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Nr. 2662

 

Kaowens Entscheidung

 

Kampf um die Vorherrschaft in Chanda – die Vasallenvölker versinken im Chaos

 

Arndt Ellmer

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf eine bislang ungeklärte Art und Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Die Lage spitzt sich zu, als die Planeten von fremden Raumfahrern besetzt und die Sonne Sol »verhüllt« wird. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Von all diesen Entwicklungen weiß Perry Rhodan nichts. Auch ihn hat es in einen fremden Kosmos verschlagen: Mit dem gewaltigen Raumschiff BASIS gelangt er in die Doppelgalaxis Chanda. Dort regiert die negative Superintelligenz QIN SHI, die für ihre Pläne das geheimnisvolle Multiversum-Okular benötigt.

Es gelingt Perry Rhodan, einen wertvollen Stützpunkt QIN SHIS zu vernichten. Damit fügt er der Superintelligenz schweren Schaden zu – und nun muss sie versuchen, ihre Truppen in Chanda neu zu formieren, ehe ihr die Kontrolle über die Lage entgleitet. Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht dabei KAOWENS ENTSCHEIDUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der unsterbliche Terraner muss vermitteln.

Kaowen – Der Protektor trifft eine Entscheidung über seine Zukunft.

Ramoz – Die »Seele der Flotte« muss sich in ihre neue Rolle hineinfinden.

Nemo Partijan – Der Hyperphysiker experimentiert mit einem Bergkristall

1.

 

Protektor Kaowen holte tief Luft. Die Filtermembranen seiner Nasenöffnung wölbten sich nach innen. Sie erzeugten ein leises, nur für ihn hörbares Rascheln, das für die anderen vom Schrillen der Alarmsirenen und den überlaut auf ihn niederprasselnden Statusmeldungen übertönt wurde.

Gleichzeitig war dem Xylthen noch immer das Fauchen heißer Luft aus dem Kamin des Transitparketts im Ohr. Es hatte ihn bei seinem hastigen Wechsel von der Werft in das Flaggschiff verfolgt. Als er schon die verzehrende Glut in seinem Rücken gespürt hatte, war der leuchtende Ring der Tunnelöffnung erloschen.

Der Alarm aber blieb. Er verstärkte das akustische Chaos, das ihm bei der Ankunft in der Zentrale der RADONJU entgegenbrandete, und hackte die Befehle und Durchsagen in Stücke.

»Willkommen, Protektor!«, schnarrte irgendwo in seiner Nähe einer der unsichtbaren energetischen Lautsprecher. Kaowen konnte solche überfallartigen Mitteilungen nicht ausstehen.

»Ich brauche alle Daten über diesen Raumsektor«, sagte er. »Alle!«

Von außen ergab sich nach seiner Überzeugung ein völlig anderes Bild von den Vorgängen in APERAS KOKKAIA als von innen.

Mit seiner Anweisung bereicherte er das Chaos in der Zentrale der RADONJU. Xylthen schrien lautstark Befehle. Badakk rannten zwischen den Soldaten umher und versuchten, sich so schnell wie möglich zu Siebenergruppen zusammenzuschließen und seine Anweisung mit höchstmöglicher Effizienz umzusetzen. In den Holokuben der einzelnen Steuerabteilungen flammten grell die Abbildungen der Werft. Nur mit Mühe wurden die Lichtfilter der tobenden Energien Herr.

APERAS KOKKAIA verwandelte sich in ein Energie speiendes Ungeheuer. Kaowen musste mit ansehen, wie sich die transparenten Schirme über den Kugelöffnungen der Oberfläche dunkel färbten, ihre energieeffiziente Kuppelform verloren und zu flachen Säcken mutierten. Andere schossen Geysiren ähnlich empor und verpufften im All. Wieder andere lösten sich einfach nur auf. Gleichzeitig liefen Bebenwellen durch die Außenschale des riesigen Gebildes.

Im Hyperspektrum zeichnete sich die Katastrophe noch deutlicher ab. Die Emissionen blähten die Werft zu einer Sonne auf, die jeden Augenblick explodieren musste.

APERAS KOKKAIA, der Ort des Wandels. Kaowen hätte am liebsten gelacht angesichts der Brutalität, mit der das Schicksal diesen Begriff ins Gegenteil verkehrte.

Der Ort des Wandels – der Ort der Niederlage von QIN SHI. So oder ähnlich würde es eines Tages in den Geschichtsbüchern auf Xylth stehen. Vielleicht zählte er selbst zu den Augenzeugen, vorausgesetzt, er würde seine Heimat wiedersehen oder wenigstens seine Berichte dorthin schicken können.

»Protektor!«

Kaowen glaubte in dem Lärm die Stimme zu erkennen, die von irgendwo auf der anderen Seite der Kommandoebene zur Kanzel drang.

»Protektor, wir haben ...«

»Später!«, sagte er.

Etwas Wichtiges konnte es nicht sein, denn das spielte sich in den Darstellungen der Holokuben ab, die angesichts der Informationsmengen mit ihrer geometrischen Stabilität zu kämpfen hatten. Die Begrenzungen der Kuben verformten sich, sodass ein Teil der optischen Darstellungen nur noch verzerrt zu erkennen war.

»Was ist mit den Einflugschächten?« Kaowen versuchte, den Lärm zu übertönen und mit seiner Stimme etwas Ruhe in das Chaos zu bringen. »Die Schiffe in der Nähe der Oberfläche sollen sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.«

Denen tiefer im Innern der Schale oder gar der Hohlkugel von APERAS KOKKAIA räumte er keine Chance ein. Sie brauchten zu lange, bis sie den freien Raum erreichten.

Weiter draußen, in noch sicherer Entfernung von der explodierenden Werft, erstreckte sich der Ring aus Kristallkugeln, deren Transitparkette nach wie vor aktiv waren. Tausende von Schiffen trafen ein. Ihre Zahl hatte die 45.000 inzwischen überschritten.

Kaowen entdeckte mitten im Holoturm die Darstellung einer stark verkleinerten Kugel. Die Anomalie. Inzwischen war ihr Durchmesser auf 81 Kilometer gewachsen. Auf der pechschwarzen Oberfläche zuckten erratische Blitze. Eruptionen wogten über der scheinbar festen Oberfläche des Gebildes.

Die Ortung meldete erste Echos aus den Öffnungen der Werft. Kaowen richtete seinen Blick erwartungsvoll auf die Bildschirme. Was er sah, raubte ihm den letzten Funken Hoffnung. Es waren keine Schiffe. Trümmer schossen mit hoher Beschleunigung ins All, Bruchteile von Zapfenschiffen und Beibooten.

Dazwischen taumelten halb zerfetzte Werftplattformen und hin und wieder quaderähnliche Gebilde, aus denen Luft entwich. Es handelte sich um Wohncontainer von Technikern und Ingenieuren.

Er entdeckte eine Wolke Kristallsplitter, von der Hitze hinten zu einem einzigen Klumpen zusammengeschmolzen. Es waren die Reste einer Kristallkugel.

Fast gleichzeitig schlugen die Orter und Taster der RADONJU durch. Eine zweite Strukturerschütterung breitete sich aus, nicht ganz so gewaltig wie die erste, aber stark genug, um APERAS KOKKAIA den Todesstoß zu versetzen.

Für Kaowen war klar, dass in diesem Augenblick die zweite Kugel der BASIS verschwunden war, nach Escalian oder wohin auch immer.

»Ortung stark beeinträchtigt«, meldete eine verzerrte Automatenstimme.

»Rückzug!«, ordnete der Protektor an. »Das gilt für alle Einheiten der versammelten Flotte mit Ausnahme meines Geschwaders.«

QIN SHI hatte sie gerufen, aber ihre Aufgabe hatte sich erledigt. Kaowen schickte ihnen die Koordinaten des Zielsektors.

Nach und nach erloschen die Sammelechos der einzelnen Flotten. Sie zogen sich auf eine Position in zehn Lichtstunden Entfernung zurück, weit genug, um nicht von den unmittelbaren Auswirkungen der Katastrophe betroffen zu sein.

Nur die RADONJU und ihre Begleitschiffe hielt Kaowen an der Stelle. Er wusste selbst nicht, warum er auf Flüchtlinge aus dem Inneren der Werft wartete. Sentimentalität war es nicht. Vielleicht hoffte er immer noch auf Informationen zu den Vorgängen der letzten Stunden und Tage, die ein klares Bild ergaben. QIN SHI selbst hatte dazu wenig beigetragen.

Der letzte mentale Befehl der Superintelligenz hatte ihn in dem Auftrag bekräftigt, den er einst erhalten hatte. Er sollte das Multiversum-Okular sowie den Anzug der Universen bergen und zu QIN SHI bringen. Dann war die Superintelligenz dorthin gegangen, wo sie die BASIS-Kugeln vermutete und wo sich nach Kaowens Dafürhalten auch die beiden gesuchten Gegenstände befanden.

Der Protektor schloss den Gedanken daran vorerst mit der Erkenntnis ab, dass sich die Gedanken eines körperlosen Superwesens dem Normalsterblichen nicht immer erschlossen.

Die Infrarottaster meldeten rasch ansteigende Temperaturen im Innern der Werft. Wenig später drang ein rotes Glühen durch die Öffnungen der Hohlkugel. APERAS KOKKAIA verwandelte sich in einen Sonnenofen. Die Hitze fraß sich in den Mantel um die Hohlkugel und löste die natürlich gewachsenen Strukturen des Materials auf. Die Außenhülle der Werft fing von innen an zu leuchten. Nach und nach verflüssigte sie sich, bis die Oberfläche einem Magmasee beziehungsweise – ein passenderes Bild – der Oberfläche einer orangefarbenen Zwergsonne glich.

Erstes glühendes Material drängte nach außen. Die Poren vergrößerten sich rasend schnell. Der aufgestaute Innendruck der Werft entwich durch die vorhandenen Öffnungen und riss das aufgeweichte Material mit sich.

Die Hohlkugel waberte und wallte wie eine riesige Amöbe.

Dann zerplatzte APERAS KOKKAIA förmlich. Die Werft blähte sich auf, bis die letzten Verbindungen noch fester Materie rissen. Im Zeitlupentempo verfloss die Hohlkugel ins All. Die Ausdehnungsgeschwindigkeit lag deutlich unter der, mit der eine Sonne ihre Protuberanzen ins All schleuderte. Kaowen schätzte sie auf maximal 300 Meter pro Sekunde.

Der Protektor zog den kleinen Verband dennoch ein paar Lichtminuten weiter hinaus ins All, wo es außer ein paar Funkbojen und Wächtersonden nichts gab. Er konnte selbst nicht genau sagen, warum er noch immer ausharrte. Es lag wohl daran, dass QIN SHI verschwunden war und ihm den Auftrag gegeben hatte, die Stellung zu halten. Kaowen sollte den Untergang bis zur bitteren Neige auskosten, denn es war sein Versagen, seine Schuld. Es war ihm nicht gelungen, seinen Auftrag zu erledigen, nämlich das Multiversum-Okular und den Anzug der Universen zu beschaffen.

Wieder hörte Kaowen die Stimme, diesmal deutlich näher.

»Protektor, wir haben ein deutliches Ortungsecho der Anomalie. Sie bewegt sich aus dem Zentrum der Werft nach außen. Und sie bewegt sich schneller, als APERAS KOKKAIA sich ausdehnt.«

»Der Weg nach Escalian«, sinnierte Kaowen.

»Er steht uns bald wieder offen.«

Der Protektor überlegte ziemlich lange.

»Wir haben keinen Befehl dazu. Vergiss es.«

 

*

 

Stumm beobachtete Kaowen den Untergang der Werft. Dort drinnen hatte er nach der Explosion der Sonnenbombe seinen letzten Klonkörper verloren. Im vorletzten steckte er, nachdem QIN SHI ihn wegen seines Versagens zur Rechenschaft gezogen und getötet hatte. Jeder Atemzug kam ihm inzwischen wie das Signal zur nächsten Hinrichtung vor.

Viel blieb ihm nicht für die Zukunft – nur sein Originalkörper auf Xylth, der im Zustand suspendierter Animation verharrte. Dieser Körper war seine letzte Zuflucht, wenn um ihn herum das Universum zu existieren aufhörte.

Der Protektor zog Bilanz. Das Multiversum-Okular und der Anzug der Universen befanden sich nicht in seinen Händen. Schlimmer noch! Die beiden BASIS-Kugeln waren endgültig seinem Zugriff entzogen.

Von der Gegenstation, die er in Escalian vermutete, war eine Sonnenbombe herübergekommen und explodiert. Ihr verheerendes Wirken hatte APERAS KOKKAIA zur Hälfte zerstört. QIN SHI hatte daraufhin das Einzige getan, was ihm in dieser Situation vermutlich geblieben war. Er war ebenfalls in die Anomalie eingedrungen, der ersten BASIS-Kugel hinterher.

Vielleicht hoffte er so zu retten, was nicht mehr zu retten war.

Ohnmacht erfüllte Kaowen in diesen Augenblicken, in denen sich das Magma wie ein zornig wachsender Brei in das All ergoss. Gleichzeitig spürte er Ruhe in sich, die ihm ein bisher nicht gekanntes Lebensgefühl vermittelte. Auch QIN SHI war hier machtlos. Außer einem letzten mentalen Impuls hatte er ihm nichts hinterlassen, ehe seine übermächtige Präsenz abrupt erloschen war.

Zurück blieben die Flotte unter Kaowens Befehl und eine Werft, die ihren Namen nicht mehr verdiente.

Der Protektor lauschte in sich hinein. Er spürte dem psionischen Druck nach, den er lange Zeit als Belohnung empfunden hatte, weil er die Anwesenheit der Superintelligenz anzeigte. Jetzt war da nichts außer Leere.

QIN SHI hatte Chanda verlassen, und Kaowen fragte sich, wie er sich verhalten sollte. Ihm folgen? Er hatte ihm keinen Befehl dazu gegeben. Kaowen hing in der Luft, konnte entscheiden, wie er wollte; richtig oder falsch. Es lag allein in seinem Ermessen.

Kaowen empfand etwas Unglaubliches. Er besaß die Freiheit, selbst eine Wahl zu treffen! Jetzt, da er sich dessen bewusst war, wollte er nichts anderes tun, als er auch so getan hätte. Er wollte dort sein, wo QIN SHI sich aufhielt.

Kaowen starrte weiter reglos auf die Darstellungen im Holoturm. Die Kugelschale der Werft verzehrte sich in Energiefontänen, die an Sonnenprotuberanzen erinnerten. Zonen unterschiedlicher Hitze zeigten sich in unterschiedlichen Farbnuancen zwischen dunklem Rot und hellem Gelb. Für kurze Zeit leuchteten die gewölbeartigen Strukturen der Hohlkugel nach außen durch, bevor sich alles in einer breiartigen Masse vermischte. An der linken Seite der Werft, vom Standort der RADONJU aus gesehen, bildete sich eine riesige Beule in der wabernden Oberfläche. In den ins All hinausdrängenden Massen zeichnete sich ein dunkles Monster ab, das in hektischen Schüben aus der Glut ins Freie drängte.

»Die Anomalie!«, hörte Kaowen den Adjutanten schreien. »Sie wird uns verschlingen!«

Der Protektor bemühte sich um größtmögliche Nachsicht. Keiner seiner Soldaten, überhaupt kein Wesen aus den Dienervölkern QIN SHIS, war in seinem Leben jemals mit derartigen Vorgängen konfrontiert worden. Immerhin war die Superintelligenz persönlich gekommen und hatte jedem Einzelnen von ihnen ihr Gesicht gezeigt, überdimensional auf der Wand, der Tür, der Konsole ... Kaowen hatte sich der Eindruck tief in die Erinnerung gebrannt – sein Gesicht in nie gekannter Ausdrucksstärke und Entschlossenheit, ein Wunschbild, wie er nach QIN SHIS Meinung sein sollte.

Jeder hatte sein eigenes Gesicht gesehen und kein anderes. Der Protektor fragte sich, was ein zylinderförmiger Badakk wahrnahm. Einen individuell geformten Deckel mit Stacheln?

Am meisten hatte der Kontakt die Dosanthi mitgenommen. Zu Hunderten verwandelten sie sich in Dauererregte, deren psionische Qualen den Badakk und Xylthen zusetzten und sie nach und nach in den Wahnsinn trieben. Ein Teil der Dosanthi setzte die Erregung nicht in Angst, sondern in Aggression um. Es gab erste Tote in den Schiffen. Die Roboter hatten alle Tentakel voll zu tun. Schutzschirme bauten sich um Wohnkavernen auf und verwandelten diese in psychiatrische Anstalten. Der Verbrauch an Beruhigungsmitteln schnellte in ungeahnte Höhen.

Und dies war nur der Anfang. Der Lautstärkepegel in der Zentrale der RADONJU schwoll deutlich an.

Lywena wagte sich erneut in die Nähe des Protektors. Kaowen sah, wie der Adjutant den Leiter der Funkstation aus seinem Sessel drängte.

»Wir erhalten Notrufe aus mehreren Schiffen.«

Kaowen sah es selbst. Die Dosanthi gerieten außer Rand und Band. Sie attackierten Badakk-Siebenergruppen und unterbrachen deren Körperkontakt. Die Badakk wurden schlagartig aus ihrer geistigen Symbiose gerissen, irrten hilflos umher und gerieten zwischen die Tobenden.

»Setzt Lähmstrahler ein!«, sagte Kaowen schnell entschlossen. Für das Nervenkostüm der sensiblen Badakk und Dosanthi waren diese Strahlen Gift, aber der Protektor sah keine andere Möglichkeit, den Verrückten Einhalt zu gebieten. Hilflos musste er mit ansehen, wie die ersten Körperhüllen von Badakk rissen und das Körpergas aus ihnen entwich. In ihrem Innern entstand ein Unterdruck. Die Betroffenen sanken mit einem Seufzen in sich zusammen. Viel mehr als ein leerer Sack schien nicht übrig.

»An alle Kommandanten!«, verkündete Kaowen. »Badakk und Dosanthi sind in getrennten Sektoren unterzubringen!«

Im Zustand der Dauererregung wurden Dosanthi unberechenbar. Wenn Okogoamo, die Angsterregung, und Agalaria, die Aggressionserregung, zusammenkamen, entglitt auch den Xylthen ziemlich schnell die Kontrolle. Unter dem Einfluss der mentalen Angstwellen verloren sie die Übersicht und die geistige Kontrolle und wurden zu Opfern jener Dosanthi mit dem Agalaria-Agressionstrieb.

Kaowen sah das Unheil kommen. Er hatte sich längst über das Terminal des Flottenkommandeurs gebeugt und gab Befehle ein. Die RADONJU übernahm die Steuerung der übrigen Einheiten des Geschwaders. In vier, fünf Fällen kam dies jedoch zu spät. Diese Schiffe waren bereits außer Kontrolle, ein Teil der Funk- und Steueranlagen zerstört oder unbrauchbar.

»RADONJU an KOLLARON DREI!«, hämmerte die Stimme des Adjutanten in das Funkgerät. »Sofort beidrehen! Aktiviert die Gasdüsen der Feinsteuerung!«

Kaowen bekam Aufnahmen der Zentrale des Zapfenraumers auf seinen Schirm. Dosanthi hatten sie gestürmt und griffen die Xylthen und Badakk an. Kaowen suchte nach Kommandant Tawighan und fand ihn nach einer Weile am Boden zwischen den Sitzen. Um ihn bildete sich eine rote Lache.

Die Schiffsführung war – zumindest teilweise – handlungsunfähig.

Kaowen hämmerte auf die Sensorfelder seiner Befehlssteuerung ein. »KOLLARON DREI mit Traktorstrahl fixieren und längsseits holen!«

»Der Abstand ist zu groß, Protektor«, meldete der Pilot der RADONJU.

»Wie groß?«

»Drei Millionen Kilometer mehr, als der Projektionsstrahl reicht.«

»Volle Beschleunigung!«

Für das Flaggschiff bedeutete das ein paar Sekunden, bis es aufgeholt hatte. Die RADONJU schoss vorwärts, der wogenden Glut entgegen. Kaowen hielt die Projektoren in Bereitschaft. Für das über vier Kilometer lange Flaggschiff mit seinen leistungsstarken Aggregaten stellte das Manöver eine Standardsituation dar. Die Einflüsse durch die explodierte Werft hielten sich in Grenzen, solange sich die Schiffe außerhalb der expandierenden Magmawolke bewegten.

Lediglich das Rütteln bei der Beschleunigung erschien Kaowen ungewöhnlich. Er fuhr herum, starrte auf die Anzeigen der Triebwerke. Die Schubleistung schwankte ungewöhnlich, wie bei einem sich permanent ändernden Außenwiderstand. Der Maximalwert blieb bei 340 Kilometern pro Sekundenquadrat, der untere Wert stand bei 280 Kilometern und sank beständig ab.

Die Ortungsabteilung löste Alarm aus. »Hypereinbruch unmittelbar über der Magmazone!«

Kaowen blies die Atemluft leise zwischen den Lippen hervor. Der unwahrscheinlichste aller Fälle trat ein, als hätte es in letzter Zeit nicht schon genug Rückschläge und böse Überraschungen gegeben. Die hyperenergetischen Aktivitäten, erzeugt durch die Anomalie, die Explosion der Sonnenbombe und den Transfer der beiden BASIS-Kugeln, lagen auf den Normalraum bezogen viele Lichtjahre von der nächsten Sturmzone Kollaron-Viibads entfernt.

Im Hyperraum aber galten keine dreidimensionalen Entfernungen. Da ereignete sich beides in unmittelbarer Nähe zueinander oder zog sich gegenseitig an wie zwei Magnete. Die Katastrophe um APERAS KOKKAIA hätte sich genauso gut am anderen Ende der Chanda-Materiebrücke ereignen können.

Die RADONJU erreichte die nötige Entfernung zur KOLLARON DREI. Sobald die Traktorstrahlen das Schiff fest in ihrem energetischen Griff hatten, würde er den Überlichtflug einleiten.

Jetzt! Kaowens Finger schwebten dicht über dem Sensor für das Linearmanöver. Jeden Augenblick mussten die Energieskalen der Traktorstrahlprojektoren in die Höhe schnellen.

Nichts! Sie aktivierten sich nicht.

»Die Distanz für den Einsatz der Strahlen ist noch nicht erreicht«, meldete die Ortungsabteilung.