder gelten. Sie gründen ihre Autorität auf die Bibel als Gottes Wort und sehen sich selbst als Hirten, denen ein heiliges Amt auferlegt ist. Wenn solche Menschen jedoch das ihnen anvertraute Amt missbrauchen und ihre kirchliche Position dazu benutzen, ihre Herde unter Druck zu setzen und zu manipulieren, kann dies zu katastrophalen Folgen führen.«

Juanita und Dale Ryan5

»Geistlicher Missbrauch ist eine Art von Missbrauch, die den zentralen Kern unseres Seins schädigt. Er hinterlässt uns geistlich entmutigt und emotional abgeschnitten von der heilenden Liebe Gottes.«

David Johnson & Jeff VanVonderen6

»Geistlicher Missbrauch ist der falsche Umgang mit einem Menschen, der Hilfe, Unterstützung oder geistliche Stärkung braucht, mit dem Ergebnis, dass dieser betreffende Mensch in seinem geistlichen Leben geschwächt und behindert wird. Es gibt geistliche Systeme, in denen die Meinungen, Gefühle und Bedürfnisse eines Menschen nicht zählen. Sie bleiben unbeachtet. In diesen Systemen sollen die Mitglieder die Bedürfnisse ihrer Leiter befriedigen – das Bedürfnis nach Macht, Ansehen, Nähe, Wert –, also sehr egozentrische Bedürfnisse. Diese Leiter versuchen im religiösen Wohlverhalten der Menschen, denen sie eigentlich dienen und weiterhelfen sollten, Erfüllung zu finden. Das stellt die Gemeinde Christi auf den Kopf. Es ist geistlicher Missbrauch.«

Volker und Martina Kessler7

Sie beziehen sich auf die Formulierung »Wölfe« oder »reißende Wölfe« (z.B. Mt 7,13-23), von denen in der Bibel im Rahmen der Verurteilung des Machtmissbrauchs geistlicher Leiterschaft mehrfach die Rede ist (siehe biblischer Befund). Dazu kommentieren sie:

»Häufig werden diese Verse vor allem als Warnung vor Irrlehrern verstanden. Aber die Gemeinde ist nicht nur durch Irrlehrer bedroht. Ein Machtmensch kann vordergründig ›die richtige Lehre‹ vertreten und dennoch die Gemeinde missbrauchen. Mit der Bezeichnung ›Wölfe‹ greifen Jesus und Paulus ein bekanntes Bild aus dem Propheten Hesekiel auf … Die Obersten sind Hirten, ›die sich selbst weiden‹. Wölfe, die sich als Hirten tarnen, benutzen die Herde für ihre Bedürfnisse, anstatt sich um die Bedürfnisse der ihnen Anvertrauten zu kümmern.«

Marc Dupont8

»Missbrauch ist der missbräuchliche Gebrauch von Macht. Ob der Missbrauch emotional, körperlich, sexuell oder geistlich ist, immer geht es um den verkehrten Einsatz von Macht und Autorität, die Macht, die ein Einzelner gebraucht, um andere zu kontrollieren, zu beherrschen, zu manipulieren und/oder zu benutzen. Für das Opfer ist das Endergebnis eine Schädigung, sei es ein körperlicher, emotionaler, sexueller oder geistlicher Schaden oder eine Kombination davon. Missbrauch handelt immer davon, dass diejenigen mit Macht und Autorität ihre Macht und Autorität verkehrt einsetzen, um ihre eigenen Ängste, Verletzungen oder Unsicherheiten zu kompensieren.

Missbrauch … ist in einigen Fällen besonders schlimm, … in Fällen, in denen ein heiliges Vertrauensverhältnis verraten wird. (…) Er ist nicht nur verkehrt und schlimm wegen des Autoritätsmissbrauchs und der unmittelbaren Schädigung des Opfers, sondern er ist so grundverkehrt, weil es sich eigentlich um einen Verrat handelt …

Die ultimative Tragödie des Missbrauchs durch Eltern oder geistliche Leiter ist, dass es für das Opfer, wenn es nicht Betreuung und Heilung erfährt, schwierig oder gar unmöglich ist, Gott völlig zu vertrauen. Da sowohl Eltern als auch geistliche Leiter in unserem Leben zu einem gewissen Grade Repräsentanten der Vaterschaft Gottes und des Hirtenamtes Jesu sind, wird ein verzerrtes oder entstelltes Bild von Liebe und Autorität ein verkehrtes Verständnis von Gott in unserem Herzen erzeugen – ganz gleich, was unsere Theologie dazu sagt.«

Julia Knoche9

»Religiöse Vergewaltigung liegt vor, wenn sich religiöse Systeme der Seele eines Menschen bemächtigen und ihn dadurch zu einem Gottesbild, zu Denk- und Handlungsweisen bewegen, die ihm selbst schaden.«

Matthew Linn, Sheila Fabricant Linn, Dennis Linn10

Es ist religiös »missbräuchlich zu versuchen, den geistlichen Weg eines anderen zu kontrollieren. (…) Religiös missbräuchliche Eltern oder geistliche Leiter benutzen Kinder oder Nachfolger, um ihre eigenen Bedürfnisse nach Kontrolle und Selbstwert zu erfüllen, statt die geistliche Entwicklung derer zu fördern (zu nähren), die zu ihnen aufschauen. (…) Genauso wie emotionaler oder körperlicher Missbrauch Vernachlässigung beinhalten kann, z.B. was nicht getan wird, gilt dies für religiösen Missbrauch.« Wenn z.B. Eltern »kein positives Modell gesunder Spiritualität vorleben noch lehren, wie man seinem inneren Selbst Vertrauen schenken kann. (…)

Religiöser Missbrauch beinhaltet den Versuch, Menschen in eine Entwicklungsphase des Glaubens hineinzudrängen, für die sie noch gar nicht bereit bzw. zu der sie noch nicht in der Lage sind, oder sie in einem Entwicklungsstadium festzuhalten, über das sie längst hinausgewachsen sind.«

Zusammenfassung

Die von mir bisher entdeckten Definitionen religiösen Missbrauchs drehen sich

• entweder um Machtmissbrauch in einem geistlichen Amt (falscher Umgang mit Autorität)

• oder um den Machthunger von Menschen, der im Namen der Religion bzw. im Namen Gottes ausgelebt wird,

• oder um die Weitergabe religiöser Lehrinhalte, die Menschen schaden, weil sie einen zerstörerischen Glauben vermitteln.

All diese Aspekte führen

image zu unangemessenem, Schaden zufügendem Umgang mit Menschen

image sowie zu Grenzverletzungen, die im Namen der Religion bzw. »im Namen Gottes« gerechtfertigt werden.

Versuch einer Definition

Von religiösem (geistlichem) Missbrauch spreche ich dann, wenn Grenzen, die Gott selbst jedem Menschen zugedacht hat, aus religiösen Gründen überschritten werden und/oder wenn der Lebensraum, der einer Person von Gott geschenkt ist, wiederum aus religiösen Gründen eingeengt wird. Dies geschieht entweder ohne das Einverständnis der Betroffenen (man stülpt es ihnen über und kontrolliert sie), oder die Grenzverletzung wird aufgrund von geistlich getarnter Manipulation und gedanklicher Beeinflussung bereitwillig zugelassen. In beiden Fällen werden persönliche Grenzen unrechtmäßig überschritten, und zwar von Menschen, die Macht im Leben des Einzelnen haben und denen es letztlich um die Befriedigung eigener (möglicherweise unbewusster) Bedürfnisse geht. Ausgenutzt werden in diesem Zusammenhang die Hilfsbedürftigkeit und Hingabebereitschaft der Betroffenen.

In die Begrifflichkeit des Missbrauchs gehört ferner der Aspekt der Vernachlässigung einer Fürsorgepflicht. Dies geschieht, wenn Autoritätspersonen (Eltern, geistliche Leiter, Seelsorger oder andere Menschen, die eine Aufgabe der Fürsorge übernommen haben) kein positives Modell gesunder Spiritualität vorleben und wenn sie ihr Gegenüber nicht lehren, dem eigenen Herzen und der persönlichen Wahrnehmung Vertrauen zu schenken. Geistliche und emotionale Verwundungen und Verunsicherungen sind die Folge.

Abgrenzung

An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig, einige Gedanken zur Abgrenzung dieser sehr komplexen Thematik weiterzugeben. Sosehr mir daran gelegen ist, zerstörende Dynamiken innerhalb der christlichen Szene zu benennen, so sehr ist es mir auf der anderen Seite wichtig, dass mit dem Thema differenziert umgegangen wird. Nicht alles, was zunächst vielleicht nach missbräuchlicher Dynamik »riecht«, ist am Ende auch als Missbrauch einzuordnen.

Der Missbrauch mit dem Missbrauch

Der Begriff sollte sehr bedacht gewählt werden, um den Missbrauch mit dem Missbrauch zu vermeiden. Denn wenn er als Schlagwort für jedes Missverhalten im geistlichen Amt verwendet und mit jedem Autoritätskonflikt in Zusammenhang gebracht wird (so verletzend solche Situationen auch sein können), würde ein sehr reales Problem verwässert werden. Die mögliche Folge einer unangebrachten und pauschalisierenden Verwendung des Begriffes kann schwerwiegende Folgen haben:

• Menschen werden zu Unrecht verdächtigt, und sie werden dadurch verwundet.

• Tatsächlich missbräuchliche Situationen werden möglicherweise aufgrund unangebrachter, falscher Vorwürfe der Vergangenheit in der Gegenwart nicht mehr ernst genommen.

Das Phänomen der Übertragung

Im Rahmen der Abgrenzung des Begriffes sollten wir auf ein weiteres Phänomen achten, das uns bekannt sein sollte, wenn wir uns daranmachen, Beziehungsdynamiken zu analysieren und zu klären. Niemand kann sich davon freisprechen, dass Erfahrungen aus seiner Vergangenheit eine gegenwärtige Situation unmittelbar beeinflussen. Die Psychologie spricht hier von dem Phänomen der Übertragung.

Menschen sehen in einer Person plötzlich Dinge, die Erfahrungen aus ihrer Vergangenheit emotional so wachrufen, dass sie das Gefühl haben, die gegenwärtige Begegnung sei wieder ganz genau so wie damals. Diese Tatsache ist ihnen jedoch nicht bewusst. Sie übertragen das gute oder ungute Erleben der Vergangenheit auf die gegenwärtig anwesende Person, was je nach Art der Übertragung sehr problematisch werden kann. Wenn die Person, auf die beispielsweise negativ übertragen wird, dann noch mit einer Gegenübertragung reagiert, ist oft das Chaos perfekt. Es ist notwendig, dass dort, wo Menschen das Gefühl haben, missbräuchlich behandelt zu werden, das Problem der Übertragung ausgeschlossen werden kann. Jeder Betroffene sollte – ggf. mit professioneller Hilfe – herausfinden, was in der gegenwärtigen Situation tatsächlich geschieht. Handelt es sich um ein reales Problem des Hier und Jetzt? Oder überträgt man z.B. einen Autoritätskonflikt aus seiner Kindheit auf seinen Pastor, mit dem man es jetzt zu tun hat?

Valerie Mclntyre gibt in ihrem empfehlenswerten, praktischen Buch zum Thema Übertragung vielfältige Hilfestellung, dieses Phänomen für sich persönlich zu begreifen. Als Ergänzung zu meiner Erklärung hier die Definition11, die sie in ihrem Buch zitiert: »Der Begriff bedeutet im wörtlichen Sinn, Information oder Inhalte von einer Person, einem Ort oder einer Situation auf eine(n) andere(n) zu übertragen. Der psychologische Gebrauch bringt eine besondere Art von Beziehung zu einer anderen Person zum Ausdruck. Das normale Verhaltensmuster stellt sich in der Weise dar, dass eine Person in der Gegenwart so erlebt wird, als ob sie eine Person aus der Vergangenheit wäre. So ist die Übertragung, zumindest in psychoanalytischer Sichtweise, im Grund die Wiederholung einer alten Objektbeziehung, in der Haltungen und Gefühle, positive wie negative, die zu einer früheren Beziehung gehören, auf die neue Person in der Gegenwart verlagert werden.« – Mit anderen Worten: Dort, wo eine Übertragung stattfindet, werden die Wahrnehmung und Reaktion, die in einer bestimmten Situation der Vergangenheit angemessen waren, nun auf die neue Situation der Gegenwart in unangemessener Weise übertragen.

Was religiöser Missbrauch nicht ist

Wichtig ist festzuhalten, dass dort, wo in gutem Sinne geistlich geleitet wird oder wo wir in verbindlichen Beziehungen miteinander leben, es natürlich zu Konflikten kommen kann, die nichts Missbräuchliches an sich haben müssen.

David Johnson und Jeff VanVonderen geben einige praktische Beispiele für Situationen, die keine Grenzverletzung beinhalten. Auch diese Beispiele können uns helfen, das Thema Missbrauch besser ab- bzw. einzugrenzen:

• »Es ist kein Missbrauch, wenn ein geistlicher Leiter, dem Verantwortung obliegt, Entscheidungen zu treffen, nach bestem Wissen und Gewissen eine andere Entscheidung als die von einem Gemeindeglied vorgeschlagene trifft. Missbrauch ist jedoch, wenn die entgegengesetzte Meinung eines Menschen dazu benutzt wird, den geistlichen Stand des Betreffenden infrage zu stellen.

• Es ist kein Missbrauch, wenn ein Christ (Leiter oder nicht) einen anderen Christen mit einer Sünde, einem Fehlverhalten oder einem Fehler konfrontiert, der korrigiert werden muss. Das Ziel sollte natürlich nicht sein, zu beschämen oder in Misskredit zu bringen, sondern zu heilen, zu retten und zu erneuern.

• Es ist auch kein Missbrauch, wenn eine Person, die eine Führungsrolle einnimmt, gebeten wird, wegen emotionaler, körperlicher oder geistlicher Probleme von ihrem Amt zurückzutreten. Das Ziel muss jedoch sein, dem Betreffenden zu helfen Hilfe zu finden, damit er schließlich sein Amt wieder übernehmen kann.

• Es ist kein geistlicher Missbrauch, wenn man mit Lehrmeinungen oder anderen Themen nicht einer Meinung ist und diese gegensätzliche Meinung auch öffentlich äußert. Bedenken Sie jedoch, dass man den Respekt vor dem anderen behalten und ihn niemals heruntersetzen oder angreifen sollte.

• Es ist kein Missbrauch, an bestimmten Maßstäben des Gruppenverhaltens festzuhalten (wie z.B. Kleidung). Zum Missbrauch wird es erst, wenn andere aufgrund dessen geistlich bewertet, degradiert oder beschämt werden, weil sie diese Ansicht nicht teilen.

• Ein starker Leiter übt nicht automatisch Missbrauch aus, weil er oder sie stark und entschlossen ist.«12

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Grundtenor des ggf. konfrontativen Miteinanders der gegenseitige Respekt sein sollte.

Verletzte Menschen verletzen Menschen

Eine besondere Gefahr besteht für Menschen, die in der Vergangenheit missbräuchliche Behandlung erlebt haben. Sie haben vielleicht lange unter dem Joch einer ihre Macht missbrauchenden Gemeindeleitung gelebt, was für sie weitreichende Konsequenzen hatte. Da die Heilung eines durch Missbrauch verletzten Herzens Zeit braucht, ist ihre Wahrnehmung in der Zwischenzeit verändert. Solange ihre Erfahrungen nicht in der Tiefe geheilt sind, ist es leicht möglich, dass Betroffene auf Menschen in einer Leitungsfunktion aus ihrer Verwundung heraus reagieren. Dies kann unterschiedlich aussehen. Vielleicht reagieren sie

• mit Angst und innerer Anspannung (man weiß ja nie, was passieren kann),

• mit grundsätzlichem Misstrauen und Skepsis Leitern gegenüber,

• mit innerem Aufbegehren, Verachtung und einem Unwillen, sich einzuordnen, als Versuch des Selbstschutzes, weil man fürchtet, die Vergangenheit sonst zu wiederholen.

Wenn diese Haltungen von den Betroffenen selbst nicht als heilungsbedürftige Bereiche erkannt werden, wirken sie wie Waffen gegen andere, z.B. gegen solche, die in bestimmten Bereichen Verantwortung tragen. Entweder hält man die Leiter mit übersteigerten Erwartungen in Atem, nach dem Motto: Wenn du mir nicht all das erfüllst, was ich bei anderen Autoritätspersonen vermisst habe, habe ich das Recht, sauer, anklagend und mich verweigernd zu reagieren. Oder man ist nicht bereit, Leitung in Bereichen zu akzeptieren, für die Leitung auch aus Gottes Sicht eingesetzt ist und Verantwortung trägt.

Ein Wort an Betroffene

Es ist wichtig, hier verständnisvoll und selbstkritisch mit sich selbst umzugehen. Verständnisvoll für die inneren Reaktionen, weil sie eine notvolle Ursache haben, die der Heilung bedarf. Selbstkritisch aber im Blick auf die eigene Wahrnehmung und die eigenen Reaktionen.

Es mag sein, dass man selbst bei einer ehrlichen Selbstreflexion die eigenen Reaktionen nicht sofort verändern kann. Gleichzeitig trägt man jedoch Verantwortung für diese Reaktionen. Verantwortlich ist man außerdem dafür, Wege der Heilung zu suchen und aktiv zu beschreiten, statt in negativen Haltungen zu verharren und dadurch unfair und verletzend mit anderen umzugehen.

Ein Wort an Menschen, die Betroffene begleiten

Es ist wichtig, wirklich zu versuchen zu verstehen, worin die Not des anderen besteht, warum er oder sie so reagiert. Und es geht auch um Abklärung der verschiedenen Verantwortlichkeiten. Mancher, der nie gesundes Gemeindeleben erfahren hat, braucht möglicherweise eine Erklärung, warum das Gegenteil von Machtmissbrauch nicht darin besteht, dass alle überall mitbestimmen, z.B. in Bereichen, für die andere Menschen Leitungsverantwortung übernommen haben.

Kapitel 2 – Motivation

Warum sollten wir uns mit diesem brisanten Thema beschäftigen und dafür Kraft, Aufmerksamkeit und Energie investieren?

Ich möchte Sie an dem teilhaben lassen, was mich bewegt hat, die große Not, die sich hinter religiösem Missbrauch verbirgt, öffentlich anzusprechen. Wichtig wurden mir insbesondere biblische Aussagen und Stellungnahmen zu dieser Thematik.

Die Haltung Jesu

Was mich mit am stärksten dazu motiviert hat, mich intensiv mit dieser sehr zerstörerischen Realität innerhalb der Christenheit auseinanderzusetzen, ist die Haltung Jesu selbst, die ich im Neuen Testament (z.B. in Mt 23) gefunden habe. Jesus war bereit, zu einem Problem Stellung zu beziehen, dessen Thematisierung ihn zur damaligen Zeit alles kosten konnte – was dann letztlich ja auch geschah! Dies tat er im Gegensatz zu vielen Christen und Verantwortungsträgern heute. Warum existiert ein so großes Schweigen zum Phänomen des religiösen Missbrauchs innerhalb der Gemeinde Jesu? Mancher ist vielleicht verwirrt und kann das Problem nicht recht packen. Er traut vielleicht seiner eigenen Wahrnehmung nicht. Aber warum schweigen auch die, die das Phänomen sehr klar erkannt haben?

Einerseits gibt es da die große Angst, man könnte sich versündigen, wenn man Missstände dieser Art anspräche. Der Wunsch, andere Menschen nicht zu verurteilen, ist selbstverständlich sehr berechtigt, denn die Anweisung in Matthäus 7,1-2 kam aus dem Munde Jesu selbst. Doch es gibt einen Unterschied in der Verurteilung von Menschen, die wir vermeiden sollen, und dem Benennen von Unrecht, das im Rahmen der Liebe notwendig ist. Nämlich einem Unrecht, das anderen die von Jesus teuer erkaufte Freiheit nimmt und sie in großer Gefangenschaft hält.

Einen weiteren Grund für das Schweigen sehe ich schlichtweg darin, dass viele das »heiße Eisen nicht anfassen wollen«, weil sie fürchten, dass es sie vieles kosten könnte. Die unangemessene, oft übergroße Vorsicht, Unrecht in diesem Bereich klar zu benennen, hat manches Mal einfach den Hintergrund der Menschenfurcht. Außerdem müsste man selbst bereit sein, sein eigenes Handeln selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen.

Stellung beziehen beinhaltet also, dass man mit Konsequenzen rechnen muss. Vielleicht mit der Konsequenz, dass man als derjenige, der Probleme anspricht, schließlich als das problem behandelt wird. Und das fühlt sich nicht gut an. Da widmet man sich doch lieber wohllautenden Erfolgen und Zielen, die ungefährlicher sind.

Jesus wagte es also, Stellung zu beziehen und Partei zu ergreifen. Es ist bemerkenswert, wie er mit den geistlichen Leitern seiner Zeit umging. Sie waren bekannt dafür, dass sie ihren Glauben sehr ernsthaft und gewissenhaft zu leben versuchten. Diese Tatsache war auch Jesus bekannt. Ihre Ernsthaftigkeit stellte für ihn jedoch kein Hindernis dar, ihr religiös missbräuchliches Handeln und ihre zweifelhafte Motivation anzuprangern.

Interessant ist, dass er sie nicht nur einfach klar, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit ihrer Schuld konfrontiert. Nein, er tut dies öffentlich! Und sehr vehement und mit Worten, die im ersten Moment nicht nach Liebe aussehen – obwohl alles, was er tat, immer aus Liebe geschah. Seine Entschlossenheit und Unerschrockenheit, missbräuchlichem Handeln die Stirn zu bieten, sind unverkennbar.

Ich bitte Sie, an dieser Stelle das Buch kurz zur Seite zu legen und bewusst das 23. Kapitel des Matthäusevangeliums zu lesen. Mir ist es wichtig, dass Sie den genauen Wortlaut der Rede Jesu in Ihren Gedanken sehr präsent haben, wenn Sie nun weiterlesen. Danke.

David Seamands kommentiert eine solche Haltung der Unerschrockenheit Unrecht gegenüber mit den Worten:

»Ein Mensch, der niemals zornig wird, ist ein Mensch, dem die Begeisterung für das Gute fehlt. Wer das Falsche nicht hasst, wird auch die Gerechtigkeit nicht lieben können.«13

Jesus liebte die Menschen, die in der religiösen Knechtschaft gefangen waren. Sein Herz schlug für die Unterdrückten wie für die Unterdrücker. Doch er stellt sich klar auf die Seite der Unterdrückten und bietet ihnen Hilfe an. Er handelte damit nach der Aufforderung im Buch der Sprüche:

»Tue deinen Mund auf für die Stummen (für die, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sprechen), für die Rechte aller, die verlassen und wehrlos sind.«
Sprüche 31,8 (Amplified Bible)

Über das Problem der Schuld des Machtmissbrauchs im geistlichen Amt hatte Jesus offensichtlich mehr zu sagen als über sämtliche anderen Übel seiner Zeit. Ken Blue macht dazu in seinem Buch eine bemerkenswerte Aussage:

»Geistlicher Missbrauch war das einzige Problem, das er wieder und wieder öffentlich anprangerte – eine Tatsache, die umso erstaunlicher ist, wenn wir bedenken, dass die Gesellschaft seiner Zeit von einer Unmenge anderer Probleme betroffen war.

Jesus hat nicht ein einziges Mal die Sklaverei angeprangert. Er schwieg zum Rassismus ebenso wie zum Klassenkampf, äußerte sich weder zum Staatsterrorismus noch zur römischen Besatzungsmacht oder zur korrupten Regierung. Er verliert kein Wort über Abtreibung, Kindermord, Homosexualität oder Ausbeutung von Frauen und Kindern. All diese Probleme gab es zur Zeit Jesu, aber es gibt keine Quellen, die belegen, dass er sich dazu unmittelbar äußert.

Anders die heutige Kirche: Sie hat sich zu all diesen Fragen geäußert. Merkwürdigerweise jedoch hat sie kaum etwas zum Thema des Missbrauchs im geistlichen Amt gesagt, eben jenem Thema, das Jesus offenbar am meisten am Herzen lag.«14

Jesu Umgang mit religiösem Missbrauch vor Augen zu haben, erscheint mir in der Auseinandersetzung mit dem Problem als sehr wichtig. Angstfrei nannte er Böses böse, ohne zu fürchten, sich der in vielen christlichen Kreisen gefürchteten Sünde des Richtens schuldig zu machen. Er wusste, dass diese klare, kompromisslose Benennung der Schuld für Täter und Opfer in einem möglichen Heilungsprozess eine unglaublich wichtige Rolle spielen würde (zumindest könnte).

Gott hält seine Meinung zu religiösem Missbrauch nicht zurück

In der Bibel finden wir viele Texte, in denen missbräuchliche Dynamiken thematisiert werden. Gott selbst bezieht Stellung durch das Wort der Propheten oder mancher neutestamentlicher Autoren. Meist handelt es sich um Schriftstellen, die im Rahmen der christlichen Verkündigung und des persönlichen Bibelstudiums jedoch oft zu kurz kommen, obgleich es nicht wenige von ihnen gibt.

Hier einige Beispiele:

Altes Testament: Jesaja 5,20; Jeremia 6,13-14; Hesekiel 22,24-29; Hesekiel 34.

Neues Testament: Matthäus 7,15-16.21-23; Matthäus 23,1-36; Matthäus 24,45-51; Lukas 11,43.44.46; Apostelgeschichte 20,29-35; Römer 16,17-18; 2. Korinther 11,20; Philipper 1,17; 1. Petrus 5,2-3; 2. Petrus 2,1-3; 3. Johannes 9.10; Offenbarung 2,2.

Die Geschichte vom Wolf im Schafspelz

»Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen. Inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen (…) Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter!« (Mt 7,15-16.21-23).

»Ich weiß, dass nach meinem Abschied grausame Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus eurer eigenen Mitte werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. Darum wacht und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, einen jeden unter Tränen zu ermahnen! Und nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, das die Kraft hat, aufzuerbauen und ein Erbe unter allen Geheiligten zu geben. Ich habe von niemandem Silber oder Gold oder Kleidung begehrt. Ihr selbst wisst, dass meinen Bedürfnissen und denen, die bei mir waren, diese Hände gedient haben. Ich habe euch in allem gezeigt, dass man so arbeitend sich der Schwachen annehmen und an die Worte des Herrn Jesus denken müsse, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen« (Apg 20,29ff).

Jesus und Paulus reden von Wölfen im Schafspelz. Und sie gehen davon aus, dass es solche in allen Zeitaltern unter dem Volk Gottes geben wird. Die Frage ist nun:

• Wie sehen Wölfe in Schafspelzen aus?

• Und woran erkennt man ihr wahres Wesen, ihre wahre Identität?

Menschen bzw. Christen, die niemals einem Wolf im Schafspelz begegnet sind, haben erfahrungsgemäß häufig wenig oder kein Verständnis dafür, dass man einem Wolf »auf den Leim« gehen kann. Sie hören die Geschichte Betroffener und schütteln entsetzt den Kopf – und das leider nicht selten mit einem Anflug von Arroganz: »Wie konnte das nur passieren? Das hättest du doch erkennen müssen! Deine geistliche Unterscheidung war wohl überhaupt nicht in Takt. Mir wäre das nicht passiert.«

Fakt ist, dass solche Menschen die Geschichte vom Wolf hören, nachdem er als solcher entlarvt wurde. Denn sonst würde man die Geschichte vom Wolf ja nicht erzählen!

Wölfe im Schafspelz sehen einfach wirklich aus wie Schafe.15 Sie reden (määähen) wie ein Schaf, bewegen und benehmen sich wie ein Schaf, lieben das, was Schafe lieben. Aber – etwas scheint doch anders zu sein. Zunächst kaum erkennbar, aber hin und wieder doch spürbar. Ihr Inwendiges ist nämlich die Natur eines Wolfes, der sich zwischendurch, zu Beginn selten und im Laufe der Zeit (wenn er mehr Einfluss hat) immer häufiger, auch als solcher benimmt. Er beißt, raubt, stiehlt, verletzt, ist hinterlistig – zunächst nur in bestimmten Episoden und so verdeckt wie möglich, um sich dann wieder in seinen Schafspelz zurückzuziehen. Und die verletzten Schafe wundern sich. Wie konnte das so weh tun? Sie hatten es doch mit einem Schaf zu tun! Sie zweifeln an sich selbst.

Außerdem werden sie ermahnt, wenn sie sich über den Schmerz beklagen. Na ja, man hat sich vielleicht selbst dumm benommen. Oder als gutes Schaf muss man ja schnell bereit sein zu vergeben.Man besinnt sich auf diese Ermahnungen und denkt nicht weiter über die Verletzung nach. Weiter geht’s. Nach vorne schauen, heißt es. Es gibt Wichtigeres im Leben, als sich seine Wunden zu lecken!

Und so geschieht es, dass es Schafe in der Nähe von Wölfen viel zu lange aushalten, mit vielen frommen Begründungen.

Es ist eine Tatsache, dass in der Bibel von solchen Wölfen die Rede ist, die leider selten thematisiert wird.

Paulus sagt (Apg 20,29-30): »Ich weiß, dass nach meinem Abschied grausame Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus eurer eigenen Mitte werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her.«

Er betont, dass es Menschen sein werden, die aus der Mitte der Gemeinde aufstehen werden. Nicht ferne Irrlehrer, die etwas Wildes, offensichtlich Ketzerisches erzählen. Sondern Menschen, mit denen wir gemeinsam unterwegs sind, die wir kennen, mit denen wir vielleicht Jahre gemeinsamen Lebens und Dienstes teilten. Rechnen wir Christen damit? Dass sich der Bruder, die Schwester, der Mitchrist neben uns oder der Leiter/die Leiterin, die wir kennen, plötzlich als Wolf entpuppen könnte? Dass in uns selbst die grundsätzliche Möglichkeit vorhanden ist, Wolf im Schafspelz zu sein oder uns dahin zu verändern?

Ungute Entwicklungen geschehen gewöhnlich nicht über Nacht. Die Geschichte vom Frosch im Kochtopf16