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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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15.

Epilog 1

Epilog 2

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2412

 

Das Wasser von Aar

 

Der neue Widerstand – und einige Aarus planen die Genetische Revolte

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Im Frühjahr 1346 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Menschheit vor der größten Bedrohung ihrer Geschichte: Die Terminale Kolonne TRAITOR hat die Milchstraße besetzt und alle bewohnten Planeten unter ihre Kontrolle gebracht.

Die gigantische Raumflotte steht im Dienst der sogenannten Chaotarchen. Ihr Ziel ist, die Ressourcen der Milchstraße auszubeuten, um die Existenz der Negasphäre in Hangay abzusichern: einem Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.

Perry Rhodan ist mit dem Spezialraumschiff JULES VERNE über 20 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit der Milchstraße gereist, die damals Phariske-Erigon hieß, um die Menschheit in der Gegenwart zu retten.

Atlan begibt sich indessen auf eine gefährliche Fahrt nach Hangay, an den Brennpunkt des Geschehens. Auch Reginald Bull ist nicht untätig. Der Residenz-Minister für Verteidigung trifft bei einer schicksalhaften Konferenz auf DAS WASSER VON AAR …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Residenz-Minister für Verteidigung bemüht sich um eine Zukunft für die Milchstraße.

Cheplin – Der hochbegabte Aarus leitet eine historische Konferenz.

Imperator Bostich I. – Der Arkonide sieht die Gelegenheit, sein Ansehen zu vergrößern.

Zheobitt – Der geniale Mediziner schlägt Bull einen Handel vor.

1.

21. Juni 1346 NGZ: Am Schlüsselloch

 

Und wieder einmal liegt das Schicksal der Heimat in deinen Händen, und du stehst vor dem Spiegel. Und das Spieglein, Spieglein fragt dich, ob du den Mann, der dir entgegenblickt, immer noch kennst. Jahrtausende sind vergangen, seit du als junger Mann zum Mond geflogen bist.

Was für ein unglaubliches Ziel war es damals gewesen, der erste Flug durch den Weltraum. Alles schien viel einfacher, aufregender zu sein. Und zugleich unendlich weit entfernt; selbst nach diesem ersten Schritt schien das All immer noch unerreichbar.

Heute ist die Galaxis zusammengerückt und du musst dich Problemen stellen, die unvorstellbar erscheinen.

Natürlich weißt du, was du zu tun hast. An jeder Herausforderung bist du gewachsen. Doch bist du nie übermütig geworden, denn eines hast du sehr schnell gelernt: Auch die Herausforderungen wachsen. Mit dir. Je mehr du teilnimmst am kosmischen Spiel, je länger du dich am Tisch hältst, mit Pokerface und Joker, desto mehr Gegner werden auf dich aufmerksam. Die meisten haben gezinkte Asse im Ärmel und kennen Spielvariationen, die dich schwindeln machen.

Erst vor ein paar Wochen ist das Solsystem beinahe vernichtet worden, weil ein gut gemeintes Geschenk in falsche Hände geriet und weil du – gib es ruhig zu – zu leichtsinnig gewesen bist. Du hast noch einmal Glück gehabt!

Und jetzt bist du hier, mitten in einem Nebel, der bisher vor dem Feind verbirgt, dass du ein neues Spiel planst.

Du bist allein, und das nicht zum ersten Mal. Dein ältester Freund ist durch die Zeit von dir getrennt, wobei dir weder Ziel noch genaue Vergangenheit bekannt sind. Der Arkonide ist in Hangay, um dort den Kampf gegen die Terminale Kolonne aufzunehmen. Du weißt durch die Entfernungen nicht, ob dein Kampf überhaupt einen Sinn hat. Denn wenn die Entstehung der Negasphäre nicht aufgehalten werden kann, ist alles, was du kennst und was dir vertraut ist, nur noch eine unbedeutende Fußnote im Glossar des Lebens.

Deine Heimat, das Solsystem, wird von Mächten bedroht, gegen die es keinen Widerstand zu geben scheint.

Zusammengefasst: Das Chaos hat alles fest im Griff.

 

*

 

Reginald Bull beendete die Morgentoilette. In einer letzten, durchaus rituellen Handlung trug er die Bartentfernungscreme auf, strich über die beiden Narben auf der linken Seite des Gesichts, die er nie hatte entfernen lassen, und verließ leise pfeifend die Nasszelle. Ein tiefes Lächeln huschte über sein breites, von vielen Erfahrungen reichhaltig geprägtes Gesicht, die seine alten Narben unsichtbar und bedeutungslos machten. Allein, hatte der Spiegel behauptet? Nein, er war ganz und gar nicht allein und erst recht nicht einsam. Nicht in diesen Tagen.

Der Unsterbliche kehrte zum Bett zurück. Er ließ den Morgenmantel fallen und hob die Decke an, unter der Fran Imith, mit dem Gesicht zu ihm gewandt, zusammengerollt schlief. Ihr rotes Haar floss in sanften Wellen übers Kissen, schimmernd im gedimmten Licht.

Zwei Rotschöpfe, dachte Bull. Feuer und Vulkan, ja, so könnte man sagen.

Fran blinzelte ihn verschlafen, dann mit einem Aufblitzen im tiefen Blau ihrer Augen an, als er zu ihr unter die Decke schlüpfte. Er legte seine Arme um sie und zog sie an sich. »Guten Morgen, meine Elfe«, flüsterte er liebevoll. »Wir haben unser Ziel fast erreicht.«

»Andromeda?«, seufzte sie.

»Nicht ganz«, schmunzelte er, wohl wissend, dass das ihr großer Traum war. »Eine kleine Zwischenstation, die auch sehenswert ist. Neue Herausforderungen und Ängste erwarten uns, und die Last der Verantwortung wiegt schwerer denn je.«

Sie hob leicht eine Braue. »Schon jetzt und hier?«, fragte sie amüsiert.

»Aber nein«, versicherte er und grinste breit. »Erst in einer halben Stunde.« Dann küsste er sie.

 

*

 

Vierzig Minuten und ein schnelles Frühstück später beeilten sie sich, in die Kommandozentrale zu kommen. Bull trug wie gewöhnlich eine schlichte Kombination mit dem Emblem der LFT Fran kämpfte noch mit dem Verschluss ihres linken Stiefels und tanzte auf einem Bein hinter ihm her. Sie hatte ihre »offizielle« Kleidung angelegt: einen hautengen türkisfarbenen Anzug, der ihre straffe, durchtrainierte Figur vorteilhaft betonte; dazu farblich abgestimmte, elegante Kurzstiefel, die durch ihr raffiniertes Design Frans ohnehin lange Beine optisch noch länger wirken ließen. Ein silberner Ring zierte jeden Finger, die schulterlangen Haare hatte sie im Nacken mit einem schmalen, silberglitzernden Band zusammengefasst, dessen lange Enden locker herabfielen. So betrachtet sah sie für einen unbefangenen Beobachter aus, als würde sie ausgehen wollen. Hinreißend.

Doch das täuschte. Der Stoff des Anzugs war strukturverstärkt und machte ihn zu einer Nahkampfausrüstung, in den Stiefeln steckten Waffen, und jeder Ring verbarg eine miniaturisierte Ausrüstung mit Desintegrator, Orter und dergleichen mehr.

»Musst du mich hier beschützen?«, meinte der Unsterbliche belustigt. Wohlwollend sah er ihr bei den Verrenkungen zu, mit denen sie sich gegen den Verschluss durchzusetzen versuchte.

»Auf fremdem Terrain? Ganz gewiss«, antwortete Fran. »Dein Vorhaben kann nur als äußerst kühn bezeichnet werden. Wir wissen nicht, wann die Schwierigkeiten beginnen. Aber dass wir welche bekommen werden, steht außer Frage. Und da ich dich lange genug kenne, mein Lieber, gehe ich stets davon aus, dass es schon in der nächsten Stunde beginnt.« Sie prüfte den Sitz seiner Kleidung, strich eine Falte glatt und nickte dann zufrieden.

In der Kommandozentrale der LEIF ERIKSSON II herrschte rege Tätigkeit, dennoch war es angenehm ruhig, ohne Hektik und laute Worte. Jeder war an seinem Platz und wusste, was er zu tun hatte.

Oberst Ranjif Pragesh nickte dem Minister für Liga-Verteidigung zu, als dieser zusammen mit seiner Ehefrau die Zentrale betrat. Der Kommandant war Terra-Nostalgiker und trug den traditionellen indischen Turban sowie den schwarzen Schnauzbart mit Würde, und ebenso führte er das Schiff. Er mischte sich nicht in die Arbeit der Offiziere und Spezialisten ein, behielt aber von seinem Kommandositz aus alles im Blick.

Bull steuerte die für ihn eigens eingerichtete Besucherabteilung an, ein tiefer gelegenes Halbrund vor einem Panoramaschirm. An seinen Seiten waren ebenso großformatige Holoramen mit beliebig wählbaren Ausschnitten zugeschaltet. So störte Bull nicht den Ablauf und war dennoch im Zentrum des Geschehens.

In der Mitte der bequemen Sitzgelegenheit befand sich eine schmale Frau mit offenen, schulterlangen blonden Haaren. Sie erhob sich, als sie die Annäherung des Paares bemerkte.

»Bleib sitzen, Bré!«, sagte Bull munter. Er steuerte auf den unauffällig designten Getränkeautomaten zu und holte sich den wichtigen zweiten Kaffee des Morgens, der zur Vorbereitung auf den Tag diente. Der erste war fürs Wachwerden, zum Abschütteln lästiger Albträume und überflüssiger Gedanken. »Wir reisen schon länger zusammen, nicht wahr?«

Die Psychologin musterte ihn kurz aus freundlich wirkenden Augen, die jedoch selbst in diesem entspannten Moment der Begrüßung bis auf den Grund seiner Seele durchzudringen schienen. Seit etwa drei Jahren arbeitete Bré Tsinga wieder im diplomatischen Dienst der LFT, neben ihrer Arbeit als Dekanin an der kosmopsychologischen Fakultät in Terrania. Wie es schien, war sie nach den furchtbaren Geschehnissen vor über zehn Jahren zur Ruhe gekommen und gestärkt daraus hervorgegangen.

Das gehörte dazu, wenn man ganz oben in den Rängen mitspielte – man machte schreckliche Erlebnisse durch und lernte dunkle Seiten kennen. Die Belastungen gingen bis an die Grenze und manchmal darüber hinaus.

Bré Tsinga war vom anderen Ende zurückgekehrt, was nicht vielen gelang.

Aus diesem Grund hatte Reginald Bull ausdrücklich ihre Begleitung bei dieser Mission verlangt und ihr kaum eine Möglichkeit gelassen, abzulehnen. Obwohl sie das Rampenlicht nach wie vor scheute; doch dem unsterblichen Residenz-Minister für Verteidigung konnte man schlecht etwas abschlagen. Ganz abgesehen von seinem Charme, den er gezielt einzusetzen wusste. Und der selbst bei einer abgebrühten Psychologin seinen Eindruck hinterlassen musste, wenn er auf Freundschaft zielte.

Es war nicht ihre erste gemeinsame Reise, der Umgang miteinander vertraut und offen. Das war das Angenehme daran.

Bull aktivierte die Holoramen mittels der Bedienelemente, die in den Tisch eingelassen waren. Mit dem dampfenden Becher in der Hand ging er so dicht wie möglich an den leicht um ihn gewölbten Ausblick. So fühlte er sich mittendrin im Geschehen.

Fran Imith setzte sich zu Bré Tsinga, und die beiden unterhielten sich leise im Hintergrund.

Bull konnte sie hören, obwohl er weit weg von ihnen war, mitten im Nebel.

Der Carina-Nebel, einhundert Lichtjahre im Durchmesser. In seinem Zentrum lag Eta Carinae, der Hauptstern des Nebels: ein veränderlicher, massereicher Dreifachstern. Während Bully auf die Monitoren vor ihm blickte, erkannte er einen kleinen dunklen Fleck in Form eines Schlüssellochs in der hellsten Region des Nebels. Irgendwie symbolisch, empfand der Unsterbliche. Schließlich gedachte er, ein Schloss zu öffnen und damit gleichzeitig ein anderes zu verschließen.

Zwei blaue Sterne und ein Neutronenstern ergaben einen Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen, kurz LBV genannt; eine unglaublich strahlende Kerze, die an beiden Seiten brannte, in wenigen Millionen Jahren zur Supernova explodieren und in einem Schwarzen Loch enden würde. Eine enge zeitliche Determination in kosmischen Maßstäben, die wiederum als Analogie zum derzeitigen Status quo für die Milchstraßenvölker diente.

Die Begrenzung und der drohende Untergang konnten mit wenigen schaudererweckenden Schlagworten zusammengefasst werden: Terminale Kolonne, Negasphäre.

Reginald Bull trank still seinen Kaffee, während er den wundervollen Nebel betrachtete. Denn es gab nicht nur den sichtbar nahen Tod dort draußen, sondern auch Leben, offene Sternhaufen und Gebiete, in denen Sterne entstanden. Eine ständige Bewegung, Werden und Vergehen.

Wir werden dafür sorgen, dass all dies noch ein bisschen länger existiert, dachte er.

Am linken unteren Bildausschnitt war die Position der LEIF ERIKSSON II angegeben. Bull beobachtete Eta Carinae aus dem Querbor-Sektor, der etwa fünfzig Lichtjahre durchmaß. Der gleichnamige Blaue Riese schickte sein Licht durch den Carina-Nebel über 3522 Lichtjahre weit nach Terra. Weit genug vom Auge des Feindes entfernt, hoffte Bull.

Kam da ein Gefühl der Erhabenheit auf? Verbunden mit der Empfindung, selbst ganz klein zu sein? Gewiss. Die Menschen maßten sich an, kosmischen Mächten die Stirn zu bieten, welche die Geburt dieses Blauen Riesen und des Nebels gesehen hatten. Mit nichts weiter als einer kleinen Menge an Technik unterm Hintern und der unverfrorenen Frechheit im Gemüt, sich für das Maß aller Dinge zu halten.

Winziges Leben, eine Mikrobe nur, vor gerade zehn Sekunden entstanden. Na gut, vielleicht war es auch schon eine Minute her.

Aber wahrscheinlich war gerade das ihr Vorteil: Ein Virus beispielsweise konnte das Leben auf einem ganzen Planeten auslöschen, da es beweglich war, schnell anpassungsfähig, zur Mutation bereit. So unscheinbar, dass man es mit normalen Mitteln nicht sehen und noch weniger greifen konnte. War die Menschheit ein Virus – übrigens noch eine der »schmeichelhafteren« Bezeichnungen, die andere Völker für sie bereithielten –, so würde sie den Chaosmächten zumindest eine ordentliche Grippe spendieren.

Werden wir unserem schlechten Ruf gerecht und retten die Galaxis!

 

*

 

Reginald Bull hatte den Becher gerade geleert, als Bré Tsinga an seine Seite kam. Sie war um eine Winzigkeit größer gewachsen, aber im Vergleich zu ihm nur eine halbe Portion. Er mochte es sowieso, von großen Frauen umgeben zu sein, deshalb war er besonders stolz auf Fran, die ihn um gut zehn Zentimeter überragte. Trotzdem konnte er sie leicht auf seine Arme heben.

»Wie fühlst du dich?«, fragte Bré.

Er verkniff sich die Gegenfrage, ob sie das wissenschaftlich oder freundschaftlich meinte, denn er kannte die Antwort: beides selbstverständlich. »Wie ein Landjunge, der dem unbeliebten und gefürchteten Obermotz des Dorfes einen Streich spielt.«

Sie lächelte leicht. »Ein prosaischer Vergleich, doch dürfte er ziemlich genau zutreffen.«

»Der schwierigste Teil an einem Streich ist, nicht erwischt zu werden.« Seine Miene wurde plötzlich ernst, und ein wehmütiger Ausdruck trat in seine hellen Augen. »Das erinnert mich an einen anderen Jungen vor langer Zeit, der seinem Vater einen gewaltigen Streich spielte …« Er sah zu Boden, gab sich aber keine Mühe, seine Gefühle zu verbergen. Niemand sonst hatte Anteil an dieser Unterhaltung, und Bré durchschaute ohnehin alles. Er gestattete sich einen Anflug von Trauer. Wie sollte das auch so schnell überwunden werden, nach so langer Zeit?

»Mike«, sagte sie und nickte. Genau wie Bull auch sagte sie nie Roi. »Ja. Bei all dem Leid, das er schon durchlebt hat, hätte ihm diese unfassbare Tragödie erspart bleiben müssen. Niemand hat etwas so Grausames verdient, doch für ihn … dürfte es ungleich schrecklicher gewesen sein.«

Bull hob den Blick und sah wieder auf den Nebel hinaus. »Wie gut ke… kanntest du ihn?«, fragte er langsam.

Auch er hatte gelernt, in den Menschen zu lesen. Brés Stimme war für eine Psychologin in diesem Moment zu wenig distanziert gewesen.

»Es ist sehr lange her, warte … Oh, schon über vierzig Jahre«, antwortete sie ein wenig erstaunt. »Vor Tom und den Kindern waren wir mal kurz zusammen. Zuerst bat Mike mich um psychologischen Rat, aber es wurde schnell mehr daraus, weil wir beide damals sehr einsam waren. Er redete nicht mit seinem Vater, ich war bindungsunfähig, ruhelos und von den Medien gehetzt. Was uns zusammenhielt, war Verzweiflung. Keine Liebe. Als Mike später nach Quinto-Center ging, blieben wir weiterhin in Verbindung.«

»Und niemand kam je dahinter, trotz deiner Medienpräsenz damals?«

»Du stellst merkwürdige Fragen für jemanden, der Michael Reginald Rhodans Patenonkel ist.« Bré schmunzelte still in sich hinein, in Erinnerung. »Heute weiß ich, was er damals durchgemacht hat«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Zweimal war ich schon fast tot, und ich habe anderen den Tod gebracht. Die Identität zu verlieren, wenn dein Gehirn sich in eine willenlose Masse verwandelt …«

»Als Psychologin solltest du wissen, dass du keine Schuld trägst, Bré«, unterbrach Bull. »Außerdem ist das ebenfalls schon lange her, und du wurdest nicht nur vom Gericht von jeder Schuld freigesprochen.«

»So einfach ist das nicht, Bully«, sagte sie ruhig. »Du kannst erst dann damit fertig werden, wenn du bereit bist, die Verantwortung für deine dunkle Seite zu übernehmen, die Schatten auf deine Seele wirft. Es wird nicht dadurch leichter, das man ein willenloses Werkzeug, eine Marionette gewesen ist. Jemand wie du sollte das wissen.«

Statt einer Antwort holte der Unsterbliche sich noch einen Kaffee und für Bré einen Saft.

Still beobachteten sie den vorüberziehenden Nebel. Der Kurs der LEIF ERIKSSON II verlief am Rand des Querbor-Sektors entlang.

»Da sind wir also wieder einmal«, bemerkte Bré dann. »Und verteidigen unsere Grenzen. Man sollte meinen, dass es genug Platz für alle im Universum gibt, wenn man das da draußen sieht.«

»Neider gibt es überall«, meinte Bull leichthin.

Flüchtig sah er sich um, ohne dass es ihm bewusst war. Ein jahrtausendelang antrainierter Reflex, nie die Umwelt aus dem Blick zu verlieren. Ein Angriff erfolgte selten zu dem Zeitpunkt und aus der Richtung, aus der man ihn erwartete. Es sei denn, man konnte erfolgreich eine Falle zuschnappen lassen. Aber darum ging es auf dieser Mission nicht … noch nicht.

Mit Ausnahme des Kommandanten wusste die Besatzung des terranischen Flaggschiffs nicht, was sie am Ziel der Reise erwartete. Der Erfolg der Mission hing von unbedingter Geheimhaltung ab. Der Residenz-Minister konnte nur hoffen, dass sich alle in ihren Zweck Eingeweihten daran hielten, aber dieses Risiko musste er eben eingehen. Der Boden brannte nicht zum ersten Mal unter seinen Füßen. Allerdings war es selten so heiß geworden, denn die Erfüllung ihres Auftrags blieb äußerst fraglich.

Fran gesellte sich zu ihnen. Sie deutete auf die holografisch angezeigte Position der LEIF ERIKSSON II, die sich einem grün blinkenden Punkt näherte. »Wir haben die Koordinaten bald erreicht.«

Schlagartig wurde Reginald Bull nervös.

2.

Treffpunkt an der Sonne