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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Einleitung

I Materie und Weltbild

Intelligibilität der Welt

Relationalität der materiellen Welt

Metaphorik jenseits der Physik

II Der Zufall und sein Spiel in der Mikrowelt

Der Zufall in der Mikrowelt

Metaphorik jenseits der Physik

III Aristoteles in der Quantenwelt – Wirklichkeit und Realität

Potenzielle Realität

Potenzielles im Doppelspaltexperiment

Was „wellt“ hier eigentlich?

Zwischenresümee

Metaphorik jenseits der Physik

IV Verschränkung der Quantenwelt – Einsteins Spuk

Spin

Zufallsverschleierung der Spinverschränkung

Metaphorik jenseits der Physik

V Zufall in der Makrowelt – Nichtlinearität

Lineare und nicht-lineare Physik

Bifurkationen nicht-linearer Prozesse

Erdbeben

Metaphorik jenseits der Physik

VI Evolution von Kosmos und Leben

Kosmische Koinzidenzen

Zufall in der Lebenswelt

Metaphorik jenseits der Physik

VII Der christliche Schlüssel zur Wirklichkeit

Das trinitarische Geheimnis

Metaphorische Annäherungen

VIII Quantenlogik und Theologik

Coincidentia oppositorum

Komplementäres Denken

Verschränkung

IX Der Zufall in der Schöpfung und die Selbstentäußerung Gottes

Entwicklung, Zufall, Freiheit

Kenosis

X Vorhersicht Gottes Der Fall des Sperlings

Göttliches Vorhersehen

Das verborgene innerweltliche Wirken des Logos/Geistes

Das Problem mit dem absoluten Makrozufall

XI Das Natürliche Leid und Gott die Liebe

Zufallsarten

Naturgesetze im Sein der Dinge

Leid und Naturgesetz

Leid und Zufall

Der trinitarische Ursprung

XII Gottes Erfahrung und unser Heil

Das Paradoxon der Liebe und seine Lösung

Nachwort

Literatur

Stichworte

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2019 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99026-785-1

ISBN e-book: 978-3-99026-787-5

Lektorat: Dr. phil. Ursula Schneider

Umschlagfoto: Enrico Giuseppe Agostoni | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen:Prof. Dr. Georg Mandl

www.novumverlag.com

Vorwort

Als theoretischer Physiker wurde ich gelegentlich bei informellem Zusammensein von Kollegen und Freunden mit einiger Verwunderung gefragt, wie es komme, dass ich als Naturwissenschaftler überzeugter Christ sei. Ich bin auf diese Frage kaum je näher einge­gangen, als zu sagen, dass nichts in meinem Glauben im Streit mit unserem naturwissen­schaftlichen Weltbild liege. Dies möchte ich nach einer mehr als 50-jährigen physikalischen Forschungs- und Lehrtätigkeit nun näher begründen.

Mit anderen Worten: Ich möchte zeigen, dass der christliche Glaube in Einklang (Konsonanz) steht mit den wesentlichen Zügen unseres naturwissenschaftlichen, vornehm­lich von der Physik geprägten Weltbildes und dass er diesem erst den Sinn geben kann, den ihm die Wissenschaft nicht geben kann. Auf diese Weise wird sich der authentische christ­liche Glaube als durchaus wirklichkeitsbezogen und vernünftig erweisen, wenn auch wenig dem alten Bild des Katechismus vom statischen, ewig unveränderlichen, allwissenden und allmächtigen Gott entsprechend. Es geht mir dabei nicht um eine Verteidigung (Apologe­tik) des christlichen Glaubens oder gar um ein Beweisenwollen theolo­gischer Doktrinen oder um „Gottesbeweise“ aus Sicht der Naturwirklichkeit, sondern um das Erkennen von Konsonanzen und Ähnlichkeiten zwischen den so verschiedenen Erfahrungswelten von Naturwissenschaft, vor allem der Physik, und Religion.

Die Ähnlichkeiten oder Analogien bieten unserem Denken eine Brücke, vielleicht die einzig mögliche, zwischen Objekten der Physik und solchen des theologischen Denkens. Es ist dabei wichtig festzustellen, dass diese Analogien nicht das Wesen von Objekten betreffen, also nicht das, was diese sind, sondern die Art, wie sie sich verhalten in Beziehung zu anderen Dingen. Es geht uns also um Analogien in den Verhaltensweisen und Beziehungsstrukturen von an sich ganz unähnlichen Objekten. Die ver­glichenen Objekte können bei dieser Art von Analogie ganz unterschiedlichen Bereichen der Wirklichkeit angehören. Es ­han­delt sich nach Aristoteles um „Verhältnisanalogie“ (­Analogia proportionalitatis): allge­mein Metapher genannt (griechisch: ­metaphorá, Übertragung).

Um ein Beispiel zu nennen: Niemand weiß, was ein Elektron, das materielle Elemen­tarteilchen mit negativer elektrischer Elementarladung, eigentlich ist; nie­mand kennt seine Gestalt. Dennoch weiß die Quantenphysik erstaunlich viel von den überraschenden Verhaltensweisen des Elektrons. Und es sind diese Verhaltenswei­sen, die uns als Metaphern dienen werden für den christlichen Glauben an den unbe­greiflichen Gott, den ewigen, raum- und zeitlosen, seiner Schöpfung völlig jenseitigen (transzendenten), der doch zugleich im Innersten der Welt, in Raum und Zeit zugegen (immanent) ist und wirkt.

Um hier von vorneherein Missverständnis auszuschließen: Die Elektron-Meta­phern beweisen nichts, denn Ähnlichkeiten sind keine Beweise! Metaphern zwingen zu nichts; sie können nur anregen, Verstehenshilfen sein, etwas einleuchten lassen. So können Elektron-Metaphern die Koinzidenz von Transzendenz und Immanenz Gottes einem Menschen, der an Gott glaubt oder zumindest seine Existenz annimmt, ein­leuchten lassen.

Die der mathematisch-physikalischen Wirklichkeit entstammenden Metaphern in diesem Buch haben den nicht geringen Vorzug, frei zu sein von Anthropomorphismen. Sie beziehen sich also nicht auf Menschartiges, auch nicht auf die menschliche Psyche, und sind daher gegen den Vorwurf gefeit, Anthropomorphes in die Rede vom Göttli­chen hineinzuprojizieren.

Andererseits ist der Zugang zu diesen Metaphern durch die Tatsache erschwert, dass das „Buch der Natur“ in Mathematik geschrieben ist, wie schon Galilei zu Beginn des 17. Jh. sagte. Die Tatsache, dass die Gesetze der Materie mathematischer Art sind, mar­kiert für viele, auch für Vertreter des theolo­gischen Mainstreams, eine Art Kultur­grenze zwischen Literatur, Kunst und Geisteswissenschaften auf der einen Seite und Naturwissenschaften, Mathematik, Technik, Informatik und dgl. auf der anderen.1

Wir versuchen, diese Kulturbarriere zu umgehen, indem wir uns jeder mathemati­schen Formel enthalten, auch dort, wo Formalismus die Darstellung erleichtern würde, und uns auf die Schilderung von Fakten, Konzepten und Leitideen be­schränken, die das moderne physikalische und kosmologische Weltbild prägen. Wir hoffen, dass dies hilft, die manchem potenziellen Leser eigene Kontaktscheu gegen­über physikalischen oder mathema­tischen Dingen zu überwinden. Es bleibt ihm den­noch die Schwierigkeit, sich mit neuartigen Begriffen vertraut zu machen – „die An­strengung des Begriffs auf sich zu nehmen.2

In den ersten sechs einer Einleitung folgenden Kapitel werden Fakten und Konzepte unseres physikalisch-kosmologischen Weltbildes dargelegt. Etwas philoso­phisch orientiert ist ein eigenes Kapitel („Wirklichkeit und Realität in der Quanten­welt“), das der für dieses Buch wichtigen Frage nach dem Bezug der Quantenmechanik zur Wirklichkeit nachgeht. Die Darstellungen dieser Kapitel sind an sich unabhängig von möglichen theologischen Implikationen und können auch theologisch uninteres­sierte Leser ansprechen. An den Kapitelenden werden unter Metaphorik jenseits der Physik kurz die entsprechenden physikalischen Metaphern vermeldet, die in späteren Kapiteln der konkreten Annäherung an fundamentale Glaubensinhalte des Christen­tums dienen sollen. Dies soll die theologische Relevanz des jeweiligen naturwissen­schaftlichen Kapitels anzeigen.

Es ist faszinierend zu sehen, welche theologischen Perspek­tiven sich eröffnen aus der metaphorischen Begegnung eines von der modernen Physik ausgehenden „bottom-up“-Denkens mit einem „top-down“-Denken, das ausgeht vom einen Gott, dem Logos und der Liebe, wie ihn der Prolog des Johannes Evangeliums (Joh. 1,1; 1,3) und der erste Johannesbrief (1 Joh. 4,16; 3,16; 4,10) verkünden. Ansichten, die sich bei dieser Begegnung eröffnen, betreffen nicht Nebensächlichkeiten des christli­chen Glaubens, sondern wirklich Zentrales, das im zweiten Teil des Buches zur Sprache kommt: die göttliche Dreieinheit, die Trans­zendenz-Immanenz Gottes, Gottes Wirken in der Welt, Gott und die Existenz des absoluten Zufalls in der Entwicklung von Kosmos und Lebenswelt, die Eigenentwicklung der Schöpfung zum freien Men­schen. Und schließlich wagen wir uns an das Problem des furchtbaren natürlichen Leidens.

Die von der materiellen Wirklichkeit ausgehende Annäherung an das Gottesgeheimnis, also eine Denkrichtung „bottom-up“, ist charakteristisch für eine neue Natürliche Theologie, wie sie gegenwärtig hauptsächlich in der angelsächsischen Welt von namhaften Naturwissenschaftlern-Theologen erfolgreich betrieben wird3, und denen dieses Buch viele Anregungen verdankt.

Für Fachtheologen mögen manche Folgerungen dieses „bottom-up“-Denkens zu krass, überzogen, einseitig oder „unbiblisch“ erscheinen. Ich bitte zu bedenken, dass eine Metapher immer nur einen Teilaspekt erfasst und nie das Ganze; die Metapher aber diese Teilansicht wohl schärfer anpeilt, als ein rein metaphysisches Denken von „oben“ her es tun würde. Gerade die Schärfe einer metaphorischen Ansicht und das Wissen um ihre begrenzte Perspektive sollten fruchtbarer und freimütiger Diskus­sion förderlich sein. Eine solche beträfe vor allem die enormen theolo­gischen Impli­kationen der Existenz des absoluten (ontologischen) Zufalls in Mikro- und Makrowelt, denen in den letzten drei Kapiteln des Buches nachgegangen wird.

„Der Fall des Sperlings“ als Untertitel des Buches soll auf die philosophische und theologische Brisanz des Zufalls in der Schöpfung weisen: Jesus, der seinen Jün­gern Mut zu furchtlosem Bekenntnis zuspricht, verweist auf die Spatzen, die wohl gewöhnlichsten und wohlfeilsten Vögeln: „Kein Spatz fällt auf die Erde ohne Gott“ und „Kein Spatz ist vor Gott vergessen“ (Mt. 10, ­29–30; Lk. 12, 6–7). Also Gott weiß es, wenn ein Spatz vom Baume fällt. Er kennt Gegenwart und Vergangenheit. – Aber weiß Gott auch, wann und wo ein bestimmter Spatz zukünftig zur Erde fallen wird, auch wenn dies ein absoluter Zufall ist wie etwa der Zeitpunkt des Zerfalls eines be­stimmten Uranatoms oder der genaue Zeitpunkt und Herd des Erdbebens von Haiti? Das Evangelium gibt darauf keine Antwort. Das „bottom-up“-Denken dagegen legt uns eine Antwort nahe.

1 Diese Spaltung unserer Kultur hat C. P. Snow 1959 in seinem berühmten Essay „The two cultures“ analysiert. Glücklicherweise gibt es heute hervorragende Naturwissen­schaftler, die es erfolgreich unternehmen, diese Kluft zu überbrücken. Namhafte Forscher wie Paul Davies, Anton Zeilinger, Brian Greene, Ilya Prigogine, Roger Penrose, Martin Rees und Lisa Randall führen den Leser in spannender und seriöser Weise, ohne Mathe­matik, in diese Wunderwelt der modernen Physik ein oder vermitteln ihm zumindest einen Geschmack davon.

2 aus G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Vorrede.

3 Hans Küng (in „Der Anfang aller Dinge“, 2005) attestiert hier der deutschsprachigen Theologie einen erheblichen Nachholbedarf. Ohne auf Vollständigkeit zu achten, ver­danke ich viel den Arbeiten der angel­sächsischen Naturwissenschaftler-Theologen John Polkinghorne, Arthur Peacocke, Denis Edwards, John F. Haught, Anne Hunt, Robert J. Russell, Alister McGrath, Stephen M. Barr, William R. Stoeger SJ, Nancey Murphy.

Einleitung

What is it all about?, fragte 1920 der englische Mathematiker, Physiker und Philosoph Alfred North Whitehead (1861–1947). Was ist der Sinn des Ganzen? Worum handelt es sich bei dem allen – der Welt? Das ist schlechthin die Grundfrage der Vernunft des staunenden Menschen! Was ist Sinn und Grund der Realität? Wie verhält sich die Materie im Großen und im Kleinsten? Was sind ihre Gesetze, fragt die Physik. Wie verhält sich die belebte Materie und wie entwickelt sich die Lebenswelt, fragt die Biologie. Nach der Einheit in der Vielheit der Einzeldinge, nach dem „Sein“ der Dinge fragt die Metaphysik. Und schließlich öffnet sich die Vernunft im religiösen Glauben dem Vernehmen und Erfahren des Sinns der Welt und unserer Existenz. Diese Wege der Wahrheitssuche – Naturwissenschaft, Metaphysik und Schöpfungstheologie – entstammen der gemeinsamen Wurzel des staunenden Fragens. Sie liegen aber auf verschiedenen Ebenen des Erkennens.

Gibt es Beziehungen zwischen diesen Ebenen? Im Mittelalter gab es sie. Glaube und Naturerkenntnis ergänzten sich als „Buch der Offenbarung“ und „Buch der Natur“ zu einem harmo­nischen Bild von Mensch und Welt. Dem haben Copernicus’ und Darwins Entdeckungen ein Ende gemacht. So meinen viele. Und Religion und Naturwissenschaft erscheinen ihnen als ­getrennte Welten, deren totale Verschiedenheit bestenfalls ein respektvolles, aber beziehungsloses Nebeneinander erlaubt, sofern nicht unsere Gesellschaft überhaupt christlicher Religion zunehmend gleichgültig gegenübersteht.

Darwin steht am Beginn einer neuen Sicht der Welt – einer Welt in Evolution. Was bei Darwin die Welt der Lebewesen betraf, weitete sich mit Hubbles Entdeckung (1929) der Expan­sion des Universums auf die ganze materielle Welt aus. Milliarden von Galaxien entstanden und vergingen in der kosmischen Evolution, bis erstes Leben vor ca. 3 Milliarden Jahren entstehen konnte und sich in Versuch und Irrtum bis zum Menschen entwickelte. Stehen nun die naturwissenschaftlichen Befunde der Evolution von Kosmos und belebter Welt beziehungslos neben oder gar konträr zu der Erkenntnis „Im Anfang war das Wort (der Logos) …“ der christlichen Schöpfungslehre? Oder aber ist das Wirken des Logos, der schöpferischen Kraft der Vernunft, am Anfang und Grund aller Dinge im Einklang mit den Fakten der Evolution? Und macht es Sinn, die Welt als Schöpfung in Evolution zu sehen?

Tatsache ist, dass die naturwissenschaftliche Methode Nichtmaterielles1 im Kausal­netz des Weltganzen ausschließt. Anders gesagt: Nirgendwo in der naturwissen­schaftlichen Arbeit besteht die Notwendigkeit, übernatürliche Einwir­kungen anzunehmen. Hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Methode gilt noch immer das „Je n’ai pas besoin de Dieu“ (Ich brauche Gott nicht), das der große französische Mathema­tiker und Astronom Pierre-Simon de Laplace seinem Förderer Napoleon zur Antwort gab auf die Frage nach der Rolle Gottes in seiner Theorie. Das gilt natürlich auch für die naturwissenschaftliche Erforschung der Entwicklung von Kosmos und Leben. Gott ist weltlich nicht notwendig. Die Einsicht von der Nichtnotwendigkeit Got­tes in der Naturwissenschaft wird zur allgemein weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes. „Die Entdeckung und Erfahrung der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes ist eine Grundeinstellung der Neuzeit“, sagt der prominente evangelische Theologe Eber­hard Jüngel (in Gott als Geheimnis der Welt).2

Bedarf es da nicht nur noch eines kleinen Schrittes aus der Wissenschaft hinaus zur Ideologie, um festzustellen: Die Existenz Gottes ist Illusion? Alles ist Materie, wie ein wissenschaftlicher Naturalismus predigt.3 Die Natur ist die umfassende, im Letzten rein stoffliche Wirklichkeit, schöpferische Materie, die qualitativ Neues schafft, ständig in Entwicklung zu Komplexerem, Besserem oder Schlechterem. Einzig ist die Materie. Nur sie, die Materie, und die Gesetze ihrer Veränderung sind ewig – außer ihr ist nichts. Es muss klar gesagt sein: Dieser angeblich wissenschaftlich begründete Materialismus oder wissenschaftliche Naturalismus ist eine weltanschauliche Grenzüberschreitung der Naturwissenschaften.

Der atheistische Glaube an die Allmacht der Materie schließt natürlich die Möglichkeit einer Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Theologie aus. Irrigerweise wird oft nicht verstanden, dass dies nur die ideologische Interpretation einer naturwissenschaftlich erwiesenen Tatsache betrifft, aber nicht die Tatsache selbst. Es ist nicht das wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesene und heute von keinem ernst zu nehmenden christ­lichen Theologen bestrittene Faktum der Evolution des Lebens, das der Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Theologie im Wege steht, sondern die materialistisch-naturalistische Interpretation der Evolution.

Die Tatsache der Evolution von Kosmos und Leben prägt unser modernes Weltbild. Hat es einen Sinn? Steven Weinberg, der prominente theoretische Physiker und Nobelpreisträger sagt hierzu resignierend im Epilog zu seinem Bestseller The First ­Three Minutes (1977): „The more the universe seems comprehensible, the more it also seems pointless“ (Je begreiflicher das Universum erscheint, desto sinnloser scheint es auch zu sein). Hat das Christentum eine andere Perspektive zu bieten? Zeigt eine christliche Theologie der Schöpfung den Sinn einer Welt in Entwicklung?

Es wird dazu mehr brauchen, viel mehr, als die ehrwürdige Genesis einer theologischen Kosmetik zu unterziehen und sie zu reinigen von krassen Diskrepanzen mit der Naturwissenschaft.4 Es wird vor allem die theologische Auseinandersetzung mit der Rolle des absoluten Zufalls in der Entwicklung von Kosmos und Leben brauchen und es wird von der Theologie neues Denken und eine radikale Vertiefung des christlichen Gottesverständnisses verlangen.5 Das wiederum setzt aber voraus, dass man sich klarmacht, was man unter absolutem Zufall versteht und wie sich dieser im Mikrobereich der Quantenphysik und im Makrobereich instabiler physikalischer Systeme ereignet. Diese physikalischen Fakten versuchen wir in eigenen Kapiteln II bis V darzustellen;, ohne Mathematik, aber dem Leser wird, je nach Vorkenntnis, „die Anstrengung des Begriffs“ (Hegel) nicht ganz erspart bleiben.

Wir gehen also aus von der physikalischen Realität der Welt und deren Gesetzen und Strukturen, so wie wir sie heute modellmäßig erfassen, und erhoffen uns einen Durchblick aus der Physik der materiellen Welt zur Theologie. Wie kann solches möglich sein? Gibt es eine Brücke zwischen den in Objekt und Methode so verschiedenen Erfahrungswelten? Im Vorwort wurde bereits angedeutet, wie eine solche Denkverbindung zwischen naturwissenschaftlicher Realität und christlicher Theologie möglich und in den letzten 20 Jahren von Naturwissenschaftler-Theologen einer neuen, natürlichen Theologie mit Erfolg genutzt worden ist.

Auch in diesem Buch soll dieser Denkweg beschritten werden. Er verläuft in zwei konträre Richtungen (Abb.1): Die erste geht, wie schon gesagt, „von unten“ aus (engl. „bottom-up“), von der physikalischen Realität der Welt. Die zweite Denkbewegung kommt „von oben“ (engl. „top-down“), aus dem Glauben an den dreieinen Schöpfer. Ihr Ausgangspunkt ist die christliche Grundüberzeugung, dass der dreieine Gott der Logos (und der ist Christus) und die Liebe ist, wie uns der Prolog des Johannes Evangeliums (Joh. 1,1; 1,3) und der erste Johannesbrief (1 Joh. 4,16; 3,16; 4,10) unmissverständlich sagen. Das ist die Quelle des „top-down“-Denkens. Gott ist der Logos, die Vernunft, das Wort, durch das alle Dinge geschaffen sind. „Ohne es (das Wort) ward auch nicht eines, das geworden ist“, sagt Johannes schon im dritten Satz seines Evangeliums mit Nachdruck. Die Vernunft steht nach christlichem Glauben am Anfang aller Dinge!

Und Gott ist die Liebe. Die Liebe ist nicht eine Eigenschaft Gottes; nein, die Liebe ist Gottes Wesen.6

Abb. 1: Die zwei Denkbewegungen:

„von unten“ („bottom-up“) aus der physikalischen Weltsicht vs

„von oben“ („top-down“) aus dem Glauben an den dreieinen Gott.

Begegnung über Metaphern.

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Wie können sich die beiden Denkbewegungen begegnen? Von sich aus geben die Erkenntnisse der Physik keinen Hinweis auf Gott. Dennoch stößt der Physiker in seinem Forschen fast zwangsläufig auf Fragen jenseits seiner Wissenschaft. Er weiß, dass seine Theorien Modelle sind, hinter denen sich erst das Geheimnis der Wirklichkeit verbirgt. Und je mehr das wissenschaftliche Verstehen der Materie vordringt, ein desto tieferes Geheimnis zeigt sich. Dieses Gestoßenwerden auf das hinter der Physik liegende, das „Meta-physikalische“, meint wohl der angesehene theore­tische Physiker Paul Davies, Autor vieler populärwissenschaftlicher Bücher zur modernen Physik, wenn er in einem seiner frühen Bücher God and the New Physics (1983) schreibt: „It may seem bizarre, but in my opinion science offers a surer path to God than religion.“ Das klingt wohl wirklich etwas bizarr, wie wenn Physik direkt zu Gott führe, man von der Physik einen Gottesbeweis erwarten könne. – Das gibt es sicher nicht! Aber was dann?

Gibt es einen Durchblick von der Physik zur Theologie, eine Brücke zwischen den beiden in Objekt und Methode so verschiedenen Erfahrungswelten? Wenn es eine solche Denkbrücke geben sollte, mit einem Ende in der physikalischen Realität gründend, so kann sie nicht ins Blaue hineingebaut sein, sondern die Gründung des anderen Brückenendes muss in der göttlichen Wirklichkeit sein, so wie sie sich uns im Glauben als Logos und Liebe erweist.

Es gibt tatsächlich eine solche Brücke: die Metapher (griechisch: 72062.jpg wörtlich „Übertragung“, von meta-phorein „übertragen, übersetzen, transportieren“). Redensartliche Metaphern sind uns allen wohlbekannt. Wenn sie mehr die Form von Erzählungen annehmen, spricht man von Gleichnissen (auch Parabeln). Ob Metapher oder Gleichnis, es geht um das Feststellen von Ähnlichkeiten und Parallelitäten zwischen Strukturen, Beziehungen oder Verhältnissen vollkommen unähnlicher Dinge. Letzteres ist besonders wichtig, um Missverständnisse von vornherein auszuschließen: Wie schon im Vorwort gesagt, bleibt das Wesen von einem oder von beiden in Beziehung gesetzten Dingen (Entitäten) unbekannt. Das gilt für Gott, aber auch für quantenmechanische Objekte, mit denen wir es zu tun haben werden. Nicht was die Dinge sind ist Gegenstand der Analogie, sondern das WIE ihres Verhaltens. Daher können die in diesem Sinne analogen Dinge ganz unterschiedlichen Bereichen der Wirklichkeit angehören. (Denken Sie an Jesu Gleichnisreden, wo alltagsweltliche Erfahrungen zu Gleichnissen des Reiches Gottes werden.)

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Aristoteles (384–322 v. Chr.)

Die Metapher ist also eine Analogie von Verhältnissen – „Verhältnis von Verhält­nissen“ – von im Wesen vollkommen verschiedenen Entitäten. Aristoteles hat diese Art von Analogie untersucht und als Analogia proportionalitatis – „Verhältnis­analogie“ – von anderen Analogiearten unterschieden. (Aristoteles’ Beispiel: Wie sich das Greisenalter zum Leben verhält, so der Abend zum Tag; mithin kann man den Abend Alter des Tages nennen oder das Alter den Lebensabend oder Sonnenuntergang des Lebens …)

Die Metapher als Verhältnis­analogie bietet sich daher als Verstehenshilfe für Strukturen, Relationsgefüge, Verhaltens- und Wirkweisen von Entitäten an, selbst wenn deren Wesen unserem Intel­lekt nicht zugänglich sind. Das heißt sogar, dass unser Intellekt metapho­risch oder gleichnishaft (per analogiam proportionalitatem) Be­ziehungen zwischen Verhaltens­weisen unserer physika­lischen Welt und den Verhaltens- und Wirkwei­sen des göttlichen Logos erkennen kann. Er, der göttliche Logos selbst, bleibt uns absolut ein Geheimnis – außerhalb unseres Seins.7

Dies mag dem Leser absurd erscheinen, dem Physiker aber nicht. Viele sind der Ansicht, dass der Physiker wisse oder zumindest nach Erklärung suche, was das sei, das wir Materie, Elektrizität, Ladung, Magnetismus, Masse, Kraft, Energie oder Elektron, Photon und dergleichen nennen. Freilich würden wir gerne wissen, was denn diese Dinge ihrem Wesen nach sind. Aber der forschende Mensch ist zur Einsicht gekommen, dass er sich dem Wesen der materiellen Dinge nur nähern kann, sozusagen von außen, indem er ihre Beziehungen zu anderen Entitäten erforscht, also das Wie ihres Verhaltens, Agierens und Interagierens im Beziehungsgefüge mit anderen Entitäten.

Die Theorien des Physikers sind mathematische Modelle einer materiellen Wirk­lichkeit, deren Wesen er nicht kennt. Die Modelle erfassen aber die Wechselwirkungen der materiellen Dinge untereinander – ihr „Verhältnis“ – auf bewunderns­werte Weise. Wir werden auf zwei Grundeigenschaften der materi­ellen Welt, ihre Intelligibilität und Relationalität, im nächsten Kapitel näher eingehen. Zunächst wird dies innerhalb der Physik, ohne theologischen Bezug, geschehen. Und erst im Kapitel VII werden wir Intelli­gibilität und Relationalität der Materie als Metaphern sehen, die uns näher an das Ge­heimnis der Weltimmanenz und inneren Dynamik des dreieinen Gottes heranführen können.

Der Leser möge hierbei und in den Kapiteln VIII bis XII nicht aus den Augen verlie­ren, dass es sich um metaphorische Begegnungen von Naturwissenschaft und Glauben handelt und keinesfalls um irgendwelche naturwissenschaftlichen Beweise von Glau­benslehren. Wohl aber sollen die Metaphern Verstehenshilfen bieten und im Sinne einer „Natürlichen Theologie“ zur Vertiefung des Verständnisses von Glaubens­geheimnissen beitragen. Gleichzeitig erweist die Metapher auch das Geglaubte als mit der Naturwissen­schaft „in Einklang“ stehend, also als „vernünftig“. Andererseits ermög­licht aber der meta­phorische Bezug zwischen Theologischem und Naturwissen­schaftlichem auch eine „Theologie der Natur“, die dem naturwissen­schaftlichen Weltbild Sinn gibt, den es aus sich heraus nicht haben kann.

Natürlich ist das theologische Bezugsfeld einer auf Naturwissenschaft beruhenden Metaphorik beschränkt. So haben wir keine naturwissenschaftlichen Modelle, die etwa als Metaphern für Ethik und Moraltheologie dienen könnten. Sünde, Schuld und Sühne sind daher keine expliziten Themen dieses Buches.

1 Gegenwärtig wird der Input von Information viel diskutiert. Die Frage, inwieweit Informationsinput Ordnung verursachen kann und wie dies vor sich gehen sollte, ist ein heißes Eisen.

2 Dies ist ein Grund für das zunehmende Desinteresse unserer westlichen Gesellschaft an der christlichen Religion. Es ist letztlich zurückzuführen auf die Wissenschafts-Gläubigkeit der Gesellschaft. Man „glaubt“ an die Physik und die Naturwissenschaften im Allgemeinen, auch wenn man wenig davon versteht; ganz einfach, weil man sich nicht durch Studium von der Gewissheit und Gültigkeit ihrer Gesetze zu überzeugen braucht, da sie durch die großartigen praktischen Anwendungen in Technik und Medizin hinreichend legitimiert und bestätigt erscheinen.

3 Der „Wissenschaftliche Naturalismus“ ist ein Neo-Atheismus; so genannt, um diesen Atheismus von einem respektablen, existenziellen Atheismus eines Friedrich Nietzsche, Albert Camus, Jean-Paul Sartre zu unterscheiden, der aus der selbst erfahrenen Befindlichkeit der menschlichen Existenz hervorbricht. Prominentester Neo-Atheist an vorderster Front einer kämpferisch-atheistischen Bewegung von Naturwissenschaftlern, Psychologen und Soziologen ist der theoretische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, Oxford-Professor und Bestsellerautor von The God Delusion (deutsch: Der Gotteswahn) und dem bereits 1987 erschienenen The Blind Watchmaker (deutsch: Der blinde Uhrmacher).

4 Vorstellungen der Schöpfungslehre wie etwa von der realen Existenz des Paradieses, der persönlichen Erbschuld eines ersten Menschenpaares Adam und Eva oder vom „Tod, der durch die Erbsünde kam“.

5 Bis in die jüngere Vergangenheit wurde der Zufall in der Schöpfung von den Theologen abgelehnt oder ignoriert, auch in Unkenntnis neuer Physik, weil vermeintlich im Widerspruch mit einem Schöpfungsplan.

6 Dem widmete Papst Benedikt XVI. seine erste Enzyklika: Deus ­Caritas est.

7 Diese Verhältnisanalogie ist Basis der analogia entis der thomistischen Theologie. In der angelsächsischen Literatur zur Neuen Natürlichen Theologie konnte ich kaum einen Hinweis auf die Verwandtschaft des von Naturwissenschaftlern-Theologen vertretenen „Bottom-up-Denkens“ mit der analogia entis entdecken. Man spricht anscheinend lieber von Koinzidenzen, Parallelitäten u. dgl. Möglicherweise ist dies noch eine Folge der radikalen Ablehnung der analogia entis durch den großen evangelischen Theologen Karl Barth, der die analogia entis „die Erfindung des Antichrist“ nannte (Zitat nach Walter Kasper: Der Gott Jesu Christi, 1982). Barth scheint der Meinung gewesen zu sein, dass eine auf Gott bezogene Verhältnisanalogie Gottes Sein mit dem Sein der Welt verknüpft und damit Gottes absolute Transzendenz negiert. Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel hat (in Gott als Geheimnis der Welt, 2001, § 17) die Missdeutungen der analogia entis in einer tiefschürfenden Abhandlung korrigiert. Richtig verstanden setzt die analogia entis das Anders-Sein und die vollständige Unerkennbarkeit Gottes voraus.