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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juni 2019

 

Für die Originalausgabe:

© 2018 by Grace R. Duncan

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Forgiveness«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13: 978-3-95823-760-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Jessica Hartmann


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Als Erics Seelengefährtin ihr Gefährtenband zerreißt, überlässt Eric in seiner Verzweiflung seinem Wolf das Ruder und verwandelt sich erst neun Jahre später wieder zurück. Davon überzeugt, seine Freunde durch seinen Zusammenbruch verloren zu haben, isoliert er sich nach wie vor von seinem Rudel. Erst ein Fremder kann ihn ins Leben zurückholen: Ben wuchs bei einer Mutter auf, die seinen Wolf als Dämon ansah, der ausgetrieben werden muss. Im Pittsburgh-Rudel findet er Akzeptanz und zudem in Eric seinen Gefährten. Doch es braucht einige Zeit, bis die beiden Männer ihre Vorbehalte überwinden und die Geister der Vergangenheit gemeinsam ein für alle Mal bezwingen können…


 

 

 

 

 

Für alle, die jemals eine zweite Chance brauchten.

Für Tricia, die bei meinem grammatikalischen Unsinn die

Geduld einer Heiligen beweist.

 

Und für Joe, Sara, Phyllis, Wendy, Robin, Vic, Tempe und Lex, weil ihr meine Cheerleader seid und mich daran erinnert, dass die Worte immer noch da sind, selbst wenn sie nicht so schnell

rauskommen wollen, wie ich es gern hätte.

 


 

 

Kapitel 1

 

 

Sie roch seltsam. Oder besser gesagt, sie roch nicht wie etwas, das er kannte. Sie sah menschlich aus, aber sie roch nicht wie ein Mensch, was ihn verwirrte. Und sie lief barfuß über den Waldboden.

Als sie auf ihn zukam, legte er den Kopf schräg und versuchte, das Rätsel zu lösen. Sie trug eine schlichte, dunkle Hose, ein einfaches, tunikaartiges Oberteil und hatte ein Bogen über ihrer Schulter hängen, zusammen mit einem Köcher voller Pfeile auf dem Rücken. Sein Instinkt sagte ihm jedoch, dass er nichts von ihr zu befürchten hatte.

Sie kniete sich vor ihn, wobei ihr das lange, dunkle Haar über eine Schulter fiel, und streckte die Hand aus, um ihm mit den Fingern über den Kopf zu streichen. »Mein armer, verlorener Wolf«, murmelte sie und neigte genau wie er den Kopf, während sie ihn betrachtete. »Ich verstehe deinen Schmerz, aber du bist noch nicht bereit dafür, gänzlich als Wolf zu leben. Du hast noch etwas in deiner menschlichen Gestalt zu erledigen und du brauchst dein Rudel. Meine Wölfe sind nicht dafür geschaffen, allein zu sein, nicht auf diese Weise. Es ist Zeit – höchste Zeit –, zu deinem Rudel und zu denen, die dich lieben, zurückzukehren.«

Obwohl ihn die sanfte Berührung beruhigte, winselte er leise, denn ihm gefielen diese Worte nicht. Er war aus einem bestimmten Grund gegangen. Für ihn gab es dort nichts mehr. Er hatte sich von ihnen abgewandt. Sie würden ihn jetzt nicht mehr haben wollen.

»Oh, Eric, das ist nicht wahr«, sagte sie kopfschüttelnd.

Eric. Er hatte diesen Namen schon vor Jahren vergessen – vielleicht absichtlich. Er scheute sich vor dieser Erinnerung an die menschliche Seite in ihm, vor dem Echo alten Schmerzes.

»Sie vermissen dich mehr, als du weißt. Und es gibt mittlerweile noch andere. Andere, die dich auf eine Weise verstehen werden, wie du vorher nicht verstanden worden bist.« Sie legte eine Hand auf seinen Kopf und seine Augen fielen zu.

Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines Hauses auf, das am Rand eines Flusses in der Nähe eines Wasserfalls stand. Ein sehr vertrauter Geruch gesellte sich zu dem Bild und Eric winselte wieder. Er wollte ihn nicht, diesen Geruch, wollte nicht zugeben, dass er ihn vermisste. Er wollte nicht darüber nachdenken, was er verpasst hatte.

Das Bild wandelte sich zu einem offenen Feld, auf dem ein Welpe mit rötlichem Fell auf ihn zusprang. Er knabberte an seinem Ohr, schubste ihn um. Er neckte ihn zurück, knurrte leise, als er wieder aufstand, um sich zu rächen.

Er verdrängte das Bild. Diese Zeit war vorbei. Er hatte den Weg zurück zu ihnen vergessen, wollte sich nicht daran erinnern, wie er dort hinkam.

Ihre Stimme ertönte wieder, mehr in seinem Kopf als laut ausgesprochen. »Du erinnerst dich. Du wirst es finden. Du weißt, wo das ist. Jetzt geh, mein verlorener Wolf. Und sei nicht mehr verloren.«

Eric öffnete die Augen. Sie war weg. Er sah sich um und schnupperte, aber da war keine Spur von ihr. Er legte sich hin und bettete seinen Kopf auf die Pfoten, während er versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war.

Aber er wusste es, selbst wenn er es nicht akzeptieren wollte. Er wusste, was er tun musste. Er wusste nur nicht, ob er sich dazu überwinden konnte.

»Geh«, flüsterte sie in seinem Kopf und mit einem Seufzen erhob sich Eric und machte sich zögerlich auf den Weg den Berg hinunter.

 

Er lag auf dem Hügel, von dem aus er den Wasserfall und den Fluss sehen konnte, und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was er tun sollte. Ein seltsam riechender Gestaltwandler saß auf der oberen Terrasse am hinteren Teil des Hauses und machte irgendwas an einem Laptop. Auch nichts von dem, was er von dem Mann sehen konnte, war Eric vertraut.

Während er darüber nachdachte, fuhr ein großer, blauer SUV an der Vorderseite des Hauses vor und hielt an. Eric konnte die Person nicht sehen, als sie ausstieg, aber den Geruch, der von einem Windhauch zu ihm hochgeweht wurde, würde er immer wieder erkennen. Er setzte sich etwas auf und sein Herz raste bei dem Gedanken daran, die lächerlich kurze Distanz zwischen ihnen zu überwinden.

Er fragte sich kurz, ob Tanner ihn auch wittern konnte. Vermisst er mich überhaupt? Fragt er sich, was aus mir geworden ist? Es waren ungebetene Fragen, die seine tiefsten Ängste an die Oberfläche trieben, aber bevor er versuchen konnte, sie sich selbst zu beantworten, kam die Antwort von irgendwoher – von irgendjemandem?

Ja, ständig.

Erics Herzschlag verdreifachte sein Tempo. Er erhob sich, schien sich aber nicht dazu überwinden zu können, sich in Bewegung zu setzen. Dann spürte er etwas, fast wie ein Stupsen in seinem Hinterkopf, und ohne zu bemerken, was er tat, folgte er dem schmalen Pfad an der Seite des Hügels und lief in das Tal hinunter.

Als er aus dem Wald trat und am Rande des Flusses stehen blieb, setzte sich der Gestaltwandler auf dem Balkon auf und sah zu ihm herunter. Eric wand sich, nicht sicher, was er tun sollte, nun da er dort war. Sollte er sich einfach verwandeln? Sollte er auf das Haus zugehen?

Doch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, öffnete sich eine Tür zu seiner Linken.

Und dort stand, mit einem Ausdruck puren Schocks im Gesicht, Erics allerbester Freund.

»Eric?« Es war nur ein Flüstern, als hätte Tanner Angst, seinen eigenen Augen zu trauen.

Eric winselte leise und ließ den Kopf dabei hängen.

»Heilige Scheiße, du bist es!«

Eric hatte die Worte kaum registriert, als sich zwei menschliche Arme um seinen Hals schlangen.

»Ich dachte, du wärst... Ich war mir sicher, du bist... Verdammt.« Tanners Worte klangen leicht zittrig, aber er räusperte sich und ließ ihn los. »Kannst du... verwandelst du dich? Redest mit mir?«

Eric atmete nicht annähernd tief genug durch, dann trat er zurück. Tanner wirkte enttäuscht, doch als Eric sich nicht weiter zurückzog, breitete sich ein hoffnungsvolles Lächeln auf seinem Gesicht aus. Weiter tief durchatmend und mit noch immer rasendem Herzen stupste Eric seinen Wolf zurück.

Es dauerte länger, als er es in Erinnerung hatte, aber vielleicht lag das nur daran, dass seine letzte Verwandlung so lang her war. Obwohl es länger dauerte, fühlte es sich so natürlich an wie eh und je. Seine Knochen sortierten sich neu, Muskeln verlagerten sich, dann zogen sich sein Fell und seine Klauen zurück. Seine Pfoten verwandelten sich zu Händen und Füßen und schließlich schrumpften seine Zähne und seine Sicht änderte sich von Schwarz-Weiß zu Farbe.

Er schien sich jedoch nicht dazu bringen zu können, aufzusehen. Er keuchte heftig und schluckte wegen seiner staubtrockenen Kehle, während sein Herz versuchte, sich einen Weg aus seiner Brust zu schlagen. Er starrte auf das Gras unter sich, kämpfte damit, sich zu bewegen, aber sein Körper schien seinen Befehlen nicht zu gehorchen. Er war sich nicht sicher, dass er schon einfach so stehen könnte, auch wenn seinen menschlich geformten Beinen die Position nicht gefiel, in der er sich befand.

Offenbar wurde der Akt des Stehens von ihm nicht erwartet. Denn einen Moment später zerrte Tanner ihn hoch und umarmte ihn fester, als er jemals zuvor umarmt worden war.

»Oh mein Gott, du bist zurück. Bitte sag mir, dass du zurück bist. Ich habe dich so unglaublich doll vermisst.« Den letzten Satz murmelte Tanner beinahe, aber natürlich hörte Eric ihn.

Es gelang ihm, seine Arme um Tanner zu schlingen, und für einen Moment erwiderte er die Umarmung. Dann zog er sich zurück – auch wenn er sich mit den Händen an Tanners Armen festhielt, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren – und sah seinem besten Freund in die Augen.

Er musste sich zweimal räuspern, bevor er sprechen konnte, denn seine menschlichen Stimmbänder wollten nicht funktionieren. »Ähm, also, ja. Wenn... wenn du das möchtest.«

Tanner blinzelte ein paarmal, dann sagte er mit einem schiefen Lächeln: »Was denn sonst?«

Erleichterung durchflutete Eric. »Dann, ja, ich denke, das bin ich.«

In diesem Moment trat der fremde Gestaltwandler, der auf dem Balkon gesessen hatte, durch die Tür, wobei er von einem Ohr zum anderen grinste. Erics Nase zuckte, als er den Geruch des Mannes aufnahm, dann Tanners, dann wieder den des Mannes. Er blinzelte und sah Tanner verwirrt an. »Er ist dein... Gefährte?«

Tanner zog sich zurück, behielt jedoch eine Hand an Erics Ellenbogen, als er schwankte. Sobald er festen Stand hatte, ließ Tanner Erics Ellenbogen los und streckte seine Hand dem anderen Mann entgegen. »Ja. Das ist Finley. Er ist mein vorbestimmter Gefährte.«

Erics Augen weiteten sich und er starrte Finley an. »Vorbestimmt? Es gibt gleichgeschlechtliche vorbestimmte Gefährten?«

Tanner und Finley nickten beide und Finley lächelte. »Ja, die gibt es. Ich freue mich riesig, dich nun endlich kennenzulernen, Eric.« Er trat vor und breitete die Arme aus, als würde er Eric umarmen wollen, zögerte aber und überließ eindeutig Eric die Entscheidung.

Obwohl er ein wenig irritiert davon war, den Gefährten eines anderen zu umarmen, akzeptierte Eric die Geste und konnte nicht widerstehen, das warme, einladende Gefühl zu genießen, das sie in ihm auslöste.

Finley zog sich zurück. »Würdest du gern reinkommen? Vielleicht eine Hose anziehen? Und einen Kaffee trinken?«

Eric blinzelte. »Wie lange war ich unterwegs?«, fragte er anstelle einer Antwort. Er konnte den Gedanken noch nicht ganz fassen, dass Tanner nicht nur einen Gefährten, sondern einen männlichen vorbestimmten Gefährten und sogar ein Haus hatte! Er schob den kurzen Schmerz beiseite, dass Tanner einen Gefährten hatte, verabschiedete sich von seiner früheren Schwärmerei und konzentrierte sich darauf, sich für seinen besten Freund zu freuen.

Tanner und Finley wechselten einen Blick. Tanner räusperte sich. »Etwas über neun Jahre.«

Erics Mund klappte auf und ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Neun Jahre? Ich habe neun Jahre lang als Wolf gelebt?« Er wusste, dass er als Wolf nicht das gleiche Zeitgefühl hatte wie als Mensch, aber ihm war nicht klar gewesen, wie anders es war.

»Ja. Also...«

Eric schüttelte heftig den Kopf, in dem Versuch, sein Gehirn einzuschalten. Es schien, als hätte es sich irgendwie heruntergefahren. »Ja, ähm, vielleicht sollten wir doch lieber reingehen.«

Finley drehte sich um und ging wieder ins Haus. Tanner deutete mit der Hand in Richtung Tür und Eric folgte Finley, während es in seinem Kopf arbeitete. Als er in einen Raum trat, der offenbar eine Waschküche war, hielt Finley ihm eine graue Jogginghose entgegen.

Eric nahm sie, kämpfte jedoch einen Augenblick lang mit dem Hosenbund. Er schien seine Hände nicht zur Kooperation bewegen zu können. »Neun Jahre«, murmelte er, während er eine Faust öffnete und wieder schloss. »Kein Wunder, dass ich nicht mal mehr eine Hose anziehen kann.«

Tanner lachte leise. »Kumpel, ich wäre überrascht, wenn du im Moment irgendetwas hinkriegst. Das war eine lange Zeit, um als Wolf zu leben. Einen Augenblick lang hatte ich ein bisschen Sorge, dass du dich nicht zurückverwandeln könntest.«

Eric drehte sich zu Tanner. »Ich habe mir für einen Moment Sorgen gemacht, dass ich es nicht kann. Aber... tief im Inneren wusste ich, dass ich es kann. Ich... also... Hey, warum riechst du anders? Ich meine, abgesehen davon, dass du wie er riechst.« Eric deutete mit dem Kopf auf Finley. Es gelang ihm endlich, seine Hände so weit zur Kooperation zu bewegen, um die Jogginghose aufzuhalten. Aber als er versuchte hineinzusteigen, verlor er beinahe das Gleichgewicht. Wenn Finley ihn nicht festgehalten hätte, wäre er umgestürzt wie ein Stapel Bauklötze. Als er die Hose anhatte, unterdrückte er den Impuls, angesichts des kratzigen Stoffs auf seiner offenbar übersensiblen Haut, das Gesicht zu verziehen.

Tanner blinzelte. »Ah, ja. Es hat sich viel geändert, seit du weggelaufen bist. Ich bin jetzt der Alpha.«

Eric war sich sicher, dass ihm bei dem Tempo der Entwicklungen jeden Augenblick die Augen aus dem Kopf fielen. Er legte den Kopf auf die Seite, um respektvoll seinen Hals zu entblößen. »Alpha? Heilige... ähm...«

Tanner grinste, als er anerkennend eine Hand auf Erics Schulter legte. »Nee, kein Heiliger. Nur Alpha.«

Eric lachte los. »Das ist gut. Ich würde es nicht über mich bringen, dich mit Gott anzusprechen...«

Das nächste Lachen kam von Tanner. »Verdammt, ich hab dich vermisst. Lass uns hochgehen. Ich glaube, ich brauche einen Kaffee.«

Als Finley schließlich das Wort ergriff, drehte sich Eric wieder zu ihm um. »Willst du auch ein T-Shirt? Vielleicht ein Paar Socken? Ich glaube nicht, dass dir irgendwelche Unterwäsche von uns passt.« Finley runzelte die Stirn, während er Eric von oben bis unten musterte. Sowohl Finley als auch Tanner waren beide breiter als er und brachten schätzungsweise über zwanzig Kilogramm pure Muskelmasse mehr auf die Waage, daher glaubte er nicht, dass ihm viele ihrer Klamotten passten, aber er hatte keine große Wahl.

»Ähm, T-Shirt und Socken wären super.« Eric zog die Nase kraus. »Ich vermute, es ist nicht mehr viel von meinem Kram da.«

»Bezweifle sowieso, dass du in deine alten Klamotten passen würdest«, sagte Tanner leise lachend. »Du hast Muskeln bekommen. Du bist nicht mehr dieser dürre Hering.«

Erics finsterer Blick war nicht ganz ernst gemeint. »Ich war nie ein dürrer Hering.«

Tanner grinste fies und Eric verdrehte die Augen, während er Tanner in den Essbereich des Hauses folgte.

Fenster säumten die Wände und gaben den Blick auf den umgebenden Wald des Tals und den Wasserfall hinter dem Haus frei. Ein langer Tisch, der vermutlich für beinahe zwölf Personen ausreichte, nahm den Großteil des Raumes ein. Der Rest des Hauses lud ihn ebenfalls ein, sich daheim zu fühlen. Rustikal und bequem, mit gepolsterten Möbeln und im Kontrast dazu viel Technologie – wovon Eric einiges nicht mal sicher identifizieren konnte. Das Ausmaß dessen, was er alles verpasst hatte, wurde ihm langsam klar und Eric schob den Gedanken beiseite, nicht bereit, sich ihm zu stellen.

Der Essbereich ging in eine Küche über, in der offene Ziegel und Holz dominierten. Komplettiert wurde sie von Kupfertöpfen und Edelstahlelementen. Tanner beschäftigte sich mit dem Kaffee, während Finley in ein höheres Stockwerk verschwand.

Eric hatte Probleme, seinen Blick von Tanner zu lösen. Er hatte seinen besten Freund vermisst. Sie waren als Wölfe oft miteinander gelaufen und hatten zusammen gespielt, bevor er sich mit Kim eingelassen hatte. Er schob den Gedanken an sie weit weg und konzentrierte sich stattdessen auf die Gegenwart.

»Also, ähm, warum bist du der Alpha? Ist deinem Dad was passiert?«

Tanner kam mit zwei Tassen Kaffee zurück. Er stellte eine vor Eric und die andere vor dem Stuhl gegenüber ab. »Nun«, meinte Tanner, während er in die Küche zurückging. »Mein Dad musste auf gewisse Weise zurücktreten, weil...« Er nahm einen weiteren Kaffeebecher und drehte sich um, ehe er innehielt, als Eric damit kämpfte, die Tasse hochzunehmen.

Stirnrunzelnd sah er auf die Tasse hinunter. Etwas so Einfaches, wie eine verdammte Kaffeetasse zu halten, sollte nicht so schwierig sein. Er schloss und öffnete seine Faust noch mal, dann zwang er sich, langsam eine Hand um den Bauch der Tasse zu legen und den Henkel gewissenhaft mit zwei Fingern zu umfassen. »Man könnte meinen, ich wäre ein neugeborener Welpe, verdammt noch eins«, grummelte er.

»In vielerlei Hinsicht bist du das. Du hattest eine lange Zeit keine opponierbaren Daumen. Es wird eine Weile dauern, bis du dich wieder daran gewöhnt hast. Ich würde wetten, dass auch viele deiner Sinne gerade stärker ausgeprägt sind. Du musst vielleicht sogar wieder lernen, wie man Dinge filtert.«

Eric runzelte die Stirn, als er einen Schluck Kaffee trank. Der bittere Geschmack überraschte ihn sehr. »Wow.« Er sah in die Tasse hinunter, ehe er zu Tanner aufsah. »Ist der stark oder stimmt mit meinen Geschmacksknospen was nicht?«

Tanner lachte. »Finley hat tatsächlich die Angewohnheit, ihn ein bisschen zu stark aufzubrühen, aber ich vermute, dass es im Moment eher deine Geschmacksknospen sind. Du hast seit neun Jahren keinen Kaffee getrunken, Mann.«

»Stimmt.« Eric schüttelte den Kopf. Er stellte die Tasse ab und rieb sich übers Gesicht, dann sah er zu Tanner auf. »Also, ähm, dein Dad?«

»Oh ja.« Tanner lachte leise. »Er ist jetzt unser Alphaoberhaupt.«

Eric blinzelte ihn ein paarmal an, wobei seine Kinnlade vor Schreck hinunterfiel. »Dein Dad ist das Alphaoberhaupt? Aber... was ist mit dem vorherigen passiert? Und wie ist dein Dad Alphaoberhaupt geworden? Was... oh, verdammt noch mal, ich war viel zu lange weg.« Er ließ das Gesicht wieder in seine Hände fallen.

»Okay, eine Frage nach der anderen –«

»Hier, bitte schön«, sagte Finley und Eric sah auf. Finley hielt ihm ein schlichtes blaues T-Shirt und einfache weiße Tennissocken entgegen.

Eric nahm beides und zog sich dankbar das Shirt über. Trotz seiner natürlicherweise höheren Körpertemperatur fror er. Er vermutete, dass es etwas damit zu tun hatte, kein Fell mehr zu haben.

Sobald er sich die Socken angezogen hatte, setzte sich Tanner neben Finley und erzählte weiter. »Es ist eine lange Geschichte und du solltest ein paar Leute treffen, bevor wir sie dir erzählen, denn ich bin mir nicht sicher, ob du mir glauben wirst, ohne sie vorher zu sehen oder zu riechen.«

Eric hob eine Augenbraue. »Okay...«

»Wirklich«, meinte Finley nickend.

»Es genügt zu sagen, dass mein Dad jetzt tatsächlich das Alphaoberhaupt ist, was bedeutet, dass ich übernehmen musste.« Tanner zuckte mit den Schultern. »Früher, als es mir gefallen hat, aber...«

Eric nickte. »Ja. Man kann sich nicht davor drücken.« Einen Moment lang trank er schweigend seinen Kaffee, nicht sicher, was er sagen sollte. Er schien seine bruchstückhaften Gedanken nicht zusammensetzen zu können. »Ähm...«

»Willst du deine Eltern besuchen?«, wollte Tanner wissen.

Eric sah nicht sofort auf, stattdessen starrte er in die Tasse, als würde sie ihm die Antwort geben, die er suchte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich bin noch nicht bereit, sie zu treffen. Ich habe sie ein paarmal gesehen, als ich in meiner Wolfsgestalt war. Meine Mom... ich weiß, dass sie mich erkannt hat.« Er schluckte und sah zu Tanner auf. »Sie hat sich umgedreht und ist gegangen. Hat nicht mal versucht, auf mich zuzukommen.«

Finley machte ein finsteres Gesicht. »Das ist aber keine Art, wie man sein Kind behandelt.«

Eric lächelte ihn schwach an. »Meine Mutter war nie eine großartig... mütterliche Frau.«

»Das ist egal. Nicht cool.« Finley schüttelte den Kopf, wobei er immer noch eine finstere Miene zog und Eric beschloss auf der Stelle, dass er Tanners Gefährten mochte.

»Er passt gut zu dir«, sagte Eric und grinste Tanner an.

»Ich glaube gern, dass Diana weiß, was sie tut«, meinte Tanner leise lachend. »Aber ja, das tut er.« Er beugte sich hinüber und küsste Finleys Schläfe.

Ein Stechen der Eifersucht, das ihm nicht gefiel, ging durch Erics Körper und er richtete seinen Blick wieder auf die Tasse. Es stimmte, er hatte vor Jahren für seinen besten Freund geschwärmt. Das war der Hauptgrund gewesen, warum er Tanner nie gesagt hatte, dass er bi war. Er hatte nicht gewollt, dass die Dinge zwischen ihnen seltsam wurden, und damals hatte er gewusst, dass Tanner hoffte, seinen vorbestimmten Gefährten zu finden – falls gleichgeschlechtliche vorbestimmte Gefährten überhaupt existierten. Während sie also beide erwachsen geworden waren und nichts zwischen ihnen gelaufen war, hatte Eric seine Schwärmerei so gut er konnte beiseitegeschoben.

Während er jedoch über das Gefühl nachdachte, war ein Teil von ihm eifersüchtiger auf die Tatsache, dass sie einander hatten und sie gut zusammenzupassen schienen. Waren alle vorbestimmten Gefährten so? Nicht, dass Eric erwartete, seinen oder seine je zu treffen und selbst wenn, war er sich nicht sicher, ob er das Risiko eingehen konnte, dass er oder sie ihn verlassen könnte, wie Kim es getan hatte. Er schob diesen Gedanken beiseite.

»Also, hm...«

»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte Tanner.

Eric runzelte die Stirn, nicht sicher, ob er es erklären konnte. Er war sich sicher, dass ihm keiner glauben würde, wenn er ihnen sagte, dass er glaubte, ihre Göttin getroffen zu haben. »Ich... etwas hat mich dazu gedrängt – Instinkt, vermute ich –, dass es Zeit wäre, zurückzukommen. Nicht, dass ich so wirklich weiß, was ich tun werde oder wohin ich soll. Ich bin mir sicher, dass mein Apartment längst leer und mein ganzer Kram weg ist.«

»Ich glaube, deine Eltern haben einen Teil davon mitgenommen. Bilder, persönliche Sachen, solches Zeug.« Tanner runzelte die Stirn. »Bei dem Rest bin ich mir allerdings ziemlich sicher, dass sie ihn gespendet haben. Sie waren sich sicher, dass du nie wieder zurückkommen würdest.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Eric und schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, den der Gedanke heraufbeschworen hatte. »Ich bin mir sicher, dass das jeder dachte.«

»Ich habe nicht aufgehört, zu hoffen«, meinte Tanner und zog Erics Blick damit auf sich. Tanner nickte. »Ja. Ich hab dich ein paarmal oben in den Bergen gesehen. Ich wollte immer wieder hochkommen, aber ich dachte nicht wirklich, dass du mich in deine Nähe lassen wollen würdest.«

»Am Anfang... hätte ich das nicht. Wann hast du mich zuletzt gesehen?« Eric versuchte, nicht verletzt zu sein, weil Tanner auch nicht auf ihn zugekommen war.

»Gott... Vor fünf Jahren? Sechs? Irgendwie in dem Dreh. Ich habe danach natürlich immer Ausschau nach dir gehalten, konnte dich aber nicht finden. Vielleicht einfach nur Pech, dass du irgendwo anders warst.«

Eric atmete durch. »Damals hätte ich dich nicht sehen wollen, nein. Ich... na ja, wie auch immer. Hier bin ich. Aber... was jetzt?«

»Du wirst natürlich hierbleiben, wieder lernen, wie man ein Mensch ist, und den Rest entscheiden, wenn du so weit bist. Das passiert jetzt«, sagte Finley, streckte den Arm aus und nahm seine Hand.

Eric blinzelte ihn an, dann sah er zu Tanner rüber und zurück zu Finley. »Hierbleiben?«

Finley zog fassungslos die Stirn kraus. »Also, ich werd dich nicht allein versuchen lassen, wieder zu lernen, wie man ein Mensch ist. Was für ein Gefährte des Alphas wäre ich, wenn ich das zulassen würde?«

»Ich... so hab ich das gar nicht gesehen.«

Finley strahlte ihn an. »Dann ist das beschlossen. Du kannst dir irgendein Schlafzimmer aussuchen, das dir gefällt, außer unseres natürlich. Du wirst dich vielleicht in dem hier unten am wohlsten fühlen.«

Eric wollte definitiv nicht hören, wie die zwei Sex hatten. »Das... stimmt wohl.«

Tanner stand auf und ging aus dem Zimmer. Als er ein paar Minuten später zurückkam, hielt er ihm etwas entgegen.

Eric starrte es eine Weile an, bevor er die Hand ausstreckte, um es zu nehmen. »Das hast du noch?«

Tanner nickte. »Ja. Hab es aufgehoben, nur für den Fall.«

Eric hob den Deckel seines alten Skizzenbuchs an, dann blätterte er langsam durch die Seiten. Ein Design nach dem anderen, das er aufs Leder übertragen hatte, hatte das Buch über die Jahre gefüllt. Er hatte seinen Job einst geliebt, war darin aufgegangen, diese Bilder zu zeichnen und sie dann von Hand auf das Leder zu übertragen, um daraus Taschen und Handtaschen und andere Dinge herzustellen, die sie in ihrem Laden verkauften.

»Und wenn du dich besser fühlst und wieder in der Lage bist, mit den Dingen umzugehen, wartet dein Job auf dich, wenn du ihn willst.«

Kopfschüttelnd sah Eric auf. »Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt noch kann.«

Tanner lächelte nur. »Wir werden sehen. Triff noch keine Entscheidungen, okay?«

Eric nickte. »Okay, ähm, ja.«

»Cool. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir über das Abendessen nachdenken. Wir wäre es mit Burgern?«, fragte Finley und erhob sich.