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Über die AutorInnen

Derrick Jensen, geboren 1960, ist ein US-amerikanischer Autor und radikaler Umweltaktivist. Er hat über fünfzehn Bücher verfasst, zu den bekanntesten zählen: „Endgame“, „A Language Older Than Words“ und „What We Leave Behind“ (gemeinsam mit Aric McBay).

Lierre Keith, geboren 1964, lebt als Schriftstellerin, Kleinbäuerin und radikal-feministische Aktivistin in den USA.

Aric McBay ist Autor mehrerer Sachbücher, Aktivist und Kleinbauer und lebt in Ontario, Kanada.


Hinweis der AutorInnen

Bevor wir mit dem Schreiben dieses Buches begannen, beschlossen wir, die drei AutorInnen – Eric, Lierre und Derrick –, die Bereiche, die wir abdecken wollten, unter uns aufzuteilen. So hat jedes Kapitel einen Hauptautor.

 

Vorwort von Derrick Jensen

 

Jemand musste schließlich einen Anfang machen. Was wir geschrieben und gesagt haben, wird von vielen anderen geglaubt. Sie wagen nur nicht, es auszusprechen, so wie wir es getan haben.

Sophie Scholl, Die weiße Rose

In diesem Buch geht es darum, zurückzuschlagen. Die dominante Kultur – Zivilisation – tötet den Planeten und es ist längst an der Zeit für jene, denen das Leben auf der Erde etwas bedeutet, die Initiative zu ergreifen, um diese Kultur daran zu hindern, jedes lebende Wesen zu zerstören.

Mittlerweile kennen wir alle die Statistiken und Trends: 90 Prozent der großen Fische in den Ozeanen sind verschwunden, es gibt zehnmal so viel Plastik wie Phytoplankton in den Ozeanen, 97 Prozent der natürlichen Wälder sind zerstört, 98 Prozent der natürlichen Graslandschaften sind zerstört, die Populationen von Amphibien, Singvögeln, Weichtieren, Fischen und vieler mehr kollabieren. Zweihundert Arten sterben jeden Tag aus. Wenn wir diese Statistiken und Trends nicht kennen, wird es Zeit, das zu ändern.

Diese Kultur zerstört das fruchtbare Land. Das ist ihr Wesen. Wenn du an den Irak denkst, ist das erste, das in den Sinn kommt, Zedernwälder, die so dicht sind, dass das Sonnenlicht nie den Boden berührt? Einer der ersten niedergeschriebenen Mythen dieser Kultur handelt davon, wie Gilgamesch die Hügel und Täler des Irak entwaldet, um eine große Stadt zu errichten. Die arabische Halbinsel war früher eine Eichensavanne. Der Nahe Osten war dicht bewaldet (Wer hat noch nicht von den Zedern des Libanon gehört?). Griechenland war dicht bewaldet. Nordafrika war dicht bewaldet.

Wir sagen es noch einmal: Diese Kultur zerstört das fruchtbare Land.

Und sie wird nicht damit aufhören, weil wir nett darum bitten.

Wir leben nicht in einer Demokratie. Und bevor du aufgrund dieser Blasphemie nach Luft schnappst, frage dich: Dienen Regierungen besser Unternehmen oder Lebewesen? Macht das Justizsystem die CEOs für ihre destruktiven, oft mörderischen Taten verantwortlich?

Hier sind ein paar Rätsel, die nicht sehr lustig sind.

Frage: Was bekommst du, wenn du eine lange Drogenkarriere, ein aufbrausendes Temperament und ein Gewehr vereinst? Antwort: Zweimal lebenslang für Mord, früheste Möglichkeit für Entlassung in 15 Jahren.

Frage: Was bekommt man, wenn man zwei Nationalstaaten, ein großes Unternehmen, vierzig Tonnen Gift und mindestens 8.000 tote Menschen zusammenbringt? Antwort: Ruhestand, mit vollem Lohn und vollen Zusatzleistungen (Warren Anderson, CEO von Union Carbide, der den Massenmord in Bhopal verursacht hat).

Haben die Reichen das gleiche Rechtssystem wie du oder ich? Hat das Leben auf der Erde vor Gericht genauso gute Chancen wie ein Unternehmen?

Wie alle kennen die Antworten auf diese Fragen.

Und wir wissen in unserem tiefsten Inneren, wenn nicht gar in unseren Köpfen, dass diese Kultur keine freiwillige Transformation in eine gesunde und nachhaltige Lebensweise vollziehen wird. Wir – Aric, Lierre und Derrick – haben Tausende und Abertausende von Menschen aus allen Lebensbereichen, von AktivistInnen über Studierende bis hin zu Menschen, die wir in Bussen und Flugzeugen trafen, gefragt, ob sie glauben, dass diese Kultur diese freiwillige Transformation durchlaufen wird. Fast niemand glaubt das, fast niemand sagt ja.

Wenn du dich um das Leben auf diesem Planeten sorgst und wenn du glaubst, dass diese Kultur nicht freiwillig mit der Zerstörung aufhört, wie wirkt sich das auf deine Methoden des Widerstands aus?

Die meisten Leute wissen es nicht, weil die meisten Leute nicht darüber reden.

In diesem Buch wird darüber gesprochen: Dieses Buch handelt von diesem Wandel in Strategie und Taktik.

Dieses Buch handelt vom Gegenschlag.

Wir müssen unsere Körper und unser Leben zwischen das industrielle System und das Leben auf diesem Planeten stellen. Wir müssen anfangen, uns zu wehren. Diejenigen, die nach uns kommen, die bewohnen, was auch immer von der Welt übrig geblieben ist, sobald diese Kultur gestoppt wurde – sei es durch Peak Oil, wirtschaftlichen Zusammenbruch, ökologischen Zusammenbruch oder die Anstrengungen mutiger Frauen und Männer, die sich in Allianz mit der Natur wehren – werden uns nach der Gesundheit des Bodens beurteilen, nach dem, was wir zurücklassen. Es wird ihnen egal sein, wie du oder ich unser Leben gelebt haben. Es wird ihnen egal sein, wie sehr wir es versucht haben. Es wird ihnen egal sein, ob wir nette Leute waren. Es wird ihnen egal sein, ob wir gewaltfrei oder gewalttätig waren. Es wird ihnen egal sein, ob wir den Mord an dem Planeten betrauert haben. Es wird ihnen egal sein, ob wir erleuchtet waren oder nicht. Es wird ihnen egal sein, welche Art von Ausreden wir hatten, um nicht zu handeln (z.B. „Ich bin zu gestresst, um darüber nachzudenken“ oder „Es ist zu groß und beängstigend“ oder „Ich bin zu beschäftigt“ oder „Aber die Mächtigen werden uns töten, wenn wir effektiv gegen sie vorgehen“ oder „Wenn wir zurückschlagen, laufen wir Gefahr, so zu werden wie sie“ oder „Aber ich habe recycelt“ oder irgendeine von tausend anderen Ausreden, die wir alle schon viel zu oft gehört haben). Es wird ihnen egal sein, wie einfach wir gelebt haben. Es wird ihnen egal sein, wie rein wir in unseren Gedanken oder Taten waren. Es wird ihnen egal sein, ob wir die von uns herbeigesehnte Veränderung innerlich realisiert haben. Es wird ihnen egal sein, ob wir demokratisch, republikanisch, grün, liberal oder überhaupt nicht gewählt haben. Es wird sie nicht interessieren, ob wir dicke Bücher darüber geschrieben haben. Es wird ihnen egal sein, ob wir „Mitgefühl“ mit den CEOs und PolitikerInnen hatten, die diese tödliche Wirtschaft betreiben.

Was ihnen nicht egal sein wird, ist, ob sie die Luft atmen und das Wasser trinken können. Wir können über einen großartigen Wandel phantasieren, so viel wir wollen, aber wenn die Leute (einschließlich der nichtmenschlichen Individuen) nicht atmen können, spielt das keine Rolle.

* * *

Jede neue Studie zeigt, dass sich die globale Erwärmung viel schneller vollzieht als bisher angenommen. Nüchterne WissenschaftlerInnen ziehen inzwischen die Möglichkeit in Erwägung, dass Milliarden von Menschen durch das, was manche als Klima-Holocaust bezeichnen, getötet werden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie deutet auf einen Temperaturanstieg von 16°C (30°F) bis zum Jahr 2100 hin.

Wir sprechen nicht davon, dass diese Kultur Menschen, und in der Tat den ganzen Planeten, irgendwann in ferner Zukunft tötet. Es ist die Zukunft der Kinder, die heute geboren werden, die diese in ihrem Leben sehen und erleiden werden.

Sei ehrlich, ist diese Kultur mehr wert als das Leben deiner eigenen Kinder?

* * *

In Ärzte im Dritten Reich erforschte Robert Jay Lifton, wie es geschehen konnte, dass Männer, die den Hippokratischen Eid abgelegt hatten, ihre Fähigkeiten für Konzentrationslager zur Verfügung stellen konnten, in denen sich InsassInnen zu Tode arbeiteten oder wie am Fließband getötet wurden. Er fand heraus, dass viele der Ärzte sich ernsthaft um ihre Pflichten kümmerten und alles in ihrer Macht Stehende taten – was lächerlich wenig war, um das Leben für die Inhaftierten besser zu machen. Wenn ein Häftling krank wurde, gaben sie dem Häftling vielleicht eine Tablette Aspirin. Sie steckten den Häftling für ein oder zwei Tage ins Bett (aber nicht zu lange, sonst könnte der Häftling zur Ermordung „ausgewählt“ werden). Wenn der Patient eine ansteckende Krankheit hatte, töteten sie ihn manchmal, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. All dies ergab innerhalb der Grenzen von Auschwitz Sinn. Die Ärzte taten alles, um den Häftlingen zu helfen, bis auf das Wichtigste von allem: Sie stellten nie die Existenz von Auschwitz selbst in Frage. Sie haben nie in Frage gestellt, dass man die Insassen sich zu Tode arbeiten ließ. Sie haben nie in Frage gestellt, dass sie zu Tode gehungert wurden. Sie haben nie in Frage gestellt, sie zu inhaftieren. Sie haben nie in Frage gestellt, sie zu foltern. Sie haben nie die Existenz einer Kultur in Frage gestellt, die zu diesen Gräueltaten führte. Sie haben nie die Logik in Frage gestellt, die unweigerlich zu den Elektrozäunen, den Gaskammern, den Kugeln im Kopf führte.

Wir als Umweltschützer tun dasselbe. Wir kämpfen so hart wir können, um die Orte, die wir lieben, zu schützen, indem wir die Werkzeuge des Systems so gut wie möglich nutzen. Aber wir tun nicht das Wichtigste von allem: Wir stellen die Existenz dieser tödlichen Kultur nicht in Frage. Wir stellen nicht die Existenz eines wirtschaftlichen und sozialen Systems in Frage, das die Welt kaputt macht, sie aushungert, sie gefangen hält, sie foltert. Wir stellen niemals die Logik in Frage, die unweigerlich zu Kahlschlägen, ermordeten Ozeanen, Verlust von Mutterboden, gestauten Flüssen und vergiftetem Grundwasser führt.

Und erst recht handeln wir nicht, um diesen Horror zu stoppen.

Wie stoppt man die globale Erwärmung, die vor allem durch die Verbrennung von Öl und Gas verursacht wird? Wenn du irgendeinen halbwegs intelligenten Siebenjährigen fragst, sollte dir dieses Kind die offensichtliche Antwort geben können. Aber wenn du einen halbwegs intelligenten 35-Jährigen fragst, der für ein grünes High-Tech-Beratungsunternehmen arbeitet, wirst du wahrscheinlich eine Antwort erhalten, die dem Unternehmen mehr hilft als der realen, physischen Welt.

Wenn die meisten Menschen in dieser Kultur fragen: „Wie können wir die globale Erwärmung stoppen?“, fragen sie nicht wirklich, was sie vorgeben zu fragen. Sie fragen stattdessen: „Wie können wir die globale Erwärmung stoppen, ohne das Verbrennen von Öl und Gas zu stoppen, ohne die industrielle Infrastruktur zu stoppen, ohne dieses massenmörderische System zu stoppen?“ Die Antwort: Es geht nicht.

Hier ist noch eine andere Art, das Problem zu betrachten: Was würdest du tun, wenn Außerirdische diesen Planeten überfallen würden und die Ozeane leer saugen, einheimische Wälder vernichten, Dämme in jeden Fluss bauen, das Klima verändern und Dioxin und Dutzende anderer krebserregender Stoffe in die Muttermilch jeder Mutter und in die Körper deiner eigenen Kinder, Geliebten, Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Freunde, in deinen eigenen Körper einbringen? Würdest du dich widersetzen? Wenn es eine Widerstandsbewegung gebe, würdest du dich ihr anschließen? Wenn nicht, warum nicht? Wie viel schlimmer müsste der Schaden sein, bevor du diejenigen stoppen würdest, die den Planeten töten, die deine Lieben töten und letztlich dich selbst?

Neunzig Prozent der großen Fische in den Ozeanen sind bereits verschwunden. Wo ist deine Schwelle für Widerstand? 91 Prozent? 92? 93? 94? Würdest du warten, bis sie 95 Prozent ausgerottet haben? 96? 97? 98? 99? Wie wär’s mit 100 Prozent? Würdest du dich dann wehren?

Mit diesen Fragen wollen wir keinesfalls andeuten, dass Menschen nicht versuchen sollten, innerhalb des Systems zu arbeiten, um die Zerstörungskraft dieser Kultur zu verlangsamen. Verhandlungen über die Beseitigung von Staudämmen, die von lokalen Interessensgruppen geführt werden, sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Aber es gibt 2 Millionen Dämme allein in den Vereinigten Staaten; 60.000 dieser Dämme sind höher als 4 Meter, und 70.000 sind höher als 1,80 Meter. Wenn wir nur einen dieser 70.000 Dämme pro Tag stilllegen würden, bräuchten wir 200 Jahre. Lachse haben diese Zeit nicht. Störe haben diese Zeit nicht.

Wenn Lachse menschliche Gestalt annehmen könnten, was würden sie tun?

Dieses Buch handelt vom Zurückschlagen.

Und was meinen wir damit? Wie wir in diesem Buch untersuchen werden, bedeutet es in erster Linie, für uns selbst zu denken und zu fühlen, herauszufinden, wen und was wir lieben und wie wir unsere Lieben am besten verteidigen können, mit den Mitteln, die angemessen und notwendig sind. Die Strategie von Deep Green Resistance (DGR) beginnt mit der Erkenntnis der katastrophalen Umstände, welche die industrielle Zivilisation für das Leben auf diesem Planeten geschaffen hat. Das Ziel von DGR ist es, den Reichen die Fähigkeit zu nehmen, von den Armen zu stehlen und den Mächtigen ihre Fähigkeit, den Planeten zu zerstören. Das bedeutet auch die Verteidigung und den Wiederaufbau gerechter und nachhaltiger menschlicher Gemeinschaften, die auf einem restaurierten und regenerierten Boden aufbauen. Das ist ein gewaltiges Unterfangen, aber es ist machbar. Die industrielle Zivilisation kann gestoppt werden.

* * *

Immer wieder kommen Menschen zu uns – Aric, Lierre und Derrick – und erzählen uns, wie ihre Hoffnung und Verzweiflung zu einer Einheit verschmolzen sind. Sie wollen nicht weiter alles Mögliche tun, um die Erde zu retten, und dabei das Zentralste außen vor lassen: Die Zerstörung dieser tödlichen Kultur. Sie wollen in die Offensive gehen. Sie wollen diese Kultur aufhalten. Aber sie wissen nicht wie.

In diesem Buch geht es darum, eine Kultur des Widerstands zu schaffen. Und es geht darum, einen wirklichen Widerstand zu erzeugen. Es geht darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Lachs zurückkehren kann, dass die Singvögel zurückkehren können, dass die Amphibien zurückkehren können.

Dieses Buch handelt vom Gegenschlag.

Und dieses Buch handelt vom Gewinnen.

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Direkte Aktionen gegen strategische Infrastruktur sind eine grundlegende Taktik sowohl von Militärs als auch von Aufständischen auf der ganzen Welt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie funktionieren. Aber solche Aktionen allein sind nie eine ausreichende Strategie, um Gerechtigkeit zu erzielen. Das bedeutet, dass jede Strategie, die auf eine gerechte Zukunft abzielt, einen Aufruf zum Aufbau direkter Demokratien beinhalten muss, die auf den Menschenrechten und nachhaltigen materiellen Kulturen basiert. Die verschiedenen Zweige dieser Widerstandsbewegungen müssen Hand in Hand arbeiten: die öffentlichen und verdeckten, die militanten und gewaltfreien, die AktivistInnen an der Front und die KulturarbeiterInnen. Wir brauchen sie alle.

Und wir brauchen Mut. Das Wort „Courage“ kommt von der gleichen Wurzel wie coeur, das französische Wort für Herz. Wir brauchen den ganzen Mut, zu dem das menschliche Herz fähig ist, geschmiedet in Waffe und Schild, um das zu verteidigen, was von diesem Planeten übrig geblieben ist. Und das Lebenselixier des Mutes ist, natürlich, die Liebe.

Während dieses Buch also vom Gegenschlag handelt, geht es letztendlich um Liebe. Die Singvögel und der Lachs brauchen dein Herz, egal wie müde es auch sein mag, denn auch ein gebrochenes Herz ist aus Liebe gemacht. Sie brauchen dein Herz, weil sie verschwinden und in die längste Nacht des Aussterbens gleiten. Wir müssen diesen Widerstand aus allem aufbauen, was wir zur Hand haben: Aus dem Flüstern und Beten, aus der Geschichte und unseren Träumen, aus unseren mutigsten Worten und mutigeren Taten. Es wird schwer sein, es wird einen Preis haben, und viel zu oft wird es unmöglich erscheinen. Aber wir werden es trotzdem tun müssen. Also fasst euch ein Herz und schließt euch mit allen Lebewesen zusammen. Mit Liebe als unserer primären Quelle, wie können wir da scheitern?