REASONS
TO
TRUST

VON SAVANNA FOX BEREITS ERSCHIENEN

Voice of Passion

Hot Summer Ride

SAVANNA FOX

REASONS TO TRUST

Erotischer Liebesroman

Die Zeit wartet auf niemand

Unbekannter Autor

Kapitel 1

■ ■ ■

Tulsa, Oklahoma, Vereinigte Staaten von Amerika, Juni 2018

Es war ein lauschiger Freitagabend, die letzten Stunden vor dem Heimflug, der Theresa und ihren beiden Freundinnen aus Kempten, Jenni und Anna, wieder zurück in die Heimat nach Deutschland bringen sollte. Die Sonne ging allmählich hinter der westlichen Skyline der Stadt unter und der Himmel begann in einem orangeroten Farbenspiel zu leuchten, der im Osten in ein nächtliches Lila überging. Gemeinsam betraten sie zu dritt eine Cocktailbar in Downtown Tulsa, um auf das Ende ihres dreiwöchigen erlebnisreichen Urlaubs anzustoßen.

An der Eingangstür wurden sie von der Bedienung begrüßt und in Empfang genommen und an einen runden Tisch im hinteren Eck der Bar geführt. Als sie platzgenommen hatten, die Cocktailkarten erhielten und jede für sich einen Drink ausgesucht hatte, lehnte sich Theresa entspannt zurück uns betrachtete sich die Bar etwas genauer.

Im Hintergrund spielte melodische Karibikmusik. Zwischen den einzelnen Tischen waren Palmen in Kübeln aufgestellt, die der Atmosphäre ein tropisches Flair verliehen. Das Lokal schien gut besucht, die meisten Tische waren besetzt und an der Bar standen ebenfalls Leute und unterhielten sich.

Eine Kellnerin trat an ihren Tisch und servierte die Cocktails, ehe sie an den benachbarten Tisch weiterzog.

»Meine Lieben«, Anna erhob ihr Glas. »Auf einen entspannenden Abschluss dieser unvergesslichen drei Wochen, die in jeder Hinsicht absolut gigantisch waren!«

»Cheers«, prosteten Theresa und Jenni ihr zu.

Theresa sog an dem Strohhalm ihres Cocktails und die süßliche Flüssigkeit breitete sich in einem vollmundigen Geschmack aus Ananas und Kokosnuss auf ihrer Zunge aus. »Hm, sehr lecker.«

»Allerdings«, stimmte Jenni zu. »Du hättest aber zum Abschluss ruhig einen Drink mit Alkohol wählen können«, zwinkerte diese ihr zu.

»Lieber nicht«, lachte Theresa. »Ich möchte den Flug nach Hause gerne ohne Kopfschmerzen antreten. In den letzten drei Wochen hatten wir genug Alkohol zu uns genommen, um halb Las Vegas zu versorgen«, kicherte sie.

Die drei Freundinnen hatten eine Tour von der Westküste in San Francisco über Los Angeles, Las Vegas quer durch den Mittleren Westen der USA bis nach Tulsa in Oklahoma hinter sich gebracht, wo Anna ihre weitläufige Verwandtschaft besucht hatte. Es lagen viele faszinierende Sehenswürdigkeiten auf ihrer Strecke, unter anderem atemberaubende Nationalparks wie der Yellowstone, den Theresa als sehr beeindruckend empfand. Es gab trotzdem noch unzählige Naturparks, die sie noch nicht gesehen hatte und für die in den kurzen drei Wochen leider die Zeit nicht gereicht hatte.

»Las Vegas«, seufzte Anna. »Zu gerne wäre ich dort noch ein paar Tage länger geblieben.«

»Um am Ende in der Elvis-Kapelle mit diesen Jason verheiratet durch den pinken Rosenbogen zu laufen«, kicherte Jenni.

»Ich glaube, ich hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt«, seufzte Anna der Erinnerung nachhängend. Theresa und Jenni prusteten los.

»Du hast zumindest in der einen Nacht in Vegas nichts anbrennen lassen«, lachte Theresa. »Ganz nach dem Motto: Was in Vegas passiert …«

»Das bleibt in Vegas«, beendete Anna mit einem hochroten Kopf den Satz und sog daraufhin an ihrem Strohhalm. »Der Cocktail ist wirklich gut!«, versuchte sie vom Thema abzulenken.

»Zu schade, dass dieser herrliche Urlaub schon zu Ende ist«, seufzte Jenni, lehnte sich über ihren Drink und sog gedankenverloren an ihrem Trinkhalm. »Am Montag beginnt wieder der Alltagsstress und ich habe so überhaupt keine Lust meinen nervenden Chef im Büro zu sehen.«

»Ich weiß, aber noch sind wir ja nicht in Deutschland«, meinte Theresa aufmunternd. Auch sie hatte keine Lust, am Montag zum Spätdienst wieder in der Notaufnahme in der Klinik in Kempten stehen zu müssen.

»Wäre ich nur Krankenschwester geworden, dann müsste ich am Montag nicht gleich um acht Uhr im Büro sein«, jammerte auch Anna.

»Mädels, bitte, verschont mich damit. Glaubt mir, keine von euch beiden hat Lust darauf, ein Schädel-Hirn-Trauma zu versorgen, das von Kopf bis Fuß mit Blut überströmt ist und die Ko-«

»Stopp! Erspare uns die Details! Wir wollen unseren Cocktail noch genießen!«, rief Jenni. »Außerdem will ich eine positive Erinnerung an unseren letzten Abend in den Staaten mit nach Hause nehmen und nicht, wie wir kübelnd die Bar verlassen mussten, nur weil du uns von deinen blutigen Schlachten an der Arbeit erzählt hast.«

Theresa lachte. Immerhin hatte es funktioniert, die Mädels aus der Zukunft wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Natürlich verspürte sie ebenso wenig das Bedürfnis auf Deutschland und den Stress in der Klinik, aber noch waren sie hier und sie wollte nicht an Montag denken, sondern ihren letzten Abend hier vor Ort genießen.

»Peter freut sich, dass unser gemeinsamer Urlaub vorüber ist«, bemerkte Jenni. »Schon in den letzten Telefonaten konnte er es kaum abwarten, dass ich endlich zurückkomme.«

»Na da hat ja jemand Nachholbedarf«, lachte Anna. »Dein Freund hat in den letzten drei Wochen wahrscheinlich erst mal richtig gemerkt, was es bedeutet, wenn du dich nicht um alles im Haushalt kümmerst.«

»Du fasst gerade meine Befürchtungen in Worte. Ich hoffe, unsere Wohnung ist in der Zwischenzeit nicht zur Müllhalde mutiert.« Jenni sah besorgt aus.

»Ich glaube, er kam schon zurecht.« Theresa versuchte, ihre Freundin zu beruhigen.

Zum Glück hatte sie solche Probleme derzeit nicht. Von ihrem letzten Freund hatte sie sich vor eineinhalb Jahren getrennt, seitdem war sie single.

»Wie sieht es eigentlich bei dir aus?«, wollte Anna wissen. »Von dir hören wir diesbezüglich überhaupt nichts mehr. Ich dachte, dass du wenigstens hier den Männern Mal eine Chance gibst. In Vegas waren ja schließlich einige gutaussehende Kerle dabei. Oder hast du mittlerweile heimlich jemanden kennengelernt und uns nichts davon erzählt?«

Anna und Jenni sahen Theresa neugierig an.

Theresa schüttelte den Kopf. »Ich muss euch leider enttäuschen, es gibt auch weiterhin keinen Mann in meinem Leben. In Vegas war nichts für meinen Geschmack dabei und zuhause habe ich vor lauter Stress keine Zeit, um einen Mann kennenzulernen.«

»Weil du nur noch die Notaufnahme im Kopf hast«, warf Jenni rügend ein. »Wenn ich so viel arbeiten würde, wie du es tust … nein, ich will mir lieber nicht vorstellen, was dann wäre.«

»Ich habe mir meine Arbeitszeiten eben nicht ausgesucht«, versuchte Theresa sich zu verteidigen.

»Du solltest dir lieber einen Arzt aussuchen«, meinte Anna. »Rennen bei dir in der Klinik nicht genug von denen rum?«

»Vielen Dank, aber nein danke, keinen Arzt. Außerdem möchte ich Berufliches und Privates bestmöglichst getrennt halten.« Theresa hatte in der Notaufnahme schon genug mit Krankheiten zu tun. Da wollte sie nicht noch einen Arzt als Mann, der am Ende noch mehr Stunden pro Woche in der Klinik beschäftigt war und meist die Wochenenden ebenfalls zum Dienst anrücken musste.

»Eine vernünftige Einstellung«, pflichtete ihr Jenni bei. »Trotzdem: So lange solo zu sein ist auf Dauer nicht gut. Es gibt bestimmt einige nette und gutaussehende Männer, die sich für dich interessieren.«

»Das mag schon sein, aber voreilig etwas übers Bein zu brechen macht meiner Meinung nach auch keinen Sinn. Der Richtige wird schon irgendwann kommen.« Theresa hatte allmählich genug von diesem Thema.

»Wie du meinst.«

»Das meine ich, ja.« Theresa wusste, ihre Freundinnen meinten es nur gut, doch im Augenblick hatte sie keine Ambitionen den erstbesten Lover in ihr Leben zu lassen, nur weil sie single war. Darauf konnte sie wirklich verzichten.

Nicht, dass sie keine Lust auf Männer hätte. Im Gegenteil, denn ihr Liebesleben lag im Moment auf einem gähnenden Nullpunkt. Alleine im Bett zu liegen brachte auf die Dauer keine Befriedigung.

Natürlich hatte sie in den letzten Monaten hin und wieder einen One-Nighter. Aber es war nichts Ernsteres daraus entstanden. Heutzutage war es einfach sehr schwierig einen Mann zu finden, der gewillt war, seine Zeit in eine Beziehung zu investieren. Viele wollten nur ihren Spaß haben und auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen. Das war das Negative an der heutigen Konsumgesellschaft. Für Geld konnte man fast alles kaufen. Leider nur keine wahre und ehrliche Beziehung.

Viele hatten keine Lust mehr, sich überhaupt die Mühe zu machen, um sich auf jemanden tiefer einzulassen, nur weil es manchmal nicht nach dem eigenen Wünschen ging. Genau das hatte Theresa in ihrer letzten Beziehung auf die schmerzhafte Tour feststellen müssen, da ihr Exfreund nicht bereit war, zu geben, im selben Atemzug aber auch nicht zu verzichten. Eine gesunde Beziehungsgrundlage basierte aus einem ausgewogenen Geben und Nehmen, und da viele Menschen dies heutzutage nicht mehr konnten, hatte Theresa keine Lust sich auf oberflächliche Dates einzulassen, denn sie sehnte sich nach etwas Festem.

»Entschuldigt mich kurz«, bemerkte Theresa, »ich gehe nur rasch auf die Toilette. Bin gleich wieder da.« Sie stand auf, nahm ihre Hanftsche und folgte dem leuchtenden Schild, das ihr den Weg zeigte.

Nachdem sie sich erleichtert hatte, trat sie in den Korridor. Ein Luftzug wehte ihr entgegen und anstatt zurück zu ihren Freundinnen zu gehen, entschied sie sich kurz frische Luft zu schnappen. Sie lief zu der offenstehenden Tür am anderen Ende des Durchgangs und trat in einen Innenhof. Die Kühle umgab sie sofort, sodass sie in ihrer dünnen Strickjacke an den Armen leicht fror. Doch noch war es nicht unangenehm.

Der Hof schien nur schwach beleuchtet, deswegen blieb sie direkt neben der Tür stehen. Von den bunten Bannern der unzähligen Bars, welche die belebten Straßen säumten und Besucher anlockten, war auf dieser Seite des Gebäudes nichts wahrzunehmen. Zeitweilig drangen hupende Autos an ihr Ohr und in ihren Ohren summte es, von der Musik und den vielen durcheinandersprechenden Stimmen in der Bar.

Erschöpft lehnte sich Theresa gegen die Hauswand und gähnte mehrmals. Morgen ging der Flieger zurück nach München, sie sollten nicht mehr allzu lange bleiben.

In ihren Gedanken versunken, schrak sie unerwartet zusammen, als es einige Meter entfernt ein unüberhörbares Rascheln tat. Kurz darauf hallten in der Nähe Schritte und verharrten in der darauffolgenden Sekunde wieder. Angespannt lauschte sie eine Zeitlang, doch es war nur eine irritierende Stille zu vernehmen. Hatte sie sich das merkwürdige Geräusch etwa nur eingebildet? Angestrengt blickte sie in die Richtung, aus der der Krach kam. Leider konnte sie nur wenig erkennen, denn defekte Lichter flackernden unruhig in der nächtlichen Dunkelheit. Ein Schatten bewegte sich kurz an einer Wand, verschwand jedoch sofort wieder.

Was war das?

Eigenartig, sie war sich sicher, etwas gesehen zu haben. Aber vielleicht war es nur eine Katze oder ein anderes Tier. Schulterzuckend drehte sie sich bereits zur Tür, als sie diesmal einen dumpfen Schlag vernahm, gefolgt von einem schmerzverzerrten Stöhnen.

Theresa blieb abrupt stehen und sah sich erneut um. Wieder hörte sie ein Aufstöhnen.

Irgendetwas stimmte nicht. Fieberhaft überlegte, was sie da gerade gehört hatte. Sie ahnte, von wem diese Laute kommen könnten. Sie stammten eindeutig von einem Menschen. Jemand, der möglicherweise verletzt war und Hilfe benötigte.

Mit einem Mal schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie schluckte schwer.

Ohne zu überlegen, trat sie nach vorn.

Schritt für Schritt lief sie in die Richtung, aus der die merkwürdigen Laute drangen, und ließ die Bar hinter sich. Sie wusste, sie war enorm unvorsichtig um diese Uhrzeit ohne Begleitung in diesen dunklen Hinterhof zu gehen. Doch vielleicht konnte diese hilflose Person nicht mehr auf sich aufmerksam machen und Hilfe holen.

Langsam kam sie näher und wünschte sich, wenigstens eine Taschenlampe in ihrem Rucksack dabei zu haben.

Dann sah sie, wie sich eine Lichtquelle an den Wänden hin und her bewegte und kurz darauf wiederum erloschen war.

Was war das?

Ihr Herz pochte aufgeregt. Ihr Blick glitt zurück zur Bar. Sollte sie besser wieder zurückgehen und dort jemand um Hilfe bitten?

Nein, entschied sie sich dagegen. Das wäre lächerlich, sie hatte ja nicht wirklich etwas gesehen. Es konnte schon nichts Schlimmes passiert sein. Vermutlich war es nur jemand, der in den Mülltonnen nach brauchbaren Gegenständen suchte, was in dieser Gegend bestimmt nicht unüblich war.

Aber um auch tatsächlich sicher zu sein, dass alles in Ordnung war, wollte sie lieber nachsehen.

An einer Hausecke blieb sie stehen und verharrte. Nur dieses leise wimmernde Stöhnen war zu vernehmen, was von hier aus schweren angestrengten Atemzügen glich. Sich mutmachend atmete sie tief durch und wagte langsam den Blick um die Ecke.

»Oh mein Gott!«, schrie sie auf und in der nächsten Sekunde schob sich abrupt eine Hand auf ihren Mund, gleichzeitig wurde sie schroff nach hinten weggezogen.

In einem kräftigen Ruck drückte man ihr die Arme auf ihren Rücken, während die Hand noch fester auf ihren Mund presste.

Panik ergriff sie. Sie wollte schreien, wollte um Hilfe rufen, doch sie konnte nicht. Der Druck auf ihrem Kiefer quetschte so stark, dass ihr nur ein erbärmliches Gurgeln aus der Kehle drang.

Pure Angst stieg in ihr auf, und sie versuchte, in die Hand zu beißen und mit den Füßen nach hinten zu treten. Verzweifelt unternahm sie alles, um sich zu wehren und sich zu loszureißen. Doch die eiserne Schlinge um ihren Körper verstärkte sich umso mehr, wurde immer fester.

Tränen des Horrors schossen ihr in die Augen. Sie hatte panische Angst. Trotz allem hielt es sie nicht davon ab, sich aus diesem stählernen Griff entreißen zu wollen. Theresa versuchte, sich mit ihrem ganzen Gewicht nach hinten zu werfen und sich schwer zu machen. Sie probierte, ihrem Angreifer mit ihren Ellenbogen in den Bauch zu boxen. Sie unternahm alles Erdenkbare, um sich zu befreien, aber sie fühlte nur diesen unglaublich eisernen Gürtel um ihren Oberkörper, der ihr fast die Luft zum Atmen raubte. Es löste sich ein Schuss und sie sah entsetzt mit an, wie ihr Peiniger leblos zu Boden fiel. Was folgte, war ein unerwartet harter Schlag gegen ihre Schläfe und alles wurde schwarz.

■ ■ ■

POCHEN. IN THERESAS Schädel herrschte höllisch pochender Schmerz.

Mit der Hand fuhr sie zitternd an ihre Schläfe. Durch die Berührung zog ein heftiger Blitzschlag schmerzend durch ihren gesamten Körper.

Oh Gott, sie traute sich kaum die Augen öffnen, solch massiv pulsierende Kopfschmerzen befielen sie.

»Hey! Sieh mich an!«, lautete der fordernde Befehl einer tiefen männlichen Stimme und im nächsten Moment packte man sie an der Schulter und rüttelte sie kräftig.

»Mein Kopf«, stöhnte sie auf. »Bitte. Was … Was ist denn los?« Ihre Worte krächzten heißer und ihre Kehle schmerzte, so wie der Rest ihres Körpers. Langsam öffnete sie ihre schweren Lider und sah vorsichtig sich um.

Alles um sie herum lag im Dunkeln. Sie konnte weder erkennen, wo sie sich befand, noch wer der Mann war, der zu ihr sprach.

»Wo … Wo bin ich?«, fragte sie verängstigt. Ihr Nacken schmerzte höllisch, als sie versuchte ihren Kopf zu drehen. »Warum bin ich hier? Was ist passiert?«

»Was hatten Sie dort zu suchen?« Seine Stimme nahm einen wütenden Ton an.

»Wo?«, stammelte sie. Ihr Herz raste vor Angst in ihrer Brust. »Wo denn zu suchen? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Sie meinen. Wer sind Sie überhaupt?« Mit wem hatte sie es hier zu tun? Sie wollte wissen, wer der Mann war, der ihr diese bestimmenden Fragen stellte, und wollte wissen, warum sie hier war.

Sie schluckte und fuhr mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte mit brüchiger Stimme: »Ich will sehen, mit wem ich spreche, sonst rede ich kein weiteres Wort.« Sie hoffte inständig, ihre Stimme klang stark genug, um ernst genommen zu werden.

Plötzlich und ohne Vorwarnung wurde das Licht eingeschaltet. Die abrupte Helligkeit blendete sie so sehr, dass sie ihre Hände vor die Augen schlug.

Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich an das Helle gewöhnt hatte, dann sah sie sich suchend um. Sie befand sich in einer schäbigen unaufgeräumten Behausung, die eher einer heruntergekommenen Baracke glich. Ihr Blick glitt von der einen Ecke, in die andere. Offensichtlich hatte hier schon lange niemand mehr gelebt. Die Wände waren verschmutzt, es hingen Spinnennetze von der Decke und überall standen umgefallene und verstaubte Gegenstände herum. Fensterscheiben waren eingeschlagen. Auf dem Boden lagen Stühle. Sie selbst saß auf einem davon.

Aber wo steckte der Mann, der mit ihr gesprochen hatte?

»Hallo?«, flüsterte sie ängstlich. »Sind Sie noch da? Was haben Sie mit mir vor?«

Plötzlich hörte sie schwere Schritte, die auf sie zukamen. Sie sah auf und vor ihr stand er und starrte sie abwertend an. Er musste mindestens 1,95m groß sein. Sein Haar schien schwarz und er hatte unglaublich breite Schultern. Er trug ein schwarzes Shirt und dunkle Jeans. Doch in Theresas Kopf hämmerte es so sehr, dass sie sich nicht auf sein Gesicht konzentrieren konnte. Sie versuchte es einige Male, aber unentwegt verschwamm er vor ihrem Blick.

Er trat näher und reichte ihr eine Flasche Wasser.

Seine Geste verwunderte sie. Vorsichtig nahm sie die Plastikflasche aus seiner Hand, öffnete den Verschluss und setzte sie zitternd an ihre Lippen. Die Flüssigkeit tat so gut auf ihrer trockenen Kehle, dass sie gleich mehrere Schlucke trank.

»Danke.«

Nickend nahm er die Flasche wieder entgegen und stellte sie auf den Tisch. Dann baute er sich erneut vor ihr auf und sah sie wartend an. Endlich war es ihr möglich, sein Gesicht zu erkennen. Seine dunkelbraunen Augen fixierten sie eindringlich mit einem grimmigen Ausdruck.

»Also noch einmal«, befahl er bestimmend. »Was hatten Sie dort zu suchen?«

Theresa sammelte ihre Gedanken. Sie versuchte sich zu erinnern, was passiert war und wann es geschehen war. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier war. Doch sie wusste noch, »ich war mit meinen Freundinnen in der Bar und bin kurz auf die Toilette gegangen.«

Der Mann stöhnte genervt und Theresa schaute zu ihm verwirrt auf. Noch immer bedachte er sie mit diesem abwertenden Blick, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor ihr. Sein Brustkorb hob und sank mit jedem Atemzug und spannte dabei den Stoff seines Shirts so straff über seinen Oberkörper, dass sie jeden einzelnen seiner unglaublich trainierten Muskeln erkennen konnte. Er musste ungeheuer stark sein … wenn der Kerl sie in einem Schwitzkasten nahm, hätte sie keine Chance, sich von ihm zu befreien …

»Ich wollte wieder zurück an unseren Tisch, als«,

Halt! Stopp Theresa! Was erzählst du ihm das alles? Du weißt doch gar nicht, wer dieser Typ ist und was er mit dir vorhat! Wenn er erst die Informationen erhalten hat, die er von dir hören möchte, wird er dich bestimmt umbringen!

Theresa schüttelte ihren Kopf.

»Was war dann passiert? Warum sind Sie in den Hinterhof gegangen und nicht wieder zurück zu Ihren Freundinnen? Was hatten Sie dort zu suchen?«

Stumm sah ihn nur an, presste die Lippen aufeinander und sprach kein weiteres Wort.

»Theresa reden Sie mit mir! Was wollten Sie dort?« Seine Stimme wurde forscher.

Entsetzt, ihren Namen aus seinem Mund zu hören, starrte sie ihn an und fragte sie verängstigt: »Wo … Woher wissen Sie, wie ich heiße?«

Mit einem hinterlistigen Grinsen zog er ihren Ausweis aus seiner Jeans und wedelte damit vor ihr herum. Sie versuchte, ihn aus seinen Fingern zu schnappen, da schnellte seine linke Hand vor und packte ihr Handgelenk mit eisernem Griff. Gefährlich nahe zog er sie an sich, fixierte bedrohend ihre Augen, und während er ihr den Arm umdrehte, flüsterte er in leisem aber eiskaltem Ton: »Hör zu Süße, ich weiß, wo du herkommst und wo du dort wohnst und ich kenne den genauen Aufenthaltsort, wo sich deine Freundinnen in diesem Moment befinden! Du machst jetzt besser das, was ich dir sage, wenn dir und den beiden Schnecken nichts passieren soll, verstanden?«

Theresa schluckte. Erstarrt blickte sie in seine dunklen drohenden Pupillen.

»Hast du mich verstanden?«, rief er noch einmal unter Nachdruck und wartete auf eine Antwort.

»Ja, ich habe es verstanden.« Sie entzog ihm ihre Hand. Ihr Handgelenk brannte, sie rieb gedankenverloren darüber, um die Schmerzen zu lindern. Sie wollte lieber nicht wissen, wie viele Hämatome mittlerweile ihren Körper übersäten.

»Also, nochmal«, begann er erneut. »Was hattest du verdammt noch mal dort zu suchen?« Er verlangte Antworten und Theresa merkte, seine Geduld ging allmählich zu Ende.

»Ich sagte doch, ich war auf der Toilette. Danach bin ich raus an die frische Luft, um kurz durchzuatmen. Ich plante gerade wieder zurück in die Bar zu gehen, da hörte ein Geräusch. Ich wollte wirklich nur nachsehen, ob alles in Ordnung war, mehr nicht. In dem Moment, als ich um die Ecke sah, wurde ich auch schon gepackt«, bemerkte sie ängstlich und sah zu ihm auf.

Er sah aus dem Fenster. Nach einer gefühlten Minute drehte er sich zu ihr und bedachte sie mit einem verärgerten Blick.

»Was hat das alles zu bedeuten? Was ist überhaupt los?«, fragte sie flüsternd.

»Zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort«, murmelte er gedankenverloren.

»Dann lassen Sie mich gehen. Ich habe nichts gesehen … und ich weiß auch nichts. Ich will einfach nur zurück in unser Hotel, mehr nicht.«

Er schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Sie haben dich gesehen. Sie sind bereits hinter uns her.«

»Was haben Sie mit mir vor?«, fragte Theresa ein weiteres Mal.

»Hör auf, mir diese nervenden Fragen zu stellen! Ich muss nachdenken.«

Tränen traten ihr in die Augen und liefen ihr die Wangen herab. Sie hatte Angst. Sie wusste nicht, was los war. Wer war der Kerl, der sie entführt hatte? Wer waren die anderen Leute, von denen er sprach? Was hatte all das zu bedeuten? Und wann konnte sie wieder zurück zu ihren Freundinnen und nach Hause fliegen?

Erneute Panik stieg in ihr auf. Sie spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper aus Furcht zusammenzog. »Lassen Sie mich gehen. Bitte.«

Flehend sah sie in seine dunklen Augen, doch er verzog keine Miene.

Das Klingeln eines Handys riss sie aus der Stille. Fast gleichzeitig drehten sie die Köpfe in die Richtung, aus dem die lärmenden Laute kamen.

Erschrocken stellte Theresa fest, dass es ihr Mobiltelefon war, das klingelte. Es lag in ihrer Handtasche und die lag auf dem Tisch. Blitzschnell sprang sie auf, um den Anruf entgegenzunehmen. Doch er war genauso schnell und riss ihr die Tasche aus den Händen. Hastig zog er das Handy heraus, studierte die Nummer des Anrufers, dann nahm er ab. Er stellte den Lautsprecher des Telefons an, dass sie beide hören konnten, was gesprochen wurde. Ohne ein Wort zu sagen, wartete er, bis sich der Anrufer am anderen Ende zuerst meldete.

Anfangs war nur ein Rauschen zu vernehmen, doch dann hörte Theresa eine verzerrte Stimme flüstern. »Ah, wie schön endlich einen von euch beiden erreicht zu haben. Es hat für uns eine ganze Weile gedauert, um die richtige Nummer herauszufinden, aber wir waren zum Glück erfolgreich. Wir wollten euch nur eine kleine persönliche Liebesbotschaft hinterlassen, seid ihr bereit sie zu hören?« Einen kurzen Moment war es still, doch dann sprach er erneut: »Wir werden dich finden und die kleine Schlampe ebenfalls! Und dann fängt dieses Spiel erst richtig an!« Was folgte, war das Dauersignal der toten Leitung.

Erschrocken sah Theresa zu ihrem Gegenüber und ihr wurde jetzt erst wirklich bewusst, dass es tatsächlich ihr Handy war, auf dem das Gespräch einging. Es war ihre Handynummer, die gewählt wurde. Der Anrufer wusste, wer sie war und kannte somit ihre Identität.

»Wer … Wer war das? Was wollen die von mir? Woher wissen diese Leute, wer ich bin?«, stotterte sie.

Ihr gesamter Körper zitterte, sie bekam panische Angst.

Er fixierte sie nachdenklich, seine dunklen Augen musterten ihren Körper von Kopf bis Fuß.

Wie hatte sie nur in eine solch schreckliche Situation gelangen können? Es war ihr unbegreiflich. Sie war bloß eine Touristin. Eine ganz normale Frau, die zuhause ihrer geregelten Arbeit nachging, um Geld zu verdienen, damit sie ihre Miete bezahlen konnte und um einigermaßen sorgenfrei leben zu können. Es war nicht viel Geld, das sie als Krankenschwester verdiente, aber es genügte ihr. Sie war glücklich und unabhängig. Sie besaß die Freiheit, Entscheidungen in ihrem Leben zu treffen und hatte sich vor Monaten schon mit ihren Freundinnen für diesen Urlaub entschieden. Einen Urlaub, der morgen gemeinsam mit Anna und Jenni zu Ende gehen sollte. Doch anstatt entspannt mit den beiden ihre letzten Stunden zu verbringen, war sie ohne Vorwarnung in die Fänge eines Kidnappers geraten.

Wie um Himmelswillen hatte es passieren können, dass sie als stinknormale Touristin von dem einen auf den anderen Moment in eine solche Situation hineingeraten war? Sie hatte doch nur helfen wollen.

»Reden Sie mit mir!«, schniefte Theresa.

Wieder stand er am Fenster und schaute hinaus. Auf was wartete er? Oder auf wen?

Ohne ein Wort zu sprechen, kam er auf sie zu, umfasste er ihr Handgelenk, riss sie nach oben und zog sie brüsk an seinen Körper. Ihre Hand lag auf seinem harten warmen Brustkorb. Sein frischer maskuliner Duft stieg in ihre Nase. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, was ihr ein Schauer über den Rücken laufen ließ. Suchend stachen seine Augen in ihre.

Ihr Herz raste hemmungslos. Was hatte er mit ihr vor?

Sein undurchsichtiger Blick beängstigte sie. Er schien zornig. Sie wusste nicht, was er vorhatte. Erschrocken starrte sie ihn an.

»Du hast Angst?«, stellte er bestimmend fest.

Sie nickte.

»Du willst von hier verschwinden?«

Sie nickte erneut.

»Du hast gehört, was der Kerl von deinem Handy gesagt hat? Sie werden dich finden, egal wo du dich versteckst.«

»Wer sind diese Leute?« Verängstigt sah sie ihn an und erkannte einen kurzen Anflug von Gefühl in seinen Augen, die sonst nur seine einschüchternde Härte und Kälte widerspiegelten.

»Sie sind dein größter Alptraum«, erwiderte er knapp und ließ sie abrupt los, sodass sie nach hinten strauchelte und auf das Bett an der Wand fiel.

»Und wer sind Sie?«

einen kurzen Moment fixierte er sie nachdenklich. »Ich bin deine einzige Chance, aus dieser Sache lebend herauszukommen.«

Sie schluckte. »Und wer sagt mir, dass Sie mich nicht auch töten wollen?« So wie den Typ hinter der Bar …

»Du musst mir schon vertrauen, Süße. Vertrau mir, oder du bist bereits tot.«

»Ihnen vertrauen? Ich weiß weder wer Sie sind, noch wie Sie heißen, und geschweige was das alles zu bedeuten hat!«

»Mein Name ist Ben. Benjamin Amaruq. Für den Rest ist es besser, wenn du es nie erfährst.«

Ben Amaruq. Okay, sein Name ist Ben.

Doch was hatte er mit all dem zutun? In was war sie hier nur hineingeraten?

Ungläubig schüttelte sie den Kopf.

»Hier ist Amaruq. Ja, es gab einen Zwischenfall«, begann er plötzlich und hielt sich das Handy an sein Ohr. Seine Stimme klang aufgebracht. »Nein, der Deal ist geplatzt! Ich war kurz davor die Sache abzuschließen, dann ist sie aufgetaucht.«

Deal? Ging es etwa um Drogen? War er ein Drogendealer, der von der Polizei gesucht wurde?

»Nein, die Ware ist hier bei mir. Ich konnte sie zum Glück sicherstellen.« Ben drehte sich um und starrte sie grimmig an. Dann sah er wieder aus dem Fenster. »Was weiß denn ich! Ich kann auch nicht mehr darüber sagen. Es einfach passiert ist!«

Erstarrt saß Theresa auf dem Bett und verfolgte Bens Gespräch. Mit wem telefonierte er?

»Ich weiß es nicht, Mann! Wie bereits gesagt, ich hatte alles unter Kontrolle und dann ist sie aufgetaucht. Ich hatte keine andere Wahl, konnte nicht noch ein weiteres Opfer riskieren.«

Er atmete tief durch, fuhr sich mit einer Hand durch das Haar und schrie fast in das Mobiltelefon, »Verdammt noch mal! Mir ist auch bekannt, dass ich jetzt ein Problem mehr habe! Keine Ahnung, wie ich das lösen soll! Ich muss noch darüber nachdenken. Aber ich regele es irgendwie.«

Seine Stimme wurde immer wütender. Er hatte sichtlich Mühe sich unter Kontrolle zu halten.

»Theresa Marie Bergmann«, nannte er ihren vollständigen Namen und Theresa zuckte zusammen. In ihrem Bauch regte sich ein ungutes und bedrückendes Gefühl. Was hatte er mit ihr vor?

»Sie ist mit zwei Begleiterinnen unterwegs gewesen, die sie wahrscheinlich schon als vermisst gemeldet haben. Seht zu, dass ihr die beiden ausfindig macht. Ihr kennt das Procedere.« Blanker Horror überkam Theresa, als sie Bens Worte realisierte. Er wollte Anna und Jenni ebenfalls kidnappen! Sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass es dazu kam.

»Die Daten schicke ich euch per SMS. Ich melde mich wieder, wenn sich etwas Neues ergibt. Bis dahin wisst ihr hoffentlich, was zu tun ist.« Er beendete das Gespräch und holte einige Male tief Luft. Dann tippte er sichtlich angespannt in sein Mobiltelefon.

»Ich bin Ihnen im Weg richtig?« Fragend sah sie zu ihm auf. »Lassen Sie mich einfach gehen. Ich werde kein Wort über das, was passiert ist verlieren, oder über Sie. Ich verspreche es.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dich nicht gehen lassen werde.«

»Wollen Sie mich etwa kidnappen?«

Er zuckte die Schultern. »Wenn du nicht kooperierst.«

»Warum kann ich nicht einfach gehen?«, fragte sie verzweifelt. Was sollte sie nur tun? Morgen ging doch ihr Flug nach Hause. Sie wollte doch zurück nach Kempten. So wie geplant. Das alles war doch ein schlechter Scherz.

»Verdammt noch mal, hast du es denn immer noch nicht kapiert?« Er war sichtlich aufgebracht. »Diese Leute sind hinter dir her! Sie werden alles unternehmen, um dich in die Hände zu bekommen und dann werden sie dich töten! Hast du denn deren Drohungen nicht verstanden?«

Theresa schluckte. Doch das hatte sie. »Und was haben Sie mit der Sache zu tun?«

Es war zu verzwickt. Sie wollte nicht wahrhaben, in welcher Situation sie sich befand. Es konnte einfach nicht wahr sein!

»Hör endlich auf so viele Fragen zu stellen! Je weniger du weißt, desto besser ist es für dein Leben.«

Plötzlich nahm Ben ihr Mobiltelefon, brach die Verschalung auf und entfernte die SIM-Karte. Vor ihren Augen zerdrückte er diese in seinen Fingern. Den Akku steckte er in seine Hosentasche, den Rest schleuderte er gegen die Wand, sodass alles zersplitterte und unbrauchbar war.

»Was machen Sie da?« Entsetzt stand sie auf und kam auf ihn zu.

»Dein Handy entsorgen«, antwortete er verächtlich. »Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst, und eventuell die Cops anrufen willst.« Er schnappte sich ihre Handtasche und durchsuchte sie, nahm ihr Flugticket, ihren Geldbeutel mit Führerschein, das Visum und ihre Kreditkarte an sich. Ihren Ausweis besaß er ja bereits. Ihre Pillenpackung schmiss er wortlos wieder zurück. Als Nächstes fand er ihren Fotoapparat. Er schaltete das Gerät ein und mit wenigen Handgriffen entfernte er die Speicherkarte und stecke sie ebenfalls ein. Der Apparat landete in der nächstbesten Ecke, dann warf er ihr die Tasche vor die Füße. »Den Rest kannst du behalten«, bemerkte er abfällig und steckte ihre Papiere in seinen Hosenbund.

Schniefend begutachtete sie den Inhalt ihrer Handtasche. Es befand sich kaum noch etwas Brauchbares darin. Alles was sie als Theresa Bergmann identifizierte, hatte Ben Amaruq an sich genommen.

»Was haben Sie jetzt vor?«

»So schnell wie möglich von hier verschwinden. Und du wirst mit mir kommen!«

Entsetzt schüttelte sie verneinend den Kopf. Sie wollte nicht mit ihm gehen. Sie wollte zurück zu Anna und Jenni, in ihr Hotelzimmer und dann im Morgengrauen in den Flieger steigen, um nach Deutschland zu gelangen. Sie sehnte sich verzweifelnd nach Zuhause. Erschöpft wischte sie sich die brennenden Tränen aus den Augen, als Ben einen Schritt näher trat.

»Dir bleibt keine andere Wahl.« Bens Stimme klang etwas ruhiger, doch er verlor nichts an seiner Einschüchterung, stattdessen verlieh er seinen Worten Nachdruck, indem er bedrohlich auf sie zukam.

Die Schritte, die er sich ihr näherte, lief sie rückwärts. Bis sie einen festen Widerstand hinter sich spürte und ihm nicht mehr ausweichen konnte. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und Ben versperrte ihr die Flucht nach vorn. Mit einem eiskalten Blick bedachte er sie von Kopf bis Fuß. Er baute sich in seiner satten Größe drohend vor ihr auf und flüsterte warnend: »Wenn du versuchen solltest zu fliehen, wirst du dir wünschen, nicht einmal daran gedacht zu haben. Solltest du es versuchen, auch nur eine Nachricht zu hinterlassen, werde ich deinen fragilen Körper als unmissverständliche Nachricht für andere hinterlassen. Du tust ab jetzt genau das, was ich dir sage, habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«

Theresa wusste, ihr blieb keine andere Alternative. Sie hatte keine Chance zu entkommen. Es war zwecklos sich gegen ihn zu stellen, denn er war um ein Vielfaches stärker als sie. »Ich habe verstanden.« Sie drückte sich von der Wand ab. Sie fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen und wusste nicht, wie ihr geschah, als sie sich seufzend ihrem Schicksal ergab.

»Gut, dann lass uns so schnell wie möglich von hier verschwinden.« Ohne weitere Anweisungen zu erteilen, nahm er ihre Tasche, packte sie und zog sie stolpernd mit sich ins Freie.

Durch den wolkenverhangenen Himmel schien der Mond und tünchte die Umgebung in ein silbrig schwarzes Grau.

Vor dem Gebäude stand ein dunkler großer Geländewagen. Ben öffnete die Beifahrertür und schob sie auf den Sitz. Mit einem kraftvollen Stoß knallte er die Tür zu und Theresa zuckte erschrocken zusammen. Ben lief vorne um das Auto auf die Fahrerseite und stieg ebenfalls ein. Wortlos warf er ihre Tasche auf die Rückbank, steckte den Schlüssel in die Zündung und startete den Motor.

Mit Vollgas fuhr er los und Theresa fügte sich ihrem Schicksal. Es war zwecklos Ben zu fragen, wo sein Ziel lag. Er würde es ihr ohnehin nicht sagen.

Sie vertraute darauf, dass Anna und Jenni mittlerweile die Polizei über ihr Verschwinden verständigt hatten, nachdem sie hoffentlich bemerkten, dass sie nicht mehr an ihrem Tisch in der Bar aufgetaucht war.

Angespannt lauschte sie nach Polizeisirenen, doch sie blieben aus, und als einige Zeit vergangen war, ohne dass ihnen ein Polizeiauto in die Quere kam, schmälerten sich Theresas Hoffnungen gefunden zu werden rapide.

Mitten im Fahren kramte Ben sein Mobiltelefon hervor. Das Lenkrad mit einer Hand haltend, tippte er etwas auf das Display, ehe er es zurück in seine Hosentasche schob. Direkt neben ihrem Oberschenkel. Was ihr nicht entging.

Es wäre ein einziger Handgriff und sie könnte es sich schnappen.

Wenn sie es hatte, könnte sie damit fliehen und die Polizei rufen.

So unauffällig wie möglich versuchte sie, die Distanz zwischen ihr und dem Handy abzuschätzen. Sie musste dieses Ding unbedingt in die Hände bekommen. Es war im Augenblick ihre einzige Chance auf eine Rettung.

»Denk nicht einmal daran.« Ben sah sie wissend an und schüttelte genervt den Kopf.

In ihr krümmte sich jeder Muskel aus aufbäumender Verzweiflung. In ernüchternder Erkennung stellte sie fest, dass sie nicht im Stande war, etwas gegen Ben auszurichten.

Ertappt sah sie nach vorn auf die Straße. Einzig und allein die hellen Lichter der Scheinwerfer auf dem Asphalt waren ihre nächtlichen Begleiter. Sie leuchtete ihnen den Weg über die Weiten des dunklen einsamen Highways. Ab und zu fuhren sie an einem Schild vorbei, oder gelangten durch einen Ort. Anfangs hatte sie begonnen sich die Namen der Städte zu merken, doch ihr Kopf schmerzte weiterhin. Sie war völlig erschöpft und hatte Mühe die Augen offen zu halten. Eigentlich könnte sie schlafen, denn ihr Schicksal nahm ab jetzt seinen Lauf. Ben hatte sie in seiner Gewalt. Sie sollte sich damit abfinden, denn sie konnte an ihrer aussichtslosen Lage augenblicklich nichts ändern.

Vertrau mir gingen ihr Bens Worte durch den Kopf. Sie sollte diesem undurchsichtigen Ben Amaruq vertrauen, um am Leben zu bleiben. Aber konnte sie das?

Momentan hatte sie gar keine andere Option. Sie war ihm komplett ausgeliefert. Es war absolut unmöglich sich von ihm zu befreien und zu entkommen, denn er war ihr körperlich gänzlich überlegen. Trotzdem hieß das noch lange nicht, dass sie diesem fragwürdigen Typen vertraute.

Wenn sie aus dieser Situation lebend wieder rauskommen wollte, dann sollte sie sich am besten ganz ruhig verhalten. Sie musste das tun, was Ben von ihr verlangte, und das Wichtigste war, dass sie auf keinen Fall in Panik geriet. Es wäre wahrscheinlich der größte Fehler, der ihr passieren könnte. Doch es fehlte nicht mehr viel, dass dieser geschah.

Die Stille in der Fahrerkabine ließ sie innerlich allmählich etwas zur Ruhe kommen. Schweigend lenkte Ben neben ihr den Wagen durch die Einsamkeit der Nacht. Sein wilder maskuliner Duft umgab sie und strömte mit jedem Atemzug tiefer in ihre Lungen ein. Seine dunklen Pupillen taxierten sie immer wieder mit einem seltsamen Ausdruck, der ihr einen merkwürdigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Noch immer fühlte sie, wie er sie an seinen athletischen Körper gezogen hatte. Kraftvoll und stürmisch.

Theresa schloss die Augen, sodass sie nur das Geräusch des laufenden Motors vernahm. Ab und an gab es ein Ruckeln unter den Rädern, was sie nicht weiter störte. Sie atmete mehrmals angestrengt durch und schlief endlich ein.